Pikante Geheimnisse eines Gentlemans - Bronwyn Scott - E-Book

Pikante Geheimnisse eines Gentlemans E-Book

Bronwyn Scott

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Beschreibung

Auch eine Lady hat gewisse … Bedürfnisse! Miss Annorah Price-Ellis, ihres keuschen Daseins überdrüssig, kontaktiert einen geheimen Gentleman-Escort-Service: Fünf Nächte soll der charmante, mit allen Liebeskünsten vertraute Mr. D'Arcy ihre sinnlichsten Wünsche erfüllen. Doch Annorah hat die Rechnung ohne ihr Herz gemacht …

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IMPRESSUM

Pikante Geheimnisse eines Gentlemans erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Nikki Poppen Originaltitel: „Secrets Of a Gentleman Escort“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISONBand 35 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Eleni Nikolina

Umschlagsmotive: phokin/GettyImages, nfedorova /GettyImages, Talangart/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733715830

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

London, Juni 1839

Wäre Nicholas D’Arcy ein weniger außergewöhnlicher Liebhaber gewesen und seine Gespielin, die attraktive rothaarige Lady Alicia Burroughs, ein wenig diskreter, dann hätte ihr Gatte sie wohl nicht entdeckt. Doch „weniger“ war kein Ausdruck, der Nick beschreiben konnte, und „diskret“ keiner, den man für Lady Burroughs verwenden würde. Gerade verlieh die temperamentvolle Dame ihrer Anerkennung für seine Fähigkeiten im Bett mit einer Stimmkraft Ausdruck, die einer Operndiva alle Ehre gemacht hätte.

Zum Henker! Das ganze Haus konnte sie hören. Wahrscheinlich die ganze Nachbarschaft! Es war reines Glück, dass Nick die schnellen Schritte im Korridor vernahm, gerade als Lady Burroughs mit lautem Schluchzen den Gipfel der Lust erreichte. Auch er war zum Höhepunkt gekommen, einer seiner besten, und abgesehen von dem Lärm, den sie machte, war Lady Burroughs seine Bemühungen durchaus wert gewesen. Verzückt lag sie unter ihm – den Kopf hatte sie in den Nacken geworfen – und lustvoll stöhnend bäumte sie sich ein letztes Mal auf. Sie atmete schwer, und zu seiner Überraschung tat er es auch. Lord Burroughs wusste nicht, was ihm entging, indem er seine Ehefrau vernachlässigte. Allerdings würde er es gleich wissen.

„Alicia!“, brüllte der Gatte im Gang.

„Burroughs!“ Alicia setzte sich keuchend auf, und so großes Entsetzen blitzte in ihren Augen auf, dass Nick sich Sorgen zu machen begann. Wie viel Zeit hatte er wohl noch? Zehn Sekunden? Vielleicht fünfzehn? Burroughs war ein vierschrötiger Mann und nicht besonders schnell. Und vielleicht rannte er nicht einmal, sondern ging nur rasch. Ihm blieb genügend Zeit, sich seine Hose anzuziehen, aber mehr nicht.

Nick sprang aus dem Bett, griff nach seinen Pantalons und schlüpfte hastig hinein, bevor er nach Hemd und Frackrock griff. „Sie sagten, er würde bis Montag fort sein!“, zischte er und legte seine Schuhe auf den Stapel in seinen Händen.

„Oh, seien Sie still! Sie wollen doch nicht, dass er Sie hört. Schnell!“ Alicia saß in der Mitte des Betts, das Laken züchtig über ihre runden Brüste gezogen.

Nick sah sich um. Keine Zeit, aus dem Fenster zu steigen, und wenn er die Tür benutzte, würde er Lord Burroughs direkt in die Arme laufen. „Hat das Ankleidezimmer einen Ausgang?“ Wenn er schon ertappt werden sollte, dann nicht von einem Wichtigtuer von einem Mann, der es nicht fertig brachte, seine Frau im Ehebett zu halten.

Nach einem letzten Augenzwinkern zu Lady Burroughs eilte er ins Ankleidezimmer und von dort in den anliegenden Raum, das Schlafgemach Seiner Lordschaft. Nur Sekunden später hörte er Lord Burroughs brüllen: „Wo ist er?“

In deinem Zimmer, alter Narr, dachte Nick leise lachend, aber er musste rasch überlegen. Selbst Burroughs war nicht so beschränkt, nicht zu erkennen, dass der einzige Fluchtweg durch das Ankleidezimmer führte. Nick stürzte in den Gang hinaus und wählte ein anderes Zimmer zur Gartenseite des Hauses hin. Er schlüpfte hinein und schloss die Tür leise hinter sich. Für den Augenblick war er sicher. Er legte sein Bündel auf den Boden und zog die Schuhe an.

„Millie, bist du das?“, kam eine Stimme aus dem Ankleideraum. Nick hielt mitten in der Bewegung inne, einen Schuh schon am Fuß, den anderen noch in der Hand. Er packte seine Sachen und lief zum Fenster. Er war zu langsam. Eine Dame mittleren Alters in einem seidenen Morgenrock kam herein, bevor Nick den Raum auch nur halb durchquert hatte. Die Dowager Countess!

Sie würde schreien. Nick sah, wie sie den Mund öffnete. Er musste diesen Schrei verhindern, und es blieb ihm nur ein Augenblick, um es zu tun. Und so tat er das Einzige, was ihm einfiel. Hastig legte er die zwei Schritte zurück, die ihn von ihr trennten, riss sie in die Arme und küsste sie. Und zwar sehr gründlich, bis ihm auffiel, dass sie seinen Kuss mit großer Leidenschaft erwiderte. Die Dowager Countess – wer hätte das gedacht! Es war zweifellos eine der angenehmsten Überraschungen dieses Abends, vor allem, als sie sagte: „Junger Mann, Sie sollten das Fenster nehmen. Sie werden feststellen, das Spalier ist recht robust.“ Und sie zwinkerte ihm zu. „Es ist schon oft auf die Probe gestellt worden.“

Lieber Himmel, wusste Burroughs überhaupt, was sich in seinem Haus abspielte? Nickt dankte ihr und verschwendete keine Zeit mehr. Er hörte, wie Burroughs die Tür zum Nachbarzimmer aufriss. Wieder würde ein Moment darüber entscheiden, ob er entdeckt wurde oder entkommen konnte. Er warf zuerst seine Sachen aus dem Fenster und schwang dann ein Bein hinaus, um das Spalier auszutesten.

„Kommen Sie, wann immer Sie möchten“, rief die Dowager Countess ihm nach. „Der Gärtner sorgt dafür, dass das Spalier stets in gutem Zustand ist. Er denkt, es sei wegen der Rosen.“

Nick musste lächeln und kletterte in dem Moment in die Dunkelheit hinaus, als Burroughs an die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter klopfte.

Die restliche Flucht verlief ohne Schwierigkeiten. Nick fand aus dem Garten hinaus, und erst nachdem er ein Gewirr von Gassen hinter sich gelassen hatte, nahm er sich die Zeit, sich vollständig anzukleiden. Für den Augenblick war er in Sicherheit, wenn auch nicht wirklich. Alicia Burroughs zeichnete sich nicht gerade durch Diskretion aus, wie er sehr wohl wusste. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Burroughs erfuhr, wer der Mann bei seiner Gattin gewesen war.

Am Ende werde ich einer Strafe nicht entgehen können, dachte Nick grimmig. Er stopfte sein Hemd in die Hose. Allerdings würde Burroughs nichts außer seinem Namen erfahren, sodass die Verantwortung für das heutige Debakel lediglich ihn selbst treffen würde. Auf keinen Fall durfte es eine Verbindung zu der Liga der diskreten Gentlemen geben, nichts durfte die Organisation, zu der er gehörte, aufdecken, die, wie ihr Name schon sagte, um jeden Preis diskret bleiben musste. Niemanden störte es, einen höchst kompetenten Gentleman Escort als „Begleiter“ zu engagieren – wenn gewährleistet war, dass keiner je davon erfuhr!

Nicholas ging weiter. Noch war er nicht bereit zum Argosy House, dem Hauptquartier der Liga, zurückzukehren. Was sollte er Channing sagen? Der Gründer der Liga wäre in der Tat sehr enttäuscht von ihm. Diskretion war das oberste Gesetz. Es zu brechen, bedeutete finanziellen Ruin. Es würde das Ende der Gentlemen sein, das Ende des beträchtlichen Gewinns, das Ende sehr vieler Dinge – und nicht zuletzt sein eigenes Ende: Nicholas D’Arcy, Londons fantastischster, aufregendster Liebhaber. Viele Frauen zahlten enorme Summen für seine Liebeskünste. Sie stopften ihm die Taschen mit Edelsteinen voll, um herauszufinden, wie fantastisch war. Und da er diese Edelsteine und jede Summe Geldes brauchte, ermutigte er ihren Glauben in seinen Ruf. Aber war er nicht wirklich genau das – der fantastische Nick – allerdings auch nicht mehr?

Wenn er ehrlich sein wollte, musste er eingestehen, dass ein gekonntes Liebesspiel so ziemlich alles war, was er beherrschte. Dem Himmel sei Dank, dass er sein einziges Talent in eine Einkommensquelle hatte verwandeln können. Und er dankte dem Himmel, dass er Channing Deveril begegnet war, der seinen Erfolg überhaupt erst ermöglicht hatte. Sonst würde er sich wahrscheinlich noch immer als Schreiberling in einer Reederei am Hafen durchkämpfen und zu wenig verdienen, um seine Familie unterstützen zu können.

Dank seines Rufs war es ihm jetzt jedoch möglich, seiner Mutter anständige Summen Geldes zu schicken. Er konnte seinen beiden Schwestern aufregende Briefe über großartige Feste und die neueste Mode schreiben, ohne sich etwas ausdenken zu müssen. Natürlich wussten sie nicht, wie er sein Geld verdiente, nur das er jetzt ein Geschäftsmann war. Aufgrund der schlechten Gesundheit seines Bruders würden sie auch niemals die Wahrheit erfahren. Denn es würde sich nie die Gelegenheit für sie ergeben, nach London zu kommen und die wahre Situation zu erfassen, wofür er unendlich dankbar war. Das zerstörte Leben eines Bruders war schon Schuld genug. Nick wollte nicht auch noch seiner Mutter das Herz brechen.

Die Milchmädchen begannen ihre Runden, als Nicholas die Stufen zu Argosy House hinaufging. Es unterschied sich in nichts von den anderen Häusern in der Jermyn Street, die ebenfalls von wohlhabenden ledigen Gentlemen bewohnt wurden. Alle Fenster der übrigen Gebäude waren jedoch dunkel, nur im Argosy House brannten noch die Lichter. Die Herren würden noch etwa eine Stunde aufbleiben und von ihrem Abend erzählen, um sich danach zurückzuziehen.

Er betrat das Haus und hörte lautes Männerlachen im Salon. Unwillkürlich musste er lächeln. Es gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit, zu wissen, was ihn erwartete, wenn er nach Hause kam. Und dies war das einzige Zuhause, das er jetzt besaß, der einzige Ort, an dem er sich wohlfühlen konnte.

Im Salon saßen sieben Männer lässig in den Sesseln und auf den Sofas – die Krawattentücher gelöst, die Frackröcke abgelegt und die Westen aufgeknöpft – und alle genossen ihren Brandy. Diese Männer waren seit vier Jahren seine Kameraden und Mitglieder derselben geheimen Liga.

Jocelyn Eisley entdeckte ihn als Erster. „Oho, Nick, mein Junge. Das war ja ein knappes Entkommen heute Abend. Wir fingen schon an, uns Sorgen zu machen.“

Alle wandten sich ihm zu. Einige pfiffen anerkennend, andere applaudierten.

„Du wirst noch in die Zeitung kommen.“ Amery DeHart salutierte mit seinem halb geleerten Glas.

„Ein dreifaches Hoch auf unseren Nick.“ Eisley räusperte sich und sprang für einen Mann seiner Größe erstaunlich gewandt auf einen Polsterhocker. „Ein Gedicht ist das Mindeste, um ein solches Ereignis zu würdigen. Es kommt nicht oft vor, dass jemand von uns einer Dame Freude bereitet, während ihr Gatte sich im Haus aufhält.“

Mehrere Gentlemen stöhnten mitfühlend. Nick setzte sich neben DeHart auf das Sofa. Eisleys Gedichte waren schon Tradition.

„Ein schmutziges Gedicht, Eisley“, rief Miles Grafton. „Eine schmutzige Tat verlangt ein schmutziges Gedicht.“

„Hört, hört!“, erwiderten die anderen.

„Nun gut.“ Eisley strich die blonden Locken zurück und bat um Aufmerksamkeit. „Ich schenke euch also meine letzte Schöpfung.“ Seine sonore Stimme bebte dramatisch, als ginge es um einen Auftritt in einer Tragödie im Drury-Lane-Theater. „Einst war da ein Mann namens Nick, der erfreute die Damen mit großem Geschick. So sehr haben sie gestöhnt, wenn Nick sie verwöhnt, dass der Hass aller Gatten lag ihm im Genick.“ Er verbeugte sich schwungvoll.

„Geht es nicht uns allen so?“, rief Amery lauter als nötig. „Wir sind die Wüstlinge, die jeden Gatten eifersüchtig machen.“

„Dem Himmel sei Dank dafür“, meldete sich Captain Grahame Westmore finster aus der Ecke neben dem Kamin, wo er Platz genommen hatte. „Wenn die Gentlemen des ton ihren ehelichen Pflichten angemessen nachgingen, wären wir ohne Beschäftigung.“ Westmore war ein ehemaliger Kavallerieoffizier und gab sich ebenso verschlossen wie Nick. Über ihn wusste er weniger als über all die anderen Männer, die heute anwesend waren.

„Nun, was denkt ihr?“ Eisley sprang vom Hocker herunter. „Ist es nicht mein bisher bestes? Ich werde es heute Nachmittag bei White’s rezitieren, und noch vor dem Dinner wird mein kleines Liedchen in jedem Salon in Mayfair wiederholt werden – wenn auch nur diskret selbstverständlich. Am besten bestellst du dir wieder einige dieser Pariser, die du so magst, Nick. Deine Beliebtheit wird rasant in die Höhe schnellen, mein Junge. Sie werden nur noch von ‚Nicks Trick‘ reden.“

„In der Zeitung reden sie von ‚Nicks kopfloser Flucht‘, wie ich erfahren habe“, hörten sie eine tiefe Stimme an der offenen Tür.

Nick zuckte zusammen. Er brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass Channing Deveril eingetreten war, der Begründer der Liga. Offenbar hatte er von dem Vorfall bereits gehört.

„Knapp davongekommen heute Nacht, was, Nick?“ Channing warf ihm einen scharfen Blick zu.

„Aber davongekommen.“ Nick zuckte die Achseln. Vielleicht war Channing nicht allzu verärgert. Immerhin war es ein Risiko ihres Geschäfts, erwischt zu werden, und hätte jedem passieren können.

Channing lächelte schwach. „Dafür müssen wir alle dankbar sein. Komm mit mir in mein Büro, damit wir darüber reden und entscheiden können, was zu tun ist.“

Nick folgte ihm widerwillig. „Was gibt es da zu entscheiden?“, fragte er unruhig, als er sich in den Sessel vor Channings poliertem Schreibtisch sinken ließ.

„Was mit dir geschehen soll, natürlich.“ Channing warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. „Vielleicht bist du heute Nacht zu weit gegangen.“

„Man kann nie zu weit gehen.“ Nicholas lachte, Channing allerdings nicht.

„Ich meine es ernst, Nick, und dasselbe solltest du tun. Dieser Sturm wird nicht einfach so vorüberziehen. Burroughs wird wissen, dass du es gewesen bist.“

„Er wird es nur vermuten können, nicht sicher wissen“, warf Nick ein.

Channing hob ungläubig die Augenbrauen. „Du täuschst dich. Mit kleinen Versen wie ‚Nicks Trick‘ und Karikaturen in den Zeitungen, die als ‚Nicks kopflose Flucht‘ betitelt werden und inzwischen schon ganz London erreicht haben dürften?“ Da hatte Channing gewiss nicht unrecht. „Außerdem denke ich nicht, dass Alicia Burroughs sich je durch ihre Verschwiegenheit ausgezeichnet hätte.“

Noch ein Punkt, in dem er Channing recht gab. „Die Agentur wird nicht hineingezogen werden“, versicherte Nick in der Hoffnung, Channings Unwillen zu besänftigen.

„Meine Sorge gilt nicht allein der Agentur, sondern auch dir, Nick. Ich will nicht, dass es ein Duell gibt.“ Er öffnete eine Schublade und holte einen Ordner heraus, den er Nick zuschob. „Und deswegen habe ich einen neuen Auftrag für dich.“

Nick überflog das Dokument im Ordner und runzelte die Stirn. „Fünf lustvolle Liebesnächte? Auf dem Land? Ist so etwas überhaupt möglich? Lust und Land scheint mir eine völlig unwahrscheinliche Zusammenstellung zu sein.“ Nicholas schob den Ordner mit unverhohlener Verachtung wieder zurück. Er war ein Londoner. Die Stadt mit ihren kultivierten Damen war seine bevorzugte Umgebung. Der Himmel mochte ihn vor einer Landpomeranze verschonen. „Das ist wirklich nicht meine Spezialität, Channing.“

Channing hob die blonden Augenbrauen. „Ein Duell mit einem gehörnten Gatten ist hingegen nicht meine. Wenn ich dich daran erinnern darf, ist die Mission der Liga, einer Frau Lust zu verschaffen ohne den Beigeschmack eines Skandals. Duelle, mein Freund, passen nicht zu unserem Versprechen absoluter Diskretion. Du musst die Stadt verlassen, bis das Gerede sich gelegt hat. Du weißt, wie es in London um diese Jahreszeit zugeht. In den folgenden zwei Wochen wird ein anderer Skandal diesen hier vergessen lassen, allerdings nicht, falls du hier bleiben solltest und jeden mit deiner Anwesenheit daran erinnerst. Ich habe nicht den Wunsch, dich von einem eifersüchtigen Ehemann erschießen zu lassen.“

„Es wird nichts passieren, das verspreche ich dir“, warf Nicholas ein. „Burroughs hat keine Beweise. Er kann nicht mehr als einen Schatten gesehen haben.“

Channing spielte gedankenverloren mit dem Brieföffner. „Nun ja, was er diesem Schatten allerdings anzutun gedenkt, hat sich bereits wie ein Lauffeuer in London verbreitet. Hast du irgendetwas zurückgelassen? Einen Manschettenknopf? Einen Schuh? Irgendetwas, das dich mit dem Vorfall dort in Verbindung bringen könnte.“

„Nichts“, erwiderte Nicholas heftig. „Ich lasse niemals etwas zurück. Ich schwöre, dass es eine saubere Flucht war.“

Channing lachte knapp. „Wir scheinen eine unterschiedliche Auffassung von einer ‚sauberen Flucht‘ zu haben.“

Dramatisch legte Nicholas eine Hand aufs Herz. „Das schmerzt mich zutiefst.“ Und er war wirklich ein wenig verstimmt darüber, dass Channing glaubte, ihn nach diesen Dingen fragen zu müssen. Er war einer von Channings besten Männern, soweit es die sinnlicheren Aktivitäten ihrer Organisation anging. Nicht jede Frau kam zu ihnen, weil sie auf der Suche nach körperlicher Befriedigung war. Einige Damen versuchten einfach nur, Aufsehen zu erregen und vielleicht auch ihren Gatten zurückzugewinnen, der sich von ihr abgewandt hatte oder sie zu lange als selbstverständlich ansah. Doch es gab auch jene, die tatsächlich die intimen Freuden finden wollten, die ihnen bisher versagt geblieben waren. Und dafür war er zuständig. Nick hoffte, dass Channing diesen Aspekt des Briefes übersehen hatte.

„Abgesehen vom möglichen Skandal, würde ich dennoch dich schicken.“ Channing legte den Brieföffner beiseite und fixierte Nicholas mit einem strengen Blick aus seinen blauen Augen. „Diese Frau sucht nach körperlicher Erfüllung, und das ist nun einmal deine Spezialität.“ Er hatte ihn nicht übersehen.

„Aber nicht auf dem Land“, wandte Nicholas ein, obwohl er wusste, dass er in diesem Gespräch den Kürzeren ziehen würde. „Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, ausgerechnet jetzt die Liga zu verlassen.“ Er wies auf das genannte Datum im Brief. „Fast eine ganze Woche Mitte Juni? Mitten in der Saison. Schon jetzt haben wir mehr Aufträge, als wir bewältigen können.“ Es würde ihn schwer treffen, die Vergnügungen Londons zu verpassen: den Marlborough-Ball, den Mittsommer-Maskenball in Lady Hydes herrschaftlichem Haus in Richmond. Alles fand in eben jener Woche statt, ganz zu schweigen von den Sommernächten in den Vauxhall Gardens mit ihrem faszinierenden Feuerwerk.

Channing blieb ungerührt. „Wir werden schon zurechtkommen.“

„Du könntest jemand anders beauftragen. Jocelyn oder Grahame. Miles oder Amery. Hat DeHart nicht gesagt, es gefalle ihm auf dem Land? Er hatte großen Erfolg auf der Hausparty, zu der du ihn geschickt hast.“ Er weigerte sich, aufs Land zu fahren. Er mied es wie der Teufel das Weihwasser.

„Alle haben bereits einen Auftrag“, sagte Channing entschieden. „Du wirst gehen müssen.“ Er schenkte Nicholas sein gewinnendes Lächeln, das Männer und Frauen gleichermaßen so bezaubern konnte, dass sie gemeinhin taten, was immer er von ihnen verlangte. „Mach dir keine Sorgen, Nicholas, die Stadt wird es noch geben, wenn du zurückkommst.“

Was sollte er darauf erwidern, ohne zu viel zu verraten? Es gab Dinge in seinem Leben, die er nicht einmal Channing erzählt hatte. „Im Brief steht, sie werde gut bezahlen. Wie gut?“ Er wusste, dass er mit dieser Frage seine Zustimmung signalisierte. Doch es war immer noch besser, das Schlachtfeld mit höflicher Resignation zu verlassen, als offen davongejagt zu werden.

„Eintausend Pfund“, sagte Channing leise.

Nicholas lächelte trocken. Er würde so ziemlich alles tun für eintausend Pfund. Selbst seinen Ängsten die Stirn bieten. „Nun, damit ist die Sache entschieden.“

„Das dachte ich mir schon. Pack also deine Sachen. Ich habe bereits eine Reisekutsche für dich gemietet. Sie fährt um elf. Du wirst pünktlich zum Tee dort ankommen.“

Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als seinen alten Trick anzuwenden und sich zu sagen, dass es schlimmer hätte sein können – wenn er auch nicht sicher war, wie das möglich wäre. Nun ja, es hätte über einen längeren Zeitraum als fünf Tage sein können, es hätte ein Auftrag für einen ganzen Monat sein können.

2. KAPITEL

Sussex, England

Ihr Leben würde in einem Monat vorbei sein. Sie spürte es regelrecht in den Knochen und auch nicht zum ersten Mal. Bereits seit April fühlte sie, wie es sich heranschlich, und jetzt war es da, und sie konnte nichts tun, um es aufzuhalten. Das Unvermeidliche würde geschehen, wenn sie auch jahrelang versucht hatte, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Doch jetzt starrte es sie – selbst nach so langer Zeit konnte sie es nicht bei seinem Namen nennen – bedrohlich an, jenes schreckliche Datum auf ihrem geistigen Kalender.

Selbstverständlich hatte sie um Hilfe ersucht. Alle Experten, die sie befragte, kamen zu derselben Diagnose. Es blieb ihr nichts anderes zu tun übrig, als es hinzunehmen. Und so hatte sie sich gezwungen gesehen, Zugeständnisse zu machen und Vorbereitungen zu treffen. Und deshalb saß sie jetzt an diesem wunderschönen Juninachmittag in ihrem sonnenhellen Salon ihres Landguts Hartshaven und wartete – gewiss eine seltsame Beschäftigung für jemanden, dem die Zeit knapp wurde.

Annorah blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims. Es war fast vier. Er würde jeden Moment erscheinen, und sie war alles andere als gefasst. Nie hatte sie etwas so Gewagtes oder Endgültiges getan. Während jenes grauenhafte Datum immer näher rückte, hatte sie immer öfter darüber nachgedacht, was sie noch alles tun wollte, welche Freuden sie ein letztes Mal erleben wollte. Sie war reich. Ihr Vermögen war enorm. Sie konnte sich alles leisten, was ihr Herz begehrte: Reisen nach Paris oder Venedig, wunderschöne Kleider. Letztendlich konnte ihr ganzer Reichtum sie jedoch nicht retten. Also hatte sich ihr eine Frage aufgedrängt: Was wünschte sie sich? Und die Antwort war schnell gefunden.

Sie war dreißig Jahre alt, zumindest noch zwei Wochen lang, und bereits seit fast einem Jahrzehnt über die Blüte ihrer Jugend hinaus. Zwar fühlte sie sich nicht so, und sie hoffte, sie sah auch nicht so aus. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie nicht viel erreicht, ganz gewiss nichts von all dem, was eine Frau in ihrem Alter erlebt haben sollte – die Liebe eines Gatten und die Geburt seiner Kinder. Einige Male war sie zwar kurz vor einer Vermählung gewesen. Das eine Mal hatte man ihr das Herz gebrochen, und ein anderes Mal hatte sie plötzlich selbst einen Rückzieher gemacht. Später hatte sie sich nach Hartshaven zurückgezogen und sich immer seltener in die Londoner Gesellschaft begeben, jedes Jahr weniger oft, sodass es inzwischen eine kleine Ewigkeit her war, seit sie das letzte Mal ihren Fuß in die Hauptstadt gesetzt hatte.

Es war ein einsames Leben gewesen. Was sie allerdings ihr Eigen nennen konnte, war ein wunderschönes Gut auf dem Land und Unmengen von Geld. Sie besaß alles, was das leibliche Wohl einer Frau anging, bis auf einen Mann. Doch das würde sich bald ändern. In wenigen Momenten würde ein Mann in ihr Haus kommen. Sie hatte ihn aus London bestellt, ebenso wie sie ein neues Kleid bestellen würde – und sollten ihr jetzt deswegen Bedenken kommen, so kamen sie zu spät.

Annorah ging in Gedanken ein letztes Mal den sorgfältig verfassten Brief durch, den sie geschickt hatte. Jedes einzelne Wort hatte sich ihr ins Gedächtnis eingeprägt.

Werte Gentlemen,

ich suche eine diskrete Verbindung mit einem Mann von vornehmer Lebensart und angenehmen Umgangsformen. Er muss sauber und gepflegt und ein kenntnisreicher Gesprächspartner – mit anderen Worten, gebildet – sein und das ruhige Landleben lieben. Ich bin bereit, großzügig zu zahlen für fünf Nächte seiner Gesellschaft.

Sie hatte drei Tage gebraucht, um sich für diese wenigen Zeilen zu entscheiden. Nach all der Mühe, die sie sich gegeben hatte, hätte der Brief eigentlich länger sein müssen. Und nun konnte sie nur hoffen, dass die Agentur wusste, was sie meinte. Die kleine Anzeige, die sie in einer Zeitschrift entdeckt hatte, deutete an, dass man in der Agentur erfahren genug war, um zwischen den Zeilen lesen zu können, und genau wusste, was in jeder gegebenen Situation verlangt wurde. Und doch enthielten jene kümmerlichen paar Zeilen die kühnsten Worte, die sie je geschrieben hatte.

„Es ist so weit, Annorah. Hör auf, eine solche Gans zu sein.“ Sie spürte, wie der Mut sie zu verlassen drohte. Doch wenn nicht jetzt, dann wann? Sie kannte die Antwort. Nie. Wenn sie die Geheimnisse der Leidenschaft kennenlernen wollte, bevor es zu spät war, dann musste sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Also wartete sie darauf, dass ihr Geburtstagsgeschenk ankam: der vollkommene Mann – ein Mann, der ihr nicht das Herz brechen würde, der ihr nicht vormachen würde, sie zu lieben, obwohl es ihm nur um ihr Geld ging, der begriff, dass sie nur eine kurze Affäre wollte, bei der sie die fleischliche Liebe erfahren würde, ohne es bereuen zu müssen.

Fünf Nächte voller Leidenschaft sollten genügen. Danach würde sie sich in ein Schicksal fügen, dem sie, den klügsten Anwälten Englands zufolge, nun einmal nicht entrinnen konnte. Sie würde entweder bis zu ihrem einunddreißigsten Geburtstag verheiratet sein und ihr Gut und Vermögen behalten dürfen oder ledig bleiben und somit das Gut und den größten Teil ihres Vermögens an die Kirche und wohltätige Stiftungen verlieren. Das Herrenhaus sollte dann eine Schule werden, und sie müsste sich mit einem Cottage und einem angenehmen Einkommen zufrieden geben müssen, von dem sie fortan schlicht und alles andere als großartig leben würde. Vergessen wäre die Freiheit, sich alles leisten und alles tun zu können, was sie wollte.

In beiden Fällen allerdings lief sie Gefahr, das Leben zu verlieren, wie sie es kannte. Sollte sie heiraten, würde ihr sagenhaftes Vermögen an ihren Gatten gehen, blieb sie allein, würde alles der Kirche zufallen. Sie selbst konnte einfach nicht gewinnen. Ihr erster Impuls war gewesen, Einkäufe zu tätigen: eine unverschämt große Anzahl von Kleidern mit den passenden Accessoires und dazu den Mann, der sie bewundern sollte.

Der Kies auf der Auffahrt knirschte. Ihr Puls beschleunigte sich. Durch das Fenster erhaschte Annorah einen Blick auf eine Chaise, die vor das Haus fuhr, dann wurde sie von der großen halbkreisförmigen Treppe verborgen, die zum Eingangsportal führte. Sie würde ans Fenster treten müssen, um die Auffahrt ganz im Blick zu haben, aber sie wollte nicht so ungeduldig erscheinen.

Schon erschien ihr Butler Plumsby an der Tür. „Miss, Ihr Gast ist angekommen. Darf ich mir erlauben anzumerken, dass er recht ansehnlich ist für einen Bibliothekar?“ Natürlich hatte sie ihren Dienstboten nicht die Wahrheit gesagt, sondern vorgegeben, ein letztes Mal ein Verzeichnis ihrer Bibliothek machen zu wollen, eine Art Inventar, sollte sie sich entschließen, alles der Schule zu überlassen.

„Danke, Plumsby. Ich komme gleich heraus, um ihn zu begrüßen.“ Ihr Herz schlug schneller, denn in Gedanken verweilte sie bei Plumsbys Worten: Er ist also ansehnlich. Sie warf einen letzten Blick in den Wandspiegel, um sicherzugehen, dass ihre Frisur ordentlich saß und sie keinen Schmutzfleck im Gesicht hatte. Dann atmete sie tief durch und trat in den Gang hinaus. Plötzlich kam sie sich übertrieben grell vor in ihrem gelben Musselinkleid vor dem dezenten Blau und dem eleganten italienischen Marmor der Halle. Allerdings war jetzt keine Zeit mehr sich umzukleiden oder sich unbemerkt über die Hintertreppe davonzustehlen. Er hatte sie bereits gesehen.

Lächelnd ging sie auf ihn zu. „Sie sind da. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.“ Annorah verschränkte fest die Hände in der Hoffnung, ihre Unruhe verbergen zu können, spürte aber, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Ansehnlich“ drückte die Wahrheit nicht einmal annähernd aus. Himmel, er musste denken, dass sie ein Dummkopf war! Stumm starrte sie ihn an. Sie kannten sich kaum eine Minute, und schon verschlug es ihr die Sprache.

Tee! Annorah griff erleichtert den Gedanken auf. „Plumsby, lassen Sie bitte Tee in den Salon bringen. Ich kümmere mich jetzt um meinen Gast.“ Kaum hatte sie ausgesprochen, erkannte sie ihren Fehler. „Verzeihen Sie, wie vorschnell von mir. Ich bestelle schon unseren Tee, dabei haben wir uns noch nicht einmal vorgestellt. Ich bin Annorah Price-Ellis.“

Sie reichte ihm die Hand, um ihn auf geschäftsmäßige Weise zu begrüßen, doch er nahm ihre Hand, beugte sich über sie und küsste sie flüchtig, ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden. So wurde es sehr viel mehr als eine höfliche Begrüßung. Mit seiner Berührung wurde es vielmehr ein Prolog, ein Versprechen. „Nicholas D’Arcy, zu Ihren Diensten.“

Zu Ihren Diensten. Annorah musste schlucken. Er war gekommen, und er war fantastisch. Der Blick aus seinen dunkelblauen Augen war intensiv, fesselnd. Das schwarze Haar trug er verwegen aus der Stirn gekämmt, und diese Frisur betonte die hohen Wangenknochen und einen Mund, den man nur vollkommen nennen konnte – einen Mund, der so sinnlich war, dass Annorah den Wunsch verspürte, ihn zu berühren.

Lieber Himmel, ihre Gedanken eilten wirklich schnell voraus! Sie war ihm kaum begegnet und schon berührte sie in der Fantasie seinen Mund. Hastig rief sie sich ihre guten Manieren in Erinnerung, deutete einen Knicks an und fragte sich verlegen, ob das überhaupt angebracht war. Knickste man vor einem solchen Mann? Aber genau das war ja die Frage. Was für ein Mann war er? Gekleidet war er wie ein Gentleman – ein Gentleman, der vom Glück verlassen worden war, oder ein Hochstapler in eleganter Kleidung, der lediglich jene nachäffte, die über ihm standen? Nun, es war ihre Fantasie. Sie konnte sie ausschmücken, wie es ihr beliebte.

Was sie allerdings nicht konnte, war wie ein Tölpel in der Halle herumstehen. Nun kamen ihr endlich die vielen Jahre guter Erziehung zu Hilfe. Zunächst würde sie mit ihm Tee trinken, alles Übrige würde sich schon von selbst finden. Das vertraute Teeritual würde ihr auch ein wenig die Nervosität nehmen. Das Gesprächsthema würde sich ganz natürlich ergeben: Nahm er Milch zum Tee? Zog er Zucker vor? Wollte er dazu Kuchen oder ein Sandwich? Die Unterhaltung würde allmählich in Gang kommen und sie das Gefühl haben, ihn ein wenig kennenlernen zu können.

Annorah wies auf den breiten Durchgang zu ihrer Linken und sagte, wie sie hoffte, auf kultivierte Weise, wenn die Worte sich auch eher wiederholten: „Plumsby wird uns den Tee im Salon servieren. Sie können eine Erfrischung zu sich nehmen, während wir über das Geschäftliche sprechen.“ Gewiss war das doch der richtige nächste Schritt. Es war besser, alle Einzelheiten besprochen zu haben, bevor sich die Dinge weiter entwickelten.

Nicholas D’Arcys blaue Augen blitzten amüsiert, ein Lächeln erschien um seine Mundwinkel. Er beugte sich verschwörerisch vor, so dicht, dass sie seinen Duft erhaschte – einen Wohlgeruch, der sie an den Sommer denken ließ. „Das soll ein Geschäft sein?“

Plötzlich fiel es ihr schwer, klar zu denken. Sie begann über Kunden und Auftragnehmer zu plappern und darüber, wie wichtig es für beide war, die Bedingungen einer eventuellen Verbindung zwischen ihnen auszuhandeln. Woraufhin er ihr nur leicht einen Finger an die Lippen legte.

„Ein wunderschöner Sommertag wartet auf uns, Annorah. Warum zeigen Sie mir nicht lieber die Gärten? Wir können uns unterhalten, während wir darin umherschlendern.“

„Ist es aber abgeschieden genug?“ Sie sollten im Freien über ihr Arrangement sprechen, wo jeder sie belauschen konnte? Gewiss waren die Dienstboten neugierig, was ihren Besucher betraf.

„Wir werden die Köpfe zusammenstecken und flüstern.“ Wieder sah er sie amüsiert an und reichte ihr den Arm, einen sehr festen Arm, dessen Muskeln der elegante blaue Gehrock nur betonte. Jetzt beugte er den Kopf, bis er ihren fast berührte, und sie hörte seine Stimme leise an ihrem Ohr. „Außerdem finde ich, dass das Risiko, von jemandem entdeckt zu werden, selbst den banalsten Spaziergängen eine gewisse Würze verleiht, meinen Sie nicht auch?“

„Ich werde Ihrer Erfahrung in dieser Hinsicht vertrauen müssen, Mr. D’Arcy.“ Ein süßer Schauer überlief sie bei der bloßen Vorstellung, und ihr wurde nur allzu bewusst, dass der Mann im makellosen, vornehmen Aufzug alles andere als ein Gentleman war.

„Bitte nennen Sie mich Nicholas. Wollen wir?“

Wie schnell sie die Kontrolle über das Gespräch verloren hatte. Es war erstaunlich, wie geschickt er die Führung übernommen hatte. Dabei weilte er lediglich seit einigen Minuten in der Halle, und schon riss er das Kommando an sich. Er wusste nicht einmal, wie man zu den Gärten gelangte, und doch waren sie bereits auf dem Weg zu den großen Fenstertüren, als hätte er sein ganzes Leben hier verbracht. Annorah hatte nicht erwartet, dass er so gelassen sein könnte, und war eher davon ausgegangen, dass sie die Oberhand behalten würde. Dieses Arrangement sollte ausschließlich nach ihren Regeln abgewickelt werden. Als sie ihren Brief abgeschickt hatte, war sie ihrer eigenen Souveränität sicher gewesen, weil er der Gast sein würde und sie die Gastgeberin. Doch plötzlich wurde ihr bewusst, wie leicht diese Rollen auf den Kopf gestellt werden konnten.

Im Garten gewann sie ihr inneres Gleichgewicht wieder. Nicholas D’Arcy stellte Fragen, hielt ab und zu vor gewissen Blumen inne, um etwas zu ihren Blüten zu bemerken, und Annorah antwortete, inzwischen wieder ein wenig selbstbewusster, erneut ganz die Gastgeberin.

„Ah, diese hier ist wirklich sehr selten. Eine Regenwald-Schwertlilie, wenn ich mich nicht irre. Sehr verrucht, nicht wahr, mit ihrem speerähnlichen Staubblatt, das kühn aus der Blüte herausragt?“

Annorah errötete heftig über seine unverhüllte Anspielung auf den männlichen Phallus. „Alle Blumen haben Staubblätter, Mr. D’Arcy.“

„Ja, aber nicht bei allen wird es so ungeniert zur Schau gestellt. Nehmen wir zum Beispiel jene zarte rosa Blüte dort drüben. Das Staubblatt wird brav von den Blütenblättern verdeckt. Aber nicht bei diesem Burschen.“ Er wies wieder auf die Schwertlilie. „Er ist sehr viel kecker und ragt groß und stolz hervor, damit jeder ihn sehen kann.“

„Blumen sind wohl kaum geschlechtliche Wesen, Mr. D’Arcy.“

„Meinen Sie? Erlauben Sie mir, da anderer Meinung zu sein. Nicht nur das, sie sind außerdem moralisch völlig bedenkenlos, mehr als jedes andere Geschöpf auf Gottes Erde. Überlegen Sie doch nur. Sie lassen sich täglich unendlich oft bestäuben und nur zu dem Zweck, ihren Samen in den Wind zu werfen, ohne sich darum zu kümmern, wo er landen mag.“

Ihre gute Erziehung verlangte eigentlich, dass sie einem solch lächerlichen Gespräch sofort Einhalt gebot, aber Annorah brachte es nicht über sich. Er hatte eine so angenehme Tenorstimme, mit der er jedes Wort zu streicheln schien, während er unzüchtige Bilder vor ihrem inneren Auge erscheinen ließ. Wenn er sie bereits bis ins Innerste erzittern lassen konnte, wenn er ausgerechnet über ein so trockenes Thema wie Botanik mit ihr sprach, würde er mit seiner Stimme jedes Thema verführerisch klingen lassen. Dennoch sollte sie ihm Einhalt gebieten. „Mr. D’Arcy, das ist kaum ein anständiges Thema für ein Gespräch.“

„Ich muss wieder darauf bestehen, dass Sie mich Nicholas nennen“, schalt er sie sanft. „Und um ganz offen zu sein, haben Sie mich nicht eingeladen, um anständig zu sein.“

Seine Bemerkung traf den Nagel auf den Kopf und bot ihr die Möglichkeit, das delikate Thema anzuschneiden. Inzwischen waren sie weitergegangen und hatten die unanständige Schwertlilie und den Blumengarten hinter sich gelassen. Sie entfernten sich immer weiter vom Haus, als sie eine Allee hinuntergingen und auf einen römischen Pavillon in einiger Entfernung zuhielten. Hier konnten sie von niemandem belauscht werden. Sie vermutete, dass er das Gespräch absichtlich in eine solche Richtung gelenkt hatte.

„Nein, Nicholas, ich habe Sie nicht herkommen lassen, um anständig zu sein. Ebenso wenig jedoch sind Sie hier, um sich sündiger Maßlosigkeit hinzugeben.“ Zu größerer Offenheit konnte sie sich nicht durchringen. Sie war kein scheues Mauerblümchen, das sich fürchtete, seine Meinung zu sagen. Bisher war sie immer selbstbewusst ihren eigenen Weg gegangen, aber eine solche Unterhaltung war etwas völlig Neues für sie. Noch nie hatte sie mit irgendjemandem über solche Themen gesprochen – ganz gewiss nicht mit einem so faszinierenden Mann, der sie mit intensivem Blick betrachtete.

„Ich verstehe“, antwortete Nicholas feierlich und bedeckte ihre Hand, die auf seinem Arm lag, tröstend mit seiner. „Was haben Sie der Dienerschaft gesagt?“

„Dass Sie gekommen sind, um den Wert meiner Bibliothek zu schätzen. Ich besitze eine recht umfangreiche Sammlung, doch sie wurde das letzte Mal vor einem halben Jahrhundert von meinem Großvater katalogisiert.“

Sein anerkennendes Lächeln erfüllte sie mit Genugtuung. Sie hatte lange über eine Ausrede nachgedacht, die ihr erlauben würde, einen männlichen Gast in ihrem Haushalt aufzunehmen.

„Sehr klug, Annorah. Sie haben mir die Aura eines Gelehrten, eines lebensfernen Büchernarren verliehen. Das wird gewiss jeden Verdacht zerstreuen, ich könnte irgendwelche Hintergedanken hegen, was Ihre Person angeht. Sie haben mir eine Aufgabe zugewiesen, die verlangt, dass ich mich täglich mit Ihnen einschließe, und was das Beste ist, Sie haben mir die vollkommene Ausrede geliefert, um Sie bei Ihren Spaziergängen zu begleiten. Niemand würde erwarten, dass Sie Ihren Gast vor aller Welt versteckten.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich weiß, wie die Leute auf dem Land sind. Ein Neuling ist etwas Aufregendes und muss mit allen geteilt werden.“

Annorah errötete bei so viel Lob. Sie wandten sich von dem Pavillon ab und kehrten zum Haus zurück. Währenddessen fuhr Nicholas fort:

„Was uns angeht, Annorah, werden wir nicht wieder von solchen Arrangements sprechen. Sie und ich werden uns der Aufgabe widmen, Freunde zu werden. Eine bloße Geschäftsangelegenheit ist unter unserer Würde.“ Er rümpfte so übertrieben angewidert die Nase, dass Annorah lachen musste.

„Doch Spaß beiseite, wir müssen einen Moment ernst sein.“ Er wandte sich ihr zu, und sie blieb unwillkürlich stehen. Über seine Schulter hinweg konnte sie das Haus sehen und wurde daran erinnert, dass die Täuschung beginnen würde, wenn sie es erreichten. Sobald sie den Garten hinter sich gelassen hatten, würde es kein Zurück mehr geben, und der Gedanke daran ließ sie erzittern.