Polnische Novellen - Wladislaw Reymont - E-Book

Polnische Novellen E-Book

Wladislaw Reymont

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Beschreibung

Wladyslaw Stanislaw Reymont, eigentlich Rejment, war ein polnischer Schriftsteller. Er gehörte zum Kreis der Dichter der Mloda Polska (Junges Polen). Dieser Band beinhaltet seine Novellen: Tomek Baran Das Volksgericht Der Tod In der Herbstnacht Der Schneesturm Entwurzelt Gerechtigkeit

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Polnische Novellen

Wladyslaw Reymont

Inhalt:

Wladyslaw Reymont – Biografie und Bibliografie

Tomek Baran

Das Volksgericht

Der Tod

In der Herbstnacht

Der Schneesturm

Entwurzelt

Gerechtigkeit

Polnische Novellen, W. Reymont

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849633868

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Wladyslaw Reymont – Biografie und Bibliografie

Namhafter poln. Erzähler, geb. am 7. Mai 1867 in Kobiele Wielkie bei Radomsko, verstorben am 5. Dezember 1925 in Warschau. Widmete sich frühzeitig der Schriftstellerei und lebte abwechselnd in Paris, Warschau und Zakopane in Galizien. Er schrieb die Romane: »Komedyantka« (»Die Komödiantin«) und »Fermenty« (»Die Gärung«), realistische, packende Darstellungen aus dem Leben der wandernden Schauspieler, »Ziemia obiecana« (»Das Gelobte Land«), aus dem Leben der Stadt Lodz und eine Sammlung stark naturalistischer Novellen, »Spotkanie« (»Die Begegnung«). Seine Erzählung »Lili«, ein tragisches Idyll genannt, greift wieder in das Leben der Wandertruppen hinein.

Wichtige Werke:

Die Komödiantin, 1896

Die Herrin, 1897

Das gelobte Land, 1898

Das Jahr 1794, 1914–1919

Der Vampir, 1911

Tomek Baran

Tomek stiess die Schankstubentür auf, ein scharfer Brodem, wie aus einem Kuhstall, schlug ihm entgegen und eine vor Dichtigkeit fast klebrige Stickluft presste gegen ihn an; er achtete nicht darauf, trat ein und zwängte sich durch das eng verschlungene Menschengedränge hindurch, das wie Roggengarben auf der Tenne einen grossen wirren Haufen bildete, in der Richtung des Lattenverschlags mit der Schanktafel dahinter.

»Ein Halbquart Schnaps, aber starken!«

»Ins Blech einschenken?«

»Nein, ins Glas.«

Die Schankwirtin goss ein. Er zahlte, nahm Flasche und Glas, wandte sich einem Tisch an der entgegengesetzten Seite der Schankstube zu, liess sich schwer an der Wand nieder, füllte sein Glas mit Schnaps und leerte es in einem Zuge. Dann spie er zwischen den Zähnen hindurch aus, wischte sich den Mund mit dem Ärmel und versann sich. Irgend etwas in seinem Innern schien ihn zu bedrängen, denn er konnte nicht einen Augenblick ruhig dasitzen, er spie immer wieder aus, schlug mit der Faust auf den Tisch, versuchte plötzlich aufzustehen, als müsse er eilig irgendwo hin und liess sich schliesslich mit einem leisen schmerzlichen Aufstöhnen auf die Bank zurückfallen; ab und zu rieb er mit der Faust über seine Augen, denn immer wieder rollte ihm eine Träne über die dürren, bläulichen wie zerfressenen Wangen und brannte wie Feuer auf seinem Gesicht.. Er merkte fast gar nicht mehr, was um ihn her geschah. Ein schwerer Kummer lag wie ein Stein auf seinem Herzen, man sah es ihm an, dass er sich nicht mehr zu helfen wusste und in eine immer grössere Ratlosigkeit verfiel, es war schon so, dass er die Arme hängen liess, ein ums andere Mal vor sich hinseufzte und sich verzweiflungsvoll seinen Schädel kratzte.

Die Schenke erdröhnte unter dem Schurren und Gestampf der Mazurkatänzer. Etwa zwanzig Paare kreisten eifrig, ganz dem Tanz hingegeben, unter frohen Juchzern und feurigen Hackenstossern in dem gedrängt vollen Raum.

Hopp! Hopp! Hopp! – wurden eifrig antreibende Zurufe laut.

Schnaps und Trunkenheit umnebelten bereits die Köpfe und immer wilder schwangen sich die Paare, denn ein solcher Tanztaumel hatte sie gepackt, dass sie wild auftrampelten und sich immer rascher im Kreise drehten.

Die roten Beiderwandröcke der Frauen blitzten neben den weissen Haartuchkitteln der Männer auf wie Mohnblumen in einem reifen Roggenfeld. Der zur Rüste gehende Tag warf Streifen rötlichen Lichts durch die kleinen, zugefrorenen Fensterscheiben, und ein ärmliches Lämpchen über dem Rauchfang des Herdes flackerte und zuckte wie im Takt des Tanzgetrampels vieler schwerer Füsse.

Ein dumpfes Stimmengewirr erfüllte den Raum, einem verworrenen, unbestimmten Rauschen gleich, aus dem jäh wie Blitze das derbe: Hopp! Hopp! Hopp! herausschnellte, um alsbald im allgemeinen Lärm wieder unterzugehen, der auf eine Weile alles verschlang; denn an allen Tischen, in allen Ecken der Schankstube, am Schanktisch selber und wo nur irgend ein Platz übrig geblieben war, standen Menschen und redeten miteinander über die Kartoffeln vom vorigen Jahr, über den Herrn Pfarrer, das Kinderzeug, das liebe Vieh und alles, was sie sonst noch auf der Leber hatten und worüber man sich viel besser in Gemeinschaft aussprechen kann und auch leichter unter Leuten Trost findet; denn selbst das Vieh zum Beispiel, wie gesagt, trinkt nicht einmal aus einer Quelle, wenn es allein draus trinken soll, aber in Gesellschaft, da trinkt es selbst aus dem Spülwassereimer, versteht sich, – so kann auch der Mensch nicht allein leben, sich für sich allein in der Schenke belustigen, oder in den Wald fahren, sondern muss, wie es der liebe Gott befohlen hat, immer gemeinsam mit den anderen solches tun – mit den Bruderseelen, richtig wie es sich gehört.

Alles redet durcheinander, trinkt einander zu, umarmt sich voll Herzlichkeit und die Behaglichkeit lässt jedes Auge heller aufleuchten, während die Hopphopp-hopp-Rufe immer deutlicher werden und schon gar kein Ende mehr nehmen wollen.

Die Fussbodenbretter knarren immer bedenklicher unter dem Stampfen der eisenbeschlagenen Absätze und die Bassgeigen, die mit ihren Musikanten hoch auf einem Sauerkrautfass untergebracht sind, singen schon mit ganz tiefer Stimme:

– Bom, tzick, tzick! bom, tzick, tzick! –

Worauf ihnen die Lindenholzgeigen mit feinen Stimmchen Bescheid geben:

– Tuli, tuli, tuli, tuli – tulity, tulity! –

Die Lust brennt lichterloh und unaufhaltsam. Gesichter neigen sich Gesichtern zu, Brust schiebt sich an Brust, Rücken streift den Rücken – und alles ist dermassen vom Tanztakt der lustigen Musik durchdrungen, dass der Oberek sich wild und frei entfalten kann, wie es sich für einen echten, rechten Bauerntanz geziemt. Die Fensterscheiben klirren wehmütig, aus dem Fussboden springen hier und da die dichten Astknorren heraus und die schweren, dickbäuchigen Schnapsgläser auf dem Schanktisch hüpfen immerzu so lustig, dass es einen wahrlich wundernimmt.

Ab und zu langt der Schankwirt nach der Trommel mit den Schellen, rüttelt sie derb, wie der Bauer den Juden, wenn er ihn am Schopf hält, und schlägt mit der Faust auf ihren strammen Bauch ein, im Takt der Geigenmusik.

– Dys, dys, dys! – klang es ein jedes Mal lärmig, verworren und mit betäubendem Geklirr – und gleich stampften die Stiefelabsätze draufgängerischer los, stiegen die heiseren Juchzer noch kecker auf, und das qualmende Lämpchen schien hüpfen zu wollen und paffte Russ auf die im Tanze wie Mäntel sich blähenden weissen Haartuchkittel der Männer. Der Dunst des auf den Stiefeln und an der Eingangstür tauenden Schnees, der Zigarettenqualm und das Halbdunkel, das in der grossen Schankstube herrschte, hüllte die Tanzenden wie in Schleier ein, so dass nur hin und wieder ihre roten Gesichter, undeutlichen Körperumrisse und die grellen Flecke ihrer Trachten aus dem selbstvergessen sich wiegenden, bunten Menschenknäuel hervorglühten.

– Und wer will mir die-nen, die-nen, cha ... cha ... cha ... hi ... hi ... hi ... – kicherten lustig die Geigen.

– Ich will's tun, gerne tun ... u ... u ... uh ... – brummelten die hopsenden Bassgeigen ihnen Antwort zu, und alsogleich hüben sie gemeinsam an zu lachen, zu schäkern und mit ihren lustigen Stimmen alle Ecken zu füllen, dass die Schenke unter der Flut einer trunkenen Lustigkeit zu erzittern schien.

Ein Weibstück ist ganz toll geworden Und verrückt die zweite. Die dritte hat der Teufel holen: Reit zur Hölle, reite!

sang plötzlich einer laut los, wie zum Anreiz, und als Antwort stiegen von allüberall immer neue Liedlein und sprühten immer ausgelassenere Lustigkeit um sich.

Tomek sass noch immerzu in Gedanken versunken da; er hatte sich gerade ein zweites Glas eingeschenkt, als es ihm einer der vorüberwirbelnden Tänzer umstiess. Wütend holte er aus und versetzte der Tänzerin des Burschen einen Fusstritt, dann stand er auf, denn vom Fenster begann allmählich die Kälte auf ihn einzudringen. Allein sitzen mochte er nicht mehr, so begab er sich denn in die hinter dem Schanktisch gelegene Giebelkammer.

Auch dort war es gedrängt voll, die Leute hielten ihre Schnapsflaschen umkrallt, klammerten sich aneinander, umarmten sich, nahmen den Mund voll und tranken einander zu, dass es eine Art hatte. Die Weiber verdeckten schamhaft ihre Gesichter mit den Beiderwandschürzen und schlürften den Branntwein mit Begehrlichkeit. Eine ehrliche Bewirtung machte sich allenthalben breit – echt und recht wie es sein muss, katholisch! Hatte einer Geld, sich Arrak zu leisten – dann eben Arrak, reichte es zum Sprit mit »Essenz« – dann solchen, und kam er nur bis zum Fusel – .. dann Fusel auf den Tisch, oder auch Bier, wenn er Geld hatte sich so was zu leisten.

Jeder bewirtete von Herzen mit heller Festfreude.

Alle waren schon angetrunken, aber schaden tat das nichts: einmal muss ja doch die Ziege sterben! Ein Schnäpslein in Ehren hat noch keinen sündig gemacht, und die arme Menschenseele braucht ab und zu etwas zum Trost, wenn auch nur ein Tröpfchen gegen die Sorgen.

»Oh, du verfluchter Hund!« lallte ein betrunkener Bauer wütend gegen den Kamin an, »so ein Gevatter bist du! Hä ... hä ... warte einmal! ... Und ich ihn so, und er mich so ... Warte, du Aas! ... Und ich ihn an die Rockklappe, und er mir eins aufs Maul! ... Aufs Maul, sagst du! warte, du pestige Sau! ... So ein Gevatter bist du, du Hundesohn, so ein Christ! ... und er mir eins, und ich ihm in die Schnauze! ... Ich, der Bartek ... ich ... versteht sich, dass ich der bin! habe schon manchen rumgekriegt, auch du sollst dran glauben müssen ... Hundevieh, verfluchtes! ... dich krieg' ich schon noch ... warte einmal! ... Hähä ... Und ich ihn so, und er mich so – und ich sage zu ihm höflich: Bruderherz! ... und er mir eins aufs Maul, – und ich sage ihm: Gevatter! ... und er noch eins aufs Maul! ... und ich sage ihm: so ein Gevatter bist du, so'n Christ? ... dich werd' ich ...« er murmelte immer undeutlicher vor sich hin und hämmerte mit der Faust gegen den Kamin an, dass es dumpf dröhnte, dann horchte er noch eine Weile, stellte sich breit auf und nickte alsbald, schlaftrunken torkelnd, vor sich hin.

Hinterm Weiher steh' ich, Hinterm Weiher geh' ich. Möcht' dich gerne küssen, Kann dich, Lieb, nicht missen ... Will den Kuss dem Blättlein geben, Trägt ihn wohl zu dir, mein Leben!

sang jetzt laut die Karline, dieselbe, die während der Kartoffelernte ihren Mann begraben hatte und jetzt als Witwe auf ihren fünfzehn Morgen Weizenboden mit einem Pferd und etlichen Kühen sass, ausserdem war da auch noch das guterhaltene Zeug des Seligen, für den etwaigen Nachfolger. Sie wandte sich stürmisch einem jungen Burschen zu, der etwas abseits an der Wand stand, und sang ihm abermals ein solches:

Wojtek, Wojtek, sei nicht bang, Sitz nicht auf der Ofenbank! Komm zur Wittib, wirst schon sehen, Hast bei ihr nichts auszustehen.

»Wojtek, in deine Hände, mein Junge! Dumm bist du, was sollst du denn vor den Eltern bange sein. Wie ich gesagt habe: wenn ich dir den Grund und Boden verschreibe, dann werd' ich ihn auch verschreiben, ist doch mein Eigentum, etwa nicht?«

Wirst sein wie im Himmel, mein Schatz, ohne Sorgen: Kriegst Käse zu Abend – ein Huhn jeden Morgen!

»Verneig' dich schön vor dem geistlichen Vater, bezahl' das Aufgebot, ein Schweinchen wollen wir schlachten, Napfkuchen wollen wir backen, Arrak kaufen, wollen lustig sein und saufen und eine Hochzeit herrichten, dass ... ha!«

»Sieh einer das Frauenzimmer, alt und immer noch dumm! Zähne hat sie keine und möchte beissen!« liess sich einer von der Seite vernehmen.

»Hale! Steck' deine Glotzen anderswohin, als einem zwischen die Zähne. Seht mal diesen Hundesohn! ...« wehrte Karline hitzig ab.

»Immer ruhig! ruhig, Gevatterin, ich will Euch etwas sagen.«

»Sagt es einem Hund! Mit einem Paletot hat sich das Gestell aufgeputzt und glaubt, dass er ein grosser Herr ist – und wenn du auch im Dorf herumkläffst wie'n Hund, von mir aus hast du keinen Schnaps zu erwarten. Ich werd' dir keinen in deinen Rachen giessen.«

Sie wandte sich wiederum dem Wojtek zu, zog ihn in eine Ecke und redete weiter auf ihn ein. Neben ihnen, an einem kleinen Tisch, sassen zwei Bauern, sie tranken ab und zu einen Schluck aus einer bauchigen Flasche. Der eine kratzte sich den Schädel und schwieg, der andere machte breite Armbewegungen und redete in einem fort.

»Merkt Euch das, ich, der Czerwinski, hab' es Euch gesagt: allerhand böses Zeug hat sich an mich gehängt, wie die Weiber an die Judenstute, ich aber ... nichts! Die Frau ist mir im Kindbett draufgegangen – ich nichts! Die Pferde haben mir die Diebe gestohlen – ich nichts! Ich warte bloss zu ... Der Jendrek hat die Pocken bekommen – oh, hundsverdammt! Da hab' ich aber Schnaps mit Fettigkeit getrunken, Hochwürden habe ich Geld für eine Messe hingetragen – und weg war es, – wie weggezaubert! Mach' es ebenso, Gschela, und du wirst sehen, dass es hilft. Czerwinski sagt dir das, dem Czerwinski kannst du es schon glauben, dass es so ist.«

»So'n Schwarm Kinder, wie auf dem Hof das liebe Federvieh, und die Frau dazu bettlägerig, die Steuern müssen bezahlt werden, die Kartoffeln sind mir erfroren, die Not pfeift bei einem nur so ein und aus – und gegen all das, was hat man: einen zerbrochenen Stecken! Ih, mein Gott, mein Gott! Trinkt mir zu, mein Guter. Es scheint mir, dass ich es nicht schaffen werde, ich überleg' mir alles von dieser Seite und von der anderen Seite, rein gar nichts, nichts lässt sich herauskalkulieren.«

»Dumm bist du, in deine Hände, Gschela; lass du dir lieber was von dem Aufseher aufs Maul geben, aber überleg' nichts mit deinem eigenen Verstand, denn damit wirst du nichts zustande bringen. Ab und zu kannst du schon was mit der Faust abkriegen, aber Arbeit wirst du am Bahndamm haben und immer frisches Geld. Merk' dir das – ich, der Czerwinski, sag' es dir! und dem Czerwinski kannst du glauben, denn wie Hochwürden gesagt haben, im ganzen Kirchspiel ist er, Hochwürden, ein Kopf und der zweite – das ist Czerwinski! Gott erhalt' ihn bei Gesundheit, das ist ein kluger Schlachtziz, unser Hochwürden, und ein gelernter Herr. In deine Hände, Gschela!«

... »Frau Jatzkowa, liebe Frau Jatzkowa: geben Sie uns ein Fläschchen Essenz und ein Quart Sprit, zwei Reihen Semmeln und 'n Pfund von der fetten Wurst!« rief man vom Tisch am Fenster, an dem vier Menschen sassen, der Schankwirtin zu; zwei von diesen Leuten trugen städtische Kleidung, die zwei anderen – bäurische.

»Frau Jatzkowa, liebe Frau Jatzkowa! hör' Sie, auch etwas Essig zur Wurst und einen Teller für den Herrn Jäger! ... Sehen Sie mal, Herr Jäger, ich will es gleich sagen, wie es gewesen ist ...«

»Sei mal still, Alter, ich werde es ganz genau erzählen, du erinnerst dich nicht mehr, wie es war,« unterbrach ihn die Frau ... »Ich geh' also durch die Waldschneise, sozusagen, ich geh' also ...«

»Halt's Maul! Die wird hier mit ihrer Zunge unnützes Zeug dreschen. Ich erzähl' es. Auf die Gesundheit, der Herr Jäger!«

»Wohl bekomm' er Euch, mit Gottes Hilfe!«

»Noch ein Glas, der Herr Jäger?«

»Eure Gesundheit, Andreas!«

»Frau Jatzkowa, nochmal denselben!«

»Gott bezahl's Euch, Andreas, ich kann nicht mehr.«

»Noch ein Gläschen, lieber Herr Jägermeister! nur ein Bisschen, nur einen einzigen Schluck, oh ... Gleich will ich es erzählen, wie das gewesen ist. Meine Frau sagt zu mir: ich geh' mich so durch die Waldschneise, durch das Revier, das dem Herrn Jäger gehört, hat sie gesagt, und da liegt mit einemmal etwas, wie ein Hase, und doch ist es kein Hase – nein, es hat keinen Schwanz, hat sie gesagt, kein Kalb ist es und auch kein Schwein, denn es quiekt nicht ein bisschen. Das Frauenzimmer ist stehen geblieben, ganz steif ist sie vor Schreck geworden und betet nur in einem fort: ›Wer sich in den Schutz des Herrn begibt‹, und dieses Tier liegt noch immerzu da, sperrt sein Maul auf, hat sie gesagt, und hatte solche Hauer, jeder wie ein Finger so gross – und da das Weibsvolk doch gleich so wütig und hitzig ist, im Schlechten wie im Guten – so nimmt sie in einem Nu den Klumpen vom Fuss, und mit ganzer Macht ihn diesem Tierzeug an den Schädel! ... und dann, heidi ... und mit Gewein nach Hause gerannt – hat sie gesagt. Sie ist ins Haus gelaufen gekommen und gleich auf mich zu: Alter, hörst du! – Was denn? frag' ich sie. – Ich hab' ein wildes Tier totgeschlagen, in der Waldschneise, sagt sie. – Ich antworte nicht darauf, denn ich habe mir gedacht, dass es sie wohl vom Gehen so benebelt hat und sie darum unsinniges Zeug daherredet, wie das so bei einer Frau einmal ist. Und die immer ein und dasselbe: Ein wildes Tier oder so was Ähnliches hab' ich totgeschlagen, in der Waldschneise ... Ich lange ihr eins mit der Faust über den Buckel, was soll sie unsinniges Zeug daherreden, und die immer wieder nur ein und dasselbe: Ich hab' ein wildes Tier im Wald ... totgeschlagen! Du lieber Gott, du lieber Gott! ... Mit dem Frauenzimmer wirst du nicht fertig, denk' ich jetzt, vielleicht hat sie auch einen Menschen totgeschlagen oder sonst was. Ich spanne also die Schimmelstute an und so bin ich denn hingefahren, weil ich nachsehen wollte, damals als mich der Herr Jäger im Wald trafen.«

»Das sind Zigeunergeschichten, mein Andreas! Ich habe Euch doch dabei abgefasst, wie Ihr die Rehkuh auf den Wagen ludet!«

»Noch ein Tröpfchen Schnaps, Herr Jäger – zum Abgewöhnen! Ich habe die Wahrheit gesagt, wie bei der Beichte, vor Hochwürden. Der Herr Jäger sind mir mehr als der Vater oder Bruder, der Herr Jägermeister sind mein lieber Wohltäter. Ich weiss, dass ich, wenn der Herr Jägermeister es wollen würden, meine Sache beim Gericht verliere, denn das ist schon so auf der Welt eingerichtet, dass der feine Herr obenauf ist und du, Bauer, musst leiden, arbeiten und zahlen! Ich weiss, dass der Herr Jägermeister ein ehrlicher, friedlicher und gerechter Mensch sind, so wird er mir auch kein Unrecht antun, und weil ich den Herrn Jägermeister von Herzen lieb habe, wie meinen eigenen Vater, so bringt meine Frau morgen freundschaftlich das Schweinchen hin, und alles ist zwischen uns wieder in Ordnung. Was sollen wir die Gerichte an uns verdienen lassen! Frau Jatzkowa, noch etwas von demselben Schnaps!«

»Ich lege auch noch ein paar Entlein und eine kleine Scheibe Honig hinzu, denn ich weiss schon, dass die Frau Jägerin eine edeldenkende und feine Dame sind und in den Schulen Bildung gelernt haben, wie der Herr Jäger selbst, – nicht wie wir Bauernpack, zum Beispiel,« fügte die Bäuerin schlau hinzu und beugte sich der Jägerin ergeben zu Füssen, diese aber schloss sie in die Arme, und sie begannen sich vor Rührung zu küssen. »Ich hab' schon ein so weiches Herz, dass ich Euch, Andreas, nicht nur diese Rehkuh schenken werde, sondern auch, wenn Ihr mal eine Fichte oder einen jungen Eichbaum nötig hättet, werde ich Euch Eure Bitte nicht abschlagen können.«

»Auf Eure Gesundheit, der Herr Jäger, mitleidige und christliche Seele!«

Sie tranken immer wieder einander zu, küssten sich und tuschelten miteinander, vom Nebentisch aber hörte man jetzt wieder die Stimmen der Bauern:

»Oh, hundsverdammt! Der Mensch ist gänzlich zuschanden gekommen. Ihr habt ja dort mit ihm zusammengewohnt?«

»Nur durch einen Grenzrain waren wir getrennt. Ich habe das alles mitangesehen. Es wird einem dabei ganz schlecht zumute, das versteht sich, als wäre man selbst schon krank.«

»Ich, Czerwinski, sage Euch dieses: er hätte noch leben können, Gott sei seiner Seele gnädig, das hätte er können.«

»Hale! Wegen zu viel ›grossem Bedürfnis‹ ging das nicht mehr bei ihm, es kam nur mehr wie Wasser aus ihm gefegt; er stöhnte herum und stöhnte herum und schliesslich ist er eingegangen, der Ärmste.«

»Der Doktor soll bei ihm gewesen sein?«

»Ih... die Doktoren. Wenn einer sterben soll, dann kannst du ihm eine Hufe Land geben und Hab und Gut bis hoch an den Hals, lebendig wird er doch nicht mehr.«

»Wahr ist es schon! in deine Hände, Gschela!«

»Wohl bekomm's. Und wer war daran schuld? Der Wahrheit und Gerechtigkeit nach einzig und allein seine Mastsau und sein Weib. Er hatte eine fette Sau, dick wie ein Holzklotz, so brachte er sie denn zum Verkauf, weil Geld im Haus nötig war. Mit diesem seinem Schwein ist er nun losgezogen. Es hatte geschneit, versteht Ihr, der Schnee lag bis an den Gurt hoch und herumgelaufen ist er, hat sich die Kräfte abgejagt wie gewöhnlich beim Handel. Dann hat er Wurst gegessen, die ist ihm im Magen geronnen und so ist er daran zugrunde gegangen. Hätte er sie gut mit Schnaps begossen, dann wäre ihm nichts geschehen, so wahr Gott im Himmel ist, aber er trank auch nicht ein halbes Quart.«

»Der Ärmste hatte Angst vor der Hölle zu Hause.«

»Ho! ho! ein übles Weib hatte der auch, mit festen Fäusten, das will ich meinen! Die prügelte ihn schon manches Mal, und was die ihn geprügelt hat!«

»Auf Euer Wohl, Gevatter!«

»Wohl bekomm's. Lasst Euch das von Czerwinski gesagt sein: hätt' er dieses Hundeschönchen geprügelt, dass ihr das Dunkel über die Augen gekrochen wäre, dann hätte er auch ein artiges Frauchen gehabt, wie sich's gehört!«

»Wahr ist es, was Ihr sagt, Herr Schultheiss, die reine Wahrheit. Der war in der Faust zu weich, hatte auch nicht die richtige Überlegung, wie sich das für einen Mann gehört, jetzt hat er ins Gras beissen müssen – ewige Ruhe seiner sündigen Seele.«

»In Ewigkeit, Amen. In deine Hände, Gschela.«

»So ein Ehegatte seid Ihr? die Frau ist fast am Sterben und ihr sauft hier wie die wahren Heiden!« schrie eine Frau, sich zu ihnen hindurchschiebend.

»Was schert mich das!... Man hat Kinder in Menge, wie Kehricht, und immer noch soll es kein Ende nehmen... pah...«

»Lästere nicht, Gschela, sonst nimmt dir der liebe Gott noch alles fort...«

»Trinkt ein Tröpfchen mit, Gevatterin, dann wollen wir gleich zusammen fortgehen ...«

»Mich hat das Jesuskindlein nicht auf meine alten Tage mit einem Kind erfreut,« begann die Frau auseinanderzusetzen, »und wie hab' ich gebeten, nach Czenstochau bin ich gepilgert, von den gelehrten Doktoren habe ich mich kurieren lassen und alles vergebens, ganz allein bin ich auf dieser Welt geblieben, wie so'n einziger sündiger Finger ... ganz allein ...« »Hale, krieg' einer einmal ein Kind, wenn hundert Jahr vorüber sind.«

»Ihr solltet nicht solches Zeug daherreden, Czerwinski, bin ich vielleicht nicht auch einmal jung gewesen, wie?«

»Unser Herrgott ist in den Himmel, der Teufel ins Weib und die Säure ins Bier gefahren – nur weiss keiner, wann das gewesen ist! – merk' dir das, Frau, denn so hat es dir Czerwinski gesagt.«

In der Ecke auf einer Lade sass ein junger Bursche, der Sohn des Dorforganisten, und vor ihm stand ein steinaltes Weiblein und murmelte mit gedämpfter, noch seltsam wohlklingender Stimme:

»Sechsundsiebenzig Jahre lebe ich schon, junger Herr, – da habe ich weisse und schwarze und verschiedene andere Jahre gesehen. Ich habe bei Herrschaften gedient, die mit Hengsten fuhren, von silbernen Schüsselchen assen und auf Ausländisch miteinander redeten – und wo sind die jetzt! wo? Und im Gebetbuch kann ich lesen, und die erste Hofbäuerin war ich im ganzen Dorf, habe eigene Kinder gehabt und Hab und Gut bis an die Gurgel ... oh ... und alles ist vorübergegangen, verblichen wie die Sommersonne, die der Herr Jesus uns Sündigen zum Trost schenkt. Ich weiss alles, junger Herr, ich weiss, dass, ob Herrenleben oder Bauernleben, alles doch nichts anderes ist als schlimme Quälerei. Ich bin eine ganz einfache Bauersfrau, sechsundsiebenzig Jahre hab' ich auf dem Buckel – da hab' ich mir denn schon alles gut zurechtgelegt. Die Welt steht doch schon sechstausend Jahre, junger Herr?«

»Fast sechstausend Jahre.«

»Sehen der junge Herr, dass ich alles weiss, und darum denke ich so: wenn die Welt so viele tausend Jährchen ohne mich bestanden hat, und alles ist gut gegangen, warum musste ich da so viele Jahre leiden? Was hatte sie davon, die Welt?«

»Na ja, was soll man tun, der liebe Gott hat einem das Leben gegeben, so ...«

»Junger Herr,« unterbrach ihn die Alte rasch: »ich bin nur eine einfache Bauersfrau und der junge Herr ist ein Studierter, er kann auch auf der Orgel aufspielen, lateinisch mit dem geistlichen Vater singen und weiss richtig, wie er einen feinen und einen tiefen Ton singen soll, aber ich will's doch sagen: vielleicht sind meine Gedanken sündig, – aber ich sag' es doch: dass es gewiss der Teufel ist, der die Seelen in die Welt setzt, damit sie leiden sollen, damit sie im ärgsten Menschenelend sich auf der Welt so viele Jahre herumtreiben wie ich. Das ist nicht der liebe Gott, der das macht, wenn das auch in den Büchern steht und die Priester es sagen, nein. Was hätte der liebe Herr Jesus davon, dass sich so viel Volk abquälen, abmoracken muss und einfach zugrunde gehen soll? ... Der liebe Gott ist ein guter Herr und ein gerechter ... Nicht süss ist das Leben und nicht aus weichem Samt – es kratzt über einen wie mit dem Pferdestriegel, bis der Mensch sein eigen Herzblut von sich geben muss.«

»Was Ihr bloss redet, Jagustynka, das ist doch Sünde ...«

»Nur dem anderen Menschen Unrecht zu tun, ist Sünde, ich würde nicht einmal den Hund mit einem Stecken anrühren, denn es ist ein lebendiges Geschöpf und leidet dadurch. Junger Herr, eine einfache Bauersfrau bin ich nur, aber mein Herz ist wie eine Kohle ausgebrannt, durch all die Bitterkeit, die ich mein leblang für mich und für die anderen habe trinken müssen, und das weiss ich, dass der Teufel uns das Leben gegeben hat, aus Bosheit gegen den lieben Gott, damit sich die armen Leute in alle Ewigkeit in der Welt zugrunde richten, aber unser geliebter Jesusherr hat sich unser erbarmt: er hat den Bösen herumgekriegt und sucht sich so bei und bei die Menschen für seine Seligkeit aus – und einmal wird er sie alle herausgeholt haben. Ich wart nur bloss, bis die Knochenfrau kommt und mir sagen tut: komm her, Jagustynka! ... ich wart' bloss und bitte Gott, dass ich doch schnellstens die Augen schliessen könnte und keine Qual und kein Elend mehr sehen brauch', dass ich ausruhen darf, gründlich einmal ausruhen, junger Herr!« ...

Sie reckte sich über den jungen Organistensohn, der eingenickt war, und neigte ihr dürres, von Alter und Sorge zerfurchtes Gesicht, und in den verblassten, vom vielen Weinen wie ausgelaugten Augen blitzten Tränen auf ... sie wischte sie rasch mit der Beiderwandschürze ab, seufzte leise auf und wandte sich Tomek zu, der für sich allein auf einer Lade sass mit seiner Schnapsflasche in der Hand.

»Tomek! Dir sieht was Schlimmes aus den Augen,« murmelte sie und berührte sanft seine Schulter.

»Was anderes als die Not? Wissen Mutter es nicht? ...«

»Ich hab' so etwas gehört, aber die Leute reden allerhand durcheinander, man weiss nicht, was wahr und was ausgedacht ist.«

»Sie haben mich verabschiedet,« murmelte er traurig.

»Weswegen denn?«

Aus ihrer Stimme klang besorgtes Mitgefühl.

»Weswegen? ... weil man dem Aufseher hat immer was schenken müssen: im Herbst Gänse, zu Fastnacht Butter, ein Ferkel und Eier zu Ostern, dann wieder junge Hühnchen zu Pfingsten, – ich hab' ihm aber nichts hingetragen, wie das die anderen taten; wo sollte ich es denn hernehmen? Den Kindern konnte man kein Essen mehr geben – die Frau ist mir bei dem Elend zugrunde gegangen, die Kuh ist mir verreckt, und das auch nicht vor lauter gutem Leben; wie die Kartoffeln im vergangenen Jahr waren, wisst Ihr ja ... ich habe weniger herausgeholt als hineingesteckt. In Stücke gerissen hab' ich mich, aber helfen konnte man darum doch niemandem, weder der Frau noch sonst wem. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, im Dienst und zu Hause, das Elend hab' ich doch nicht rumkriegen können. Der Aufseher schimpfte nur immerzu auf mich ein – was sollt' ich ihm denn geben? mit der Faust eins zwischen die Rippen? Denn ich und die Kinder hatten doch selbst nichts zu beissen. Er trieb mich immerzu an und bewachte mich ganz niederträchtig aus lauter Bosheit, versteht Ihr. An den Streckenvorsteher hat er nur immerzu ›Laporten‹ geschrieben, dass ich frech bin und ein faules Wesen habe, dass ich im Dienst schlafe und den Eisenbahndamm nicht bewache, wie es sich gehört – und dann hat er auch gesagt, dass ich das Eisen aus dem Magazin gestohlen haben soll, und dass ...«

»Hast du es genommen, Tomek? Sag' mir die reine Wahrheit, jetzt ist es ja doch ganz gleich, wie?«

»Ich hab' es nicht genommen, Mutter, nein, das hab' ich nicht – dass ich hier auf der Stelle verreck' wie ein toller Hund! Ich sag' Euch die reine Wahrheit wie bei der heiligen Beichte; ich habe nie und nimmer gestohlen, die anderen Kameraden haben manches Mal sich etwas weggenommen, aber mein Vater haben nicht gestohlen, so wird auch der Sohn kein Dieb sein. Arm bin ich, aber ein Dieb bin ich darum doch nicht.«

»Und darum haben sie dich davongejagt? Die Leute erzählen doch, dass sie bei dir das Eisen gefunden haben ...«

»Versteht sich. Das ist so richtig wahr, nur dass ich es nicht dort hingebracht habe, wo sie es gefunden haben. Rafael sein Michal hat dem Aufseher fünfzig Rubel versprochen, wenn er ihn zum Bahnwärter macht, und da keine Stelle frei war, so hat er mir das Eisen untergeschoben und mich dann angezeigt. Sie haben revidiert bei mir, das Eisen gefunden und mich davongejagt. Alles ist umsonst gewesen, denn wenn ich auch wusste, wer das gemacht hat – einen Zeugen habe ich dafür doch nicht gehabt. Sechs Menschen sind ohne Brot geblieben. Zum Verdienen hat man keine Gelegenheit, zu essen gibt es nichts, zu leben hat man nichts, und wenn der barmherzige Herr Jesus nicht Hilfe schafft, dann ertrag' ich es nicht mehr, nein, dann ertrag' ich es nicht mehr!«

»Oh, Menschenlos: das Weinen wird einem die Wangen zerfressen, die Seele sich vor Schmerz zusammenkrampfen wie ein Vöglein im argen Frost, aber Hilfe wird von nirgendwo kommen. Dummes Volk kann nur reden, dass es Gutes in der Welt gibt; jawohl, es gibt so viel Gutes, dass es einem zur Gurgel hinausfährt!« murmelte die Alte bitter.

»Lass dich aber nicht unterkriegen, Tomek; auch den Bösen hat unser Herr Jesus besiegt, warum sollte nicht ein natürlicher Mensch unter Beihilfe der allerheiligsten Jungfrau mit der Not fertig werden?« versuchte sie ihn zu trösten; sie wandte sich darauf dem Schanktisch zu, kaufte zwei Reihen Semmeln und ein Quart Hirsegrütze und kehrte damit wieder zu ihm zurück.

»Hier, Tomek, nimm die Grütze und die Semmeln, das ist für die Kinder, ich bin nur eine arme Waise, geben würd' ich dir schon gern was, wenn ich es bloss hätte. Hat einer etwas, dann kann er kaufen, was er will, ich aber bin nur eine arme Kätnerin. Doch ich will dir einen Rat geben, Tomek ...«

»Gebt mir einen Rat, Mutter, dann werden Euch der Herr Jesus und die Allerheiligste für mich Armen belohnen.«

»Geh du morgen zum Aufseher, Tomek, und verneig' dich schön tief vor ihm, vielleicht erbarmt er sich deiner; er hat doch selber Kinder, denn dass du Hungers sterben solltest, macht nichts – aber solche armen Würmer, die sich nicht recht was überlegen können, die halten es nicht aus und das wäre doch die reine Sünde, wenn die Kinder vor Hunger jammern müssten.«

»Nein, Mutter, ich geh' da nicht wieder hin,« murmelte Tomek mit düsterer Verbissenheit. »Lass mich verrecken, wenn man Hungers sterben soll, dann sterb' ich, aber den bitten, das tu' ich nicht. Habe ich doch schon diesem Höllenvieh zu Füssen gelegen und habe wie ein Hund um Arbeit gewinselt und wie ein Hund gebettelt, dass er sich der Kinder erbarmen sollte, – da hat er mich zur Antwort mit dem Fuss von sich gestossen und mich zur Tür hinausschmeissen lassen! ... Nein, ich geh' nicht zu ihm hin, denn ich hab' Angst vor der Sünde, Angst hab' ich – wenn ich den bloss zu sehen bekomme, dann packt mich so ein Zittern, dass ich ihm an die Gurgel springen könnte und den Kerl wie ein böses Tier zu Tode schlagen!«

Er murmelte dieses mit einer scheuen und von Hass erstickten Stimme und ballte immer wütender die Fäuste, darauf griff er sich an die Brust und sprach weiter:

»Es tut mir schon ordentlich in der Brust weh davon, aber ich hab' schon so viel ausgestanden, dass ich nicht weiss, ob ich noch mehr aushalten kann.«

»Halt ihn in dir, diesen Wolf, Baran, halt ihn fest, ein Unglück ist leicht geschehen.«

»Ich will morgen in den Wald gehen, Holz hacken.«

»Muss der Magen entbehren, kann das Hemd nicht lehren.«

»Für ein Viertel Klafter zahlt diese Hundeseele von Judenmensch nur einen Silberling und zehn Groschen, und dafür muss man zwei gute Tage die Rippen ordentlich um und um racken.«

»Geh du jetzt gleich zum Pfarrer, Tomek, und bitte ihn – er ist doch mit den Herren Beamten gut bekannt, da könnt' er für dich ein Wort einlegen, damit sie dir eine Arbeit am Bahndamm geben.«

»Hale, der Pfarrer kennt doch den Vorsteher, er fährt immer zu ihm hin ...«

»Dummer, der Priester hält noch am meisten auf Gerechtigkeit und auf das arme Volk. Der kann dir was raten, und helfen kann er dir auch.«

»Ich habe nichts in die Hand zu nehmen und so ganz bloss, ohne etwas, da wag' ich mich nicht hin.«

»Dumm bist du, die Kinder kannst du ihm, versteht sich, nicht zum Geschenk bringen, und was anderes hast du nicht!«

»Das ist schon wahr, aber ... immer doch ... Hochwürden nichts hinzutragen ...«

»Dumm bist du; geh gleich hin, falle Hochwürden zu Füssen und sag' ihm alles – schlag dich immerzu auf die Brust, weine und rede nur von den Kindern – du wirst schon sehen, dass der Pfarrer gleich weich wird.«

»Te! dann will ich auch hingehen,« murmelte er schnell, schon ganz überzeugt, und stand von der Lade auf, zupfte seinen Schafspelz zurecht, setzte seine Schafspelzmütze auf und versuchte sich durch die Giebelstube und dann durch das Gedränge der Tanzenden hindurchzuzwängen.

Die Alte folgte ihm nach, und als sie vor der Schenke waren, sagte sie ihm:

»Sei nicht bockig, Tomek, bei Hochwürden, bitt ihn hübsch artig um seinen Beistand; ein Bauer ohne Land ist wie ein Vögelchen im Wasser, das seine Flügel flach ausgebreitet hat und laut um Hilfe schreien muss, sonst müsst' es ertrinken.«

Er entgegnete nichts mehr, denn eine solche Kälte wehte ihn draussen an, dass er ausser Atem kam, die Schafspelzmütze noch tiefer über die Augen drückte und von der Schenke geradeswegs über die Felder auf den ausgetretenen Fusspfad zu davoneilte.

... Wollen trinken! dideldei – wollen essen! dideldei – wollen immer fröhlich sein! ... sangen die Geigen hinter ihm drein.

»So Gott will, so Gott will, so Gott will! ...« knurrten die Bassgeigen gedämpft und hüpften lustig hinterdrein, aber Tomek hörte nicht auf all diese Stimmen, die unter dem Strohdach der Schenke hervordrängten und in der Frostluft wie ein kristallener Regenschauer zerstoben, sondern schritt rüstig aus.

Auf den Feldern war es hell vor lauter Schnee und Mondenschein, wie am lichten Tage.

Gewaltige weisse Wolken ruhten im Raume, der sich über der Erde in der Majestät der Stille und der Unendlichkeit wie silberfahle Vorhänge dehnte. Die leicht gewellte Ebene, auf der sich die nackten Baumgerippe und Steinhaufen schwarz abzeichneten, flutete wie ein Meer und blendete die Augen durch die glitzernde Weisse. Ein solches Schweigen lag über den Feldern, dass Tomek noch lange die Stimmen, die aus der Schenke kamen, hören konnte. Zuweilen blickte er sich um, auf das für sich stehende, erleuchtete Haus, und liess zugleich seine Blicke über die goldenen Lichtpunkte des Dorfes schweifen, aber sofort beschleunigte er wieder seine Schritte und eilte weiter, ohne auf den Frost zu achten, der ihn wie mit Nadeln in die Backen stach und ihm den Atem benahm.

Die bereiften Kreuze am Wege warfen lange bläuliche Schatten auf den Schnee; er nahm vor ihnen die Mütze ab, bekreuzigte sich fromm und seufzte tief auf – manchmal schlug er mit seinen frosterstarrten Händen gegen die Arme, blieb stehen, zog den Gurt fester an und ging dann wieder weiter.

Ab und zu flog eine Schar Rebhühner auf mit einem leisen, aber dennoch scharf klingenden Warnruf, kreiste eine Weile und versank in den weissen, silbrigen Glast, der über der Schneeweite hing – dann wieder rannte ein Hase über die Felder, hielt jäh an, horchte auf, machte Männchen und floh entsetzt davon; eine unförmige graue Wolke glitt über den Himmelsraum dahin und warf einen blauen Schatten auf die weisse Schneefläche, dann wieder flog die trockene Stimme des Frostes über die Erde hin und zu flimmernden Myriaden von Zuckungen zersplitternd, funkelte sie in glitzernden Sternkristallen auf und trübte die göttliche Ruhe der Mitternacht, oder ein dumpfes Murren, das einem Ächzen ähnlich klang, kam von der fernen Waldwand herübergegeistert, und wieder gewannen die grosse Stille, die Totenstarrheit und eine süsse Schlaftrunkenheit neue Gewalt über die frostgebundene Erde.

Tomek achtete auf nichts mehr, denn er war damit beschäftigt, sich in Gedanken zurechtzulegen, wie er zum Pfarrer kommen, ihm zu Füssen fallen und sagen würde: Hochwürden! ... Und dann würde er losheulen und diesem lieben geistlichen Vater alle seine Sorgen und all sein Elend beichten. Eine so grosse Rührung überkam ihn bei dem blossen Gedanken daran, dass Tränen in seinen Augen aufblitzten, über seine Wangen zu kollern begannen und in seinem Schnurrbart wie kleine Eisperlchen hängen blieben. Daraufwandten sich seine Gedanken wieder dem eigenen Heim und seinen Kindern zu.

»Die Maryscha geb' ich in Dienst, die Josefa auch – die Mädel werden es besser haben und mir wird es auch leichter sein,« aber es gab ihm plötzlich einen Stich mitten ins Herz bei dem Gedanken an die Trennung von den Kindern. »Sie schlafen, die armen Würmer, sie schlafen,« dachte er und tastete vorsichtig nach seinen Semmeln und dem Säcklein Grütze, die er unter dem Rock geborgen hatte. »Der Herr Jesus hilft uns schon bis zum Lenz auszuhalten, dann gibt es leichter Arbeit und die Mädchen können auch noch was dazuverdienen,« sann er weiter ... »Was der liebe Jesusherr einem mit Höllenfrost zusetzt,« murmelte er und begann sich das Gesicht mit Schnee abzureiben. »Er lässt sich was aus, der Herr Jesus, er lässt sich ...« und er blieb wieder stehen und horchte in die Nacht hinein. Von den Scheunen des Herrenhofes, deren graue Wände sich in der Ferne undeutlich abzeichneten, kam starkes Hundegegeifer. Er verlangsamte abermals seine Schritte und spähte immer angespannter und besorgter umher, denn diese Hundestimmen, ihr Gekläff und Gewinsel wurden immer deutlicher vernehmbar und schienen ihm immer drohender zu klingen. Zuletzt gewahrte er einen Haufen Hunde, die ganz wütend etwas untereinander zerrissen.

In dem Vorwerk verreckten um jene Zeit die Schafe haufenweise an der Drehkrankheit, die Knechte schleppten sie, nachdem sie den Kadavern die Haut abgezogen hatten, aufs Feld und vergruben sie im Schnee. Von allen Seiten kamen die Hunde jetzt zu diesem Festschmaus herangeschlichen und taten sich bei Tag und bei Nacht an dem Überflusse gütlich, sie bissen sich dabei wütend um die Beute.

Tomek umging die Stätte im weiten Bogen und wandte sich querfeldein dem Dorfe zu, das an den Abhängen einer Anhöhe zerstreut lag, deren Scheitel von einer Holzkirche und einer Schar mächtiger Linden gekrönt wurde, welche sich wie ein Haufen ehrwürdiger Greise rings um sie herumgesetzt hatten und mit ihren gewaltig ausladenden Leibern das Kirchlein vor Winden und allem Ungemach beschützten, leise miteinander in stillen Mondnächten plaudernd.

Der Pfarrhof lag etwas tiefer, inmitten eines Gartens, der den Abhang eines an die Dorfanhöhe stossenden Hügels bedeckte. Tomek blieb vor der Hauslaube stehen, die so gross war wie manch ein ganzes Bauernhäuschen, nahm die Schafspelzmütze ab und trat von einem Fuss auf den anderen, denn der Mut hatte ihn ganz verlassen; er sah in die erleuchteten, mit grünen Rollvorhängen verhangenen Fenster, kratzte sich über den Schädel, spie aus und bekreuzigte sich des öfteren, um sich Mut zu machen, aber einzutreten wagte er nicht.

Die Kirche stand so nahe, sah so geheimnisvoll schwarz aus und ihre Fenster gleissten so seltsam im Mondlicht, die Linden hatten heute ein so drohendes Aussehen und die Kreuze der uralten Gräber auf dem Kirchhof waren so riesig gross und zeichneten sich so scharf vom Hintergrund der Schneelandschaft ab, dass Tomek eine abergläubische Furcht gepackt hatte. Er fing an zu beben, stand aber immer noch wie festgewachsen an derselben Stelle.

Manchmal schob sich eine düstere Wolke zwischen Mond und Erde und warf einen durchsichtigen Fächerschatten auf den Schnee, dann wieder knackte etwas seltsam geheimnisvoll in den Büschen des Gartens; ab und zu barsten die Dachschindeln mit lautem Knall oder die Latten im Zaun, in die sich der Frost einbiss; Krähen flatterten auf und liessen ihr schrilles Krächzen von der Landstrasse her vernehmen, wo sie sich schweren Fluges auf hier und da aufgeworfene Dreckhaufen niederzulassen versuchten. Von irgendwo, aus einem Stall, wieherte ein Pferd auf, Schafblöken liess sich vernehmen und von den Schweineställen des Pfarrhofs drang das Aufquieken der am Trog sich drängenden Schweine herüber, bis die Stille sich wieder über alles ausbreitete und alles begrub.

Tomek stand noch immer da und starrte geistesabwesend auf die weissen Dünste, die sich von den Mooren erhoben, und auf die vereinzelt blitzenden Lichter des Dorfes. Es kamen ihm seine Kinder in den Sinn ... »Die armen Lieben ...« murmelte er, überwand seine Schüchternheit und trat, ohne länger zu zögern, in die Pfarrkanzlei ein.

Der Pfarrer erhob sich bei dem Geräusch der geöffneten Tür und versuchte schnell seine Brille aufzusetzen. Tomek warf seine Pelzmütze von sich und schlug, so lang er war, zu Füssen des Priesters hin.

»Vater! Geliebter Vater! Hochwürden!« murmelte er durch Tränen und umfasste seine Knie.

»Was ist das? Wer ist das? Was bist du für einer? Was willst du?« warf der Pfarrer erschrocken hin, durch die Leidenschaftlichkeit Tomeks beängstigt.

»Um Erbarmen zu flehen bin ich zu Hochwürden gekommen.«

Der Priester hatte endlich seine Brille aufgesetzt, sah sich den Knienden an und sagte schon mit ruhigerer Stimme:

»Ah! Tomek Baran! Steh auf, mein Kind, steh auf!«

Er setzte sich, wischte mit dem buntbewürfelten Taschentuch seine Brille ab und warf es sodann wie unabsichtlich über einige Häuflein Kupfermünzen, die in regelmässigen Abständen auf dem Tisch lagen.

Tomek erhob sich und trocknete mit dem Ärmel seine tränennassen Augen.

»Was hast du mir zu sagen? hast du eine Angelegenheit, ist dir vielleicht jemand Nahes gestorben?«

»Schlimmer noch, geliebter Vater, denn alle sterben wir so bei kleinem Hungers,« entgegnete er und begann ziemlich ruhig von seiner Entlassung, von dem Mangel an Verdienst und der Not, die ihn und seine Kinder frass, zu erzählen; er hatte Tränen in den Augen und eine stille, grenzenlose Verzweiflung sprach aus seiner Stimme, während er voll Vertrauen mit dem Priester redete, so dass dieser ihm wenigstens zum Teil wohl Glauben schenken musste, denn über sein wie in Güte erstarrtes, blasses Gesicht, das einer Maske aus gebleichtem Wachs glich, huschte ein Schatten von Traurigkeit und Mitleid.

Tomek verstummte, der Priester schnupfte aus seiner silbernen Tabakdose und schwieg eine lange Weile. Er hatte ein sehr mitleidiges Herz, war aber schon so viele Male durch lügnerische Tränenergüsse und geheuchelte Offenherzigkeit getäuscht worden, dass er jetzt fürchtete, seinem Gefühl nachzugeben, darum legte er sein Gesicht in strenge Falten, warf seine Lippen drohend auf und suchte, so gut es ging, die Rührung, die von ihm Besitz ergriffen hatte, zu verbergen.

»Das sechste Gebot lautet: du sollst nicht stehlen!« sagte er mit einer harten Stimme. »Muss man euch das in einem fort von der Kanzel predigen, ihr Lumpen, he! Der liebe Gott straft euch, weil ihr nicht auf seine heiligen Gebote achtet!«

»Ich habe nicht gestohlen, geistlicher Vater, wie auf der heiligen Beichte sag' ich es: ich habe nichts genommen, nur aus Bosheit, dass ich keine Festgaben und keine Geschenke hab' geben können, haben sie sich zusammen verabredet und mich dann davongejagt.«

»Denk' an das achte Gebot: du sollst nicht falsches Zeugnis gegen deinen Nächsten ablegen! Betest du keine Gebete, Baran? Weisst du das nicht, he?«

»Ich habe die Wahrheit gesagt, geistlicher Vater, die reinste Wahrheit, der Aufseher hat immerzu auf mich eingeschimpft, ob er einen Grund dazu hatte oder ob er keinen hatte, weil ich ihm nichts habe schenken können; für diese neun Papierrubel, die sie mir den Monat zahlten, könnt' ich doch uns selber kaum durchbringen.«

»Die Zehnten und die Pflichten richtig abgeben, heisst es! Soll ich dich in einem fort daran erinnern, was der Herr Jesus und die heilige katholische Kirche lehrt, he!«

»Liebster Vater! Ein Christ bin ich, zur Beichte gehe ich, Messen lasse ich lesen, aber ich bin gekommen, mir Erbarmen zu erflehen, denn die Kinder sterben mir Hungers und mir selbst wird es schon im Kopf ganz verkehrt davon; schlafen kann ich nicht vor lauter Sorge und weiss mir keinen Rat mehr. Ich hab' mich bei den Juden und bei den Leuten ganz verschuldet, habe die letzten Lumpen verkauft, habe das Schwein verkauft, das ich noch als Letztes hatte, und jetzt bin ich ganz blank geworden, nur die Knochenfrau hat noch bei mir was zu holen! Mein Gott! Mein Gott!«, stöhnte er schwer auf, »länger halt' ich es nicht mehr aus; wenn mir der gute Vater nicht zu helfen wissen, dann wird es wohl schon nur noch ans Sterben gehen müssen.«

Tomek fiel dem Priester wieder zu Füssen und heulte unaufhaltsam, er bebte am ganzen Leibe und schluchzte so kläglich, dass der Pfarrer sich etwas wegwenden musste, um sich heimlich einige Tränen wegzuwischen, und sehr leise, mit bebenden Lippen zu reden begann:

»Mein Kind ... Unser Herr Jesus Christus hat für uns unwürdige Menschen gelitten, für uns, seine undankbaren Kinder, hat er sich kreuzigen und von dem niedrigen Pöbel verhöhnen lassen und hat kein Wort gesagt, obgleich sie ihm mit scharfen Nägeln die Hände und die Füsse durchbohrt haben, obgleich ihm das Blut über die Augen herunterfloss und ihn seine Wunden schmerzten; er klagte nicht, sondern sagte nur: Herr! Dein Wille geschehe! Mein Bruder ... Tomek Baran ...« er unterbrach seine Rede, denn Tränen der Rührung verschleierten ihm die Augen, er wischte sie eilig ab und murmelte nur noch: »Arm bist du, Baran, arm bist du ... arme Waise ... Armer ...«

Ein schweres Schweigen breitete sich aus, erfüllt von krampfhaften Zuckungen, unterdrückten Schluchzern und den Klagen Tomeks.

»Übermorgen werde ich für dich eine Messe lesen und Gott um eine gute Wendung bitten, vielleicht fügt er alles noch zu deinem Besten! Denn Gott ist grenzenlos in seiner Güte, vertraue nur auf ihn, bete und glaube,« redete der Pfarrer mit eindringlichem Ernst.

»Im Haus ist nicht ein Krümchen Brot mehr, die Kinder jammern in einem fort,« murmelte Tomek.

»Dagegen kann ich nichts tun. Komme zur Messe, beichte deine Sünden, dann wird es dir leichter fallen, das Kreuz weiter zu tragen, das dem Herrn gefiel, dir aufzuerlegen.«

Tomek blickte auf den Priester mit verblüfften Augen, ganz ratlos war er, was er darauf erwidern sollte, er bemerkte jetzt die Häuflein Kupfermünzen auf dem Tisch und fühlte einen Augenblick einen dunklen Drang, nach diesem Geld zu greifen und damit zu entfliehen, aber dieses ging sehr schnell vorüber, er rieb sich nur die Augen mit der Faust, seufzte tief und sagte:

»Vielleicht könnten der geistliche Vater für mich ein Wort bei den Herren Beamten oder auch auf dem Gutshof einlegen, es ist mir einerlei, was sie auch zahlen würden, wenn ich nur Arbeit hätte, aber sie haben sich alle gegen mich verabredet und werden mir nirgends Arbeit geben. Ich möchte doch so gern arbeiten, ... so gern ...«

»Du bist trotzig gewesen. Wer Wind sät, erntet Sturm, ein demütiges Kalb wird von zweien Müttern gesäugt. Vergiss das nicht. Ich werde wegen dir reden, weil du arm bist; was mich anbetrifft, würde ich dir gleich helfen, aber du weisst ja, dass es bei mir immer knapp ist ... Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst! ... Ich habe nichts ... Du weisst, den Rappen hat mir dieser Nichtsnutz Antek, möge er nicht in seiner Sterbestunde Gott schauen, so rehe gemacht, dass mir das arme Tier eingegangen ist. Ich habe mir etwas abgespart, um ein Pferdchen zu kaufen, aber der Laurenz ist dazwischen gekommen, du weisst, er ist abgebrannt, und dem Klemb ist die Kuh verreckt – und, Gott sei mir gnädig, nun hab' ich wieder keinen Heller mehr ... Was sollt' ich dir nur geben können, mein Kind ... hast du Hunger?«

»Versteht sich, aber das macht nichts, nur dass die Kinder schon den zweiten Tag nichts zu essen gehabt haben.«

»Mein Gott ...« murmelte er und wandte sich nach dem Wandschrank, holte einen kaum angebrochenen Brotlaib heraus und wollte ihn schon ganz Tomek hergeben, als er jedoch seine gierig auf das Geld gerichteten Augen bemerkte, hielt er noch zur rechten Zeit inne, schnitt nur ein beträchtliches Stück ab und reichte es Tomek.

Tomek dankte ihm herzlich und schickte sich zum Gehen an.

»Warte noch, ich will dir auch etwas Geld geben, viel kann ich nicht, denn es ist nicht meines.« Er nahm eine Handvoll Kupfermünzen vom Tisch. »Das ist nämlich, siehst du, das Geld für den Heiligen Vater!«

»Für den Heiligen Vater!« murmelte der Bauer mit frommer Ehrfurcht, und bekreuzte sich rasch.

»So ist es! Gute, barmherzige Christenmenschen opfern das Geld, damit der Heilige Vater was zu leben