Planetenroman 85 + 86: Odyssee in M 87 / Schach den Cantaro - Hubert Haensel - E-Book

Planetenroman 85 + 86: Odyssee in M 87 / Schach den Cantaro E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

In der Geschichte der Menschheit gibt es immer wieder Terraner, die nach großen Geschehnissen zurückbleiben und sich allein zurechtfinden müssen. Dieses Buch befasst sich mit zwei solcher Fälle. Die Männer der KC-21 sind Verlorene, denn eine tödliche Seuche hat sie befallen. Sie wissen nicht, wo sich ihr Mutterschiff aufhält. Sie sind im Sternenmeer von M 87 auf sich allein gestellt, gejagt von einer Flotte unerbittlicher Verfolger. Und doch geben sie nicht auf … Jahrhunderte später predigen Sekten den bevorstehenden Untergang aller Zivilisationen. Das Heil sollen nur jene Menschen erhalten, die sich für Jahrhunderte einfrieren lassen, um in einer besseren Zeit aufzuwachen. Tarni Perst glaubt diesen Versprechungen – doch nach ihrem Erwachen findet sie sich in der von den Cantaro unterdrückten Milchstraße wieder …

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Band 85/86

Odyssee in M 87

Schach den Cantaro

Hubert Haensel

Cover

Rückentext

Odyssee in M 87

Verschollen in M 87

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Nachwort

Schach den Cantaro

Widerstand gegen einen übermächtigen Feind: die WIDDER

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Nachwort

Vorschau

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Verloren in Zeit und Raum

In der Geschichte der Menschheit gibt es immer wieder Terraner, die nach großen Geschehnissen zurückbleiben und sich allein zurechtfinden müssen. Dieses Buch befasst sich mit zwei solcher Fälle.

Die Männer der KC-21 sind Verlorene, denn eine tödliche Seuche hat sie befallen. Sie wissen nicht, wo sich ihr Mutterschiff aufhält. Sie sind im Sternenmeer von M 87 auf sich allein gestellt, gejagt von einer Flotte unerbittlicher Verfolger. Und doch geben sie nicht auf ...

Jahrhunderte später predigen Sekten den bevorstehenden Untergang aller Zivilisationen. Das Heil sollen nur jene Menschen erhalten, die sich für Jahrhunderte einfrieren lassen, um in einer besseren Zeit aufzuwachen. Tarni Perst glaubt diesen Versprechungen – doch nach ihrem Erwachen findet sie sich in der von den Cantaro unterdrückten Milchstraße wieder ...

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch

Odyssee in M 87

Zweites Buch

Odyssee in M 87

Verschollen in M 87

Am 12. Januar 2436 geschieht das eigentlich Unfassbare. Die CREST IV, Perry Rhodans Flaggschiff, wird zum Spielball entfesselter Energien und materialisiert 32 Millionen Lichtjahre von der heimischen Milchstraße entfernt im Zentrum der Galaxis M 87.

Eine Monate währende beispiellose Odyssee beginnt, denn eine Heimkehr aus eigener Kraft ist unmöglich. Dass zwei weitere Raumschiffe, mit Hilfsgütern vollgestopft, den Weg durch die Unendlichkeit finden, kann nur kurz von den Problemen ablenken.

Die CREST IV benötigt Paratronkonverter, die Perry Rhodan ausgerechnet auf einer Welt der Bestien findet. Leider können selbst die Mutanten den Wettlauf gegen die Zeit nicht für sich entscheiden; im konzentrierten Feuer einer Dumfries-Flotte verglühen alle Hoffnungen.

Das Schicksal spielt Katz und Maus mit fünftausend Terranern ...

Neue Zuversicht verbreitet ein Funkspruch des Druisanten Kibosh Baiwoff, der über »Gesichtspunkte der Koexistenz« verhandeln will. Aber niemandem liegt daran, in M 87 sesshaft zu werden. In der Milchstraße tobt der Kampf gegen die Schwingungswächter, die mit ihren organischen Raumschiffen nahezu unschlagbar sind.

Am 12. Juni 2436 verlässt die Korvette KC-21 das Mutterschiff CREST IV. Insgesamt einundzwanzig Männer und Frauen befinden sich an Bord – unter dem Kommando von Major Tschai Kulu und der Assistenz des Galaktopsychologen Dr. Don Masters sollen sie mit dem Druisanten verhandeln. Sie erkennen schnell, dass Kibosh Baiwoff ein Meister der Intrige ist. Dass es dennoch gelingt, ihm das Versprechen zur Lieferung zweier Paratronkonverter abzutrotzen, mutet beinahe wie ein Wunder an.

Niemand ahnt, dass die KC-21 zu diesem Zeitpunkt längst den tausendfachen Tod in sich trägt. Erst im allerletzten Moment kann Don Masters verhindern, dass auch das Flaggschiff verseucht wird.

Die heimtückische Krankheit ist mit Bordmitteln nicht zu heilen. Ihre ersten Symptome sind rasch wachsende, mit Sekret gefüllte Beulen, denen das Schwellstadium folgt, in dem die Körpermaterie des Kranken unkontrolliert zu wuchern beginnt. Die Infizierten verwandeln sich in albtraumhafte Kreaturen. Danach kommt der Wahnsinn, bis der unkontrollierte Wachstumsprozess das Gehirn zerstört.

Der 26. Juni 2436 geht seinem Ende entgegen, als Tschai Kulu die KC-21 in den relativistischen Bereich hinein beschleunigt. An Bord sind nur mehr wenige Personen handlungsfähig. Die Lichtpunkte der Sterne nehmen die typische Rotblau-Färbung an, und ins Zentrum des Frontbildschirms rückt ein weißer Stern von beachtlicher Leuchtkraft.

Die Falle des Druisanten hat funktioniert. Aber eine Handvoll Terraner ist bereit, sich selbst zu opfern ...

(Aus dem Einleitungstext zur Erlebniswelt »Die Odyssee der KC-21« im Museum der Solaren Residenz, Terra, eingeweiht 1300 Neuer Galaktischer Zeitrechnung)

1.

Unschlüssig stand Don Masters vor der geöffneten Kühlbox. Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Was eben noch sein ganzes Denken beherrscht hatte, war plötzlich wie weggewischt.

»Hilf uns, Herr!«, kam es stockend über die aufgequollenen Lippen, die schief in seinem Kürbisgesicht standen. Don spiegelte sich in dem blankpolierten Metall der Box. Er sah ein Monstrum, das kaum mehr Ähnlichkeit mit einem Menschen besaß. Längst hatten die wuchernden Zellen die Uniform gesprengt. Er war nackt, nur an den Schultern klebten einige Fetzen lindgrünen Stoffes.

»He«, ächzte Don, »das hast du nun davon.« Er griff nach seinem Spiegelbild, dieser von Eiterbeulen und Geschwülsten übersäten Fratze, deren tief in den Höhlen liegende Augen ihn vorwurfsvoll anstarrten. »Du bist ein prima Psychologe, Masters, weißt du das?« Die Stimme überschlug sich. Don musste husten, spuckte Schleim. »Weißt du, was du wirklich bist?«, herrschte er sein Ebenbild an. »Ein armseliger Stümper. Du bist auf die Tricks dieses Baiwoffs reingefallen, als hättest du nie etwas von Pyscho... Pschyolo...«

Das schrille Pfeifen des Interkoms enthob ihn seiner verzweifelten Bemühungen, mit unförmig geschwollener Zunge und ausgetrocknetem Gaumen das Wort »Psychologie« zu artikulieren.

»Doktor Masters«, hallte es durch den Raum. »Haben Sie mich vergessen?«

Don lauschte. Dann verzog er die Mundwinkel zu einem grässlichen Grinsen. Er hatte sich betrinken wollen. Und für Tschai Kulu waren ebenfalls einige Flaschen bestimmt gewesen – das war es, was er vergessen hatte. Entschlossen griff der Galaktopsychologe zu. Er spürte nicht, dass er mit seinen angeschwollenen Fingern irgendwo hängenblieb. Erst als mehrere bauchige Flaschen zu Boden klirrten und Alkoholdunst ihn einhüllte, bemerkte er das Missgeschick.

Don Masters stieß eine Verwünschung aus. Im nächsten Moment begann er zu lachen. Studien am eigenen Ich hatten ihn schon immer fasziniert, und jetzt, im sicheren Angesicht des Todes, lauschte er mehr denn je in sich hinein. Er hatte sich nicht nur körperlich verwandelt. Seine seelische Verfassung war starken Schwankungen unterworfen. Was er vor kurzem mit einem Schulterzucken abgetan hätte, ließ ihn inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes explodieren.

Du erreichst das Stadium der beginnenden Schizophrenie, diagnostizierte er. Die Wucherungen erreichen die Gehirnzellen.

Dr. Menc Radeczin, der Bordarzt der KC-21, hatte der Seuche einen treffenden Namen gegeben: Synthobiologische Metamorphose. Don Masters fand, dass dieser Begriff alles über die Krankheit aussagte.

Bald wird es nur noch Tote und Verrückte an Bord geben, dachte er bitter.

Erst vor wenigen Stunden war Tschai Kulu gezwungen gewesen, seinen Amok laufenden Ersten Offizier zu erschießen. Kurz danach hatte Stan Szypinski den Verstand verloren.

Eine jäh auftretende Woge heftiger Schmerzen zwang den Galaktopsychologen, nach einem Halt zu suchen. Er taumelte, begann zu schreien und fegte ein weiteres halbes Dutzend Flaschen aus dem Regal.

Der Anfall dauerte länger als alle vorangegangenen. Don wusste, dass ihm herzlich wenig Zeit blieb.

Zeit – wofür?

Um sich weiter mit Selbstvorwürfen zu quälen? Er war der Psychologe, er hätte Kibosh Baiwoffs Intrigenspiel durchschauen müssen.

»Dr. Masters, bitte zur Zentrale!«, erklang es aus dem Interkom.

Don griff sich mehrere Flaschen und taumelte den Weg zurück. Niemand begegnete ihm.

»He, Major!«, rief er, als er die Zentrale durch das Hauptschott betrat, »ich bringe einen edlen Tropfen.«

Tschai Kulu war verschwunden. Der für seine augenblicklichen Körpermaße ohnehin viel zu kleine Kontursessel drehte sich leer. Irgendjemand hatte ihm einen Stoß versetzt, aber dieser Jemand zeigte sich nicht.

Don Masters blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen. Alles um ihn her schien in einer steten Bewegung begriffen zu sein.

Vergeblich versuchte er, eine der Whiskyflaschen zu öffnen. Der Verschluss widerstand seinen Bemühungen hartnäckig. Don machte dann kurzen Prozess und schlug den Flaschenhals an der nächsten Konsole ab.

Er trank hastig. Der Alkohol brannte wie Feuer in seiner Kehle und trieb ihm erst recht das Wasser in die Augen. Don Masters leerte die Flasche, wobei er allerdings den weitaus größten Teil ihres Inhalts verschüttete. Endlich sah er den Major.

Tschai Kulu, schon immer ein Hüne, schob seine wuchernden Pfunde hinter dem Rund des von Pol zu Pol reichenden Antigravschachts hervor. Auch er hatte sich mit Hochprozentigem eingedeckt.

»Wo haben Sie gesteckt, Doktor?«, fragte er mit schwerer Zunge. »Ich habe ein Trostpflästerchen für Sie dabei.«

»Sie?« Don Masters reagierte verwundert.

»Natürlich«, bestätigte der Major. »Das wollten Sie doch.«

Don köpfte die nächste Pulle. Ließ ihn sein Erinnerungsvermögen schon im Stich? Bis eben wäre er bereit gewesen, Stein und Bein zu schwören, dass Tschai Kulu ihn aufgefordert hatte, für Getränke zu sorgen. »Ach, Unsinn ...« Er wischte alle diesbezüglichen Gedanken mit einer unwilligen Handbewegung beiseite.

»Heute wird gesoffen«, erklärte der Major. »Wir haben jeden Grund dazu.« Er deutete auf den Panoramabildschirm, auf dem der weiße Stern nur unmerklich größer wurde. »Über vier Lichtjahre trennen uns von dem Atomofen. Wissen Sie, Doktor, was das bedeutet?«

Don schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung.

»Das bedeutet, dass wir dem Druisant ein Schnippchen schlagen«, erklärte Tschai Kulu sichtlich gerührt. »Wir haben seine verfluchten Seuchenkeime in uns und dürfen dennoch weiterleben. Mehr als vier Jahre trotzen wir dem Tod ab. Ist das nichts?«

»Vier Jahre für die da draußen.« Don schleuderte seine halbgeleerte Flasche in die nächstbeste Ecke. »Für uns dennoch nur wenige Tage. Machen Sie ein Ende, Major!«

Tschai Kulu schwieg.

»Sie haben Angst vor dem Tod«, vermutete Don Masters nach einer Weile, während der sie sich gegenseitig anstarrten und doch jeder durch den anderen hindurchblickte.

»Spielen Sie nicht den Psychologen!«, warnte Kulu. »Ich pfeife auf Ihre Belehrungen.«

»Bereuen Sie etwa, den Kontakt zur CREST abgebrochen zu haben?«

»Hören Sie auf!«

»Ist das ein Befehl?«

Tschai Kulu nickte.

»Ich pfeife auf alle Befehle«, sagte Masters. »Und ich habe es satt, auf den Tod zu warten. Warum bringen wir es nicht hinter uns?« Erstaunlich schnell schob er sich auf das Hauptschaltpult zu.

Die Korvette raste mit annähernd 98 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch den Raum. Keine Sonne stand näher als der weiße Zielstern.

Don Masters hatte Mühe, die Eingabetastatur zu bedienen. Immer wieder erwischten seine aufgequollenen Finger mehrere Tasten gleichzeitig. Trotzdem schaffte er es, die Linearetappe zu programmieren.

Brüllend warf Tschai Kulu sich von hinten auf ihn. Er musste ein Stadium der Krankheit erreicht haben, das ihn jedem logischen Argument unzugänglich machte. Gemeinsam gingen beide zu Boden. Der Aufprall ließ die Eiterbeulen auf Dons Rücken aufplatzen. Er spürte, dass es feucht über seinen Rücken rann. Sekunden später setzten die Schmerzen ein. Ihm wurde schwarz vor Augen, aber er verlor die Besinnung nicht. Mit den Armen wehrte er Kulus Schläge ab. Unter anderen Umständen hätte er gegen den muskulösen Afroterraner keine Chance gehabt.

Symbolgruppen flimmerten über den Bildschirm. Zugleich ertönte die mechanische Stimme des Bordrechners: »Linearmanöver erfolgt in fünfzehn Sekunden ...«

Schnaubend ließ Tschai Kulu von seinem Opfer ab und wuchtete sich hoch.

»Wir werden den Linearraum innerhalb der Konvektionszone verlassen«, erklärte Masters. »Und wir werden nichts spüren.«

»Sieben Sekunden ...«

Der Major stürzte sich auf das Schaltpult. Blindlings hieb er mit beiden Händen auf die Kontrollen ein. »Sie sind wahnsinnig!«, schrie er. »Sie bringen uns um.«

»Was macht das noch für einen Unterschied?«, fragte Don. Tschai Kulus vergebliche Bemühungen, den Countdown zu stoppen, amüsierten ihn.

Auf dem Maschinendeck unterhalb der Zentrale begannen die Kompensationskonverter zu arbeiten. Sie erzeugten jenes Feld aus sechsdimensional übergeordneten Feldlinien, in dem die Korvette sowohl vom Einstein- als auch vom Hyperraum abgeschirmt wurde. Die instabile Halbraumzone zwischen vierter und fünfter Dimension zeigte sich auf den Bildschirmen als wesenloses Wallen. Nur der Zielstern blieb deutlich zu erkennen.

Mit mehr als vierhunderttausendfacher Lichtgeschwindigkeit raste die KC-21 dahin.

Noch fünf Minuten bis zum endgültigen Aus.

Don Masters bereut nicht, was er getan hatte, er wunderte sich nur über die Klarheit, mit der er die Tragweite seines Handelns erfasste. Tschai Kulu hämmerte indes wie ein Besessener auf die Tastaturen und Sensorschalter ein – freilich ohne den Breakdown des Programms zu erreichen. Masters hatte blindlings einen Sicherungskode eingegeben.

Endlich begriff der Major, dass es kein Zurück gab. Seufzend ließ er sich vor dem Pult auf den Boden sinken. Sein Blick verlor sich in unermesslicher Ferne.

»Sie sind unverbesserlich, Masters«, sagte er resignierend. Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Warum haben Sie das getan?«

»Weil unser Zustand nicht mehr ist als ein armseliges Dahinvegetieren«, erwiderte der Psychologe. »Deshalb lege ich die Entscheidung in die Hände dessen, der über uns steht.«

Tschai Kulu verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiß zu sehen war.

»Begreifen Sie überhaupt, dass Sie ihm die Entscheidung abgenommen haben?«, wollte er wissen.

Don köpfte die dritte Flasche. Das Zeug schmeckte wie Wasser, aber es beruhigte. Langsam machte sich eine berauschende Wirkung bemerkbar. Der Galaktopsychologe begann zu kichern.

Unerbittlich verstrich die Zeit. Die Zukunft wurde für eine Nanosekunde zur Gegenwart, um, kaum daran gedacht, schon Vergangenheit zu sein. Solchen und ähnlichen philosophischen Überlegungen hing Don Masters nach, während der Zielstern rasend schnell größer wurde. Die Filter schalteten sich selbsttätig vor. Weißes Licht erfüllte die Zentrale, es erinnerte an ein Leichentuch.

Die beiden Männer hatten sich nichts mehr zu sagen.

Tschai Kulu kauerte in sich zusammengesunken auf dem Boden und starrte Löcher in die Luft.

Don Masters stand zwischen Kontursesseln eingeklemmt und ließ den Blick nicht vom Panoramaschirm.

Fünf Minuten waren eine lächerlich kurze Zeitspanne. Dennoch konnten sie zur Ewigkeit werden.

Der Interkom sprach an.

»Was ist los bei euch da oben?«, erklang es verzerrt aus dem Lautsprecher. »Gebt wenigstens ein paar Takte Musik auf den Rundruf, wenn wir schon als Leichenzug durch den Raum düsen.«

»Wer spricht?«, wollte Kulu wissen.

Die Antwort ließ einige Sekunden auf sich warten.

»Oberleutnant Poe Kalani, Sir, Ihr Zweiter Offizier.«

Tschai Kulu atmete hörbar ein. »Ich weiß, wer Sie sind, Kalani, so kaputt bin ich noch nicht.« Seine Stimme wurde lauter. »Wenn Sie anständig Meldung machen wollen, reden Sie. Ansonsten verschwinden Sie aus der Leitung!«

»Charles Benson ist gestorben. Ich brauche hier jemanden, der mir hilft, ihn in den Kühlraum ...«

»Vergessen Sie's!«

»Captain, ich ...«

»Haben Sie nicht gehört?« Tschai Kulu brüllte unvermittelt los. »Es ist völlig egal, was Sie denken oder wollen. In weniger als zwei Minuten verlassen wir den Linearraum im Innern einer Sonne. Ende.«

Eine heftige Erschütterung durchlief die Korvette. Selbst die Absorber konnten die von außen auf die Schiffszelle einwirkenden Kräfte nicht abschwächen. Don Masters hatte Mühe, einen einigermaßen sicheren Stand zu bewahren.

Täuschte er sich, oder zeigte der Hauptbildschirm tatsächlich ein düsteres Glühen, das die Struktur des Linearraums verdrängte? Es wuchs rasend schnell an.

Während das rote Leuchten den gesamten optisch erfassbaren Bereich überzog, heulte der Alarm durchs Schiff. Don warf einen flüchtigen Blick auf die Schirmfeldkontrollen. Die Belastungswerke schnellten in die Höhe. Das Glühen verschluckte den Zielstern und erweckte den Eindruck, dass es sich um die Korvette herum zusammenzog. Zugleich wurde es dunkler.

»Emissionsmessung!«, rief Don Masters mit sich überschlagender Stimme. Doch niemand war da, der seinen Befehl hätte ausführen können.

Tschai Kulu kicherte irr. »Was ist, Doktorchen? Klappt Ihr schöner Plan nicht, hat die Sonne uns wieder ausgespuckt, anstatt uns zu atomisieren?«

Die KC-21 raste mitten hinein in einen Tunnel aus absoluter Schwärze.

Oder hing sie bewegungslos im Raum?

Don Masters konnte es nicht feststellen, da jeglicher Bezugspunkt fehlte.

Über die Bildschirme drang die Schwärze auch ins Innere der Korvette ein. Düsternis erfüllte die Zentrale. Schließlich brannte nur mehr die Notbeleuchtung.

Vergeblich schlug Masters auf das Schaltpult ein. Es gab keine Möglichkeit, den Flug zu unterbrechen. Hatte die KC-21 den Linearraum schon verlassen? Seit dem Beginn des überlichtschnellen Fluges waren sieben Minuten vergangen. Eigentlich hätte die Korvette nicht mehr existieren dürfen.

»Na los, Sie Klugscheißer, gestehen Sie endlich, dass Sie versagt haben.« Tschai Kulu kicherte schrill. Mühsam stemmte er sich hoch – ein Fleischberg, der einem Überschweren in nichts nachstand.

Don Masters schwieg. Soweit es ihm überhaupt möglich war, hantierte er verbissen an den Kontrollen. Immer häufiger wurden seine Schaltungen von der Positronik annulliert, weil er drei, vier oder noch mehr Kontakte gleichzeitig auslöste.

»Sie sind besessen, Doktor«, keifte Kulu. »Besessen von der Idee, das Schicksal zu besiegen. Warum betätigen Sie nicht einfach die Selbstvernichtung?«

»Können Sie die Schutzabdeckung lösen, Major?«

Tschai Kulu begann prustend zu lachen und erlitt einen halben Erstickungsanfall.

Dann ging alles sehr schnell. In der Schwärze tauchte ein winziger goldener Punkt auf, wuchs zur rotierenden Spirale, die ihre Glut nach allen Seiten verschleuderte.

Mühelos durchbrachen diese Funken den Schutzschirm der Korvette. Das sechzig Meter durchmessende Raumschiff begann zu dröhnen und zu schwingen wie eine zu heftig angeschlagene Glocke. Bildschirme implodierten, Entladungen zuckten durch die Zentrale, und beißender Ozongeruch breitete sich aus.

Die Andruckabsorber versagten.

Don Masters wurde jäh von einer Titantenfaust gepackt und quer durch den Raum geschleudert. Das Dröhnen und Heulen überlasteter Aggregate schwoll zum ohrenbetäubenden Crescendo an.

Endlich ist die Qual vorüber!, schoss es dem Galaktopsychologen durch den Sinn. Dann griff die Schwärze auch nach ihm.

Wie lange er ohne Bewusstsein gewesen war, konnte er später nicht sagen. Auf jeden Fall schien es sich nur um Minuten gehandelt zu haben.

Antriebslos schwebte die KC-21 im Weltraum. Viele der kleineren Monitore waren zwar ausgefallen, doch der große Panoramabildschirm arbeitete zufriedenstellend. Nahezu die Hälfte der Wiedergabe nahm der lodernde Glutball der weißen Sonne ein. Die Korvette hatte den Linearraum lediglich um rund hundert Millionen Kilometer zu früh verlassen. Das war ein Problem, das sich schnell beheben ließ.

Die Energieversorgung funktionierte wieder. Mühsam wälzte Masters sich herum und stemmte sich auf Knien und Ellbogen hoch. Er blickte geradewegs in die flirrende Abstrahlmündung eines Blasters. Tschai Kulu hielt die Waffe mit beiden Händen. Es war fraglich, ob er überhaupt den Auslöser betätigen konnte.

»Warum schießen Sie nicht?« Masters keuchte schwer. »Für mich ist dann wenigstens alles vorbei.«

Der Major starrte ihn aus halb zugeschwollenen Augen an. »Sie stehlen sich nicht aus der Verantwortung, Doktor, Sie nicht.« Das klang ungemein gehässig und war überhaupt nicht Kulus Art.

Masters versuchte ein Kopfschütteln. Sein Oberkörper geriet dabei in heftige Bewegung.

»Ich weiß, dass Sie mir die Schuld an allem geben, was vorgefallen ist. Aber dann lassen Sie mir wenigstens die Chance, für ein schnelles Ende zu sorgen.«

Entschlossen setzte er sich Richtung Pilotensitz in Bewegung. Sekundenlang sah es so aus, als würde Tschai Kulu seine Drohung wahrmachen, doch dann ließ er die Waffe fallen.

»Ich kann nicht auf Sie schießen«, brachte der Major stockend hervor.

»Dann lassen Sie es eben«, riet Masters.

Gereiztheit und Aggressivität waren zunehmend deutlicher zu spüren. Bald würden beide Männer übereinander herfallen. Nach der körperlichen Veränderung schritt die psychische rasch voran.

Don Masters benötigte eine Weile, um zu begreifen, was sich in der Ortung abzeichnete.

Raumschiffe!

Sie hatten die Korvette eingekreist. Jedes war walzenförmig, etwa dreihundert Meter lang und fünfzig Meter durchmessend und besaß die typische trichterförmige Erweiterung im Heckbereich. Die drei Kuppeln auf dem Rumpf lösten in Masters Erinnerung etwas aus, was Alarm schlug.

Vier Einheiten standen jeweils tausend Kilometer von der KC-21 entfernt. Falls sie das Feuer eröffneten, würden von der Korvette nur verwehende Atome übrigbleiben. Don Masters lachte lauthals in sich hinein. Ein heftiger Faustschlag auf eine Reihe von Schaltern ließ den Schutzschirm zusammenfallen. Jetzt war das Schiff so nackt und verwundbar wie seine Mannschaft.

Na los!, schrie Don in Gedanken. Schießt endlich, macht unserer Qual ein Ende!

Aber die Besatzungen der Walzenraumer dachten nicht daran.

Don Masters knurrte wie ein gereiztes Raubtier, als er das endlich erkannte. »Warum tut ihr nichts?«, krächzte er heiser. »Greift doch an!«

Alles um ihn her versank in Bedeutungslosigkeit, für ihn existierten nur noch die fremden Raumer. Er sah nicht, dass Tschai Kulu inzwischen völlig apathisch vor einem Ausgabepult stand und Löcher in die Luft starrte.

Der Funkempfang sprach an. Eine dröhnende Bassstimme erfüllte die Zentrale. Sie sprach reines, akzentuiertes Zentrumsidiom. Trotzdem musste Don Masters die Worte lange in sich nachklingen lassen, ehe er ihren Sinn verstand.

Angreifen!, hämmerte es unentwegt in seinem Schädel. Du musst angreifen, damit sie zurückschlagen!

Eines der Walzenschiffe schwebte langsam näher. Bis Don endlich begriff, dass nicht dieses Schiff, sondern vielmehr die Korvette im Sog eines Traktorstrahls in Bewegung geraten war, betrug die Distanz nur noch wenige Kilometer. Düster drohend füllte die riesige stählerne Walze die Bildschirme. Deutlich waren ihre Geschütztürme zu erkennen, doch das alles auslöschende Aufblitzen der Impulsstrahlen blieb aus.

Don Masters' angeknackste Psyche hielt der ungeheuren Anspannung kaum noch stand. Das Zweikontrollsystem für die Schwere Transformpolkanone lag entsichert vor ihm, aber er besaß nicht mehr die Kraft, das Geschütz auszulösen. Unruhig zuckten seine Fäuste, als müsse er sich eines unsichtbaren Gegners erwehren.

Major Tschai Kulu lehnte jetzt am Antigravschacht und sang leise vor sich hin. An Bord der Korvette war zu dem Zeitpunkt niemand mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Die unkontrollierte, durch die synthobiologische Metamorphose hervorgerufene Zellwucherung machte vor keinem Gehirn halt. Nur die Zeitspanne, die die Krankheit benötigte, um einen gesunden Menschen in ein körperliches und geistiges Wrack zu verwandeln, war unterschiedlich.

Ein Dröhnen hallte durch die KC-21, als die Bodenschleuse von außen gewaltsam geöffnet wurde. Den Eindringlingen, die schwere Raumpanzer trugen, stellte sich kein Widerstand entgegen. Systematisch schwärmten sie über die einzelnen Decks aus. Sie bewegten sich schnell und zielsicher, als hätten sie keinen Widerstand zu fürchten, doch als sie die ersten Besatzungsmitglieder fanden, ließen sie Unruhe erkennen.

2.

Don Masters balancierte noch immer auf dem schmalen Grat zwischen Verwirrtheit und Wahnsinn und produzierte mit seinen aufgedunsenen Lippen unverständliche Geräusche, als die Fremden die Zentrale betraten. Er sah ihre riesenhaften, massigen Gestalten, stutzte und stieß gleich darauf schrille Laute aus.

Instinktiv wich er vor den Eindringlingen zurück. Aber um den vierarmigen Riesen zu entkommen, hätte er Teleporterfähigkeiten besitzen müssen. Don brachte nur noch ein ersticktes Keuchen hervor, als die Mooghs ihn packten und in den Verladeraum neben der Bodenschleuse trugen.

Eine Schockerladung lähmte ihn. Aber der Galaktopsychologe hätte ohnehin nicht an Flucht gedacht. Seine Gedanken verwirrten sich wieder, es fiel ihm zunehmend schwerer, Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzuhalten. Die wirklich lichten Momente, in denen er die Situation halbwegs realistisch einzuschätzen vermochte, wurden seltener und kürzer.

Fetzen der Erinnerung jagten sich: die CREST IV und das Raumschiff der Haluter Icho Tolot und Fancan Teik; die Flotte der gläsernen Särge; dann die vergifteten Wasservorräte und fünftausend Mann am Rand des Todes; die Landung auf Clearwater, der Welt der Symbionten ... Dazwischen drängte sich immer wieder das Bild der Bestien von M 87. Sie glichen den Halutern der heimischen Milchstraße, waren jedoch vier Meter groß und maßen in den Schultern mindestens 2,80 Meter. Sie besaßen Brust- und Schulterarme und drei große, tiefrot leuchtende Augen. Aber ihre Haut war nicht tiefschwarz und lederartig glatt, sondern borkig und mit sechseckigen Hornplatten besetzt.

Don Masters war schweißgebadet und befand sich im Zustand äußerster Erregung, als die Mooghs endlich wieder den Verladeraum betraten. Die Korvette schwebte nicht mehr im freien Weltraum, denn die Bestiennachkömmlinge verzichteten auf einen Druckausgleich und ließen die Schleusentore offen.

Don hatte Mühe, seine Überlegungen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Auswirkungen der unkontrollierten Zellwucherungen auf Teile seines Gehirns machten ihm stark zu schaffen. Länger als vier oder fünf Stunden gab er sich ohnehin nicht mehr.

Don Masters wäre lieber tot gewesen, als den Mooghs in die Hände zu fallen. In der Korvette zirkulierten wohl noch immer die Keime der Synthobiologischen Metamorphose. Die Bestien, die ohne ihre Raumpanzer kamen, mussten sich zwangsläufig infizieren. Was das für ihr Raumschiff oder gar für die Welt bedeutete, von der sie kamen, lag auf der Hand. Ohne es zu wollen, erwiesen die Männer der KC-21 den Völkern dieser Galaxis selbst im Sterben noch einen großen Dienst. Der Galaktopsychologe empfand keinerlei Bedauern mit den Mooghs. Sie waren lebende Kampfmaschinen, die auf unzähligen verborgenen Welten aufrüsteten, um eines nicht mehr fernen Tages erneut Tod und Vernichtung über alle bewohnten Planeten von M 87 zu bringen.

Im System der Sonne Molak hatten die Mooghs Paratronkonverter hergestellt. Auf anderen Welten waren es Raumschiffe, auf wieder anderen Triebwerke und Waffen.

Perry Rhodans Drohung, sich mit den Bestien zu verbünden, hatte lediglich den Dialog mit den Konstrukteuren des Zentrums, den geheimnisvollen Beherrschern der Kugelgalaxis, forcieren sollen. Sie war ein Bluff gewesen, und niemand hatte ahnen können, dass gerade die Mooghs sich von einer solchen Verbindung entscheidende Vorteile erhofften.

Als auf demselben Weg wie zuvor die CREST und das Schiff des Haluters Icho Tolot die Hilfsexpedition mit dem Fragmentraumer BOX-13111 und dem Kugelschiff der Haluter Hisso Rillos und Pinar Alto in M 87 eintraf, hatten die Mooghs natürlich Morgenluft gewittert und die Initiative ergriffen. Sie hatten nicht ahnen können, dass die Soldatenkaste der Galaxis, die Dumfries, ausgerechnet diesen beiden Einheiten auf der Spur war.

Für die Mooghs zählte nur, was ihnen nutzte. Zu begreifen, weshalb sie mit der Hilfsexpedition nicht nach ihrem Willen umspringen konnten, dazu fehlte die Einsicht.

Im Bereich der gelben Sonne Molak war das Zusammentreffen der CREST IV mit der BOX-13111 und den beiden Haluterschiffen erfolgt. Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch anfliegende Dumfries hatte Perry Rhodan ein Kommandounternehmen gestartet, an dem vor allem die Mutanten beteiligt gewesen waren. Die Bergung zweier Paratronkonverter, um die Rückkehr in die Milchstraße zu sichern, hatte absolute Priorität besessen. Aber die Dumfries waren den Terranern zuvorgekommen. Unter dem konzentrierten Feuer ihrer Kampfschiffe hatten sich die drei Planeten des Molaksystems in Gluthöllen verwandelt.

Don Masters wurde von einem Moogh recht unsanft aufgehoben und davongetragen. Ein heftiger Juckreiz quälte ihn. Da zugleich die Lähmungserscheinungen langsam abklangen, gab Don dem Nachlassen der Schockwirkung die Schuld.

Er hatte erwartet, in das Walzenschiff der Bestien gebracht zu werden. Doch offenbar war inzwischen eine Landung erfolgt. Wo, darüber konnte er nur spekulieren.

Obwohl der Moogh sich nicht sonderlich schnell bewegte, erkannte der Psychologe von seiner neuen Umgebung kaum Einzelheiten. Wie lange und wohin der Vierarmige mit ihm unterwegs war, blieb ihm verborgen.

Don Masters wünschte den Bestien die Pest an den Hals.

Endlich hatte der Moog sein Ziel erreicht und ließ den Terraner auf eine harte Unterlage fallen, die sich schnell seinem Körper anpasste. Eine Vielzahl undefinierbarer Geräte verlieh dem Raum eine kalte, sterile Atmosphäre. Unwillkürlich fühlte Don sich an ein Labor erinnert. Das gleißende Licht über ihm befindlicher Leuchtplatten blendete; selbst als er die Lider schloss, schmerzte es noch in seinen Augen. Schützend wollte er die Hände vors Gesicht schlagen, doch unsichtbare Fesseln hielten seine Gelenke fest. Er war nichts weiter als ein Studienobjekt. Die Vorstellung, dass die Mooghs ihn womöglich sezieren würden, erfüllte ihn mit Ekel.

»Du gehörst zu dem Fremden, der sich Perry Rhodan nennt?«

Erst als der Sprecher die Frage wiederholte, reagierte Don Masters.

»Wer will das wissen?«, brachte er stockend hervor.

»Ja oder nein?«

Don schwieg. Im nächsten Moment jagte eine Schmerzwelle durch seinen Körper, die ihm fast die Besinnung raubte.

Sein Widerstand zerbrach nach dem zweiten heftigen Schock.

»Ja«, gestand er, »ich gehöre zu Rhodans Mannschaft.«

»Wo befindet sich das große Raumschiff?«

Don Masters wusste es nicht. Das mussten auch die Mooghs einsehen.

Das Zischen einer Injektionspistole war das letzte, was der Galaktopsychologe bewusst wahrnahm.

Die Schwärze kannte weder Raum noch Zeit. Sie war Anfang und Ende zugleich und somit unendlich.

Aber da war auch ein winziges Glimmen. Es wuchs, dehnte sich aus, zerfiel in Myriaden von Bruchstücken, die auf den unterschiedlichsten Bahnen davonwirbelten.

Einer dieser Lichtpunkte kam näher, wurde zur leuchtenden Spirale, die sich in der Unendlichkeit drehte.

Die Milchstraße.

Jeder, der sie einmal aus diesem Blickwinkel gesehen hatte, würde sie wiedererkennen. Da waren auch die beiden Magellanschen Wolken und der weiter entfernte Andromeda-Nebel.

Das Bild wirkte wie ein lautloser Ruf, eine Aufforderung an den Verirrten, zurückzukehren.

Er folgte diesem Ruf. Spontan. Weil er wusste, dass ihm in der Heimat geholfen werden konnte.

Er?

Wer oder was war er eigentlich?

Flüchtig tauchte die Frage nach seinem Namen auf, doch sie war unbedeutend. Tief in seinem Innern formte sich ein Begriff, geheimnisvoll und verlockend zugleich, der ihn fiebern ließ:

Terra. Der blaue Planet. Kein anderer Name vermittelte so viel Geborgenheit und Zuversicht.

Die Geschwindigkeit der Gedanken trug ihn weiter. Ein unbedeutendes Randgebiet des Sternenmeers war sein Ziel.

Bald lag nur noch eine kleine, gelbe Sonne vor ihm.

Er näherte sich einem riesigen, von einem farbenprächtigen Ringsystem umgebenen Planeten ... Das Gefühl, endlich wieder daheim zu sein, war unbeschreiblich schön. Dahinter verblasste auch die Erinnerung, unheilbar krank zu sein.

Unmerklich verlangsamte sich seine Bewegung. Die nächste Welt grüßte mit ihrem roten Auge ... Das war Jupiter. Er entsann sich. Plötzlich wusste er aber auch wieder, dass er sterben würde.

Im selben Moment, in dem erneut der Tod vor seinen Augen Gestalt annahm, war alles anders. Unsagbare Schmerzen quälten ihn. Er schrie, tobte und schlug um sich.

Eine unwiderstehliche Kraft umklammerte seine Gelenke und hielt ihn fest. Drei rotglühende Augen starrten ihn an, ein riesiger Mund öffnete sich und erzeugte ein Grollen, das an ein bevorstehendes Erdbeben erinnerte. Das gleich darauf zu vernehmende Zischen schien diesmal nicht enden zu wollen. Er spürte Einstiche unter seiner Haut und wehrte sich dagegen. Aber er war zu schwach.

Wie ein kurzfristig unterbrochener Film spulte sich das Geschehen fort, kaum, dass eine neue Müdigkeit ihr Recht forderte. Strahlend blau hing ein kleines Juwel im All. Schon waren Meere, Kontinente und sogar eine aufgelockerte Bewölkung zu erkennen. Die lebenspendende Sonne meinte es gut mit dieser Welt.

In flachem Winkel stieß er das zartblau erkennbare Band der Atmosphäre vor. Er atmete die klare Luft, die in ihrer Zusammensetzung von Sauerstoff und anderen Gasen einmalig war. Nur ein flüchtiger Gedanke galt den fünftausend Männern und Frauen an Bord eines vergleichsweise winzigen Raumschiffs, die vielleicht nie den Weg zurück finden würden.

Unter ihm erstreckte sich jetzt ein sanft bewegter Ozean von Horizont zu Horizont. Verheißungsvoll ging die Sonne auf.

Ohne sein Zutun tauchte er in die Fluten ein, in denen vor Jahrmillionen das Leben auf diesem Planeten entstanden war.

Ich lebe!, hallte es durch seinen Schädel. Ich bin Dr. Don Masters, Galaktopsychologe auf der CREST.

Die Vision zerplatzte wie eine Seifenblase. Mächtige Pranken tasteten über seinen geschundenen Leib, jede so groß, dass sie ihn mühelos zerquetschen konnte. Die massigen Gestalten der Mooghs beugten sich über ihn, ihre roten Augen schienen sich in seiner Seele festzubrennen.

Don Masters begann wieder zu schreien. Er registrierte, dass er tatsächlich in einem Wasserbecken lag, aber dieses Wasser war pechschwarz. Als er wie ein Ertrinkender mit den Armen zu rudern begann, schlug es über ihm zusammen und drang ihm in Mund, Nase und Ohren ein.

Das zweite Erwachen war weniger angenehm. Der Galaktopsychologe entsann sich zwar von Anfang an seiner Identität, doch fühlte er sich wie eine gigantische, aufgequollene Amöbe. Er lag auf nacktem Boden. Der Raum, in dem er sich befand, höchstens fünf mal fünf Meter messend, verfügte über keinerlei Einrichtungsgegenstände.

Mühsam wälzte Don sich herum. Arme und Beine zu benutzen, fiel ihm schwer. Sie waren nutzlose Anhängsel, die er irgendwann unter seiner Körpermasse zerdrücken würde.

Was hatten die Mooghs mit ihm vor? Hatten sie noch nicht erkannt, dass seine Gegenwart tödlicher war als eine Dumfries-Flotte? Mehr als zwei oder drei Stunden konnten seit der Landung der Korvette kaum vergangen sein. Don entsann sich, dass die Erreger der synthobiologischen Metamorphose mehr als acht Tage benötigt hatte, um ihre entsetzliche Wirkung zu entfalten. Außerdem musste er davon ausgehen, dass die Konstitution der Mooghs um ein Vielfaches robuster war als die von Terranern.

Wieso fiel es ihm plötzlich leicht, selbst so komplexe Überlegungen zu Ende zu bringen? Vor kurzem war das noch anders gewesen. Don atmete tief durch. Mobilisierte die Nähe des Todes noch einmal alle körperlichen und geistigen Reserven?

Zentimeter um Zentimeter schob er sich über den Boden auf die Wand zu. Rückwärts stemmte er sich daran hoch. Die Anstrengung rief ein heftiges Flimmern vor seinen Augen hervor, deshalb entging ihm, dass die Wand sich schon bei der ersten Berührung in eine spiegelnde Fläche verwandelte.

Ein ersticktes Gurgeln drang über Dons Lippen, als er endlich sein Spiegelbild entdeckte. Hatte er schon Tschai Kulu und Menc Radeczin für Monster gehalten, so fehlte ihm für das eigene Aussehen jede Bezeichnung. Er war unförmig, aufgebläht, entstellt. Entsetzt schloss er die Augen, doch was er gesehen hatte, ließ sich nicht mehr aus seinem Bewusstsein verdrängen.

Don fragte sich unwillkürlich, was die Mooghs planten. Sie hatten ihn untersucht, davon war er überzeugt. Aber sie hatten ihn nicht getötet, wie er es eigentlich erwartet hatte. Das bedeutete, dass die Bestienabkömmlinge sich von ihm mehr versprachen als nur ein Grundwissen über den menschlichen Metabolismus.

Sein Argwohn war geweckt. Wussten die Mooghs, die die Korvette aufgebracht hatte, nichts von den Vorfällen im Molaksystem? Das war allerdings mehr als unwahrscheinlich. Die Molak-Welten waren nur einer von vielen geheimen Stützpunkten gewesen, zwischen denen ständige Kommunikationsverbindungen bestanden.

Gefährlichere Kampfmaschinen als die Mooghs konnte Don Masters sich nicht vorstellen. Die Frage, weshalb sie ihn am Leben ließen, besaß demnach einiges Gewicht.

Er fror und schwitzte zugleich. Sobald er die Hände hob, sah er, dass die unförmigen Finger sich teilweise zurückgebildet hatten. Und wenn er vorsichtig über seinen Leib strich, waren weit weniger Wülste zu spüren als noch vor wenigen Stunden.

Don Masters verstand die Welt nicht mehr. Alles deutete darauf hin, dass er die synthobiologische Metamorphose besiegt hatte, diese entsetzliche Seuche, der viele Besatzungsmitglieder der KC-21 zum Opfer gefallen waren.

»Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung, Doktor Masters«, erklang eine grollende Stimme hinter ihm. »Ihre Gefährten übrigens auch.«

Don wirbelte herum. Er musste zu dem Moogh aufsehen, der keine fünf Schritt hinter ihm stand. Seltsamerweise empfand er beim Anblick des dunkelhäutigen Kolosses weder Furcht noch Unsicherheit.

»Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte er.

Die Bestie schlug zwei Fäuste gegeneinander, dass es krachte.

»Wir wissen vieles. Während des Regenerierungs- und Heilungsprozesses haben Sie oft geredet.«

»Und wer sind Sie?«

»Mein Name ist Urmatz«, dröhnte der Moogh. »Haben Sie das schon vergessen?«

Seltsamerweise war Don Masters trotz der Lautstärke, mit der der Koloss redete, überzeugt davon, dass Urmatz sich Zurückhaltung auferlegte. Er fieberte nach einer Erklärung.

»Sie haben die Krankheit besiegt?« Ihm brannten noch viele Fragen auf den Lippen, doch musste er sich erst über das Verhältnis zu den Mooghs klarwerden.

»Sie und noch sieben Männer schulden uns ihr Leben«, sagte Urmatz. »Den Toten konnten wir nicht mehr helfen, sie liegen in den Kühlkammern des kleinen Raumschiffs.«

Don Masters nickte. Urmatz machte auf ihn den Eindruck eines zivilisierten Wesens. Sollte man sich bei der Einschätzung der Mooghs derart getäuscht haben?

»Bis die letzten Anzeichen der Krankheit abklingen, werden noch einige Tage Ihrer Zeitrechnung vergehen«, erklärte der Moogh, zu dem Masters sich trotz aller Vorsicht zunehmend hingezogen fühlte. »Ich nehme an, dass Sie mit Ihren Gefährten reden wollen. Deshalb werden Sie auf Ihr Schiff zurückgebracht.«

Der Galaktopsychologe war mit allem einverstanden. Dass die Terraner an Bord der Korvette durften, erschien logisch. Nur dort waren die auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Einrichtungen vorhanden.

3.

»Doktor Masters, warten Sie auf eine Extraeinladung? In fünf Minuten will ich alle in der Zentrale sehen! Das gilt auch für Sie!«

So unsanft hatte ihn schon lange niemand mehr aus seinen Träumen geholt. Don Masters, jäh aus tiefem Schlaf geweckt, blinzelte verwirrt in die Helligkeit, die beim Öffnen des Schottes aufgeflammt war. Er konnte nicht mehr als schemenhafte Konturen erkennen, deshalb wälzte er sich auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf.

Sofort kamen die Träume zurück. Obwohl sie Unbehagen bereiteten, faszinierten sie auch. Der Psychologe träumte, dass die CREST IV in eine Galaxis verschlagen worden war, in der jedem Volk eine spezielle Aufgabe zukam. Sein Unterbewusstsein gaukelte ihm Bilder von Dumfries und Skoars, von Stützpunktingenieuren und Bestien vor ...

»Ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht, Masters! Reißen Sie sich gefälligst zusammen und schwingen Sie die Beine aus dem Bett!«

Das war ein Tonfall, der Don überhaupt nicht behagte. Trotzdem richtete er sich endlich auf. Ein demonstratives Gähnen konnte er sich nicht verkneifen.

»Beeilung, wenn ich bitten darf!«

Vergeblich versuchte Don mehr zu erkennen als nur ein diffuses Durcheinander von Licht und Schatten. Seine Augen waren verklebt. Erst als er mit den Fingern das Sekret auswischte, sah er deutlicher. Unter dem Schott stand ein schwarzhäutiger Mann in der Uniform der Solaren Flotte.

»Major Kulu, was ist ge...?« Don Masters griff sich an die Schläfen und stieß ein gequältes Stöhnen aus, als die Erinnerung jäh über ihm zusammenschlug. »Ich komme«, stammelte er tonlos, doch ließ er sich zunächst wieder auf sein Bett sinken. Zum Glück hatte Tschai Kulu sich bereits umgewandt.

Er hatte nicht geträumt. Die in seinem Bewusstsein nachhaltig eingebrannten Szenen entsprachen offenbar weitgehend der Wirklichkeit.

Don Masters betrachtete seine Hände, die Arme, die Beine. Abgesehen von einigen Narben, die von den nässenden Geschwüren zurückgeblieben waren, gab es nichts Besonderes zu sehen.

Er eilte in die Nasszelle, verrenkte sich vor dem großen Spiegel. Die sichtbaren Folgen der synthobiologischen Metamorphose hatte er überwunden. Ihm blickte ein wieder ansehnlicher, knapp 1,90 Meter großer und breitschultriger Bursche entgegen. Don schenkte ihm ein Lächeln, bevor er sich unter den Wasserstrahlen der Dusche entspannte.

Anschließend fühlte er sich wohler. Er schaffte es sogar, die von Tschai Kulu gesetzte Frist von fünf Minuten einzuhalten. Während er sich ankleidete, fiel sein Blick mehr zufällig auf die Digitalanzeige des Bordchronometers.

Die Leuchtziffern zeigten den 11. Juli 2436, 14:10:06 Uhr. Ziemlich genau zwei Wochen waren vergangen, seit die KC-21 Kurs auf die weiße Sonne genommen hatte. Don Masters konnte nur Vermutungen anstellen, was in dieser Zeit geschehen war.

Er verließ seine Kabine, betrat die auf demselben Deck liegende Feuerleitzentrale und ließ sich im Antigravschacht in die Zentrale tragen. Er traf als letzter ein, was ihm missbilligende Blicke des Majors eintrug.

»Endlich von den Toten auferstanden, Masters?«

Don ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen.

»Ich finde die Bemerkung unpassend und makaber«, erwiderte er. »Vor allem angesichts der Verluste, die wir zu beklagen haben.«

»Sentimentalitäten.« Tschai Kulu tat den Einwand mit einer flüchtigen Handbewegung ab. »Danken Sie lieber den Mooghs, die uns gerettet haben.«

Obwohl Don Masters gerne widersprochen hätte, konnte er es nicht. Er schloss sich dem beifälligen Nicken der anderen an.

»Was wird nun, nachdem wir die Krankheit überwunden haben?«, wollte er wissen. »Kehren wir zur CREST zurück, oder besteht ein Restrisiko, dass wir die Erreger der Metamorphose noch immer auf das Flaggschiff einschleppen können?«

»Ich weiß es nicht«, erklärte Dr. Menc Radeczin, der Bordarzt. »Allerdings muss ich eingestehen, dass ich unsere neuen Freunde bislang nicht danach gefragt habe.«

»Das hat Zeit«, sagte Stan Szypinski, der kleine, massige Sergeant mit dem Stiernacken. »Momentan spüre ich kein Verlangen, auf die CREST zurückzukehren.«

Oberleutnant Poe Kalani, der Zweite Offizier, nickte bedächtig.

»Wir stehen tief in der Schuld der Mooghs«, stellte er fest. »Diese sogenannten Bestien haben ein wahres Wunder vollbracht und damit wohl bewiesen, dass in M 87 ein völlig falsches Bild von ihnen besteht. Wir sollten helfen, dieses Image zurechtzurücken.«

»Ein Wunder war es nicht«, behauptete Radeczin. »Die Bestienabkömmlinge werden seit Jahrtausenden gnadenlos verfolgt. Von Urmatz weiß ich, dass die Erreger der synthobiologischen Metamorphose nur eine der Waffen sind, die dabei zum Einsatz kamen. Es handelt sich um genetische Züchtungen.«

»Das erklärt nicht, weshalb wir geheilt werden konnten«, wandte der Waffenleitoffizier Erwin Simon ein.

»Ein Hautsekret der Mooghs tötet die Erreger ab«, sagte Menc Radeczin. »Wir erhielten jeden Tag mehrere Injektionen dieses Sekrets. Eine langwierige Behandlung, doch die einzig erfolgversprechende.«

Poe Kalani lachte leise.

»Der Druisant hat sich demnach selbst ein Bein gestellt. Er weiß, dass ein Gegenmittel existiert, aber er hat wohl nie angenommen, dass die Mooghs uns helfen würden. Wir sollten ihm diese Gemeinheit heimzahlen.«

»Dazu werden Sie Gelegenheit bekommen«, dröhnte die Stimme eines Mooghs aus dem Interkom. Obwohl die Automatik die Lautstärke absenkte, klangen den Männern die Ohren. Don Masters glaubte, dass Urmatz der Sprecher war. Der Moogh hatte ihrer Unterhaltung von Anfang an gelauscht. Da jedoch kein Protest laut wurde, behielt Don sein Unbehagen für sich. Immerhin musste er den Bestienabkömmlingen ein deutliches Sicherheitsbedürfnis zugestehen. Nach der Zerstörung ihrer Basen im Molaksystem hatten sie allen Grund, Terranern gegenüber misstrauisch zu sein.

»Sie können uns Ihren Dank abstatten und zugleich Ihre Rachegelüste befriedigen«, fuhr Urmatz fort. »Näheres erfahren Sie bald.«

»Ich gehe davon aus, dass wir uns frei bewegen dürfen«, sagte Don Masters.

»Selbstverständlich, Doktor«, hallte es aus den Lautsprechern. »Haben Sie Grund, daran zu zweifeln?«

Eine leichte Veränderung des Tonfalls warnte den Galaktopsychologen. »Ich habe keinen Grund«, erwiderte er schnell. Irgendwie glaubte er das sogar selbst. Aber eben dieser Umstand gab ihm zu denken. Wenn er nur einen Funken Verstand besaß, durfte er sein Misstrauen nicht beiseite schieben und zur Tagesordnung übergehen. Er brauchte nur in die Gesichter seiner Schicksalsgefährten zu sehen, um zu erkennen, dass sie sich keine Gedanken machten. Das war alles andere als normal. Gerade den Major kannte Don als von Natur aus vorsichtigen Mann. Hatte die Metamorphose ihm den Sinn für Gefahr geraubt?

»Die energetische Abschirmung Ihres Raumschiffs wurde soeben aufgehoben«, meldete Urmatz sich noch einmal. »Ab sofort können Sie optisch sowie im Bereich der Normalortung Informationen einholen. Lediglich der Hyperbereich bleibt weiterhin abgeriegelt.«

»Wir haben ebenfalls Interesse daran, eine Entdeckung durch die Dumfries zu vermeiden«, sagte Tschai Kulu. Er aktivierte den Panoramaschirm.

Der Hangar, in dem die Korvette ruhte, besaß wahrhaft gigantische Ausmaße und lag unter einer fünf Kilometer dicken Schicht gewachsenen Felsens. Ausgedehnte Erzadern durchzogen das Gestein. Sie machten ein Anmessen des Stützpunkts aus dem Weltraum unmöglich.

In unmittelbarer Nähe der KC-21 wurde eines der walzenförmigen Raumschiffe startklar gemacht. Riesige Antigravplattformen, vollgepackt mit undefinierbaren Aggregaten, verschwanden nacheinander im Bauch des Raumers.

»Es geht los.« Erwin Simon, Waffenleitoffizier der Korvette, deutete auf den winzigen Spalt, der von einer Sekunde zur anderen die Höhlendecke teilte. Grellweißes Licht brach in gleißenden Bahnen herein. Die Anzeige der Außentemperatur stieg stetig an. Don Masters vermutete, dass der Stützpunkt der Mooghs auf einem sonnennahen Planeten lag.

Von Traktorstrahlen getragen, glitt das Walzenschiff schnell in die Höhe. Der gesamte Vorgang dauerte keine drei Minuten, dann schloss die Felsendecke sich wieder. Vermutlich beschleunigte das Schiff mit Höchstwerten und tangierte die Sonnenkorona, bevor es in den Linearraum eintrat. Die Gefahr einer zufälligen Entdeckung war dadurch so gut wie ausgeschlossen.

Nachdem es in der Zentrale nichts Neues mehr gab, zogen Tschai Kulu und der Rest seiner Mannschaft in die Schiffsmesse. Trockenkonserven wurden mit Wasser versetzt und von einem Arbeitsroboter ausgeteilt.

Die Männer aßen schweigend. Mehrmals versuchte Don Masters, Gespräche über die CREST oder die Mooghs in Gang zu bringen, aber niemand schien sich dafür zu interessieren, wo das Flaggschiff mittlerweile stand. Vielleicht war Perry Rhodan längst in Richtung Heimat unterwegs – entweder weil er in den Besitz von Paratronkonvertern gelangt war, oder aber mit Hilfe der Kalups aus den Laderäumen der BOX-13111, die jeder für sich eine Reichweite von 1.200.000 Lichtjahren ermöglichten.

Der Klang schwerer Schritte hallte durch die Korvette. Von irgendwoher waren Arbeitsgeräusche zu vernehmen.

»Das hört sich an, als würden unsere Freunde das Schiff in seine Einzelteile zerlegen«, stellte Don schließlich fest.

»Die Mooghs inspizieren unsere Waffen- und Antriebssysteme«, erwiderte Tschai Kulu. »Inzwischen dürften sie die technischen Details kennen, um mit dem Nachbau von Prototypen beginnen zu können.«

»Die Transformkanone ...«

»... wird ihnen helfen, der Bedrohung durch die Völker von M 87 angemessen zu begegnen.«

Don Masters sah die Dinge in einem gänzlich anderen Licht. Doch das behielt er wohlweislich für sich. Der Major und der Rest der Crew waren zwar äußerlich wieder die alten, aber ihre Einstellung offenbarte eine gefährliche Gleichgültigkeit. Hatten sie die Krankheit noch nicht vollständig überwunden? Don war entschlossen, sich darüber Gewissheit zu verschaffen.

Müdigkeit vorschützend, verließ er die Messe. Niemand hielt ihn zurück. In einem peripheren Antigravschacht ließ er sich zum oberen Geschützdeck tragen. Zehn Mooghs hantierten an der Transformpolkanone, deren Konstruktion lange Zeit zu den bestgehüteten Geheimnissen des Solaren Imperiums gehört hatte und eigentlich noch immer unter die höchste Geheimhaltungsstufe fiel. Andererseits war durchaus verständlich, dass die Bestienabkömmlinge, die ständig um ihre Sicherheit bangen mussten, eine solche Waffe benötigten.

»He!«, rief Don. »Ich muss mit Urmatz reden.« Die Mooghs erzeugten einen schier ohrenbetäubenden Lärm. Kein Wunder, dass sie den Terraner nicht hörten. Entschlossen ging Don Masters näher heran. Er verlegte sich aufs Schreien, bis mehrere der Bestien sich ihm zuwandten. Ihre groben Gesichter blieben ausdruckslos starr.

»Urmatz ...«, brachte Don gerade noch heraus, ehe einer der Vierarmigen in einer flüchtigen Bewegung seinen Handlungsarm ausstreckte, gerade so, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen. Der Galaktopsychologe duckte sich zu spät. Ein fürchterlicher Hieb riss ihn von den Beinen und wirbelte ihn meterweit zurück in Richtung auf den Antigravschacht. Besinnungslos blieb er liegen.

Tschai Kulu saß auf dem Platz des Piloten und betrachtete eine provisorische Sternenkarte von M 87, als Urmatz die Zentrale betrat. Er schwang mitsamt dem Sessel herum und erhob sich.

»Ich stehe zur Verfügung«, sagte er.

»Nichts anderes habe ich erwartet.« Urmatz' flüchtige Handbewegung drückte Zufriedenheit aus. »Kommen Sie mit!«

Ohne sich zu vergewissern, ob der Major ihm auch wirklich folgte, sprang der Moogh in den Antigravschacht. Die Aufwärtspolung besaß gerade genügend Energie, um den massigen Körper langsam in die Höhe zu tragen.

Unmittelbar hinter ihm verließ Kulu den Schacht im Bereich der oberen Polkuppel. Etliche mooghsche Techniker waren mit dem Geschütz beschäftigt. Nur einer von ihnen stand außerhalb des Drehbereichs. Don Masters wand und sträubte sich in seinem Griff.

»Der Mann ist ein Verräter«, sagte der Moogh grollend. »Er war im Begriff, unsere Arbeit zu sabotieren und das Geschütz zu sprengen.«

»Was haben Sie sich dabei gedacht, Masters?«, herrschte Kulu den Psychologen an.

Don schwieg. An seinen Schläfen schwollen die Adern, als er verzweifelt freizukommen versuchte.

»Ich verstehe das nicht«, gestand Tschai Kulu. »Der Mann war früher ein Vorbild. Was werden Sie mit ihm machen?«

»Nicht wir, Major, sondern Sie. Wir behandeln Verräter, wie sie es verdienen – wir töten sie.«

Tschai Kulu erschrak, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. »Geben Sie mir eine Waffe!«, verlangte er.

»Ein schneller Tod ist keine Strafe«, wehrte Urmatz ab. »Töten Sie den Mann mit Ihren Händen.«

Kulu zögerte zwar sekundenlang, doch schritt er dann entschlossen auf den wehrlosen Psychologen zu. Don Masters begann zu schreien, als sich die Finger um seinen Hals legten. Der Major drückte erbarmungslos zu. In dem Moment waren sein Gewissen und seine Menschlichkeit ausgeschaltet.

Vergeblich rang Masters nach Luft, sein Gesicht verzerrte sich, die Augen traten aus ihren Höhlen hervor.

»Nein!«, wollte Tschai Kulu schreien, als ihm endlich klar wurde, was er tat. Doch er brachte nur ein ersticktes Ächzen hervor. Er wollte die Hände zurückziehen, aber die Muskeln gehorchten ihm nicht. Eine fremde Macht hatte von seinem Gehirn Besitz ergriffen und zwang ihm ihren Willen auf.

Das dröhnende Lachen der Mooghs, die sich an der Hilflosigkeit des Terraners weideten, hallte wie ein Gewitter durch die Polkuppel. Kulu wurde beinahe taub davon.

Sein Daumen rutschte ab, der Fingernagel ritzte Masters' Haut, drang tiefer ins Gewebe ein. Er stieß auf einen glatten, kalten Widerstand. Kein Blut floss. Kurz entschlossen packte der Major zu und zerrte einen großen Fetzen synthetischen Biomaterials zur Seite. Eine stählerne Visage kam darunter zum Vorschein.

»Was soll das?« Kulu keuchte, sein Puls raste, das Blut rauschte wie ein Wasserfall hinter den Schläfen. Langsam wandte er sich zu den Mooghs um, deren Lachen verstummt war.

»Wir mussten Ihre Loyalität testen«, dröhnte Urmatz.

»Und wenn ich versagt hätte?«

»Dann wären Sie in Kürze tot, von Ihresgleichen umgebracht.«

Die Schmerzen waren schlimmer als alles, was er jemals erlebt hatte. Das Gefühl, unter die Impulsstrahlen eines startenden Raumschiffs geraten zu sein, rief Panik hervor. Jede einzelne Nervenfaser seines Körpers schien zu glühen.

Aber er lebte. Und seine Widerstandskräfte wuchsen. Mittlerweile hatte er gelernt, Schmerzen zu ertragen.

Jemand flößte ihm Flüssigkeit ein. Bald darauf fühlte er sich deutlich besser. Nur sobald er sich bewegte, verspürte er noch einen unangenehmen Druck auf der linken Seite – wahrscheinlich die Folge eines ausgedehnten Blutergusses. Er war nicht von der Druckwelle eines startenden Raumschiffs erfasst worden, sondern unter die Faust eines Mooghs geraten. Was im Prinzip keinen nennenswerten Unterschied bedeutete.

»Trinken Sie das!« Urmatz reichte ihm einen Becher voll Flüssigkeit. Don Masters hatte Mühe, das schwere Gefäß zu halten, aber er befolgte die Aufforderung.

»Sind Sie bereit?«

»Wozu?«

»Um in der Arena zu kämpfen.« Der Moogh brachte eine Waffe zum Vorschein, die in ihren Dimensionen einer Keule glich. Don Masters ließ den geleerten Becher fallen und griff mit beiden Händen zu. Verblüfft registrierte er, dass die Waffe nahezu gewichtlos war.

»Ein Antigravprojektor wurde eingebaut«, erklärte Urmatz. »Sie müssen die Finger um den Stab pressen.«

Don versuchte es. Die Folge war ein greller, peitschenartig geschwungener Energiestrahl, der aus der vorderen Öffnung zuckte. Wo er auf den Boden traf, verfärbte sich der Belag augenblicklich.

»Ich bin Wissenschaftler, kein Kämpfer«, wagte Don zu widersprechen. Urmatz deutete nur auf das Schott, das im Hintergrund aufglitt. Don Masters schluckte seinen aufkeimenden Unwillen hinunter und setzte sich in Bewegung. Was der Moogh verlangte, musste er tun. Schließlich verdankte er den Bestienabkömmlingen sein Leben.

Er betrat eine wahrhaft gigantische Halle, die den Eindruck eines Amphitheaters wachrief. Auf den Rängen drängten sich die Mooghs zu Tausenden.

Unwillkürlich hielt der Psychologe den Atem an, als Poe Kalani und Stan Szypinski auf ihn zukamen. Beide waren mit armlangen Schwertern und kurzen, dreizackigen Wurfspießen bewaffnet.

Don zögerte. Er konnte nicht gegen seine eigenen Kameraden antreten.

»Besiege und töte sie!«, erklang Urmatz' Stimme von irgendwoher.

Kalani und Stan kamen lauernd näher, ihre Gesichter wirkten verschlossen. Sie schienen alle Skrupel abgelegt zu haben. Ohne es wirklich zu wollen, hob Don Masters die Peitsche. Der Energieschock zog eine deutliche Furche in den Staub der Arena. Don stöhnte gequält auf. Sein Widerwille wuchs. Aber da war auch ein Wispern in seinem Innern, das ihm riet, den Mooghs zu gehorchen. Er stand tief in ihrer Schuld.

Don schlug zu, als Kalani mit dem Schwert angriff. Der gleißende Energiestrahl ringelte sich um die Klinge und ließ sie aufglühen. Poe Kalani stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus. Obwohl die Hitze seine Hand versengte, wich er nicht zurück.

Die Wirkung der Peitsche war verheerend. Ein einziger Schlag konnte einen Menschen töten, während die Mooghs vielleicht nur ein leichtes Prickeln unter der Haut verspürten. Don Masters war nahe daran, den Stab wegzuwerfen und sich geschlagen zu geben, egal wie seine Gegner und vor allem Urmatz darauf reagierten. Aber er schaffte es nicht. Verblüfft stellte er fest, dass es ihm leichter fiel, die Waffe zu heben, als die Finger vom Griffstück zu lösen.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin, griffen Kalani und Stan gleichzeitig an. Don hatte Mühe, beide auf Distanz zu halten. Ausgerechnet Shippi, wie Sergeant Szypinski von Freunden genannt wurde, fügte ihm mit dem Dreizack eine blutende Fleischwunde am Oberarm zu.