Pitscher und Keller und eine Frau aus gutem Haus - Ursula Weyermann - E-Book

Pitscher und Keller und eine Frau aus gutem Haus E-Book

Ursula Weyermann

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Beschreibung

Bei ihrem zweiten Fall beschäftigen sich Ruth Pitscher und Harald Keller mit einem Mord im Pharma-Milieu. Je tiefer die beiden Senioren in die Geschichte eintauchen, desto deutlicher wird klar: Hier geht es um viel mehr, als nur um Medikamente. Nachdem Ruth Pitscher, Frollein vom Amt im Ruhestand, und Harald Keller, pensionierter Kommissar, schon einen Fall im beschaulichen Kreuzau gelöst haben, schlittern sie jetzt in einen weiteren Fall hinein. Ruth 'datet' nach wie vor im Internet, und trifft sich zu einem Stelldichein mit dem 'Eifeltiger' in einem Hotel in Bitburg. Sie ist ziemlich überrascht, dass sich hinter diesem Namen ihre Beinahe-Jugendliebe Klaus Steffens verbirgt, der heute als Referent und Gebietsleiter einer großen Pharmafirma arbeitet. Schnell ist klar, dass daraus auch keine Altersliebe entstehen wird. Aber es entwickelt sich ein entspannter Tag unter Freunden, der jäh mit dem plötzlichen Ableben Klaus' endet, kurz nachdem er sich über Ruths Bluse erbrochen hat. Mit viel Fantasie und Herzblut macht sich das Ermittler-Duo wieder an die Arbeit. Unterstützt durch den plattsprechenden Polizisten Hape Uerlichs und behindert durch Hans van Damm, Harald Kellers Nachfolger. Gefährlich wird es da, wo Macht, Geld, Eitelkeit und alte Verletzungen zusammenkommen. Wie gefährlich das werden kann, muss Ruth Pitscher am eigenen Leib erfahren.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Folgenden Personen begegnen Sie in Kreuzau und Umgebung:

Böll, Heinrich

verstorbener Schriftsteller mit Wirkungsstätte in Kreuzau-Langenbroich

Breuer, Grete

betage und an allem interessierte Kreuzauerin, Freundin von Christine Nolden

Diebel, Kurt

Hausmeister und enger Vertrauter von Sabine Hutmacher

Heinrichs, Bärbel

Freundin von Harald Kellers verstorbener Frau Marita

Hutmacher, Sabine Maria Dr.

Chemikerin und Abteilungsleiterin bei der Bremer AG

Keller, Harald

verwitweter Kommissar im Ruhestand

Klein, Elvira

Bäckereifachverkäuferin in der Backstube Büschel in Kreuzau

Kumaran, Niravi Dr.

Chemikerin aus Düren, einst Schützling Ruth Pitschers

Laprell, Marion

Atelierbesitzerin in Heimbach, Lebensgefährtin von Klaus Steffens

Martens, Henriette

Ehefrau von Prof. Dr. Sebastian Martens Martens, Sebastian Prof. Dr.

Laborleiter bei der Bremer AG, kurz vor der Rente und dem Durchbruch

Nolden, Christine

ständig auf der Suche nach Neuigkeiten, oft in Begleitung Grete Breuers

Pitscher, Ruth

pensioniertes „Frollein vom Amt“ mit ungewöhnlichen Hobbys

Steffens, Klaus

Pharmareferent in leitender Position bei der Bremer AG

Uerlichs, Hape

mit Harald Keller befreundeter Polizeibeamter in Kreuzau

van Damm, Hans

aktueller Dienststellenleiter der Kreuzauer Polizei

von Bernau, Edda

entfernte Verwandte von Sabine Hutmacher, aus Nideggen

Wesseling, Thorsten

Pharmareferent bei der Bremer AG, Schützling von Klaus Steffens

Wergen, Angela

Hausmeisterin und Zugehfrau von Klaus Steffens

Folgende Personen wohnen etwas weiter weg:

de Fabia, Carina

Ehefrau von Karl August Hutmacher

Hutmacher, Karl August Dr.

Sabines Vater, lebt in der Schweiz

Salander, Ricky

Kumpel Kurt Diebels, lebt in Dänemark

Wesseling, Jolantha

Mutter von Thorsten, wohnt mit ihrer Familie in Köln-Holweide

Inhaltsverzeichnis

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1.

Die letzten Dates hat sie im Nachhinein bitter bereut.'Lord Archie' und der 'Wilde Waldemar' sind ein Reinfall erster Güte gewesen. Warum sollte das jetzt mit dem 'Eifeltiger' anders werden? Eigentlich will sie ja sowieso die Finger von diesen Geschichten lassen. Und sich vielleicht einmal in einer realen Beziehung versuchen. Mit einem real existierenden Mann, der immer auf irgendeine Art und Weise greifbar ist. Bei dem bloßen Gedanken an 'immer' schnürt es ihr schon die Kehle zu und kleine Tröpfchen von Angstschweiß bilden sich an ihren Haarwurzeln. So trifft Ruth jetzt eine Entscheidung: Den 'Eifeltiger' wird sie noch treffen und sich danach bei ihrem Hausarzt eine Überweisung zur Psychotherapie holen. Ja, genau so soll es sein.

Den 'Eifeltiger' will sie in Bitburg treffen. Die letzten Treffen mit ihren Verabredungen vom Dating-Portal für reifere Menschen haben in unmittelbarer Nähe von Kreuzau stattgefunden. So hat sie den 'Wilden Waldemar' in der Ewigen Lampe in Nideggen getroffen. Aber da ist immer die Sorge, dabei von Bekannten „erwischt“ zu werden. Dabei ist sie nun wahrlich alt genug und keinem Rechenschaft schuldig. Natürlich auch nicht ihrer Schwester Marianne, die wegen einer Demenzerkrankung des Alzheimer Formenkreises im Schiller-Euler-Stift in Niederau betreut wird. Marianne Hages hat noch oft gute Phasen, in denen sie völlig klar ist. Und es würde Ruth nicht wirklich wundern, wenn Marianne – die ehemalige Lehrerin mit dem ausgeprägten Einfühlungsvermögen – über ihr vermeintlich heimliches Daten Bescheid wüsste. Was soll's. In einer Stunde will sie losfahren. Jetzt gilt es zunächst, die Kleider-Frage zu klären.

2.

Zuletzt beschäftigten sie sich intensiv mit der Geschichte der Kreuzauer Burg und der von Torkschen Familiengeschichte. Dann gab es da auch noch seine spezielle Brexit-Einlage. Die Geschichte der Briten passt natürlich theoretisch nicht zum Kreuzauer Geschichtsverein, dem er vorsteht. Aber Gusti Hoffmann bekundete da ihr spezielles Interesse und riss die anderen gleich mit. Wenn sich die 96-Jährige einmal etwas in den Kopf gesetzt hat …

Auch jetzt hat das liebenswürdig und resolute „Fräulein“ wieder sein Wunsch-Thema eingebracht. Nun beschäftigt sich der Verein, und ganz besonders Harald Keller, mit „Jüdischem Leben in Kreuzau vor und während des sogenannten 3. Reiches“.

Gusti hat ihn bekniet: „Komm, Harald. Über Burg und Jedöns können wir noch immer sprechen. Aber was das 3. Reich und die Juden betrifft, da sterben bald die letzten Zeitzeugen weg.“ Und mit einem schelmischen Lachen hat sie hinzugefügt: „Ich bin auch nicht für die Ewigkeit gemacht. Aber zu diesem Thema kann ich noch einiges beitragen.“

Also hat er zugestimmt, wie alle anderen auch. Und jetzt sitzt er über Heinrich Bölls Aufsatz 'Die Juden von Drove', ist fasziniert, von manchem nur angewidert und verspürt das dringende Bedürfnis, frische Luft zu schnappen. Es ist ein wunderschöner spätsommerlicher Samstagnachmittag. Er könnte Maritas Grab aufsuchen und mit Ruth Pitscher vor der 'Alten Schmiede' einen Kaffee trinken oder vielleicht ein Eis essen. Seitdem er und Ruth Ende März wesentlich zur Aufklärung des Mordes an Jochen Schumacher beigetragen haben, treffen sie sich fast wöchentlich zu einem Kaffee oder einem Minztee. Wobei Ruth nach 18 Uhr auch gerne mal ein Glas Merlot trinkt. Aber heute hat sie etwas vor. Sie hat sich allerdings diesbezüglich nicht wirklich äußern wollen.

Ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster zeigt ein gepflegtes kleines Beet und sein geliebtes Fahrrad. Keller legt den Aufsatz Bölls beiseite, schnappt sich seinen Helm und geht durch die Verandatür nach draußen. Die Luft ist einfach herrlich und sein Plan steht. Er wird über die Alte Gasse zum Bildstöckchen und dann Richtung Burgauer Wald fahren, dann später die Kuhbrücke passieren und der Rur entlang nach Schneidhausen fahren. Auf dem Weg will er ein paar Blumen pflücken und Marita mitbringen. Sie hat diese bunten Wildblumen-Sträuße immer so sehr gemocht.

3.

Die Stimmung zwischen den Zweien ist angespannt. Mehr als angespannt. Ein empathischer Mensch würde sofort feststellen, dass die beiden Personen sich einmal ziemlich nahe gestanden haben. Man kann das erahnen … festmachen am Grad der Wut, die sich gerade bei der älteren der beiden Personen bemerkbar macht. Das Zittern in der Stimme, die es gewohnt ist, vor vielen Menschen und „hohen Tieren“ zu sprechen, spiegelt Enttäuschung wieder. Träten dem Mann jetzt Tränen in die Augen, wäre man nicht verwundert.

„Es ist an der Zeit, dass du dich den Dingen stellst. Über's Wochenende werde ich jetzt nichts unternehmen. Aber … “

„Aber …“, äfft die jüngere Person ihn nach. „Ich hab' dich mal bewundert. Wollte so werden wie du. Warum eigentlich? Du sitzt auf so einem verdammt hohen Ross: Moral ist völlig überbewertet. Moral muss man sich leisten können. Du kannst das. Ich nicht! Tu', was du nicht lassen kannst.“

Abrupt dreht sich diese Person um, und geht … nein schreitet … entlang der Picasso-Drucke aus der Blauen Periode in die gepflegte Gartenanlage. Die ältere Person bleibt zurück. Sprachlos und, wie es scheint, ratlos.

4.

Sie hat sich letztendlich für einen silbergrauen taillierten Nadelstreifenanzug entschieden, der so wunderbar mit ihrem grauen Pagenkopf harmoniert. Dazu ein eng anliegendes rotes Shirt, das mittels Push-up-BH ein schönes Dekoltee zeigt. Noch bedient sie mit ihren heiß geliebten knallroten Doc Martens Kupplung, Gas und Bremse ihres Minis. Diese sollen aber bei der Ankunft in Bitburg durch schwarze Pumps ersetzt werden.

„Ihr Ziel befindet sich in 100 Metern auf der linken Seite“, verkündet das Navi. Ruth findet eine Parkbucht, trägt noch einen Hauch Lippenstift auf, wuschelt mit der linken Hand ihre Frisur ein bisschen durcheinander und wechselt die Schuhe. Mit einem verstohlenen Blick zum Bürgersteig rückt sie ihren BH noch einmal zurecht und verlässt dann ihr Auto.

Warum nur ist sie heute so aufgeregt? Sie hat doch schon viele Dates gehabt. Noch einmal tief durchatmen und dann möglichst gelassen die Treppe zum Hotel 'Eifelpalast' hochgehen.

5.

Das schöne Wetter hat auch die Damen Breuer und Nolden ins Freie gelockt. Gretchen und Christinchen schieben ihre Rollatoren durch den Ort und steuern die Bäckerei Büschel in Sparkassen-Nähe an.

„Beeil dich, Gretchen! Da draußen ist noch ein Tisch frei!“

„Ne alte Frau ist kein D-Zug,“ kontert Grete Breuer und ruft über die Straße der netten Bäckereiverkäuferin Elvira Klein zu: „Huhu, Frollein! Halten Sie den Tisch frei für uns.“ Elvira Klein ruft zurück: „Mache ich. Zwei Kaffee und 'Riemchenstaat' wie immer?“

„Ja,“ schreit nun Christinchen. „Bitte Apfelriemchen.“

Hastig überqueren die Seniorinnen die Straße. Die Fahrerin des weißen Jaguars tritt heftig in die Bremsen und fährt dann kopfschüttelnd weiter.

„Das war die Hutmacher. Die ist aber flott unterwegs“, schüttelt Christine den Kopf. „Wer ist denn 'die Hutmacher'?“, will Grete Breuer wissen.

„Ach Gretchen, bei der Haute Volaute kennst du dich aber gar nicht aus.“

Dieser unverhohlene Tadel kränkt Grete sehr, zumal sie noch immer unter der Schmach zu leiden hat, dass ihr Neffe Werner nicht zum persönlichen Berater des Bürgermeisterkandidaten avancieren konnte, da selbiger auf der Flucht vor der Polizei unglücklich stürzte und verstarb. Krampfhaft überlegt sie, was sie dagegen setzen kann.

„Weißt du denn eigentlich, dass meine Schwägerin vor ihrer Heirat bei den Schillers als Kindermädchen tätig gewesen war?“, betont Gretchen jede einzelne Silbe und blickt ihre Freundin Beifall heischend an.

„Ach, meine Liebe,“ rückt Christine Nolden sich ihren Stuhl zurecht: „Du hast wirklich keine Ahnung. Die Frau Schiller, für die deine Schwägerin gearbeitet hat, war die Großmutter von Dr. Sabine Maria Hutmacher. Und die Mutter von Sabine hieß Gesine Schiller bevor sie Dr. Karl August Hutmacher geheiratet hat. Gesine ist ganz früh an Krebs gestorben. Auf die hat deine Schwägerin dann bestimmt aufgepasst.“

„Ja, Gesine hieß die Kleine. Das hat Margot oft erzählt“, beeilt sich jetzt Gretchen zu sagen. „Und die Tochter von Gesine wohnt in Kreuzau?“

„Nein, die wohnt in Köln. In einer feinen Gegend. Marienburg heißt das. Ich weiß nicht, ob du davon schon einmal gehört hast.“

„Aber sicher“, so Gretchen empört. „Und was macht die denn dann in Kreuzau?“

„In Nideggen wohnt noch Verwandtschaft. Eine Cousine ihrer Mutter. Edda von Bernau. Wahrscheinlich fährt sie dahin.“

„Was du alles weißt“, äußert sich Gretchen begeistert und auch ein bisschen neidisch.

„Dann muss das Auto von der Hutmacher ja ein Kölner Kennzeichen haben.“

„Das Auto hatte ein Kölner Kennzeichen”, erwidert Christinchen. „Hast du das denn nicht gesehen?“

„Ja wie denn? Die hat mich doch beinahe überfahren“, sagt Gretchen und bekreuzigt sich.

Das Gespräch der Damen endet jäh, als Elvira Klein mit zwei Kaffee und der 'Riemchenstaat' an ihren Tisch kommt.

6.

Ruth steckt sich das kleine silberne Herz ans Revers, checkt ein und sieht sich verstohlen in der Lobby um. Ein gepflegter, gutaussehender Herr in ihrem Alter schaut ein paar mal zu ihr rüber. Kommt näher, starrt sie unverhohlen an und lacht. Und kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Ruth will schon zu einer schnippischen Bemerkung ansetzen, da umarmt er sie mit einem kräftigen Druck, schiebt sie ein bisschen zurück und lacht wieder.

„Ruth? Ruth Pitscher?“

„Und Sie?“, fragt Ruth irritiert.

„Mensch, Ruth! Kennst du mich wirklich nicht mehr?“

Jetzt ist es an Ruth, ihr Gegenüber ein bisschen zurückzuschieben. Dann dämmert ihr, wen sie vor sich hat: „Klaus! Klaus Steffens!“ Sein Blick streift das kleine Herzchen auf ihrem Revers.

„Du bist Silberherz_17?“, lacht er schallend.

„Du bist der Eifeltiger?!“, prustet Ruth los.

Sie umarmen sich wieder.

„Also ich weiß nicht, wie du das siehst … “, blickt Klaus sie fragend an.

„Keine Angst, du Eifeltiger! Ich will keinen wilden Sex mit dir.“

„Eigentlich passt das wunderbar. Ich wollte sowieso mit diesen Abenteuern aufhören.“

„Ich auch, Klaus. Ich auch.“

Freundschaftlich legt Klaus den Arm um sie.

„Hast du Zeit, Ruth? Ich leite hier morgen eine Tagung und hab für die Nacht ein Zimmer gebucht.“

„Ich auch“, lacht Ruth. „Nee, keine Tagung.

Aber ein Zimmer.“

„Dann schlage ich vor, du bringst deine Sachen auf's Zimmer, ziehst ein Paar bequeme Schuhe an und wir machen einen ausgiebigen Spaziergang. Und heute Abend lade ich dich zum Essen ein. Mit einem guten Wein. Schwörst du eigentlich noch immer auf Merlot?“

„Das weißt du noch?“, staunt Ruth. „Schlage vor, wir treffen uns um vier wieder hier in der Lobby. Jetzt gehe ich erst einmal meine bequemen Schuhe aus dem Auto holen.“

7.

Das ist einer dieser Tage, an denen sie sich ständig fragt, ob es so eine gute Idee gewesen ist, nach Kreuzau zu ziehen. Wenn auch nur inoffiziell und heimlich. Anfänglich hat sie es genossen, in dem gut versteckten Anwesen am Waldrand zu wohnen. Wo ein unscheinbares Klingelschild den Namen ihres Helfers anzeigt. K. DIEBEL ist auf der Klingel auf dem schlichen Gartentor zu lesen.

Normalerweise parkt sie den Wagen außerhalb Kreuzaus, wenn überhaupt. Normal ist eigentlich, in Kreuzau den schwarzen Golf zu nutzen, den Kurt Diebel auf seinen Namen angemeldet hat. Auf Diebel ist Verlass. Sie hatte ihn vor vielen Jahren im Rahmen ihrer Charity-Tätigkeit kennengelernt. Seine Mutter war, ebenso wie die ihre, früh an Krebs gestorben. Er war auf die schiefe Bahn geraten. Sie hatte ihm eine Chance gegeben. Einen festen Job mit Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen, Urlaubsansprüchen und 14. Monatsgehältern. Im Gegenzug hatte sie Loyalität gefordert … und bis heute bekommen.

Eigentlich ist sie gerne in Kreuzau, an fünf bis zehn Tagen im Monat. Aber sie möchte hier nicht erkannt werden. Als Kreuzauer Bürgerin müsste sie jedes Grußwort für zumindest jeden zweiten Verein schreiben oder schreiben lassen. Sämtliche Wohltätigkeitsveranstaltungen müsste sie dann moderieren oder zumindest eröffnen. Sie müsste Hände schütteln. Ständig. Man würde sich mit ihr fotografieren lassen, um sich selbst aufzuwerten. Alte Damen würden sich sogar erdreisten, sie zu umarmen. „Sie gleichen so ihrer lieben Mutter“, würden sie sagen und ihren Arm tätscheln. Widerlich. Einfach nur widerlich.

In Marienburg und rund um die Firma gibt es genug offizielle Auftritte, und da ist immerhin ein gewisser Stil garantiert. Aber heute Mittag ist sie wutentbrannt in Köln losgefahren und hat nicht nachgedacht. Und dass sie den Jaguar fährt, hat sie erst in dem Moment registriert, als sie fast eine der beiden alten Schachteln über den Haufen gefahren hat. Wie die sie angesehen hat. Das ist bestimmt auch so eine von diesen grapschenden Kindchen-Sie-sind-Ihrer-Mutter-wie-aus-dem-Gesicht-geschnitten-Schachteln. Die hat sie vermutlich erkannt. Aber sie wird denken, dass sie Edda besucht. Edda! Diese alte Ziege mit dem aufgesetzten Aristokraten-Getue und diesem mitleidigen Blick und dem saublöden Spruch: „Kindchen, meinst du nicht, es sei an der Zeit, dich zu vermählen? Jünger wirst du auch nicht. Da ist schon eine gewisse Eile geboten.“

Sie fährt die Alte Gasse hoch zum Bildstöckchen, bleibt stehen und telefoniert: „Kurt, du musst den Wagen nach Köln bringen. Nicht zur Villa. Stell' ihn in ein Parkhaus und komm' dann mit der Bahn zurück.“

8.

Ausgelassen wie zwei Teenager und ein bisschen außer Puste stürmen Klaus Steffens und Ruth Pitscher die Lobby des 'Eifelpalastes'.

„Kann das sein, dass der nette Herr an Rezeption von unserem etwas legeren Outfit nicht so begeistert ist?“, stößt sie ihren Begleiter in die Rippen.

„Vermutlich“, antwortet Klaus. „Aber er bewahrt die Contenance. Willst du dich wirklich zum Abendessen umziehen? Ich mag deine Latzhose und die knallroten Doc Martens.“

„Wozu hab ich eine Stunde vor meinem Kleiderschrank zugebracht? Nee, nee. Da musst du nun durch. Zum Essen gibt es mich als Schick-Variante. Und das erwarte ich von dir auch.“

Damit drückt sie ihm einen Kuss auf die Wange und hüpft zum Fahrstuhl. Klaus sieht ihr nach und lässt die gemeinsame Abi-Zeit passieren. Warum war damals nichts aus ihnen geworden? Geknistert hatte es ja schon ein paarmal. Aber vermutlich zu selten. Sie war ihm wohl eine Spur zu burschikos gewesen. Und er war ziemlich oberflächlich gewesen, muss er sich selbst eingestehen. Lange Beine, lange Haare und große Oberweite und großes Bankkonto. Heute nimmt er manches anders wahr. Und das hat sehr viel mit Marion zu tun. Marion und Ruth würden sich mögen. Er wird die beiden einander vorstellen. Allerdings will er dann die Begegnung mit seiner alten Jugendfreundin als Zufall darstellen.

9.

Da ist es wieder. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das Gefühl, nicht um seiner selbst Willen geliebt zu werden. Das Gefühl des bedingungslosen Geliebtseins hat er nur bei seiner Mutter gehabt. Und bei seinem kleinen Bruder Mike, der leider viel zu früh gestorben ist. Mit gerade mal 13 Jahren. Mike war immer schon schwächlich gewesen und er hatte ihn beschützt. Aber gegen den Krebs hatte er ihn nicht beschützen können. Das hatte keiner gekonnt. In der letzten Zeit hat er nicht mehr so oft an Mike gedacht. Aber heute ist wieder so ein Tag. Er könnte Mikes Grab besuchen … oder seine Familie.

Zumindest seine Mutter würde sich sehr darüber freuen. Auch er wäre dann für einen kurzen Moment so etwas wie glücklich. Aber schon nach zehn Minuten würde sich die Diskrepanz bemerkbar machen, zwischen seiner jetzigen Welt und seiner Holweider Kinderstube. Über was sollten sie sprechen, wenn seine Mutter die Umarmung lockerte? Über Mutters Putzjob, den sie neben ihrer Arbeit in der Wäscherei noch angenommen hatte, weil sein Vater ein fauler Hund war? Über sie vielleicht? Sollte er seiner Mutter von der faszinierenden Frau erzählen, die ihre Beziehung nicht publik machen wollte … oder nur unter bestimmten Umständen? Nein, das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um nach Hause zu fahren. In Gedanken nennt er diese Welt noch immer Zuhause, aussprechen würde er das niemals. Schon komisch, die räumliche Distanz zwischen ihm und seiner Familie und ihm und der Frau, bei der er manchmal sein darf, ist wesentlich größer, als zwischen seiner Familie und eben dieser Frau. Es gibt eine Chance für sie und ihn. Er muss jetzt nur die Nerven behalten.

10.

Ruth hat nicht zu viel versprochen. Als Chic-Variante macht sie schon was her. Die graue Nadelstreifen-Kombination, in der er sie beim Einchecken gesehen hat, bietet auch einen eng anliegenden Rock anstelle der Hose. Nun trägt sie wieder ihre High Heels und eine graue Bluse im Carmen-Stil lässt einen Träger ihres roten BHs keck hervorblitzen. Klaus vermutet zu Recht, dass es sich um einen Push-Up handelt. Ihm fällt plötzlich ihr mein-Busen-ist-viel-zu-klein-Komplex wieder ein und am liebsten würde er sie an sich drücken, wie man das mit einem kleinen Kind macht, und ihr sagen, dass sie so liebenswert ist … genau so, wie sie ist. Aber er ist sich unsicher, wie das wohl bei ihr ankommen mag. Und dann sind da auch noch diese Bauchschmerzen.

„Schmeckt's dir?“, will er wissen.

„Super lecker“, antwortet Ruth. „Und da du ja kein echtes Date bist, brauche ich auch den Bauch nicht einzuziehen und kann ganz unauffällig den Reißverschluss meines Rockes ein bisschen öffnen.“

Jetzt bemerkt sie, wie blass er ist: „Klaus, was ist los mit dir? Du bist ja ganz bleich geworden. Rede ich zu viel? Schmeckt dir das Essen nicht? Kann ich etwas für dich tun?“

Klaus lockert den Knoten seiner Krawatte und ringt sich ein Lächeln ab: „Das ist nur mein Magen. Der meldet sich leider immer wieder.

Besonders dann, wenn ich mich aufgeregt habe.

Da gibt es eine unschöne Geschichte mit meinem … ähh … nennen wir ihn mal 'pharmazeutischen Ziehsohn'. Aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Ich nehme eine Magentablette und dann geht es mir spätestens in einer halben Stunde wieder besser.“

Er drückt eine kleine Tablette aus dem Riegel und spült sie mit einem Schluck Wasser hinunter. Dann nippt er am Merlot, den er Ruth zu Ehren bestellt hat und sieht sie an: „Auf dich, Ruth. Und auf einen schönen Abend.“

„Ach, Klaus. Darf ich offen sein? Quatsch! Bin ich sowieso,“ lacht sie und fährt dann fort: „Du konntest ja schon manchmal ein ganz schöner Schnösel sein. Das Schnöselige hast du komplett abgelegt. Dafür ist bestimmt eine Frau verantwortlich. Erzähl' mir von ihr.“

Und Klaus erzählt von Marion, der unkonventionellen, die eine Galerie in Heimbach hat …

11.

Im Moment muss er ständig an seine Kindheit denken. An seine Jugend. Und Träume, die keinen Weg in die Realität gefunden haben. An Mike, an die Mutter, an Margit und natürlich auch an die schöne Unnahbare, die so viel von ihm verlangt.

Im Juni 1976 wurde er auf der so genannten 'schääl Sick' in Köln geboren. Und Erzählungen zufolge soll sein Vater in diesem Moment im Feinripp-Unterhemd, mit einer Flasche Bier am Hals und dem dreijährigen Darius auf dem Schoß, vor dem Fernseher gesessen und Eduard Zimmermann und XY gesehen haben. Karl-Heinz Wesseling war nie einer von der 'schnellen Truppe' gewesen. Und hätte er nicht die fleißige Jolantha Dobranski kennengelernt, wäre er wahrscheinlich hoffnungslos untergegangen. Das hatte sein Vater auch immer gewusst, und deswegen auch den ausgeprägten polnischen Katholizismus der Mutter in Kauf genommen. Er hatte sich ausgeruht auf der Erklärung 'Ich finde keinen Job, weil ich nichts Richtiges gelernt habe' und die Mutter arbeiten lassen. In der Wäscherei und zusätzlich als Putzfrau. Auch Dariusz wollte anders werden als der Vater. Ganz anders. Aber sein Bruder hatte darunter etwas ganz anderes verstanden: Boxen und in der Fabrik malochen … solange, bis er sich ein eigens Box-Studio leisten und aufbauen kann. Für Thorsten selbst hatte 'anders als der Vater werden' bedeutet, einen weißen Kittel zu tragen und keinen grauen, wie sein Vater, wenn der nicht gerade wieder arbeitslos war und im Feinripp-Unterhemd vor der Glotze hing. Seine Lehrer bezeichneten ihn als sehr wissbegierig und empfahlen den Eltern, ihn nach der Grundschule die Realschule in der Lassallestraße besuchen zu lassen. Das war für seine Familie schon etwas Besonderes und Jolantha war mächtig stolz auf ihren Sohn gewesen.

Vor seinem geistigen Auge ziehen die Stationen des kleinen Jungen vorbei, der seinen Namen trägt. In Chemie und Biologie ist Thorsten richtig gut. Ansonsten ist er ziemlich einsam. Die Kinder aus der Nachbarschaft interessieren sich nicht so für die Schule. Die Kinder aus den besseren Familien interessieren sich nicht für ihn. Mit dem Vater streitet er sich nur, die Mutter bewundert er wegen deren Fleiß und Ausdauer. Aber worüber soll er mit ihr reden? Über binomische Formeln oder die Relativitätstheorie? Dariusz ist zu diesem Zeitpunkt schon stark und zielstrebig. Das imponiert ihm. Seine Schwester Saskia ist ein Flittchen und Mike ist klein und schutzlos und liebenswert. Die Lehrer bestärken ihn in seiner Idee, nach der mittleren Reife eine PTA-Fachschule in Aachen zu besuchen. Er bekommt BAföG, verdingt sich nebenbei als Fahrradkurier für eine Apotheke und zieht in eine kleine Wohnung in Nord-Düren.