Preston Brothers, Band 1 - Loving Lucas - Jay McLean - E-Book

Preston Brothers, Band 1 - Loving Lucas E-Book

Jay McLean

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Beschreibung

Diesen Brüdern kann niemand widerstehen. LUCAS PRESTON muss sich um seine fünf jüngeren Brüder kümmern. Täglich um 19 Uhr bringt er den Jüngsten ins Bett. Täglich um Mitternacht klopft er bei Laney – die für ihn längst mehr ist als seine beste Freundin. LANEY SANDERS war ein einsames Einzelkind – bis sie in das Leben der Preston Family eintauchte und Lucas kennenlernte. Seit Jahren fragt sie sich, ob er dasselbe fühlt wie sie. Doch sie weiß, dass er seit dem Tod seiner Mutter für seine Geschwister da sein muss. Sexy, berührend, herzzerreißend: die New Adult Romances von Jay McLean! Preston-Brothers-Trilogie Loving Lucas Losing Logan Leaving Leo First & Forever-Dilogie Be My First Be My Forever

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Seitenzahl: 591

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover for EPUB

Triggerwarnung

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält Themen, die potenziell emotional belasten oder triggern können. Auf dieser Seite befindet sich ein Hinweis zu den Themen.

ACHTUNG: Dieser enthält Spoiler für die gesamte Handlung.

Als Ravensburger E-Book erschienen 2025 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg

© 2025 Ravensburger Verlag GmbH Deutsche Erstausgabe Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2016 unter dem Titel»Lucas – A Preston Brothers Novel« Copyright © by Jay McLean Covergestaltung: unter Verwendung von Motiven von © imaizo (Shutterstock)Zitat aus: »Romeo und Julia« von William Shakespeare, übersetzt von August Wilhelm von Schlegel, Reclam Verlag, Stuttgart, 2016. Übersetzung: Sarah Heidelberger Lektorat: Nina Schnackenbeck Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-473-51219-5

ravensburger.com/service

Für meine Jungs

Prolog

LUCAS

Das Blut auf meiner Kleidung ist noch feucht, anders als das Blut an meinen Händen.

Irgendwann auf dem Weg zwischen Krankenhaus und der Zelle hier auf der Polizeiwache ist es zu einem dünnen roten Panzer getrocknet, der an meinen Handflächen und Fingern haftet. Auch auf meinem Gesicht kann ich Blut spüren, aber dort hat es sich mit meinen Tränen vermengt. Ich frage mich, wie ich auf die anderen Insassen wirken mag – ein Jugendlicher, noch nicht ganz Mann, der in einem blutbefleckten Smoking und mit nur einem Schuh an den Füßen in der Ecke kauert. Kurz stelle ich mir vor, was für Geschichten sie sich wohl über mich ausdenken.

Vielleicht, dass ich betrunken einen Verkehrsunfall verursacht habe.

Vielleicht, dass ich mich betrunken geprügelt habe.

Vielleicht, dass ich versucht habe, jemanden umzubringen.

Ich versuche, nicht allzu lange darüber nachzudenken, weil das Ausmaß der Konsequenzen meines Handelns über meinen Verstand hinausgeht. Also starre ich einfach auf den Boden zwischen meinen Füßen, auf meinen einzelnen Schuh, der mir vorkommt wie ein Symbol für meinen Niedergang, und denke an die eine Sache, die noch Sinn ergibt.

Ich denke an sie.

Und ich frage mich, ob ich das Bild in meinem Kopf und das Gefühl ihres schlaffen Körpers in meinen Armen jemals werde abschütteln können.

Acht Sekunden.

Die Zeit, die ich brauchte, um zu begreifen, wie sehr ich sie liebe.

Acht Sekunden, die mein Leben veränderten.

Acht Sekunden, die reichten, um sie zu verlieren.

LANEY

DAMALS

»Nett von deinem Chef, dass er uns eingeladen hat«, murmelte ich meinem Dad zu, der neben mir auf dem Fahrersitz saß, die Hände am Lenkrad, und uns durch die Stadt fuhr, die von jetzt an mein Zuhause sein würde.

Nach der Scheidung hatte er noch mal ganz von vorn anfangen wollen, und das bedeutete in erster Linie, so weit von Mom wegzuziehen wie möglich. Falls er enttäuscht war, weil der Job, den er am Ende bekommen hatte, nur vier Autostunden weit von ihr entfernt lag, ließ er es sich nicht anmerken. Dafür versicherte er mir, es sei ein guter Job und für einen Vorarbeiter außerdem anständig bezahlt. Und auch, wenn die Stadt viel kleiner war als die, in der ich meine Kindheit verbracht hatte, fand er, hier ließe es sich gut aushalten, bis ich alt genug war, um meiner eigenen Wege zu gehen – College und so weiter. Das waren seine Worte, nicht meine. Schließlich war ich erst elf. Alt genug, um mir eine eigene Meinung zu bilden, aber noch zu jung, um mir groß Gedanken über die Zukunft zu machen. »Und wie ist dein Chef so? Tom heißt er, oder?«

Dad nickte, dann warf er einen Blick in den Seitenspiegel und wechselte die Spur. »Scheint ziemlich in Ordnung zu sein. Ein Riesenkerl, und seine Frau ist winzig. Sie heißt Kathy.«

Mein Dad ist einer von diesen Männern, die nicht zu altern scheinen. Nur dass er auch nie jung gewirkt hatte. Sein Bart war immer schon von grauen Stoppeln durchsetzt gewesen, und er hatte immer schon dunkle Ringe unter den Augen gehabt, die ihn stets müde wirken ließen. Am meisten aber stach an ihm hervor, dass er ständig besorgt wirkte – als stünde uns der Weltuntergang bevor und er wäre der Einzige, der davon weiß. Als es mit Mom zunehmend schlecht lief, wurde seine Sorge erst zu Stress, dann zu Angst und wich irgendwann, ganz langsam, Akzeptanz. Ich glaube, die Akzeptanz war für ihn das Schlimmste von allem – zu wissen, dass jetzt nur noch er und ich gegen den Rest der Welt übrig waren. Dann bekam er dieses Jobangebot. Ich glaube nicht, dass ich ihn seit »dem letzten Tropfen« – das war, als Mom ihm einen Stuhl an den Kopf warf – noch mal hatte lächeln sehen.

Er stupste mir mit dem Ellenbogen in die Seite und lächelte mir zu. »Rate mal, wie viele Kinder sie haben.«

Ich zuckte mit den Achseln, schob meine Gedanken weg. »Wie viele?«

»Du sollst raten, Lo.« Seine Stimme vibrierte förmlich vor Erwartung.

»Keine Ahnung. Vier?«

»Mehr.«

»Fünf?«

Er schüttelte den Kopf.

Ich setzte mich auf und fragte mit großen Augen: »Sechs?«

Gott sei Dank nickte er endlich. Ein Kind mehr, und mir wären die Augen aus dem Kopf gefallen. »Jupp. Fünf Jungs und ein Mädchen. Das Mädchen ist am ältesten. Und ihre Namen fangen alle mit L an. Siehst du, Lois? Du passt perfekt dazu.«

Ich schaute runter auf meine Flip-Flops, die Jeans-Shorts und das T-Shirt, auf dem eine Katze mit dem Schriftzug Look at Me-ow darunter zu sehen war. »Vielleicht hätte ich mir besser ein hübsches Kleid anziehen sollen oder so. Um sie zu beeindrucken, weißt du?«

Es dauerte etwas, bis er antwortete, und als er es tat, sprach er so laut, dass ich seine Worte auch heute, sechs Jahre später, noch klar und deutlich zu hören glaube. »Du beeindruckst die Leute mit deinem Verstand. Mit deinem guten Herzen und deiner Bescheidenheit. Du bist ein bildhübsches Mädchen, Lois, aber dein Aussehen und deine Kleidung sollten nicht der Grund dafür sein, dass sich jemand zu dir hingezogen fühlt. Denk daran, wenn du älter wirst und sich langsam die ersten Jungs für dich interessieren. Wenn sich einer nur zu deinem Äußerem hingezogen fühlt, ist er nicht der Richtige für dich, Lo. Du hast etwas Besseres verdient. Und etwas Besseres wirst du auch bekommen.«

Der Vortrag allein war mir Beweis genug, dass es richtig gewesen war, mit ihm wegzuziehen, anstatt bei meiner Mutter zu bleiben.

»Außer, es handelt sich um Justin Timberlake«, witzelte ich, um meine wahre Reaktion auf seine Worte zu verbergen. »Der darf mich nur für mein Aussehen mögen, oder?«

Dad lachte leise in sich hinein. »Du hast so was von was Besseres verdient als Justin Timberlake.«

»Das bezweifle ich«, entgegnete ich ernst. Was JT betraf, verstand ich keinen Spaß.

Jetzt lachte er richtig, und es klang so aufrichtig, dass ich meine Mutter einen Moment lang fast schon dafür hasste, mit welcher Hartnäckigkeit sie versucht hatte, ihm dieses Lachen für immer zu nehmen. Ja, ich war jung. Aber blind war ich nicht. Und auch nicht taub. Und obwohl ich garantiert nicht alles wusste, was zwischen den beiden passiert war – das, was ich mitbekommen hatte, reichte.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Tom und Kathy und ihren Stall voll Kinder. »Dad …« Ich sah ihn von der Seite an. »Bist du sicher, dass du den Job annehmen willst? Nicht, dass diese Leute in irgend so einer schrägen Sekte sind. Am Ende fängst du als Bauleiter bei denen an, und ehe du es dich versiehst, hast du sechs Ehefrauen.«

Er verdrehte die Augen. »Ich sollte mehr darauf achten, was du dir im Fernsehen anschaust. Das war’s jedenfalls vorerst mit den Reality-TV-Sendungen.« Er ging vom Gas, bis wir fast zum Stehen kamen. »Ich glaube, wir sind da.« Er beugte sich übers Lenkrad, um einen genaueren Blick auf die Hausnummer am Briefkasten zu werfen. Er war das Einzige, was von der Straße aus zu sehen war. Und eine lange Kiesauffahrt in einem endlosen Meer aus Bäumen. »Jepp, wir sind da«, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir, und der Wagen kroch langsam durch das offene Tor. »Wow …«, flüsterte er.

Und ja: Wow traf es echt.

Als das Haus der Prestons zum Vorschein kam, war es fast so, als würde die Zeit auf einmal langsamer verstreichen. Das weiße Haus war wunderschön: dreistöckig mit dunklen Fensterläden und einer umlaufenden Veranda. Dazu ein Nebengebäude, in dem unten die Garage und oben eine weitere Wohnung untergebracht war. Der Garten war gepflegt, der Rasen perfekt getrimmt. Es war die Art Haus, die man normalerweise nur in Wohnzeitschriften zu sehen bekommt. Vermutlich hätte uns das in Anbetracht der Tatsache, dass Tom Preston das größte Bauunternehmen in diesem Teil von North Carolina gehörte, nicht weiter verwundern dürfen, aber trotzdem … Es war das prächtigste Haus, das ich je gesehen hatte. Zumindest in echt.

Um das Haus verlief ein niedriger weißer Lattenzaun, der vermutlich dafür sorgen sollte, dass die Kinder auf dem mindestens fünfzig Hektar großen Grundstück in Sichtweite blieben. Und bei den fünfzig Hektar war der See noch nicht mitgerechnet.

Je näher wir kamen, desto mehr Kinder schienen sich wie aus dem Nichts um uns herum zu versammeln. Eins. Zwei. Drei … Bei vier hörte ich auf zu zählen. Denn die Vier sorgte dafür, dass mir der Atem stockte und ich nervös an meinem T-Shirt herumfummelte und meine Gedanken um die Frage kreisten, warum ich verflixt noch mal kein hübsches Kleid angezogen hatte.

Als Dad seinen neuen Chef als Riesenkerl bezeichnet hatte, war das kein Witz gewesen. Tom war nicht nur groß, er war auch breit. Nicht übergewichtig, sondern einfach … gigantisch. Und extrem einschüchternd, auch wenn ich nicht glaube, dass das seine Absicht war. Er hatte diese tiefe, gewaltige Stimme, die ihn wie Donnergrollen zu umgeben schien.

Während Tom uns seiner Familie vorstellte – Dad als seinen neuen Vorarbeiter Brian und mich als dessen Tochter Lois –, standen wir noch im Garten. Eine Menge Namen wurden genannt, unterbrochen von freundlichem Nicken und höflichem Gemurmel. Aber die einzigen Namen, die ich wirklich mitbekam, waren der von seiner Frau Kathy, der von ihrer Tochter Lucy und der von Lucas – der Vier.

Er war der Letzte, der mir vorgestellt wurde.

»Luke ist genauso alt wie du, Lois«, sagte seine Mutter. Ihr weißes Kleid leuchtete im Sonnenschein, und ihre dunklen Haare glänzten. Kathy sah aus wie ein Engel, und bei dem Versuch, nicht an meine Mutter zu denken, schnürte sich mir die Kehle zu. Sie fügte hinzu: »Wenn der Sommer vorbei ist, kommst du auf dieselbe Schule wie er. Ihr seid in einer Stufe.«

»Ist das nicht super?«, fragte Dad und nickte mir zu.

»Ja, super«, wiederholte ich und schob mir dabei die Brille den Nasenrücken hoch.

Lucas machte mit seiner Brille mit dem dicken schwarzen Gestell das Gleiche. Sie passte zu seinem dunklen Haar und den strahlend blauen Augen. Und dann lächelte er, und die kleine Lücke zwischen seinen Schneidezähnen wurde sichtbar, und … Mann, war der süß!

Er war süß, und er sah mich an. Mich!

»Ich kann dir meine Freunde vorstellen, damit du Leute zum Abhängen hast«, sagte er und streifte seinen Baseballhandschuh ab. Ich verfolgte mit dem Blick, wie der Handschuh in das leuchtend grüne Gras zu unseren Füßen fiel, dann schaute ich wieder Lucas an. Er lächelte immer noch. War immer noch süß.

»Danke.« Ich schwöre, noch nie im Leben war ich mir einfallsloser vorgekommen.

»Ich habe Cookies mitgebracht«, sagte Dad und hob den Plastikbehälter hoch, den wir im Laden gekauft hatten. Als hätte er einen Zauberspruch gesprochen, gerieten die Preston-Kinder bei seinen Worten alle in Bewegung. Lucy sagte: »Ich geh lesen«, und rannte die Verandatreppe hoch, gefolgt von einem ihrer Brüder. Die eineiigen Zwillinge machten sich in die entgegengesetzte Richtung davon, um Ball zu spielen. Der vierte Bruder murmelte etwas in sich hinein und verschwand. Dann klingelte das Telefon. »Ich geh schon«, sagte Kathy, und weg war sie.

Tom deutete auf das Haus. »Dann werfe ich mal den Grill an. Er steht hinten im Garten.«

»Klingt klasse.« Dad drückte meine Schulter und folgte ihm.

Ich wollte den beiden hinterhergehen, aber eine Hand auf meinem Arm hielt mich davon ab, und ich drehte mich zu Lucas um, der jetzt noch breiter lächelte und dadurch noch süßer aussah.

»Soll ich dir mal was Cooles zeigen?«, fragte er.

Er brachte mich in sein Geheimversteck, das weit von dem weißen Lattenzaun entfernt lag, aber immer noch in Sichtweite des Hauses. Wieso er es mir zeigte, war mir ein Rätsel – wo es doch geheim sein sollte. Nicht, dass mich seine Beweggründe etwas angingen.

Bei dem Geheimversteck handelte sich um ein Fleckchen hinter einer Decke, die zwischen zwei Baumstämmen hing, verborgen unter einem Dach aus dicht belaubten Ästen. »Echt cool«, sagte ich.

»Das Coolste kommt noch.« Er bog die Zweige auseinander und deutete auf eine Blechdose in einer Ecke des Verstecks.

»Was ist das?«

»Mein Geheimvorrat«, flüsterte er und sah sich dabei um. Ich tat es ihm nach, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso. Erwähnte ich bereits, wie süß er war?

Er kniete sich auf den staubigen Boden. »Komm«, sagte er und winkte mich zu sich, während er mit der anderen Hand die Dose nahm.

Ich kniete mich neben ihn. Unsere Arme berührten sich, als er den Deckel öffnete. »Verdammt!«, fluchte er.

»Was ist los?«

»Logan«, sagte er einfach nur.

»Wer?«

Er seufzte. »Mein Bruder.«

Ich blinzelte.

»Also, die Älteste ist Lucy. Dann komme ich«, er zeigte auf seine Brust, »Lucas. Und danach Leo, Logan und die Zwillinge Lincoln und Liam.«

»Oh.« Ich nickte und versuchte, mir nicht nur die Namen, sondern auch ihre Reihenfolge zu merken. »Und was ist jetzt mit Logan?«

Kopfschüttelnd zog Lucas ein Snickers aus der Dose. »Er muss die anderen geklaut haben. Es ist nur noch eins da.« Er hielt es mir hin. »Da, nimm.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es ist deins.«

»Aber du bist mein Gast. Wir sind jetzt Freunde.«

Ich lächelte still in mich hinein, nahm das Snickers, packte es aus und brach es in der Mitte durch. Dann reichte ich ihm eine Hälfte. »Freunde teilen.«

Wir aßen schweigend.

»Mein Bruder ist echt so ein Trottel«, sagte Lucas nach einer Weile. »Da waren nur Snickers drin, und er hat eine Nussallergie.«

Ich kicherte los. »Aber wieso hat er sie dann geklaut?«

Lucas verdrehte die Augen. »Weil Logan Logan ist.«

Ich sollte noch herausfinden, dass die simple Nennung des Namens »Logan«, ausgesprochen in dem Tonfall, den Lucas gerade angeschlagen hatte, bei den Prestons einer wortreichen Erklärung gleichkam.

Kurze Zeit später rief seine Mutter nach uns, und Lucas sprang auf und wischte sich seine erd- und schokoladenverschmierten Finger an seinem Superman-T-Shirt sauber. Dann hielt er mir die Hand hin. »Gehen wir?«

Ich griff danach. Es war das erste Mal, dass es mich nervös machte, einen Jungen an der Hand zu nehmen.

Sobald er mich hochgezogen hatte, ließ er wieder los. »Wettrennen bis zum Zaun?«, fragte er.

Ich zuckte mit den Achseln. »Okay.«

»Bereit?« Er ging in Startposition, selbst damals schon.

Ich machte es ihm nach, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er Turnschuhe trug und ich Flip-Flops. »Bereit.«

»Los!«

Ich gewann.

Lucas war noch außer Atem, als er den Pappteller nahm, den seine Mom ihm hinhielt. »Lois hat dich knallhart abgehängt, was?«, zog Kathy ihn auf.

Ich kicherte, obwohl ich noch ganz außer Atem war.

Lucas brummte: »Das war das erste und letzte Mal.« Und das war es auch.

Seine Mom lachte und wuschelte ihm durchs Haar, ehe sie auch mir einen Teller reichte. Dann sah sie eine Weile zwischen Lucas und mir hin und her, ehe sie rief: »Tom! Brian! Das müsst ihr euch anschauen!«

Lucas und ich warteten immer noch heftig atmend Seite an Seite auf unsere Dads. Die drei Erwachsenen musterten uns, und Kathys Lächeln wurde mit jeder Sekunde breiter. Sie deutete auf Lucas’ T-Shirt. »Clark Kent«, sagte sie, dann blickte sie mich an. »Und Lois Lane.«

Kapitel 1

LUCAS

»Laney!« Klopf, Klopf. »Laney, mach die Tür auf!« Es ist ein Uhr nachts und stockdunkel. »Hey, Laney!« Ich klopfe noch lauter.

Unter der Tür scheint Licht durch, und ich warte mit den Händen in den Hosentaschen, dass sie mir öffnet. Dann endlich geht die Tür auf, und da steht Laney in ihrem Flanellschlafanzug und mit verwuscheltem Haar. Sie blinzelt mich an, als würde sie zu erkennen versuchen, wer ich bin. Als würde irgendwer außer mir infrage kommen.

»Lässt du mich jetzt rein oder nicht? Ich warte seit einer Ewigkeit.«

Langsam dreht sie sich um und murmelt dabei irgendwas in sich hinein. Ihre Füße schlurfen über den gefliesten Boden ihres Souterrainzimmers.

Ich ziehe meine Jacke aus und werfe sie quer durchs Zimmer aufs Sofa. Als ich wieder zu Laney schaue, sitzt sie auf der Bettkante und reibt sich die Augen. Sie stöhnt entnervt auf, dann kuschelt sie sich wieder unter ihre Decke und sagt: »Wie war die End-of-Summer-Party?«

Ich schlüpfe aus meinen Jeans, sodass ich in T-Shirt und Boxershorts dastehe. Laney sieht mir nicht dabei zu, auch wenn ich manchmal wünschte, sie würde. Ego und so.

»Wie immer«, antworte ich, während ich eine Decke und ein Kissen aus der Truhe am Fußende ihres Bettes hole und mich wie immer auf dem Sofa einrichte.

»War Grace da?«

»M-hm.«

»Und da konntet ihr anschließend nicht einfach zu ihr gehen? Oder noch besser, in diese fantastische Wohnung über der Garage, die du dein Eigen nennst?«

»Wieso bist du so maulig?« Ich warte darauf, dass sie sich rechtfertigt, doch als nichts kommt, fahre ich fort: »Außerdem weißt du, dass ich keine Mädchen mit nach Hause bringen darf.«

»Ich bin sicher, dass du eins reinschmuggeln könntest. Die Wohnung gehört immerhin nicht mal richtig zum Haus.« Sie bedeutet mir mit einer Geste, dass ich mich beeilen soll, also klopfe ich ein paarmal auf das Kissen und schlüpfe unter die Decke.

Als Laney das Licht ausgeschaltet hat, sage ich: »Ich bringe keine Mädchen mit, weil das Dads Regeln sind und ich sie respektiere.« Ich schaue zu ihr hinüber, aber ich kann sie nur schemenhaft erkennen. »Und vielleicht fehlt es mir ja auch einfach, mit dir abzuhängen.« Ich drehe mich auf die Seite und versuche, eine bequemere Position zu finden, aber es ist kalt hier unten, und das Sofa hat seine besten Tage hinter sich. »Laney?«

»Was?«, faucht sie. Sie ist wütend. Mann, sie ist so süß, wenn sie wütend ist …

»Mir ist kalt.«

»Du wirst es überleben, Prinzessin Arschloch.«

»Mann, bist du heute fies drauf.«

Sie gibt einen lauten Seufzer von sich und raschelt in ihrem Bett herum, und ehe sie mir überhaupt anbieten kann, zu ihr rüberzukommen, bin ich schon mit dem Kissen im Arm aufgesprungen.

»Ich bin das totale Gegenteil von fies, insbesondere, was dich betrifft«, brummt sie.

Ich traue mich nur zu lächeln, weil ich weiß, dass sie es nicht sehen kann. Nachdem ich mein Kissen auf ihr Bett geworfen habe, krieche ich zu ihr unter die Decke. Das ist ein Spiel, das wir immer wieder spielen. Ein Spiel, das ich immer gewinne. Ich drehe mich auf die Seite, sodass ich ihren Hinterkopf anschaue. »Laney?«

»Was?«

»Mir ist immer noch kalt. Darf ich mich an dich ranknuscheln?« Laney ist der einzige Mensch auf der Welt, in dessen Anwesenheit ich Lachlans Babyvokabular verwende. Das liegt zum einen daran, dass es total peinlich ist, und zum anderen, dass es außer ihr niemand versteht.

Sie schnaubt genervt, rutscht aber trotzdem näher an mich heran, und ich presse die Brust an ihren Rücken, schiebe den einen Arm unter ihr Kissen und lege den anderen um ihre Taille.

»Du bist eiskalt.« Ihr Tonfall ist schnippisch.

»Ja, weil dein Zimmer die totale Kühlkammer ist.«

»Ich kenne niemanden, der so eiskalt ist wie du.«

Ich muss lachen und ziehe sie dichter an mich, um mehr von ihrer Körperwärme abzubekommen. »Das kannst du gar nicht beurteilen. Oder mit wie vielen Typen hast du schon so dagelegen?«

Sie antwortet nicht. Sie schweigt so lange, dass ich darüber nachdenke, was ich da eigentlich gesagt habe. War meine Äußerung fies? Vermutlich schon. Auch wenn es die Wahrheit ist. »Tut mir leid«, sage ich, weil ich genug mit Mädchen zu schaffen habe, um zu wissen, dass diese drei kleinen Worte manchmal ausreichen, um jegliches Drama im Keim zu ersticken.

»Schon gut. Und jetzt halt die Klappe, ich muss schlafen.«

»Verstanden.« Ich drücke sie an mich.

»Hast du heute Abend was getrunken?«, fragt sie.

»Jupp, drei Bier. 435 Kalorien. Die müsste ich morgen eigentlich direkt verbrennen können. Zehn Meilen … Fünfzehn Minuten, plus mein übliches Lauftraining.«

Sie seufzt. »Bist du mit dem Auto hergekommen?«

»Wenn ich gefahren wäre, hätte ich meine Schlüssel, und wenn ich meine Schlüssel hätte, hätte ich nicht ewig lang da draußen steh…«

»Tut mir leid, dass ich gefragt habe«, unterbricht sie mich mürrisch.

»Mann, du bist ja echt gereizt heute. Was ist los mit dir?«

Sie dreht sich zu mir, ohne die Augen aufzumachen. »Ich bin einfach müde.«

Ich greife hinter mich und schalte das Licht wieder ein, wobei ich versehentlich ihre Brille vom Nachttisch fege. Nachdem ich sie aufgehoben habe, drehe ich mich wieder zu Laney um und versuche, ihr Verhalten zu lesen – so wie ich es mir von Cam abgeschaut habe, dem Freund meiner Schwester. »Wenn was nicht stimmt, würdest du’s mir doch sagen, oder?«

Sie öffnet langsam die Augen. Erst das eine, dann das andere. Ihre Mundwinkel heben sich, und ich weiß, dass ich das Richtige gesagt habe. Sie legt die Stirn an meine Brust und kitzelt meine Zehen mit ihren. Der Geruch ihres Shampoos steigt mir in die Nase: Kokosnuss, Limette,Laney.

Keine Ahnung, wie lange wir so daliegen, das Licht eingeschaltet, meine Hand auf ihrer Taille, ihr Kopf auf meiner Brust, bis plötzlich mein Magen knurrt und den ruhigen Rhythmus unserer Atemzüge durchbricht.

Laney lacht auf, und ihr warmer Atem streift meine Haut. »Hast du Hunger?«, fragt sie und legt den Kopf in den Nacken, um mich anzusehen.

Ich bin nicht sicher, wie viel sie ohne ihre Brille sieht, aber ich kann sie mit meinen Kontaktlinsen genau erkennen. Die Sommersprossen auf ihrer Nase. Die Narbe unter ihrer rechten Augenbraue. Wie voll ihre Lippen sind … Lippen, von denen ich schon gekostet habe. Versehentlich zwar nur, aber trotzdem.

Es war Weihnachten. Wir waren fünfzehn. Ich wollte sie auf die Wange küssen, sie mich auf meine. Unsere Lippen berührten sich. Sie schmeckte nach Erdbeeren, und bis heute kann ich keine Erdbeere essen oder auch nur ansehen, ohne dabei an Laneys volle Lippen denken zu müssen.

»Luke?«

»Hm?« Mann, was Laney betrifft, ticke ich echt nicht ganz normal.

»Soll ich dir was zu essen machen?«

Ich schlucke hörbar und schaue überall hin, nur nicht zu ihr. »Wenn das wirklich okay ist?«

Laney schlägt die Decke zurück, dann langt sie über mich drüber nach ihrer Brille. »Jetzt bin ich sowieso wach.«

»Du kannst dir deine Sandwiches in Zukunft selbst machen«, murmelt sie, während sie das Brot in Dreiecke schneidet, als wäre ich Lachlan. Ihre Augenbrauen sind zusammengezogen. Sie ist genervt. Mann, ist sie süß, wenn sie genervt ist! Eigentlich ist sie immer süß.

Ich lasse die Beine baumeln, während ich ihr auf der Arbeitsfläche sitzend zuschaue. »Bei meinem letzten Versuch hast du fast gekotzt, als du gesehen hast, was ich draufgemacht habe.«

Sie reicht mir den Teller und geht zum Kühlschrank. »Essiggurken und Erdnussbutter sind halt nicht …« Sie bricht ab. »Egal, das war einfach nur eklig.« Dann fragt sie in den offenen Kühlschrank: »Wasser oder Limo?«

»Wasser.«

Ich fange die Flasche, die sie mir halb an den Kopf wirft, und erstarre, als ich höre, wie die Haustür aufgeht. »Ist das dein Dad?«

Sie zuckt mit den Achseln. »Vermutlich.«

Ich schaue auf die Mikrowellenuhr und frage mit vollem Mund: »Es ist halb zwei. Wo war er?«

Laney lehnt sich neben mir mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche und verschränkt die Arme. »Auf einem Date.«

»Lois, bist du das?«, ruft Brian in der Diele.

Sie antwortet nicht.

»Dachte ich mir doch, dass ich Stimmen gehört habe.« Er späht in die Küche, und als er mich sieht, lächelt er. »Lucas«, begrüßt er mich.

Ehe ich reagieren kann, sagt Laney zu ihm: »Junger Mann, weißt du eigentlich, wie spät es ist?«

Brian muss lachen, und ich verschlucke mich fast an meinem Sandwich.

»Ich lag die ganze Nacht wach und bin schon halb krank vor Sorge«, fährt sie fort, und auf einmal bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob das Ganze wirklich ein Witz sein soll.

Brian verdreht die Augen. »Tut mir leid, Mom.«

»Du hättest wenigstens mal anrufen können.«

Ihr Dad kommt näher. »Ich hab doch schon gesagt, dass es mir leidtut«, jammert er dramatisch.

Laney kichert.

Alles klar, das war so was von ein Witz! Ich bin ganz schön kacke darin, sie zu lesen.

Brian schaut zwischen uns hin und her. »Lasst mich raten, was ihr heute Abend gemacht habt. Du«, er zeigt auf Laney, »hast zu Hause gesessen und ferngeschaut oder einen Schal gestrickt. Und du«, sein Finger wandert weiter zu mir, »hast dich auf einer Party abgeschossen und hast dann bei meiner Tochter angeklopft.«

Ich trinke einen Schluck Wasser und springe von der Anrichte. »Und du«, kontere ich und zeige ebenfalls mit dem Finger auf ihn, »hattest ein Date?«

»Allerdings«, sagt er und hebt das Kinn.

»Und?« Ich wiege den Kopf hin und her. »Wie heißt sie? Was macht sie so?«

»Sie heißt Misty.«

»Oh.« Ich muss lachen. »Ist sie Stripperin?«

Laney verpasst mir einen Klaps gegen den Hinterkopf. »Luke!«

Brian lacht auf. »Die Figur dazu hätte sie jedenfalls.«

»Dad!«

»Was denn?«, sagen Brian und ich im Chor. Dann fügt er mit gehobenen Brauen hinzu: »Sie ist Polizistin. Handschellen inklusive.«

»Dad!«, ruft Laney wieder.

»Nice!« Ich klatsche ihn ab. Brian und ich sind uns im Lauf der Jahre nähergekommen. Ich glaube, es war ihm ein echtes Bedürfnis, auch jenseits der Familientreffen mehr über den Jungen zu erfahren, der ständig bei ihnen zu Hause aufkreuzt, um sich mit seiner Tochter zu treffen. Ich finde das nicht verkehrt. Kein bisschen. Ich mag Brian und hoffe inständig, dass er mich auch mag. Wird er doch wohl, oder? Sonst würde er kaum erlauben, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit unten bei Laney klopfen und mit ihr in einem Bett schlafen kann. Wobei er das mit dem Bett vermutlich gar nicht weiß. Wir sorgen immer dafür, dass es so aussieht, als hätte ich das Sofa benutzt.

»Schatz, wieso begleitest du Luke eigentlich nie auf solche Partys?«, fragt Brian.

Laney zuckt mit den Achseln und schaut auf den Boden. »Sind nicht so meine Leute.«

»Schon klar, aber wenn Luke dabei ist …«

»Er fragt mich nie, ob ich mitwill«, unterbricht sie ihn.

»Du würdest hinwollen?«, frage ich laut. Viel zu laut.

Laney dreht den Kopf abrupt zu mir. Ihr Dad auch. Na toll. Der Sanders-Killerblick. Es gibt wenig, das mir eine solche Angst macht. Ich gerate ins Stottern. »Es ist nur … Ich meine … Das ist nicht so wirklich … Du bist nicht …«

»Ich will ja gar nicht hin«, rettet sie mich.

»Wieso nicht?«, fragt Brian. »Du wirst bald achtzehn, Lo, und du gehst so gut wie nie unter Leute.«

Laney zuckt mit den Achseln. »Dass du dir im vergangenen Jahr ein Sozialleben zugelegt hast, bedeutet noch lange nicht, dass ich das auch muss.«

Wieder verdreht Brian die Augen. »Du solltest irgendwo da draußen sein«, sagt er und macht eine ausladende Geste. »Fehler machen und dich verknallen. Verlieben nicht, das hat Zeit. Aber ein paar Dates hin und wieder wären doch schön.«

Ich verschlucke mich schon wieder.

»Ich hatte Dates«, sagt Laney ohne jeden Stolz oder Groll in der Stimme. Sie wirkt so sachlich, dass ich weiß, sie sagt die Wahrheit. Und bei dem bloßen Gedanken bleibt mir der Bissen irgendwo zwischen Kehle und Magen stecken, und ich muss mir gegen die Brust hämmern.

»Mit wem?«, fragt Brian mit strengem Blick.

»Das spielt keine Rolle.«

Er geht dicht vor ihr in Stellung. »Na los, sag’s mir.«

Schlucken. Wasser. Luft!

Laney presst die Lippen zusammen und weigert sich zu antworten.

Ich schaue zwischen den beiden hin und her und begreife, dass es noch etwas Angsteinflößenderes gibt als den Sanders-Killerblick. Das Sanders-Killerblick-Duell.

»Tut mir leid«, gibt Brian sich schließlich geschlagen. »Ich hab einfach nur Sorge, dass du deine Jugend verpasst.«

Laney zeigt auf mich. »Weil ich nicht so sein will wie der da?«

»Hey!« Ich schaue an mir runter. »Was ist so verkehrt an mir?«

Brian zeigt auf uns beide. »Und was, wenn ihr beiden …?«

»Dad, das ist widerlich. Das ist Luke.«

Autsch! »Hey, ich kann euch hören!«

Sie müssen beide lachen. Keine Ahnung, warum. Ich für meinen Teil fand das nicht witzig.

»Gute Nacht, ihr zwei«, sagt Brian und winkt uns im Davongehen.

»Warte!« Ich straffe die Schultern. »Was ist verkehrt an mir?«

Kapitel 2

LANEY

Dieser beknackte Wecker!

Immer wenn er hier übernachtet, schrillt morgens dieser beknackte Wecker.

4 Uhr 45.

Jeden Morgen.

Blöder, beknackter Wecker!

»Luke. Dein Wecker. Los, steh auf!«

Mit nur halbgeöffneten Augen nimmt er mir sein Handy aus der Hand, stellt den Wecker aus und schleudert das Telefon quer durchs Zimmer.

Ich starre ihm hinterher, als würde ich erwarten, dass ihm Beine wachsen und es zu uns zurückgekrabbelt kommt. Erwähnte ich bereits, dass es 4 Uhr 45 ist? »Aber …«

»Aber was?«

»Dein Lauftraining.«

»Nein«, brummt er und vergräbt den Kopf im Kissen.

»Nein?«

»Nein.«

»Aber du gehst jeden Morgen laufen.«

»Heute nicht«, sagt er, schlingt den Arm um meine Taille und zieht so lange an mir, bis ich mich wieder hinlege. »Lass uns ausschlafen.«

»Ausschlafen?«

Er kuschelt sich an mich, so nah, dass ich seinen warmen Atem an meinem Hals spüre, als er sagt: »Lass gut sein, Lane.«

»O…kay?«

»Gut.«

Zehn Minuten später liege ich hellwach auf dem Rücken, seine Hand auf meinem Bauch. Ich lausche seinem Atem, habe überall Gänsehaut und erlebe ein überwältigendes Gefühlschaos. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns körperlich so nahe sind. Aber irgendwas ist anders. Daneben. Da ist dieses seltsame, nagende Gefühl, dass wir das hier zum letzten Mal machen sollten. Ich will sogar, dass es das letzte Mal ist. Weil es mir zu viel ist, ihn hier zu haben. Und gleichzeitig nicht genug. Es wird nie genug sein.

Ohne jede Vorwarnung fängt er an, mit den Fingern auf meinem Bauch herumzutrommeln. »Kannst du nicht mehr einschlafen?«

Ich schüttle den Kopf, ohne Luke dabei anzusehen.

Er nimmt seine Hand weg und enthakt sein Bein aus meinem, und ich atme erleichtert auf, weil ich hoffe, dass er jetzt endlich geht. »Hab ich noch eine Jogginghose hier?«, fragt er.

»Unterste Schublade.«

Ich richte mich halb auf und beobachte, wie er zur Kommode geht, die eine Hand im Haar, die andere über seinem Ding. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass das Körperliche keine Rolle spielt. Anders als ich hat Luke sich mit den Jahren stark verändert. Ich bin immer noch Langweiler-Lane, aber er ist schon lange nicht mehr der süße Junge, in den ich mich mit elf verliebt habe. Sobald er in der Sechsten in die Leichtathletikmannschaft kam, legte er die Brille ab und trug von da an Kontaktlinsen. In der Siebten bekam er eine Zahnspange, um die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zu korrigieren. In der Achten hatte er einen Wachstumsschub, der ewig anhielt. Zu Beginn der Zehnten hatte er schon ungefähr die halbe Jahrgangsstufe gedatet. Jetzt, mit siebzehn, ist er mit knapp eins neunzig ausgewachsen und hat Muskeln an Stellen, von denen ich vorher gar nichts wusste.

Er ist mir zu viel.

Er ist mir nicht genug.

»Vergiss dein Handy nicht«, murmle ich und lege mich wieder hin.

»Ich gehe nicht.«

Als ich zu ihm rüberschaue, zieht er gerade seine Jogginghosen hoch. »Nein?«

»Außer natürlich, ich soll.« Er sieht mir in die Augen.

Nachdem er einige Sekunden lang auf meine Antwort gewartet hat, schüttelt er den Kopf. Sein Blick wandert zu Boden. »Ich putze mir jetzt die Zähne, und dann reden wir. Irgendwas stimmt nicht zwischen dir und mir, wir müssen das klären.« Er geht ins Bad, ich tapse ihm hinterher, dann stehen wir nebeneinander vor dem Spiegel, putzen uns die Zähne, spucken nacheinander den Schaum aus, reichen die Mundspülung hin und her, wie wir es schon tausend Mal getan haben. Am Ende verlasse ich das Bad, damit er in Ruhe aufs Klo kann, danach bin ich dran.

Als ich rauskomme, liegt er im Bett und wartet, den Blick auf die Badezimmertür gerichtet. »Und jetzt?«, fragt er.

Ich zucke mit den Achseln. »Keine Ahnung.«

Er klopft auf den Platz neben sich, und widerwillig lege ich mich neben ihn unter die Decke und warte, dass er mich berührt, irgendwo, ganz egal, es spielt keine Rolle. Er entscheidet sich für meine Stirn, streicht mir sanft den Pony zur Seite, damit er mir in die Augen sehen kann. »Was ist los, Lane?«

Ich zucke noch mal mit den Achseln, aber da lauern Tränen in meinen Augen und ein Kloß in meinem Hals, und ich weiß, dass Luke es bemerkt, weil er die Stirn runzelt und näher zu mir rutscht, bis sein Kopf mit auf meinem Kissen liegt. »Geht es um die Party gestern? Die ganze Klasse war eingeladen, ich hatte einfach nur angenommen, dass du sowieso nicht hingehen willst, und desweg…«

»Es geht nicht um die Party.«

»Worum dann?« Seine Stimme ist sanft, das verrät mir, dass er aufrichtig besorgt ist. Wir sehen einander in die Augen, aber sein Blick gibt nichts preis. Rein gar nichts.

Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen, mustert mich noch eine Spur aufmerksamer. »Machst du dir Gedanken, weil die Schule morgen wieder losgeht? Was das betrifft – entspann dich. Es ist nur das Senior Year. Unser letztes Jahr an der Highschool. Ein einziges Jahr unseres gesamten …«

»Wieso kommst du her, Luke?«, unterbreche ich ihn.

Er zuckt minimal zurück. »Meinst du insgesamt oder …«

»Warum verbringst du Nächte wie diese hier bei mir, anstatt nach Hause zu fahren oder bei einer deiner vielen Freundinnen zu übernachten?«

Luke rutscht weiter von mir weg und richtet den Blick zur Decke. »Lass das, Laney.«

Ich stütze mich auf einen Ellenbogen und mustere ihn. »Was soll ich lassen?«

»Mich als jemanden darzustellen, der ich nicht bin. Ja, ich hatte eine Menge Freundinnen. Aber ich hatte nie mit mehreren gleichzeitig was, und das weißt du ganz genau.«

Ich weiche seinem Blick aus, habe Gewissensbisse, weil er recht hat.

Ganz leise fügt er hinzu: »Ich komme her, weil ich gern in deiner Nähe bin. Weil ich mich bei uns daheim nur dann zu Hause fühle, wenn du da bist. Weil ich wissen möchte, was bei dir so passiert, und weil ich dir erzählen möchte, was bei mir so passiert. Weil du immer für mich da warst. Bei jeder Trennung. Bei dem ganzen Mist, der in meiner Familie passiert ist … bei allem eben. Vor allem aber komme ich her, weil ich es gern möchte.« Er atmet tief ein und stößt die Luft langsam wieder aus. »Fühlt es sich so an, wenn man von jemandem verlassen wird, den man wirklich mag? Dann war’s das nämlich für mich mit dem Thema Freundinnen.« Er reibt sich die Brust, direkt über dem Herzen. »Weil das ein komplett beschissenes Gefühl ist.«

Seine Worte haben eine Kraft, die durch meine Ohren direkt in mein Herz dringt. Aber ich darf nicht vergessen, dass er lügt. Ich bin ihm egal. Wäre es anders, hätte er nicht vergessen, was heute für ein Tag ist. »Luke …«

Er sieht mich an, gibt durch seinen Blick seinen Schmerz preis. Ich hab ihn bisher nur selten so gesehen. Einmal, als wir zwölf waren und er bei mir vor der Tür stand, klitschnass, weil es draußen in Strömen regnete, und dann noch mal, als wir dreizehn waren und er seinen Baseballschläger versehentlich zu weit nach hinten geschwungen hat, woraufhin ich mit drei Stichen unter der rechten Augenbraue genäht werden musste. »Hab ich was falsch gemacht?«, fragt er mit belegter Stimme.

Ich blinzle, schiebe mein Gefühlschaos beiseite, ersticke die Tränen. »Nein«, lüge ich.

»Aber was ist denn dann los?«

Ich lege mich wieder hin, bette den Kopf auf seinen ausgestreckten Arm, der schon für mich bereitliegt. Versuche, mir eine Lüge einfallen zu lassen, damit wir dieses Gespräch wieder vergessen können. Damit sein Verhalten – oder besser: sein Mangel an Verhalten – in den vergangenen vierundzwanzig Stunden weder ihn noch uns noch unsere gesamte Freundschaft definiert. Am Ende entscheide ich mich für die halbe Wahrheit, einfach, weil ich mehr gerade nicht packe. »Der Sommer ist bald zu Ende. Und da muss ich immer an deine Mom denken. Daran, wie toll sie war. Ich vermisse sie einfach. Ich …« Mir versagt die Stimme, der Kloß in meinem Hals ist so dick, dass ich kein Wort mehr rausbekomme. Erst jetzt merke ich, dass das vielleicht sogar mehr als die halbe Wahrheit war. Dass es vielleicht sogar alles war, was ich an Gefühlen zulassen musste. Was aus mir rausmusste. »Ich vermisse sie wahnsinnig.«

»Warum hast du nie was gesagt?«, flüstert er.

»Weil sie deine Mom ist, nicht meine. Ich hab nicht das Recht, sie zu vermissen.«

Er zieht mich fest an sich, und ich bette den Kopf auf seine Brust. Dann drückt er mir einen Kuss auf den Scheitel und schlingt die Arme um mich. »Sie war zwar meine Mom, aber sie hat dich über alles geliebt, Lois Lane. Und wenn du dich das nächste Mal so fühlst, sagst du mir einfach Bescheid, und wir vermissen sie gemeinsam.«

LUCAS

DAMALS

»Sieht so aus, als hättest du dich super mit Laney verstanden. Magst du sie?«, fragte Mom. Sie saß mir gegenüber auf der Couch und arbeitete ohne aufzublicken an ihrem Strickprojekt weiter. Es war erst ein paar Stunden her, dass Lois und ihr Dad aufgebrochen waren, und über das Haus hatte sich einer der für uns Prestons so seltenen Momente der Stille gelegt. Die Zwillinge waren schon im Bett, Logan war irgendwo unterwegs und damit beschäftigt, seinem Ruf gerecht zu werden, und Leo und Lucy waren mal wieder in eine ihrer Fantasiewelten vertieft.

Ich spielte den Desinteressierten und streckte die Beine in Dads Lieblingssessel aus. »Sie heißt nicht Laney, sondern Lois.«

Mom lächelte. »Also, ich glaube, ich bleibe bei Laney. Der Name gefällt mir, er passt besser zu ihr.«

Ich gab ein abfälliges Geräusch von mir. »Du kannst die Leute doch nicht einfach nennen, wie du willst, Ma!«

»Wieso nicht, Bobby Jo?«, erwiderte sie im Singsang.

»Wer ist denn jetzt wieder Bobby Jo?«

Sie lachte in sich hinein. »Du ab jetzt.«

Ich musste auch lachen. »Ich bleibe lieber Lucas.«

»Du schuldest mir noch eine Antwort auf meine Frage, Bobby Jo.«

Ich ließ ihr den neuen Spitznamen unkommentiert durchgehen. »Ich find sie cool.«

»Und süß ist sie auch«, fügte Mom hinzu.

Ich tat so, als würde ich mir mit dem Ärmel über den Mund wischen, weil ich hoffte, damit verstecken zu können, wie rot ich geworden war. »Cool«, wiederholte ich.

»M-hmmmm …« Sie verkniff sich ein Grinsen, aber ihre Stimme verriet ihre Gefühle, auch ohne, dass man sie ihr ansah. »Weißt du, ich habe nachgedacht …«

»Oh, oh, das kann nur übel enden.«

»Klugscheißer.« Sie grinste. »Brian hat erzählt, dass er Laney probehalber ein paar Tage am Stück zu Hause alleinlassen will, während er tagsüber arbeitet, um herauszufinden, ob sie schon ohne ihn zurechtkommt. Aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich sie gern einladen, den Sommer hier bei uns zu verbringen. Ich stell es mir schön vor, sie hier zu haben. Und zwei Hände mehr schaden schließlich nicht.«

»Du willst sie also zu Zwecken der Kinderarbeit herlocken?«

Wieder musste Mom lachen. »So war das eigentlich nicht gemeint. Keine Ahnung, ich finde einfach, es wäre schön, noch ein Mädchen hier zu haben, und ich glaube, ihr wäre damit auch geholfen. Aber ich will dir nicht reinfunken, indem ich deinen Schwarm zu uns nach Hause einlade.«

»Sie ist nicht mein Schwarm«, korrigierte ich sie viel zu laut.

Mom ging gar nicht darauf ein. Stattdessen sagte sie: »Sie hat dir bei dem Wettrennen ganz schön den Hintern versohlt.«

Ich hob das Kinn. »Mir doch egal.«

»Was jetzt? Dass sie den Sommer bei uns verbringt oder dass sie dir den Hintern versohlt hat?«

»Beides.«

Lügen.

Alles Lügen.

Am nächsten Morgen klingelte in aller Frühe mein Wecker. Draußen war es noch fast dunkel, und die Zwillinge schliefen noch. Langsam und so leise wie möglich schlich ich nach unten in die Küche, wo ich den anderen einen Zettel hinterließ.

Gehe laufen, bleibe auf dem Grundstück.

Trink mir nicht die ganze Milch weg, LOGAN!

Lucas

Dann stieg ich vor der Haustür in meine Laufschuhe, band sie extra-fest und lief los. Ich lief und lief und lief, bis meine Beine noch schlimmer brannten als meine Lunge. Als ich wieder nach Hause zurückkehrte, war mein T-Shirt schweißnass, und der Rest der Familie hatte sich bereits am Küchentisch versammelt.

»Hast du schon mit Lois’ Dad geredet?«, schnaufte ich, während ich mich auf meinen Platz gegenüber von Lucy setzte.

»Dir auch einen schönen guten Morgen.« Mom wuschelte mir durch die verschwitzten Haare und goss mir die paar Tropfen Milch ein, die noch im Karton waren.

Ich warf Logan einen tödlichen Blick zu, aber der reagierte nur mit seinem üblichen dämlichen Grinsen. Trottel.

Ich schob die Milch beiseite und nahm mir stattdessen ein Glas Wasser. »Und, kommt sie jetzt oder nicht?«, fragte ich Mom.

»Wieso willst du das unbedingt wissen?«, foppte sie mich.

»Weil ich noch mal gegen sie antreten will.«

»Klar. Tja, leider ist es noch ziemlich früh, und da Brian sowieso erst morgen wieder arbeitet, reicht es, wenn ich ihn später anrufe.«

»Nein, ruf ihn jetzt an.«

»Luke.«

»Bitte, bitte?«

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Lass uns noch eine Stunde warten, okay?«

»Na gut.«

»Luke und Laney, verliebt, verlobt, verheiratet!«, sang Logan vor sich hin.

»Halt die Klappe!«

»Das reicht«, unterbrach uns Dad.

»Darf ich bitte aufstehen?«, fragte Leo, der, Schüssel und Glas in den Händen, schon stand.

Dad nickte, und Leo stellte die Schüssel in die Spüle und verzog sich dann mit seinem Glas irgendwohin, wo er seine Ruhe hatte. Die Zwillinge waren erst vier und unterhielten sich in einer Sprache, bei der es sich zur Hälfte um Englisch und zur Hälfte um Fantasiewörter handelte. Logan stopfte sein Frühstück in sich rein, als würde er an einem Wettbewerb teilnehmen, wer am lautesten und ekligsten essen konnte. Trottel eben.

Und Lucy … Seufz. Lucy hatte sich komplett mit Milch vollgekleckert, weil sie so in ihr Buch vertieft war, dass sie sich unmöglich parallel auf ihr Müsli konzentrieren konnte. Sie legte den Löffel ein paar Zentimeter neben der Schüssel ab, um nach ihrem Saft zu tasten, und stieß dabei einen Stapel Servietten sowie den Salz- und Pfefferstreuer um. Ich verdrehte die Augen, griff nach ihrem Glas und drückte es ihr in die Hand.

Mom stellte einen Teller mit Toast, Eiern und Bacon vor mich und drückte mir dabei die Schulter, ein stilles Dankeschön dafür, dass ich den Orangensaft gerettet hatte. Auch wenn Lucy komplett in ihre eigene Welt abgetaucht war, hatte zumindest Mom registriert, was ich getan hatte, und wusste es zu schätzen.

Lucy mochte ein bisschen neben der Spur sein, aber sie war nun mal meine einzige Schwester. Unsere einzige Schwester. Und unter uns Preston-Brüdern herrschte das unausgesprochene Gebot, auf sie aufzupassen. Auch wenn das bedeutete, dass man ihr am Frühstückstisch ein Glas reichen oder hastig Spielzeug aus dem Weg räumen musste, damit sie nicht darüber stolperte, wenn sie mal wieder mit der Nase in einem Buch durchs Haus lief. Ein paar von unseren Freunden fanden, dass sie eine Prinzessin war, und vielleicht stimmte das auch. Aber weil das gleichzeitig bedeutete, dass unsere Mom eine Königin war, protestierte niemand von uns. Ich hatte von klein auf beobachten können, wie Dad seine beiden Mädchen behandelte – nämlich anders als uns Jungs. Und mir war klar, dass das etwas zu bedeuten hatte. Nur wusste ich nicht, was. Noch nicht.

Ich frühstückte langsam, so langsam, dass es fast an Quälerei grenzte, und behielt dabei ununterbrochen die Uhr im Blick. Die Sekunden tickten vorbei, verwandelten sich in Minuten. Als mein Körper endlich aufhörte nachzuschwitzen, war erst eine Viertelstunde vergangen. Ich seufzte laut und entnervt auf.

»Wenn du so verzweifelt bist, kannst du sie doch auch einfach selbst anrufen«, schlug Mom vor.

Logan flötete: »Wen denn? Deine Freundin?«

»Halt. Die. Klappe!«

»Lucas!«, warnte mich Dad. Dann fügte er hinzu: »Und du hältst jetzt aber wirklich mal die Klappe, Logan.«

Ich stand auf. »Ich geh noch mal laufen.«

»Noch mal?« Mom seufzte. »Luke, du hast das Frühstück doch noch gar nicht verdaut.«

»Das passt schon.«

»Warte noch fünf Minuten.«

Ich setzte mich wieder hin.

Mit jedem Ticken des Sekundenzeigers wurde das Warten für mich unerträglicher. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich so dringend laufen wollte. Warum es mir so wichtig war, gegen Lois zu gewinnen. Aber mein Elfjährigengehirn sagte mir, dass es unbedingt sein musste. Sobald die fünf Minuten verstrichen waren, sprang ich auf und rannte nach draußen.

Ich entfernte mich beim Laufen nie weit vom Haus. Unsere Eltern hatten Begrenzungen auf unserem Land errichtet, an die wir uns alle halten mussten, damit sie nicht so lange nach uns suchen mussten, falls mal etwas Wichtiges war. Also rannte ich von einer Begrenzung zur nächsten und nächsten und immer so weiter, bis meine Beine und meine Lunge brannten. Mann, war es mir wichtig, sie zu beeindrucken. Ähm, ich meine natürlich, sie zu besiegen.

Als ich wieder am Haus ankam, war Dads Auto weg, und Mom saß mit dem schnurlosen Telefon am Ohr auf der Veranda. »Klar, Brian, wirklich, kein Problem.«

Ich legte eine Vollbremsung ein und hob heftig atmend die Augenbrauen. »Und? Was sagt er?«, formte ich lautlos mit den Lippen.

Mom hob eine Hand.

Ich stampfte mit dem Fuß auf. »Was sagt er?«, fragte ich diesmal laut.

»Okay, dann kommst du morgen früh mit Lois Lane vorbei.«

Ich presste die Lippen zusammen, um mein Lächeln zu verbergen.

Sobald Mom aufgelegt hatte, schaute sie zu mir rüber und grinste dabei von Ohr zu Ohr. Ihre Augen leuchteten in der Sonne, und ihr langes, dunkles Haar bewegte sich im Wind. Bis ich Laney kennengelernt hatte, war meine Mom für mich die schönste Frau der Welt gewesen. Na ja, abgesehen vielleicht von Mila Kunis. »Sie kommt morgen vorbei. Du hast also ein Date«, zog sie mich auf. Schon wieder. »Gottogott, Lucas Preston! Was sollst du denn nur anziehen? Vielleicht diesen hässlichen Pulli, den dir Tante Leslee zu Weihnachten geschenkt hat? Oder den gruseligen Karo-Anzug, den du von ihr zum Geburtstag bekommen hast? Vielleicht suche ich besser noch schnell das Babyfoto raus, auf dem du in deiner Kackawindel rumwühlst und dir …«

»Ma, hör auf«, rief ich, aber ich lachte dabei.

Denn von allen Eigenschaften, die ich an meiner Mom geliebt habe, vermisse ich ihren Humor vielleicht am meisten.

Kapitel 3

LUCAS

Auch nachdem Laney mir gesagt hat, was mit ihr los ist, wirkt sie distanziert und ein wenig verloren. Entsprechend muss ich davon ausgehen, dass sie mir nicht alles erzählt haben kann. Ich versuche, den Rest aus ihr herauszuquetschen, aber sie wechselt immer wieder das Thema, und nach einer Weile bleibt mir nichts anderes übrig, als mich geschlagen zu geben. Also verbringen wir den restlichen Morgen damit, über alles Mögliche zu reden, nur nicht über ihre Gefühle. Meistens fällt es mir ziemlich leicht, Mädchen zu kapieren, aber Laney ist echt ein Fall für sich. Ausgerechnet sie, die so ungefähr die Einzige ist, bei der es mir wichtig ist, dass ich sie verstehe. Weil sie mehr ist als meine üblichen Flirts. Mehr als der Versuch, ein bisschen Zeit totzuschlagen. Sie bedeutet mir was. Viel sogar. Um nicht zu sagen: mehr als irgendwer sonst.

»Was hast du heute noch vor?«, fragt sie, den Kopf in meine Armbeuge gebettet.

»Na ja, es ist Sonntag, also gibt’s bei uns Familienfrühstück, zu dem ich dich übrigens mitschleppen werde. Und dann …« Ich drehe mich auf die Seite, damit ich sie ansehen kann. »Ich dachte, ich fahre mal wieder runter nach Charlotte. Da soll es dieses mega Handarbeitsgeschäft geben, wo …«

Sie setzt sich auf, sie strahlt, und da weiß ich, dass ich das Richtige gesagt habe. »Nicht dein Ernst!«

»Die Fahrt ist lang, ich könnte ein bisschen Gesellschaft brauchen.«

Sie verdreht die Augen, muss aber lächeln. Gott, ich schwöre, irgendwas macht dieses Lächeln mit mir. »Charlotte ist nur eine Stunde weit weg.«

»Dann … dann kommst du also mit?«

»Wieso solltest du den letzten Tag der Sommerferien damit verschwenden, gelangweilt in einem Bastelladen rumzuhocken, während ich …«

»Weil du traurig bist und …«

»Lucas …«

Ich nehme ihre Hand und drücke einen Kuss hinein. Einen einfachen Kuss. Einen verhaltenen Kuss. Einen Kuss, der mich in den Wahnsinn treibt, ohne dass sie etwas davon ahnt. »Ich mag es nicht, wenn du traurig bist, Lane.«

Die meisten Leute hassen Sonntage. Denn danach fängt die Routine wieder an – Arbeit, Schule, was auch immer.

Bei mir ist das anders.

Bis vor ein paar Monaten hat Dad eine Vollzeitnanny beschäftigt, die in der Wohnung über der Garage wohnte, die jetzt mir gehört. Dad hat die Nanny ein paar Tage, nachdem Leo seinen Führerschein gemacht hat, entlassen. Die Zwillinge sind am Wochenende ständig beim Sport, und Lucy geht aufs College. Also können Leo, Dad und ich uns die Arbeit jetzt untereinander aufteilen.

Wie dem auch sei, Virginia, also die Nanny, hat im Hause Preston die Tradition des sonntäglichen Familienfrühstücks eingeführt, die dazu dienen soll, dass wir uns gegenseitig auf dem Laufenden halten. Inzwischen bereiten wir das Frühstück alle gemeinsam zu, sogar Logan hilft mit. Wenn Lucy von der UNC nach Hause kommt, versucht sie, alles allein zu machen. Sie ist eine katastrophale Köchin, aber wir ertragen die Resultate mit einem tapferen Lächeln, weil sie Lucy ist und wir ihre Brüder sind und sie liebhaben. Außerdem wären wir alle garantiert schon vor Jahren auseinandergegangen, wenn sie nicht gewesen wäre.

Ich mag meine Familie einfach.

Und ich mag den einen Tag in der Woche, an dem wir uns alle zur selben Zeit im selben Raum aufhalten, um gemeinsam dasselbe zu tun.

Um es kurz zu machen: Ich mag Sonntage.

»Laney!« Als Lachlan sie sieht, hüpft er wie ein Flummi mit ausgestreckten Armen auf sie zu.

Sie hat die Arme auch schon ausgebreitet. »Na, wie geht’s, Lachy?«, sagt sie und wirbelt ihn durch die Luft. »Mann, bist du groß geworden!«

»Ich bin ja auch schon sechs!«, verkündet er.

»Ehrlich?« Sie tut überrascht. »Nur noch ein Jahr, dann bekommst du einen Bart wie dein Daddy.«

Er kichert und rennt weg, um weiter den Tisch zu decken.

»Du bleibst doch zum Frühstück, oder?«, fragt Dad und drückt Laney einen Kuss auf die Wange.

»Nur wenn ich nicht störe.«

»Als ob du jemals stören würdest.« Dann ruft er über die Schulter: »Lachlan, deckst du bitte auch für Laney?«

Die Begrüßungen gehen weiter, ein Bruder nach dem nächsten, High-Fives und Umarmungen. Nur Logan ist nicht mit am Start, er wäscht stoisch weiter ab. Er ist fünfzehn und fühlt sich vermutlich verpflichtet, die ganze Welt zu hassen. Dad ist fest davon überzeugt, dass Logan als erster Preston im Jugendgefängnis oder in einer Entzugsklinik landen wird. Nicht, dass er ihm das je ins Gesicht sagen würde. Laney wirkt vollkommen unbeeindruckt von Logans Verhalten. Sie geht langsam zu ihm rüber, stößt ihn mit der Hüfte an und sagt etwas zu ihm, so leise, dass ich es nicht hören kann. Logan wirft ihr einen kurzen Blick zu, dann lässt er den Löffel, den er gerade abwaschen wollte, ins Spülbecken fallen, trocknet sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und zieht sie an sich. Es ist eine kurze Umarmung, aber sie ist echt, und für Logan ist das keine Kleinigkeit.

»Wie kann ich helfen?«, fragte ich in den Raum hinein.

Laney ist die Erste, die antwortet, und sie übertönt alle anderen. »Indem du dich einfach hinsetzt. Du hast ungefähr drei Stunden Schlaf abbekommen und einen langen Tag vor dir. Entspann dich.« Dann geht sie lächelnd zu Dad, der am Herd herumwerkelt, packt ihn an den Schultern und dirigiert ihn zu dem Platz am Kopfende des Tischs. »Und du auch, Tom. Du hast diese Woche hart gearbeitet.«

»Und was ist mit mir?«, fragt Logan mit gehobenen Augenbrauen.

Laney muss lachen. »Du wäschst weiter ab.«

Er stöhnt genervt auf, macht aber, was sie sagt.

Laney bewegt sich durch die Küche, als wäre sie hier zu Hause, öffnet und schließt die Schränke, bedient den Herd, schüttet Lachlans berüchtigte Coco-Pops-Froot-Loops-Mischung mit Milch in seine Schüssel, wendet Pancakes und brät Bacon an. »So, Essen ist fertig«, sagt sie am Ende, also hauen alle rein. Alle bis auf mich. Ich bin damit beschäftigt, Laney zu beobachten. Und ertappe mich dabei, dass ich lächle. Sie stellt einen Teller mit Dads typischem Sonntagsfrühstück vor ihn hin und sagt: »Mein Dad meinte, das Baldwin-Projekt wird früher fertig als geplant.«

»Danke«, sagt er, »und es stimmt, dein Dad hat zwei ganze Wochen rausgeholt.«

»Irgendwas mit einer Genehmigung vom Bauamt, richtig?«

»Genau«, bestätigt Dad, aber er schaut dabei mich an. Er wartet ab, bis Laney am anderen Tischende an ihrem Platz sitzt und Leo in ein Gespräch über das Buch verwickelt, das er gerade liest. Dann beugt er sich an Lachlan vorbei zu mir rüber. Um seine Augen haben sich Lachfältchen gebildet. »Als ob deine Mutter wieder hier wäre.«

LUCAS

DAMALS

Meine Mom hat immer erzählt, wie gern ich früher Zahlen mochte. Nachdem ich Zählen gelernt hatte, machte ich kaum mehr was anderes. Ich zählte alles. Wirklich alles. Die Erbsen auf meinem Teller. Die Schritte von der Haustür zum Zaun. Mit den Jahren wuchs ich, und die Schritte wurden weniger, aber das hielt mich nicht davon ab, sie weiterhin zu zählen. Dann lernte ich die Uhr zu lesen, und von da an zählte ich auch die Zeit. Wie viele Sekunden es dauerte, bis Moms Frühstückskaffee fertig war. Den Abstand zwischen den Wassertropfen aus dem Hahn am Spülbecken, nachdem man ihn zugedreht hatte. Kein Wunder also, dass ich auch bei meinen Wettrennen gegen Laney mitzählte. Beim ersten die Schritte, beim zweiten die Zeit.

Ich habe beide Male gewonnen, nur damit das klar ist.

Sie hatte wieder Flip-Flops an, was sicherlich einen Teil zu meinem Sieg beitrug. Aber ich sah keinen Grund, das an die große Glocke zu hängen.

Die ersten Tage, die ich mit Laney verbrachte, vergingen wie im Flug. Mom bezeichnete das als »Playdates«. Und uns bezeichnete sie als unzertrennlich. Ich stand jeden Morgen in aller Frühe auf und ging laufen, kam nach Hause, frühstückte und wartete. Laneys Dad brachte sie vorbei, bot meiner Mom jedes Mal Geld an, das sie jedes Mal ablehnte, und dann verbrachten Laney und ich den restlichen Tag mit Wettrennen, wobei die Strecke jedes Mal länger wurde. Am vierten Tag trug sie zum ersten Mal Turnschuhe. Sie gewann zwar nie wieder, aber sie war nah dran, nur fünf Schritt hinter mir.

Als wir am nächsten Tag noch immer ganz außer Atem und verschwitzt auf dem Steg am See saßen und die Füße ins Wasser baumeln ließen, fragte sie mich, warum wir eigentlich nie was anderes machten als zu laufen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also sagte ich gar nichts. Wenn ich nicht als Loser dastehen wollte, konnte ich schlecht zugeben, dass ich nur versuchte, sie zu beeindrucken. Außerdem verriet mir ihre Frage, dass mein Plan offenbar sowieso nicht aufgegangen war.

Sie schaute auf den See hinaus und plätscherte mit den Füßen im Wasser herum. »Wenn ich meinen Badeanzug mitbringe, können wir dann nächste Woche mal schwimmen gehen?«

»Nächste Woche?« Ich drehte mich ruckartig zu ihr. »Kommst du morgen gar nicht?«

»Morgen ist Samstag. Am Wochenende ist mein Dad zu Hause.«

»Oh.« Plötzlich war da ein verwirrendes Stechen in meiner Brust. »Dann sehe ich dich also das ganze Wochenende nicht?«

»Mein Dad und ich wollten zum Baumarkt, Farbe für mein neues Zimmer besorgen. Er meinte, wenn das Souterrain fertig ist, kann ich es komplett für mich haben. Mit eigenem Bad! Cool, oder?«

»Echt cool«, sagte ich. Ich war kurz davor, ihr meine Hilfe anzubieten, nur um sie sehen zu können. Aber ich wollte nicht peinlich rüberkommen. Also hielt ich den Mund.

»Mom?«

»Ja, Schatz?«

Ich saß neben ihr auf der Couch. »Ich glaube, Laney mag Laufen gar nicht.«

»Ich glaube, die wenigsten Kinder in deinem Alter wollen ihren Sommer damit verbringen, einem Jungen hinterherzurennen … Selbst dann nicht, wenn er so hübsch ist wie du.«

Ich antwortete nichts, verlor mich in meinen Gedanken, bis sie aufhörte zu stricken und sich zu mir drehte. »Vielleicht solltet ihr mal irgendwas machen, das ihr Spaß macht. Was gefällt ihr denn so?«

»Keine Ahnung.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ich hab sie nie gefragt.«

»Dann solltest du das nachholen. Ihr könntet eure Zeit aufteilen. Zwischen Laufen und Sachen, die sie mag.«

Ich schnappte mir irgendeine Zeitschrift vom Wohnzimmertisch und tat so, als würde ich darin blättern. »Dieses Wochenende streicht sie mit ihrem Dad ihr Zimmer. Meinst du, ich sollte mal anrufen und fragen, ob sie Hilfe brauchen?«

»Aber du hast gar keine Zeit. Garray kommt doch übers Wochenende zu Besuch. Ihr wolltet hinten im Garten zelten, schon vergessen?«

»Ach, stimmt ja.« Nach allem, was in der vergangenen Woche passiert war, hätte ich Garray wirklich fast vergessen. Er war schon seit der ersten Klasse mein bester Freund. Seine Eltern hatten sich nicht zwischen Gary und Gray entscheiden können, also hatten sie ihn Garray genannt. Als wären beide Namen allein nicht schon dumm genug gewesen. Was dazu geführt hatte, dass Logan Garray mit »Dumm-Dumm« anredete. Es dauerte nicht lange, bis alle hinter seinem Rücken »Dumm-Dumm« zu ihm sagten. Sogar Dad. Mom behauptete zwar, wir wären gemein, aber ich wusste genau, dass sie es eigentlich selbst witzig fand. »An Dumm-Dumm hab ich gar nicht mehr gedacht!«

Mom lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. »Außerdem glaube ich, den beiden wird ein gemeinsames Wochenende guttun. Sie haben eine Menge durchgemacht, und der Umzug war eine große Veränderung für sie. Sie brauchen ein bisschen Zeit für sich.«

Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Was meinst du damit, dass sie eine Menge durchgemacht haben? Geht es Laney nicht gut?«

»Oh, mit Laney ist alles in Ordnung, Lucas.«

Nach kurzem Schweigen fragte ich: »Weißt du, was passiert ist? Warum nur sie und ihr Dad hier sind? Ist ihrer Mom etwas zugestoßen? Ich meine, ist sie tot oder so?«

»Nein, Schatz.« Mom schüttelte den Kopf. »Manche Eltern bleiben einfach nicht für immer zusammen.«

»Aber du und Dad schon, oder?«

Mom nahm ihre Stricknadeln wieder auf. Sie klang wehmütig, als sie sagte: »Dein Dad und ich sind für die Ewigkeit bestimmt, Luke. Für immer und ewig. So wie die Sonne jeden Morgen auf- und jeden Abend untergeht. Das verspreche ich dir.«

»Gut. Ich bin froh, dass ihre Mom nicht tot ist. Keine Ahnung, was ich machen würde, wenn dir was passieren würde.« Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und stand auf. »Schließlich bist du die beste Mom, die ich je hatte.«

»Ich wette, das sagst du zu all deinen Moms.«

Es war ein Sonntagabend, das weiß ich noch genau. Garrays Eltern hatten ihn kurz nach dem Abendessen abgeholt, und Lucy und ich spülten die größeren Teile von Hand ab (sie spülte, ich trocknete ab), als das Festnetztelefon klingelte. Dad murmelte irgendwas von wegen Werbeanruf, während Logan sich an uns heranschlich, das bereits abgetrocknete Geschirr zurück ins Spülwasser schob und dabei rief: »Lucy-Schnußy! Lucas-Schlukas! Super-Logan!«

»Logan!«, brüllten Lucy und ich im Chor.

Dad hob ihn hoch, warf ihn sich über die Schulter und trug ihn aus der Küche.

Mom kam mit dem Telefon in der Hand herein. Sie deckte die Sprechmuschel zu. »Für dich«, sagte sie zu mir, dann senkte sie die Stimme. »Es ist Laney.«

Ich riss ihr das Telefon aus der Hand und rannte hoch in mein Zimmer, ohne auf Lucy zu achten, die mir hinterherrief, dass wir noch nicht mit Abwaschen fertig seien. Zwölf Treppenstufen und vierzehn (Elfjährigen-)Schritte bis in mein Zimmer später schloss ich die Tür hinter mir und rang nach Luft. Nicht, weil der Sprint so anstrengend gewesen war, sondern vor Aufregung. Langsam hob ich das Telefon an mein Ohr. »Hey«, sagte ich.

»Hey, hier ist Laney.«

Ich grinste. »Nennst du dich selbst jetzt auch schon Laney?«

Sie kicherte. »Macht ihr doch inzwischen alle. Woher sollte ich wissen, ob du überhaupt kapierst, dass ich es bin, wenn ich Lois sage?«

»Klar hätte ich das kapiert.« Hätte ich sogar, wenn sie sich gar nicht mit Namen gemeldet hätte. Weil ich ihre Stimme überall auf der Welt wiedererkannt hätte.