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Schon lange, bevor er für PERRY RHODAN als Exposéautor tätig wurde und den Kurs der Serie über Jahre lenkte, war Ernst Vlcek für seine fantasievollen SF-Romane bekannt. In diesem Band präsentieren wir zwei seiner Frühwerke. Perry Rhodan und der Telepath John Marshall müssen mit einem mächtigen Fremdwesen verhandeln, das nicht weniger als den Untergang des Solaren Imperiums vorhersagt. Dabei verschlägt es die zwei Männer in ein anderes Universum, in dem nichts so ist, wie sie es kennen ... und in dem sie überall gejagt werden. "Ungeheuer" erscheinen an vielen Orten aus dem Nichts und verbreiten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung des Solaren Imperiums. Perry Rhodan nimmt sich persönlich der unerklärlichen Vorfälle an. Die Spur führt zu einer Methanwelt, die bereits zwei Explorer-Schiffen zum Verhängnis geworden ist ...
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Veröffentlichungsjahr: 2017
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Band 69/70
Der Untergang
des Solaren Imperiums
Drei Stufen zur Ewigkeit
Ernst Vlcek
Cover
Rückentext
Der Untergang des Solaren Imperiums
Der doppelte Streifen der Unendlichkeit
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Nachwort
Drei Stufen zur Ewigkeit
Das Wesen des Ezialismus
Prolog
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Epilog
Nachwort
Vorschau
Impressum
Ein Universum der Fantasie
Schon lange, bevor er für PERRY RHODAN als Exposéautor tätig wurde und den Kurs der Serie über Jahre lenkte, war Ernst Vlcek für seine fantasievollen SF-Romane bekannt. In diesem Band präsentieren wir zwei seiner Frühwerke.
Perry Rhodan und der Telepath John Marshall müssen mit einem mächtigen Fremdwesen verhandeln, das nicht weniger als den Untergang des Solaren Imperiums vorhersagt. Dabei verschlägt es die zwei Männer in ein anderes Universum, in dem nichts so ist, wie sie es kennen ... und in dem sie überall gejagt werden.
»Ungeheuer« erscheinen an vielen Orten aus dem Nichts und verbreiten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung des Solaren Imperiums. Perry Rhodan nimmt sich persönlich der unerklärlichen Vorfälle an. Die Spur führt zu einer Methanwelt, die bereits zwei Explorer-Schiffen zum Verhängnis geworden ist ...
Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch
Der Untergang des Solaren Imperiums
Zweites Buch
Der Untergang des Solaren Imperiums
Seit dem Jahr 2404 n. Chr. ist bekannt, dass das Standarduniversum aus Milliarden von Galaxien besteht, die in der Form eines Möbiusbandes angeordnet sind. Dies erfuhren seinerzeit die terranischen Mutanten Tako Kakuta sowie Rakal und Tronar Woolver, als sie von einem Raum-Zeit-Transmitter der Meister der Insel in den Hyperraum geschleudert wurden.
Erst viel später enthüllte sich, dass die Fläche des Möbiusbandes zwei gleichgroße Raum-Zeit-Gebilde umschließt, die als Arresum und Parresum bezeichnet werden. Diese Namen erfuhren die Galaktiker durch den Kontakt mit den Ayindi im Jahre 1216 NGZ, als sie an der Großen Leere mit Moira zusammentrafen. Dabei stellt das Arresum den bekannten Teil und das Parresum eine umgekehrte, spiegelbildliche Abbildung dar. Materiereiche Zonen liegen in der einen Hälfte den entsprechend materiearmen Zonen der anderen Hälfte gegenüber. Es ist nicht möglich, von einer Seite des Streifens zur anderen zu fliegen; man benötigt Kontaktplaneten, die sogenannten Sampler, um den Wechsel zu vollziehen.
Die terranische Hypermathematik ist von dieser Erweiterung des Weltbildes der Kosmologie weitaus weniger überzeugt wie die Hyperphysiker, die Kosmologen oder andere Wissenschaftszweige wie Ezialisten oder Nexialisten. Bekannt geworden ist der Einwurf des terranischen Mathelogikers Wiljem Heartman, der sich wie folgt äußerte: »Der Vergleich mit den zwei Seiten eines Möbiusbandes ist natürlich gewagt, da ein Möbiusband sich gerade dadurch auszeichnet, dass es nur eine Seite hat.«
Es will allerdings scheinen, dass die Naturgesetze des Multiversums, wie sie sich den Terranern spätestens im frühen 13. Jahrhundert NGZ erschließen, eine dezidiert andere Meinung zu diesem Thema haben. Ein hastig vorgenommener Erklärungsversuch besagt, dass beide Seiten sich wie ein vierdimensionales Möbiusband verhalten, das heißt, sie bilden ein Ganzes, auch wenn sie getrennt sind.
Dabei können sich die beiden Seiten gegenseitig beeinflussen; so ist zum Beispiel dort, wo sich im Arresum ein Leerraum befindet, im Parresum ein Galaxienhaufen und umgekehrt. Im extremsten Fall trifft dies auf die Große Leere zu, der im Arresum eine gigantische Anzahl an Galaxien gegenüber steht.
Für Perry Rhodan bestand keine Veranlassung, jemals nach Dornister zu kommen. Wenn der Großadministrator des Solaren Imperiums diese Kolonistenwelt überhaupt dem Namen nach kannte, dann brachte er höchstens den Begriff Erz damit in Zusammenhang. Dornister war ein Wüstenplanet mit riesigen Erzvorkommen, aber das war für den Großadministrator nicht Grund genug, dieser Welt einen Besuch abzustatten.
Für die Kolonisten allerdings bedeutete Dornister mehr als nur Wüste, Fels, Erz, Wasserarmut und Trostlosigkeit – sie hatten hier eine zweite Heimat gefunden. Sie gehörten der zweiten Generation von terranischen Siedlern an, die sich verpflichtet hatten, solange auf Dornister auszuharren, bis sämtliche Erzlager ausgebeutet waren. Die erzielten Gewinne wurden auf die Terranische Bank eingezahlt und sollten ihnen der Grundstein für eine bessere Zukunft sein.
Die Erzvorkommen waren noch lange nicht abgebaut, und die Siedler schufteten wie vor fünfzig Jahren. Ihr Leben war einförmig und spielte sich zwischen den Erzgruben und der einzigen Ansiedlung ab, die sie stolz Dornister City nannten. Die Umstände hatten sie genügsam werden lassen, sie waren gezwungen, ihre karg bemessene Freizeit entweder in dem Dutzend Schenken, in der öffentlichen Mikrothek oder in privatem Freundeskreis zu verbringen. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass von den rund zweitausend Kolonisten jeder jeden kannte.
In ihren Lebensrhythmus gehörte auch die monatliche Landung von vier Transportraumern, welche die Erze abholten. Die Kolonisten richteten es dann nach Möglichkeit so ein, dass sie die Arbeitsroboter in den Erzgruben unbeaufsichtigt ließen, kleideten sich und ihre Familien in Festtagsgewänder und warteten am Rande der weiten Ebene aus geschmolzenem Sand auf das Eintreffen der vier Raumschiffe. An solchen Tagen war ganz Dornister auf den Beinen, in die Augen der Kolonisten trat ein besonderer Glanz, es herrschte Karnevalsstimmung.
Sie trugen die Raumfahrer auf den Schultern in die »City«, scharten sich um sie und lauschten den phantastischen Erzählungen über ferne, paradiesische Welten und haarsträubende Abenteuer. Meist wussten oder ahnten sie, dass vieles davon pures Raumfahrergarn war, aber das machte ihnen nichts aus. Denn die Geschichten der Raumfahrer lenkten sie vom Alltag ab und nährten ihre berechtigte Hoffnung, dass einmal sie, ihre Kinder, oder Kindeskinder teilhaben würden an dem Wohlstand des großen Imperiums. Davon träumten sie auch noch, wenn die Transportraumer schon längst wieder gestartet und sie selbst an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt waren. Sie blieben mit der Gewissheit zurück, dass sie hier auf Dornister ihren festen und bedeutsamen Platz im komplizierten Räderwerk des Sternenreiches einnahmen.
Sie beaufsichtigten weiterhin die Arbeitsroboter, flogen die gewonnenen Erze mit den Antigrav-Schleppern zu den Lagerplätzen am Rande der »City«; in den freien Stunden labten sie ihre vom Wüstensand ausgedörrten Kehlen mit dem gepanschten Fusel aus den Schenken und reagierten ihre überschüssigen Kräfte in handfesten Raufereien ab; sie ehrten ihre Frauen und Mütter und verstanden es, deren und ihrer Kinder Illusionen mit der blumenreichen Sprache der Raumfahrer wach zu halten; und sie fieberten wieder dem Tag entgegen, an dem die vier Transportraumer landen sollten.
Doch im März des Jahres 2419 versetzten die Kolonisten ihrerseits die Raumfahrer mit einer Geschichte in Erstaunen, die sich mit jedem Raumfahrergarn messen konnte. Nur mit dem Unterschied: Was die Kolonisten zu berichten hatten, beruhte auf Tatsachen, davon konnten sich die Raumfahrer mit eigenen Augen überzeugen, als man sie dem »Wunder von Dornister« gegenüberstellte.
Es handelte sich um einen Mann in einem wallenden, blütenweißen Gewand. Der kahle Schädel, der graue Vollbart und die unzähligen Runzeln in seinem blasshäutigen Gesicht ließen ihn uralt erscheinen. Einer der Raumfahrer machte die scherzhafte Bemerkung, dass es sich womöglich um einen Zeitreisenden handle, denn er sehe wie einer der Inder in den Sensitiv-Monsterschinken aus. Das folgende Gelächter der Raumfahrer verstummte aber bald, als das Objekt ihrer Heiterkeit plötzlich die Augen öffnete und zu sprechen begann.
»Ich heiße Curu zy Shamedy«, sagte der Mann in einwandfreiem Interkosmo, »und ich bin ein Psynetiker. Ich bin hier, um Perry Rhodan zu sprechen. Ich habe eine beschwerliche Reise gehabt, ich bin müde, deshalb wird Perry Rhodan zu mir kommen müssen.«
Es wurde später nie richtiggestellt, ob Curu zy Shamedy den Raumfahrern und Dornister-Kolonisten den Beweis für seine übernatürlichen Fähigkeiten erbrachte. Aber John Marshall, der Leiter des Mutantenkorps, ging dem Gerücht um den angeblich Extratemporal-Perzeptiven nach und stellte bei persönlich vorgenommenen Versuchen fest, dass man es mit einem außergewöhnlichen Mutantentyp zu tun hatte. Er suchte Curu zy Shamedy in dem leeren Schuppen auf, in dem er Quartier bezogen hatte und er sprach mit ihm. Allerdings erreichte John Marshall nichts, denn der Mann wollte nur mit Perry Rhodan selbst verhandeln.
»Worüber verhandeln?«, wollte John Marshall wissen.
»Es geht um den Fortbestand des Solaren Imperiums«, antwortete Curu zy Shamedy, dann zog er sich wieder zur Meditation zurück.
In dieser schnelllebigen Zeit gehörte die letzte große galaktische Auseinandersetzung zu Beginn des 25. Jahrhunderts im Jahre 2419 bereits der Vergangenheit an, war für die meisten in Vergessenheit geraten. Nur die Veteranen, die »dabei gewesen« waren, ließen die Vergangenheit gelegentlich aufleben, wenn sie den Jüngeren vom »größten Sieg der Menschheit« berichteten, als wären sie persönlich maßgeblich daran beteiligt gewesen. Dabei hatten sie die Geschehnisse meist selbst nur aus zweiter Hand erfahren.
Wie dem auch war, wer sich ernsthaft mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzen wollte – mit dem Andromedafeldzug, dem Sieg über die Meister der Insel, der schließlich zu einem dauerhaften Friedensvertrag und Freundschaftsbündnis mit den Maahks führte; dem Auftauchen der Freifahrer, die den Springern das Privileg des freien Handels streitig machten und die darauffolgende Raumschlacht im Urbtridensektor, die die Freifahrer für sich entschieden – wer darüber authentisch informiert werden wollte, dem stand es frei, die Enzyklopaedia Terrania zu Hilfe zu nehmen.
Das wurde selten genug getan, denn die Menschheit befand sich in einer neuen Blütezeit. Denn in Zeiten des Friedens und des Wohlstandes vergisst man die graue Vergangenheit am besten schnell wieder. Der Durchschnittsbürger dachte zumindest so. Die Vergangenheit ist tot, man vergisst sie, und um die Zukunft sorgen sich nur Pessimisten.
So leicht konnten es sich die führenden Männer der Menschheit allerdings nicht machen. Perry Rhodan, Großadministrator des Solaren Imperiums, Träger eines Zellaktivators, war dem Schicksal für die dreizehn Jahre Ruhepause dankbar, und zusammen mit seinen Männern nutzte er diese Zeit für das Wohl der Menschheit. Aber es war klar, dass dieser Friedenszustand nicht auf die Dauer zu halten war.
Die Zeit bleibt nicht stehen; ein Planet dreht sich um seine Sonne, die Sonne kann sich der galaktischen Rotation nicht ausschließen, und die Galaxis bewegt sich mit anderen zigtausenden Galaxien um den Mittelpunkt der Supergalaxis. Zehntausende solcher Supergalaxien bewegen sich zusammen um ein gemeinsames Zentrum. Das waren Räume von einem Ausmaß, dass es die Vorstellungskraft jedes Sterblichen sprengen musste, wenn er sich damit auseinandersetzen wollte. Und doch musste der Großadministrator in diesen Bahnen denken, denn er musste die Zukunft im Auge behalten.
Die Menschheit breitete sich immer mehr aus; noch war die eigene Milchstraße nicht erforscht und befriedet, aber der Mensch hatte bereits die ersten Annäherungsversuche an den Andromedanebel gemacht; der noch ungeahnte Geheimnisse besaß, aber bevor man noch daranging, sie zu lüften, rüsteten sich bereits Expeditionen zu den beiden Magellanschen Wolken. Die Menschheit hatte ihre Netze über ein riesiges Gebiet des Weltraums ausgelegt, sie griff nach immer mehr, und ihrem Forschungsdrang waren keine Grenzen gesetzt.
Das hatte sein Gutes, es zeigte, dass der Mensch noch jung, vital und deshalb lebensfähig war. Aber es gab auch eine Schattenseite. Je größer das zu erforschende und verwaltende Gebiet war, desto verwundbarer wurde das Solare Imperium gleichzeitig.
Und noch etwas. Schon während sich die Menschheit in der eigenen Galaxis ausbreitete, hatte sie mit unzähligen unbekannten Gefahren zu kämpfen gehabt, und ein kurzer Abstecher in den Andromedanebel hätte fast das Ende bedeutet. Man brauchte seine Fantasie also nicht sehr anzustrengen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Magellanschen Wolken und die anderen Galaxien, die zusammen mit der Milchstraße zu der Lokalen Gruppe gehörten, noch genügend unangenehme Überraschungen in sich bargen; man konnte ruhig sagen: potenzielle Gefahren.
Natürlich handelte es sich hier um riesige Gebiete, und der Mensch würde sich nicht so schnell über alle dreizehn Milchstraßen der Lokalen Gruppe ausbreiten. Das konnte noch viele Menschenalter dauern. Aber der Großadministrator war unsterblich, er würde es noch erleben, falls er nicht eines gewaltsamen Todes starb. Er musste die Möglichkeit von potentiellen Gefahren beachten, und deshalb setzte er durch, dass sich die Menschheit vorerst militärisch und moralisch stärkte, bevor sie sich auf weitere Forschungsabenteuer einließ.
Doch das allein genügte nicht. Es wäre vermessen, wenn der Mensch glaubte, dass jene potenziellen Gefahren nur durch seine Initiative akut wurden. Es hat sich gezeigt, und würde sich noch oft zeigen, dass die Gefahr ganz überraschend aus den Tiefen des Alls auftauchte, ohne dass man gewarnt war. Auch dagegen musste die Menschheit gerüstet sein.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass Perry Rhodan und sein Stab beim Auftauchen des Extratemporal-Perzeptiven die Möglichkeit einer »Gefahr von außen« in Erwägung zogen und Sicherheitsvorkehrungen trafen. Bei dem Treffen mit Curu zy Shamedy wurde alles Menschenmögliche für Perry Rhodans Sicherheit unternommen.
Trotzdem rieten ihm seine Männer von dem Unternehmen ab.
»Ich hoffe, du hast die Folgen bedacht, die dein Tod für das gesamte Solare Imperium mit sich bringen würde«, sagte Atlan, Regierender Lordadmiral der USO.
»Ich glaube«, entgegnete Rhodan, »wir haben das Für und Wider genügend durchdiskutiert.«
Er befand sich an Bord der CREST IV, die vor wenigen Minuten auf dem primitiven Raumhafen von Dornister gelandet war. In 200.000 Kilometern Entfernung umkreiste ein Verband von Ultrariesen unter Atlans Kommando den Planeten und riegelte ihn somit vom All her ab.
»Natürlich«, sprach wieder Atlan, und Rhodan sah deutlich, wie sich die Mundwinkel des Arkoniden leicht spöttisch verzogen. »Natürlich, du hast diese Angelegenheit so weit gedeihen lassen, dass die halbe Galaxis nach Dornister blickt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr; du riskierst lieber Kopf und Kragen und bringst das Solare Imperium an den Rand eines Chaos, bevor du deinen Entschluss rückgängig machst.«
»An Vorwürfen habe ich nun genug gehört«, entgegnete Rhodan bissig. »Hast du noch etwas Wesentliches zu sagen?«
Jetzt wurde auch Atlan wütend. »Du missverstehst mich anscheinend absichtlich. Ich will dir keine Vorwürfe machen. Aber ich sage dir, dass es sich um eine Falle handelt!«
»Unsere Diskussion führt zu nichts, wir bewegen uns damit im Kreis«, meinte Rhodan abschließend. »Es bleibt dabei: In wenigen Minuten verlasse ich mit Marshall die CREST und treffe mich in der Kolonistensiedlung mit dem ETP-Mann.«
Ein resignierendes Lächeln erschien auf den asketischen Gesichtszügen des Arkoniden. »Ich kann dir also nur viel Glück wünschen, Perry – dir und Marshall.«
»Danke, Atlan.« Rhodan unterbrach die Verbindung und starrte noch eine Weile auf den dunklen Bildschirm des Telekoms. Er befand sich in einer niedergedrückten Stimmung. Dabei hätte er guter Laune sein sollen, denn sie standen kurz davor, einen Zeit-Talentierten für das Mutantenkorps anzuheuern.
Welche Möglichkeiten sich für das Solare Imperium boten, war noch nicht ganz abzusehen. Aber es lag klar auf der Hand, dass mit Hilfe eines ET-Perzeptiven zukünftige Geschehnisse vorausgesehen werden konnten; Angriffe kosmischer Aggressoren konnten im Keime erstickt werden, weil das Solare Imperium darauf vorbereitet wäre; Gefahren, die in den Tiefen des Alls lauerten und die Milchstraße bedrohten, kämen nie mehr überraschend – der ETP-Mann würde ihr Herannahen voraussehen, und die terranische Flotte konnte zum Gegenschlag ausholen, noch bevor überhaupt ein Angriff erfolgte. Und in weiterer Folge, wenn die Menschheit nicht mehr gezwungen sein würde, verlustreiche Verteidigungskriege zu führen, konnte die Befriedung der Galaxis beginnen. Und später ... Rhodan wagte nicht, diese Gedankenkette weiterzuführen, denn obwohl es verlockende Spekulationen waren, führten sie ins Uferlose.
Konnte es daher irgendwelche Bedenken geben, ein Risiko einzugehen, egal wie groß es war? Rhodan sagte nein, seine Männer meinten, er persönlich dürfe dieses Risiko nicht eingehen.
Rhodan machte sich nichts vor, er hatte selbst kein gutes Gefühl bei diesem Unternehmen. Aber was er tat, tat er für das Wohl der Menschheit, ohne Rücksicht auf seine Person. Mit Hilfe eines Extratemporal-Perzeptiven wären die Menschen mächtiger als je zuvor. Davon musste Rhodan ausgehen, das hielt er sich vor Augen. Dabei durfte er nicht auf die sentimentalen Beweggründe seiner persönlichen Freunde Rücksicht nehmen, die um sein Leben bangten.
Er kehrte dem Interkom den Rücken und blickte in die Kommandozentrale. Neben dem Kommandanten und der diensthabenden Mannschaft befanden sich außer Perry Rhodan noch sechs Leute hier, die an den folgenden Geschehnissen maßgeblich beteiligt sein sollten. Jedem einzelnen fiel eine wichtige Aufgabe zu, von dem Einsatz eines jeden konnte der Erfolg des Unternehmens abhängen.
Rhodan sah sie der Reihe nach an und erkannte an ihrem Verhalten, dass sie das »Unternehmen ETP-Mann« als Todeskommando betrachteten. Aber das hatten sie Perry Rhodan schon vorher gesagt.
Da waren Gucky und Ras Tschubai, die beiden sollten als Teleporter eingesetzt werden; der Mausbiber stand ganz nahe neben dem Afrikaner, und er machte ein Gesicht, als ginge die Mohrrübenseuche um. Einige Schritte von den beiden entfernt stand der Doppelkopfmutant Iwan-Iwanowitsch Goratschin wie ein Monument auf seinen Säulenbeinen; er, den man »Zünder« nannte, weil er Kalzium- und Kohlenstoffatome durch die Kraft seines Geistes zur Explosion bringen konnte, ließ sich in den beiden grüngeschuppten Gesichtern seine Gefühlsregungen am wenigsten anmerken.
Etwas abseits von den anderen saß Ralf Marten, der Teleoptiker, in einem Kontrollsessel; er war groß, schlank und hinter seinem ungewöhnlich guten Aussehen verbarg sich die Fähigkeit, durch anderer Wesen Augen und Ohren sehen und hören zu können, ohne dass es das Medium merkte. Rhodan am nächsten stand John Marshall, Chef des Mutantenkorps, der als einziger den Großadministrator zu dem Extratemporal-Perzeptiven begleiten sollte.
Staatsmarshall Reginald Bull war der sechste Aktive im Unternehmen ETP-Mann, er leitete die ganze Aktion, hatte den Oberbefehl über die Kampfroboter, die die Kolonistensiedlung abriegelten, und er sollte die Fähigkeiten der vier eingesetzten Mutanten miteinander koordinieren. Bulls wasserblaue Augen blickten Rhodan düster entgegen.
Er war es auch, der schließlich das Schweigen in der Kommandozentrale brach.
»Man sagt dir nach, dass du ein ›Sofortumschalter‹ bist, Perry«, meinte Bull, »deshalb wundert es mich um so mehr, dass du diesmal den Braten noch nicht gerochen hast. Der Fremde ist doch nichts weiter als ein Köder.«
»Ein sehr schmackhafter allerdings«, entgegnete Rhodan augenzwinkernd, aber selbst das konnte die Leichenbittermiene des Freundes nicht aufhellen.
An alle gewandt, fuhr Rhodan fort: »Mich wundert vor allem, dass die besten Männer des Solaren Imperiums so wenig Selbstvertrauen haben. Da, seht euch die Bildschirme in der CREST an! Verfolgt Atlans Raummanöver, betrachtet die Vorgänge rund um die Kolonistensiedlung. Hunderte von Kampfrobotern haben die Bretterstadt umzingelt, vierzig Ultrariesen haben Dornister vom All her abgeriegelt, und ihr, die fähigsten Mutanten des Solaren Imperiums, steht ebenfalls im Einsatz. Das geschieht alles zu John Marshalls und meinem Schutz! Was kann ein einzelner Mann dagegen ausrichten?«
»Geht nur, es ist euer Begräbnis«, kommentierte Bull. Rhodan überhörte es, aber einem spontanen Wunsch folgend, wollte er hingehen und dem Freund die Hand schütteln. Er überlegte es sich noch rechtzeitig anders, sein Abgang sollte nicht wie ein Abschied wirken.
»Warum verbirgst du deine Gedanken so ängstlich vor mir?«, erkundigte sich Gucky plötzlich. »Etwa deshalb, damit ich deine eigenen Zweifel nicht herauslesen kann? Wenn du schon nicht auf uns hörst, dann wenigstens auf deine innere Stimme!«
Gutmütig erwiderte Rhodan: »Die innere Stimme! Manchmal muss man sie ignorieren, die feige innere Stimme. Wo stünden wir heute, wenn wir der Gefahr immer ausgewichen wären, wenn wir kein Risiko eingegangen wären? Wo stünden wir da? Aber das brauche ich nicht erst zu betonen. Du, Gucky, hast deinen Mut ja oft genug bewiesen.«
»Na ja, wenn du das so ausdrückst«, gab der Mausbiber geschmeichelt zu. Die Männer in der Kommandozentrale lachten, die Spannung löste sich.
»Was soll das!«, empörte sich Gucky und blickte sich kampflustig um. »Will vielleicht jemand behaupten, dass ich nicht mutig bin?«
»Schon gut«, sagte Rhodan lächelnd und strich ihm freundschaftlich über den Kopfpelz. »Wenn es brenzlig wird, kannst du uns mit einem gewagten Teleportersprung aus der Klemme holen.«
»Schmoren werde ich euch lassen«, entgegnete Gucky grollend.
Rhodan wandte sich gutgelaunt dem Teleoptiker Ralf Marten zu, der sich schnell aus dem Kontrollsessel erhob. Rhodan fragte: »Haben Sie die Lage ausgekundschaftet?«
»Jawohl, Sir«, antwortete der Teleoptiker. »Ich habe Curu zy Shamedys Seh- und Gehörsinn für eine lange Zeitspanne übernommen, aber in dieser Zeit hat er die Augen nur für einen Augenblick geöffnet, als ihm eine Kolonistenfrau eine Schüssel mit Nahrung brachte. Er hat das Essen nicht angerührt.«
Aus den Berichten wusste Rhodan, dass Marten den Fremden seit insgesamt 112 Stunden kontrollierte, und dass John Marshall an die hundert Versuche unternommen hatte, die Gedanken des ETP-Mannes nach gefährlichen Aspekten zu durchsuchen. Beide waren sie erfolglos geblieben, sie hatten keine alarmierenden Dinge zutage fördern können.
Rhodan drehte sich halb zu Ras Tschubai um.
»Gucky wird mit John Marshall in telepathischer Verbindung bleiben«, sagte Rhodan zu ihm. »Falls Sie überhaupt zu teleportieren brauchen, können Sie also denkbar rasch handeln.«
»Ich werde schnell handeln, Sir«, versicherte Tschubai.
»Sie wissen ebenfalls, was Sie zu tun haben, Iwan-Iwanowitsch«, redete Rhodan den Doppelkopfmutanten an.
»Natürlich, Sir«, antworteten beide Köpfe gleichzeitig. Goratschins Aufgabe war ebenfalls klar umrissen: Wenn es keinen anderen Ausweg mehr gab, sollte er durch einen paraphysikalischen Impuls die Kalzium- und Kohlenstoffatome im Körper des ET-Perzeptiven zünden und zur Explosion bringen. Aber nur dann, wenn es keinen anderen Ausweg aus der Gefahr gab.
Wir haben an alles gedacht – was kann da schiefgehen? , dachte Rhodan.
Nach einem letzten Blick auf die Anwesenden sagte er zum Chef des Mutantenkorps: »Gehen wir, John.«
Wie ausgestorben stand das 2500 Meter durchmessende Flaggschiff auf seinen Teleskopbeinen in der glasigen Ebene südlich der Kolonistenstadt. Die Sonne war ein verwaschener Fleck im Zenit. Die Luft flimmerte. Ein winziger Punkt löste sich vom unteren Pol der riesigen Stahlkugel, schwebte in dreißig Meter Höhe über die Ebene in Richtung Dornister City.
Es schien, als habe die Welt nur auf diesen Augenblick gewartet. Denn plötzlich tauchten in dem eben noch leeren Luftraum vier weitere Punkte auf, wurden größer und entpuppten sich als Space-Jets. Sie formierten sich zu einem Viereck und gaben dem fünften Objekt, einem Shift, Geleitschutz.
Der Flugpanzer nahm Höhe auf, als die glasige Ebene abrupt in eine steile Düne überging. Perry Rhodan blickte aus der Kanzel. Kein einziges Wort war zwischen ihm und John Marshall gefallen, seit sie die Kommandozentrale der CREST IV verlassen hatten. Es gab nichts mehr zu besprechen.
Als der Shift den Dünenkamm erreichte, gewahrte Rhodan die Stellungen der Kampfroboter. Sie waren zwar getarnt, aber aus dieser geringen Höhe konnte man sie ausmachen. Ein Gegner aus der Luft würde allerdings nicht so tief herunterkommen.
Der Shift sackte ab, landete auf dem steilen Sandhang und setzte seinen Weg auf den Raupenketten fort. Der mächtige Schatten der CREST IV verschwand hinter der Düne, vor ihnen lag Dornister City in der Senke. Es war ein guter Platz für eine Siedlung; der vierhundert Meter hohe Sandwall schützte vor den Winden und auch einigermaßen vor der Hitze, außerdem gab es eine Wasserstelle, die reines, bakterienfreies Wasser spendete.
Dornister City selbst machte einen ziemlich schäbigen Eindruck. Es gab nur zwei Arten von Bauten: die klobigen, zweistöckigen Wohnhäuser und die langgestreckten Lagerhallen – es waren lieblos hingestellte Fertighäuser, wie man sie auf fast allen jungen Kolonistenwelten fand. Aber noch nirgends hatte Rhodan eine Siedlung gesehen, die so stark vom Verfall gekennzeichnet war. Daran mussten die Witterungseinflüsse schuld sein. Er nahm sich vor, diesen Fall den sozialen Stellen in Terrania vorzutragen.
Als er dann die ersten Kolonisten aus der Nähe sah, war er überrascht. Sie standen entlang der schnurgeraden »Mainstreet«, vom Zentrum der Ansiedlung bis zu den hydroponischen Glashäusern, die die Stadt abgrenzten. Rhodan sah harte Gesichter, von der schweren Arbeit gezeichnet, die aber alle eine Fröhlichkeit ausstrahlten, die ganz im Gegensatz zum trostlosen Gesamteindruck des Planeten stand. Er konnte nicht wissen, dass das auf seinen Besuch zurückzuführen war. Er konnte nicht wissen, dass seine Anwesenheit die Dornister-Kolonisten aufputschte, dass sie für die Dauer seines Aufenthaltes in einen Rausch verfielen, aufblühten, sich mitten im Pulsschlag des großen Imperiums wähnten – um danach wieder in den Teufelskreis ihres harten Alltags zurückzukehren.
Das konnte Perry Rhodan nicht wissen, als er mit John Marshall aus dem Shift stieg, als er die Huldigungen der Kolonisten entgegennahm. Er hörte die Jubelschreie, schüttelte unzählige Hände und ließ sich von dem Bürgermeister, dessen Namen er nicht verstanden hatte, durch das dichtgedrängte Spalier in das Herz der Siedlung geleiten. Er lächelte den Kolonisten freundlich zu, aber mit den Gedanken war er bereits bei Curu zy Shamedy, dem ETP-Mann.
Der Bürgermeister versicherte, dass sie gleich da sein würden. Rhodan hatte ein ungutes Gefühl. War es eine Vorahnung auf die kommende Katastrophe, oder die negative Auswirkung der Schwarzseherei seiner Männer?
Das Spalier der Kolonisten schien kein Ende zu nehmen. Sie ließen Perry Rhodan und das Solare Imperium hochleben, die Frauen weinten gerührt, die Kinder reckten ihre mageren Hälse, ihre Backen waren vor Aufregung gerötet, aber ihre Blicke verrieten, dass sie von all dem nichts begriffen. Rhodan dachte daran, dass es den erwachsenen Kolonisten auch nicht anders ging. Was wussten sie von den wirklichen Vorgängen auf ihrer Welt in diesem Augenblick?
Sie wussten nicht, welche Bedeutung den Robotstellungen rund um ihre Stadt zukam; sie hatten keine Ahnung von der Spannung, die in diesem Augenblick auf der CREST IV herrschte, von den unzähligen Funksprüchen, die zwischen dem USO-Verband, den patrouillierenden Jets und den Bodenstationen gewechselt wurden. Und am wenigsten würden sie sich vorstellen können, mit welcher Konzentration sich die Mutanten auf ihren Einsatz vorbereiteten. Ralf Marten, zum Beispiel, sah in diesem Augenblick abwechselnd durch Rhodans und Marshalls Augen, er hörte mit ihren Ohren, um eventuelle Anzeichen einer Gefahr zu entdecken, die ihrer Aufmerksamkeit entging.
Was hatte der Teleoptiker zu berichten, hatte er eine Entdeckung gemacht?
Rhodans Befürchtung war grundlos. Ralf Marten lag in seinem Kontrollsessel, sein Körper war wie erstarrt, er schien zu schlafen. Nur seine Lippen bewegten sich, er sprach. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, aber deutlich zu verstehen.
»... nichts als Gesichter und Hände, derbe Kolonistenhände. Waffen sind nirgends zu entdecken. Sie sind alle dem Aufruf gefolgt und haben ihre Messer, mit denen sie sich gegen die giftigen Echsen wehren, zu Hause gelassen. Noch kein einziger Kolonist war zu erblicken, dessen Messer im Gürtel steckte ...«
Reginald Bull, der die Übertragungen auf dem Hauptbildschirm verfolgte, wandte seinen Blick nicht ab, als er Gucky fragte: »Wie stellt sich John Marshall dazu?«
Der Mausbiber zuckte zusammen; während er weiterhin mit Marshall in telepathischer Verbindung blieb, erklärte er dem Staatsmarschall: »John überlässt die optischen Beobachtungen Rhodan und Marten. Er hat einen telepathischen Fächer um den Schuppen gelegt, in dem sich Curu zy Shamedy eingenistet hat. Er hat seine Fühler ganz vorsichtig ausgestreckt, aber bisher noch nicht den geringsten Kontakt zu dem ETP-Mann gehabt. Als verschanze dieser sich ängstlich hinter einem Gedankenblock. John wartet auf einen günstigen Augenblick, den Schild zu durchbrechen, ohne den ETP-Mann zu warnen.«
Als Gucky geendet hatte, war Ralf Martens Flüstern wieder zu vernehmen. Er berichtete: »... Die Kolonisten weichen zurück und geben einen unbeleuchteten Eingang in eine leere Lagerhalle frei. Die Kolonisten dürften sie eigens für Perry Rhodans Empfang gefegt haben, außerdem haben sie die Dachbalken mit Girlanden geschmückt; auf der einen Längswand hängt ein dreidimensionales Bild des Großadministrators, das von einem starken Scheinwerfer angestrahlt wird. Der Scheinwerfer ist die einzige Lichtquelle ... Außer den Schritten und dem keuchenden Atem des Bürgermeisters ist kein Geräusch zu hören ... Eine schmale, frisch gestrichene Tür kommt ins Blickfeld, dahinter ist ein kleiner Raum, von dem schmalen Lichtstrahl erhellt, der durch eine kleine Luke fällt ...«
Hier unterbrach sich Ralf Marten, denn es war ausgemacht, dass er nach Curu zy Shamedys Auftauchen sofort dessen Seh- und Hörorgane übernehmen solle. Er erwachte aus der Erstarrung und gönnte sich nur eine kurze Verschnaufpause, bevor er seine teleoptische Fähigkeit auf den Temporal-Perzeptiven richtete.
Der Teleoptiker setzte seine geflüsterten Eindrücke fort, diesmal aus der Warte des ETP-Mannes. Aber niemand achtete darauf, denn plötzlich donnerte Atlans Stimme aus dem Telekom in die angespannte Atmosphäre der Kommandozentrale.
»Eben kommt der Bericht eines Wettersatelliten herein«, erklärte der Lordadmiral. »Vom Norden her nähert sich ein Samum mit über hundertfünfzig Stundenkilometern, er bringt eine dichte, zwanzig Kilometer breite Sandwand mit sich. Bereitet euch darauf vor, dass er die Kolonistensiedlung in einer knappen halben Stunde erreicht haben wird.«
»In Ordnung«, erwiderte Reginald Bull, und er traf die Vorbereitungen für die Verständigung der patrouillierenden Space-Jets. Während er die Beibootkommandanten von dem näherkommenden Sandsturm unterrichtete, ließ er einen der nördlichen Bildschirme auf größtmögliche Vergrößerung einstellen. Als Bull den Bildschirm kurz betrachtete, war nicht mehr als ein schmaler schwarzer Streifen am Horizont zu sehen.
Dann wurde er durch den Funkspruch einer Space-Jet abgelenkt, die meldete, dass sie zwei mit Erzen vollbeladene Antigrav-Schlepper zur Landung gezwungen hätten, weil sie das befohlene Fünf-Kilometer-Limit um Dornister City überfliegen wollten. Bull gab dieser Meldung wenig Gewicht, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass von Antigrav-Schleppern Gefahr drohen sollte. Als er danach wieder auf den nördlichen Bildschirm blickte, hatte sich der dunkle Streifen am Horizont ums Doppelte vergrößert.
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, murmelte er. Er gab dem Ersten Offizier den Befehl, sich um den Funkverkehr zu kümmern und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Mutanten zu.
Ralf Marten lag wieder mit erstarrtem Körper im Kontrollstuhl, Gucky und Ras Tschubai standen dicht hinter ihm, Goratschin stand mit gespreizten Beinen vor Marten – er wirkte am konzentriertesten.
Der Teleoptiker sagte gerade: »... Rhodan wendet sich wieder dem ETP-Mann zu und antwortet: ›Zufällig bin ich auf Terra geboren.‹ ›Das ist eine Lüge!‹, ruft der ETP-Mann ...«
Bull bedauerte es, dass er seine Zeit mit Nebensächlichkeiten vertan hatte, während der Teleoptiker von den dramatischen Geschehnissen in Dornister City berichtete. Warum hatte der Temporal-Perzeptive Perry Rhodan als Lügner bezeichnet, als dieser meinte, er sei ein Terra-Geborener? Der ETP-Mann begründete seine Behauptung, aber für Bull verschleierten sich die Dinge nur noch mehr.
Der Teleoptiker berichtete weiter: »Der ETP-Mann fährt nach kurzer Pause fort: ›Auf Terra wird niemand geboren! Es ist die Hochburg der Psynetik, und kein Mobbie hat jemals seinen Fuß auf dieses Stück kostbare Erde gesetzt. Sie scheinen sehr überrascht, das wundert mich nicht, denn aus Ihren Gedanken habe ich erfahren, dass Sie der ehrlichen Meinung sind, auf Terra geboren zu sein. Und tatsächlich glauben Sie auch, Perry Rhodan zu heißen und der Großadministrator des Solaren Imperiums zu sein. Deshalb gebe ich Ihnen die eindringliche Warnung: Distanzieren Sie sich von der Identifikation Ihres Unterbewusstseins. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie nur als Matrize gelten. Sie sind das – äh, wie soll ich sagen – die Gussform für ein Endprodukt. Man kann Sie auch als Schablone bezeichnen. Ja, Sie sind eine Schablone. Anfangs hielt ich es auch nicht für möglich, aber jetzt habe ich Beweise dafür gefunden – auf der Gedankentreppe und in Ihrem Gehirn. Sie sind bestenfalls ein Mobbie, aber ganz bestimmt kein Zy. Sie beherrschen nicht einmal die zehn Grunddisziplinen der Psynetik, um aber Ihr Schablonendasein abzulegen, müssten Sie der siebzehnten Fakultät angehören.‹
Rhodan ...«
Reginald Bull hörte nicht mehr, was Rhodan tat oder sagte. Er konnte sich plötzlich nicht mehr auf die Stimme des Teleoptikers konzentrieren. Ihn schwindelte.
Sie hatten alle damit gerechnet, dass der Extratemporal-Perzeptive der Köder in einer Falle war und hatten dementsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Jedoch hatten sie nicht genau gewusst, wer die Falle aufgestellt hatte. In diesem Augenblick aber wusste Bull, woher die Gefahr kam!
Der Extratemporal-Perzeptive wusste Bescheid über Perry Rhodan und das Solare Imperium, aber seine Eindrücke waren verzerrt. Als käme er von einem anderen Solaren Imperium! Er sprach Interkosmo, verwendete aber ungebräuchliche Ausdrücke. Psynetik. 17. Fakultät. Mobbie. Zy. Er sympathisierte mit dem Solaren Imperium. Aber ganz bestimmt nicht mit diesem Solaren Imperium, in dem sie lebten, sondern mit dem zukünftigen!
Für Reginald Bull stand es jetzt fest, dass Curu zy Shamedy in einer Mission aus der Zukunft zu ihnen gekommen war. In einer Mission, die für das zukünftige Solare Imperium sehr bedeutungsvoll sein musste. Aber was bedeutete es für die Gegenwart? Jetzt schienen sich die dunklen Ahnungen Bulls und der anderen zu verwirklichen.
Wie im Traum vernahm er Ralf Martens Stimme: »... Der ETP-Mann erhebt sich. Rhodan und Marshall scheinen über diese Bewegung besorgt, denn sie greifen instinktiv zu ihren Lähmstrahlern ...«
»John Marshall hat mir eine telepathische Vorwarnung gegeben!«, rief Gucky in höchster Erregung. »Warum gibt uns Perry nicht den Befehl, zu springen?«
Niemand gab ihm eine Antwort. Reginald Bull hätte sie ihm vielleicht geben können, aber dafür war jetzt keine Zeit. Er ahnte, dass Perry Rhodan die Situation nun ebenfalls zur Gänze erfasst hatte, Perry Rhodan musste ganz einfach erkannt haben, dass Curu zy Shamedy nicht gekommen war, um ihnen zu helfen, sondern sie nur als Werkzeuge gebrauchen wollte. Aber warum handelte Rhodan nicht! Rechnete er immer noch auf eine Chance, den Mutanten umstimmen und für das Solare Imperium gewinnen zu können?
»Na, los, Perry«, sagte Bull, als könne ihn der Freund hören, »worauf wartest du noch. Gib den Befehl für die Teleporter, damit sie euch aus der Falle holen.«
Der Doppelkopfmutant Iwan-Iwanowitsch Goratschin stand vollkommen bewegungslos da, seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Er wusste, dass sein Einsatz jede Sekunde fällig sein konnte.
Reginald Bull beugte sich über Ralf Marten, der von den Vorgängen um ihn nichts wusste. Er war nur physisch hier, psychisch nahm er an den Geschehnissen in dem kleinen, kahlen Raum in Dornister City teil, wo Curu zy Shamedy jetzt zwei Schritte vor Perry Rhodan und John Marshall stand.
Der Großadministrator hatte das Gefühl, dass es jeden Augenblick zu der erwarteten Explosion kommen musste. So sehr Curu zy Shamedy seine Gefühle auch in der Gewalt haben mochte, ein kurzes Aufblitzen seiner Augen verriet, dass er jetzt sein Vorhaben ausführen wollte.
Gleichzeitig sagte er: »Schreiten wir zum Vollzug.«
Und Rhodan dachte augenblicklich: Gucky, springe. Schnell!
Denselben Befehl übermittelte auch John Marshall an Gucky. Aber es war bereits zu spät, Perry Rhodan und John Marshall waren verloren. Denn Curu zy Shamedy war nicht nur ein Beherrscher der Zeit, er besaß darüber hinaus noch andere übermenschliche Fähigkeiten.
Als Gucky und Ras Tschubai teleportierten, hatte er ein undurchdringliches Abwehrfeld um Rhodan und Marshall aufgebaut. Benommen und verwirrt materialisierten sie wieder in der Kommandozentrale der CREST IV.
Reginald Bull erfasste die Lage sofort.
»Zünden Sie den ETP-Mann, Goratschin!«, schrie er.
Die Teleporter fassten den Doppelkopfmutanten bei den Händen und setzten erneut zum Sprung an
Rhodan hatte vergebens auf den Einsatz der Mutanten gewartet. Inzwischen schien eine Ewigkeit verronnen zu sein – oder die Zeit war stehengeblieben. Aber das konnte auch nicht stimmen. Etwas anderes geschah, etwas viel Schrecklicheres, etwas Gewaltiges, etwas, das der Homo sapiens noch nicht ganz erfassen konnte.
Die Zeit drehte sich zurück – sicher ein unzureichender Ausdruck – oder die Zeit raste, schneller als sie selbst, vorwärts. Vielleicht aber, vermutete Rhodan dann, blieb die Zeit tatsächlich stehen, und nur sie bewegten sich vorwärts – durch die Zeit. Aber egal wie man es auch formulieren wollte, ein Homo sapiens fände sicherlich nicht die richtigen Worte dafür; sicher war, dass sie irgendwo in der Zukunft landen würden.
Die Atome fanden wieder zu Perry Rhodans ursprünglicher Gestalt zusammen; sie fügten sich ins Raum-Zeit-Kontinuum ein. Zuerst kehrte das Bewusstsein des Seins zurück – ich denke, also bin ich. Dann versuchte er, sich über seine Lage klarzuwerden. Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf und bildeten nur langsam eine sinnvolle Aneinanderreihung. Curu zy Shamedy ... nebulose Andeutungen ... der Köder in der Falle ... das Versagen der Mutanten, darauf Schwärze. Und jetzt, die Rückkehr in die Realität.
Aber war das überhaupt die Wirklichkeit?
Die Dunkelheit löste sich in ein verwirrendes Farbenspiel auf, die Farben verschmolzen miteinander und vereinigten sich zu einem hellen Beige. Konturen kristallisierten sich heraus, Rhodan sah, dass es sich um eine faserige, aber samtweich scheinende Fläche handelte. Er fand das Gleichgewicht und somit seinen Orientierungssinn wieder. Die beige, samtene Fläche befand sich »unten«. Er selbst kniete darauf und hielt sich den pochenden Kopf. Der Schmerz in seinem Schädel ebbte nur langsam ab. Ach ja, richtig, das Universum war explodiert – dabei handelte es sich natürlich um einen Streich, den ihm sein Geist vorgespielt hatte. Es war nichts weiter als eine Nebenerscheinung bei der Reise durch die Zeit.
Wo war Curu zy Shamedy jetzt? Und wo befand sich John Marshall?
Wie als Antwort hörte er einen telepathischen Ruf: Wo sind Sie, Sir? Haben Sie alles gut überstanden?
»Hier, John, hier«, murmelte Rhodan. Da er nur eine sehr schwach ausgeprägte telepathische Begabung besaß, wunderte er sich, wie gut er plötzlich Marshalls Gedanken empfangen konnte. Ob die Zeitreise etwas damit zu tun hatte, fragte er sich. »Ich bin wohlauf, John.«
Nach Ihrer Gedankenstärke zu schließen, sind Sie nicht weiter als einen Kilometer von mir entfernt. Ich werde mich auf den Weg zu Ihnen machen.
»In Ordnung, John«, meinte Rhodan und versuchte, das Pochen in seinem Schädel zu lindern, indem er die Hände dagegenpresste. »Ist Curu zy Shamedy bei Ihnen?«
Bei mir ist er nicht. Überhaupt ist keine Menschenseele zu erblicken, ich vernehme auch keine Gedankenimpulse. Doch – jetzt empfange ich ...
»John, was ist?«, fragte Rhodan besorgt.
Nichts weiter, kam Marshalls telepathische Antwort, und Rhodan glaubte, ein lautloses Lachen in seinem Geist zu vernehmen. Marshall fuhr fort: Für einen Moment dachte ich nur, die Gedankenimpulse kämen aus den Glasvitrinen. Ein recht eigenwilliger Garten übrigens; finden Sie nicht auch?
Rhodan wurde bewusst, dass er sich bisher noch überhaupt nicht mit seiner neuen Umgebung beschäftigt hatte. Er hob den Kopf und starrte verwirrt vor sich hin. Einige Sekunden musste er warten, bis sich seine Augen auf die neue Entfernung einstellten. Er war noch immer benommen. Langsam schoben sich die verwaschenen Farben zusammen, Konturen schälten sich heraus, dann gewahrte Rhodan die Glasvitrine in zehn Meter Entfernung. Ein goldener Strauch blühte darin. Es gab noch viele solcher Glasgebilde, in denen es golden und grün blühte – sie standen überall, so weit das Auge reichte.
Er stand auf und ging langsam zur nächsten Vitrine. Sie war der Form des Strauches angepasst; wie eine schützende Haut umschloss das Glas die Blüten und Äste. Etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden mündete die Vitrine in einen Sockel aus undurchsichtigem Material. Auf der einen Seite befand sich ein Vorsprung am oberen Rand des Sockels, der sich in der Breite über einen halben Meter dahinzog und wie ein Schaltpult aussah; dreiundzwanzig Kipphebel mit den dazugehörenden Kontrolllampen waren in einer Reihe angebracht. Rhodan erlebte seine erste Überraschung, als er das Schaltpult erreichte und sah, dass die Kipphebel in arabischen Ziffern von eins bis dreiundzwanzig nummeriert waren.
Alles in Ordnung bei Ihnen, Sir?, erkundigte sich Marshall.
Ja, gab Rhodan gedanklich zurück. Bis zu Ihrem Eintreffen sehe ich mich einstweilen etwas um.
Er ließ den Blick vom Schaltpult durch das Glas auf den blühenden Strauch wandern und – erlebte seine zweite Überraschung. Innerhalb der Vitrine, auf der lockeren Erde, an den Blüten und in der Luft, tummelten sich Lebewesen von vielleicht eineinhalb Zentimeter Länge und einer Flügelspannweite von drei Zentimetern.
Rhodan wurde sofort an einen Ameisenhaufen erinnert, zumindest was die aufgeregte Geschäftigkeit betraf, aber es bestand der Unterschied, dass es sich hier wohl kaum um Tiere handelte, sondern um intelligente Insekten. Denn Tiere besaßen weder Kleidung noch technische Hilfswerkzeuge.
Anfangs beachteten die Ameisenwesen Rhodan überhaupt nicht; sie schlugen mit winzigen Krummsäbeln die Rinde vom Stamm des Strauches, bohrten Löcher hinein und schraubten Kunststoffschläuche in die so entstandenen Öffnungen; die Schläuche wiederum mündeten in zierliche Maschinen, die fest im Boden verankert schienen.
Andere Ameisengruppen umschwärmten die Blüten und sammelten die reifen Blätter ein, oder sie holten den Staub von den Blütenstempeln ein oder nahmen Veredelungen vor. Sie schnitten verkümmerte Jungtriebe ab, setzten sie an anderer Stelle ein oder warfen sie in den Trichter einer verhältnismäßig großen Maschine, die sie zerhackte. Was mit diesen derart entstandenen Halbprodukten geschah, konnte Rhodan nicht sehen, denn sie verschwanden alle auf irgendeine Weise in der lockeren Erde.
Rhodan beobachtete eine Arbeitsgruppe, die an einem Miniaturflaschenzug einen dreißig Zentimeter langen Ast vom Boden in eine Höhe von zwei Metern hievten. Plötzlich erstarrte das ganze Ameisenvolk wie auf Befehl zu vollkommener Regungslosigkeit. Und Rhodan hatte das Gefühl, dass er von diesem Augenblick an aus Tausenden von Facettenaugenpaaren beobachtet wurde. Ein Schauer rann ihm über den Rücken.
Was ist geschehen, Sir?, vernahm er Marshalls Frage in seinem Geist.
Was soll geschehen sein, entgegnete Rhodan gegen seinen Willen.
Ich meine nur – weil Ihre Gedanken in Aufruhr sind.
Es ist nichts weiter, John. Diese Antwort kam wieder gegen Rhodans Willen. Warum hatte er nicht Marshall befohlen, sich zu beeilen? Warum wandte er sich nicht ganz einfach von der Glasvitrine ab? Er wollte es tun, er sagte sich: jetzt drehe ich mich um und verlasse diesen Platz – aber er führte sein Vorhaben nicht aus. Irgendetwas war stärker als sein Wille.
Und die Ameisenwesen starrten ihn weiterhin an. Ihm war, als riefen ihm ihre Augen zu: Befreie uns, wir sind gefangen!
Wie soll ich das tun? Wer immer diese Insektenwesen in diesem seltsamen Kerker eingesperrt hatte, hatte keine Gebrauchsanweisung für ihre Freilassung hinterlegt.
Das erste Gefühl der Panik war von Rhodan gewichen. Er wusste nun, dass die Ameisenwesen ihm nichts antun wollten, sie ersehnten nur die Freiheit. Rhodan hasste jede Art von Unterdrückung, aber wie konnte er hier helfen? Er wusste es nicht – oder doch?
Wie von selbst wanderte seine Rechte über das Schaltpult, zum Hebel mit der Nummer 23. Und die Ameisen starrten auf ihn.
Was bedeutet das, Sir, dass Sie Hebel Nummer dreiundzwanzig betätigen wollen?, erkundigte sich Marshall.
Ich befreie eine geknechtete Rasse von ihren Fesseln, erwiderten Rhodans Gedanken automatisch, und er versuchte, an Marshall die Eindrücke weiterzugeben, die ihm die Ameisen vermittelt hatten.
Vor einigen Jahrhunderten noch hatten sich die Ameisenwesen ihrer Freiheit erfreut, sie bevölkerten den ganzen Planeten. Dann kamen die Menschen des Solaren Imperiums – die Zy – und bezwangen sie mit der Macht der Psynetik. Die Angeassys, wie sich die Ameisenwesen nannten, wurden in die gläsernen Käfige gesperrt und zur Zwangsarbeit verurteilt. Sie mussten die berauschenden Säfte des goldenen Grous-Baumes für die Zy gewinnen. Rebellierten sie, dann wurden so viele von ihnen getötet, bis der Rest sich wieder in sein Schicksal ergab.
Rhodan war von diesem Bericht erschüttert, aber trotzdem warnte ihn sein Unterbewusstsein vor zu schnellen Entscheidungen. Er hatte Mitleid mit den Angeassys, aber wer konnte ihm garantieren, dass auch sie mit ihm Mitleid hatten, wenn sie erst in Freiheit waren ...
Sir, kam Marshalls telepathischer Ruf, was bedeuten diese verwirrenden Gedanken?
Da ist der Hebel 23, dachte Rhodan. Ich drücke ihn herunter ...
Aber er tat es dann doch nicht. Seine Hand glitt zurück, und eine andere Willensströmung dirigierte seine Rechte zu einem anderen Hebel. Plötzlich war das Ameisenvolk in der Vitrine in Aufruhr und schwirrte in einem heillosen Durcheinander umher. Rhodan erkannte sofort den Grund dafür. Er biss sich auf die Lippen. Jetzt, da er wieder unbeeinflusst war, wusste er, dass die Angeassys ihm ihren Willen aufzwingen wollten. Aber er konnte sie verstehen. Was jetzt geschah, konnte er jedoch nicht billigen.
An einer Stelle wölbte sich die lockere Erde zu einem Hügel, und heraus kam eine Schlange. Sie erhob sich auf den verbreiterten Schwanzgliedern und züngelte; sie stieß mit ihrer Zunge mitten hinein in den Schwarm der sich im Fluge selbst behindernden Angeassys. Einige blieben daran kleben, die Zunge schnellte zurück und kam gleich darauf wieder aus dem aufgerissenen Maul zum Vorschein. Wieder verfingen sich einige Angeassys daran.
Rhodan wandte sich angewidert von dem grausigen Schauspiel ab. Hinter ihm stand ein Fremder, und aus den Augenwinkeln erblickte er John Marshall, der zwischen den Glasvitrinen auftauchte.
Der Fremde sagte, an Rhodan gewandt, in perfektem Interkosmo: »Seien Sie froh, dass ich rechtzeitig gekommen bin. Hätten Sie die Angeassys befreit, dann hätten sie ihren ganzen aufgestauten Hass an Ihnen ausgelassen. Sie können mir dankbar sein.«
Rhodan deutete auf die Vitrine hinter sich. »Können Sie dem nicht ein Ende bereiten?«
Der Fremde zuckte mit keiner Wimper, als er sagte: »Bestrafung muss sein. Auf Rebellion steht der Tod. Aber ich werde die Schlange jetzt wieder zurückbeordern, die Angeassys haben ihre Lektion erhalten.«
Der Fremde rührte sich nicht von der Stelle, aber als sich Rhodan zur Vitrine umdrehte, war die Schlange verschwunden. Die Ameisenwesen beruhigten sich und machten sich wieder an ihre Arbeiten.
John Marshall erreichte Rhodan und fragte: »Was war mit Ihnen los, Sir? Ich war sehr in Sorge, denn auf alle meine Anrufe reagierten Sie vollkommen unnatürlich.«
»Die Insekten aus diesem gläsernen Gefängnis haben mir ihren Willen aufgezwungen«, erwiderte Rhodan. »Aber sie haben ihre Strafe erhalten.«
Verwirrt blickte John Marshall zu dem Fremden, und Rhodan betrachtete ihn jetzt auch genauer. Er wirkte sehr jung und war ausgesprochen hübsch, fast zu hübsch für einen Mann. Der Fremde trug eine enganliegende, nahtlose Kombination, die sehr stark den terranischen Uniformen ähnelte – nur die Trompetenärmel und die ausgestellten Hosenbeine fielen aus dem Rahmen.
»Jetzt möchten Sie sicher erfahren, wer ich bin«, meinte der Fremde lächelnd. »Ich heiße Kattur zy Kattan. Meine Aufgabe ist es, die Psynetiker des Administrators zu beaufsichtigen, außerdem fallen auch alle anderen organisatorischen Belange in mein Gebiet. Ich bin sozusagen der psynetische Organisationsleiter. Vierzehnte Fakultät.«
Er blickte Rhodan und Marshall erwartungsvoll an.
»Das alles sagt uns sehr wenig«, entgegnete Rhodan. Er hatte den Zwischenfall mit den Ameisenwesen noch nicht vergessen.
Kattur zy Kattan aber tat, als sei überhaupt nichts vorgefallen. Lächelnd sagte er: »Das war vorauszusehen. Mir wurde erklärt, dass Sie beide sich bestimmt recht seltsam verhalten würden, als ob Sie überhaupt keine Ahnung von den Geschehnissen in unserer Welt hätten. Aber wie dem auch sei, ob Sie sich verstellen oder tatsächlich so weltfremd sind, Sie werden bald einen tieferen Einblick in meinen Arbeitsbereich bekommen. Denn es fällt hauptsächlich mir zu, mich um Sie zu kümmern, solange Sie sich auf Dornister aufhalten.«
»Auf Dornister?«, fragte Marshall verständnislos.
»Ja, Dornister, so heißt diese Welt«, antwortete Kattur zy Kattan. »Es ist verständlich, wenn Sie von diesem Planeten noch nie gehört haben, er ist ziemlich unbedeutend.«
»Das kann unmöglich Dornister sein«, meinte Marshall.
»Wir kommen von Dornister«, fügte Rhodan hinzu.
Kattur zy Kattan war nachdenklich geworden. Ausweichend sagte er: »Glauben Sie mir, diese Welt ist Dornister. Kommen Sie, bitte. Der Administrator erwartet uns bereits in seinem Domizil.«
Kattur zy Kattans Körper erhob sich vom Boden und schwebte im Schritttempo vor den Terranern dahin. Sie folgten ihm.
Das Domizil des Dornister-Administrators war ein großes, nicht zu überblickendes halbkugelförmiges Gebilde und schien zur Gänze aus Glas zu bestehen. Der Bau machte keinen sehr wohnlichen Eindruck, passte aber sehr gut zu den Glasvitrinen und zu dem Parkgelände, durch das sie jetzt schritten; ein Park, wie ihn abstruser und unwirklicher kein menschliches Gehirn hätte ersinnen können.
Gräser, Blumen, Sträucher und Bäume waren aus Kristall, aber sie schienen trotzdem nicht künstlich geschaffen zu sein, sondern zu leben, denn sie veränderten dauernd ihre Form. Rhodan war es, als bewegten sie sich durch eine Unterwasserlandschaft, die sich durch die Strömung in dauernder Bewegung befand. Und der Palast des Administrators war eine schillernde Korallenbank; was aus der Ferne wie eine geschlossene Kuppel ausgesehen hatte, entpuppte sich, aus der Nähe betrachtet, als ein poröses, löcheriges Gebilde.
Wie der Kristallgarten veränderte auch der Palast ständig seine Form. Es war ein imposanter Anblick, überwältigend und traumhaft. Trotzdem hatte diese Welt etwas Dämonisches an sich. Rhodan führte das auf den vollkommen schwarzen Himmel zurück und auf die Tatsache, dass die Kristalle des Parks und des Palasts von sich aus leuchteten. Er konnte nirgends eine andere Lichtquelle entdecken.
Als Kattur zy Kattan auf eine Palastwand zuschwebte, verpufften die Kristalle an dieser Stelle glitzernd und gaben eine halbkreisförmige Öffnung frei. Es war eine verblüffende Demonstration von der Geisteskraft oder der Technik dieser Menschen; Rhodan war sich noch nicht schlüssig darüber, ob er die These von einer technischen oder einer metaphysischen Zivilisation vertreten sollte. Nach den bisherigen Begebenheiten konnte beides zutreffen.
Kattur zy Kattan schien seine Gedanken erraten zu haben – oder hatte er sie gelesen? –, denn er sagte: »Als Einführung in die Grundzüge unserer Zivilisation sei gesagt, dass sie vollkommen auf kristallinen Elementen basiert. Das ist natürlich deshalb so, weil sich der Kristall in der Psynetik am besten handhaben lässt. Psynetik plus kristalline Struktur ergibt den größten für den Menschen erreichbaren Machtfaktor.«
Sie folgten Kattur zy Kattan durch die Öffnung in das Innere des Palasts. Nachdem sich einige weitere Wände auf die gleiche faszinierende Art für sie aufgetan hatten, bemerkte Rhodan:
»Dieses Sesam-öffne-dich-System ist jedenfalls eine recht nette Spielerei.«
Kattur zy Kattan wandte sich nicht um, während er durch eine große, leere Halle schwebte und Rhodan antwortete: »Es ist mehr als bloße Spielerei. Zugegeben, es regt die Sensomobilität, die Zusammenarbeit der Nerven, an, aber darüber hinaus handelt es sich um ein Verteidigungssystem.«
»Von wem könnte einer solchen Zivilisation Gefahr drohen?«, fragte Rhodan.
»Genug davon«, erwiderte Kattur zy Kattan. Er blieb stehen und wandte sich Rhodan und Marshall zu. Sie befanden sich in einem kleinen, quadratischen Raum, der sich nur durch seine Größe von den anderen Räumlichkeiten unterschied, durch die sie gekommen waren.
»Bevor ich Sie jetzt zum Administrator bringe«, sagte Kattur zy Kattan, »möchte ich Ihnen noch einige Instruktionen geben – nicht zuletzt zu Ihrem eigenen Schutz. Es dürfte Ihnen klar sein, dass Sie Gefangene sind. Wenn Sie das bisher noch nicht zu spüren bekamen, dann liegt das an Ihrem mustergültigen Verhalten und an der Tatsache, dass Sie fest in unseren Händen sind. Auch wenn Ihre Hände nicht gefesselt sind, tragen Sie doch Fesseln. Sie werden noch dahinterkommen, welcher Art diese Fesseln sind. Natürlich können Sie sich dagegen auflehnen, aber es wird Ihnen nichts nützen, im Gegenteil, es verschlechtert nur Ihre Lage. Ich will Ihnen auch offen sagen, dass Ihr Leben unter allen Umständen geschont werden soll, ja, nötigenfalls muss ich meines dafür einsetzen. Aber das hindert uns nicht daran, Ihnen eine Lektion zu erteilen, falls Sie zu rebellieren versuchen. Sie werden auf Schritt und Tritt beobachtet. Auf jeden von Ihnen sind zwei Psynetiker der zwölften Fakultät angesetzt – das sollte Ihnen genug sagen. Und noch eines, bevor ich Sie zum Administrator bringe: Beantworten Sie keine einzige Frage, die Ihre Vergangenheit betrifft; sprechen Sie nicht über Ihre Heimatwelt, oder Ihre Heimatgalaxis – diesbezüglich müssen Sie ausweichende Antworten geben. Denken Sie an die beiden Psynetiker der zwölften Fakultät, die jeden von Ihnen ständig kontrollieren. Haben Sie mich klar verstanden?«
»Nicht ganz«, entgegnete Rhodan. »Ich verstehe nicht, warum wir Fragen nicht beantworten sollen, wo sich doch jeder Psynetiker die Antworten direkt aus unseren Gehirnen holen könnte.«
Kattur zy Kattan lächelte. »Könnte«, sagte er. »Er könnte es. Aber es gibt ein ausdrückliches Verbot vom Großadministrator persönlich, das besagt, dass niemand befugt ist, Ihre Gedanken zu lesen. Auf Zuwiderhandlung steht die Todesstrafe.«
»Vom Großadministrator?«, fragte Marshall verwirrt. Er war blass geworden, und obwohl er das Wort verstanden hatte, weigerte sich sein Verstand die Bedeutung des Gesagten hinzunehmen. Wieder fragte er: »Vom Großadministrator?«
»Ja, von Perry zy Rhodan!«
Perry Rhodan hatte Kattur zy Kattans Worte noch nicht geistig verarbeiten können, als er schon wieder verblüfft wurde, und zwar durch die Möbel des Speisesaales. In der Mitte des Raumes stand eine lange gedeckte Tafel, an der sich gut ein Dutzend Stühle befanden; auf der einen Längsseite stand eine gedrungen wirkende Anrichte, auf der anderen eine niedrige Kommode und ein breiter Schrank; an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand hing ein Wandteppich, auf dem eine Raumschlacht dargestellt war; das gedämpfte Licht stammte von einer Reihe von Pechfackeln, die in drei Meter Höhe über alle vier Wände verteilt waren.
Rhodan fühlte sich in den Remter einer mittelalterlichen Burg zurückversetzt. Er war betroffen, denn die handgeschnitzten und reich verzierten Einrichtungsgegenstände führten seine vorsichtigen Überlegungen ad absurdum.
Dabei war er von der Voraussetzung ausgegangen, dass sie sich irgendwo in der Zukunft befanden, auf dem Planeten Dornister und innerhalb des Solaren Imperiums; seit dem Jahre 2419 mochten Tausende von Jahren vergangen sein. Obwohl es viele Widersprüche gab, war er zwangsläufig zu diesem Schluss gekommen. Seine Theorie schien ihm wohl doch zu einfach, aber er suchte im Augenblick nicht nach einer besseren Erklärung, weil ihm die Ausgangsbasis dafür fehlte.
Mit gewissen Vorbehalten wollte er glauben, dass sich auf Dornister eine intelligente Insektenrasse entwickelt hatte, die vom Solaren Imperium unterworfen worden war und Zwangsarbeit verrichten musste. Folgerichtig nahm Rhodan nun an, dass auch andere Fremdrassen von den Menschen unterjocht wurden, und somit zeichnete sich ein ungefähres Bild von der charakterlichen Entwicklung des Menschen ab.
Im ethischen Sinne war er degeneriert. Dafür hatte er es auf den Gebieten der Technik und Geisteswissenschaft weit gebracht, er entdeckte die Psynetik. Auf dieser Lehre baute der Mensch der Zukunft seine Zivilisation auf. Und im Zusammenhang mit kristallinen Elementen schien die Psynetik einen starken Machtfaktor darzustellen – Rhodan hatte selbst einige beeindruckende Anwendungsmöglichkeiten gesehen. Der Kristall war in dieser Zeit so weit verbreitet und begehrt, wie Metalle und Kunststoffe im 25. Jahrhundert; von der Richtigkeit dieser Überlegung hatten ihn die Glasvitrinen, der kristallene Park und schließlich der Kristallpalast überzeugt.
Aber als er jetzt den mittelalterlichen Speisesaal betrat, zeigte sich, dass er nicht in der Lage war, logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Bevor er hinter den Grund für Marshalls und seine Entführung kommen konnte, musste er erst einiges Wissen über diese Zeit besitzen.
Das alles hatte er in Sekundenschnelle überlegt, während sie den Speisesaal betraten. An der Tafel saßen bereits neun Personen, die beim Eintritt der Terraner alle die Köpfe in ihre Richtung wandten. Sie trugen alle ein ähnliches einteiliges Gewand wie Kattur zy Kattan, nur waren Farben und Dessins unterschiedlich.
Rhodan schenkte nur zwei Personen an der Tafel besondere Aufmerksamkeit. Es waren ein Mann und die einzige Frau im Raum, die beide die Plätze an den Stirnseiten des Tisches innehatten.
Der Mann war ausgesprochen fett zu nennen, Rhodan schätzte sein Gewicht auf über dreihundert Pfund; sein kahler, kegelförmiger Schädel ging halslos in den Rumpf über, die Schweinsäuglein und der viel zu kleine, wulstige Mund verschwanden fast hinter den hervorgewölbten Hängebacken.
Als er die beiden Terraner erblickte, hob er die Rechte bis in die Höhe seiner spitzen Glatze und rief: »Ah, mein ergebener Diener Kattan erscheint mit meinen Gästen.«
Für Rhodan war es klar, dass dies der Administrator von Dornister sein musste, und die Frau am anderen Ende der Tafel war wahrscheinlich seine Gefährtin – Rhodan vermied absichtlich den Ausdruck »Gattin«, weil er noch nicht wusste, ob es in dieser Zeit überhaupt eine Heirat noch gab.
Die Frau hatte rotes, aus dem Nacken gekämmtes Haar, das durch eine Kristallkrone zusammengehalten wurde. Sie hatte dunkle, fast schwarze Augen und einen blassen Teint. Sie lächelte und blickte dabei abwechselnd von Rhodan zu Marshall. Dann blieb ihr Blick auf Marshall ruhen, er schien ihr mehr zuzusagen. Das passte recht gut in Rhodans Konzept, denn er hatte vor, den Administrator nach Möglichkeit auszuhorchen, und dabei hätte die Frau gestört; es wäre gut, wenn sie sich anderweitig beschäftigte.
Deshalb schob Rhodan John Marshall zu dem freien Platz neben der Gefährtin des Großadministrators und sagte: »Sie sind unverheiratet, John. Viel Vergnügen.«
Marshall hatte aus Rhodans Gedanken dessen Plan erfahren und ging darauf ein.
Neben Rhodan zischte Kattur zy Kattan: »Sie haben zufällig die richtige Platzeinteilung getroffen. Ich möchte Sie aber trotzdem vor weiteren Eigenmächtigkeiten warnen. Vergessen Sie nicht, dass Sie ein Gefangener sind.«
Bevor Rhodan etwas entgegnen konnte, mischte sich der Administrator ein. »Seien Sie nicht so streng, Kattan. Er ist doch ein Barbar.«
»Woher wollen Sie das so genau wissen, Herr Administrator?«, erkundigte sich Kattur zy Kattan. Er wies Rhodan zu dem leeren Stuhl rechts neben dem Administrator und nahm selbst auf der anderen Seite Platz.
»Setzen Sie sich«, forderte der Administrator Rhodan auf und wandte sich dann an Kattur zy Kattan: »Hören Sie doch jetzt mit den Spitzfindigkeiten auf. Das schadet meiner Verdauung.«
Er lachte. Zwei oder drei Männer an der Tafel stimmten pflichtschuldig darin ein. Der Administrator verstummte plötzlich, er wurde traurig.
»Ich bin eine tragische Gestalt«, bekannte er in mitleiderregendem Tonfall. »Sehen Sie mich an, ich wiege eine Sechstel Tonne, und daran ist nur diese verdammte Psynetik schuld. Ich war ein stattlicher junger Mann, selbst damals noch, als ich auf Terra die Promotion der neunten Fakultät bestand. Ich hatte gute Aussichten, alle zehn Grundfakultäten der Psynetik cum laude abzuschließen, und mein Ehrgeiz war, es zu einem Psynetiker der fünfzehnten Fakultät zu bringen. Dann wäre ich Ihnen überlegen gewesen, mein treuer Diener«, sagte er mit einem schiefen Lächeln zu Kattur zy Kattan, der den Mund nur abfällig verzog.