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Wenn sich oben ständig ändert... Als Manur aufwacht, befindet sich der Fußboden über ihm und sein Bett steht an der Decke: Es verspricht also, ein völlig normaler Tag zu werden. Mit einem Bett, das sich automatisch dreht, und Geländern sowie überdachten Gehwegen stört es nicht weiter, dass die Schwerkraft alle paar Stunden die Richtung wechselt, mal nach oben, mal nach unten und gelegentlich auch zur Seite zieht. Leider entpuppt sich dieser scheinbar normale Tag als das reinste Chaos: Der Krieg mit dem Nachbarland steht plötzlich unmittelbar bevor, zugleich findet Manur in einem antiken Schriftstück Hinweise auf eine vergessene Technologie. Womöglich die letzte Chance, die Oberhand über den Feind zu gewinnen und den Krieg zu verhindern. Mit vier seiner Studenten kehrt Manur zur Ausgrabungsstätte zurück, woher das Schriftstück stammt. Gemeinsam machen sie sich an die Lösung dieses Rätsels aus einer lang vergangenen Zeit, das jetzt die Zukunft bedeutet. Ein Roman für alle, die eine komplett neue, ungewöhnliche Welt erleben wollen und Action, Spaß, Freundschaft und verrückte Ideen lieben. Der Auftakt zur Pinball World Serie.
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Seitenzahl: 566
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Über den Autor Markus Wiesböck:
Der 1970 geborene Autor Markus Wiesböck platzt regelrecht vor Ideen und Fantasie. Wenn er seine Bücher schreibt, wird er dabei immer schneller, da er selbst wissen möchte wie das Buch ausgeht. Er selbst sagt immer „die besten Geschichten entstehen erst beim Schreiben“.
„Wie eine Kugel im Flipperautomat schießt auch Garmas zwischen den Riesen in einer für ihn bestimmten Laufbahn. Immer und immer wieder der gleiche Weg und immer ziehen die Riesen an ihr.
Nach Millionen von Jahren ist sie es gewohnt und stabil.“
Manur öffnete die Augen und starrte hinauf zum Boden des Zimmers. Er rieb sich den Schlafsand aus den Augen. Schon wieder verschlafen und gleich so lang! Normalerweise verließ er das Haus, wenn der Boden sich noch unten befand.
Müde räkelte er sich im kuscheligen Bett und kratzte sich an seinen Bartstoppeln.
„Mhm, viel zu spät“, murmelte er zu sich selbst.
Zwar war heute der Tag des Gleichgewichts und er musste nicht zur Arbeit, dennoch hatte er früher aufstehen wollen. Schließlich hatte er noch etwas vor.
Die Automatik im Haus, die alle Möbel automatisch entsprechend der Schwerkraft bewegte, hatte bereits alles umgedreht und so musste er nur noch seine müden Knochen in Schwung bringen und aus dem Bett klettern. Nur sein großer Bauch hinderte ihn daran, sodass er zwei Versuche brauchte, um aufzustehen. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, im neuen Jahr abzunehmen, aber der Jahreswechsel lag schon drei Monate zurück und der Erfolg seines Vorsatzes war sehr übersichtlich geblieben. Der Umfang seines Bauchs war vielleicht um einen Zentimeter geschrumpft, aber nicht viel mehr. Wenigstens hatte er alle süßen und fettigen Lebensmittel aus der Küche verbannt. Nach mehrmaligen Versuchen gelang es ihm, die Beine herauszuschwingen, und er saß an der Bettkante und schnaufte wie eine Dampfwalze. Manur war mit 165 cm nicht der größte, dafür sehr hell im Kopf.
Er schaute an sich herunter, eigentlich waren seine Beine und Hüften gar nicht dick, zumindest das, was er davon sehen konnte, denn der Bauch verdeckte das Blickfeld. Auch gleich darüber ging es normal weiter. Nur diese Schwangerschaftskuppel störte. Er ging leicht als im neunten Monat durch.
Es war jedes Mal ein Akt der Akrobatik, wenn er seine Sicherungsleine am Gürtel befestigen musste. Diese wurde durch den Gürtel eingeführt und ging dann einmal hintenherum, um auf der anderen Seite so lange eingehackt zu bleiben, bis man sie benötigte.
Jetzt ab ins Bad, frischmachen. Der Spiegel war nicht gerade freundlich zu ihm. Die Bartstoppel machten ihn zu einem Panzerknacker und die Hängebacken zu einem Bullterrier, im Gegensatz dazu strahlten seine kleinen, hellblauen Augen eine Freundlichkeit aus, dass man ihn einfach gernhaben musste – den Bartstoppeln zum Trotz.
Aufgrund seiner Stellung an der Universität besaß Manur eine vollautomatische Wohnung. In der Früh, ab etwa 3 Uhr bis etwa 9 Uhr, kam die Anziehungskraft direkt vom Planeten Garmas selbst. Von 9 Uhr bis 15 Uhr Nachmittag kam sie aufgrund der vier größeren Planeten, durch die sich Garmas Umlaufbahn in einer Acht bewegte, von oben. Vollautomatische Häuser, die alle Möbel, Regale, Betten, und was sonst noch in einem Haus benötigt wurde, entsprechend drehten und nach der Anziehungskraft ausrichteten, bedeuteten daher einen enormen Vorteil. Alles, was sich nicht von allein drehte, war so stabil eingebaut, dass, egal von wo die Anziehung kam, es nicht herausfallen konnte. So war in jedem Pflanztopf ein Gitter, an dem konnten sich die Wurzeln mitsamt der Erde verankern. Die Natur hatte sich im Laufe der Jahrtausende an die ständig wechselnde Schwerkraft hervorragend angepasst.
Von 15 bis 18 Uhr kam die Anziehungskraft von der Seite. Deshalb wurden bereits um 15 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt – was auf Garmas bedeutete, dass man seitlich auf ihnen lief.
Ab 18 Uhr bis 3 Uhr früh ging die Schwerkraft wieder vom Planeten weg.
Manur musste sich beeilen, die Läden hatten wegen des Feiertags heute nur bis Mittag geöffnet und er brauchte noch einiges.
Die große, rote, in vier Felder unterteile Eingangstür reichte von der Decke bis zum Boden, und die kitschige goldene Türklinke in Form eines Engels ließ sich je nach Tageszeit nach unten oder oben oder seitlich drücken. In den drei Stunden mit der seitlichen Anziehung musste man aber durch die quere nun deutlich niedrige Tür hereinkriechen oder einfach bis 18 Uhr in der Arbeit bleiben. Manur zog es vor, zu arbeiten, weil Kriechen mit seinem Bauch nur schwer möglich war.
Kurz verweilte Manur auf der anderen Seite der Tür, um die frische Luft in seine Lungen zu ziehen.
Manur stand dabei auf einem Weg, der zu einer anderen Tageszeit ein Dach über dem eigentlichen Weg war, mit dem Kopf nach unten zum Planeten, die Beine Richtung Himmel, an dem sich der größere Bruder von Garmas – Frasor – drohend zeigte.
Aufgrund der sich ändernden Anziehungskräfte waren jeder Gehsteig, jede Straße und alle Plätze derart überdacht, dass man sie auch kopfüber passieren konnte.
Manur hängte seine Sicherungsleine, die bei Fehltritten davor schützte, in den Himmel zu fallen, in das Sicherungsrohr, das entlang der Außenrinne lief, und ging los in Richtung der Einkaufskuppel Karpindanam im Zentrum der Stadt.
Er könnte eine der vielen Schwerkraftkabinen nehmen, die die Personen auf Garmas von A nach B beförderten und dafür die ungewöhnliche Schwerkraft ausnutzten, aber heute wollte er gehen und ein paar Kalorien verbrennen.
Auf den Gehwegen war wenig los,so konnte sich Manur frei bewegen und stieß trotz seiner Körperfülle mit niemandem zusammen.
Es war nur ein kurzer Fußmarsch, da seine Wohnung nahe am Zentrum lag. Wieder ein Vorteil, für den Staat zu arbeiten.
Die Kuppel Karpindanam hing wie ein gigantischer, durch das reflektierende Licht der Sonne golden schimmernder Wal inmitten eines Wohnviertels mit modernen eckigen Hochhäusern, die allesamt über 50 Stockwerke weit hinauf- beziehungsweise hinunterragten. Würde man die Kuppel auf längstem Weg am Boden durchschreiten, wäre man gut eine Stunde unterwegs, ganz zu schweigen von den übrigen Ebenen bis unter dem Dach. Am Boden und an den Kuppelwänden aus Glas bis hinauf zum Zenit der Kuppel waren die verschiedensten Shops aufgereiht. Die Kuppel war teils vollautomatisch und wurde wie Manurs Wohnung auch mehrseitig genutzt. Durch die Gehbahnen zwischen den Shops, die sich der Schwerkraft anpassten, konnte man zu jeder Zeit jeden Laden erreichen.
Da die Kuppel schon sehr alt war, erhoben sich hier traditionelle Geschäfte neben neuen Trendläden. Die älteren Läden standen dabei meist klein und verloren zwischen den gigantischen neuen Einkaufspassagen. Das spiegelte jedoch nicht immer ihre tatsächlichen Einkommensverhältnisse wider: Trotz der Entwicklung zu den Gigacentern konnten die kleinen Läden immer noch gut überleben. Sie boten besondere Waren an und hatten oft einzig und allein die Lizenzen dafür.
Manur schwebte auf einer der Gehbahnen, die er eigentlich nicht so mochte, über den Shops. Lieber waren ihm die alten Stege. Sie hingen an starken Stahlrohren, die an den Stahlträgern der Kuppel befestigt waren. Außerdem waren sie auch noch untereinander verankert. Ein Gewicht, das nach unten zog, bewegte die Stegabschnitte wie Fließbänder voran, sodass man nicht selbst gehen musste. Das Gewicht spannte gleichzeitig auf der gegenüberliegenden Seite eine Feder. Sobald es unten angekommen war, veränderte sich die Übersetzung und die Feder konnte das Gewicht wieder hochziehen. Eigentlich gab es schon modernere Methoden, einen Steg anzutreiben, aber das hier war noch nostalgisch und Manur liebte das.
Immer wieder blitzte etwas grünlich Schimmerndes zwischen den Gebäuden auf. Dies waren die Aufzüge, die einen schnell zwischen den verschiedenen Ebenen hin- und herbrachten. Grün leuchteten sie wegen der fluoreszierenden Lampen im Innern der Aufzüge. Es gab so viele Stege, Gassen und Aufzüge, dass man sich leicht verirren konnte.
So groß wie die Vielzahl kleiner Gassen war auch die Menge der verschiedensten Läden. Da Karpindanam auf natürliche Weise gewachsen war, gab es keine einheitlichen Bereiche. Es wäre einfacher gewesen, wenn alle Lebensmittelläden beieinandergestanden hätten, genauso mit Läden für Bekleidung und allen anderen Warenarten. Tatsächlich hatten sich im Laufe der Zeit kleine Anhäufungen gebildet. So gab es einen Gemüsemarkt, rundherum hatten sich die meisten Gemüseläden angesiedelt. Was aber nicht hieß, dass man an einer anderen Stelle in der Kuppel nicht auch einem Gemüsehändler begegnete. Dadurch hatte Manur einmal nur wegen einer bestimmten Frucht zwei Stunden lang die Kuppel abgegrast.
Manur richtete seine Aufmerksamkeit auf einen besonders alten Shop, der aussah, als würde er nur aus bronzefarbenen Rohren bestehen. Im Abstand von etwa 30 Sekunden entwich immer wieder prustend Dampf aus einigen der Rohre.
Seine Blicke durchforsteten das Rohrgewirr und trotz zusammengekniffener Augen und höchster Konzentration war kein Eingang zu erkennen.
Er hasste es. Jedes Mal, wenn er kam, waren Rohre hinzugekommen oder umgebaut worden, und der Eingang fand sich wieder an einer anderen Stelle. Ganz so, als wollten die Inhaber nicht, dass man hineinfand. Aber nur hier gab es das, was er benötigte.
Langsam ging er vor dem Gebäude auf und ab. Vielleicht käme jemand aus dem Gebäude. Und da, ja, etwas bewegte sich! Dampf entwich aus einer ganzen Reihe von Rohren und dazwischen kam ein Mann hervor, der sich eilig in Richtung eines anderen Shops bewegte.
Da musste also der Eingang sein. Manur ging zu dem Punkt, an dem er den Mann rauskommen gesehen hatte, doch ohne Erfolg. Nichts, nur eine Wand aus Rohren.
Unschlüssig stand er davor und vorsichtig, als könnten die Rohre beißen, berührte er das Metall. Es begann zu schwingen. Wie ein Windspiel in einer Böe bewegten sich Rohre hin und her. So eine Gemeinheit, den Eingang zu allem Überfluss mit einem Rohrvorhang zu verbergen! Das grenzte schon an Schikane. Aber die Besitzer wussten, die Kunden mussten zu ihnen kommen, und machten sich offenbar einen Spaß daraus.
Manur zwängte sich zwischen den Rohren hindurch und sagte zu sich selbst: „Dick darf man da aber nicht sein.“
Prompt bekam er eine Antwort von zwischen den Rohren zurück: „Wieso? Sie sind doch auch hereingekommen.“
Verstimmt zwängte sich Manur durch die letzte Engstelle und trat endlich auf eine freie Fläche.
Der Laden bestand auch innen vollständig aus Rohren. Kreuz und quer verliefen große, kleine, gebogene und trichterförmige Metallzylinder. Manche hatten große Bullaugen und so konnte Manur sehen, wie sich verschiedenfarbige Flüssigkeiten oder Dampf in ihnen bewegte.
In der Mitte des Raumes stand eine Art Theke – natürlich ebenfalls aus Rohren – und dahinter war ein besonders großes Rohr mit einem besonders großen Bullauge zu sehen. Es wirkte wie eine gigantische Waschmaschine, da die Flüssigkeit hinter dem Bullauge sich kreisförmig wie in einem Strudel bewegte.
Manur starrte gebannt auf dieses Bullauge, das eine geradezu hypnotische Wirkung besaß, und erschrak, als ein kleiner, unheimlich ausgemergelter und extrem schmutziger Mann hinter dem Tresen ihn anschrie: „Was ist los? Ich habe nicht ewig Zeit. Was brauchst du?“
Manur rümpfte über diese unfreundliche Begrüßung die Nase und antwortete herausfordernd: „Was gibt es denn hier?“
Der Besitzer seufzte. „Ein Spaßvogel. Hau ab!“
Manur riss sich zusammen. Er musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Er wollte schließlich bekommen, was er brauchte.
Er antwortete möglichst höflich: „Ich brauch drei.“
„Drei?!“, schrie der kleine Mann zurück. Sein kleiner Schnurrbart, von dem Manur bisher gedacht hatte, es handele sich nur um Schmutz, vibrierte.
„Wenn’s möglich wäre, ja“, antwortete Manur schuldbewusst. Was soll das?, dachte er bei sich. Ich will was kaufen und muss noch darum betteln. Hätte es noch andere Läden mit dem Artikel gegeben …
Die Flüssigkeit im Bullauge drehte sich noch schneller und Manur wurde schwindlig. Er schaute schnell nach unten auf den Boden, um sich nicht übergeben zu müssen.
Als er seinen Blick wieder aufrichtet, da er keine Antwort bekam, war der schmutzige Verkäufer verschwunden. Mist, wo war er nur hin? Manur näherte sich der Theke, um dahinter zu schauen, aber da fand sich keiner.
Plötzlich bekam er einen Schlag wie mit einer Fliegenklatsche über den Kopf gezogen. Lautes Krächzen – oder sollte es gar ein Lachen sein? – kam von hinten.
„Aufpassen!“, krächzte der Verkäufer.
Manur kochte innerlich. „So ein Arsch!“
Von zwischen den Rohren kam ein kleiner Sack auf Manur zugeflogen und warf ihn um. Zwei weitere folgten.
„Hier hast du drei“, keifte der Alte. „Für den Fall, dass du nicht selbst zählen kannst.“
Manur richte sich trotzig auf und nahm die drei Säcke. „Her mit deiner Hand!“, forderte der Shop-Angestellte.
Er schob gefügig seine Hand nach vorne und der Kleine drückte grob den Daumen auf die Scanscheibe. Bevor er auch nur fragen konnte, was es kostete, war der Bezahlvorgang auch schon abgeschlossen.
Manur packte die drei Säcke und schob sich zum Ausgang.
Laut krächzendes Lachen von hinten. „Hahaha, der Eingang ist gewandert.“
Zu spät. Manur knallte gegen die nun festen Rohre und rieb sich den Kopf.
So ein Scheißkerl! Wenn der mal was von mir braucht, dachte Manur und tastete die Wände nach beweglichen Rohren ab. Nur knapp drei Einheiten daneben fand er sie und tastete sich unter dem schallenden Gelächter nach draußen.
Dort musste Manur tief ausatmen, bevor er sich auf den Weg machte, seine Einkäufe zu vervollständigen.
Noch schnell zu Varda, bevor die Läden schlossen. Varda befand sich in der derzeit unteren Ebene, ein Laden für alles, was man chemisch herstellen konnte.
Der Laden hatte die Form eines Reagenzglases: länglich, aus Glas und hoch. Innen bestand auch alles aus Glas und überall waren gläserne Röhren präsent, in denen verschiedenfarbige Flüssigkeiten blubberten und flossen.
Wenigstens war der Eingang da, wo er hingehörte. Der hell beleuchtete Vitrinenbereich wirkte ordentlich und sauber und die Flaschen standen in Reih und Glied, sogar farblich sortiert.
Eine freundliche Verkäuferin fragte Manur, was er benötigte. Sie hatte ein steriles Lächeln aufgesetzt, das künstlich aussah, aber das fand er immer noch besser als die Grobheit des vorherigen Verkäufers. Ihre Haare waren wasserstoffblond und ihre Uniform passend giftgrün.
„Ich brauch eine Blaue“, gab Manur mit einem ebenso falschen Lächeln zur Auskunft.
Die Frau packte einen blauen Flakon in eine Tüte und schob ihm die Scanplatte rüber. „1,75 Deran“, sagte sie freundlich und er reichte ihr seine Hand.
Anschließend war noch etwas Zeit und Manur überlegte, ob er sich noch auf ein Getränk in seine Lieblingsbar begeben sollte. Ganz oben in der Kuppel lag die Kuppelbar: ein Zirkuszelt aus Holz, das an den Innenflächen zwischen den Balken mit Samt bespannt war. Die alten Holzbalken bildeten einen harmonischen Kontrast zum roten schweren Stoff. Die Stühle bestanden aus demselben alten Holz und die Sitzpolster aus rotem Stoff. Es wirkte gemütlich. Das Zelt war zudem an einem großen Kettenglied aufgehängt und konnte sich so nach jeder Schwerkraft auspendeln.
Manur ließ sich am alten Holztresen nieder und winkte seinem Lieblingsbarkeeper Sam. Während dessen Karriere durch einige Bars war Manur stets mit ihm gewandert, beide verband eine lange Freundschaft. Sam lachte ein freundliches offenes Lachen in seine Richtung. Schließlich kannte er Manur schon gut und er wusste, dass er eigentlich auf Diät war und nicht mehr herkommen wollte. Mit einem Geschirrtuch bewaffnet und einem Glas, das er gerade aufpolierte, kam er herüber.
„Das Gleiche wie immer? Heute vielleicht mit einem Schuss Wasser, kalorienreduziert?“, witzelte er.
„Ja, wie immer“, blaffte Manur und versuchte beleidigt auszusehen, was ihm aber nur kurz gelang, bevor er lachen musste.
Sam war groß gewachsen, ein echter Riese, der extra dünn war und das mit unheimlich langen Armen. Sein Schnauzbart war kunstvoll geschwungen und seine Haare seidig glänzend nach hinten geölt.
Wenn man ihn nicht besser kennen würde, würde man aufgrund seines Aussehens schätzen, dass er jeden übers Ohr hauen könnte. Zum Glück kannte Manur ihn besser.
„Lange nicht mehr hier gewesen.“ Sam grinste. „Ganze zwei Tage Abstinenz.“ Das Grinsen wurde breiter.
„Man soll sich ja auch nur langsam umgewöhnen“, antwortete Manur.
Sam kniff die Augen zusammen und kam verschwörerisch näher. „Manur, ich habe da was für dich.“
Manur riss die Augen künstlich überrascht auf. „Ach, nee?“
Sam musste lachen. Als sein persönliches Versuchskaninchen stellte er Manur stets seine neuen Cocktailkreationen vor.
„Nee, nix zum Trinken“, meinte Sam.
„Hunger habe ich grad nicht“, gab Manur prompt mit einem schelmischen Grinsen zurück.
„Im Ernst, du bist doch ein Kryptologe.“
„Ein Kryptologe?“, wiederholte Manur. „Ich bin der Kryptologe schlechthin!“
„Jaja, was auch immer.“ Sam winkte ab, bevor er erneut verschwörerisch näher kam. „Vor ein paar Tagen hat ein Kunde die Zeche geprellt. Er ist einfach verschwunden, aber seine Jacke samt Börse war noch da.
Ich nahm die Jacke gleich in Sicherheitsverwahrung …“
„Und du hast sie gleicht durchsucht“, brachte Manur ein.
„Na ja, kurz mal drüber geschaut, ob eine Adresse …“
„Oder Geld“, warf Manur ein.
Sam räusperte sich. „Ob eine Adresse oder Geld drin ist. Und ich fand Geld, aber nicht viel, und ein Schreiben, das ich nicht lesen kann.“
„Und da dachtest du, ich könnte dir mehr sagen“, kam es nickend von Manur. „Zeig mal her, ich lese es dir vor.“
Sam kramte umständlich in seiner tiefen Schürzentasche, die wie immer sauber und glattgebügelt war, und zog einen vergilbten Zettel heraus, der aussah, als würden ihn nur Fett und der Gedanke an bessere Zeiten zusammenhalten.
„Igitt, was ist das denn?“ Manur nahm es zwischen zwei Finger und hielt es ins Licht. Sogleich schüttelte er sich. „Was ist das denn!“, entfuhr es Manur erneut. „Das ist kein Papier. Es schaut aus wie Haut, vielleicht die eines Schweins oder so.“ Wer machte so was heutzutage noch? Auf Haut schreiben? Langsam faltete er den Zettel – oder sollte er besser Lumpen sagen – auseinander und erstarrte. „Wo … wo ist meine Brille?“
Manur kramte in seinen Taschen und in dem Beutel seines Einkaufs, bis Sam sagte: „Manur, du hast die Brille auf.“
„Ach ja?“ Manur war so erschrocken, dass er dachte, er sähe falsch. Er rückte die Brille zurecht und schaute noch mal auf das Dokument.
Eindeutig, es war eine Schrift, die es seit tausenden Jahren nicht mehr gab. Er selbst hatte die Schriftzeichen auf einer Expedition zum ersten Mal gefunden, aber es hatten ihm nicht genug Schriftstücke zur Verfügung gestanden, um sie zu entziffern. Und jetzt lag ihm ein langer zusammenhängender Text vor.
Wie kam der Mann zu dem Schriftstück? Was stand da? Wer wusste davon?
Sam meinte: „Kam mir komisch vor, daher habe ich außer mit dir noch mit keinem darüber gesprochen.“
In Manurs Kopf schwirrten zu viele Gedanken durcheinander. „Das ist doch etwas komplexer. Darf ich das Dokument mitnehmen?“
„Klar“, erwiderte Sam. „Solange du rauskriegst, wer das ist. Das Geld aus seiner Börse hat nicht gereicht.“
„Ich gebe mein Bestes.“ Schnell zahlte Manur und mit einer Hektik, die Sam kaum von ihm kannte, machte er sich auf den Weg zur Universität.
Die alte Universität ragte wie ein Adlerhorst über der Stadt auf. Oder vielleicht eher wie ein Haufen Fischeier. Da früher die Kugelform die einzige Möglichkeit gewesen war, sich den wechselnden Schwerkräften anzupassen, bestanden alte Gebäude – und die Universität war sehr alt – meist aus kugelförmigen Bauten. Durch den ständigen Zuwachs an Studierenden war der erforderliche Platzbedarf stetig gestiegen und wegen der fehlenden Grundstücke wuchsen die Kugelgebäude ineinander und aufeinander wie Seifenblasen, die sich verbunden hatten.
Die Universität umfasste an der höchsten Stelle etwa 150 Kuppeln und im Durchmesser waren es etwa 250 bis 300 Kuppeln.
Das Gebilde war gigantisch und jeder Student verlief sich zu Anfang im Inneren, auch wenn manche behaupteten, sie hätten sich gleich zurechtgefunden.
Um überhaupt etwas zu finden, war ein ausgeklügeltes Wegweisersystem entworfen worden.
Die Universität war in einen Schulbereich, in dem die Hörsäle lagen, in einen Verwaltungsbereich, einen Werk- und Testbereich sowie in einen Archivbereich, in dem sich das Museum und die Bibliothekskuppel befanden, aufgeteilt. Daneben gab es noch die Versammlungskuppeln und die Wohntrakte und Aufenthaltsbereiche für die Studenten und die Studentenanwärter – streng getrennt nach Mädchen und Jungs. Zu den Anwärtern zählten Jugendliche im Alter von 12 bis 16, die herausragende Leistungen in den allgemeinen Schulen gezeigt hatten.
Manur schob sich zielsicher zur großen nördlichen Empfangskuppel durch die Mengen von Studenten, die heute aus den Ferien zurückkamen. In den Kuppeln fiel es nicht mehr auf, von woher die Schwerkraft aktuell zog. Innerhalb der äußeren Kugel lag eine weitere innere Kugel, die sich frei bewegen konnte und sich immer nach der aktuellen Lage ausrichtete. So konnte sich die innere Kugel immer der Schwerkraft anpassen. Die inneren Kugeln waren dann, je nach Zweck, wiederum unterschiedlich gestaltet. So konnte es sein, dass gerade Wände eingezogen wurden oder auch nur eine Wand, die meistens die Tafelwand war. Hinter der Tafelwand war dann auch noch ein Stauraum. So wurde der Gesamtraum bestens genutzt. Das einzig Schwierige war, dass sich auch der Eingang verschob. So konnte es sein, dass man von einem Raum hineinging und nach ein paar Stunden durch dieselbe Tür in einen anderen wieder hinaus. Deshalb wurden im Laufe der Jahre mehrere Türen in den wichtigsten Kugeln eingebaut, sodass man stets die Auswahl hatte.
Ein weiteres Problem stellten die Haupteingänge dar. Diese waren nur von 9 bis 15 Uhr zu benutzen. Danach drehte sich die Kugel, sodass man in die Stockwerke darüber gehen musste und nur über eine Treppenkugel wieder nach unten und kam. Zu bestimmten Zeiten am Abend konnte man gar nicht mehr heraus, was für eine natürliche Sperrstunde sorgte. Man musste auf eine neue Schwerkraftphase warten oder man wusste wie man über Wartungslucken oder Lehrereingänge raus kam.
Die meisten Studenten hatten sich damit abgefunden und in einer älteren und nicht benutzten Kuppel Bars und Tanzclubs eingerichtet – sehr zum Zorn des Universitätsältesten und des Unirats, aber dennoch geduldet.
Manur hastete in Richtung der Archivbereiche im Abschnitt des Museums. Dort wurden die Artefakte seiner Expeditionen ausgestellt und dort hatte er auch eine kleine Kuppel nur für sich zur Verfügung gestellt bekommen.
Auf geradem Weg zu seinem Ziel zu kommen, war in der Universität so gut wie unmöglich. Oft musste man einen Umweg über andere Kugelräume in Kauf nehmen, da sich der Eingang, den man eigentlich hatte nehmen wollen, in eine andere Richtung gedreht hatte. Manur hatte Glück, dass sich seine Kuppel in einem der unteren Stockwerke am Rand befand, so konnte er schnell über nur zwölf Kugeln dort hingelangen.
Mit einer Grundfläche von nur acht Metern war Manurs Kugel … gemütlich. Sie gehörte zu den älteren und deshalb noch so kompakten Kugeln. Außerdem knarrte sie ohrenbetäubend, aber auch angenehm einschläfernd bei jeder Drehung.
Sie bestand aus acht gebogenen Holzsegmenten, die mit Metall überzogen waren. Etwa im unteren Drittel war der Boden eingefügt, ebenfalls aus Holz. Dieser wurde immer zur Schwerkraft ausgerichtet.
Zentral hatte Manur einen schweren Holzschreibtisch aufgestellt, den er um den halben Planeten hatte transportieren lassen, und rundherum waren alle freien Wandflächen mit Regalen zugestellt. Den Schreibtisch hatte er als Dank nach einer Expedition geschenkt bekommen. Sein Holz war spiegelglatt, er musste viele Male geschliffen und wieder lackiert worden sein. Es war ein edles Stück, in dem er über die Jahre viele Bücher, Papier und alles, was mit Schriften zu tun hatte, gesammelt hatte. Das Herzstück des verschnörkelten, geschnitzten Schreibtischs war eine an einem beweglichen mechanischen Arm befestigte, golden eingerahmte Linse.
Die Linse umfasste wiederum 12 Unterlinsen, die man ineinanderschieben konnte, um verschiedene Vergrößerungsstufen zu erreichen. Darauf war Manur sehr stolz. Sie stammte von einer anderen Expedition nach Maradan. In einem ausgehöhlten Gebirge, das als Bibliothek der Mönche bekannt war, hatte er Hinweise zusammengetragen, die zur Auffindung eines der seltensten und wichtigsten Bücher der Welt führten. Danach schenkten ihm die Bibliotheksmönche dieses alte Monokel.
Manur rannte um den wuchtigen Schreibtisch herum, um in dem Berg aus Blättern dahinter das gesuchte Schriftstück zu suchen. Es dauerte eine viel zu lange Zeit, in der er sich zum wiederholten Male vornahm, das Chaos zu ordnen.
So sehr in den Berg aus Papier vertieft, erschrak Manur, als hinter ihm ein erfreuter Laut ertönte. „Ich glaube es nicht! Du wirst doch nicht aufräumen?“
Manurs Augen entdeckten im Halbdunkel eine dürre, lange Person mit weißem Haarkranz, die sich lässig mit verschränkten Armen im Türrahmen anlehnte und ihn angrinste.
Manur entspannte sich und begrüßte seinen Freund. „Hallo Ramtan.“
Ramtams schwarze Robe bildete einen starken Kontrast zu dem wuscheligen weißen Haarkranz und sein weißer Spitzbart verlieh ihm etwas Ehrwürdiges – obwohl er das keinesfalls war.
Manur sah mit einem verschwörerischen Blick zu ihm und fragte: „Kannst du dich noch an die Expedition zu den unterirdischen Anlagen von Irmen erinnern?“
„Ha, na klar, ich weiß noch, wie genervt du warst, weil du da irgendwas nicht lesen konntest.“
„Was heißt irgendwas nicht lesen können? Es war eine unbekannte Schrift und ich hätte sie beinahe geknackt“, erwiderte Manur gespielt gekränkt. „Aber“, seine Stimme hellte sich auf, „ich bin dem Rätsel nähergekommen.“
„Wie das?“ Ramtan runzelte die Stirn und kratze sich an der Nase. Bei der Größe dieses Zinken hatte er dafür auch genügend Fläche. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du in letzter Zeit auf Expedition warst.“
„Ich habe aus verlässlichen, gut informierten und geheimen Quellen ein Dokument erhalten, das mir Aufschluss geben wird“, erklärte Manur dick auftragend.
„Hört sich an, als hätte es dir ein Barkeeper erzählt“, spottete Ramtan. „Woher weißt du das?“, blökte Manur spröde zurück.
Die großen Augen von Ramtan zeigten seine Überraschung. „Von einem Barkeeper? Wirklich?“, fragte er zweifelnd. „Das sind ja sehr zuverlässige und geheime Dokumente.“
„Na ja, geheim nicht gerade, denke ich“, gab Manur zu. „Aber ich bin mir sicher, dass da was dran ist. Das kann keiner einfach so erfinden, es passt so genau. Ich suche gerade die Aufzeichnungen der Expedition. Komm, hilf mir.“
Beide krochen sie nun zusammen durch einen Berg von Papieren. Manur fürchtete, dass sie dabei nicht den hochgebildeten Eindruck vermittelten, den man von Universitätsdozenten für gewöhnlich hatte: Er konnte nicht richtig am Boden sitzen, weil sein Bauch ihn blockierte, und Ramtan war zu langbeinig, als dass er nach vorne kam. Schwerfällig schoben sie sich gegenseitig Blätter zu, wie Kinder in Sandkasten Murmeln.
„Ich hab’s!“, schrie Manur schließlich und schneller, als man es ihm zugetraut hätte, sprang er auf und rannte zum Schreibtisch. Dort faltete er das Dokument von Sams Gast auseinander und legte die Aufzeichnungen aus Irmen daneben, um die Zeichen zu vergleichen. „Schau, ich wusste es. Es sind die gleichen Symbole.“
„Wie ist dein Barkeeper an das Schriftstück gekommen?“, wunderte sich Ramtan.
Manur musste sich zunächst setzten. Ramtan war inzwischen neugierig, verstand jedoch noch immer nicht, wieso Manur so aufgeregt war.
„Ich brauche unbedingt deine Hilfe im Rat. Ich muss noch mal nach Irmen“, platzte Manur heraus.
Ramtan schaute ihn ungläubig an und erwiderte: „Und wie soll ich das machen? Du verschlingst mehr Geld für deine Expeditionen, als die Universität hat. Schon das letzte Mal war es ein Wunder, dass wir die Genehmigung bekamen.“
„Es muss, muss, muss! Sie müssen es verstehen! Das ist etwas Weltbewegendes!“
„Das zieht nicht mehr. Das hast du schon zu oft gesagt.“
Mit einer beschwichtigenden Handbewegung schob Manur Ramtan zur Tür. „Kümmere dich darum, sobald du frei hast!“, befahl er und setzte noch ernster hinzu: „Ich werde die Schriftstücke jetzt auswerten, dann haben wir was bei der Hand.“
Damit er nicht gestört wurde, verschloss er die Tür hinter Ramtan, ehe er zum Schreibtisch zurückging.
Mit einem Holzknopf, der in den Schreibtisch eingelassen war, konnte er die große Deckenleuchte anschalten, sodass es sehr hell über dem Tisch wurde.
Trotzdem schaute Manur, bevor er sich setzte, suchend um. Wo hatte er nur seinen Einkauf hingestellt? Ach ja, zugedeckt von den durchsuchten Blättern am Boden! Dort wartete sein besonderer Schatz auf ihn. Manur zog einen der Säcke zu sich und öffnete ihn behutsam. In Inneren befand sich etwas, das wie ein Stoffknäuel aussah.
Manur wickelte und wickelte, bis sich ein kleiner Gegenstand in all den Stoffbahnen zeigte: ein etwa zwei Zentimeter hoher Zylinder, der oben und unten verglast war und dazwischen eine rote Flüssigkeit enthielt.
Eine grafisch-magnetische Linse. Zufrieden grinste Manur. Damit konnte er sein Monokel aufrüsten. Die Flüssigkeit in Verbindung mit den Linsen verstärkte alles, was sich auf Gegenständen befand.
Manur spannte die Linse vor das Monokel und schob es feierlich über das Dokument.
„Wow!“ Die Vergrößerung war nun so stark, er konnte fast unter die Tinte des Dokuments sehen. Nur, war es überhaupt mit Tinte geschrieben? Manur runzelte die Stirn. Jede Pore der Tierhaut, die als Pergament verwendet worden war, war zu sehen und vereinzelt waren auch noch Haare zu erkennen. Welches Tier mochte das gewesen sein?
Manur griff in die andere Einkaufstasche und holte die blaue Flüssigkeit, die er heute ebenfalls gekauft hatte, heraus. Aus einem weiteren Sack suchte er eine zweite Linse, die baugleich mit der ersten war. Mit einem kleinen Schraubendreher öffnete er die Schrauben der Ummantelung, kippte die Flüssigkeit heraus und füllte die neu gekaufte hinein. Nachdem er wieder alles verschlossen hatte, schaute er sich sein Werk an.
Manur hatte bei einigen Tests, die er mit Flüssigkeiten auf Steinen und Papier gemacht hatte, festgestellt, dass die Tinktur m2a3unheimlich stark vergrößerte. Das lag an der besonderen Oberflächenspannung dieser Flüssigkeitsverbindung.
Jetzt konnte er es das erste Mal in der Praxis testen – und das an einem so wichtigen Dokument. Das Monokel ächzte unter dem Gewicht, als er noch eine gefüllte Linse einspannte.
Manur zog das Gerät zu sich heran und schaute hindurch und war entäuscht. Was war das? Er sah nur Körner. War es nicht scharf gestellt? Noch mal justierte er die vielen verschiedenen Linsen und versuchte durch Veränderung der Abstände mehr Klarheit zu bekommen.
Da. Es bewegte sich was. Aber was war das? Ein länglicher, sich windender Körper … Eine Schlange? Manur schrak auf und schaute sich um. Keine Schlange zu sehen. Wieder schaute er hindurch. Die Schlange wand sich mit vielen anderen Tieren, eher Monstern, durch eine braune Masse.
Wieder schob Manur das Monokel weg, um sich umzuschauen.
Nichts Ungewöhnliches im Raum, dann mussten es die Linse sein. Vielleicht befand sich etwas in der Flüssigkeit? Manur entfernte die Linse und schaute noch mal hindurch. Alles war nun super klar und genau zu erkennen. Es musste sich tatsächlich etwas Verunreinigendes in der Vergrößerungsflüssigkeit befinden. Er wusste nicht, wie er dadurch so seltsame Dinge gesehen hatte, doch das musste die Erklärung sein. Er legte die Flüssigkeit selbst zur Kontrolle unter das Monokel und schaute drauf. „Hmmm, nichts zu sehen, klare Flüssigkeit ohne Monster.“
Konnte man vielleicht in ein anderes Universum schauen? Eine Zeit lang war die Theorie von verschiedenen Universitätskollegen vertreten worden und auch Manur hatte davon gelesen, es aber als Unsinn abgetan.
Vorsichtig schob er die Linse wieder in das Gerät und richtete es auf ein anderes Blatt Papier. „Uh! Keine Schlangen, aber die Monster sind wieder da. Gruselig! Was ist das?“
Manur lehnte sich in seinem bequemen Ohrensessel zurück und überlegte. Seine Augen huschten zwischen dem Monokel und dem Dokument hin und her. Konnte es sein, dass es so stark vergrößerte, dass er irgendeine Art Minimonster sah? Gab es etwa klitzekleine Lebewesen, die durch diese Erfindung zu sehen waren?
„Ja, das könnte sein“, spekulierte Manur. Er lehnte sich zurück, schnellte aber in nächsten Moment wieder hoch. „Igitt! Worauf sitze ich dann? Auch auf Schlangen und Monstern?!“ Er merkte schon, wie alles juckte. Sicher knabberten die an ihm.
Sein Leben würde nie wieder das gleiche sein. Seine Gedanken schossen durcheinander. Was, wenn die Monster einen Angriff planten? Sie konnten unerkannt quasi überall hingelangen. Er musste den Rat informieren oder besser noch Ramtan.
Mit wehendem Mantel schoss Manur zur Tür hinaus.
Manur suchte Ramtan in seiner Kuppel, aber die Tür war verschlossen. Ach ja, Ramtan hatte Unterricht. Er rannte zurück zur Hauptkuppel, um auf den Plan zu schauen. Kuppel 2C3, das war nicht weit weg.
Manur eilte dorthin und kam außer Atem an. Kurz sammelte er sich und versuchte, die Atmung unter Kontrolle zu bringen, bevor er klopfte. Zwei junge Studenten schoben die Tür auf und schauten neugierig heraus.
Der blonde Wuschelkopf mit grünen Knopfaugen, der hinter einem viel zu dünnen und zu langen Dunkelhaarigen stand, fragte frech: „Wer wagt es, zu stören?“ Er verschluckte sich aber gleich, als er Manur sah. „Oh“, kam es erschrocken. „Sie brauchen sicher Herrn Professor Doktor Ramtan?“ Der Junge stürmte los und rief seinen Dozenten.
Ramtan schob die Tür kurz darauf weiter auf und lugte heraus.
„Manur!“, sagte er überrascht. Seit mindestens zehn Jahren hatte er ihn nicht mehr im Unterricht gestört. „Was ist los? Ich war doch gerade erst bei dir.“
„Du musst mitkommen, ich muss dir etwas zeigen.“
„Geht das nicht nach dem Unterricht?“ Ramtan stöhnte.
„Nein“, erwiderte Manur schroffer, als er wollte.
Der Professor drehte sich um und steckte den Kopf durch die Tür in den Unterrichtssaal. „Schaut euch die Seiten 32 bis 34 an. Ich frage euch ab, wenn ich zurück bin.“
Ein kollektives Stöhnen dröhnte aus dem Raum.
Zusammen mit Manur eilte er kurz darauf zu dessen Kugel. Manur zog ihn zum Monokel, legte die Linsen ein und ließ ihn durchschauen.
„Interessant“, sagte Ramtan nach einigen Sekunden.
„Interessant?!“, erwiderte Manur. „Schrecklich kommt dem näher. Monster!“
„Aber Manur, nur da du die Kleinen so riesig vergrößerst, werden sie zu Monstern. In Wirklichkeit sieht man sie gar nicht, so winzig sind sie. Und vielleicht sind sie schon Tausende von Jahren da und wir haben sie nicht gesehen.“
„Jaja, aber vielleicht wachsen sie“, stammelte Manur.
„Manur“, sagte Ramtan ernst, „ich habe das schon einmal gesehen. In der Kuppel 247 steht eine Groß-Linse und da werden derzeit verschiedene Tests gemacht. Wir, also der Rat, hatten schon die Vermutung, dass es eine kleinere Welt als die unsere gibt. So klar wie mit deinem Monokel habe ich es noch nicht gesehen, aber uns war durchaus bewusst, dass es sie gibt. Beruhige dich und bring es aus deinem Kopf. Die Tiere, oder was es ist, tun dir nichts.“
Manur sah geknickt zu Boden. „Es ist trotzdem sehr ungewöhnlich“, sagte er trotzig. „Ich kann sicher nicht mehr gut schlafen.“
„Hast du was mit deiner Schrift herausgefunden? Wie ich sehe, beschäftigst du dich gerade damit“, sagte Ramtan in lehrerhaftem Ton, ohne auf Manurs letzte Bemerkung einzugehen.
„Äh, ich bin dabei.“
„Sag mir Bescheid, wenn du etwas herausfindest. Und dein Monokel zeigen wir dem Rat, aber erst später, wenn wir alles genauer kennen.“
Ramtan hatte recht. Manur nahm die neue Linse heraus und versuchte, die winzigen Albtraummonster aus dem Kopf zu bekommen.
Durch die normalen Linsen waren die Zeichen riesig und sehr deutlich. Es war klar, dass sie nicht per Hand mit Tinte geschrieben worden waren. Da setzte man mal stärker auf und wurde dann schwächer. Hier war hingegen alles gleich stark geschrieben oder eventuell gedruckt.
Aber es musste sehr alt sein, schließlich gab es die Schrift nicht mehr und auch Tierhaut wurde seit Ewigkeiten nicht als Pergament verwendet. Hatte man damals denn schon gedruckt? Und wieso war die Schrift noch so kräftig? Wenn sie alt wäre, müsste sie doch verblassen.
Die Buchstaben wirkten, als würden sie über der Haut schweben.
Vielleicht macht das das neue Monokel aus, dachte Manur.
Nacheinander suchte er alle gleichen Symbole zusammen. Insgesamt gab es 42 verschiedene Zeichen auf dem Dokument, genau wie in seinen Aufzeichnungen aus der Expedition.
Bei einigen Wörtern waren Bilder dabei, somit konnte Manur leichter herausfinden, was sie bedeuten sollten.
Trotzdem würde er viele Wochen, wenn nicht Jahre, benötigen, bis er alles entschlüsselt hätte. Schließlich musste er eine alte Sprache, die bisher niemand kannte, übersetzen.
„Oje“, schnaubte Manur. Er brauchte erst mal eine Auszeit.
Langsam schlenderte er durch die Kuppeln zum Ausgang. Die helle Sonne schmerzte in seinen Augen. Da die Anziehungskraft noch immer von oben kam, hakte er sich mit dem Sicherungsband ein und ging über die Stege, die Richtung Himmel zeigten.
Die Sicherung war nötig. Zwar war über der Stadt ein gigantisches Netz gespannt, aber es war nicht angenehm, da hineinzufallen. Und wenn man Pech hatte, musste man ewig warten, bis man abgeholt wurde. Auch konnte es sein, dass die Schwerkraft zwischenzeitlich wechselte und dann hing man im Netz dumm rum, bis die Hüter einen abholten.
Manur beobachtete die Vögel, die jetzt mit dem Bauch in Richtung Himmel flogen, und setzte sich kopfüber, um zu sehen, wie es von unten aussah, auf eine Ruhebank.
Unter ihm lief eine Echse, der Schwerkraft trotzend, auf der Wiese entlang und schaute verächtlich zu ihm auf. Die Tiere hatten sich im Laufe der Evolution angepasst und starke Saugnäpfe oder eine Art Wurzeln oder andere Mechanismen entwickelt, die sie am Boden hielten.
Wieso ging das mit den Menschen nicht? Es gab viele Theorien, wieso seine Spezies sich nicht angepasst hatte, aber keine schien Manur vernünftig.
Menschen waren weder außerirdische noch gezüchtete Wesen, sondern heimisch auf Garmas. Es musste also einen anderen Grund geben, aber den sollten die Evolutionskundler herausfinden. Manur war nur ein Kryptologe.
Ein Gong ertönte, Manur machte sich bereit. Die Schwerkraft würde sich jetzt zur Seite neigen. Schon wurde der Gehsteig hochgeklappt. Da der Wandel nicht abrupt passierte, konnte man während des Wechsels weiterhin gemütlich über den Bürgersteig gehen. Man durfte es nur nicht verschlafen, sonst stolperte man womöglich. Wenn man nicht auf einem künstlichen Weg stand und seitlich auch nichts da war, gab es ebenso Schwierigkeiten, da man plötzlich zur Seite abrutschte wie bei einem Abhang. Manur war schon mal über einen Kilometer weit so durch die Gegend gerutscht.
Der Gong bedeutete, es war 15 Uhr. Feierabend. Und den würde Manur nutzen, um Informationen zu den Schriftzeichen zu bekommen und vielleicht ein oder zwei Bierchen zu genießen. Also ab in die Bar.
Auf dem Weg in die Zentralkuppel Karpindanam war viel los. Viele Menschen gingen um diese Zeit von der Arbeit nach Hause oder erledigten, wenn die Läden noch offen hatten, den letzten Einkauf. Nachdem auch die Schwerkraftkabinen maßlos überfüllt waren, wurde es auf den Gehsteigen voll.
Manur presste seine Körperfülle durch die Menge. Eine Frau mit den gleichen Ausmaßen kam mit der Sicherheit auf ihn zu, dass sie nicht ausweichen würde. Manur nahm die Herausforderung an und bewegte sich ebenso. Wie in einem Westernfilm gingen beide aufeinander zu. Mit dem einen Unterschied: Manur sah die Frau, die Frau hingegen schaute durch ihn hindurch. Sie kam näher wie ein Panzer. Stampfte, schnaubte und …
Manur sprang zur Seite und ließ die Dampfwalze vorbei.
„Was ist denn mit der los?“, dachte Manur laut.
Hinter sich hörte er ein paar überraschte Ausrufe von Passanten, die ebenfalls zur Seite sprangen.
Karpindanam war wie immer von Leben erfüllt. Aus der Ferne sah es aus, als würden sich Ameisen durch den Eingang ihres Baus heraus- und hereinbewegen.
Manur zwängte sich durch den großen runden Eingang und blieb stehen, um nach oben zu schauen. Von einem Steg winkte ein Mädchen in einem roten Kleid in die Menge.
Im Innern war es etwas düster, weil die Läden weiter oben das Licht raubten. Manur peilte erneut sein Ziel oben an. Von vielen Läden war nur der Boden zu sehen. Das waren die alten Gebäude, die wie ein Vogelkäfig an einem großen Ring hingen, genau wie seine Lieblingsbar. Ganz oben an der Kuppel waren einige Gebäude dagegen falsch herum gebaut worden. Von diesen Gebäuden konnte man nur das Dach erkennen. Sie waren ausschließlich geöffnet, wenn die Anziehungskraft Richtung Himmel zog und da auch nur von 18 bis 3 Uhr früh. Das war der Vergnügungsbereich des Einkaufszentrums. Hier gab es eine große Straße, die auf die Außenkuppel aufgemalt war. Entlang der Straße reihten sich Bars, Cafés und Tanzclubs aneinander.
Den Weg zur Bar kannte Manur blind.
Eine Lautsprecherdurchsage ließ ihn aufhorchen: „Wir bitten alle Gäste des Karpindanams, sich in der Hauptaula einzufinden.“
Oje, sicher irgendeine Werbung, dachte Manur und schob sich weiter in Richtung Bar, doch der Strom der Besucher drängte ihn immer mehr zum Hauptbereich. Es hatte keinen Sinn. Er ließ sich im Besucherstrom treiben, er hatte ja Zeit. Da konnte er sich auch anschauen, was das Management der Kuppel zu bieten hatte.
Die Hauptbühne in der Mitte der Kuppel war hell beleuchtet. Das Zentrum war ein großer überdachter Platz, der wie ein Vorlesungssaal nach unten lief. Vom oberen Rand zur Mitte mochte es etwa drei Meter bergab gehen, was bei den Ausmaßen des Platzes nur ein sachtes Gefälle ergab. Aufgrund der Trichterform konnte man von allen Seiten auf die Mitte des Platzes sehen.
Alle Strahler waren auf diese gerichtet und tauchten sie in ein grelles Licht, während der Rest der gigantischen Halle im Halbdunkel lag.
Manur schätzte, dass etwa zehntausend Personen hier Platz hätten, und etwa sechstausend waren schon da. Eine dunkle, vibrierende Hintergrundmusik baute Spannung auf.
„Hmmm, was wird das werden?“, murmelte Manur. Er positionierte sich am Rand weiter hinten, da er da eine bessere Sicht hatte als ganz vorne, wo alle dicht an dicht standen.
Plötzlich färbten sich alle Lichter blau. Nur ein Strahler blieb grell weiß und beleuchtete einen Herrn im edlen Saravan, einem Umhang, der von der Hüfte bis zum Boden reichte. Das dezente Dunkelrot war mit vielen goldenen Ornamenten durchzogen, was darauf hindeutete, dass der Herr zur Upperclass gehörte.
Vielleicht einer der Inhaber von Karpindanam oder ein Schauspieler oder Ähnliches, dachte Manur, der sich nicht für so etwas interessierte und somit auch keine Promis kannte.
Als der Saravanträger das Mikrofon zu sich zog, wurde es schlagartig still. Das wunderte Manur.
„Ich begrüße Sie und bedanke mich für das zahlreiche Erscheinen.“ Die Stimme des Mannes war hart und rau.
Manur schüttelte den Kopf, als der Bühnensteher weitersprach, und dachte sich: Absolut ungeeignet für die Bühne!
Herrisch kamen die nächsten Worte durch die Lautsprecher. „Ich fordere Sie auf, sich nicht den Forderungen der AFG zu ergeben. Sie sind falsch und untergraben die moralischen Grundsätze.“
Was?, dachte Manur. Wer ist die AFG und welche Forderungen? Der Herr auf der Bühne machte eine Kunstpause und startete erneut mit bissigen Worten: „Boykottieren Sie das, was sie machen. Wir müssen jetzt beenden, was sie begonnen haben.“
Manur wurde es zu viel und ihm kam der Gedanke: Wenn jetzt alle hier sind, ist der Weg zur Bar frei.
Langsam schob er sich in Richtung einer der Ausgänge der Haupthalle, um zu verschwinden. Er kam jedoch an einer ganz anderen Stelle heraus, als er hereingekommen gar. Verwundert ging er weiter.
„Wir werden uns nicht ergeben“, hallte es noch hinter ihm her, als er die nächste Abbiegung nahm und sich freute, dass die Gänge so leicht passierbar waren.
Entlang an dampfenden Rohren und vorbei an vielen unterschiedlichen, aber jetzt leeren Läden schnaufte Manur zur Bar davon. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Lumineszenzlampen spendeten helles Licht.
Seltsam, wenn alles leer war. So hatte er die Einkaufswelt noch nie erlebt.
Keiner nirgends? Das war sehr ungewöhnlich.
Nur die stampfenden Geräusche von laufenden Maschinen waren zu hören, aber die ließen auch nach. Es wurde immer leiser, bis es ganz still war.
„Das ist unheimlich“, sagte Manur zu sich selbst und ging schneller. Das Licht schwankte, wurde dunkler und dann wieder heller. Einige Strahler gingen aus. Die werden doch nicht schließen? Nein, Karpindanam hatte nie geschlossen. Einzelne Läden ja, aber nicht der ganze Einkaufsdom. Noch mehr Lichter gingen aus, nur noch die Notbeleuchtung brannte.
„Haben die die Stromrechnung nicht bezahlt?“, witzelte Manur, um sich Mut zu machen.
Der Abstand zu den nächsten Leuchten wurde größer. Die Unsicherheit von Manur auch. Ach, bestimmt war es nur so ein Sicherheitstest. Oder?
Eilig rannte Manur durch die Gänge zur Bar. Die Tür stand weit offen.
Wenigstens haben die nicht zu, dachte Manur. Es war allerdings düster in der Bar, nur die Leuchten an den roten Samtwänden gaben ein schwaches Licht von sich und tauchten die Bar in ein sonst romantisches, jetzt eher grusliges rotes Licht.
Manur schob sich ins Lokal. Niemand war da. Konnte das sein? Kein Personal, hinter der Theke blieb es genauso leer wie auf den Stühlen.
Plötzlich wurde es hell. Manur erschrak. Ein großer Fernseher an der Rückwand der Bar direkt über der Bühne sprang an.
Der Bildschirm, der jede Kinoleinwand neidisch machen konnte, zeigt ein goldenes Flammensymbol auf tiefrotem Grund. Das Symbol der Stadt.
Seit dem großen Feuer vor 211 Jahren zierte es alles, was mit der Stadt zu tun hatte.
Das Logo löste sich auf und der Bürgermeister der Stadt erschien. Sartur war bereits seit über zwanzig Jahren der Anführer und jeder kannte ihn. Seine kurzen grauen Haare und die stahlgrauen Augen sowie sein kantiges, ehrwürdiges Gesicht mit der großen Hakennase wirkten auf Manur wie das personifizierte Recht. Tiefe Augenringe zeigten, dass Sartur lange nicht geschlafen hatte. Er sah erschöpft aus. Seine roten Augen bohrten sich in die Kamera.
„Volk, es kommen schwere Zeiten. Wir haben lange verhandelt, der Rat und ich haben unser Bestes gegeben, doch wir kommen nicht weiter. Die Armee der Fahrts rückt näher. Die Fahrts sind Barbaren und wir haben nicht viel, was wir ihnen entgegensetzen könnten. Wir sind ein friedliches Volk und keine Kämpfer. Ich habe im Süden bei den Ardonen um Hilfe gebeten.“
Manur rieb sich betroffen die Augen, die letzten Monate hatte er keine Zeitung und auch kein Fernsehen geschaut. Er hatte nicht mitbekommen, dass sich die Lage so zugespitzt hat.
Sartur atmete tief ein und man sah, dass es ihm schwerfiel, weiterzureden. „Die Ardonen wollen uns helfen.“ Seine Stimme wurde lauter. „Aber keine Hilfe ist umsonst. Sie wollen unsere fähigsten Leute. Für die Hilfe müssen wir ihnen fünfhundert unserer besten Wissenschaftler übergeben.“
Manur musste sich setzen. Das konnte doch nicht sein. Seine Gedanken schwirrten durcheinander. Wer war damit gemeint? Er? Viele seiner Freunde? Es musste etwas geben, um das zu verhindern! Ihm wurde schwindelig.
Alle weiteren Worte der Ansprache konnte Manur nicht mehr aufnehmen. Er rappelte sich auf und stolperte zur Universität.
Der Eingang war versperrt. Noch eine Stunde würde vergehen müssen, bis eine kleine Seitenkugel richtig zum Einsteigen stand. Nervös wanderte Manur auf und ab. Sollte er weiter zu einem anderen Eingang gehen oder warten?
Wussten die anderen Professoren Bescheid? Wer sollte die Studenten unterrichten?
Ein Geräusch ließ Manur aufhorchen. Auf der Hauptkuppel landete der goldene Helikopter des Universitätsrats. Sicher würde der Rat wissen, was zu tun war. Manur musste zum Unirat und zu den Vorsitzenden der Universität.
Endlich schob sich die Kugel weiter und der Eingang öffnete sich. Die Tore waren noch nicht mal halb auseinandergefahren, als Manur sich durchzwängte.
Trotz Schmerzen und Atemnot rannte er durch die vielen Hallen und Zwischenhallen zu der Hochkette, eine gigantische Kette, die auf einer Seite nach oben und über ein großes Zahnrad auf der anderen Seite hinunterlief. Ein Glied war so groß, dass drei Personen bequem daraufstehen könnten, um sich damit, wie in einem Paternoster, transportieren zu lassen. Da die Glieder der Kette quer zueinander standen, konnte man nur jedes zweite Glied benutzen. Auch waren die Glieder fast genauso hoch wie breit. Durch diese Form gab es bei jeder Schwerkraftphase eine Fläche, auf der man stehen konnte.
Heute bewegte sich die Kette für Manurs Gefühl viel zu langsam. Nach unendlich langer Zeit hatte er sein Ziel erreicht und sprang ab.
Die goldene Kuppel des Unirats.
Manur watschelte außer Atem über einen langen Gang in die Vorkuppel, in der nichts anderes als ein großer Schreibtisch vor einer großen Tür stand. Der Boden bestand aus milchig weißem Frapidstein und die Kuppel selbst war mit vielen goldenen Verzierungen geschmückt. Am Schreibtisch saß eine Frau, die ihn abschätzig über ihre Brille hinweg anschaute. Die Sekretärin.
Vor ihr hatte die ganze Universität Angst. Manur hatte in seiner Aufregung glatt vergessen, dass er an ihr vorbeimusste, und erschrak, als ihre schrille Stimme ihn aufforderte, stehen zu bleiben.
„Was wollen Sie hier?“, sagte sie schroff. „Ich kann keinen Termin in meinem Kalender entdecken.“
„Ich muss zum Universitätsrat“, platzte es aus Manur heraus.
„Holen Sie sich das Formular ‚Strich 20a8‘, füllen Sie das aus und ich werde Ihnen einen Termin vergeben. Eventuell ist schon übernächsten Monat etwas frei.“
„Das geht nicht. Es ist dringend. Weiß der Unirat, wie schlimm die Lage mittlerweile ist?“
Vorwurfsvoll fixierte die Sekretärin Manur über den Rand der Brille hinweg. „Es ist der Universitätsrat. Natürlich weiß er, was vorgeht. Ich denke nicht, dass ihm das ein kleiner Professor mitteilen muss.“
Wie ein kleiner Schuljunge beschämt auf die Schuhe starrend, nahm Manur die Worte auf. Was hatte er sich gedacht? Dass er das Neueste vom Neuen gehört hatte? Es lief im Fernsehen! Natürlich war es schon vorher besprochen worden. Wie konnte er nur so naiv sein?
„Was ist? Wollen Sie das Formular nun haben?“, ächzte die Sekretärin.
„Nein, nein“, sagte Manur langsam und schlich rückwärts zum Ausgang.
Niedergeschlagen setzte sich Manur wieder an seinen Schreibtisch. Er starrte vor sich hin und seine Gedanken kreisten um das, was er im TV gesehen hatte. Was konnte er nur unternehmen?
Sein Blick fiel wieder auf das Schriftstück. Nur um sich zu beruhigen, schaltete er das Monokel an und richtete es auf das Blatt aus. „Halt, die letzte Vergrößerung muss raus“, sprach er zu sich. Monster brauchte er jetzt nicht auch noch.
Die Hyroglyphen nahmen schnell seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Viele Zeichen auf dem Blatt wiederholten sich und glichen denjenigen, die er an den alten Gebäuden gefunden hatte. Was war da noch oberhalb der Wörter? War da etwas zu erkennen? Er drehte am Monokel, um schärfer zu sehen. Jemand hatte etwas darübergeschrieben und wegradiert.
Manur versuchte, die Zeichen mit einem weichen, leicht wieder abwischbaren Stift nachzubilden.
Das erste Wort war „Stadt“. Sollte es eine Übersetzung des Wortes darunter sein?
Manur machte weiter und mehr und mehr Wörter kamen zum Vorschein.
Wenn das stimmen sollte, konnte er damit nicht nur den Rest übersetzen, sondern auch die Schriften an den Wänden der ausgegrabenen Stätten.
Die ganze Nacht und auch den ganzen Tag arbeitete Manur daran, die Buchstaben aneinanderzureihen und einen Sinn dahinter zu finden.
Etwas juckte ihn am Arm. Blinzelnd öffnete er die Augen. Er musste eingeschlafen sein. Manur richtete sich vom Schreibtisch auf und massierte sich den Nacken.
Sein Blick fiel auf das Dokument. Was war das? Wenn er seitlich drauf sah, konnte er über den Buchstaben und darin noch andere Linien erahnen. Er zog das Monokel zu sich heran und spähte damit von der Seite auf die Wörter. Ja, da war etwas. Schnell schob er andere Linsen ein und stellte das Bild schärfer. Eindeutig Linien, die man nicht direkt von oben erkennen konnte.
Aber sie ergaben keinen Sinn. Nur Striche ohne Bedeutung.
Manur stand auf und ging unruhig im Raum hin und her. Fluchend stieg er über die Berge von Blättern, die sich noch immer nicht selbst aufgeräumt hatten, und überlegte.
Vielleicht stimmte der Blickwinkel noch nicht. Er stürmte zum Vergrößerungsgerät und schaute von ganz unten schräg auf die Zeilen. Langsam veränderte er die Ansicht nach oben. Dabei bewegte er sich auch von links nach rechts.
Da! Als er im Winkel von 45 Grad und einer Höhe von 45 Grad auf das Schriftstück spähte, formten sich aus den vielen kleinen Strichen unscharfe Symbole.
Schlecht zu erkennen, aber zu erkennen.
Das musste das Zeichen für ein Gebäude sein, das nächste das für eine Spitze oder möglicherweise für ein Gerät. Weitere Zeichen waren zu erkennen: eine Sonne, daneben Wasser und ein weiteres, das eine Kuppel darstellte.
Was bedeutete das? Manur kratze sich am Kopf. Er hatte das Gefühl, dass es etwas Wichtiges war, aber so ergab es keinen Sinn. Er holte wieder die Schriften hervor, die er in Irmen zusammengestellt hatte, und verglich die Symbole. Ein Symbol zeigte auch hier eine Stadt mit einer Kuppel. Er wusste, dass auch die alten Städte sich vor der wechselnden Schwerkraft schützen mussten. Also war es logisch, dass es damals ein Netz oder etwas Ähnliches gegeben hatte.
„Ich schau mir das noch mal genauer an“, sagte er zu sich selbst und legte das Symbol unter das Monokel.
Es wirkte nicht wie eine Kuppel aus Netzen, eher wie Glas. Auch war es ein echtes Wunder, wie detailgetreu das Symbol war. Man konnte unter der Vergrößerung sogar einzelne Gebäude erkennen.
Wie war das möglich? Wer konnte so fein zeichnen, dass auf einem fingernagelgroßen Symbol eine ganze Stadt zu sehen war? Manur stellte die Vergrößerung nochmals hoch. Ja, tatsächlich! Viele kleine Häuser. Ein Turm, Wege, Gassen – er konnte alles erkennen, sogar die Details an den Häusern wie Türen und Lichtöffnungen. Es wirkte für Manur so, als könne er in dem Symbol in eine andere Welt schauen. Dabei war alles nur gezeichnet.
Das konnte nicht sein. Er verschob das Monokel zum nächsten Symbol, das man bereits mit bloßem Auge als Wasser erkennen konnte. Unter der Vergrößerung sah man jedoch viel mehr. Es war ein gigantischer Wasserfall. Darin hingen Wasserräder und es sah sogar so aus, als würden sie sich drehen. Eine optische Täuschung, aber sehr gut gemacht.
Gleich das nächste Symbol: die Spitze. Hier erkannte er einen hohen, spitz zulaufenden Turm. Unter dem Dach, das mit roten Schindeln bedeckt zu sein schien, waren gotische Spitzfenster zu sehen. Der Turm bestand ansonsten aus makellosem Sandstein – es musste Sandstein sein, man erkannte sogar die Struktur und es sah so aus, als wäre er aus einem Stück.
Als Manur die Vergrößerung weiter erhöhte, konnte er durch die Fenster einen Stuhl erkennen, der im Inneren des Turmes stand.
Das konnte nicht echt sein! Manur wischte sich über die Augen, die von der Anstrengung müde wurden, und schaute noch einmal nach. Es blieb dabei. Ein Stuhl. Oder wollte er nur einen Stuhl sehen? Er würde später Ramtan fragen, ob auch er den Stuhl sah.
Manur musste sich setzen.
Ihm wurde schwindelig. Wer konnte so etwas herstellen? Ja, es gab den Buchdruck, der auch Bilder sehr gut wiedergeben konnte. Aber die waren viel größer und es war darauf nicht so viel zu erkennen wie in diesen Symbolen.
Er musste alle Zeichen auswerten. Es musste sich so konzentrieren, dass seine Augen anfingen zu brennen! Er rieb sich darüber, legte den Kopf kurz auf den Schreibtisch, um die Augen etwas zu schonen, und schlief ein.
Ramtan stand vorwurfsvoll neben Manur, stupste ihn an und meinte: „Ist der Tisch bequemer als dein Bett?“
Manur schrak auf, er hatte nur leicht geschlafen und war gleich wieder voll da. „Ramtan, weißt du, was im Land los ist?“
Ramtan schaute zu Boden. „Seit Wochen wird über nichts anderes mehr gesprochen. Dass sich die Lage so zuspitzt, hätte keiner gedacht.“
„Was sollen wir jetzt machen?“, brachte Manur mit verzweifelter Stimme hervor.
„Das weiß nur der hohe Rat. Im Moment ist eine Krisensitzung im Gange, zu der nur die Obersten eingeladen wurden.“
Ein Rascheln am Eingang zu Manurs Arbeitszimmer ließ die beiden herumfahren. Aus dem Halbschatten von außerhalb der Tür lugte ein blonder, wuscheliger Haarschopf in den Raum.
„Sinas, was machst du da?“, krächzte Ramtan. „Belauschst du uns?“
„N-n-nein“, meinte der Junge kleinlaut und schob sich ins Licht zwischen den Türbogen. „Ich wollte in die alten Kugeln, war aber zu spät. Der Eingang war schon zu, da musste ich wieder zurück.“
„Und da ist es natürlich schwerer, an einer geöffneten Tür vorbeizugehen, statt zu lauschen“, spottete Ramtan.
„Äh, so war es nicht“, erwiderte Sinas, die Augen zu Boden gewandt.
„Wie war es dann?“
„Okay, ja, ich wollte hier vorbeikommen.“ Im fahlen Licht sah der junge Anwärter gespenstisch dürr und kreideweiß aus. Seine Augen waren, genauso wie sein Kopf, zu groß für den kleinen, zierlichen Körper. Na ja, das würde sich noch verwachsen.
Sinas wollte sich umdrehen und langsam wegschleichen, aber Manur sagte: „Stehen bleiben.“
Sinas drehte sich mit ängstlich gerunzelter Stirn um. Er brachte kein Wort hervor.
„Du weißt doch, wo sich die Oberklässler abends treffen, richtig?“
Mehr als ein „Mhm“ brachte Sinas nicht hervor. Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen seiner viel zu großen Latzhose und starrte Löcher in den Boden.
„In welcher Kuppel sind sie heute?“
Sinas‘ Augen weiteten sich und ein Aufbäumen gegen die Obrigkeit spiegelte sich in ihnen wider.
„Das ist geheim“, platze es aus ihm raus. „Ich kann nichts sagen. Sie vertrauen mir.“ Langsam füllten sich die Augen des Jungen mit Wasser.
„Keine Angst, Sinas“, sagte Manur. „Ich brauche nur die Hilfe einiger Jungs. Wir verraten auch nicht, dass wir es von dir wissen.“
Ramtan hob die Brauen und sah Manur vorwurfsvoll an.
Der redete weiter beruhigend auf den Jungen ein: „Die werden begeistert sein, wenn sie sich etwas dazuverdienen können!“
Sinas beäugte Manur mit ungläubigen, großen Augen. „Und Sie verraten wirklich nichts?“
„Großes Ehrenwort.“
Der Junge sah zu Boden und flüsterte: „Kugel 17a.“
„Du hast uns sehr geholfen. Geh nun in dein Zimmer, du solltest eigentlich schon schlafen“, rügte Ramtan ihn.
Unsicher spähte der Wuschelkopf von einem zum anderen und trollte sich.
Nachdem Ramtan die Tür geschlossen hatte, fragte er: „Bist du verrückt? Was sollte das eben? Was dazuverdienen? War das ein Trick, um die verbotenen Lager zu räumen?“
Manur lachte. „Nein, ich meinte es wirklich so.“
Ungläubig schüttelte Ramtan den Kopf. „Ich glaube, du bist überhitzt.“
„Komm her, ich zeig es dir“, erwiderte Manur.
„Boah, ist es hier staubig.“ Ramtan duckte sich, denn die Gänge in den untersten Ebenen waren nicht gerade hoch. Manur konnte aufgrund seiner knappen Größe ohne Probleme aufrecht stehen. Die Kugel 17a gehörte zur ursprünglichen Universität. Früher wurde unterirdisch gebaut, damit keiner nach oben fallen konnte. Das konnte so leichter garantiert werden und erforderte weniger Material.
Es wurden runde Höhlen in den Sandstein gehauen, in denen dann Holzkugeln, die wie Fässer konstruiert waren, in unterschiedlichen Raumgrößen eingesetzt wurden.
Die Holzkugeln in der Sandsteinkugel konnten sich ebenfalls von selbst nach der Schwerkraft ausrichten. Allerdings schliff sich der Stein mit der Zeit ab und die Kugeln fingen an, zu eiern. Ein weiteres Problem war der Staub, der durch das Abscheuern entstand. Deshalb wurden diese Räume nicht mehr genutzt.
Manur blieb vor einer Absperrung stehen. Zwei Latten, die zu einem Kreuz zusammengenagelt waren, versperrten ihm den Weg. Auf einem hochoffiziellen Zettel vom Universitätsrat stand da zu lesen: Der Zugang ist gefärrrlich, reingehen verbotten. Der Unirat
Vielleicht war es doch eher vom Hausmeister geschrieben als vom Unirat.
Ramtan schaut zweifelnd zu Manur. „Sollen wir da wirklich durch? Da ist doch sicher seit Jahren keiner reingegangen. Vielleicht hat Sinas uns an der Nase rumgeführt, um uns eins auszuwischen.“
„Mhm.“ Manur machte ein nachdenkliches Gesicht, was ihn, wie er wusste, wie eine bissige Bulldogge aussehen ließ. „Es wäre aber der perfekte Ort.“
„Was? In dem Staubloch?!“, erwiderte Ramtan angewidert.
„Hier geht sonst sicher keiner rein.“
„Und das ist gut so!“, gab Ramtan gereizt zurück.
„Lass uns gehen.“ Mit diesen Worten zerrte Manur Ramtan hinter sich her.
Der Gang machte einen Knick nach links und ging dann in die entgegengesetzte Richtung abwärts weiter. Es sah so aus, als würde man Schlangenlinien gehen. Das lag daran, dass man um verschieden Kugelräumen herumging.
Nach zwei weiteren Kurven in verschiedene Richtungen kamen sie an einer größeren Kugel an. Neben der Tür führte der Gang nach links wie nach rechts weiter.
Soweit unten war es dunkel, es glühte nur noch alle vier Einheiten eine Lampe.
Die Tür, vor der sie standen, hatte schon bessere Zeiten gesehen. An einigen Stellen war das Holz abgesplittert und wirkte morsch und modrig. Der eiserne Griff in Form einer Sonne war ebenfalls rostig und abgegriffen.
Leise erklang Musik. Ramtan und Manur lauschten, aber es waren nur einzelne Töne zu hören. Die alten Kugeln besaßen dicke Wände und die Holztür, wenn auch morsch, dämpfte mit ihrem dicken Holz jedes Geräusch.
Ramtan hob die Brauen. „Da ist tatsächlich jemand drin.“
Manur klopfte ans Holz und sofort fielen Späne zu Boden.
Niemand öffnet. Er schaute zu Ramtan und drückte die Klinke runter.
Mit einem Knarren, aber trotzdem überraschend leicht öffnete sich der Verschlag und ließ den Blick frei in den großen Raum. Mit einem Durchmesser von 30 Einheiten gehörte er für damalige Verhältnisse zu den größten Hallen in der alten Universität.
An der Decke glomm, mehr als dass sie leuchtete, eine Lumineszenzlampe. Diese wurden oft eingebaut, da sie ohne Strom auskamen. In den alten Kugeln konnten durch die Bewegung der Kugeln ohnehin keine Leitungen eingebaut werden. Bei den heutigen Rundräumen hatte man neue Möglichkeiten dafür gefunden. Die Lumineszenzlampen waren mit einer Flüssigkeit gefüllt, die die Bewegungsenergie der Kugeln in Licht umwandelten. Nur war die Flüssigkeit in dieser Lampe schon lange nicht mehr getauscht worden, deshalb konnte man nicht viel im Raum erkennen.
Manur machte den ersten Schritt hinein und zog seinen Fuß gleich wieder irritiert zurück, als er nicht auf geraden Boden traf. Er bückte sich, um nachzuschauen, was da war. Die Kugel glich sich nicht mehr optimal aus. Vermutlich war der Raum zwischen der Kugel und der äußeren Hülle mit Schutt vom Abrieb vom Drehen aufgefüllt worden. Deshalb hatte sich die innere Kugel nicht vollständig gedreht. Dadurch hing der Boden, der im unteren Drittel eingebaut war, schräg nach rechts herunter.
Am anderen Ende der Halle bewegte sich etwas. Manur ging vorsichtig in den Raum, stark gegen die Neigung zurückgelehnt, und kam sich wie ein Seemann bei Sturm vor. Er verlagerte sein Körpergewicht nach links und konnte dadurch besser stehen.
Langsam gewöhnten sich auch seine Augen an das fahle Licht. Er erkannte mindestens fünf Personen, die hinten an der Wand gelehnt mit angewinkelten Beinen herumlagen.
Manur ging näher und nun traute sich auch Ramtan in den Raum.