Piper House - Phillippa Penn - E-Book

Piper House E-Book

Phillippa Penn

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Beschreibung

Betty ist eine angehende Künstlerin, als sie den superreichen Ewan trifft. Sie verlieben sich Hals über Kopf und werden ein Paar. Doch schon ein Jahr nach der Hochzeit ist alles anders: Betty ist nur noch ein Schatten ihres kreativen Selbst. Sie hat sich eingefügt in die Rolle der High-Society-Ehefrau. Zwischen dem Wunsch, dazuzugehören, und der Frustration über die oberflächliche Glamour-Welt löst sie sich langsam auf. Auch Ewan erkennt seine Frau kaum wieder. Als er von einer Intrige erfährt, in deren Zentrum Betty steht, nimmt er Reißaus. Hat er sich wirklich so sehr in ihr getäuscht? Nach wochenlanger Funkstille landen beide dort, wo sie zuletzt so richtig glücklich waren: Nantucket. Ihren Gefühlen können sie auf der Insel nicht mehr aus dem Weg gehen. Irgendwie müssen sie sich in ihrem Sommerdomizil Piper House arrangieren ... und herausfinden, ob sie einander überhaupt noch vertrauen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für alle,

die schon einmal

Vertrauen zurückgewinnen mussten.

ZUM INHALT

Vielen Dank, dass du PIPER HOUSE – Painting Trust liest. Ich freue mich darauf, die Liebesgeschichte von Betty und Ewan mit dir zu teilen.

Vorab ein paar Hinweise:

Diese Lovestory wurde für ein erwachsenes Publikum geschrieben. Sie enthält explizite Sprache (Flüche, Schimpfworte, etc.) und einvernehmliche sexuelle Handlungen.

Diese Geschichte setzt sich außerdem mit Themen auseinander, die für manche Menschen schwer auszuhalten sein könnten. Dazu zählen:

Verlustängste und Liebeskummer Übermäßiger Alkoholkonsum Üble Nachrede Untreue Verrat

Bitte lies dieses Buch nur, wenn du dich einer Auseinandersetzung mit diesen Themen gewachsen fühlst.

Die Figuren in dieser Geschichte sind allesamt fiktiv. Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen sind rein zufällig.

Ich wünsche dir unterhaltsame Lesestunden!

Phillippa

PLAYLIST

July

Noah Cyrus

Burning Down

Alex Warren

Suburban Legends

Taylor Swift

Moral of the Story

Ashe feat. Niall Horan

Too Close (Acoustic)

Alex Clare

The Prophecy

Taylor Swift

Please Don’t Leave Quite Yet

Adam Agin

The Last Great American Dynasty

Taylor Swift

This Is Me Trying

Taylor Swift

Who We Are

Hozier

Ocean Eyes

Billie Eilish

Work of Art

Benson Boone

Chemtrails Over The Country Club

Lana Del Rey

Eat Your Young

Hozier

First Call

JESSIA

Secrets Don’t Make Friends

Hael

Cry

Benson Boone

This Love

Taylor Swift

Scanne den Code mit der Spotify-App für die komplette Playlist!

ORIENTIERUNG

Zu Beginn jedes Kapitels in diesem Buch findest du ein Datum, eine Uhrzeit und eine Adresse. Diese Informationen sollen dir helfen, die Handlung zeitlich und örtlich einzuordnen. Das Setting und das Jahr, in dem wir uns befinden, wechselt nämlich gelegentlich.

Einige Orte in PIPER HOUSE – Painting Trust sind fiktiv, andere existieren wirklich entlang der amerikanischen Ostküste. Du kannst sie virtuell entdecken, wenn du die Adresse in eine Suchmaschine deiner Wahl eingibst.

Um es dir zu erleichtern, dich mit Betty und Ewan durch Nantucket und Providence zu bewegen, habe ich eine digitale Karte vorbereitet. Du kannst sie mithilfe dieses Codes aufrufen:

Viel Spaß in New England!

Phillippa

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

RÜCKBLICK: DIE BEGENUNG

KAPITEL 4

KAPITEL 5

RÜCKBLICK: DER ANRUF

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

RÜCKBLICK: DIE ZEICHENSTUNDE

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

RÜCKBLICK: DAS GESTÄNDNIS

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

RÜCKBLICK: DAS DATE

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

RÜCKBLICK: DIE ÜBERE AHRT

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

RÜCKBLICK: DAS VERSPRECHEN

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

EPILOG: NEUE UFER

KAPITEL 1

Betty

Donnerstag, 31. August 2023, 09:18 a. m. Prospect Street, Providence, Rhode Island

Ich dachte nicht, dass ich dieses Haus einmal ganz allein bewohnen würde. Es war schon für zwei Personen zu groß, nur für mich ist es obszön riesig.

Überall ist zu viel Platz: in der Küche, im Wohnzimmer, im Kingsize-Bett und an dem großen Doppel-Waschtisch im Bad. Der weite, leere Raum macht mich unruhig. Ich weiß gar nicht, wohin mit meinen Gefühlen.

Meine Gedanken wiederum, die liegen überall verstreut. Sie sind unsichtbare Krümel auf dem langen Esstisch, Flusen auf dem Perser-Teppich, Hundehaare auf dem Sofakissen. Obwohl hier gar kein Hund wohnt.

Nicht mehr.

Niemand springt mehr neben mir auf die Couch (obwohl er genau weiß, dass er das nicht darf) oder rollt sich über meine Yoga-Matte. Niemand beäugt mehr gierig meinen Teller oder leckt die Brösel auf, die vom Tisch fallen.

Weil es auch keine Brösel mehr gibt.

Ich frühstücke nicht mehr so wie früher, gestikulierend und lachend und so, dass sich der goldgelbe Blätterteig meines Croissants überall hin verteilt.

Mir sitzt auch niemand mehr gegenüber, der mich zu Diskussionen anstachelt oder zum Lachen bringt, während er große Zeitungsseiten umblättert.

Es gibt keine verstohlenen Blicke über die Schlagzeilen des Tages mehr, keine spielerische Zankerei über die letzte Erdbeere auf dem Obstteller. Niemand beugt sich mehr über den Tisch für einen Kuss und verschüttet dabei den Kaffee.

Den Kaffee … Immerhin, den gibt es noch.

Die Flüssigkeit in meiner Tasse hat noch immer denselben Braunton, dasselbe Verhältnis von Filterkaffee und Milch. Und trotzdem wirkt er irgendwie blasser.

Farbloser.

Wie alles andere.

Alles hat an Lebendigkeit verloren.

Selbst die Zimmerpflanzen wirken weniger grün, was bemerkenswert ist, denn ich glaube, die Hälfte von ihnen ist aus Plastik. Genau weiß ich es nicht, denn ich habe mich hier nie um die Pflanzen gekümmert. Genauso wenig um den Hausputz, die Wäsche, das Abendessen oder das Frühstück, wenn wir schon dabei sind.

Nicht einmal meinen Kaffee habe ich mir selbst gekocht. Auch heute nicht. Bei dem Gedanken kippe ich ihn hinunter, als wäre er gar nicht heiß.

Was ist schon ein bisschen Brennen in der Kehle?

Es reicht ja doch nicht aus, um wirklich etwas zu spüren.

Ich stelle die leere Tasse auf die kühle Arbeitsplatte der Kücheninsel.

„Madam, wie möchten Sie Ihre Eier?“, fragt mich Alfred vom Herd her. „Sunny Side up?“

Ich lächele. Also nicht wirklich, aber meine Mundwinkel tun das, was einem Lächeln am nächsten kommt. „Over Easy, bitte.“

„Jawohl, wie Sie wünschen.“ Er neigt, ganz der Butler, den Kopf und wendet das Spiegelei in der Pfanne.

Es fühlt sich so falsch an.

Jeder neue Tag fühlt sich falsch an.

Der Sonnenschein ist wie eine Verhöhnung. Egal, ob er am Himmel oder im Eidotter auf meinem Teller erscheint.

Alfred richtet die Eier mit Tomatenscheiben und ein paar Stangen gegrilltem grünen Spargel an. „Was haben Sie heute geplant, Madam?“, fragt er beim Servieren.

Ich hole tief Luft. „Pilates, dann eine Verabredung zum Lunch.“ Ich greife nach dem Besteck, das er mir hinhält. „Danke. Das sieht köstlich aus.“

Tut es wirklich, aber ich habe weder Appetit noch die angemessene Begeisterung dafür. Etwas lustlos fange ich an, das Gemüse und das Ei zu schneiden und auf meine Gabel zu schieben.

„Sie essen heute Mittag also auswärts?“, erkundigt sich mein Butler.

Ich nicke und merke, wie sich mir schon beim Gedanken an die Verabredung der Magen umdreht.

Seit der Trennung werden solche Treffen zunehmend unangenehmer. Ich weiß nie, was ich sagen soll, wenn mich eine der anderen Ehefrauen nach Ewan fragt.

Und ich denke, so langsam wittern sie, was bei mir und meinem Mann los ist. Dabei weiß ich im Grunde nicht einmal selbst, was los ist.

Ich verstehe nicht, warum er so plötzlich Abstand und eine Pause gebraucht hat. Warum er von heute auf morgen nicht mehr bei mir sein wollte. Und vor allem verstehe ich nicht, warum ich trotzdem noch hier bin. Warum ich noch in diesem Haus lebe, warum ich nach wie vor von den Hausangestellten versorgt werde, warum meine Kreditkarten nicht gesperrt wurden und warum ich noch immer zu den Anlässen und Treffen der feineren Gesellschaft eingeladen werde.

Diese ganzen Leute – die Ehefrauen und Schwestern, die formvollendeten Ladys und Society Girls – waren nie meine Leute. Es waren immer seine Leute.

Vielleicht gehe ich deswegen immer wieder hin, weil ich hoffe, ihn unter seinesgleichen wiederzusehen. Weil ich hoffe, dass wir wieder als Paar auftreten, wieder als Paar leben.

Die Wahrheit ist: Ich habe dieses komfortable Leben genossen. Zumindest solange er an meiner Seite war.

Aber nun, wo er weg ist … Es kommt mir vor wie eine Farce. Und gleichzeitig weiß ich beim besten Willen nicht, was ich sonst mit mir anfangen soll.

Nichts, was ich allein tun könnte, erscheint mir in diesen Tagen wirklich reizvoll.

Alles, was mir sonst Spaß bereitet hat, ruht jetzt unter einer dicken Staubschicht. All meine kreativen Impulse schlafen irgendwo tief in mir. Ich bewege mich durch die Tage wie eine Schlafwandelnde. Vielleicht auch, weil ich noch glaube, irgendwann aus diesem furchtbar deprimierenden Traum aufzuwachen.

Mein Smartphone leuchtet auf. Eine Erinnerung, mich in mein Sportoutfit zu zwängen und auf den Weg zu machen.

Ich lasse das Besteck sinken und lege es ordentlich auf den Teller, von dem ich kaum gegessen habe. „Vielen Dank, Alfred. Ich muss leider los.“

Bevor ich meinen Barhocker selbst zurückrücken kann, ist der Butler schon hinter mir und hilft mir aus dem Sitz.

„Nehmen Sie sich doch den Abend frei“, schlage ich ihm vor, „Ich werde auch zum Dinner auswärts essen.“

Es ist eine glatte Lüge, denn ich habe keine Verabredung am Abend. Aber später allein zu sein, ist gerade eine angenehmere Vorstellung, als Alfred dabei zuzusehen, wie er wieder Köstlichkeiten für die Tonne kocht.

„Wie Sie wünschen, Mrs. Wainstead.“ Er neigt den Kopf. Dann, für einen kurzen Moment, sieht er mich aus seinen stahlgrauen Augen an. Sie haben denselben Ton wie sein dünner werdendes Haar, sind eingerahmt von einem Geäst aus Falten – das Resultat von Jahrzehnten des höflichen Lächelns. Und in ihnen, in der Tiefe seines Blicks, liegt ein gewisses Verständnis.

Eine kluge Ahnung.

Aber vor allem: Mitleid.

Als ich es erkenne, schaue ich schnell weg.

Scham verbrüht mich von innen und meine nächsten Worte sind nur ein Nuscheln: „Genau. Bis morgen dann.“

Alfred scheint mein Murmeln zu verstehen. Er macht einen Schritt zur Seite, sodass ich mir mein Handy greifen, an ihm vorbeihasten und den Raum verlassen kann.

Die Haussandalen an meinen Füßen machen knappe, klatschende Geräusche auf dem Marmorboden. Jeder Schritt ist im Takt mit meinem hektisch klopfenden Herzen. Ich lasse den Frühstücksduft und die Wärme der Küche hinter mir. Im Treppenhaus stolpere ich fast über den Läufer, bevor ich die erste Stufe ins Obergeschoss nehme.

Alfreds Blick … darauf war ich nicht vorbereitet.

Sein Mitgefühl in allen Ehren, aber so angeschaut zu werden, ist gerade das Allerletzte, was ich will.

Ich stürze die Treppe hinauf, biege ab ins Schlafzimmer und schlage die Tür hinter mir zu.

Es ist unbefriedigend.

Keine Tür in diesem Haus knallt, wenn man sie ins Schloss wirft. Alles ist gedämpft, friedlich, wie in Watte gepackt. Es macht mich schier wahnsinnig!

Ich muss irgendetwas tun. Irgendetwas werfen, irgendetwas zerbrechen, irgendetwas …

Ich trete die Sandalen ab und schleudere sie durch den Raum. Schon im nächsten Moment bereue ich es, weil meine Füße nun in den flauschigen, kalkweißen Teppichboden sinken. Warum ist alles so weich?

Warum ist alles so bequem, luxuriös und sanft?

Ich gehe zum Bett, das in der kurzen Zeit, in der ich beim Frühstück war, schon für mich gemacht wurde. Zweifellos das Werk von Gosia, der Haushälterin. Ich schnappe mir eines der lächerlich vielen Decor-Kissen, die sie so liebevoll drapiert hat, und presse es gegen mein Gesicht.

Ich schreie. Ich schreie hinein in seine plüschige Füllung und in die ganze Geborgenheit, die mich umfängt.

Ich schreie, weil nichts Sinn ergibt.

Nicht mehr.

Warum bin ich noch hier?

Warum sind alle so nett zu mir?

Warum kümmern sie sich noch um mich?

Und am wichtigsten: Warum schaut Alfred mich so an?

Er darf mich nicht so ansehen!

Denn wenn mich jemand so ansieht, dann heißt das, dass ich meine Verzweiflung längst nicht mehr gut genug verberge.

KAPITEL 2

Ewan

Donnerstag, 31. August 2023, 09:55 a. m. Polpis Harbor, Nantucket, Massachusetts

„Komm her, Bentley! Na, komm!“

„Zum letzten Mal, Les …“ Ich verdrehe die Augen, während ich die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meinem Glas schwenke. „Der Hund heißt Jersey.“

Lester schnaubt nur. Eine rotblonde Strähne fällt ihm ins Gesicht, während er weiter auffordernd mit einem Hundekeks herumwedelt. „Bentley würde viel besser passen.“

„Tja …“ Ich nehme einen Schluck, registriere zufrieden, wie der Whisky in meinem Rachen brennt. „Ist mir ehrlich gesagt völlig egal, was deiner Meinung nach besser zu ihm passen würde.“ Ich lehne mich in meinem Sessel zurück. „Er heißt Jersey.“

Mein Cousin schmunzelt. „Bist du immer so bissig, wenn es um deinen Welpen geht?“ Er lässt endlich den Labrador in Frieden und schlendert zu mir herüber. „Oder nur, wenn es um Betty Rae geht?“

Wie er ihren Namen ausspricht, passt mir gar nicht.

Dass er ihn überhaupt ausspricht, passt mir gar nicht.

Ihr Name brennt stärker als der Alkohol in meinem Getränk. Ich leere fast das halbe Glas in meinem nächsten Zug.

„Es geht hier nicht um sie“, sage ich rau.

„Nein?“ Lester blinzelt, während er es sich auf der Polsterbank, die die Kabine auf der Backbord-Seite säumt, bequem macht. „Also hast du diesen entsetzlichen Namen für den Hund ausgesucht?“

„Nein, sie …“ Ich stelle mein Glas auf dem polierten Mahagonitisch zwischen uns ab. Härter als beabsichtigt. „Reden wir über etwas anderes, okay?“

„Zum Beispiel?“ Interessiert lehnt sich Lester über den Tisch, greift nach der Kristallkaraffe in der Mitte und spielt mit dem Deckel, als würde er überlegen, sich auch einen Drink zu genehmigen.

Aber das wird er nicht tun. Er trinkt niemals.

Ein Typ wie Lester braucht keinen Alkohol, um sich selbst einen Kick zu verschaffen. Er wurde mit einem unendlichen Vorrat an Kicks geboren.

„Du wirst doch wohl irgendwas zu erzählen haben.“ Ich fasse mir an die Nasenwurzel. Kriege ich eine Sinusitis oder sind das schon die Vorboten der Kopfschmerzen, die ich nach diesem Glas zu erwarten habe? „Schließlich fliegst du doch auf den ganzen Society-Events herum!“

„Oh, ich habe sie gestern nicht auf der Cocktail-Party deiner Eltern gesehen, falls du das meinst.“

Lester sieht mich an und ich kann nicht richtig erkennen, ob sein Lächeln mitfühlend oder spöttisch ist.

Vielleicht habe ich meine Kontaktlinsen falsch herum eingesetzt. Vielleicht ist es der Whisky.

Ist ja auch eigentlich egal.

„Das meinte ich nicht“, sage ich und bin doch irgendwie enttäuscht zu hören, dass sie nicht dort war.

Betty liebt meine Mutter und die extravaganten Partys, die sie schmeißt. Wenn es eine Person gibt, die meine Frau raus aus der Stadt und nach Nantucket locken könnte, dann ist das meine Mom.

Wenn Betty nicht einmal zu ihrem End-of-Summer-GetTogether kommt, dann muss sie wirklich mit meiner Familie abgeschlossen haben. Und mit mir.

„Fuck.“ Ich greife wieder nach meinem Glas, trinke noch einmal … und noch einmal. Schluck für Schluck, bis mir das Getränk aus der Hand genommen wird.

„Ich denke, du hattest genug. Es ist zu früh am Morgen für diesen Mist.“ Les stellt den Tumbler gerade so hin, dass er außerhalb meiner Reichweite ist.

Ich schnaube. „Ich denke, das geht dich einen Scheißdreck an.“

Er lacht auf, dann seufzt er. „Ernsthaft, Ewan. Es reicht. Du hängst seit vier oder fünf Wochen auf diesem Boot herum.“ Er betont es so, als würden wir uns auf einer schwimmenden Kakerlake befinden, anstatt auf einem kleinen Luxus-Segler. „Du betrinkst dich, verschläfst den ganzen Sommer …“

Er nickt in Jerseys Richtung, der gerade auf einem Paar Ferragamo-Schuhe herumkaut. „Du langweilst selbst deinen Köter und, mit Verlaub …“ Er rümpft die Nase. „Du stinkst.“

Ich lache bitter. „Dann hau ab. Ich habe dich nicht hergebeten.“

„Oh, glaub mir, ich wäre nicht hier, wenn es nach mir ginge.“ Les rückt sein ohnehin makellos sitzendes Jackett zurecht. „Aber du hast mich sehr wohl um etwas gebeten und ich bin hier, um es dir zu überreichen.“

Er legt die Papiere auf den Tisch.

Ich mache keine Anstalten, danach zu greifen.

Lester seufzt. „Und mal abgesehen davon … Dein Dad wird langsam ungeduldig.“

„Ach ja, wie geht’s Maxwell?“, erkundige ich mich. „Vögelt er noch seine Sekretärin?“

„Ich soll dir Grüße ausrichten“, beantwortet Les meine erste Frage und übergeht die zweite. „Aber vor allem soll ich dich fragen, wann wir das Meeting ansetzen, um den Ausstieg von Grysperre aus dem Mall-Housing-Projekt zu erklären.“

Ich stöhne und fahre mir übers Gesicht. „Sag ihm, wir besprechen das nach dem Labor Day.“

„Sag’s ihm selbst.“ Les schüttelt den Kopf. „Ich bin nicht dein Laufbursche.“

„Aber du bist seiner, oder?“ Ich richte mich auf, greife an ihm vorbei und hole mir mein Glas zurück.

Les lächelt nur. „Er ist mein Boss. Und mein Onkel. Ich tue ihm einen Gefallen.“

„Wie großzügig von dir.“ Ich greife mir die Karaffe, fülle mein beinahe leeres Glas wieder auf.

„Ewan.“ Lesters Ton wird plötzlich ungewohnt ernst und er klopft mit dem Finger auf den Umschlag, den er gerade auf den Tisch gelegt hat. „Schieb es nicht länger auf.“

Ich presse die Lippen aufeinander und gieße mir weiter ein.

„Dadurch wird es auch nicht einfacher.“ Les klingt so eindringlich, man könnte beinahe denken, er hätte Mitgefühl mit mir. „Dein Anwalt hat alles zusammengestellt. Du musst nur noch unterschreiben. Brauchst du jemanden, der ihr anschließend die Papiere bringt?“

„HALT …“ Ich belle das erste Wort so laut, dass sogar Jersey alarmiert die Ohren aufstellt, „… dich doch einfach raus! Es ist nicht dein Projekt. Es ist nicht dein Business. Und es ist auch nicht deine gottverdammte Ehe.“

Les hält kurz inne, dann knurrt er: „Es ist sehr wohl auch mein Projekt. Und es ist das Familiengeschäft, also ist es auch mein Business.“ Er schnaubt. „Hör endlich auf, den geprügelten Hund zu spielen. Es ist längst nicht nur deine Angelegenheit. Reiß dich zusammen!“

Ich schüttele den Kopf, nehme stur einen Schluck von meinem Drink. „Du hast keine Ahnung.“

„Ach, nein? Dann erklär’s mir!“ Er nimmt mir wieder mein Getränk ab.

Ich hole es mir zurück. Und schweige.

„Das ist doch scheiße, Ewan.“ Les verschränkt die Arme vor der Brust.

Ich grinse grimmig. „Da stimme ich dir ausnahmsweise einmal zu.“

Er seufzt. „Du kannst dich nicht ewig verstecken. Du musst dich diesem Mist stellen. Wie ein Erwachsener.“

„Wie ein Erwachsener?“ Ich lache ihm mitten in sein ernstes Gesicht. „Sind wir das jetzt? Erwachsene?“

Les und ich sind seit mehr als zehn Jahren erwachsen. Aber wir sind auch Trust-Fund-Kinder, College-FratBoys … Unsere Zwanziger waren wie eine Verlängerung unserer Teenie-Eskapaden. Nur mit noch mehr Geld, teureren Autos und Frauengeschichten.

Zumindest bis ich Betty kennengelernt habe.

„Du weißt, dass die Zeiten sich geändert haben“, gibt Les, ganz ohne Lachen, zurück.

Ich trinke wieder.

Er schnaubt, greift hinter sich und entdeckt eine benutze Socke zwischen den Polstern. Mit spitzen Fingern wirft er sie knapp neben den Mülleimer. „Warum hast du eigentlich den Hund mit hierhergenommen und nicht Alfred?“

„Es ist zu eng hier.“ Ich mache eine Handbewegung, die den edlen, aber kleinen Salon meiner Hallberg-Rassy-Jacht einschließt. „Außerdem komme ich allein klar. Ich brauche kein Personal.“

Missmutig beäuge ich mein Glas. Es ist schon fast wieder leer.

„Du hast es ihr überlassen, oder?“ Lester schnalzt mit der Zunge. „Das Haus? Das ganze Personal?“

Ich spüre seinen Blick auf mir.

„Ich habe ihr nichts überlassen“, entgegne ich genervt. „Ich bin einfach ausgezogen.“

Einen Moment bleibt es still zwischen uns. Ich höre Jersey auf meinen Schuhen herumkauen und ich höre das leise Lecken des Wassers am Rumpf des Bootes.

„Weiß sie überhaupt schon, dass du dich scheiden lässt?“, fragt mein Cousin in die Stille hinein.

Ich antworte ihm nicht.

Ich sehe ihn nicht einmal an.

Meine Aufmerksamkeit ist wieder bei dem Drink in meiner Hand. Bei der Bernsteinflüssigkeit, die in meinem schwankenden Griff Wellen schlägt.

„Ewan … Ernsthaft?“ Ich brauche nicht hinzusehen, um zu wissen, dass Les sich gerade die Haare rauft. „Hast du etwa vergessen, was sie getan hat?“

„Nein“, gebe ich bitter zurück. „Aber ich versuche, es zu vergessen.“ Ich hebe den Blick und proste ihm zu. „Jeden verdammten Tag.“

KAPITEL 3

Betty

Donnerstag, 31. August 2023, 11:10 a. m. Dorrance Street, Providence, Rhode Island

Ich stehe unter der Brause im Fitnessstudio, bemüht, meine Haare nicht nasszumachen. Ich habe noch genug Zeit, um mich vor dem Lunch zu duschen, Make-up aufzulegen und in ein frisches Outfit zu schlüpfen. Aber nicht genug Zeit, um mein störrisches Haar zu waschen und in Form zu bringen.

Mein Haar fällt natürlicherweise nämlich nicht in diesen sanften Wellen auf meine Schultern.

Mein Haar ist nicht einmal von Natur aus blond.

Es ist eher mausbraun und widerspenstig und kostet mich nach jeder Wäsche kostbare Styling-Zeit und alle zwei Monate ein kleines Vermögen im Friseursalon.

Ich habe mir diesen Look zugelegt, weil ich gehofft habe, mich damit unter die blonden Erbinnen mischen zu können. Als ich Ewan und sein Umfeld damals kennengelernt habe, wollte ich mich unbedingt anpassen. Ich wollte eine von ihnen sein.

Vor Kurzem habe ich darüber nachgedacht, zu meinem natürlichen Aussehen oder zumindest zu einer Haarfarbe zurückzukehren, die meinem Naturton näherkommt. Aber jetzt da alles anders ist, ist mir die Camouflage wichtiger denn je.

Ich stelle das Wasser ab und creme mich mit dem teuren Duschbad ein, das vom Fitness-Klub zur Verfügung gestellt wird. Es kommt als dicker, duftender Schaum aus dem Spender. Der Geruch ist blumig, ein wenig holzig, auf eine unaufdringliche Weise süß und warm. Er hat etwas an sich, das mich sofort entspannen lässt. Manchmal denke ich, dass das Duschen im Gym mir mehr Spaß macht als die Kurse, die ich hier regelmäßig belege.

Die Pilates-Stunde heute war die Hölle. Unser Instructor, ein Latino namens Hugo, dem ich seinen Akzent nicht so ganz abkaufe, hat mich und die anderen Frauen ganz schön gefordert. Aber das war nicht das Problem.

Das Problem war, dass es mir die ganze Zeit über so vorkam, als wüssten alle Bescheid. Jeder Seitenblick, der mich gestreift hat, jede gemurmelte Unterhaltung unter den anderen Teilnehmerinnen, schien mir zu gelten. Als würde mir ein Post-it auf dem Rücken kleben, auf dem steht: Wurde von ihrem Mann verlassen.

Aber sie können es unmöglich wissen, oder?

Woher sollten sie es wissen?

Die Bewegungen meiner Hände werden fahriger, während ich den Schaum verteile. Ich spüre meine eigene Unsicherheit wie einen kalten Hauch auf meiner Haut.

Schnell stelle ich das Wasser wieder an und lasse die warmen Tropfen auf mich niederprasseln. Ich rede mir ein, dass, wenn ich die Temperatur noch etwas höher drehe, auch diese Kälte aus meinem Inneren verschwindet. Dampfschwaden hüllen mich ein und vernebeln mir im wahrsten Sinne die Sicht.

Nach wenigen Minuten sehe ich kaum noch die Hand vor Augen, geschweige denn die marmorgefließten Duschwände.

„Das meinst du doch nicht ernst!“, dringt plötzlich eine Stimme durch den Dunst.

Jemand muss den Waschraum vor den Duschkabinen betreten haben.

„Wenn ich es dir doch sage!“, antwortet eine zweite Stimme, „Der Deal ist spektakulär geplatzt. Mein Mann sagt, die Grysperre Group hat schon einen anderen Partner. Ich bin ja mal gespannt, wer sich diesen Auftrag unter den Nagel gerissen hat.“ Ein Lachen. Es ist hell und gleichzeitig gehässig. Die andere Person stimmt mit ein.

Die Grysperre Group?

Kaum aufgewärmt, wird mir in meiner dampfend heißen Zelle plötzlich wieder ganz kalt.

Das muss ein Missverständnis sein!

„Davon werden sich die Wainsteads nicht so schnell erholen“, höre ich die erste Stimme schadenfroh sagen.

„Deswegen sah Blondie heute wohl aus wie sieben Tage Regenwetter“, stimmt ihr die andere zu.

Blondie.

Sie meint mich.

„Wer sagt ihr eigentlich mal, dass das nicht ihre Farbe ist? Ich meine, mit einer Blondierung wird aus einem Straßenköter kein Pudel!“

„Oh, du bist böse!“

Wieder lachen sie.

Ich fasse mir in meine Strähnen, die sich langsam in Richtungen kräuseln, in die sich nicht kräuseln sollten. Ich muss aus dieser Dusche raus, wenn ich meine Frisur für den Lunch einigermaßen erhalten will, aber ich kann jetzt unmöglich den beiden Frauen im Vorraum gegenübertreten.

Was soll ich ihnen denn sagen?

Ich habe ihnen nichts entgegenzusetzen.

Sie scheinen alles zu wissen.

Und wenn sie sich so lapidar im Gym-Waschraum darüber unterhalten, dann muss es schon die Runde machen: das Pech von Ewans Familie. Von meiner Familie.

Ich stehe also einfach da, lasse mich weiter vom heißen Wasser fast verbrühen und warte.

Ich warte darauf, dass sie sich weiter das Maul zerreißen. Dass ich neue, kränkende Dinge höre. Mit ein bisschen Glück wäscht das Wasser sie direkt ab, bevor sie zu nah an mich herandringen.

Doch anscheinend sind sie mit mir fertig, denn die Unterhaltung wendet sich anderen Themen zu.

Sie komplimentieren einander für die sündhaft teure Athleisure-Kleidung, die sie tragen, und den knackigen Po, den sie sich über den Sommer antrainiert haben.

Sie schwärmen über den Bizeps von Hugo und erörtern die Frage, ob er wohl auf Frauen steht und wie diskret er als Liebhaber wäre.

Dann verstummt das Gespräch.

Der Raum ist nun seltsam ruhig, obwohl meine Brause noch immer unablässig Wasser auf mich herabregnen lässt.

Ich halte den Atem an und lausche, ob nicht doch etwas über das Rauschen zu hören ist. Aber die beiden Lästerschwestern bleiben still. Stattdessen wird in einer benachbarten Kabine das Wasser angestellt. Und auch in der übernächsten. Das Geplätscher ist mit einem Mal allgegenwärtig.

Ich ergreife die Chance.

Hastig stelle ich das Wasser ab. Hinter einem Wandvorsprung liegt ein trockenes Handtuch bereit, in das ich mich eilig einwickele, bevor ich meine verschwitzten Sportklamotten vom Haken nehme und die Milchglastür der Duschkabine aufreiße.

Ich schnappe mir meine Make-up-Tasche. Vorhin hatte ich sie auf einem der Frisiertische, die gegenüber der Duschen die Wand säumen, bereitgelegt. Aber nichts liegt mir gerade ferner, als mich hier in aller Seelenruhe zu schminken, bis die beiden Frauen, die so leichtfertig über mich und meinen Ehemann hergezogen haben, aus ihren Kabinen kommen. Ich werde mich in einem der Umkleideräume stylen. Oder vielleicht in meinem Wagen in der Tiefgarage. Ich will hier nur weg.

Als ich mir das Täschchen unter den Arm klemme, fällt mein Blick in einen der Spiegel. Ich erschrecke.

Meine Haut ist krebsrot vom heißen Wasser und meine Augen wirken beinahe blutunterlaufen.

Hatte ich geweint, ohne es zu merken?

Tropfen rinnen an meinem Körper hinab und bilden eine kleine Pfütze unter meinen Badeschuhen. Ich weiche vor meinem Spiegelbild zurück, presse all meine Habseligkeiten an mich und flüchte aus den Waschräumen. Zum Glück begegnet mir niemand, während ich den Gang überquere und in den Umkleidebereich gehe.

Hölzerne Spindschränke reihen sich glänzend poliert aneinander. Ich hebe meine Schlüsselkarte an Spind Nr. 13. Ein grünes Aufleuchten am Schloss signalisiert mir, dass sich der Schrank entriegelt hat. Meine Sporttasche liegt noch genau so darin, wie ich sie zurückgelassen habe. Ich fische mir saubere Unterwäsche und ein Paar Pumps heraus, bevor ich die klammen Pilatesklamotten darin versenke. Dann greife ich mir den Kleidersack mit dem frisch gereinigten und gebügelten Outfit, das ich für den Lunch mitgebracht habe, und verschwinde in einen der privaten Umkleideräume.

Das Zimmer ist klein, aber strahlt einen unleugbaren Luxus aus. Die Wände sind auch hier mit Marmor verkleidet (oder mit etwas, das sehr stark danach aussieht). Es gibt eine kleine Sitzbank mit üppiger Polsterung und die Taschenablage daneben besteht aus demselben polierten Holz wie die Schränke draußen. Ich hänge mein Kleid an der Innenseite der Tür auf und schiebe den Riegel vor.

Anschließend schäle ich mich aus meinem bereits durchnässten Handtuch. In einem Regal liegen weitere Frotteetücher bereit und ich nehme mir ein frisches, um die letzten Wassertropfen von meiner Haut zu reiben.

Ohne zu pausieren, schlüpfe ich in meine Unterwäsche und zerre mein Blusenkleid aus dem Kleidersack. Es ist cremeweiß und den seidigen Stoff ziert ein filigranes, blaues Muster. Immer wenn ich es trage, fühle ich mich darin wie bemaltes Porzellan. Genauso edel und schön, aber in letzter Zeit auch genauso zerbrechlich. Ich hoffe einfach, dass niemandem auffällt, wie leicht ich zersplittern könnte.

Während ich die Knöpfe zum Revers schließe, wende ich mich dem schmalen Spiegel in der Umkleide zu. Er ist eher schlecht ausgeleuchtet, also muss ich nah an das Glas treten, um mich meinem Make-up zu widmen. Die getönte Tagescreme arbeite ich mit den Fingern ein und registriere zufrieden, dass sie zumindest ein bisschen meine fleckige Haut kaschiert. Dann trage ich Mascara und einen dezenten Lippenstift auf, bevor ich kurz durch meine Brauen bürste. Normalerweise würde ich einen aufwendigeren Look auflegen, aber dafür fehlt mir jetzt, da ich mich so lange in der Dusche versteckt habe, die Zeit.

Mich in Hektik fertig machen zu müssen, nervt mich. Die ganze Situation nervt mich.

Ich hätte etwas sagen sollen. Ich hätte diese Gehässigkeiten nicht einfach so im Raum stehen lassen sollen. Ich hätte mich verteidigen sollen. Und auch Ewan.

Warum bin ich so?

Warum kriege ich es nicht mehr hin, den Mund aufzumachen, wenn so etwas passiert?

Ich löse die Klammer, mit der ich meine Haare während des Sports zusammengehalten habe. Der schöne Blow-out-Effekt, für den ich heute Nacht mit Lockenwicklern geschlafen habe, ist beinahe dahin. Aber das kann ich jetzt wohl nicht mehr ändern. Seufzend greife ich zur Haarbürste und kämme mir energischer als nötig die verformten Locken.

Es sind diese Leute … Diese unfassbar reichen Menschen. Ich fühle mich ihnen so oft nicht gewachsen. Es ist, als wäre ich winzig neben ihnen. Als wäre jedes Glas Champagner, das ich seit der Heirat mit Ewan getrunken habe, insgeheim der Schrumpftrank aus Alice im Wunderland gewesen. Aber ich wusste es nicht besser und habe naiv zugegriffen, weil „Trink mich!“ darauf stand.

Früher war ich anders.

Als ich noch einfach Betty Rae war.

Betty Rae, die ein bisschen zu unbedacht und ein bisschen zu verträumt und vorlaut war. Betty Rae, die alle Wände im Haus bemalt hat, bis ihre Mom die erste Leinwand gekauft hat. Betty Rae, der er es überall zu eng war und die unbedingt raus aus der Vorstadt wollte. Betty Rae, die professionelle Malerin werden wollte. Die alles getan hat, um ihrem Traum so nah wie möglich zu kommen. Die einfach immer mehr wollte.

Jetzt habe ich mehr. Mehr von allem.

Mehr Platz, mehr Geld, mehr Zeit.

Aber es fühlt sich nicht wie das Mehr an, das ich wollte.

Denn eigentlich wollte ich gar nicht mehr, ich wollte ein Meer.

Ein Meer aus Farben, ein Meer aus Erlebnissen, ein Meer aus Liebe. Und kurzzeitig dachte ich tatsächlich, dass ich es habe.

Ich dachte, dass Ewan und ich in unserem kleinen Boot auf einer Welle der Fülle treiben und dass die Strömung uns für immer im Glück wiegt.

Ich blinzle. Ich darf mich jetzt nicht von diesen Gedanken mitreißen lassen. Das endet nur in Tränen und verschmierter Wimperntusche.

Entschlossen straffe ich meine Schultern und klemme mir ein paar verirrte Haarsträhnen hinters Ohr. Langsam drehe ich mich um die eigene Achse und kontrolliere den Sitz meines Kleides.

Schminkzeug und Haarbürste wandern zurück in den Kosmetikbeutel. Bevor ich den Reißverschluss des Täschchens jedoch schließe, hole ich meinen Schmuck hervor.

Als Erstes eine schmale, silberne Uhr. Es ist kein teures Modell, aber dennoch unbezahlbar, weil es ein Geschenk meiner Mutter zu meinem High-School-Abschluss war. Umsichtig, wie ein kostbares Souvenir aus längst vergangenen Zeiten, lege ich sie an mein linkes Handgelenk.

Dann krame ich noch einmal im Beutel. Ich ertaste die beiden Ringe und hole sie hervor. Meinen Verlobungsring schiebe ich als Erstes über meine Fingerknöchel. Der riesige Diamant schimmert und reflektiert das gedämpfte Licht des Raumes.

Dieser strahlende Glanz … In letzter Zeit scheint er mich zu blenden.

Ich greife nach dem vergleichsweise einfachen Ehering aus Weißgold. Er sieht so unscheinbar aus, doch ich weiß natürlich um die Gravur auf seiner Innenseite. Unser Hochzeitsdatum, der 22. Juli 2022, ist dort in das Metall eingraviert und auch sein Name: Ewan. Genauso gut hätte man beides in mein Herz ritzen können.

Nun kämpfe ich doch mit einer Flut von Gefühlen.

Diese Schmuckstücke fühlen sich langsam ebenfalls wie Souvenirs an. Und ich dachte wirklich nicht, dass unsere gemeinsame Zeit so bald schon zu nichts weiter als einer schönen Erinnerung werden würde.

RÜCKBLICK: DIE BEGENUNG

Betty

Montag, 22. Juli 2019, 07:34 p. m. Bridge Street, Providence, Rhode Island

Etwa vier Jahre zuvor.

Ich balanciere ein Tablett auf dem mindestens ein Dutzend Sektflöten steht. Wenn ich es noch länger in dieser Position halten muss, ohne dass sich jemand ein Glas nimmt, bekomme ich einen Krampf im Arm.

Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte in den Raum hinein, den Blick immer nervös auf die Getränke gerichtet. Ich bin mir sicher, sobald ich sie aus den Augen lasse, fällt eins nach dem anderen zu Boden, zerspringt in tausend Scherben und explodiert in goldgelben Spritzern.

Warum habe ich diesen Job nur angenommen?

Das hier ist sowas von gar nicht mein Ding.

Ich habe im Laufe meines Lebens zwar schon den einen oder anderen Gastrojob gemacht … Zum Beispiel habe ich Donuts verkauft und einmal sogar in einem Schnellrestaurant Tomaten- und Gurkenscheiben auf die Burger-Brötchen gelegt. Im Großen und Ganzen bin ich aber nicht für den Umgang mit Lebensmitteln gemacht.

Und schon gar nicht für den Umgang mit teurem Champagner, zerbrechlichem Geschirr oder anspruchsvollen Gästen.