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Max Planck

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Beschreibung

Nach altehrwürdigem Brauch begeht heute die Friedrich-Wilhelms-Universität, in freudigem Bekenntnis untilgbarer Dankesschuld, die Geburtsfeier ihres erhabenen Stifters, dessen Namen sie mit Stolz den ihren nennt, und entnimmt zugleich der besonderen Lage dieses Gedenktages die Anregung zu sinnender Rückschau auf das zur Neige gehende Semester. 

Max Planck (1858-1947), der 1919 den Nobelpreis für  Physik erhielt, doré als Wegbereiter der modernen Quantenphysik. Doch lässt er sich auch als philosophischer Denker entdecken, wenn er, wie in den hier gesammelten Vorträgen, sich mit Grenzfragen seiner Wissenschaft befasst.

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Max PlanckDie Physik und ihr Beitrag zur Weltanschauung

Vorträge und Reden

Inhalt
Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit
Kausalgesetz und Willensfreiheit
Vom Relativen zum Absoluten
Die Physik im Kampf um die Weltanschauung
Vom Wesen der Willensfreiheit
Religion und Naturwissenschaft
Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft
Scheinprobleme der Wissenschaft

Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit

(Rede, gehalten bei der Feier zum Gedächtnis des Stifters der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, am 3. August 1914)

Nach altehrwürdigem Brauch begeht heute die Friedrich-Wilhelms-Universität, in freudigem Bekenntnis untilgbarer Dankesschuld, die Geburtsfeier ihres erhabenen Stifters, dessen Namen sie mit Stolz den ihren nennt, und entnimmt zugleich der besonderen Lage dieses Gedenktages die Anregung zu sinnender Rückschau auf das zur Neige gehende Semester. In einer Zeit der bittersten Not gegründet, durch ein Jahrhundert rastloser Arbeit zu hoher Blüte entfaltet, darf sie gegenwärtig mit Recht sich der genommenen Entwicklung freuen und fühlt sich gerade heute wieder besonders eng verbunden mit der Persönlichkeit ihres ersten Königlichen Herrn, der unter den Fürsten seiner Zeit emporragte durch die Makellosigkeit des Charakters, durch die Gewissenhaftigkeit und Treue, die er in allen Lagen seines schicksalsreichen Lebens zur Richtschnur des Handelns zu nehmen bemüht war.

Gewissenhaftigkeit und Treue, das sind auch die Wahrzeichen, unter denen unsere Universität groß geworden ist, während dagegen andere gleichzeitig gegründete, äußerlich noch glänzendere Schöpfungen menschlichen Genies, die eines solchen Merkmals entbehren mussten, vorzeitig in Staub zerronnen sind; sie sollen für immer die Leitsterne bleiben, welche Lehrern und Lernenden unserer Anstalt bei ihrer Arbeit wie bei all ihrem Tun voranleuchten. Niemals, zu keiner Zeit seit der Gründung unserer Universität, waren sie ihnen nötiger als in diesen Tagen, wo uns alle, die wir hier versammelt sind, ein einziges Gefühl im tiefsten Innern bewegt.

Wir wissen nicht, was der nächste Morgen bringen wird; wir ahnen nur, dass unserem Volke in kurzer Frist etwas Großes, etwas Ungeheures bevorsteht, dass es um Gut und Blut, um die Ehre und vielleicht um die Existenz des Vaterlandes gehen wird. Aber wir sehen und fühlen auch, wie sich bei dem furchtbaren Ernst der Lage alles, was die Nation an physischen und sittlichen Kräften ihr eigen nennt, mit Blitzesschnelle in eins zusammenballt und zu einer gen Himmel lodernden Flamme heiligen Zornes sich entzündet, während so manches, was sonst für wichtig und erstrebenswert gilt, als wertloses Flitterwerk unbeachtet zu Boden fällt.

Doch nur, wenn ein jeder, ob alt oder jung, ob hoch oder niedrig, gewissenhaft und treu auf dem ihm vom Schicksal gewiesenen Posten ausharrt, dürfen wir hoffen, dass das sich nun wendende Blatt der Weltgeschichte kommenden Geschlechtern einst Gutes von uns künden wird. Darum ziemt es uns in der gegenwärtigen Stunde zunächst, der überkommenen Pflicht zu gedenken und uns zu sammeln in schlicht-sachlicher, wissenschaftlicher Betrachtung.

Auch der Wissenschaft sind Gewissenhaftigkeit und Treue keine fremden Begriffe; denn nicht nur dem praktischen Leben, auch der reinen Forschung, die gleichfalls auf der Universität eine Heimat hat und hoffentlich auch für immer behalten wird, ist solch sittlicher Gehalt vonnöten. Denn wehe dem Forscher, der in dem Vorwärtsdrängen nach großen, weitreichenden Resultaten, vielleicht geblendet durch die ersten Erfolge einer neuen geistigen Eroberung, die gewissenhafteste Prüfung und Sicherung der gewonnenen Stellung unterlässt, der nicht treu und fest den gewählten Ausgangspunkt und den eingeschlagenen Weg im Auge behält. Über Nacht kann es ihm geschehen, dass seine mühsam gewonnene Position abgeschnitten wird und sich der einstürmenden Kritik gegenüber als unhaltbar erweist. Und nicht minder wehe dem Forscher, der vor einem neuen, von anderer Seite eingebrachten Befunde, der sich nicht recht in seine eigenen Ideenkreise einfügen will, die Augen verschließt und ihn, wenn nicht als unrichtig, so doch als belanglos hinzustellen geneigt ist. Die Einsicht, die er für den Augenblick zurückweist, wird er für die Zukunft um teuren Preis erkaufen müssen.

Derartige unvorhergesehene und auch unvorherzusehende Befunde fehlen in keiner Wissenschaft, und umso weniger, je frischere Jugendkraft in ihr pulsiert. Denn eine jede Wissenschaft, selbst die Mathematik nicht ausgenommen, ist bis zu einem gewissen Grade Erfahrungswissenschaft, mag sie nun die Natur oder die geistige Kultur zum Gegenstand haben, und in jeder Wissenschaft gilt als vornehmste Losung die Aufgabe, in der Fülle der vorliegenden Einzelerfahrungen und Einzeltatsachen nach Ordnung und Zusammenhang zu suchen, um dieselben durch Ergänzung der Lücken zu einem einheitlichen Bilde zusammenzuschließen.

Aber auch die Art der Gesetzlichkeit ist, auf so verschiedenen Gebieten die in den einzelnen Wissenschaften behandelten Materien auch liegen mögen, keineswegs so verschieden, als es beim Anblick der gewaltigen Gegensätze, wie sie zum Beispiel ein historisches und ein physikalisches Problem bietet, zunächst erscheinen möchte. Zum Mindesten wäre es ganz verkehrt, einen grundsätzlichen Unterschied etwa darin zu suchen, dass auf dem Gebiete der Naturwissenschaft die Gesetzlichkeit allenthalben eine absolute, der Ablauf der Erscheinungen ein notwendiger sei, der keinerlei Ausnahmen gestattet, während auf geistigem Gebiete die Verfolgung des kausalen Zusammenhanges streckenweise immer auch durch etwas Willkür und Zufall hindurchführe. Denn einerseits ist für jegliches wissenschaftliche Denken, auch auf den höchsten Höhen des menschlichen Geistes, die Annahme einer in tiefstem Grunde ruhenden absoluten, über Willkür und Zufall erhabenen Gesetzlichkeit unentbehrliche Voraussetzung, und auf der anderen Seite findet sich auch die exakteste der Naturwissenschaften, die Physik, sehr häufig veranlasst, mit Vorgängen zu operieren, deren gesetzlicher Zusammenhang einstweilen noch völlig im Dunkeln bleibt, und die daher im wohlverstandenen Sinne des Wortes unbedenklich als zufällige bezeichnet werden können.

Betrachten wir nur einmal als speziell herausgegriffenes Beispiel das Verhalten radioaktiver Atome nach der nun wohl allseitig anerkannten Zerfallshypothese von Rutherford und Soddy. Wie kommt ein bestimmtes Uranatom dazu, nachdem es ungezählte Millionen von Jahren sich inmitten seiner Umgebung vollständig unveränderlich und passiv verhalten hat, plötzlich innerhalb einer unmessbar kurzen Zeit ohne jede feststellbare Veranlassung seinem Namen Schande zu machen und mit einer Gewalt zu explodieren, gegen welche unsere brisantesten Sprengstoffe sich wie Kinderpistolen ausnehmen, indem es seine Bruchstücke zum Teil mit Geschwindigkeiten von Tausenden von Kilometern in der Sekunde fortschleudert und zugleich elektromagnetische Strahlung von einer Feinheit aussendet, welche die der härtesten Röntgenstrahlen noch um ein Bedeutendes übertrifft, während dagegen ein unmittelbar benachbartes, allem Anschein nach vollkommen gleichartiges Atom noch weitere Millionen von Jahren in gleicher Passivität verharrt, bis endlich auch ihm die Schicksalsstunde schlägt? Fürwahr: hier auch nur mit einer Vermutung hinsichtlich des kausal bestimmenden dynamischen Gesetzes einzugreifen, erscheint zur Zeit umso hoffnungsloser, als bisher alle Versuche, durch Anwendung äußerer Mittel, zum Beispiel Erhöhung oder Erniedrigung der Temperatur, einen Einfluss auf den Verlauf der radioaktiven Erscheinungen zu gewinnen, völlig ergebnislos verlaufen sind. Und doch ist die genannte Atomzerfallshypothese für die physikalische Forschung von der allergrößten Bedeutung, sie hat in die anfangs schier verwirrende Menge von Einzeltatsachen mit einem Schlage Zusammenhang gebracht und hat eine Anzahl neuer Folgerungen gezeitigt, die zum Teil durch die Erfahrung in glänzender Weise bestätigt wurden, zum Teil zu neuen wichtigen Forschungen und Entdeckungen anregten.

Wie ist nun so etwas möglich? Wie kann man überhaupt aus der Betrachtung von Vorgängen, deren Verlauf im Ganzen wie im Einzelnen vorläufig noch vollständig dem blinden Zufall überlassen bleibt, wirkliche Gesetze ableiten? – Auch die Physik hat, wie schon lange vorher die sozialen Wissenschaften, die hohe Bedeutung einer von der rein kausalen gänzlich verschiedenen Betrachtungsweise kennengelernt und hat dieselbe seit etwa der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit immer steigendem Erfolge angewendet; es ist dies die statistische Methode, mit deren Ausbildung die ganze neuere Entwicklung der theoretischen Physik aufs Engste zusammenhängt. Statt den zur Zeit noch völlig im Dunkeln liegenden dynamischen Gesetzen eines Einzelvorganges ohne eine Aussicht auf greifbaren Erfolg nachzuforschen, werden zunächst einmal nur die an einer großen Zahl von Einzelvorgängen einer bestimmten Art gemachten Beobachtungen zusammengestellt und aus ihnen Durchschnitts- oder Mittelwerte gebildet. Für diese Mittelwerte ergeben sich dann je nach den besonderen Umständen des Falles gewisse erfahrungsmäßige Regeln, und die so gewonnenen Regeln gestatten, allerdings niemals mit absoluter Sicherheit, aber doch mit einer Wahrscheinlichkeit, die sehr häufig der Gewissheit praktisch gleichkommt, den Ablauf auch zukünftiger Vorgänge im Voraus anzugeben, zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber – und darauf kommt es bei den Anwendungen oft gerade am meisten an – in ihrem durchschnittlichen Verlauf.

Mag auch dem wissenschaftlichen Bedürfnis manches Forschers, dem es vor allem nach Aufklärung des Kausalzusammenhanges verlangt, ein solches im Grunde provisorisches Verfahren unbefriedigend und unsympathisch erscheinen, für die praktische Physik ist dasselbe nun einmal tatsächlich unentbehrlich geworden. Ein Verzicht darauf würde einen Strich durch die wichtigsten neueren Errungenschaften der physikalischen Wissenschaft bedeuten. Übrigens ist zu bedenken, dass man in der Physik, genau genommen, nirgends mit absolut bestimmten Größen rechnet; denn eine jede durch physikalische Messungen gewonnene Zahl ist mit einem gewissen möglichen Fehler behaftet. Wer also nur wirklich bestimmte Zahlen, nicht zugleich auch einen Fehlerbereich zulassen wollte, müsste auf die Verwertung von Messungen und konsequenterweise auf induktive Erkenntnis überhaupt Verzicht leisten.

Immerhin erhellt aus der geschilderten Sachlage wohl hinreichend deutlich die überaus hohe Bedeutung, welche die Durchführung einer sorgfältigen und grundsätzlichen Trennung der beiden besprochenen Arten von Gesetzmäßigkeit: der dynamischen, streng kausalen, und der lediglich statistischen, für das Verständnis des eigentlichen Wesens jeglicher naturwissenschaftlichen Erkenntnis besitzt; es sei mir daher gestattet, diesem Gegenstand und diesem Gegensatz heute einige Ausführungen zu widmen.

Am besten werden wir an ein paar Erscheinungen aus dem alltäglichen Leben anknüpfen. Nehmen wir zwei offene Glasröhren, vertikal aufgestellt und mit ihren unteren Enden durch einen Kautschukschlauch verbunden, und gießen wir von oben in die eine Röhre eine gewisse Menge einer schweren Flüssigkeit, etwa Quecksilber, so wird die Flüssigkeit durch den Verbindungsschlauch auch in die andere Röhre einströmen, und zwar so lange, bis die Flüssigkeitsoberflächen in beiden Röhren gleich hoch sind. Dieser Zustand des Gleichgewichts stellt sich bei jeder Störung immer wieder ein. Wenn wir zum Beispiel die eine Röhre schnell heben, so dass das Quecksilber für einen Augenblick mit emporgerissen wird und infolgedessen in der gehobenen Röhre höher steht, so wird es sich sogleich wieder senken, bis die Niveauhöhen auf beiden Seiten sich wieder ausgeglichen haben. Dies ist das bekannte elementare Gesetz der kommunizierenden Röhren, auf welchem jegliche Heberwirkung beruht.

Nun denken wir uns einen anderen Vorgang. Wir nehmen ein Stück Eisen, das in einem geheizten Ofen auf eine hohe Temperatur erwärmt ist, und werfen es in ein Gefäß mit kaltem Wasser. Die Wärme des Eisens wird sich der des Wassers mitteilen, und zwar so lange, bis vollkommene Gleichheit der Temperaturen erreicht ist. Dann ist, wie man sagt, der thermische Gleichgewichtszustand eingetreten, der sich bei jeder Störung stets wieder herstellen wird.

Offenbar zeigen die beiden beschriebenen Erscheinungen eine gewisse Analogie. In beiden Fällen ist für den Eintritt einer Veränderung maßgebend eine gewisse Differenz, das eine Mal eine Differenz der Niveauhöhe, das andere Mal eine Differenz der Temperaturen, und Gleichgewicht besteht nur dann, wenn die Differenz verschwindet. Man bezeichnet daher manchmal auch die Temperatur geradezu als das Wärmeniveau und kann dann sagen, dass im ersten Fall die Energie der Gravitation, im zweiten Fall die Energie der Wärme in der Richtung von höherem zu tieferem Niveau wandert, bis die Niveaus sich ausgeglichen haben.

Kein Wunder, dass diese Analogie von einer auf die höchsten Ziele eingestellten, aber zu vorschnellen Verallgemeinerungen neigenden Richtung der Energetik ohne weiteres als der Ausfluss eines gemeinsamen großen „Prinzips des Geschehens“ erklärt wurde, welches jedwede Veränderung in der Natur auf Energieaustausch zurückführen will und die verschiedenen Energieformen als selbständig und gleichwertig nebeneinanderstehend behandelt. Jeder Energieform soll ein besonderer Intensitätsfaktor entsprechen, der Gravitation die Höhe, der Wärme die Temperatur, und die Differenz der Intensitätsfaktoren soll den Verlauf des Geschehens bestimmen. Der Anschaulichkeit dieses Satzes entspricht die Zuversicht, mit der seine allgemeine Gültigkeit verkündet wurde, und es konnte nicht fehlen, dass derselbe schnell in populäre Darstellungen und sogar in elementare Lehrbücher überging.

In Wirklichkeit ist die Analogie zwischen den beiden geschilderten Erscheinungen nur eine ganz oberflächliche, und die Gesetze, nach denen sie verlaufen, sind durch eine tiefe Kluft voneinander geschieden. Denn, wie die Gesamtheit aller heute vorliegenden Erfahrungen mit voller Bestimmtheit zu behaupten gestattet, gehorcht die erste Erscheinung einem dynamischen, die zweite aber einem statistischen Gesetz, oder mit anderen Worten: dass die Flüssigkeit von höherem auf tieferes Niveau sinkt, ist notwendig, dass aber die Wärme von höherer zu tieferer Temperatur übergeht, ist nur wahrscheinlich.

Es versteht sich, dass eine derartige im ersten Augenblick höchst fremdartig, ja fast paradox anmutende Behauptung durch eine erdrückende Fülle von Belegen gestützt sein muss; ich werde mich bemühen, die wichtigsten derselben hier anzudeuten und damit zugleich meiner Aufgabe einer Schilderung des Gegensatzes zwischen dynamischer und statistischer Gesetzmäßigkeit gerecht zu werden. Was zunächst die Notwendigkeit des Herabsinkens der schweren Flüssigkeit betrifft, so lässt sich dieselbe leicht als eine Folge des Prinzips der Erhaltung der Energie erweisen. Denn wenn die auf dem höheren Niveau befindliche Flüssigkeit ohne besonderen äußeren Antrieb noch weiter in die Höhe stiege, die auf dem tieferen Niveau befindliche noch weiter herabsinken würde, so läge damit eine Schöpfung von Energie aus dem Nichts vor, im Widerspruch zu dem genannten Prinzip. Bei der zweiten Erscheinung liegt die Sache schon anders. Hier könnte sehr wohl ein Übergang von Wärme aus dem kalten Wasser in das heiße Eisen eintreten, ohne dass das Prinzip der Erhaltung der Energie verletzt wird; denn da die Wärme selber eine Form der Energie ist, so würde dieses Prinzip nur verlangen, dass die Menge der vom Wasser abgegebenen Wärme ebenso groß ist wie die der von dem Eisen aufgenommenen Wärme.

Aber auch sonst zeigen die beiden Erscheinungen in ihrem Verlauf schon dem unbefangenen Beobachter gewisse charakteristische Verschiedenheiten. Die von dem höheren Niveau herabsinkende Flüssigkeit bewegt sich umso schneller, je tiefer sie sinkt; wenn der Gleichstand der Niveauhöhen erreicht ist, wird die Flüssigkeit nicht stehenbleiben, sondern sich infolge ihrer Trägheit über die Gleichgewichtslage hinaus bewegen, so dass nun die ursprünglich höhere Flüssigkeit tiefer zu stehen kommt; dabei wird die Geschwindigkeit wieder abnehmen und die Flüssigkeit allmählich zum Stillstand kommen; und hierauf wird sich das Spiel in gerade umgekehrter Richtung wiederholen. Könnte jeglicher Verlust von Bewegungsenergie, namentlich an die angrenzende Luft und an die Röhrenwandung durch Reibung, vermieden werden, so würde die Flüssigkeit bis in alle Ewigkeit um ihre Gleichgewichtslage hin und her pendeln. Ein solcher Prozess wird daher auch als reversibel bezeichnet.

Ganz anders bei der Wärme. Je kleiner die Temperaturdifferenz zwischen Eisen und Wasser wird, umso langsamer erfolgt der Wärmeübergang von dem Eisen zum Wasser, und wenn man fragt, wie lange es dauert, bist die Gleichheit der Temperaturen erreicht ist, so ergibt die Rechnung, dass dazu eine unendlich lange Zeit gehören würde, oder mit anderen Worten: Es wird stets eine kleine Temperaturdifferenz noch übrigbleiben, mag man auch noch solange zuwarten. Von einem Hin- und Herpendeln der Wärme zwischen den beiden Körpern ist also gar keine Rede, der Wärmeübergang erfolgt vielmehr immer nur einseitig und stellt daher einen irreversiblen Prozess dar.

Es gibt in der Gesamtheit der physikalischen Erscheinungen keinen tiefer ausgeprägten Gegensatz als den zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen. Zu den ersteren gehören die Gravitationserscheinungen, die mechanischen und elektrischen Schwingungen, die akustischen und elektromagnetischen Wellen. Sie alle lassen sich unschwer einem einzigen dynamischen Gesetz unterordnen: dem Prinzip der kleinsten Wirkung, welches das Prinzip der Erhaltung der Energie zugleich mitenthält. Zu den irreversiblen Prozessen gehören die Wärmeleitung, die elektrische Leitung, die Reibung, die Diffusion, sowie sämtliche chemische Reaktionen, sofern sie überhaupt mit merklicher Geschwindigkeit verlaufen. Für diese hat R. Clausius seinen für die Physik und Chemie so ungemein fruchtbaren zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie abgeleitet, dessen Bedeutung darauf beruht, dass er einem jeden irreversiblen Prozess seine Richtung vorschreibt. Aber erst L. Boltzmann war es Vorbehalten, den Inhalt des zweiten Hauptsatzes und damit die Gesamtheit der irreversiblen Prozesse, deren Eigentümlichkeiten einer gemeinsamen dynamischen Erklärung unüberwindliche Schwierigkeiten bereiteten, durch die Einführung der atomistischen Betrachtungsweise auf seine eigentliche Wurzel zurückzuführen.

Nach der atomistischen Hypothese ist die Wärmeenergie eines Körpers nichts anderes als die Gesamtheit der äußerst feinen schnellen unregelmäßigen Bewegungen seiner einzelnen Moleküle, die Höhe seiner Temperatur entspricht der mittleren lebendigen Kraft der Moleküle, und der Wärmeübergang von einem heißen zu einem kälteren Körper beruht darauf, dass die lebendigen Kräfte der beiderseitigen Moleküle bei den durch die Berührung der Körper bedingten häufigen Zusammenstößen sich gegenseitig im Mittel ausgleichen. Das ist aber nicht so zu verstehen, als ob bei jedem einzelnen Zusammenstoß zweier Moleküle dasjenige mit größerer lebendiger Kraft an Geschwindigkeit einbüßt, dasjenige mit geringerer lebendiger Kraft dagegen beschleunigt wird; denn wenn zum Beispiel ein schnell bewegtes Molekül von der Seite her, quer gegen seine Bewegungsrichtung, von einem langsamer bewegten Molekül getroffen wird, muss seine Geschwindigkeit noch weiter wachsen, während die des langsameren Moleküls sich noch weiter vermindert. Aber im Großen und Ganzen wird doch nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, falls nicht ganz exzeptionelle Verhältnisse vorliegen, eine gewisse Vermischung der lebendigen Kräfte eintreten, und dies entspricht einem Ausgleich der Temperaturen der beiden Körper. Alle aus dieser Anschauung heraus entwickelten Folgerungen, die besonders für gasförmige Körper schon ziemlich ins Einzelne gehen, haben sich als verträglich mit der Erfahrung erwiesen.

Allein so vielversprechend und aussichtsvoll diese atomitistische Betrachtungsweise auch erscheinen mag, sie wurde bis vor kurzem doch vielfach im Grunde nur als eine geistvolle Hypothese bewertet, da manchem vorsichtigen Forscher der gewaltige Sprung aus dem sichtbaren, direkt kontrollierbaren, in das unsichtbare Gebiet, aus dem Makrokosmos in den Mikrokosmos, doch allzu gewagt dünkte. Selbst Boltzmann vermied es offensichtlich, die Tragweite seiner Anschauungen und Berechnungen durch allzu kühnes Vorstürmen zu gefährden, er legte Wert darauf, die atomistische Hypothese als ein bloßes Bild der Wirklichkeit zu bezeichnen. Heute dürfen wir weitergehen, insoweit es überhaupt einen Sinn hat, vom Standpunkt der Erkenntnistheorie aus, einem Bilde die Wirklichkeit entgegenzusetzen. Denn wir kennen jetzt eine Reihe von Erfahrungen, welche der atomistischen Hypothese den nämlichen Grad von Sicherheit verleihen, wie ihn etwa die mechanische Theorie der Akustik oder die elektromagnetische Theorie der Licht- und Wärmestrahlung besitzt.

Nach dem oben von mir als unzulänglich bezeichneten energetischen Prinzip alles Geschehens müsste der Zustand einer ruhenden Flüssigkeit von gleichmäßiger Temperatur ein absolut unveränderlicher sein; denn wenn nirgendwo Intensitätsdifferenzen vorhanden sind, fehlt auch jede Ursache zum Eintritt einer Veränderung. Nun kann man aber die Verhältnisse in einer Flüssigkeit sichtbar machen dadurch, dass man in eine durchsichtige Flüssigkeit, zum Beispiel Wasser, zahlreiche sehr kleine Staubteilchen oder auch Tröpfchen einer anderen Flüssigkeit, zum Beispiel von Mastix oder Gummigutt, hineinbringt. Ich glaube, niemand, der einmal durch ein Mikroskop in guter Beleuchtung ein derartiges Präparat beobachtet hat, wird den ersten Eindruck des ihm sich darbietenden Schauspiels vergessen. Es ist der Einblick in eine neue Welt. Statt der erwarteten Kirchhofruhe bemerkt er einen äußerst lebhaften, munteren Tanz der kleinen suspendierten Teilchen, wobei gerade die kleinsten sich am tollsten gebärden; von irgendeinem Reibungswiderstand der Flüssigkeit ist keine Spur zu bemerken; wenn einmal ein Teilchen still stehen bleibt, fängt dafür wieder ein anderes an, sich zu bewegen. Man wird unwillkürlich an das aufgeregte Treiben in einem Ameisenhaufen erinnert, welchen man mit einem Stock berührt hat. Aber während die gereizten Tierchen sich allmählich wieder beruhigen und bei eintretender Dunkelheit ihre Beweglichkeit verlieren, zeigen die unter dem Mikroskop befindlichen Teilchen, solange nur die Temperatur der Flüssigkeit nicht verändert wird, niemals auch nur die mindesten Anzeichen einer Ermüdung – ein wirkliches Perpetuum mobile, im wörtlichsten Sinne dieses auch in mannigfachen anderen Bedeutungen gebrauchten Ausdrucks.

Das beschriebene, im Jahre 1827 von dem englischen Botaniker Brown entdeckte Phänomen wurde zwar schon vor 25 Jahren von dem französischen Physiker Gouy auf die Wärmebewegungen der Flüssigkeitsmoleküle zurückgeführt, welche, selber unsichtbar, an die zwischen ihnen herumschwimmenden mikroskopisch sichtbaren Teilchen fortwährend anstoßen und sie dadurch in unregelmäßige Bewegung versetzen; aber der endgültige Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung wurde erst in neuester Zeit erbracht, indem die von Einstein und Smoluchowski theoretisch abgeleiteten statistischen Gesetze über die Verteilungsdichte, die Geschwindigkeiten, die zurückgelegten Wege, ja sogar die Drehungen der mikroskopischen Teilchen in allen Einzelheiten ihre glänzende quantitative Bestätigung fanden, namentlich durch die experimentellen Arbeiten von Jean Perrin, den die philosophische Fakultät unserer Universität bei ihrer Jahrhundertfeier als Zeichen ihrer Anerkennung dafür mit dem Doktorhut geschmückt hat.

Es bleibt sonach für den Physiker, der nun einmal an die induktive Beweisführung gebunden ist, kein Zweifel: die Materie ist atomistisch konstituiert, die Wärme ist Bewegung der Moleküle, und die Wärmeleitung, wie alle übrigen irreversiblen Vorgänge, gehorcht nicht dynamischen, sondern statistischen, das heißt Wahrscheinlichkeitsgesetzen. Freilich ist es schwer, sich auch nur eine annähernde Vorstellung zu machen von dem winzigen Grad der Wahrscheinlichkeit, die dafür besteht, dass einmal für einen Augenblick die Wärme in umgekehrter Richtung, vom kalten Wasser zum heißen Eisen, übergeht. Wenn jemand in einen mit zahlreichen verschiedenen Buchstaben angefüllten Sack blindlings hineingreift, einen Buchstaben nach dem anderen hervorzieht und die Buchstaben in der Reihenfolge, wie sie gezogen sind, nebeneinanderlegt, so wird man immerhin die Möglichkeit zugeben müssen, dass dabei vernünftige Worte herauskommen können, vielleicht sogar ein Gedicht von Goethe. Oder wenn jemand mit einem gewöhnlichen Würfel hundert Würfe hintereinander macht, so wird niemand die Möglichkeit bestreiten können, dass bei allen Würfen ohne Ausnahme jedes Mal sechs geworfen wird, da doch das Ergebnis jedes Wurfes unabhängig ist von dem der vorherigen Würfe. Aber wenn in Wirklichkeit einmal so etwas passieren sollte, so würde jedermann doch ohne weiteres sagen: es geht nicht mit rechten Dingen zu, der Würfel ist vielleicht nicht vollkommen symmetrisch, und kein Verständiger würde sich dem Gewicht dieser Behauptung entziehen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass unter normalen Umständen ein derartiger Ausnahmefall eintritt, ist doch gar zu gering. Und dennoch ist sie immer noch ganz ungeheuer groß gegenüber der Wahrscheinlichkeit, dass einmal Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergeht. Man bedenke nur, dass es sich bei dem Würfel nur um sechs Zahlen, also um sechs verschiedene Fälle, bei den Buchstaben um 25, bei den Molekülen dagegen um viele Millionen in den kleinsten noch sichtbaren Raumteilen handelt, die mit den verschiedensten Geschwindigkeiten behaftet sind. Also vom Standpunkt der praktischen Physik aus ist gewiss kein Grund zu Bedenken vorhanden wegen der Möglichkeit einer Abweichung von der Allgemeingültigkeit der Gesetze der Wärmeleitung.

Anders steht es allerdings mit der Theorie. Denn es muss jedem einleuchten, dass eine wenn auch noch so kleine Wahrscheinlichkeit von der absoluten Unmöglichkeit durch eine abgrundtiefe Kluft getrennt ist; ja diese Kluft macht sich unter besonderen Umständen wirklich geltend. Man braucht nur hinreichend oft zu würfeln, um schließlich, sogar mit großer Wahrscheinlichkeit, auch auf hundert Sechser hintereinander rechnen zu können, oder man braucht das Buchstabenspiel nur mit hinlänglicher Ausdauer zu wiederholen, um schließlich auch den Faustmonolog herauszubekommen. Immerhin ist es gut, dass wir nicht auf diese Methode des Dichtens allein angewiesen sind; denn um auf einen solchen Erfolg rechnen zu können, würde weder das Lebensalter eines Menschen noch wahrscheinlich das des Menschengeschlechts überhaupt ausreichen.

Was aber die Anwendung auf die Physik betrifft, so sind derartige minimale Wahrscheinlichkeiten unter Umständen doch sehr ernsthaft zu nehmen. Wenn ein Pulvermagazin eines schönen Tages in die Luft fliegt, ohne dass man irgendeinen äußeren Anlass der Explosion ausfindig machen kann, so wird ein solches Ereignis gewiss nicht ignoriert werden, und doch ist die sogenannte Selbstzündung eben auch anzusehen als bedingt durch eine oft an sich sehr unwahrscheinliche Häufung von verhängnisvollen Zusammenstößen chemisch reagierender Moleküle, deren Gesetze nur auf statistischem Wege erschlossen werden können. Man sieht, wie vorsichtig man auch in der exakten Wissenschaft mit den Wörtchen „gewiss“ und „sicherlich“ umgehen muss und wie bescheiden oft die Tragweite von Erfahrungsgesetzen einzuschätzen ist.

So werden wir durch Theorie und Erfahrung gleichmäßig genötigt, in allen Gesetzmäßigkeiten der Physik einen fundamentalen Unterschied zu machen zwischen Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit, und bei jeder beobachteten Gesetzmäßigkeit zuallererst zu fragen, ob sie dynamischer oder ob sie statistischer Art ist. Dieser Dualismus, der mit der Einführung der statistischen Betrachtungsweise unvermeidlich in alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten hineingetragen worden ist, will manchem unbefriedigend erscheinen, und man hat daher schon den Versuch gemacht, ihn, wenn es nun doch nicht anders geht, dadurch zu beseitigen, dass man die absolute Gewissheit bzw. Unmöglichkeit überhaupt leugnet und nur noch größere oder geringere Grade von Wahrscheinlichkeit zulässt. Danach gäbe es in der Natur gar keine dynamischen Gesetze mehr, sondern nur noch statistische; der Begriff einer absoluten Notwendigkeit wäre in der Physik überhaupt aufgehoben. Eine solche Auffassung dürfte sich aber sehr bald als ein ebenso verhängnisvoller wie kurzsichtiger Irrtum herausstellen, selbst wenn wir ganz davon absehen wollen, dass alle reversiblen Prozesse ohne Ausnahme durch dynamische Gesetze geregelt werden und dass gar kein Grund vorliegt, diese Gesetze fallen zu lassen. Denn so wenig wie irgendeine andere Wissenschaft der Natur oder des menschlichen Geistes kann die Physik der Voraussetzung einer absoluten Gesetzmäßigkeit entbehren, ja gerade den Schlussfolgerungen der Statistik, von denen hier die Rede ist, wäre ohne sie die wesentlichste Grundlage entzogen.

Man bedenke doch, dass auch die Sätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung einer exakten Formulierung und einer strengen Beweisführung nicht nur fähig, sondern auch bedürftig sind, weshalb sie auch von jeher in besonders hohem Maße das Interesse hervorragender Mathematiker gefesselt haben. Wenn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auf ein bestimmtes Ereignis ein anderes bestimmtes Ereignis folgt, gleich 1/2 ist, so heißt das nicht etwa, dass man über das Eintreten des zweiten Ereignisses überhaupt nichts weiß, sondern es wird damit positiv behauptet, dass unter allen Fällen, in denen das erste Ereignis eintritt, gerade 50 Prozent das zweite Ereignis herbeiführen, und dass dieses Prozentualverhältnis umso genauer herauskommt, je zahlreichere Fälle der Betrachtung zugrunde gelegt werden. Ja auch über die bei einer geringeren Anzahl von beobachteten Fällen zu erwartende Abweichung von dem Mittelwerte, über die sogenannte Dispersion, gibt die Wahrscheinlichkeitsrechnung genau Auskunft, und wenn einmal die gemachten Beobachtungen einen Widerspruch mit der vorher berechneten Größe der Dispersion ergeben, so kann man mit Sicherheit daraus schließen, dass in den Grundlagen der Berechnung eine unrichtige Annahme, ein sogenannter systematischer Fehler steckt.

Um solch weitgehende Behauptungen aufstellen zu können, sind naturgemäß auch sehr weitgehende Voraussetzungen notwendig, und so wird es sich verstehen lassen, dass in der Physik die exakte Berechnung von Wahrscheinlichkeiten nur dann möglich ist, wenn für die elementarsten Wirkungen, also im allerfeinsten Mikrokosmos, lediglich dynamische Gesetze als gültig angenommen werden dürfen. Entziehen sich diese auch einzeln der Beobachtung durch unsere groben Sinne, so liefert doch die Voraussetzung ihrer absoluten Unabänderlichkeit die unumgänglich notwendige feste Grundlage für den Aufbau der Statistik.

Nach diesen Darlegungen erscheint also der Dualismus zwischen statistischer und dynamischer Gesetzmäßigkeit aufs Engste verknüpft mit dem Dualismus zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, den wir als eine experimentell erhärtete Tatsache hinnehmen müssen. Tatsachen lassen sich nun aber einmal nicht durch Theorien aus der Welt schaffen, mag man dies nun unbefriedigend finden oder nicht, und so wird nichts übrigbleiben, als sowohl den dynamischen wie auch den statistischen Gesetzen die ihnen gebührende Stelle in dem gesamten System der physikalischen Theorien einzuräumen.

Dabei dürfen freilich Dynamik und Statistik nicht etwa als koordiniert nebeneinanderstehend aufgefasst werden. Denn während ein dynamisches Gesetz dem Kausalbedürfnis vollständig genügt und daher einen einfachen Charakter trägt, stellt jedes statistische Gesetz ein Zusammengesetztes vor, bei dem man niemals definitiv stehenbleiben kann, da es stets noch das Problem der Zurückführung auf seine einfachen dynamischen Elemente in sich birgt. Die Lösung derartiger Probleme bildet eine der Hauptaufgaben der fortschreitenden Wissenschaft; an ihnen arbeitet die Chemie in gleicher Weise wie die physikalischen Theorien der Materie und der Elektrizität. Auch die Meteorologie darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden; denn in den Bestrebungen von V. Bjerknes sehen wir einen groß angelegten Plan, alle meteorologische Statistik auf ihre einfachen Elemente, nämlich auf physikalische Gesetzmäßigkeiten, zurückzuführen. Mag der Versuch praktischen Erfolg haben oder nicht, gemacht muss er einmal werden, schon weil es im Wesen jeglicher Statistik liegt, dass sie wohl oft das erste, aber niemals das letzte Wort zu sprechen hat.

Wie unter den dynamischen Gesetzen das Prinzip der Erhaltung der Energie oder der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, so steht unter den statistischen Gesetzen der Physik der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie in vorderster Reihe. Auch dieser Satz ist, obwohl er ein Wahrscheinlichkeitssatz ist und obwohl man infolgedessen oft von den Grenzen seiner Gültigkeit spricht, sehr wohl einer exakten allgemeingültigen Formulierung fähig. Eine solche lässt sich etwa folgendermaßen aussprechen. Alle physikalischen und chemischen Zustandsänderungen verlaufen im Mittel so, dass sie die Wahrscheinlichkeit des Zustands vergrößern. Nun ist unter allen Zuständen, die ein System von Körpern annehmen kann, der wahrscheinlichste Zustand dadurch ausgezeichnet, dass alle Körper die nämliche Temperatur besitzen; aus diesem und keinem anderen Grunde erfolgt die Wärmeleitung im Mittel stets im Sinne eines Ausgleichs der Temperaturen, also in der Richtung von höherer zu tieferer Temperatur. Über einen einzelnen Vorgang vermag aber der zweite Hauptsatz stets nur dann etwas mit Bestimmtheit auszusagen, wenn man von vornherein sicher ist, dass der Verlauf des speziellen Vorgangs nicht merklich abweicht von dem mittleren Verlauf einer großen Anzahl von Vorgängen, die alle von dem nämlichen Anfangszustand ihren Ausgang nehmen. Um die Erfüllung dieser Bedingung zu sichern, genügt theoretisch die Einführung der sogenannten Hypothese der elementaren Unordnung. Experimentell gibt es kein anderes Mittel, als den betreffenden Versuch öfters hintereinander zu wiederholen, oder auch ihn durch verschiedene Beobachter, die unabhängig voneinander arbeiten, reproduzieren zu lassen. Eine derartige Wiederholung eines bestimmten Versuches, oder die Anstellung einer ganzen Versuchsreihe, ist ja auch tatsächlich das Verfahren, das in der praktischen Physik allgemein angewendet wird. Denn kein Physiker wird sich bei seinen Messungen jemals auf einen einzigen Versuch beschränken, schon wegen der Elimination der unvermeidlichen Versuchsfehler.

Mit der Energie hat aber der zweite Wärmesatz direkt gar nichts zu tun. Ein gutes Beispiel für einen Vorgang, der überhaupt nicht von Energieumwandlungen begleitet zu sein braucht, bietet die Diffusion, die lediglich deshalb erfolgt, weil eine gleichmäßige Mischung zweier verschiedener Substanzen wahrscheinlicher ist als eine ungleichmäßige. Man kann zwar auch die Diffusion der Energetik unterordnen, indem man für diesen besonderen Zweck den besonderen Begriff der freien Energie einführt, der eine bequeme Formulierung zulässt und für viele Fälle auch die Anschauung erleichtert, aber dies Verfahren ist doch insofern ein indirektes, als die freie Energie sich ihrerseits im Grunde nur durch ihre Beziehungen zur Wahrscheinlichkeit verstehen lässt.

Verweilen wir nach diesen flüchtigen Ausblicken zum Schluss noch bei den Gesetzmäßigkeiten in den Vorgängen des geistigen Lebens, so finden wir hier zum Teil ganz ähnliche Verhältnisse, nur dass die strenge Kausalität hinter der Wahrscheinlichkeit, der Mikrokosmos hinter dem Makrokosmos, vollkommen zurücktritt. Aber dennoch ist auch hier auf allen Gebieten, bis hinauf zu den höchsten Problemen des menschlichen Willens und der Moral, die Annahme eines absoluten Determinismus für jede wissenschaftliche Untersuchung die unentbehrliche Grundlage. Freilich ist dabei eine Vorsicht geboten, die zwar auch in der Naturwissenschaft gilt, aber dort wegen ihrer Selbstverständlichkeit gewöhnlich nicht besonders hervorgehoben wird: die nämlich, dass der zu untersuchende Vorgang durch die Untersuchung selber in seinem Verlauf nicht gestört wird. Wenn ein Physiker die Temperatur eines Körpers messen will, so darf er dazu kein Thermometer verwenden, durch dessen Anbringung die Temperatur des Körpers verändert wird. Aus diesem Grunde erstreckt sich die Möglichkeit einer vollständig objektiven wissenschaftlichen Untersuchung geistiger Vorgänge prinzipiell genommen nur auf die Beurteilung fremder Persönlichkeiten, soweit sie von der eigenen Person unabhängig sind, für die eigene Person auch noch auf die Vergangenheit, insofern dieselbe fertig abgeschlossen vor dem inneren Auge des Denkers liegt, nicht aber auf die eigene Gegenwart und nicht auf die eigene Zukunft, zu welcher der Weg immer nur durch die Gegenwart hindurchführt. Denn das Denken und Forschen selber gehört auch mit zu den geistigen Vorgängen im Menschen, und wenn das Objekt der Untersuchung mit dem denkenden Subjekt identisch wird, so verändert es sich fortwährend in dem Maße, wie die Erkenntnis fortschreitet.