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Max Plack hielt 1941 einen vielbeachteten Vortrag, der sich Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft nannte. Auszug: Wenn wir für den Aufbau der exakten Wissenschaft nach einem Ausgangspunkt suchen, der jeder Kritik gegenüber standhält, so müssen wir vor allem unsere Ansprüche erheblich herabstimmen. Wir dürfen nicht erwarten, daß es uns gelingen wird, mit einem Schlage, durch einen glücklichen Gedanken, auf ein allgemeingültiges Prinzip zu stoßen, aus dem wir mit exakten Methoden ein vollkommenes System der Wissenschaft entwickeln können, sondern wir müssen uns erst einmal damit begnügen, wenn wir nur überhaupt irgendwo eine Wahrheit ausfindig machen, an die sich keinerlei Skepsis heranwagen kann. Mit anderen Worten: wir müssen unser Augenmerk richten nicht auf das, was wir gerne wissen möchten, sondern zunächst einmal auf das, was wir sicherlich wissen.
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Seitenzahl: 32
Veröffentlichungsjahr: 2022
Exakte Wissenschaft – was liegt alles in diesen beiden Worten! Sie erwecken die Vorstellung eines stolzen, aus festgefügten Quadern errichteten Gebäudes, welches die Schätze aller Weisheit in sich birgt und damit der nach Erkenntnis dürstenden Menschheit das Ziel ihrer Sehnsucht, die endgültige Entschleierung der Wahrheit, zu verwirklichen verheißt. Und da Wissen immer auch Macht bedeutet, so ist mit der Erkenntnis der in der Natur wirksamen Kräfte stets auch die Aussicht eröffnet, zur Herrschaft über sie zu gelangen und sie sich nach jeder gewünschten Richtung dienstbar zu machen.
Aber das ist noch nicht alles und nicht einmal das Wichtigste. Der Mensch will nicht nur Erkenntnis und Macht, er will auch eine Richtschnur für sein Handeln, einen Maßstab für das Wertvolle und Wertlose, er will eine Weltanschauung, die ihm das höchste Gut auf Erden, den inneren Seelenfrieden, verbürgt. Und wenn ihn die Religion nicht befriedigt, so sucht er einen Ersatz für sie bei der exakten Wissenschaft. Ich erinnere hier nur an die Bestrebungen des noch vor einem Menschenalter in hohem Ansehen stehenden, von hervorragenden Gelehrten: Philosophen und Naturforschern, gegründeten Monistenbundes.
Heute spricht man freilich kaum mehr von jenem gewiß groß angelegten und mit hohen Verheißungen ins Leben getretenen Unternehmen. Es muß also doch wohl etwas in der Rechnung nicht stimmen. Und in der Tat: wenn wir etwas näher zusehen und den Aufbau der exakten Wissenschaft einer genaueren Prüfung unterziehen, dann werden wir sehr bald gewahr, daß das Gebäude eine gefährlich schwache Stelle besitzt, und diese Stelle ist das Fundament. Dem Bau fehlt eine von vornherein nach allen Richtungen hin gesicherte, von äußeren Stürmen nicht zu erschütternde Grundlage, oder mit anderen Worten: es gibt für exakte Wissenschaft kein Prinzip von so allgemeiner Gültigkeit und zugleich von so bedeutsamem Inhalt, daß es ihr als ausreichende Unterlage dienen kann. Wohl rechnet sie allenthalben mit Maß und Zahl und trägt daher mit vollem Recht ihren stolzen Namen; denn die Gesetze der Logik und der Mathematik müssen wir ohne Zweifel als zuverlässig betrachten. Aber auch die schärfste Logik und die genaueste mathematische Rechnung können kein einziges fruchtbares Ergebnis zeitigen, wenn es an einer sicher zutreffenden Voraussetzung fehlt. Aus nichts läßt sich nichts folgern.
Kein Wort hat in der gebildeten Welt mehr Mißverständnis und Verwirrung hervorgerufen als das von der voraussetzungslosen Wissenschaft. Es war seinerzeit von Theodor Mommsen geprägt worden, um hervorzuheben, daß die wissenschaftliche Forschung sich frei halten müsse von vorgefaßten Meinungen; aber es konnte und sollte nicht bedeuten, daß die wissenschaftliche Forschung überhaupt keiner Voraussetzung bedürfe. An irgendeiner Stelle muß sie anknüpfen, und die große Frage, welches diese Stelle ist, hat von jeher die tiefsten Denker aller Zeiten und Völker beschäftigt, von Thales bis Hegel, sie hat alle Kräfte menschlicher Phantasie und Logik in Bewegung gesetzt, aber es hat sich immer wieder gezeigt, daß eine Antwort in endgültig abschließendem Sinn nicht zu finden ist. Wohl den eindrucksvollsten Beweis für dieses negative Resultat bildet die Tatsache, daß es bis heute nicht gelungen ist, eine Weltanschauung ausfindig zu machen, deren Inhalt, wenigstens in großen Zügen, von allen urteilsfähigen Geistern gleichmäßig anerkannt wird. Daraus können wir vernünftigerweise nur den einen Schluß ziehen, daß es überhaupt unmöglich ist, die exakte Wissenschaft von vornherein auf eine allgemeine Grundlage endgültig abschließenden Inhalts zu stellen.
So stoßen wir gleich am Anfang unserer Frage nach dem Sinn der exakten Wissenschaft auf ein Hindernis, welches von jedem, der sich ernstlich um die Gewinnung von Erkenntnis bemüht, als eine Enttäuschung empfunden werden muß, und das in der Tat schon viele kritisch veranlagte Denker in das Lager der Skeptiker getrieben hat. Und was nicht weniger zu bedauern ist: es gibt vielleicht ebenso viele oder gar noch mehr entgegengesetzt veranlagte Menschenkinder, die aus Besorgnis, der von ihnen als unerträglich empfundenen Skepsis zu verfallen, ihre Zuflucht nehmen zu einem jener Propheten wie z. B. der Anthroposophen, die zu allen Zeiten, die heutige nicht ausgenommen, mit einer allerneuesten Heilsbotschaft auftreten und die oft mit erstaunlicher Schnelligkeit eine Anzahl begeisterter Jünger um sich scharen, bis sie, wenn ihre Zeit abgelaufen ist, wieder von der Bildfläche verschwinden und in das allgemeine Meer der Vergessenheit zurücksinken.