Physik für echte Männer - Martin Apolin - E-Book

Physik für echte Männer E-Book

Martin Apolin

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Beschreibung

Das Mobiltelefon ohne Steckdose aufladen? Mit dem Bumerang die Zimmerpflanze abstauben? Im Dunkeln leuchtende Eiswürfel herstellen? Wie bestimmen Sie die Himmelsrichtung, wenn Sie kein Smartphone und keinen Kompass zur Verfügung haben? Da gibt es einige MacGyver-Methoden, für die man nur wenig Zubehör benötigt und die überdies auch physikalisch interessant sind – schauen Sie Martin Apolin über die Schulter! Unterhaltsam und fundiert präsentiert Martin Apolin physikalisches Wissen für alle Lebenslagen.

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Seitenzahl: 293

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MARTIN APOLIN

 

MIT ILLUSTRATIONEN VON MANDY FISCHER

 

 

 

Für Kveta, Filip, Ellen und Anna

 

 

© 2015 Ecowin, Salzburgby Benevento PublishingEine Marke der Red Bull Media House GmbH

Lektorat: Joe RablArt Direction: Peter FeierabendIllustrationen Innenteil und Cover: Mandy Fischer Covergestaltung und Satz: Frank BehrendtProgrammleitung Ecowin: Martina PaischerE-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

ISBN: 978-3-7110-5129-5www.ecowin.at

Inhalt

Vorwort oder Es ist niemals zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben

TEIL A – KÖRPER UND SPORT

1 Eine Fläche aus Zeit oder Wie gut ist Ihre Reaktion?

2 Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter oder Wie schießen Sie den perfekten Strafstoß?

3 Der entzauberte Himmel oder Wie wird man im Flugzeug schwerelos?

4 Der Mann mit dem Hammer oder Welche Physik steckt im Marathonlauf?

5 Beschleunigung geht durch den Magen oder Was macht die Achterbahn so attraktiv?

6 Auf die Fliehkraft wird gepfiffen! oder Wie fährt man mit dem Rad durch einen Looping?

7 Ein Kreisel mit Flügeln oder Warum kommt ein Bumerang zurück?

TEIL B – AUTO UND MOTOR

8 Das lauteste Autoradio der Welt oder Röhren zwei Autos doppelt so laut wie eines?

9 Auf Fermis Spuren oder Wie hoch ist eine Gummispur?

10 Diesel versus Benziner oder Wer kommt schneller aus den Socken?

11 Von 0 auf 100 km/h in 2,5 s oder Was treibt eigentlich ein Auto an?

12 James Bond und Captain Impossible oder Kann man mit einem normalen Auto auf zwei Rädern fahren?

TEIL C – FREIZEIT UND ABENTEUER

13 Geocaching mit Einstein oder Wie funktioniert das GPS?

14 Back to the roots oder Wie bestimmt man die Himmelsrichtung ohne Kompass?

15 Verzweifelt in der Pampa oder Wie lädt man ein Handy ohne Steckdose?

16 Fahrenheit 451 oder Wie macht man ohne Streichholz oder Feuerzeug ein Feuer?

17 Die trinkende Ente oder Wie funktioniert ein Sockenkühlschrank?

TEIL D – ESSEN UND TRINKEN

18 Coffee is the fuel of science oder Wie funktioniert eine Espressomaschine?

19 Wenn das Tonic Water flasht oder Wie macht man fluoreszierende Eiswürfel?

20 Der Bernhardiner mit dem Schnapsfässchen oder Kann man sich mit Alkohol aufwärmen?

21 Wein ist eine Lösung oder Wie kann man Schnaps selbst brennen?

22 Eine Blume für den Mann oder Wie zapft man das perfekte Bier?

23 Auf Messers Schneide oder Wie scharf ist eine wirklich scharfe Klinge?

24 Das Ende der Porenlegende oder Wie brät man das perfekte Steak?

TEIL E – WIE SIE BEIM KINDERFEST ZUM STAR WERDEN

25 Glockenklang mit dem Kleiderbügel oder Warum klingt meine Stimme auf Band so blöd?

26 Darth Vader und Mickey Mouse oder Wie funktioniert die Heliumstimme?

27 Warum der Flop kein Flop wurde oder Wie funktioniert das schwebende Besteck?

28 Candlelight-Dinner in Schwerelosigkeit oder Wie funktioniert eine Teebeutelrakete?

29 Countdown nicht möglich! oder Wie funktioniert eine Wasserrakete?

30 Die Kunst der Verzerrung oder Wie macht man eine Anamorphose?

31 Nicht nachmachen! oder Wie funktioniert der Turbo-Würstchen-Garer?

32 Übers Wasser laufen oder Was ist eine nicht-newton’sche Flüssigkeit?

33 Ein Donut aus Luft oder Wie baut man eine Vortex-Kanone?

TEIL F – PHYSIKALISCHE LIFEHACKS

34 Der Hacker-Trick des Captain Crunch oder Wie kann man Bier in Blitzesschnelle kühlen?

35 Überschall-Superflummi oder Wie funktioniert ein Eidottersauger?

36 Eierschalensollbruchstellenverursacher oder Wie macht man Gläser aus alten Flaschen?

37 Kontaktlinse fürs Smartphone oder Wie kann man mit der Handykamera Makrofotos schießen?

38 Big Bang Theory oder T-Shirts falten mithilfe der Gravitation

39 Ein Plädoyer für die gepflegte Unordnung oder Warum hat die Zeit eine Richtung?

TEIL G – SCIFI, FANTASY UND SUPERHELDEN

40 Der Blick in die Vergangenheit oder Kann man schneller ziehen als sein eigener Schatten?

41 Über dem Horizont oder Gibt es Überlichtgeschwindigkeit?

42 Beam me up, Scotty! oder Wie funktioniert Teleportation?

43 Fliegende Lichtwürstchen oder Wie funktionieren Laserpistole und Lichtschwert?

44 Godzilla und die Minimoys oder Kann es Zwerge und Riesen geben?

45 Auch Superhelden haben es schwer oder Wie könnten Superkräfte funktionieren?

Register

#

A

B

C

D

E

F

G

H

I

J

K

L

M

N

O

P

Q

R

S

T

U/V

W

X

Z

Vorwort oder Es ist niemals zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben

Physik ist als staubtrockene Materie verschrien – völlig zu Unrecht, wie ich finde. Auch ist die Meinung weit verbreitet, dass Physik nichts oder zumindest wenig mit dem Alltag zu tun habe. Dieses Buch ist der Versuch meinerseits, diese beiden Vorurteile ein für alle Mal zu widerlegen. In wohlportionierten und saftigen Häppchen habe ich mich diverser Themen angenommen, die aus dem Alltag oder unserer erweiterten Lebenswelt stammen. Ich habe versucht, in den Formulierungen belletristisch zu bleiben und die Sache mit Augenzwinkern anzugehen, aber trotzdem physikalisch tief zu schürfen. Weil ich mich auf Aspekte konzentriert habe, die ich selbst besonders faszinierend finde, ist einerseits ein sehr persönliches, andererseits aber auch ein eher männerlastiges Buch entstanden. Deshalb ist es mir sehr wichtig, ausdrücklich zu betonen, dass ich selbstverständlich nicht der Meinung bin, dass Physik nur etwas für Männer ist. Als Lehrer unterstütze ich schon seit vielen Jahren alle Bemühungen, auch das weibliche Geschlecht für diese faszinierende Materie zu gewinnen.

Ich hatte schon immer einen eher unkonventionellen Zugang zur Physik. Einerseits wurde dieser dadurch begünstigt, dass ich neben Physik nicht Mathematik, sondern Sportwissenschaften studierte. Dadurch entwickelte sich ein eher unmathematischer, beinahe musischer Zugang zur Physik. Zum Beispiel arbeite ich unglaublich gerne mit Abbildungen, weil man mit deren Hilfe Informationen sehr schnell und plastisch vermitteln kann. Andererseits hat mich schon immer die konkrete Physik zum Angreifen und Abbeißen fasziniert. Ändert sich zum Beispiel die Geschwindigkeit, wenn Sie mit konstant 80 km/h durch eine Kurve fahren? Ich verrate es Ihnen noch nicht an dieser Stelle! Auch das physikalische Querdenken, das mir stets wichtig war, ist in dieses Buch mit eingeflossen. Und zu guter Letzt wäre da noch mein verspielter Zugang zu nennen, der sich auch im Praktischen niederschlägt. Es ist ja niemals zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben! Und zumindest mein inneres Kind spielt auch heute noch gerne mit Gadgets wie Vortex-Kanonen, Makrolinsen und Zimmerbumerangs, und das finde ich auch gut und wichtig so.

Neben der Faszination für die Materie gibt es aber noch einen anderen fundamentalen Grund, warum mir Physik immer sehr wichtig war. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat in seinen Tagebüchern sinngemäß geschrieben, dass man das Leben nur rückwärts verstehen kann, es aber vorwärts leben muss. Saublöde Sache! Auf das Leben ist eben nicht wirklich draufzukommen, und es ist oft einfach unberechenbar. Wenn man sich im Gegensatz dazu aber in der Physik einmal ein Terrain erarbeitet hat, dann ist dieses völlig trittsicher. Zum Beispiel ist E immer exakt gleich mc2, und nicht heute ein bisschen weniger oder morgen ein bisschen mehr, nur weil es dem Universum grad so in den Kram passt. Auf die Physik ist einfach Verlass, und das hat mich immer unheimlich beruhigt.

Dass mein Zugang eher unmathematisch ist, bedeutet nicht, dass ich nicht gerne rechne – im Gegenteil! Aber die Ergebnisse von Abschätzungen sollen in meinen Augen immer konkret sein und wenn möglich einen Aha-Effekt hervorrufen, so nach dem Motto: „Das hätte ich mir aber jetzt nicht gedacht!“ Ich finde es zum Beispiel hochinteressant auszurechnen, wie viele Big Macs der Superschurke Magneto essen müsste, damit er die Golden Gate Bridge heben könnte. Und so viel kann ich an dieser Stelle schon verraten: Es sind wirklich eine ganze Menge! Damit der Lesefluss erhalten bleibt, habe ich diverse Rechenorgien und Zusatzinformationen in den Anhang verbannt. Es war mir aber wichtig, dass stets nachvollziehbar ist, wie ich auf meine Ergebnisse gekommen bin.

Der Wiener Kabarettist Gunkl alias Günther Paal hat einmal gemeint, er will nicht immer so denken, dass es staubt, sondern auch einmal so, dass der Dreck spritzt. Ich habe versucht, dieses Motto zu beherzigen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen beim Lesen so viel Vergnügen und erhellende Momente, wie ich sie beim Schreiben hatte.

 

Martin Apolin

Wien, Dezember 2014

TEIL A – KÖRPER UND SPORT

1 Eine Fläche aus Zeit oder Wie gut ist Ihre Reaktion?

 

Die wenigsten Menschen sind Sprinter, Wettkampfschwimmer oder Tormänner. Trotzdem spielt die Reaktion auch im Alltag eine große Rolle, etwa beim Autofahren, wenn man als Fußgänger einem waghalsigen Radfahrer ausweicht oder mit dem Fuß dem entglittenen Brotmesser. Ob jemand eine lange Leitung hat oder wie ein geölter Blitz reagiert, ist angeboren, kann aber durch Training zumindest ein wenig verbessert werden. 

Wie gut ist Ihre persönliche Reaktion? Um diese zu messen, brauchen Sie nur einen Rundstab und eine Hilfsperson, die diesen fallen lässt. Ihre Aufgabe ist dabei denkbar einfach: so schnell wie möglich zuzupacken! Die Physik liefert Ihnen dann den Zusammenhang zwischen der Fallstrecke und Ihrer Reaktionszeit! 

 

 

Legen Sie den Unterarm Ihrer Lieblingshand mit leicht gebeugten Fingern bis zum Handgelenk auf die Tischplatte (siehe Abb. 1a). Diese Maßnahme dient dazu, dass Sie später beim Zupacken nicht nach unten ausweichen, wodurch Sie eine geringere Falltiefe vortäuschen würden. Ein Helfer hält nun den Stab zwischen Ihre leicht geöffneten Finger, dessen Ende sich genau an Ihrer Handkante befinden muss. Damit keine Zufallsresultate entstehen, sollte der Helfer einige Sekunden abwarten, bevor er die Stange fallen lässt – es soll Sie ja wirklich überraschen. Wenn diese zu fallen beginnt, greifen Sie so schnell wie möglich zu. Was dann letztendlich unten raussteht (Abb. 1b), ist ein Indikator für Ihre Reaktionszeit. Und hier kommt die Physik ins Spiel. 

Wir brauchen dazu den Zusammenhang zwischen der Falltiefe s eines Gegenstandes und seiner Fallzeit t. Die Formel dafür ist ein absoluter Klassiker und lautet s = (g/2)t2. Das g steht dabei für die Fallbeschleunigung. Für unsere Überlegungen nehme ich zunächst einmal den gerundeten Wert von 10 m/s2. Was bedeutet diese Zahl? Und was zum Teufel soll man sich unter einer Quadratsekunde vorstellen? Eine Fläche aus Zeit? Viele Einheiten in der Physik entziehen sich leider hartnäckig unserer konkreten Vorstellungskraft, so auch diese. Um der Einheit Meter pro Sekundenquadrat auf die Schliche zu kommen, ist es am besten, diese aufzudröseln. 

Wenn wir den Luftwiderstand mal vernachlässigen, was bei kleineren Geschwindigkeiten und kompakten Objekten realistisch ist, dann kann man festhalten: Nach einer Sekunde hat jedes Ding eine Geschwindigkeit von 10 m/s, nach zwei Sekunden 20 m/s, nach drei Sekunden 30 m/s und so weiter. Sie sehen das Prinzip! Der Geschwindigkeitszuwachs beträgt also generell 10 m/s pro Sekunde. Anders angeschrieben sind das (10 m/s)/s und umsortiert 10 m/s2. Tadaaa! Die etwas irritierende Einheit Quadratsekunden kommt also bloß durch das Zusammenstauchen der Einheiten zustande. Ich gebe jedoch zu, dass man diese Sache ein wenig einsickern lassen muss. 

Gut, Sie wollen aber nun aus dem Stück Holz, das unten aus Ihrer Hand raussteht, auf Ihre Reaktionszeit schließen. Dazu ist es besser, umzuformen, nämlich auf . Nun können Sie bequem die Fallstrecke einsetzen und kommen sofort auf Ihre Reaktionszeit. Dazu müssen Sie allerdings in die Formel die Fallstrecke in Metern einsetzen, damit Sie auf das Ergebnis in Sekunden kommen. 

Um Ihnen das Herumgefummel mit dem Taschenrechner zu ersparen, habe ich Tab. 1 erstellt, mit deren Hilfe Sie die Fallstrecken zentimetergenau in Ihre Reaktionszeiten umwandeln können. Für diese Daten habe ich allerdings den exakten Wert für g in unseren Breiten angenommen, nämlich 9,81 m/s2.

Beim freien Fall wächst die Fallstrecke mit dem Quadrat der Zeit. Wenn sich zum Beispiel die Fallzeit verdoppelt, dann vervierfacht sich die Fallstrecke! Das kann man auch in der Tabelle an den grau unterlegten Werten gut erkennen. Nach rund 0,1 s ist der Stab 5 cm tief gefallen, nach 0,2 s aber bereits 20 cm, also viermal so tief. Nach etwa 0,3 s wäre der Stab übrigens bereits neunmal so tief gefallen, also 45 cm. Das entspricht allerdings der Reaktion einer Schlaftablette, und daher habe ich solche Werte in der Tabelle nicht mehr berücksichtigt. 

Wenn Sie auf ein repräsentatives Ergebnis Wert legen, dann sollten Sie diesen Test öfter hintereinander durchführen und die Reaktionszeiten mitteln. Dann bekommen Sie einen brauchbaren Eindruck, wie gut Ihre Reaktion ist, und können diese mit der von anderen Personen vergleichen – vielleicht gibt’s in der Arbeit ja mal einen kleinen Leerlauf?!

Was sind die bestmöglichen Reaktionszeiten? Wirklich bissfeste Zahlen dazu existieren nicht. Man kann aber vorsichtig abschätzen, dass bei Untrainierten bei optischen Reaktionen wie in unserem Test die untere Grenze bei 0,15 s liegt. Wenn also 11 cm unten rausstehen, dann sind Sie reaktionstechnisch höchstbegabt. Wenn es noch weniger ist, dann hatten Sie eine Fehlreaktion, haben also zufällig die Finger zu früh geschlossen. 

 

s in cm

t in Sek.

1

0,045

2

0,064

3

0,078

4

0,090

5

0,101

6

0,111

7

0,119

8

0,128

9

0,135

10

0,143

11

0,150

12

0,156

13

0,163

14

0,169

15

0,175

16

0,181

17

0,186

18

0,192

19

0,197

20

0,202

21

0,207

22

0,212

23

0,217

24

0,221

25

0,226

26

0,230

27

0,235

28

0,239

29

0,243

30

0,247

Tab. 1: Fallstrecken und zugehörige Reaktionszeiten.

 

Apropos Fehlreaktion! Ein solcher Lapsus kann beim Sprint zu großen Dramen führen, etwa wenn es einen Superstar wie Usain Bolt erwischt. Dieser produzierte bei der WM 2011 im 100-Meter-Finale einen Fehlstart, wurde prompt disqualifiziert und musste tatenlos zusehen, wie sein Landsmann Yohan Blake in 9,92 s gewann. Mit Bolt’schem Standard verglichen war das eher eine maue Leistung. Wie ist das mit dem Fehlstart aber eigentlich geregelt? 

Während bei optischen Reizen die Minimalreaktion um 0,15 s liegt, beträgt sie bei akustischen Signalen wie dem Startschuss etwa 0,12 s – ein Unterschied von immerhin 3 Hundertstelsekunden! Auch ohne Physiologiestudium kann man daher einen heuristischen Hüftschuss wagen und behaupten, dass bei der Verarbeitung optischer Reize die Synapsen im Hirn eben generell etwas länger gefordert sind als bei akustischen. Zur Sicherheit hat man von erwähntem Minimalwert noch einmal zwei Hundertstel abgezogen und als Fehlstart definiert, wenn man innerhalb von 0,1 Sekunden nach dem Schuss reagiert. Mit freiem Auge wären so ein paar Tausendstel unmöglich zu sehen! Die objektive Lösung liefert wieder mal die Physik. Bei großen Meetings gibt es nämlich in jedem Startblock Kraftsensoren, die überwachen, wie stark die Füße auf die Blöcke drücken. Das ist in Abb. 2a dargestellt. Erfolgt der Kraftanstieg schneller als 0,1 s nach dem Schuss, wird automatisch zurückgeschossen und der Übeltäter disqualifiziert. In der Abbildung ist übrigens ein korrekter Start abgebildet. 

 

 

Endplatz

Läufer

Reaktionszeit in Sekunden

Endzeit in Sekunden

5

Richard Thompson

0,119

9,93

6

Dwain Chambers

0,123

10,00

4

Daniel Bailey

0,129

9,93

3

Asafa Powell

0,134

9,84

2

Tyson Gay

0,144

9,71

1

Usain Bolt

0,146

9,58

8

Darvis Patton

0,149

10,34

7

Marc Burns

0,165

10,00

Tab. 2: Platzierungen, Reaktionszeiten und Endzeiten bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009. Die Daten sind nicht nach der Endzeit, sondern nach den Reaktionszeiten geordnet. Diese liegen alle weit über dem erlaubten Wert von 0,1 s.

 

In Tab. 2 sehen Sie die Reaktionszeiten bei jenem Lauf im Jahr 2009, in dem Usain Bolt mit 9,58 s seinen Weltrekord auf die Bahn getrommelt hat. Die Läufer sind nach ihrer Reaktionszeit geordnet. Anhand der Tabelle sehen Sie zweierlei sehr schön: Bolts Reaktion ist weltklassetechnisch nicht besonders hervorstechend – seine Stärken kommen erst nach dem Start. Und das Fehlstartkriterium von 0,1 s ist offenbar wirklich mit genügend Sicherheitspolster gewählt, da es weit unter den realen Reaktionszeiten liegt. 

Abbildung 2a macht klar, warum man das bessere, kräftigere Bein beim Start im vorderen Block haben sollte. Die Flächen unter den Kurven entsprechen Kraft mal Zeit. Man nennt das auch den Kraftstoß[1] und dieser ist letztlich dafür verantwortlich, mit welchem Tempo man aus dem Startblock fliegt. Der Kraftstoß des vorderen Beines ist offensichtlich wesentlich größer. Das liegt vor allem daran, dass es in der Startposition stärker abgewinkelt ist (Abb. 2b) und daher viel länger drücken kann, bevor es sich vom Block löst. Deshalb sollte Ihr kräftigeres Bein vorne sein – nur für den Fall, dass Sie einmal beim Sprint antreten wollen. Wissenschaftlich ermitteln Sie Ihr besseres Bein so: Sie springen jeweils 5 Sprünge hintereinander, zuerst nur links und dann nur rechts – oder auch umgekehrt. Das Bein, mit dem Sie die größere Weite erzielen, ist das schnellkräftigere und sollte vorne in den Block. 

 

 

2 Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter oder Wie schießen Sie den perfekten Strafstoß? 

Weil Fußball augenscheinlich die Emotionen der Massen extrem bewegt, gibt es von Psychologen, Sportwissenschaftlern und Statistikern auch immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Strafstoß. Da schlägt wohl das Kind im Wissenschaftler durch! Wir werden uns der Frage nach dem perfekten Elfer natürlich vor allem physikalisch nähern, dabei aber volley eines der bekanntesten mathematischen Gesetze mitnehmen.

Begeben wir uns mal auf die Seite des Schützen und sehen wir uns die nackten Fakten zum Torschuss an. Wie weit der Elfmeterpunkt von der Torlinie entfernt ist, ist evident. Wie weit ist es aber bis zu den Ecken? Dazu müssen wir vorher wissen, wie breit das Tor ist. Man sieht dieses bei Übertragungen im Fernsehen meistens von der Seite und somit perspektivisch arg zusammengestaucht. So ein Tor ist mit 7,32 m überraschend breit. Gehen Sie mal sieben große Schritte, um einen Eindruck zu bekommen! Sie werden staunen! Ein halbes Tor hat also immerhin noch 3,66 m. 

Um auf den Abstand der unteren Ecken zu kommen, brauchen wir jenen Satz, der aus dem Mathe-Unterricht wohl jedem im Gedächtnis hängen geblieben ist: den Satz des Pythagoras. Er gilt in rechtwinkeligen Dreiecken und lautet a2+ b2 = c2, wobei a und b die Seiten sind, die im rechten Winkel zueinander stehen. Durch Umformen erhalten Sie . Damit können wir die Entfernung des Elfmeterpunktes von der unteren Torecke mit rund 11,6 m berechnen (Abb. 3.a). Wenn wir mit dieser Entfernung und der Torhöhe von 2,44 m noch mal diesen Satz anwenden, kommen wir mit rund 11,8 m auf den Abstand zur oberen Ecke (Abb. 3b). 

 

 

Welche Geschwindigkeit erreicht der Ball beim Elfer? Zur großen Überraschung gibt es gerade darüber sehr wenig Material. Möglicherweise ist diese Fragestellung für Wissenschaftler zu trivial?! Auf eine Untersuchung stößt man jedoch immer wieder, die allerdings schon viele Jahre auf dem Buckel hat: Eine Auswertung des Elfmeterschießens zwischen England und Deutschland während der Fußball-Europameisterschaft 1996 (!) ergab eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 120 km/h.[2] Wenn wir also mit bloß 100 km/h (= 27,8 m/s) rechnen, sind wir realitätstechnisch auf der sicheren Seite. 

Wie lange braucht der Ball mit diesem Tempo zum Tor? Geschwindigkeit ist Weg pro Zeit, also v = s/t. Wenn wir umformen, erhalten wir t = s/v. Wenn wir den maximalen Weg von 11,8 m einsetzen, dann kommen wir auf eine Zeit von 0,42 s, die der Ball vom Fuß in die Kreuzecke benötigt. Reicht diese Zeit für den Tormann aus? 

Im vorigen Kapitel war bereits von Reaktionen die Rede. Die erwähnte Reaktionszeit von 0,15 s bei optischen Signalen gilt aber nur für Einfachreaktionen. Davon spricht man, wenn es nur eine richtige Reaktionsmöglichkeit gibt – im Falle des Sprints etwa die, so schnell wie möglich ins Ziel zu rennen. Der Torwart muss aber nicht nur reagieren, er muss auch richtig reagieren. Er muss sich je nach Bedarf höher oder tiefer werfen und natürlich vor allem in die richtige Richtung. Wenn es viele Reaktionsmöglichkeiten gibt, spricht man von einer komplexen Reaktion. Bei dieser dauert die Denkphase des Gehirns länger. Schätzen wir diese Reaktionszeit mit realistischen 0,2 s ab. Würde der Tormann erst wirklich dann reagieren, wenn der Ball bereits heranrauscht, würde er also zunächst mal 0,2 s rumstehen – so lange braucht sein Hirn zum Denken. Der Ball hätte dann bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt und der Tormann nicht den Funken einer Chance. 

Deshalb müssen sich die Torwarte bereits für eine Ecke entscheiden, bevor der Ball fliegt, und sich im Idealfall gleichzeitig mit diesem in Bewegung setzen. Dann haben sie die vollen 0,42 s zur Verfügung. Aber in welche Richtung werfen? Der Tormann weiß oft die Lieblingsecke des Schützen. Der Schütze weiß aber, dass der Tormann seine Lieblingsecke weiß. Der Tormann weiß, dass der Schütze weiß, dass der Tormann weiß … Der Tormann versucht natürlich auch, die Schussvorbereitung „zu lesen“. Aber das weiß der Schütze ebenfalls. Irgendwie ist das unter dem Strich eine psychologische Variante des Spiegels im Spiegel. Eine wasserdichte Tormannstrategie kann es daher nicht geben. Weil er seine Entscheidung schon vor dem Schuss treffen muss, segelt er oft in die falsche Ecke, was natürlich manchmal ein wenig grotesk aussehen kann. Was aber, wenn der Keeper die richtige Richtung errät? 

Überlegen wir, welchen Bereich der Tormann im Idealfall abdecken kann. Ich werde dabei großzügig schätzen. Wie sieht es nach oben aus? Dazu können Sie selbst einen Test machen. Stellen Sie sich zu einer Wand und greifen Sie so weit wie möglich hinauf. Dann springen Sie, so hoch Sie können, und tippen wieder an die Wand. Die Differenz zwischen den beiden Marken ist Ihre Sprunghöhe. Wenn Sie dabei einen halben Meter schaffen, dann sind Sie ausgezeichnet. Wenn der Tormann ein Hüne ist und auf 2,4 m hinaufgreifen kann, deckt er eine Höhe bis 2,9 m ab und reicht somit weit über das Tor hinaus (Abb. 4). Wie sieht es auf die Seite aus? Wenn die Sprungkraft des Tormanns ausreicht, um 0,5 m in die Höhe zu springen, dann kann er während der Ballflugzeit auch 1,3 m weit horizontal segeln.[3] In Summe reicht er somit 3,7 m weit und kann auch das Tor in der Breite abdecken. 

 

 

Wenn man den gesamten durch den Tormann geschützten Bereich grafisch darstellt, erhält man erstens eine elliptische Fläche und zweitens zwei Problemzonen, nämlich die Kreuzecken. Selbst in unserem aus Sicht des Keepers sehr großzügig geschätzten Idealfall kann dieser unmöglich die Ecken erreichen. Daher gilt aus physikalischer Sicht: Der perfekte Strafstoß muss scharf sein und ins Kreuzeck gehen. Das ist zu 100 % sicher – wenn Sie treffen! Sie werden wahrscheinlich einwenden, dass die Messis und Ronaldos dieser Welt viele andere Varianten kennen, um einen Elfer risikoloser zu versenken, und dass ein Schuss in die Kreuzecke natürlich ein gewisses Risiko in sich birgt. Aber von einem Physiker können Sie natürlich nur eine physikalische Antwort auf diese Frage erwarten. 

3 Der entzauberte Himmel oder Wie wird man im Flugzeug schwerelos?

Im Zeitalter von YouTube hat man sich vielleicht schon ein wenig an den Bildern von herumschwebenden Astronauten sattgesehen. Trotzdem ist Schwerelosigkeit in meinen Augen nach wie vor eine extrem faszinierende Sache! Warum sind aber Astronauten schwerelos, zum Beispiel die in der internationalen Raumstation ISS? Manchmal kann man hören, dass in dieser Höhe die Schwerkraft nicht mehr wirkt. Aber das ist ein kolossaler Irrtum. Die ISS befindet sich im Schnitt etwa 400 km über der Erdoberfläche, und in dieser Höhe ist die Gravitation über den Daumen gepeilt bloß um 10 % gesunken. Außerdem muss man ja nicht einmal ins All, man kann Schwerelosigkeit, zumindest für kurze Zeit, in ausgepolsterten Flugzeugen auch in Erdnähe genießen (Abb. 5). Schwerelosigkeit, obwohl die Schwerkraft wirkt? Ist das nicht ein Widerspruch? Bei der Beantwortung dieser sehr fundamentalen Frage werden uns zwei der größten Physiker ever begegnen, nämlich Newton und Einstein – und der berühmte Apfel! 

 

 

 

Fangen wir mit Newton und dem Apfel an. Die Geschichte wird ja meist so erzählt: Ein Apfel fällt ihm auf den Kopf, und er entdeckt das Gravitationsgesetz. In dieser Version ist die Anekdote aber nicht vollständig, und man unterschlägt die epochemachende Pointe. Der springende Punkt ist nämlich der, dass Newton gleichzeitig den Mond sieht. Und da hat er diese ungeheuer brillante Eingebung: Er versteht in diesem Augenblick die Bewegung des Mondes als ein „Fallen um die Erde“. Er kommt zu dem Schluss, dass die Umlaufbahn des Mondes und der Fall des Apfels auf dieselbe Gesetzmäßigkeit zurückzuführen sind, nämlich auf die Gravitation zwischen allen Gegenständen. Wie soll man sich das vorstellen? 

Wenn Sie einen Apfel einfach loslassen, dann fällt er vertikal zu Boden. Gravitation eben! Wenn Sie ihn horizontal werfen, fliegt er zusätzlich ein Stück, und zwar umso weiter, je schneller er geworfen wird. Das ist in Abb. 6 bei den Punkten A bis D zu sehen! Der Berg soll so hoch sein, dass er außerhalb der Atmosphäre liegt und der Luftwiderstand keine Rolle mehr spielt. Der Grund, warum der Apfel schließlich doch zu Boden fällt, ist immer noch derselbe: die Gravitation.

 

 

Bei einer horizontalen Abwurfgeschwindigkeit von knapp 8 km/s würde etwas Verblüffendes passieren: Der Apfel würde auf einer Kreisbahn um die Erde fliegen (E). Auch dann ist er noch immer im freien Fall, fliegt aber stets parallel zur Erdoberfläche. Der Apfel wird also in gewisser Weise verarscht. Er will zu Boden fliegen, aber dieser krümmt sich immer und ewig unter seiner Flugbahn weg. Wenn Sie exorbitant stark sind und Sie stehen zufällig auf einem Berg, der über die Atmosphäre ragt, dann könnten Sie einen Apfel tatsächlich um die Welt werfen. Sie müssten allerdings 84 Minuten warten, bis er wieder da ist. Genau dieses Prinzip wird heutzutage genützt. Anstelle eines Wurfarms verwendet man Raketen und statt des Apfels Satelliten. 

Ein Satellit befindet sich also immer im freien Fall. Es ist allerdings ein besonderer freier Fall, der niemals endet. Newton dachte dabei an den Mond, aber man kann natürlich auch an die ISS denken oder einen GPS-Satelliten. Newton entzauberte mit seiner Erkenntnis en passant den Himmel. Denn früher trennte man fein säuberlich: auf der Erde die irdischen und am Himmel die himmlischen Gesetze. Newton macht aber klar, dass die Gesetze der Mechanik für Erde und Himmel gelten. Das ist der Clou an der Geschichte mit dem Apfel! 

Um die Sache mit der Schwerelosigkeit zu verstehen, brauchen wir noch einen zweiten Puzzlestein: die Masse. Diese hat zwei Erscheinungsformen. Da ist einmal der Widerstand jedes Gegenstandes gegenüber Beschleunigungen, der durch die träge Masse verursacht wird. Zum Beispiel ein Auto mit der bloßen Hand anzuschieben oder wieder abzubremsen ist aufgrund der trägen Masse mühsam. Auf der anderen Seite werden Objekte durch die Gravitation angezogen, die durch die schwere Masse verursacht wird. 

Für ein und denselben Gegenstand sind träge und schwere Masse immer exakt gleich groß! Das hat eine wichtige Auswirkung auf den freien Fall. Hat ein Körper die doppelte Masse, so wird er einerseits doppelt so stark von der Erde angezogen – das verursacht die schwere Masse. Er ist aber andererseits auch doppelt so schwer in Bewegung zu setzen – das bewirkt die träge Masse. Beide Effekte gleichen sich wie durch Zauberhand immer perfekt aus, und deshalb fallen unter Vernachlässigung des Luftwiderstandes alle Gegenstände gleich schnell. 

Diese Sache war im Prinzip schon seit Galilei bekannt. Man nahm diese Äquivalenz aber einfach so hin und interpretierte sie nicht. Dann kam aber der Popstar der Physik, Albert Einstein, und er setzte fest: Träge und schwere Masse sind nicht zufällig gleich groß. Sie müssen grundsätzlich gleich groß sein, weil sie im Prinzip dasselbe sind. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Das nennt man das Äquivalenzprinzip, und dieses hat bemerkenswerte Konsequenzen. 

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einer fensterlosen Rakete und spüren die ganz normale Schwerkraft. Sie können mit keinem Experiment des Universums unterscheiden, ob das daher kommt, weil Ihre Rakete einfach auf der Erde rumsteht (Abb. 7a) oder im Weltall nach oben beschleunigt wird (Abb. 7b). Im ersten Fall wird Ihr Gewicht durch die schwere Masse verursacht, im zweiten durch die träge. Die Effekte sind völlig gleich. Durch Beschleunigung kann man daher künstliche Gravitation erzeugen. 

 

 

Die zweite Anwendung des Äquivalenzprinzips führt uns zur eingangs gestellten Frage zurück: Wie bekommt man Schwerelosigkeit? Eine Möglichkeit ist, sich mit seiner Rakete im dunklen Weltall zu befinden, fernab von jeglichen gravitativen Einflüssen (Abb. 8b). Die zweite Möglichkeit ist, sich mit der Rakete im freien Fall zu befinden (Abb. 8a). Weil alles gleich schnell fällt, verschwindet dadurch in der Rakete die Gravitation. 

 

 

Die Astronauten auf der ISS sind schwerelos, weil sie sich im freien Fall um die Erde befinden. Auf dieselbe Weise kann man auch innerhalb eines Flugzeugs Schwerelosigkeit erzeugen. Man muss dazu nur die Maschine gewissermaßen in den freien Fall bekommen. Der Pilot zieht dazu zuerst nach oben. Dadurch wird kurzzeitig eine größere Schwerebeschleunigung erzeugt (Abb. 9). Dann bewegt er das Flugzeug entlang einer Wurfparabel, also so, wie es sich ohne Flügel im freien Fall bewegen würde. Das führt innen zur Schwerelosigkeit. 

 

 

Sie können übrigens Ihren Kindern gratis und ohne Aufwand ein wenig Schwerelosigkeit gönnen. Sie müssen diese nur nach alter Tradition über Ihren Kopf nach oben werfen. Bei diesem „Kinderwurf“ befinden sich die Sprösslinge kurze Zeit im freien Fall und sind somit schwerelos. Wenn sie 30 cm nach oben geworfen werden, sind sie immerhin 0,5 s schwerelos.[4] Wenn Sie das als Erwachsener wieder erleben wollen und es ist gerade kein Riese zur Hand, dann müssen Sie in einem Freizeitpark einen Free-Fall-Tower besuchen. Oder Sie blättern ein paar Tausender hin und gönnen sich einen professionellen Parabelflug von NASA oder ESA.

4 Der Mann mit dem Hammer oder Welche Physik steckt im Marathonlauf?

Wir Menschen lieben ja die extremen Dinge. Deshalb ist in der Leichtathletik neben dem Sprint vor allem auch der Marathonlauf populär. Und bei diesem gibt es eine Menge Aspekte, die man physikalisch durchleuchten kann. Ich möchte das Beispiel zum Anlass nehmen und zeigen, dass Physik wirklich allgegenwärtig ist. Wir werden spielerisch ein paar Dinge abschätzen und durchrechnen. Aber keine Angst, es tut nicht wirklich weh! Nehmen wir für unsere Abschätzungen einen Modellathleten mit 70 kg, der den Marathon in 3 Stunden bewältigt. 

Wie viel Energie setzt unser Läufer während des Laufes um? Es gibt zum Laufen eine sehr griffige Faustregel, die vom italienischen Physiologen Rodolfo Margaria stammt.[5] Sie lautet, dass man pro Kilometer und pro Kilogramm eine Kilokalorie umsetzt. Dieser Energieumsatz ist weitgehend unabhängig von Lauftempo, Alter und Geschlecht, ja sogar vom Trainingszustand. Unsere Person mit 70 kg setzt also pro Kilometer 70 kcal um. Leicht zu merken! In der Physik verwendet man aber die Einheiten Joule und Kilojoule (1 kcal = 4,2 kJ). Leider ist die Faustregel dann nicht mehr ganz so knackig: Der Umsatz beträgt 4,2 kJ pro Kilometer und pro Kilogramm. 

Nachdem man beim Marathon 42,2 km bewältigen muss, setzt unser Modellathlet in Summe 12.410 kJ (2954 kcal) um. Das ist sehr beachtlich, weil man einen durchschnittlichen Tagesumsatz mit 10.000 kJ (2381 kcal) annehmen kann. Unser Läufer darf also an seinem Marathontag unbeschadet mindestens doppelt so viel essen wie der durchschnittliche Zuschauer am Straßenrand. Spannend wird es jetzt, wenn wir die physikalische Leistung ausrechnen. Geben Sie bitte einen Tipp ab, bevor Sie weiterlesen! Mit wie viel Watt läuft unser Held während des Marathons, um 3 Stunden zu erreichen? 

Leistung ist als Arbeit pro Zeit definiert und es gilt: 1 Watt ist 1 Joule pro Sekunde. Unsere drei Stunden entsprechen 10.800 s. Weil wir in Joule und nicht in Kilojoule rechnen, müssen Sie beim Umsatz noch drei Nullen dranhängen. Für die Leistung erhalten wir dann 12.410.000 J/10.800 s ≈ 1150 W. Das ist wahrlich beachtlich, denn es entspricht etwa der Heizleistung eines Toasters oder eines Föhns! In der Regel tippt man hier wesentlich weniger! Der Grund ist der, dass man auf Fitnessgeräten stets die Nettoleistung angibt, also den mechanischen Output. Dummerweise wird bei der Übertragung von Energie immer sehr viel Wärme erzeugt. Beim Laufen gehen über den Daumen gepeilt 80 % der Energie sofort als Wärme verloren und können mechanisch nicht genutzt werden. Die oben berechneten 1150 W sind die Bruttoleistung, also das, was der Körper innen drin tatsächlich aufwenden muss. Der mechanische Output beträgt davon 20 % und somit knapp 230 W. Fitnessstudiogängern kommt diese Größenordnung sicher wesentlich gewohnter vor. 

Wärme ist der Friedhof der Energie. Auch jene Energie, die zwischenzeitlich in die Bewegung der Muskeln investiert wird, wird schlussendlich ihrer letzten Bestimmung zugeführt. Der Körper unseres Marathonläufers wird also mit 1150 W geheizt. Zu Beginn steigt seine Körpertemperatur um etwa 2 °C an, erreicht aber relativ bald ein Plateau. Klar, sonst würde sich der Sportler während des Marathons selbst durchkochen. Die Temperatur halten zu können, bedeutet natürlich auf der anderen Seite, dass der Körper nach dem Warmlaufen eine Kühlleistung von 1150 W benötigt, damit sich die Effekte die Waage halten. 

Der Schweiß spielt dabei eine wichtige Rolle. Um das Wasser zu verdunsten, muss man die elektrischen Kräfte zwischen den Wassermolekülen überwinden. Dazu ist Energie nötig, die das Wasser von der Körperwärme abzwackt. Das ist die Kühlungswirkung von Schweiß. Es ist natürlich sehr wetterabhängig, aber man kann Pi mal Daumen von einem Schweißverlust von 3 l während eines Marathons ausgehen. Jeder Liter Wasser entzieht beim Verdunsten dem Körper 2430 kJ (580 kcal). Gehen wir vereinfacht davon aus, dass tatsächlich der gesamte Schweiß verdunstet. Das ist natürlich nicht der Fall. Der eine oder andere Tropfen fällt sicher ungenutzt von der Nasenspitze zu Boden. 3 l verdunsteter Schweiß in 3 Stunden bedeuten eine Kühlleistung von immerhin 675 W. Das ist etwas über die Hälfte der benötigten Kühlleistung. Die restliche Abkühlung erfolgt gewissermaßen gratis, also passiv ohne Anstrengung des Körpers, über Konvektion der Luft und Wärmestrahlung. 

Und nun kommen wir zum „Mann mit dem Hammer“. Damit ist im Laufsport nicht die populäre nordische Gottheit Thor gemein, sondern es handelt sich dabei um eine griffige Metapher für den abscheulichen Tempoeinbruch, der aufgrund der Kohlenhydratverarmung des Körpers auftreten kann – Übelkeit und Schwindelgefühl inklusive. Der Mann mit dem Hammer wartet, wenn man das Marathontempo ungünstig erwischt, um den Kilometer 35 herum auf den Läufer. Wie und warum passiert das aber? 

  

Masse des Modellathleten

70 kg

Muskelmasse (40 % der Körpermasse)

28 kg

davon beim Laufen verwendet (50 %)

14 kg

in der Laufmuskulatur gespeicherte Kohlenhydrate (2 % der Muskelmasse)

280 g

in der Leber gespeicherte Kohlenhydrate

75 g

Gesamtbrennwert der verfügbaren Kohlenhydrate in Muskeln und Leber (355 g)

6035 kJ(1437 kcal)

Leistung, wenn diese Kohlenhydrate komplett in 3 Stunden verbrannt werden

560 W

Tab. 3: Schätzwerte der Kohlenhydratspeicher und ihr Beitrag zur Leistung in unserem Beispiel. 

 

Für Ausdauerleistungen stehen unseren Muskeln zwei Energiespeicher zur Verfügung: Kohlenhydrate und Fette. Die Kohlenhydratspeicher sind zwar viel, viel kleiner, aber dafür kann man den Muskel, verglichen mit Fetten, mit der doppelten Leistung betreiben. Wenn man also schnell läuft und eine hohe Leistung benötigt, dann verbrennt man zwangsläufig vor allem Kohlenhydrate. Läuft man langsam, schont der Körper die lebensnotwendigen Kohlenhydratspeicher und verbrennt eher die Fette.