Preußen - Wolfgang Wippermann - E-Book

Preußen E-Book

Wolfgang Wippermann

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Beschreibung

Preußen - kein anderer deutscher Einzelstaat hat zu seiner Zeit wie nach seinem Ende mehr Aufmerksamkeit erfahren und größere historische Bedeutung entfaltet. Wolfgang Wippermann beantwortet in zwölf Kapiteln zwölf zentrale Fragen an die preußische Geschichte. So entsteht eine kleine Geschichte Preußens und seines Nachlebens. Wolfgang Wipperman überprüft kritisch die gängigen Lesarten und entlarvt so manchen Mythos als solchen. Leicht lesbar, gut geschrieben - ein wunderbare Erholung von allen dicken Geschichtswerken.

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Wolfgang Wippermann

Preußen

Kleine Geschichte eines großen Mythos

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung: P.S.Petry & Schwamb, FreiburgUmschlagmotiv: © Dirk Diesel – istockphotoDieses Werk wurde vermittelt durchAenne Glienke | Agentur für Autoren und Verlagewww. AenneGlienkeAgentur.de

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital - die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN (Buch): 978-3-451-30475-0ISBN (E-Book): 978-3-451-33850-2

Inhaltsübersicht

„Jedem das Seine“ Mythos und Realität

1. „Ich bin ein Preuße“ Prussen und Ordensritter

2. „Umbildung der Wenden“ Slawen und Brandenburger

3. „Werk der Hohenzollern“ Legende und Wirklichkeit

4. „Jeder nach seiner façon“ Politik und Recht

5. „Armee mit einem Staat“ Militär und Macht

6. „Mirakel des Hauses Brandenburg“ Siege und Niederlagen

7. „Bataille verloren“ Untergang und Reform

8. „An mein Volk“ Befreiung und Unterdrückung

9. „In Deutschland aufgehen“ Einheit und Freiheit

10. „Unglücklichster Tag“ König und Kaiser

11. „Preußenschlag“ Weimar und Preußen

12. „Potsdämlich“ Nationalsozialismus und Preußen

13. „Preußischer Traum“ Widerstand und Preußen

14. „Träger des Militarismus und der Reaktion“ Die Alliierten und Preußen

15. „Irrweg einer Nation“ Die DDR und Preußen

16. „Wieder chic“ Die Bundesrepublik und Preußen

17. „Preußen vergiftet uns“ Die Berliner Republik und Preußen

„Januskopf“ Preußen und Preußentum

„Eule der Minerva“ Bibliographischer Essay

Literaturverzeichnis

Bildnachweise

Anmerkungen

|7|„Jedem das Seine“

Mythos und Realität

„Jedem das Seine“, bzw. lateinisch „suum cuique“ war die Inschrift des höchsten preußischen Ordens, des Schwarzen Adlers, und war so etwas wie der Wahlspruch des alten Preußens. „Jedem das Seine“ steht aber auch auf dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald.

Was bedeutet das? Was haben Preußen und der Nationalsozialismus gemein? Gibt es eine Kontinuität, die von Friedrich dem Großen über Bismarck zu Hitler reicht?

Oder: War Preußen ein Musterstaat, in dem die Prinzipien der Rechtsgleichheit und Religionsfreiheit aller Bürger herrschten und „preußische Tugenden“ wie Fleiß, Gehorsamkeit, Sparsamkeit etc. hochgehalten wurden?

Was war Realität? Was war Mythos?1

Dies sind die Leitfragen, die in dieser kleinen Geschichte eines großen Mythos beantwortet werden sollen. Sie besteht aus zwei Teilen.

Im ersten Teil (bzw. in den ersten neun Kapiteln) wird die Geschichte Preußens von den Anfängen bis zu seinem Untergang skizziert. Dieser Untergang begann bereits 1871, als das alte Preußen im 1918 gestürzten deutschen Kaiserreich aufgegangen war, um 1933 mit dem Reich „gleichgeschaltet“ und 1947 von den Alliierten endgültig aufgelöst zu werden.

Wir beginnen mit Brandenburg und dem preußischen Ordensstaat und fragen, ob sie wirklich die Vorläufer Preußens waren. Es folgt die Geschichte der 1701 ins Leben gerufenen preußischen Monarchie. War sie das „Werk der Hohenzollern“? Wie absolutistisch und/oder militaristisch war das |8|klassische Preußen? Hat es seine Siege der Feldherrnkunst Friedrichs des Großen verdankt? Warum ist es 1806 so völlig zusammengebrochen, um dann nach den und wegen der Reformen Deutschland zu befreien und schließlich zu einigen? War das alles richtig und gut? Ist Preußen „in Deutschland aufgegangen“ und war dieses Ende Preußens positiv für Deutschland und für Preußen selbst?

Im zweiten Teil (bzw. in den Kapiteln 10 bis 17) folgt das, was in den sonstigen Geschichten Preußens entweder gar nicht behandelt oder als bloße Nachgeschichte abgetan wird: Die Zeit von der langen und, wie gesagt, schon 1871 beginnenden Untergangsphase bis heute. Sie wird von einer anderen Perspektive aus beschrieben. Nicht von Preußen, sondern von dem was man aus Preußen gemacht hat. Konkret: Welches Preußenbild hatten die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und der Widerstand, die Alliierten und die beiden Nachfolgestaaten Preußens– DDR und Bundesrepublik? Und schließlich: Wie preußisch sind oder sollen wir sein?

Um all diese Fragen beantworten zu können, werden immer und zunächst die Fakten dargestellt, um dann von den Fiktionen getrennt zu werden. Erst wird erzählt, dann gedeutet. Alles geschieht jedoch auf eine bewusst knappe Weise2 und in einer allgemein verständlichen Sprache. Wendet sich das Buch doch an alle historisch Interessierten, die wissen möchten, was Mythos und was Realität war.

|9|1. „Ich bin ein Preuße“

Prussen und Ordensritter

„Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben? Die Fahne schwebt mir weiß und schwarz voran; dass für die Freiheit meine Väter starben, das deuten, merkt es, meine Farben an“ – heißt es im „Preußenlied“. Über seine Schönheit kann man streiten. Doch das wollen wir nicht tun. Stattdessen fragen wir, wer denn dieser „Preuße“ war und warum seine „Farben“ „weiß und schwarz“ sind.3 Wir beginnen mit der ersten Frage und hören zunächst einmal, was Peter von Dusburg in seiner 1324 fertiggestellten „Chronicon terre Pruscie „ – Chronik des Preußenlandes – über die „Preußen“ zu berichten wusste: „Die Preußen schnitten Bruder Johannes den Nabel aus dem Leib, nagelten diesen an einen Baum an und trieben den Unglücklichen mit Keulenschlägen so lange um den Baum herum, bis alle Eingeweide herausgewunden waren und der Mensch tot danieder fiel“.4

Die „Preußen“ trieben aber noch andere schlimme Dinge. So sollen sie einem gefangenen Priester den Hals zwischen zwei Stangen gepresst haben, bis dieser qualvoll starb. Vor Beginn einer ihrer vielen Heerzüge sollen sie Gefangene an einen Baum gefesselt haben, um dann mit Pfeilen oder Spießen auf ihr Herz zu zielen. Wenn sogleich viel Blut aus der Wunde heraus quoll, soll dies als gutes Omen gegolten haben. Die „preußischen“ Männer sollen das Recht gehabt haben, ihre kranken Frauen, Kinder, Brüder und Schwestern ohne weiteres zu verbrennen. Das gleiche Schicksal soll auch Ehefrauen ereilt haben, die ihren ehelichen Pflichten nicht nachkamen. Und dies obwohl die „preußischen“ Männer gleichzeitig drei Ehefrauen haben durften.

|10|Genug dieser Schauergeschichten über „die Preußen“. Sie handeln ohnehin nicht von „den Preußen“ des Preußenliedes, sondern von den Angehörigen des Volkes, die in den lateinischen Chroniken als „pruteni“ und in den mittelhochdeutschen als „pruzin“ oder „pruzzen“ bezeichnet wurden. Die, wie die korrekte Aussprache lautet, „Prussen“ waren längst nicht so barbarisch und blutrünstig, wie sie von ihren Feinden dargestellt wurden. Das waren die Ritter des Deutschen Ordens, der offiziell „ordo fratrum domus Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum“ (= Orden der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem) hieß. Seine Mitglieder trugen auf ihren weißen Mänteln ein schwarzes Kreuz. Und von dieser weiß-schwarzen Mantelfarbe hat der Preuße des Preußenliedes seine „Farben weiß und schwarz“.

Das ist nun wirklich sehr verwirrend und bedarf der näheren Erklärung. Dabei müssen wir tief in die Geschichte zurück und zunächst weit weg von Preußen gehen. Genauer in das Jahr 1190 und vor die Stadt Akkon im Heiligen Land. Denn hier wurde in einem Zeltlager vor der belagerten Stadt Akkon der erwähnte Deutsche Orden gegründet. Er sollte sich der Krankenpflege widmen. 1198 wurde aus diesem Krankenpflege- ein Ritterorden. Seine Hauptaufgabe bestand in der Bekämpfung der Heiden, zu denen vor allem die Muslime gerechnet wurden. Wohlgemerkt im notorisch unfriedlichen Heiligen Land und nicht im schönen (Ost-)Preußen. Seine Bewohner, die bereits erwähnten Prussen, waren aber im beginnenden 13.Jahrhundert auch noch Heiden. Hatten sie sich doch gegen die Bekehrungsversuche ihrer polnischen Nachbarn heftig und erfolgreich gewehrt. Dies missfiel einem polnischen Herzog namens Konrad von Masowien sehr, der zudem danach trachtete, sich in den Besitz des Landes der heidnischen Prussen zu setzen. Um dieses höchst eigennützigen und keineswegs christlichen Ziels willen, rief Konrad |11|von Masowien den Deutschen Orden zur Hilfe. Das war im Jahr 1224.

Der Deutsche Orden kam jedoch nicht sofort, sondern sicherte sich erst einmal die Unterstützung Kaiser Friedrichs II., der dem Orden im Jahr 1226 das gesamte noch zu erobernde Land der Prussen schenkte, weil es schon immer „unter der Herrschaft des Reiches“ (sub monarchia imperii) gestanden hätte. Eine sehr gewagte Behauptung, was schon einigen mittelalterlichen Zeitgenossen durchaus bewusst war. Zu ihnen gehörte der polnische Vertreter auf dem Konzil von Konstanz von 1414 bis 1418, Paulus Wladimiri, der kühl und trocken darauf hingewiesen hat, das niemand etwas verschenken könne, was ihm gar nicht gehöre – „nihil dat, quod non habet“.5 Doch diese staatsrechtlichen Fragen und die sonstigen Ansprüche der Polen auf das Land der Prussen haben den Orden nicht weiter interessiert. 1230 begann er mit dem Krieg gegen die Prussen. Der Krieg erwies sich als blutig und lang. Die mit Keulen, dann aber auch mit Lanzen, Schilden und selbst Armbrüsten bewaffneten Prussen wehrten sich tapfer. Doch schließlich war alle Mühe umsonst. Die Prussen mussten sich ergeben und zum Christentum übertreten. Ausgerottet wurden sie jedoch nicht. Allerdings hatten sie eine andere und schlechtere Rechtsstellung als die vom Orden ins Land geholten deutschen Siedler, so dass in den Quellen zwischen „Pruzin“ und „Dutschin“ unterschieden wurde. Doch diese „Pruzin“ und „Dutschin“ glichen sich dann doch rechtlich und kulturell einander an und wurden zu „Preußen“.

Dies geschah nicht gegen, sondern mit dem Willen der Landesherren, der Ritter des Deutschen Ordens, die sich schon im ausgehenden 13.Jahrhundert nach dem von ihnen unterworfenen prussischen Volk benannten. Ihr Landmeister wurde „magister terre Prussie“ oder „Preußenland meyster“ genannt. Die in Preußen eingesetzten Ordensritter wurden ebenfalls als „Preußen“ bezeichnet, obwohl sie in der Regel |12|aus allen Teilen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stammten. Nachdem der Deutsche Orden im Jahr 1309 auch Danzig und das zwischen Preußen und Pommern gelegene Pommerellen erobert hatte, wurden aus den dort lebenden Deutschen, Polen und Kaschuben ebenfalls „Preußen“.

Der preußische Ordensstaat war jetzt zu einer Großmacht geworden, die in ganz Europa beneidet und bewundert, aber auch gefürchtet wurde. Letzteres vor allem von Polen, das sich schon bei der Eroberung des Landes der alten Preußen – dem späteren Ostpreußen – übergangen fühlte und dem Deutschen Orden den Besitz Danzigs und Pommerellens, das später Westpreußen genannt wurde, missgönnte. Es kam zu verschiedenen Kriegen zwischen Polen und Preußen, die zunächst zugunsten Preußens ausgingen. Doch dann verlor der Deutsche Orden die entscheidende Schlacht von Tannenberg im Jahr 1410.Dem siegreichen und inzwischen mit Litauen vereinigten Polen gelang es jedoch nicht, sich in den Besitz von Danzig und Pommerellen sowie des restlichen Ordensstaates zu setzen.

Der Deutsche Orden überwand die Niederlage von Tannenberg, sann auf Rache und rüstete auf. Dazu erhöhte er die Steuern. Das missfiel naturgemäß seinen Untertanen. Allen voran den reichen und mächtigen Bürgern Danzigs und den selbstbewussten Angehörigen des preußischen Adels. Sie verübelten dem Orden außerdem, dass dieser keine „inzcogelinge disses landes“, d.h. Preußen, sondern nur „auslender“, womit Deutsche aus dem Reichsgebiet gemeint waren, in seine Reihen aufnahm.

1453 kam es zum Bruch. Unter Führung Hans und Stibor von Baysens gründeten die preußischen Stände einen „Bund vor“, d.h. gegen die Gewalt des Ordens und kündigten ihm die Gefolgschaftstreue auf. Dies war Revolution. Eine preußische Revolution! Doch da sie sich allein für zu schwach |13|hielten, riefen die aufständischen preußischen Stände den polnischen König zur Hilfe, dem schließlich 1466 nach einem verheerenden 13-jährigen Bürgerkrieg die westlichen Teile des Ordensstaates und das Ermland unterstellt wurden. Damit war Preußen geteilt, was die aufständischen Preußen aber keineswegs gewollt hatten.

Das Gemeinschaftsgefühl der Preußen im königlich polnischen Teil Preußens und im Rest-Ordensstaat, aus dem dann 1525 das ebenfalls polnische Herzogtum Preußen wurde, hielt auch in der Folgezeit an. Aus Prussen und Deutschen sowie aus den im 15.Jahrhundert aus Masowien ins südliche Ostpreußen eingewanderten Masuren waren Preußen geworden. Ein deutscher Neustamm mit einem eigenen Dialekt und einem, wenn man will, multikulturellen Charakter.6 Aus Sicht des Heiligen Römischen Reiches vielleicht etwas abgelegen, aber mit einer wirklichen Metropole– Danzig, mit dem das Berlin des 16. und auch noch 17.Jahrhunderts nicht im entferntesten zu vergleichen war. Außerdem mit einer Universität, der Albertina in Königsberg, die weit nach Westen und noch mehr nach Osten ausstrahlte, und für die es in Berlin überhaupt kein Äquivalent gab.

In Königsberg ließ sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. 1701 zum König Friedrich I. „in Preußen“ krönen. Die merkwürdige Formulierung „König in Preußen“ erfolgte aus Rücksicht auf Polen, das ja noch im Besitz der westlichen Teile des ehemaligen preußischen Ordensstaates war – dem späteren Westpreußen. Die Preußen im damaligen Herzogtum Preußen – dem späteren Ostpreußen – fühlten sich durch die Königsberger Krönung geehrt und wiesen stolz darauf hin, dass es mit dem sagenhaften prussischen Waidewuth schon einmal einen preußischen König gegeben habe, nämlich den, wie sich der Historiker Johann Peter von Ludewig ausdrückte, „ersten großen Souverän in Preußen“.7 Tatsächlich zog ein gewisser Johann Georg Grüwel in einem |14|Gedicht auf die Königsberger Krönung eine Art monarchische Kontinuität vom prussischen Waidewuth bis zum brandenburgischen Friedrich.8

Auch sonst zeigten sich die Ostpreußen stolz auf ihre „heidnischen Vorfahren“, die Prussen, deren Freiheitskampf gegen die „Tyrannei der Creutzherren“ sie lobten, um schließlich ihren Neustamm als eine „Melange fremder Nationen“ zu feiern, weil es der „Weisheit Gottes“ zu verdanken sei, dass „Völcker so mancherley Geschlecht und Sprache in einem Winkel der Welt“ zusammengekommen und „durch das Band der bürgerlichen Societät“ verbunden worden seien.9

Noch stolzere Preußen waren die Preußen im „Preußen königlich polnischen Anteils“ – dem späteren Westpreußen. Ihre Historiker, allen voran der große, aber heute völlig vergessene Gottfried Lengnich (1689-1774) aus Danzig, feierten darüber hinaus noch die „große Revolution“ von 1453, die Lengnich in seiner neunbändigen „Geschichte der Preußischen Lande königlich-polnischen Anteils“ sogar mit der holländischen Revolution des 16.Jahrhunderts verglich.10 Die Preußen hätten sich nur freiwillig dem polnischen König unterstellt, der das Land nur durch einen Vertrag und nicht „jure belli“ erworben habe. Die Preußen wären wie die „Holländer im folgenden saeculo“ durchaus in der Lage gewesen, „eine besondere Republick aufzuführen.“ Dazu, d.h. zu einer erneuten „Revolution“ seien „die Preußen“ auch jetzt, d.h. im beginnenden 18.Jahrhundert durchaus noch in der Lage. Auch gegenüber Polen und dem polnischen König könnten sich die Preußen auf ihr gegen den Deutschen Orden erkämpftes und bewiesenes Widerstandsrecht berufen.

Von einem solchen Widerstandsgeist waren die Bewohner des 1701 errichteten preußischen Staates weit entfernt. Dies galt vor allem für die zu Neu-Preußen gewordenen Brandenburger, die fast ihre landsmannschaftliche Identität verloren – um sie bis heute nicht wiederzufinden. Anders dagegen die |15|Westfalen im Nordwesten und dann die Schlesier im Südosten. Sie blieben auch als Preußen das, was sie immer gewesen waren – Schlesier und Westfalen. Dennoch haben alle den von den alten Prussen entlehnten Namen und die vom Deutschen Orden übernommenen schwarz-weißen Farben getragen und gezeigt. War man sich dessen bewusst und hat man sich zu diesen Vorfahren und Namensgebern bekannt?11

Zunächst keineswegs. Die preußischen Könige des 18.Jahrhunderts haben sich weder als Nachfolger der alten Prussen und ihres sagenhaften Königs Waidewuth gesehen noch zu den Traditionen des Deutschen Ordens bekannt. Schließlich hatte der wohlgemerkt auch noch katholische Deutsche Orden die heidnischen Prussen „mit Feuer und Schwert“ zum Christentum bekehrt, was von aufklärerischen Historikern und Philosophen wie Karl Friedrich Pauli12 und Johann Gottfried Herder13 scharf verurteilt und mit der blutigen Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier verglichen wurde.

Für den ebenfalls aufklärerisch gesonnenen Friedrich II., in dessen Staat „jeder nach seiner façon selig werden“ sollte und auch konnte, war der Deutsche Orden schlicht ein Gräuel und absolut kein Pate oder Vorbild. Friedrich II. und dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II. haben dann auch darauf verzichtet, die Gewinnung der westlichen Teile des ehemaligen Ordensstaates im Zuge der ersten und zweiten Teilung Polens 1772 und 1793 mit dem Verweis auf den Deutschen Orden zu begründen, dessen preußische Territorien jetzt unter königlich preußischer Herrschaft gewissermaßen wieder vereinigt waren.

Doch als sich Preußen anschickte, Deutschland von der französischen Fremdherrschaft zu befreien und sogar vorgab, in diesem Deutschland „aufgehen“ zu wollen, wurde die bisherige negative Beurteilung des Deutschen Ordens ins Positive verkehrt. Den Anfang machte der Königsberger Historiker |16|Johannes Voigt, der in seiner neunbändigen „Geschichte Preußens“, womit übrigens das alte Preußen gemeint war, den Deutschen Orden lobte, weil dieser „Deutsche Bildung“, „Deutsches Gesetz“ und „Deutsche Art und Gesinnung“ in ein Land gebracht habe, das sonst vom „Schwert slawischer Geschlechter überwältigt“ worden wäre.14 Diese wohlgemerkt angebliche deutsche Mission des Deutschen Ordens sei jetzt von dem preußischen Staat übernommen worden, der die Befreiungskriege gegen den deutschen Erbfeind Frankreich im Zeichen des dem Orden entlehnten Eisernen Kreuzes geführt habe.

Für diese höchst merkwürdige ideologische Annahme des Erbes des Ordensstaates war vor allem der langjährige Oberpräsident von Ost- und dann auch Westpreußen Theodor v. Schön verantwortlich. Auf Schöns Initiative hin wurde der Hauptsitz des Deutschen Ordens, die Marienburg, restauriert und ausgebaut. Dabei wurde der Remter genannte Versammlungssaal der Marienburg mit Glasfenstern versehen, auf denen mittelalterliche Ordensritter und neuzeitliche preußische Landwehrmänner zu sehen waren, deren Mäntel und Uniformen mit schwarzen Ordenskreuzen geziert waren.

Mit dieser Adaption der Tradition des Deutschen Ordens wurde der Geschichte gleich in dreifacher Weise Gewalt angetan. Einmal durch die Betonung, bzw. Erfindung des deutschen Charakters des Staates des Deutschen Ordens, der niemals zum Deutschen Reich gehört hatte. Historisch nicht bewiesen und auch gar nicht beweisbar war zweitens die Behauptung, dass das 1701 entstandene Preußen der legitime Nachfolger dieses angeblich deutschen Ordensstaates gewesen sei. Gänzlich falsch und ideologisch war drittens die These, dass Preußen vom Ordensstaat die Mission übernommen habe, die deutsche Kultur im Osten zu stärken und zu verbreiten. All das gipfelte in der Behauptung, dass Preußen |17|wegen dieser seiner deutschen Verdienste auch eine „deutsche Sendung“ habe, die Preußen dazu berechtige, ja verpflichte, Deutschland unter seiner Führung zu vereinigen.

Diese falsche und ideologische Kontinuitätsthese – vom Ordensstaat über die Hohenzollernmonarchie zum Deutschen Reich – ist von vielen preußischen und deutschen Historikern vertreten worden. Der unzweifelhaft wichtigste und einflussreichste war der gebürtige Sachse Heinrich von Treitschke. Er hatte in einem schon 1862 veröffentlichten Essay über „Das deutsche Ordensland Preußen“15 den preußischen Ordensstaat als „deutsches Bollwerk“ im slawischen Osten und als „Bezwinger, Lehrer, Zuchtmeister“ der verschiedenen slawischen Völker gepriesen. Schon der Ordensstaat sei ein „Staat der bürgerlichen Unterordnung“ gewesen, der im innen- wie außenpolitischen Bereich „schonungslose Rassenkämpfe“ ausgefochten habe. In der ihm eigenen chauvinistischen Sprache feierte Treitschke das, so wörtlich, „reißende Hinausströmen deutschen Geistes über den Norden und Osten, das gewaltige Schaffen unseres Volkes als Bezwinger, Lehrer, Zuchtmeister unserer Nachbarn“ im Osten. Der Heidenkampf des Deutschen Ordens sei die „große Lehrzeit für die aggressiven Kräfte unsers Volkes“ gewesen. Man könne das „innerste Wesen von Preußens Volk und Staat“ nur verstehen, wenn man sich in „jene schonungslosen Rassenkämpfe“ versenke, die der Deutsche Orden mit den „barbarischen und halbbarbarischen“ Prussen und Litauern, aber auch mit den Polen geführt habe.

Von Treitschkes „schonungslosen Rassenkämpfen“ scheint es nicht mehr weit zum „Rassenkrieg“ Hitlers zu sein. Diesen hat Hitler schon in „Mein Kampf“ mit der Berufung auf den Deutschen Orden legitimiert. Sollte sich das „neue Reich“ doch „auf der Straße der Ordensritter“ nach Osten bewegen, um dort „Lebensraum“ für das deutsche Volk „auf Kosten Russlands“ zu gewinnen.16 Doch das ist Ideologie. |18|Die von Hitler bemühten „Straßen der Ordensritter“ sind historische Holzwege. Sie führen ins Nichts und beginnen auch nirgendwo. Es gibt keine und schon gar keine ungebrochene Kontinuität vom Ordensstaat über Preußen zum Dritten Reich. Das ist Fiktion bzw. Ideologie. Auf sie wird noch einmal zurückzukommen sein. Doch jetzt wieder zurück ins Mittelalter und zum zweiten Vorläufer Preußens– Brandenburg.

|25|3. „Werk der Hohenzollern“

Legende und Wirklichkeit

„Die Hohenzollern entstammten einem relativ jungen und keineswegs mächtigen Grafengeschlecht, das erstmals 1061 erwähnt und nach ihrer Burg in der Nähe des schwäbischen Hechingen zunächst Zollern genannt wurde.23 Einer dieser schwäbischen Zollern, bzw. seit dem 14.Jahrhundert Hohenzollern, namens Friedrich (III.) wurde 1192 zum Burggrafen Friedrich I. von Nürnberg ernannt. Er war der Begründer der fränkischen Linie der Hohenzollern, denen es gelang, die Herrschaft über weitere fränkische Gebiete zu erlangen. Seit 1397 residierten sie in Ansbach. Die schwäbische Linie verblieb in Schwaben. Genauer in Sigmaringen. Die Sigmaringer Hohenzollern blieben katholisch und konnten ihre Souveränität bewahren. Erst 1850 wurde Hohenzollern-Sigmaringen in den preußischen Staat inkorporiert.

Zurück zu den fränkischen Hohenzollern. Der schon erwähnte Burggraf von Nürnberg Friedrich VI. wurde wegen seiner Verdienste, die er sich im Dienst für König Sigismund erworben hatte, in den Reichsfürstenstand erhoben und, wie ebenfalls schon erwähnt wurde, zum Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg ernannt. Er war der Begründer der brandenburgischen Linie der Hohenzollern, die noch lange Zeit mit der fränkischen verbunden war. Beide Territorien – das brandenburgische und das fränkische – sind erst 1473 voneinander getrennt worden.24

Den ersten brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I., Johann und Friedrich II. gelang es, die Macht des Adels einzudämmen und die Freiheitsbestrebungen der brandenburgischen Städte zu unterdrücken. Dabei hat sich vor allem |26|Friedrich I. hervorgetan, weshalb er den keineswegs positiv gemeinten Beinamen „Eisenzahn“ erwarb. Doch diese, wenn man will innenpolitischen Erfolge waren nicht von außenpolitischen begleitet. Zwar konnten die brandenburgischen Hohenzollern die an den Deutschen Orden verkaufte Neumark wiedergewinnen, ihr Zugriff auf Pommern scheiterte jedoch. Brandenburg blieb von der Ostsee abgeschnitten und auf seine Kerngebiete beschränkt. Dies waren die Altmark im Westen; die Prignitz und Uckermark im Norden und die Neumark östlich der Oder. Schließlich die Kur- und die Mittelmark.

Größere Gebiete kamen erst zu Beginn des 17.