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Plötzlich ist die Angst da - Wenn Angst und Unsicherheit die Luft nehmen und das Reiten unmöglich machen, braucht man Hilfe. Viele betroffene Reiter haben diese Hilfe bei Mia Theobaldy gefunden. Die temperamentvolle und einfühlsame Trainerin befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema Angst und hat aus ihren Erfahrungen im Jahr 2008 den Kurs "Kick die Angst aus dem Sattel" entwickelt. Das Kurskonzept ist wie die Menschen, die es betrifft: flexibel und individuell. Sie nutzt im Unterricht bewusst Übungen aus verschiedenen Bereichen der Reiterei und weigert sich, sich auf eine Ausbildungsart festlegen zu lassen. Aus dieser Art ist etwas ganz eigenes entstanden: "Position & Care" In ihrem Buch fängt sie mit der Basis an und gibt viele wertvolle Ratschläge, die man sofort umsetzen kann. Sie zeigt einen Weg aus der Angst auf und hilft sich selbst zu organisieren, um planvoll mit dem Pferd all das zu erreichen, was man erreichen will. "Mia hat uns Hoffnung gebracht, als wir aufgeben wollten" -Nina P. - Stolze Pferdebesitzerin
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Es gibt Menschen, die einen inspirieren und die Kraft geben. Menschen, die man braucht, um die Dinge zu tun, die einem wichtig sind. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich an dieser Stelle beim wichtigsten Menschen in meinen Leben bedanken – meiner Tochter Mona. Du hast immer an mich geglaubt und mir den Rücken gestärkt. Ohne dich hätte ich nie die Kraft gehabt meinen Traum wahr zu machen und all die Dinge die mir am Herzen liegen aufzuschreiben.
Ein großes Dankeschön auch an meine Schüler und Studenten, die den Wunsch nach diesem Buch an mich herangetragen haben. Manchmal braucht eben auch ein Trainer einen Schubs in die richtige Richtung. Ich hoffe, dass ihr jetzt die „Gedankenstütze“ habt, die ihr braucht und wünsche euch viel Spaß und noch mehr Erfolg.
Vorwort
Position & Care
Grundlagen der Herde
Partner Pferd
Wer bewegt wen
Richtig führen
Das eigene Tempo finden
Die Ego-Falle
Arbeit mit dem Bauchgefühl
Gegen die Angst
Fake it till you become it
Unser Personal-Trainer
Das Thema Angst
Anspannung & Entspannung
Bestandsaufnahme
Die helfende Hand
Die Angst vor dem Vergleich
Allgemeine Hinweise
Die eigene Grenze
Kapitel 2 // Positioning – Working Basics
Was ist Positioning?
Der Umbruch in der Pferdearbeit
Die Philosophie hinter dem Positioning
Konsequenz
Selbstbewusstsein schafft Selbstverständnis
Die Kraft der Routine
Praxisbeispiel
Keep it simple
Die Pfeiler von Position & Care
Säule 1: Konsequenz
Säule 2: Zeit und Geduld
Säule 3: Beständigkeit
Die Ausrüstung
Der Führstrick und die Handhabung
Kleine Hilfen für den Alltag
Kapitel 3 // Positioning – Es geht los
Step One: Anführen mit Bauchgefühl
Step Two: Anhalten mit Kraft
Die Welle
Step Three: Tempowechsel
Step Four: Handwechsel
Tipps & Tricks
Step Five: „Falsch“ führen
Positioning im täglichen Umgang
Positioning beim Longieren
Anzeichen der Überforderung
Kapitel 4 // Care – Positioning im Sattel Öffne dein Ohr für die innere Stimme
Freizeitreiter – Gelebtes Horsemanship
Positioning im Sattel
Kurzer Ausflug in die Angstproblematik
Ziele definieren
Übung – Ziel finden
Nachwort
Jeder Anfang hat seinen ganz speziellen Zauber
Quellen
Kurs: Kick die Angst aus dem Sattel /Olympiade der Helden – Februar 2014
Mein Name ist Mia Theobaldy. Seit 1998 unterrichte ich die unterschiedlichsten Menschen mit ihren Pferden. Mein Fokus liegt hierbei nicht auf dem klassischen Reitunterricht, sondern am Umgang mit dem Pferd und dem Verständnis füreinander. Ich sehe mich hierbei eher als Unterstützung in Krisensituationen und als helfende Hand. Ich bringe den Reitern neue Ideen für die Arbeit mit dem Pferd und helfe, Unsicherheiten und Ängste abzubauen.
Seit vielen Jahren habe ich den Schwerpunkt meiner Kurse vermehrt auf traumatisierte und ängstliche Reiter gelegt und sehe es als meine Aufgabe an, aus einem verängstigen Menschen und einem unsicheren Pferd wieder eine Einheit zu machen. Eine Einheit, die sich vertraut und die sich miteinander wohlfühlt.
Mein Unterricht ist komplett reitweisenunabhängig und da es mir nicht relevant ist ob jemand „Western“, „Englisch“ oder welche Reitweise auch immer reitet, habe ich meine Art und den Umgang mit dem Pferd schlicht Reiten in Harmonie genannt.
Ich bin ausgebildete Entspannungspädagogin, lizenzierte Trainerin für Dualaktivierung, Reittrainerin, Dozentin für Humankommunikation und Ausbilderin für Persönlichkeitstrainer - Schwerpunkt: Pferdegestütztes Coaching. Alle Ausbildungen und die langjährige Erfahrung gibt mir die Fähigkeit für jeden Schüler den richtigen Weg aus diversen Möglichkeiten zu schöpfen. In den vergangenen Jahren durfte ich viele Menschen auf diesem Weg begleiten und bin dabei zu der Überzeugung gelangt, dass es stets einen Weg gibt, der beiden Seiten die Sicherheit zurückgeben kann. Das Wichtigste an meiner Methode ist jedoch, dass dieser Weg für jeden umsetzbar ist.
Der Grundstein meiner Arbeit ist die klassische Positionierung. Ich habe diese in meiner Trainerausbildung bei Michael Geitner kennengelernt und sie in den vergangenen Jahren ständig weiter aus- und in meine Arbeit eingebaut. Mit der Positionierung schaffe ich es - vor allem unsicheren Reitern – ein Mittel an die Hand zu geben, dass ihnen ihr Selbstvertrauen zurück gibt und aufzeigt, wie einfach der Umgang mit dem Pferd ist.
Position & Care ist keine Trainingsmethode, die man ohne Aufwand abspielen kann und mit der dann alles von allein funktioniert. Position & Care ist vielmehr die Arbeit mit sich und an sich selbst. Es geht nicht nur um einen besseren Umgang mit dem Pferd, sondern um den eigenen Platz im Leben, die eigene Körpersprache, das Bewusstmachen der eigenen Verhaltensweisen und dem daraus erwachsenden Verständnis.
Bei meinen Kursen merke ich häufig, wie schwer es den Teilnehmern fällt, sich auf das Positioning einzulassen. In erster Linie liegt das fast ausnahmslos daran, dass sie befürchten sich lächerlich zu machen. Bereits nach kurzer Zeit zieht diese Technik jedoch die meisten Menschen ebenso in ihren Bann wie mich selbst. Man kann aus den einfachen Übungen so viel über die Beziehung zwischen Mensch und Pferd schließen und sich in der Folge einiges erarbeiten. Das wichtigste jedoch ist, dass man Positioning immer und überall einsetzen und sehr schnell Erfolge erzielen kann.
Zugegeben verlangt Positioning Mut. Es fordert konsequent zu bleiben und Konsequenz ist die Fähigkeit, welche den meisten von uns bereits im Alltag schwerfällt. Diese nun in den Freizeitbereich einzubringen und auf den Umgang mit dem „Liebling“ – ergo dem eigenen Pferd - zu übertragen, stellt für viele eine enorme Herausforderung dar.
Ich weiß, es ist schwer, den inneren Schweinehund zu bekämpfen, trotz alledem kann ich Ihnen ein Versprechen geben: Wer sich gegenüber dem Pferd positionieren kann, der wird sich genauso im Leben positionieren…
Viel Spaß beim Üben, und haltet durch!
Jeder Trainer kann nur so gut sein wie seine Schüler. Wenn du das Vertrauen der
Schüler gewinnst und sie wissen, dass sie sich auf dich verlassen können,
dann und erst dann ist erfolgreiches Arbeiten möglich.
Mia Theobaldy
Der Grundgedanke, der meine Kurse und Unterrichtseinheiten prägt, ist der Respekt vor dem Team: Mensch und Pferd. Ich hole die Teilnehmer dort ab, wo sie momentan stehen und gebe ihnen die Sicherheit, die die meisten bereits viel zu lange vermisst haben.
Viele Menschen schämen sich, im Umgang mit dem Pferd Angst zu haben oder sind unsicher, wie ihr Umfeld reagieren wird. Aus diesem Grund suchen sie sich keine Hilfe. Sie wollen nicht vor anderen zugeben müssen, dass sie nicht perfekt sind. In Ställen in denen anscheinend jeder fehlerfrei ist, wäre das natürlich auch ein Unding.
In meinen Kursen erlebe ich ebenfalls oft, wie verwundert die Teilnehmer sind, wenn sich, zum „Kick die Angst aus dem Sattel“ Kurs, jemand angemeldet hat, von dem alle anderen annahmen, dass er/sie nie Angst hat. Diese Person, die man meist als selbstsicher wahrgenommen hat, zeigt auf einmal, dass sie genau die gleichen Problem hat, sie nur noch besser versteckt hat als man selbst. Sie können sich sicher sein, dass es für diesen Menschen wesentlich schwieriger war sich anzumelden, als für jemanden von dem jeder wusste, dass er Probleme hat und dafür zolle ich großen Respekt.
Um zu begreifen wie Position & Care funktioniert, müssen wir uns zuerst die Basics über das Verhalten der Pferde und die allgemeinen Zusammenhänge in unser Bewusstsein rufen.
In jeder Herde gibt es eine feste Rangfolge die nur wenigen Änderungen unterworfen ist. Lediglich bei einer Änderung der Konstellation oder einem Führungswechsel muss die Rangfolge erneut geklärt und gefestigt werden. Solange in einer Herde die Rangfolge nicht abschließend geklärt ist, haben alle Pferde Stress, weil keines weiß wie es sich verhalten muss. Wem muss es Pferd weichen? Führen oder führen lassen? Wo ist der richtige Platz, um sich auszuruhen?
Alle genannten Punkte waren früher für das Überleben der Pferde notwendig und sind fest in den Urinstinkten verankert. Bei der Gründung einer neuen Herde werden diese Grundlagen daher umgehend geklärt. Die Klärung geschieht fast ausnahmslos ohne großes Aufsehen.
Es reicht ein bisschen Imponiergehabe, eine Drohgebärde und der Rangniedrige weicht. Wenn das nicht funktioniert, wird die Angelegenheit ausgetragen. Nicht irgendwann, nicht hinterrücks, sondern sofort und bis zur letzten Konsequenz. Da Pferde nicht nachtragend sind, ist das Thema direkt im Anschluss erledigt und jeder geht seiner ursprünglichen Beschäftigung nach. Der Gewinner der Auseinandersetzung ist der „Chef“ und genießt die dazugehörigen Privilegien. Dazu gehört das Recht als Erster an beliebiger Stelle zu fressen, seinen und den Standort der anderen bestimmen zu können. Auch die Richtung und das Tempo der Herde werden vorgegeben und selbstverständlich wird auch die Einhaltung der Regeln in der Gruppe überwacht. Diese Verhaltensweise bedeutet, auch heute, Sicherheit für die Herde und wird – solange alles funktioniert – von den restlichen Herdenmitgliedern nicht in Frage gestellt.
Was bedeutet dieses Verhalten für uns Menschen? Im Prinzip eine ganz logische Konsequenz aus dem oben beschriebenen Verhalten. Pferde sind gute Beobachter und lesen unsere Körperspannung. Für ein Pferd ist es „überlebenswichtig“ zu wissen, dass derjenige der sie führt, wirklich führen und folglich beschützen kann. Es ist für die Arbeit mit dem Pferd unerlässlich zu wissen, dass aus diesem Grund, die Position des Ranghöheren (also auch des Menschen) immer wieder hinterfragt wird. Je nach Charakter des Pferdes geschieht das häufiger oder auch eher selten. Manchmal geschieht dieses „Nachfragen“ eher subtil, manchmal sehr direkt und fordernd. Die meisten von Ihnen können darüber vermutlich ein Lied singen. Nehmen Sie das „Anfragen“ nicht persönlich! Es spricht für Ihr Pferd und es geht ihm definitiv nicht darum Sie bloßzustellen oder Sie zu verärgern, sondern einzig und allein darum, die Sicherheit zu erfahren, die es braucht um vertrauen zu können.
Das Leben in der Herde folgt einem immer gleichbleibenden Rhythmus. Überschreitet ein Herdenmitglied seine Grenzen, wird dieses schnell und ohne großes Aufheben gemaßregelt. Pferde diskutieren (im Gegensatz zu uns) die Dinge nicht stundenlang aus und sie verschwenden keine wertvolle Zeit mit der Erstellung einer Pro & Contra Liste – sie handeln instinktiv und ehrlich. Wir Menschen bemerken Reaktionen, wie z.B. das Wegspringen eines Pferdes, und suchen den vermeintlichen Auslöser. Wenn wir nichts finden können, dass in unseren Augen Sinn macht, wundern wir uns über das seltsame Verhalten. Genau betrachtet war es eine Sache von Sekunden und dann hat sich alles wieder beruhigt. Aber wer oder was hat diese Unruhe veranlasst? Was ist passiert? - In der Regel nichts Weltbewegendes. Es reicht, wenn ein rangniedriges Pferd einem ranghohen Pferd zu nahe kommt und so in dessen privaten Bereich eindringt. Im Gegensatz zu uns Menschen, sind Pferde immer konsequent und korrigieren Fehlverhalten sofort. Es ist nicht notwendig, dieses Verhalten mit einem Kampf zu entscheiden, meistens sind es minimale Bewegungen, z.B. die Veränderung der Körperspannung, ein Bewegen der Ohren, ein unwilliges Schweifschlagen und schon weiß das unachtsame oder freche Herdenmitglied Bescheid und verhält sich dementsprechend und passt sein Verhalten, seiner Stellung in der Herde an.
Es ist mir durchaus bewusst, dass einige unter Ihnen mit Ihrem Pferd leiden und sich nichts mehr wünschen, als dass ihr Pferd einen höheren Rang in der Gruppe bekommen würde. Bevor Sie aber voller Mitleid, mit der Gerte bewaffnet auf der Koppel stehen und versuchen, Ihren Liebling zu beschützen und seinen Rang zu steigern, bitte ich Sie die Angelegenheit aus Pferdesicht zu sehen. Ihr Pferd ist definitiv nicht traurig oder gar deprimiert über die Situation. Es hat auch keine Minderwertigkeitsgefühle. Es fühlt sich sicher und aufgehoben, denn den eigenen Rang zu kennen bedeutet Sicherheit und viele Pferde würden nicht führen wollen oder es können. Führen ist anstrengend! Führen bedeutet Verantwortung und Führen bedeutet, Entscheidungen treffen zu müssen. Führen ist ein Fulltime-Job und nicht jedes Pferd eignet sich dafür, diese Verantwortung zu tragen.
Wenn in einer bestehenden Gruppe irgendwann der Moment gekommen ist, an dem - aus unterschiedlichsten Gründen - ein Führungswechsel notwendig ist, kommt es gelegentlich zu bösen Kämpfen. Sehr oft vollzieht sich dieser Wechsel hingegen eher schleichend, so geschehen in unserem Herdenverband. Hier hat mein Schimmel Soleo innerhalb von ca. 6 Monaten langsam und fast unbemerkt immer mehr von der Verantwortung des 33jährigen Chefs Aaron übernommen. Beim Umzug in den neuen Stall zum Beispiel, hat sich zum ersten Mal, seit ich die beiden Jungs besitze, nicht Aaron alles angeschaut und anschließend als „sicher“ freigegeben, sondern Soleo. Er hat diesen verantwortungsvollen Job übernommen und Aaron ist ihm vertrauensvoll gefolgt. Zum ersten Mal hatte Soleo den ersten Kontakt zu den anderen Pferden aufgenommen und Aaron erst einmal abgewartet. Ungeachtet dessen haben die neuen Pferde erkannt, dass es sich bei Aaron immer noch um einen Chef handelt. Vielleicht nicht „den“ Chef, aber um ein Pferd das man mit Respekt behandelt und das tun sie. Es ist spannend, solche Vorgänge zu beobachten und jeder von Ihnen sollte sich die Zeit nehmen das zu tun.
In einigen Gruppen hat man das Gefühl, als würden die Führpferde ausgewählt werden und dieser Eindruck täuscht nicht, denn dieses Verhalten gehört zum Leben im Herdenverband. Ohne es vermenschlichen zu wollen, ergibt es sich manchmal, dass sich die anderen Pferde einem bestimmten Pferd wie von selbst anschließen. Es handelt sich dabei um sehr charakterstarke und souveräne Tiere wie z.B. meinen Wallach Aaron. Er strahlt so viel Stärke, Ruhe, Sicherheit und Beständigkeit aus, dass sich die anderen Herdenmitglieder ihm anvertrauen. Pferde wie er, wissen sich durchzusetzen aber sie brauchen keine Gewalt um dies zu tun. Von solchen Pferden können wir Menschen lernen. Sie stehen hinter dem, was sie wollen und sind dadurch authentisch und für den Rest der Herde glaubhaft und verlässlich.
Aaron – Sommer2015
Allerdings gibt es nicht nur Chef und Untergebene in der Herde. Die Hierarchie und die Aufgabenverteilung sind breiter gefächert, als wir es manchmal vermuten würden.
Die Pferde lernen voneinander und dabei ist es nicht ausschlaggebend welchen Rang sie bekleiden, sondern welche Fähigkeit sie haben. Man kann in der Literatur Berichte von Herden finden, bei denen eines der Pferde zum Beispiel besonders begabt war Wasserstellen zu finden. Die anderen Pferde machten sich dieses Wissen zunutze und folgten ihm, wenn es darum ging geeignete Stellen zu finden. Wenn Sie über die Konstellation Ihrer Herde nachdenken, wird Ihnen bestimmt das ein oder andere Beispiel dazu einfallen.
Ich kann auch hier wieder auf ein reales Beispiel aus unserer Herde zurückgreifen. Ein Wallach mit Namen Cherokee, hatte das Talent, die Griffe vom Elektrozaun so zwischen die Lippen zu nehmen, ohne einen Stromschlag zu bekommen. Somit war er in der Lage die Zäune zu öffnen. Die anderen Pferde wussten das und sogar der Chef Aaron hat ihn vorgelassen um den Zaun zu öffnen und den Rest der Bande zu befreien. Bis wir ihn direkt dabei erwischt haben, zweifelten wir übrigens alle an unserem Geisteszustand und beschuldigten uns gegenseitig, die Zäune nicht geschlossen zu haben.
Pferde haben oft unglaubliche Begabungen auf den verschiedensten Gebieten und verschlossene Türen oder Zäune zu öffnen, war Cherokee`s Talent. Er ist ein schlauer Bursche und der König der Ausbrecher. So hatte er innerhalb kürzester Zeit herausgefunden, wie man den Riegel an der neuen Box öffnet, in der er über Nacht stehen sollte. Nicht einmal 2 Wochen später konnte sein bester Freund Aaron (der neben ihm stand) das auch - Zufall?
Eine anderes Beispiel über die Fähigkeit unserer Pferde bestimmte Fertigkeiten weiterzugeben bzw. diese zu erlernen: Meine Teilnehmer in der Ausbildung zum Persönlichkeitstrainer müssen natürlich das Positioning erlernen. Mein Schimmel Soleo entdeckte an einem Tag, dass er sich dieser Übung hervorragend entziehen konnte, wenn er in den Strick biss und die Einwirkungsmöglichkeit via Impuls somit auf 0,0% setzt. Es dauerte keine 15 Minuten und Aaron machte identisch das gleiche. Wieder ein Zufall?
Ich glaube nicht, dass alle Pferde mit besonderen Talenten nur bei mir gelandet sind, sondern bin davon überzeugt, dass auch Ihnen unzählige Beispiele einfallen werden. Anhand dieser Beispiele und vieler Beispiele, die mir Teilnehmer erzählten, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass jedes Pferd als Lehrmeister für andere fungieren kann und darf – unabhängig vom sozialen Rang. Bei Auftreten einer Krisensituation wird die Führung jedoch sofort und ohne jegliche Einschränkung wieder vom Chef übernommen.
In der Konsequenz bedeutet das Verhalten der Pferde, dass wir ein guter und konsequenter Chef sein müssen, um auch in einer Notsituation als solcher anerkannt zu werden. Wir dürfen unserem Partner Pferd auf jedem Fall eigene Entscheidungen zugestehen und vertrauensvoll mit ihm zusammenarbeiten, ohne Gefahr zu laufen die Führungsrolle in allen Bereichen zu verlieren, das ist nicht der Punkt. Es muss unser Ziel sein, ein Pferd an unserer Seite zu haben, dass mitdenkt und vor allem mit uns zusammenarbeitet.
Im letzten Winter war ich bei Tauwetter unterwegs und wollte angaloppieren, mein Pferd – das es eigentlich liebt in jeder Situation Gas zu geben - nicht. Bevor ich anfangen konnte meinen Willen durchzusetzen, bemerkte ich, dass unter der getauten und matschigen Oberfläche eine spiegelglatt gefrorene Eisbahn war. Ein Lob auf mein Pferd, das in dieser Situation seinen Job getan und auf den Weg geachtet hat. Hätte er verweigert, weil er gerade keine Lust hat, läge die Sache anders und genau diese Unterschiede zwischen Ungehorsam und Mitdenken gilt es zu erarbeiten und zu erkennen.
Es ist mir durchaus bewusst, dass spätestens jetzt die meisten meiner ehemaligen Reitlehrer ihre Beruhigungstropfen brauchen, sich die Haare raufen und sich fragen was sie bei mir verkehrt gemacht haben. Wie kann ich mich nur öffentlich zu solchen Aussagen hinreißen lassen?
Ich kann es, weil es meine feste Überzeugung ist und ich deswegen dazu stehen kann. Viele wirklich gute Horsemen haben mich in den vergangenen Jahren, in dieser Meinung bestätigt. Was kann uns Besseres passieren, als ein Pferd zu haben, das bereitwillig seinen Teil der Verantwortung trägt? Lehren wir nicht alle, dass unsere Schüler nicht immer nach unten schauen sollen, weil es der Job des Pferdes ist auf seine Füße und den Weg zu achten? Wenn es dann genau das macht, sind wir dann nicht erfolgreich?
Ein enger Freund und ausgezeichneter Trainer, Georg Braun von der Stormy Horse Ranch in der Oberpfalz, hat mir in einem Gespräch vor langer Zeit gesagt:
