Das Licht, in dem wir glänzen - Phillippa Penn - E-Book
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Das Licht, in dem wir glänzen E-Book

Phillippa Penn

5,0

Beschreibung

"Ich habe die Schnauze voll von Menschen, die Aufmerksamkeit wollen, aber nichts unternehmen, um sie zu bekommen. Wenn du glänzen willst, dann mach das verdammte Licht an." Chronisch unterbegabt und quasi talentfrei - dafür hält sich die 24-jährige Hanni. Ihr einzig nennenswerter Erfolg im Leben war es, als Schülerin einen Vorlesewettbewerb zu gewinnen. Seitdem liest sie in ihrer Freizeit in Krankenhäusern und Seniorenheimen vor. Sie hat noch nie einen dieser Termine verpasst - bis ihre Mitbewohnerin einen alten Freund einlädt. Sam nimmt nicht nur das Gästebett in Beschlag, sondern bringt auch Hannis Alltag gehörig durcheinander. Wenn die beiden aneinandergeraten, fliegen die Funken. Dabei ist Sam eigentlich ein Mann der Harmonie. Musik ist seine Leidenschaft, auch wenn der 26-Jährige als Roadie unterwegs ist, anstatt selbst mit der Band auf der Bühne zu stehen. Er sucht nicht das Rampenlicht - und eigentlich auch keine neue Liebe ...

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Über die Autorin

Phillippa Penn lebt mit ihrem Mann in einem Blockhaus, umgeben von einem bunt blühenden Garten. Wenn sie nicht gerade einen ausgedehnten Spaziergang macht, kann man sie mit einer dampfenden Tasse Kaffee am Schreibtisch erwischen. Zwei Jugendromane und zwei Romanzen für Erwachsene hat sie dort schon verfasst. Mit "Das Licht, in dem wir glänzen" legt sie ihr viertes Buch vor.

Erfahre hier mehr über Phillippa:

instagram.com/phillippapenn

phillippapenn.de

Für alle, die ihr Licht zu oft unter den Scheffel stellen.

Für alle, in denen Träume leuchten.

Über dieses Buch

Vielen Dank, dass du Das Licht, in dem wir glänzen liest! Dieser romantische Kurzroman soll ein Wohlfühlbuch für eine breite Leserschaft sein. Gleichzeitig ist mir als Autorin bewusst, dass sich nicht alle Menschen mit denselben Inhalten wohlfühlen.

Um dein Leseerlebnis so angenehm wie möglich zu gestalten, folgt hier deswegen der Hinweis auf potenziell belastende Themen:

Konsum von alkoholischen Getränken

Anzüglichkeiten

Trennung/Verlassenwerden

Selbstzweifel

Untreue

Scheidung (der Eltern)

Diese Liste wurde nach bestem Wissen und Gewissen erstellt; sie erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich wünsche dir angenehme Lesestunden! Deine Phillippa

Inhaltsverzeichnis

Feenstaub

Gäste und Betten

Eine Spur Gold

Scherben bringen Quitt

Hand aufs Herz

Kulleraugen und Konzerte

Ein warmes Frösteln

Wie glänzende Fische

Flimmern und Flüstern

Ein anderer Rhythmus

Ein Elefant im Porzellanladen

Licht und Schatten

Ein steter Tropfen

Frühstück mit Folgen

Damen und Herren

Ein Schluck Aberglaube

Von feigen Träumen

Töpfe und Deckel

Eine unverhoffte Einladung

Vom Boden des Glases

Für und Wider

Gesang der Seele

Epilog – Im Glanz des Neuen

1 – Feenstaub

Wenn ich eine Sache mit Sicherheit weiß, dann, dass Glitzer sehr viel perfider ist, als sein Ruf vermuten lässt. Den winzigen, schimmernden Krümeln ist nichts heilig. Nicht der Küchentisch, nicht der Fußboden, nicht meine Klamotten, meine Brille, mein Haar oder das Fell der ohnehin schon übel gelaunten Hundedame, die mir gegenübersitzt.

Doris ist eine äußerst explosive Promenadenmischung aus Terrier und Chihuahua. Sie hat einen bitterbösen Blick, der so gar nicht zu ihrem niedlichen Äußeren passt. Jetzt gerade starrt sie mich damit nieder, während ich mit wackeligen Händen versuche, Feenstaub in kleine Gläschen zu füllen.

„Wenn du mich so anguckst, machst du es auch nicht besser!“, zische ich der Hündin auf der Eckbank zu.

Sie antwortet mit einem Knurren, das wohl so viel heißen könnte wie: Warum machst du diesen Quatsch überhaupt?

Ja, warum mache ich diesen Quatsch überhaupt?

Ich möchte vorausschicken, dass ich die absolut nobelsten Beweggründe habe.

Morgen lese auf der Kinderstation des St. Lioba Krankenhauses aus Peter Pan vor. Um die Geschichte für die Kids ein bisschen interaktiver zu gestalten, habe ich den Entschluss gefasst, eine kleine Überraschung vorzubereiten. Feenstaub, wie von Tinkerbell, um die Fantasie der Kinder zu beflügeln.

Doch weil mir für das Basteln (wie für so viel anderes) eindeutig das Talent fehlt, habe ich schon mehr goldenen Glimmer in unserer WG-Küche verteilt als bisher in den kleinen Korkengläsern gelandet ist. Fünfundzwanzig schmale Phiolen möchte ich bis morgen Früh befüllt haben, damit alle kleinen Patientinnen und Patienten eine bekommen. Jetzt gerade bin ich mit Glas Nummer 9 beschäftigt – und das, obwohl ich vor mehr als drei Stunden damit angefangen habe. Es ist schon beinahe Mitternacht. Meine Effektivität bei diesem Unterfangen ist also eher mittelprächtig.

„Yes!“, rufe ich triumphierend aus, als das transparente Gefäß in meiner Hand endlich voll ist.

Leider puste ich dabei prompt einen Schwall Goldstaub in Doris’ Richtung. Sie schüttelt missmutig ihre Schnauze; ich lächle entschuldigend.

Die Hündin und ich sind wirklich nicht das beste Duo. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich hasst.

Aber mein großer Bruder Jonathan liebt diesen Vierbeiner und weil ich meinen Bruder liebe, passe ich auf das alte Fräulein auf, während er mit seinem Mann Backpacking in Skandinavien macht.

Ich habe es noch im Ohr, wie er mich angebettelt hat: „Bitte, Hanni! Doris ist nicht mehr die Jüngste. Die kann nicht den ganzen Tag am Straßenrand neben uns hergehen. Und du weißt doch, wie aggressiv sie gegenüber Fremden wird! Bitte, nur drei Wochen!“

Nur drei Wochen.

Zehn Tage davon sind bereits um und Doris ist noch immer nicht mit mir warm geworden. Im Gegenteil. Weil sie mich jede Nacht im Schlaf gezwickt hat, musste ich ihr Hundebett von meinem Zimmer in die Küche verlegen. Und das Gassigehen übernimmt mittlerweile auch meine Mitbewohnerin Gina, die das Ganze für ein „super Work-out“ hält und schwört, dass Doris bei ihr „total zahm“ ist. Mir kommt das Tier ja eher wie der Teufel in einem sehr kleinen Pelz vor, aber was soll’s.

Mein Handy klingelt und ich rechne halb damit, dass es Jona ist, der anruft um sich vor dem Schlafengehen „nach seiner Kleinen“ (womit er wohlgemerkt die Hündin und nicht mich meint) zu erkundigen. Aber es ist nicht mein Bruder, sondern Gina, die mich anruft.

„Hey! Alles klar?“ Ich stelle das Telefon auf Lautsprecher-Modus, damit ich während unseres Gesprächs weiter basteln kann.

„Heeeeeeeeey“, kommt ein lang gezogener Gruß zurück, begleitet von viel Gekichere. Gina ist ausgegangen, um einen alten Klassenkameraden auf einen Drink zu treffen. So wie sie klingt, ist es vielleicht nicht nur bei einem geblieben. „Ich bin jetzt aufm Heimweg, Schätzchen!“

Ich nicke. „Okay, alles klar, dann erzähl mir was.“

Wenn eine von uns noch spät abends draußen unterwegs ist, rufen Gina und ich einander an. Buchingen ist keine Metropole, trotzdem hat unsere Stadt nachts ein paar düstere und zwielichtige Ecken. Es ist besser, eine Begleitung zu haben – wenn auch nur im Geiste. Jemanden, der weiß, wo man gerade herumläuft und wann man in etwa zu Hause ankommen sollte.

„Alles gut, Liebes, ich binnich allein“, säuselt sie. „Das is der andre Grund, warum ich anruf. Ich bring Übernaschtungsgäste mit …“

Übernachtungsgäste? Plural? Ich runzele die Stirn.

Es ist nicht außergewöhnlich, dass Gina mal spontanen Besuch oder einen One-Night-Stand mit in die WG bringt. Aber normalerweise handelt es sich dabei um eine einzelne Person.

„Gäste?“, hake ich nach. „Wie meinst du das?“

„Na ja, also …“ Sie kichert und klingt plötzlich weit weg. Hat sie sich vom Mikrofon entfernt, um mit jemand anderem zu sprechen? Die Geräusche, die ich noch ausmachen kann, hören sich wie entspanntes Geplauder an.

Warum ruft sie mich an, wenn sie schon in ein anderes Gespräch vertieft ist?

„Hallo? Gina? Was wolltest du mir sagen?“ Ich beuge mich näher an mein Smartphone, das in einem Haufen Glitzer liegt. „Hey, Gina! Hörst du mich noch?“

Keine Reaktion. Ich höre immer noch eine Art unverständliches Murmeln am anderen Ende der Leitung.

„GINA!“, brülle ich das Gerät an.

Doris bellt.

„Sorry“, nuschele ich in Richtung der Hündin. Dann – endlich – kehrt meine Mitbewohnerin an den Hörer zurück.

„Also gehdas klar?“, fragt sie.

„Was geht klar?“ Ich bin verwirrt.

Habe ich irgendwas nicht mitgekriegt?

„Na, dass Sam auch kommt!“ Gina lacht.

Sam?

„Wer ist Sam?“ Bei dem Namen klingelt bei mir gar nichts.

„Na, Sam! Der Sam! Mein alter Freund aus der Schule!“ Gina sagt es so, als müsste ich alles über diesen Typen wissen.

„Sollte ich den kennen?“ Das Telefonat nervt mich zunehmend. Ich versuche, mich wieder auf meine Bastelei zu konzentrieren und nicht noch mehr Glitzer zu verschütten.

„Klar kennst du den!“ Gina gluckst.

Ich seufze. „Ach, ja?“

„Ja!“ Gina schnaubt, als wäre ich schwer von Begriff. „Er war letztes Jahr bei meiner Geburtstagsparty …“

„Die ich verpasst habe, weil ich bei meinen Eltern war!“ Ich verdrehe die Augen, was meine Mitbewohnerin selbstverständlich nicht sehen kann.

„Oh. Ach so.“ Ihre Worte klingen wie ein Schulterzucken. „Na ja, du wirst ihn mögen. Danke!“

„Danke?“, frage ich. „Danke für was?“

Aber da hat sie auch schon aufgelegt.

2 – Gäste und Betten

Ich befülle gerade das zwölfte Gläschen, als mich das Quietschen der Wohnungstür aus meiner gekrümmten Haltung über dem Küchentisch hochschrecken lässt.

„Ha ha ha, schhhhhh!”, dringt Ginas Stimme aus dem Gang. Sie ist offensichtlich bemüht, leise zu sprechen, doch ihr beschwipstes Getuschel ist mehr als deutlich zu hören. Mit klackernden Absätzen tappst sie über die Holzdielen im Flur, während sie diejenigen, die ihr mit deutlich schwereren Schritten folgen, anweist: „Macht die Tür leise zu, okay?”

Daraufhin fällt die Eingangstür mit lautem Krachen ins Schloss.

„Ey!”, schimpft Gina. „Ihr weckt noch die Nachbarn!”

„Sorry”, entschuldigt sich eine raue Männerstimme.

„Die Nachbarn?”, fragt eine zweite, tiefe Stimme amüsiert. „Die werden heute Nacht noch was zu hören kriegen, das verspreche ich dir, Babe!”

Gina kichert. „Du bist unmöglich, Paul!”

Schlüssel werden fallen gelassen, Schuhe zur Seite getreten und Garderobenhaken knapp verfehlt – den Geräuschen nach zu urteilen.

„Wo ist dein Zimmer, Babe?”, will der, den Gina gerade Paul genannt hat, wissen.

„Gleich da vorne”, antwortet sie. „Und, Sam, du kannst auf Hannis Ausziehbett schlafen. Ich habe schon mit ihr gesprochen.”

Ich glaube, mich verhört zu haben. Wer wird auf meinem Ausziehbett schlafen?

Die Küchentür wird hinter mir geöffnet. Ich wirbele herum.

Ein Typ mit strubbeligem, blondiertem Haar, Bikerjacke und passender schwarzer Lederhose stolpert in den Raum. Dicht gefolgt von meiner Mitbewohnerin und einem zweiten Kerl, von dem ich gerade nur einen dunklen Haarschopf ausmachen kann.

„Hey, hey, hey!” Der Blonde grinst, als er mich am Esstisch entdeckt. „Du …” Sein Blick wandert an meinen nackten Beinen hinauf und mustert dann das ausgeleierte T-Shirt, das ich anstelle eines Nachthemds trage. „Du musst Hanni sein!” Er hebt eine gepiercte Augenbraue.

„Boah, ey, Paul, reiß dich zusammen”, zischt Gina hinter ihm und drängt sich an dem Blonden vorbei. „Hey, Hanni, sorry, ich wusste nicht, dass du …” Ihr Blick wandert über das Chaos aus Gläsern und Glitzerpulver. „Was machst du da?”

„Basteln. Für morgen”, gebe ich knapp als Antwort und versuche unauffällig, alles, was zerbrechlich ist, aus der Reichweite des leicht schwankenden Pauls zu entfernen.

„Okay …” Gina fährt sich durch ihre zerzauste, rote Mähne. „Ähm, kannst du schon mal für Sam den Schlafplatz richten?” Sie deutet auf den Dunkelhaarigen hinter ihr. „Die Jungs hatten einen langen Tag und ich habe versprochen, dass sie hier crashen können.” Sie setzt ihr niedlichstes Lächeln auf.

Ich rücke meine Brille zurecht und mustere sie aus zusammengekniffenen Augen. „Also, was das angeht: Wann genau hast du mich bitte gefragt, ob …“

„Wow! Ist das ein Hund?“ Ehe irgendjemand etwas dagegen tun kann, hat Paul sich Doris geschnappt und die Hündin an sich gedrückt. „Du bist ja süß! Ja, hallo! Hallo, Hündchen! Oh, bist du flauschig!“

Ich bin so verblüfft, dass Doris, anstatt Paul zu zerfleischen, mit dem Schwanz wedelt und sein Gesicht ableckt, dass ich verpasse, wie Gina den Mann namens Sam in mein Schlafzimmer führt.

Als ich den beiden hinterherhechte, stehen sie schon mitten in meinem Chaos und schieben den falschen Flokati beiseite, um die zweite Matratze aus meinem Bettkasten zu ziehen.

„Hey! Stopp!“ Ich stemme mich mit beiden Händen in den Türrahmen. „Ich habe das nicht erlaubt!“

Gina schaut erschrocken zu mir hoch. „Aber ich hab dich doch vorhin angerufen!“ Sie guckt, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen.

Ich frage mich kurz, ob sie ihre Verblüffung nur vorgibt. Zutrauen würde ich es ihr. Gina wickelt jeden um den Finger – oder versucht es zumindest.

Ich persönlich bleibe bei den Fakten: „Ich habe kaum die Hälfte von dem, was du mir am Telefon gesagt hast, verstanden!“

„Aber du warst trotzdem einverstanden!“, behauptet Gina und zieht einen Schmollmund.

„War ich nicht!“, protestiere ich.

„Okay …“ Sam richtet sich auf und sieht ziemlich verlegen aus. „Also ich will hier echt nicht …“ Er sieht mich aus seinen grauen Augen an. „Hanni war der Name, richtig?“

Ich nicke.

Er wendet sich an Gina. „Ich will hier nicht einfach in Hannis Privatsphäre …“

„Papperlapapp!“ Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und kommt an meine Seite. „Komm schon, Hanni“, wispert sie in mein Ohr. „Er braucht nur einen Platz zum Pennen.“

„Aber nicht neben mir! Ich kenne den Typen doch gar nicht!“, zische ich zurück. „Was, wenn er …“

„Sam hat keinen Schluck getrunken und er ist kein Grapscher.“ Gina legt einen Arm um mich. „Er ist ein wirklich guter Freund von mir. Ich vertraue ihm.“

„Wenn er so ein guter Freund ist, warum nimmst du ihn dann nicht mit in dein Zimmer?“, keife ich sie an.

Gina lächelt. „Weil Paul und ich Sachen machen wollen, bei denen wir keine Zuschauer brauchen.“ Sie wackelt mit den Augenbrauen. „Wenn du verstehst …“

Ich verstehe. Und ich verdrehe die Augen und wende mich von ihrem lasziven Grinsen ab. Sam steht noch immer mitten in meinem WG-Zimmer und nicht zum ersten Mal verfluche ich die Tatsache, dass es in unserem Zwei-Raum-Apartment kein Wohnzimmer oder auch nur ein Sofa gibt. Normalerweise ist es zwar kein Problem, wenn Übernachtungsbesuch neben mir auf der zweiten Matratze schläft. Aber normalerweise kenne ich auch meinen Gast.

„Kann er nicht auf deiner Yogamatte schlafen?“, knurre ich. „Oder auf der Eckbank?“

„Auf der Eckbank?“ Gina sieht mich fassungslos an. „Auf dem blanken Holz? Neben deinem Höllenhund?“

„Es ist nicht mein Höllenhund.“ Ich schnalze mit der Zunge. „Und, hey, Doris scheint diesen Paul zu mögen, also warum nicht …“

„Hanni!“ Nun klingt Gina ernsthaft empört. „Seit zwei Wochen dulde ich den Köter deines Bruders in unserer Wohnung und führe das Fellknäuel sogar aus. Da kannst du ja wohl ein einziges Mal einem guten Freund von mir einen Schlafplatz anbieten!“

„Es sind erst zehn Tage“, korrigiere ich.

„Glaub mir!“ Gina schnaubt. „Es fühlt sich länger an, wenn man jeden Tag die Kacke dieses Tiers im Park aufliest!“

Wir starren uns an. Wütende, kleine Flammen lodern hinter Ginas braunen Augen. Flammen, die nur noch größer werden. Ich gebe nach.

„Na gut, eine Nacht!“, lenke ich ein. „Aber wehe, der versucht was!“

Gina schüttelt ihre Mähne. „Sam?“

Der Dunkelhaarige schaut von seinen Füßen auf.

„Hast du vor, dich meiner charmanten Mitbewohnerin in irgendeiner Weise unkeusch zu nähern?“, fragt sie ihn.

„Was?“ Sam schaut verwirrt zwischen mir und Gina hin und her. „Ähm … Nein?“

„Sehr gut!“ Meine Mitbewohnerin schenkt mir einen triumphierenden Blick. „Dann wäre das ja geklärt! Gute Naha-cht!“ Sie verabschiedet sich mit einem Winken und geht zurück in die Küche. Zweifelsohne, um ihr Date zu holen.

Ich bleibe einen Moment unschlüssig in meinem Türrahmen stehen und betrachte meinen neuen Zimmergenossen.

Sam ist schlank und hochgewachsen. Sein Outfit ist im Vergleich zu Pauls Lederaufzug ein Understatement. Er trägt klassische, dunkelblaue Jeans und ein weißes T-Shirt. Nur sein etwas zerzaustes, welliges Haar und ein Tattoo am Unterarm, brechen mit dem braven Look. Kurz bleibt meine Aufmerksamkeit an dem verzierten Fleckchen Haut hängen, aber ich kann das filigrane Motiv nicht genau erkennen. Als ich den Blick wieder hebe, begegnen sich unsere Augen.

„Sorry, ich wollte nicht starren“, sage ich und spüre, wie mir die Röte den Hals hinauf kriecht.

„Alles gut.“ Er steckt die Hände in die Hosentaschen. „Ich schätze, ich muss mich entschuldigen.“ Er räuspert sich. „Für den Überfall.“

Ich wiege den Kopf hin und her. „So wie ich das sehe, ist das eher auf Ginas Mist gewachsen …“ Unsicher schaue ich zu meinem Bett und der halb hervorgezogenen Matratze. „Okay, also du kannst jetzt die Matratze ganz herausziehen. Ich suche in der Zwischenzeit das Bettzeug zusammen.“

Ich laufe zu meinem Kleiderschrank und bemühe mich, meine Reflexion in der Spiegeltür, die mich glitzerübersät, mit einem unordentlichen, braunen Zopf und mehr als fragwürdig gekleidet zeigt, zu ignorieren. Nun hat mich Sam sowieso schon in meinem labbrigen Guns-and-Roses-Shirt gesehen! Das alte Oberteil von meiner Mutter habe ich schon in meiner Kindheit zum Schlafen getragen. Damals hat es aber noch nicht so knapp unter dem Po geendet.

Ich öffne die Schranktüren und halte Ausschau nach dem Kissen und der Decke, die ich für Besuch bereithalte. Weil ich das Bettzeug so selten brauche, habe ich es im obersten Fach des Schranks verstaut. Und wenn ich mich jetzt danach strecke, wird Sam nicht nur mein Schlabbershirt, sondern auch meinen Schlabber-Slip zu sehen bekommen. Umständlich halte ich mit einer Hand den Saum meines Nachthemds fest, während ich die andere so weit nach oben strecke, wie ich kann. Allerdings erreiche ich in dieser Position nicht einmal den Boden des Fachs.

„Moment, ich helfe dir.“ Sam scheint meinen Struggle bemerkt zu haben. Er greift über mich hinweg. „Das Kissen und die Decke, ja?“

Ich nicke und … schnuppere. Eine Mischung aus Pfeffer, Kardamom und etwas Holzig-Rauchigem, das ich nicht genauer bestimmen kann, dringt an meine Nase. Sams Aftershave? Der Duft ist angenehm, aber dennoch einnehmend. Er sorgt dafür, dass ich immer noch mit halb ausgestrecktem Arm dastehe, als Sam das Bettzeug längst heruntergeholt hat.

Er räuspert sich. „Hanni?“

Ich blinzele. „Entschuldige, ich schlafe schon fast ein“, sage ich mit einem nervösen Lachen. „Und, ich schätze, der Glitzer ist mir irgendwie zu Kopf gestiegen.“ Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Sam grinst ein wenig. Wirklich nur ein wenig. Eigentlich ist es nur ein winziges Zucken seines Mundwinkels, das so schnell wieder verschwindet, dass ich kurz glaube, es mir nur eingebildet zu haben.

„Du, ähm, kannst mir einfach die Bezüge geben. Den Rest mache ich schon selbst“, sagt er freundlich. „Du musst bestimmt mit deinem Projekt in der Küche weitermachen, oder?“

„Richtig, mein Projekt! Okay, dann …“ Ich öffne eine Schublade und ziehe einen Stapel gefalteter Bettwäsche heraus. „Hier. Mach es dir …“

Meine Augen flattern kurz zu seinen und jetzt lächelt er richtig und es ist so umwerfend, dass ich wünschte, ich hätte nicht hingesehen.

„Mach’s dir bequem“, sage ich mit belegter Stimme und flüchte aus meinem eigenen WG-Zimmer.

An der Küchentür empfängt mich Doris, die zunächst noch mit dem Schwanz wedelt und dann sichtlich enttäuscht ist, dass nicht Paul, sondern ich vor ihr stehe.

„Tut mir leid …“, seufze ich. „Bin nur ich, die alte Trantüte. Nicht dein cooler, neuer Freund.“ Ich sehe der Hundedame dabei zu, wie sie zurück auf die Eckbank klettert und sich auf ihrem Kissen niederlässt.

Auch ich lasse mich auf meinen goldbestäubten Stuhl fallen, greife mir das nächste Gläschen und die Tüte mit dem Glitzer. „Dann wollen wir mal …“

3 – Eine Spur Gold

Als am Samstagmorgen um 09:00 Uhr der Wecker klingelt, fallen mir mehrere Dinge gleichzeitig auf.

Erstens: Ich habe Glitzer im Mund.

Zweitens: Viereinhalb Stunden Schlaf sind nicht ausreichend.

Und drittens: Mein Kissen ist verdächtig warm und … fest?

Während ich prustend versuche, die kleinen Goldkörnchen von meiner Zunge zu kriegen, taste ich nach dem Wecker. Doch das laut schellende Blechteil befindet sich nicht wie gewohnt in meiner Reichweite. Stattdessen landet meine Hand in … Fell?

Für einen kurzen, törichten Moment bin ich freudig überrascht, dass Doris sich zu mir ins Bett gekuschelt hat. Im nächsten Augenblick dringt ein tiefes – und überaus menschliches – Brummen aus meinem Kissen und mir wird schlagartig klar, dass ich weder auf einem Polster liege noch eine Hündin kraule.

Hastig richte ich mich auf und stütze mich dabei auf … eine Brust? Einen Bauch? In welchen Teil des Oberkörpers sich meine Nägel graben, kann ich nicht so genau sagen, denn der Mensch unter mir bewegt sich und ich habe meine Brille noch nicht aufgesetzt.

„Was zum …?“ Mehr von dem verschlafenen Gemurmel verstehe ich nicht, denn noch immer klingelt die Uhr, die mich ans Aufstehen erinnern soll, ohrenbetäubend laut.

Ich krieche hastig ein Stockwerk höher, auf die Matratze, auf der ich eigentlich die kurze Nacht hätte verbringen sollen, und robbe zur schmalen Ablage am Kopfende.

Stille.

Nachdem ich endlich den Hammer an meinem Retro-Wecker zu fassen bekommen und an Ort und Stelle fest gepinnt habe, ist es sehr ruhig im Zimmer.

Das lauteste Geräusch ist jetzt mein eigenes Atmen.

Und mein Herzklopfen.

Das Blut rauscht regelrecht durch meine Ohren, spült den Schlaf aus meinem Kopf und bringt mir folgende Erkenntnis: Ich habe auf Sam geschlafen.

Ich.

Habe.

Auf.

Sam.

Geschlafen.

Oh Gott!

Wie war das denn passiert?

Hitze kriecht in meine Wangen und am liebsten möchte ich mich unter der Bettdecke verstecken. Doch stattdessen taste ich mit bebenden Fingern die Ablage entlang, bis meine Fingerspitzen an meine Brille stoßen. Zögerlich setzte ich den kühlen Metallrahmen auf meine Nase.

„Ist … Ist das Glitzer?“ Sams kratzige Stimme erklingt hinter mir und sie hört sich not amused an.

Oh weh …

Ich hole tief Luft und drehe mich zu meinem Bettnachbarn um. Er starrt auf seine nackte Brust, die aussieht, als hätte Tinkerbell persönlich darauf eine Bruchlandung hingelegt. Feenstaub bedeckt seinen ganzen Oberkörper. Einen kurzen Moment, wirklich nur einen ganz kurzen, lasse ich meinen Blick darüber streifen. Über die blasse Haut, die erstaunlich definierten Muskeln und eine Reihe feiner Härchen, die von seinem Bauchnabel bis unter die Bettdecke verläuft.

Ich schlucke.

„E-Entschuldige.“ Beschämt halte ich meine golden schimmernden Hände hoch. „Ich habe bis halb 5 noch mit den Gläsern zu tun gehabt und war zu müde, um alles richtig abzuwaschen.“

Sam beäugt meine Finger. „Das erklärt aber trotzdem nicht, warum ich aussehe wie Edward Cullen.“ Falls die Bemerkung witzig gemeint ist, lässt das seine Miene nicht vermuten. So warm seine Brust (und auch sein Kiefer und seine Oberarme und sein dunkles Haar) in der hereinfallenden Morgensonne glänzen, so kühl ist sein Blick.

„Ich, ähm, ich muss aus meinem Bett auf, ähm, na ja, dich gefallen sein“, gestehe ich und nestele an dem Zopfband herum, in das sich mein schulterlanges Haar hoffnungslos verknotet hat.

„Aus dem Bett gefallen?“ Sam hebt eine Augenbraue. „Sagst du das allen Typen, denen du dich im Dunkeln unkeusch näherst?“

Einer seiner Mundwinkel zuckt spöttisch. Und dass er sich auf Ginas Bemerkung von letzter Nacht bezieht, entgeht mir auch nicht. Aber mir fällt keine schlagfertige Antwort ein.

„Das war nicht meine Absicht“, ist alles, was ich erwidere, bevor ich – darauf bedacht, ihn weder zu berühren noch seine nackte Brust anzustarren, – aus dem Bett klettere.

Sam schnaubt amüsiert, als ich einen langen Schritt über ihn hinweg mache. Ich versuche, mich möglichst würdevoll in eine stehende Position zu bringen und in meine Hausschlappen neben dem Bett zu schlüpfen. Ich muss mich duschen und fertig machen, wenn ich in einer Stunde im St. Lioba sein will.

„Hey, ähm, Hanni?“ Sams Räuspern lässt mich innehalten, kurz bevor ich an der Zimmertür bin. „Dein Hintern glitzert.“

Erschrocken zerre ich mein ohnehin schon ausgeleiertes Schlafshirt weit nach unten und drehe mich zu ihm herum.

Er begegnet meinem zerknirschten Blick mit einem Grinsen. Als hätte er nicht gerade eine peinliche Situation noch peinlicher gemacht, zuckt er mit den Schultern.

„Ich dachte, ich sag’s dir lieber, Goldmarie.“ Er fährt sich schadenfroh durch sein zerwühltes Haar.

„Charmant!“, blaffe ich ihn an und ermahne jede Zelle meiner Haut, jetzt bloß nicht rot anzulaufen. „Vielen Dank für den Hinweis, Edward!“

Sam lacht und lehnt sich zurück auf seine Ellenbogen. „Gern geschehen.“ Er zwinkert und diese kleine Geste bringt mein Blut zum Kochen.

Mit hochrotem Kopf stürme ich aus meinem Schlafzimmer und eine Tür weiter ins Bad. Sams Lachen folgt mir, bis ich unter der Dusche stehe und das Wasser aufdrehe.

So ein …

So ein …