Priest and His Anarchist - Amo Jones - E-Book

Priest and His Anarchist E-Book

Amo Jones

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Beschreibung

Priest Hayes dachte, er wüsste alles über die Gesellschaft von Gesetzlosen, die nach ihren eigenen Regeln lebten – und gerade hatte er ihren Vorsitz übernommen. Luna Nox war das eine Mädchen, das er nie haben konnte. Doch Liebe ist nicht immer das, was alles überwindet. Manchmal ist sie das Einzige, dem man sich ergibt. Luna wusste, dass sie nur begrenzte Zeit hatte, um sich in einer Welt zu beweisen, zu der sie sich immer zugehörig gefühlt hatte, die sie aber nie wirklich wollte. Doch in Wahrheit hatte sie nie eine Wahl. Der Weg war längst vorgezeichnet und führte direkt zu dem einen Mann zurück, zu dem sie nie wieder zurückkehren wollte.

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Seitenzahl: 753

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Priest and His Anarchist
Impressum
Triggerwarnung

Amo Jones

Priest and His Anarchist

(Carpe Noctem Band 2)

Übersetzt von Patricia Buchwald

Impressum

Priest and His Anarchist

Die Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel »Priest and his Anarchist«.

Copyright © 2025 Priest and his Anarchist by Amo Jones

All Rights reserved. No part of this publication may be reproduced, distributed, or transmitted in any form or by any means, including photocopying, recording, or other electronic or mechanical methods, without prior written permission of the publisher, except in the case of brief quotations embodied in reviews and certain other non-commercial uses permitted by copyright law.

This book is a work of ficition. All names, characters, locations, and incidents are products of the author’s imaginations. Any resemblance to actual person’s, things, living or dead, locales, or events is entirely coincidental.

Published by arrangement with Bookcase Literary Agency Corp.

The moral rights of the author have been asserted.

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe © 2025

Priest and His Anarchist

by VAJONA Verlag GmbH

Druck und Verarbeitung:

FINIDR, s.r.o.

Lípová 1965  

737 01 Český Těšín

Czech republic

Übersetzung: Patricia Buchwald

Korrektorat: Désirée Kläschen und Anna Göber

Umschlaggestaltung: Stefanie Saw und Diana Gus

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH

Triggerwarnung

Sexueller Missbrauch

Mord

Blutspiel

Sex mit anderen

Gewalt

Tod

Erwähnung von Sex mit Minderjährigen

Diskussionen über psychische Störungen

Lustmord

Drogenkonsum

An alle, die Dark Romance lesen.

Scheißt darauf, was die anderen denken.

Ich weiß noch, wie ich eines Nachts das gedämpfte Flüstern meiner Eltern in der Küche hörte. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Sie waren besorgt, weil sie mich noch nie lächeln gesehen hatten. Sie dachten, ich hätte keine Gefühle. Wäre gefühllos. Innerlich tot.

Aber sie wissen nicht, wie sehr ich Luna Nox hasse.

Eine Gänsehaut zieht sich über ihre makellose Haut, als meine Fingerknöchel ihren Nacken streifen. Sie ist jünger als ich. Sie sieht auch so aus. Gekleidet in ein elfenbeinfarbenes Sommerkleid, das dem Teufel den Garaus machen würde, verkörpert sie alles, was ich hasse.

Unschuld, zum Beispiel.

Ihre – bereit, um von mir genommen zu werden. Und das tat ich.

Sie versteift sich, als erinnerte sie sich an meine Berührung. Daran, wie es sich anfühlte, wenn es gut war, und wie süchtig machend, wenn es das nicht war.

»Warum tust du mir das an?«

Ich antworte nicht und ziehe mich von ihr zurück. Gespräche, die ich als Kind heimlich mitgehört habe, hallen in meinem Kopf wider.

Besonders eines, in dem Mom meinen Onkel Daemon, ihren Zwilling, erwähnte. Er war der erste verlorene Junge gewesen. Sie hatte erst später in ihrem Leben von ihm erfahren, nachdem sie Dad kennengelernt hatte. Ich wusste kaum etwas über ihn, weil ich nie zuhörte, wenn sie über ihn sprach. Es war nicht Onkel Daemon, der meine Aufmerksamkeit fesselte. Halen hatte es schon oft gesagt, also überraschte es mich nicht mehr. »Du bist ein richtiger Soziopath, Priest …« Vielleicht.

Also, was zum Fick.

Das war es nicht, was mich hellhörig werden ließ.

Sondern das, was mein Vater flüsterte: »Er ist eben ein Hayes.«

Damals wusste ich noch nicht, was das heißen sollte. Später erfuhr ich, was es bedeutete und wen er damit meinte.

Humphrey Hayes. Der erste Hayes und Schöpfer. Wäre er mit dem jetzigen Zustand zufrieden, wenn man bedenkt, wie sehr sich die Organisation verändert hat? Er hatte eine Armee aufgebaut, zehn Gründungsmitglieder und eine Vision, die nur von den Auserwählten gesehen werden konnte. Es hatte klein angefangen, ein trotziger Akt gegen das System. Er wollte eine Legion schaffen, die sich weder einer Regierung noch einer kriminellen Organisation beugen würde. Eine furchtlose Armee aus Waffen, gekleidet in das Fleisch von Männern, die dafür sorgen würden, dass jeder noch so wehrhafte Bereich der Welt erobert werden würde.

Die Dinge hatten sich über die Jahre nicht geändert, auch nicht die Art, wie mein Vater seine Leute führte. Er war der entschlossenste Anführer, den wir je hatten. Aber das war ein Problem, weil er auch meine Mutter heiratete. Er änderte die Regeln für sie, um ihr und anderen entgegenzukommen.

War ich wütend, dass sie aufgehört haben, die Swans zu töten, und Frauen jetzt tiefer in die Gesellschaft eingeführt werden?

Nein.

Ich habe die feste Absicht, das zu ändern, sobald ich den Hammer in der Hand habe. Denn Mädchen wie Luna Nox gehören nicht hierher. Das werden sie nie, und wenn ich den Hammer nehme, werden sie es bald herausfinden.

»Priest …«, flüstert Luna noch einmal, und ich sehe sie sofort an. So klein und geschmeidig, verzweifelt und bedürftig.

Die Blätter rascheln im Atem der Natur inmitten des fernen Klangs der Musik. Es lenkt meine Gedanken kein bisschen ab. Das ist etwas, das ich einfach nicht loswerde, so sehr ich es über all die Jahre mit ihr auch versucht habe. Nicht jetzt, nicht damals.

Blut quillt zwischen ihren Finger hervor, die sie auf ihre Seite gepresst hat. »Antworte mir. Warum?«

Ich zerre sie an ihrem Arm auf die Füße. Es dauert weniger als zwei Sekunden, bis sie den Halt verliert und gegen einen Baum stolpert. Ich ignoriere ihre Beschwerden und ziehe sie weiter durch den Wald, über umgestürzte Baumstämme und sterbende Blätter. Noch vier Schritte und wir stehen vor dem Auto meines Vaters, während der Vollmond durch die Schatten bricht und uns in sein Licht hüllt.

Luna prallt gegen die Beifahrertür, als ich sie nach vorne ziehe, und rutscht zu Boden. Ihr Haar hat die gleiche Farbe wie die Nacht. Sündhaft, dunkel und doch verführerisch.

Blut spritzt mir ins Gesicht, als sie hustet. »Ich werde sterben, Priest.«

Sorgfältig studiere ich ihr Gesicht und gehe in die Knie. Ich hasse ihre Augen, verdammt. Sie erinnern mich an meine Seele. »Gut, Madness.«

Der Spitzname trifft sie und ihre Züge entgleiten.

»Nenn mich nicht so!«, faucht sie und zum ersten Mal sehe ich einen Hauch von etwas anderem in ihr. Etwas Wildem.

»Was, Madness?«, necke ich, während das Aufwallen in meiner Brust mein Grinsen vertieft. »Bist du das denn nicht?« Ich neige meinen Kopf zur Seite und präge mir jedes Detail ihrer Züge ein.

Ihre babyweichen Wangen bekommen Grübchen, wenn sie lächelt, und ihre Lippen sind so verdammt perfekt, dass ich fast schwach werde.

»Reine Madness?«

»Nein!« Eine tiefe Röte überzieht ihre Wangen, während sie auf ihre Unterlippe beißt.

Ich ziehe sie hoch und schließe das Auto mit dem Schlüssel aus meiner Tasche auf.

»Ich wollte nur …«

Die Art und Weise, wie sie versucht, sich zu beruhigen, ist faszinierend. Mit jedem Einatmen schwillt ihr Brustkorb an. Mit jedem Ausatmen senkt er sich. So menschlich. Ich versuche, mich in dem Amorbogen zu verlieren, der sich in die Mitte ihrer Lippen senkt, aber es ist zwecklos. Ich nehme alles um mich herum wahr, zum Beispiel das Schlagen ihres Herzens gegen meine Brust. Es war eine traurige Melodie. Eine, die man bei einer Beerdigung spielen würde.

»Wäre es dir lieber, wenn ich dich Lunatic nenne?«

»Fick dich!« Sie verschluckt sich an einem Wimmern. »Stimmt es, was man über dich sagt?«

»Was?«, frage ich, neugierig, ob sie wirklich aussprechen wird, was sie denkt. Wahrscheinlich nicht. Ich kenne Luna, seit wir Kinder waren. Ihr Vater gehört zu einer der zehn Gründerfamilien, die mein Vorfahre ausgewählt hatte, aber einer der zehn, die nicht wichtig sind. Es gibt nur drei, die wirklich zählen.

Hayes.

Malum.

Vitiosis.

Es sind die drei, die den Elite Kings Club weiterhin anführen, aus der ersten Reihe, ohne sich hinter irgendjemandem verstecken zu müssen. Die Leute flüstern den Namen des EKC noch immer voller Furcht, doch wenn es um diese drei geht, wird nicht mehr geflüstert.

Dann wird gerannt.

Meine Finger finden ihr Kinn, zwingen sie, mich anzusehen. Verdammt, ihre Augen sind seltsam. Ein Gemisch aus Lavendel und Grau, eine Mischung aus ihrer Mutter, die lilafarbene, und ihrem Vater, der blaue hat.

Sie sieht aus wie eine Flüchtige, die aus einer anderen Dimension verbannt wurde.

Wie der Wahnsinn.

Ich fahre ihre Unterlippe nach und zwinge ihren Mund mit meinem Daumen auf. »Du magst die Wahrheit nicht, hmmm?«

Ihre puppenhaften Züge vereinen sich mit meinen, lassen mein Blut zu Eis und mein Herz zu Stein werden. »Das ist nicht die Wahrheit.«

Sie ist der verdammte Wahnsinn. Völliger und absoluter Wahnsinn.

Ich schiebe mich von ihr weg und öffne die Beifahrerseite. »Steig in das verdammte Auto.« Kaum ist sie drin, knalle ich die Tür zu und gehe auf die andere Seite.

Vadens Stimme hält mich auf, als meine Hand auf dem Türgriff landet.

»Bist du dir da sicher?«

Während ich ihm den Rücken zukehre, zucken meine Lippen. »Du zweifelst an mir?«

Vaden ist immer der Vernünftige von uns. Er entstammt der Vitiosis-Blutlinie und ähnelt weder seinem kalten, gefürchteten Vater noch seiner sonnigen, hexenartigen Mutter. Er ist sein eigenes Ich.

Ein Aushängeschild für Irrsinn und Kontrolle.

»Ich zweifle nicht, nein.« Vaden wählt seine Worte sorgfältig, während der Kies unter seinem Stiefel knirscht. »Aber sie ist Luna. Sie ist nicht austauschbar. Sie ist eine von uns.«

»Kaum.« Ich bin nicht verrückt. Ich habe immer die Kontrolle, aber heute Abend hat der Wahnsinn seine Spuren hinterlassen.

Schneeflocken rieseln von oben herab und schmelzen auf meiner warmen Haut. Wir haben nicht viel Zeit. Die Sonne wird bald aufgehen, wenn sich nicht einmal dein Schatten verstecken kann. »Geh zurück zur Party, Vade.«

»Ich komme mit.« Er wartet nicht auf meine Antwort, eilt zur Beifahrerseite und verschwindet auf dem Rücksitz. Einen Moment lang denke ich über meine Möglichkeiten nach. Ich habe nicht viele, vor allem, wenn es um meinen besten Freund geht. Auch wenn ich zwei habe, ist War ein hoffnungsloser Fall. Er ist zu besessen von meiner Schwester, um jemand anderem gegenüber loyal zu sein, aber Vaden ist immer noch rein. Im Moment. Denn wenn die Zeit kommt, und die Zeit wird kommen, wird es keine Rettung mehr für ihn geben.

»Fuck.« Ich lasse mich auf den Fahrersitz gleiten. Mom hat mir strikte Anweisungen für heute Abend gegeben und gesagt, dass sie keinen Blödsinn will. Sie hat nichts darüber gesagt, dass Luna ein verdammter Tollpatsch ist.

Luna hustet auf dem Beifahrersitz und lehnt ihren Kopf gegen das Fenster.

Vaden pfeift vom Rücksitz. »Ach du Scheiße, verdammt …«

Als ich den Rückwärtsgang einlege, wirbelt der Schnee auf. Ich drehe das Lenkrad herum und verlasse den Parkplatz der Riverside Elite University. Überall stehen Autos herum, bewacht von Sicherheitsleuten an beiden Eingängen. Ich weiß nicht, warum ich dachte, das sei eine gute Idee. Es ist chaotisch. Im Gegensatz zu mir. Aber sie hat mich wütend gemacht – und die anderen.

Luna hustet wieder. Sie hält sich den Bauch und dreht sich zu mir. »Priest, ich werde sterben.«

»Vielleicht.« Ich zucke mit den Schultern. »Zumindest werde ich das Letzte sein, was du siehst.«

Ihre Augen bleiben auf den meinen haften, und die gleiche Enge in meinem Magen kehrt zurück. Aber das ist mir egal. Ich kann nicht. Es liegt daran, dass der heutige Abend nicht wie geplant verlaufen ist.

»Du hast den Hammer noch nicht. Dafür wirst du Ärger bekommen.«

»Wie kommst du darauf, dass mich das interessiert?« Die Unterhaltung langweilt mich, aber ich werde sie unterhalten. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, wenn man bedenkt, dass ihr der Dolch meines Vorfahren aus den Rippen ragt.

»Ich habe nicht gesagt, dass es dich interessiert. Du bist eher wie der Rattenfänger …« Ihre Worte sterben schneller als sie.

»Inwiefern?«

Ich werde ihren Nachruf schreiben.

Luna Nox Rebellis. Tochter von Eli Rebellis, Elite King, Tochter von Lilith und Kyrin, Bruder von Kiznitch bei Midnight Mayhem, einer erwachsenen Zirkusfamilie, in der sie viel sicherer gewesen wäre. Ihren letzten Atemzug verbrachte sie damit, um ihr Leben zu betteln.

»Weil du Menschen in den Tod lockst.«

»Ich flöte nicht, Madness …« Ich fahre uns die dunkle Straße des Elite Boulevards hinunter und werde unter den schneebedeckten Bäumen, die sich über das Kopfsteinpflaster beugen, langsamer.

»Nein, aber du lügst …«

»Lügen?« Ich runzle die Stirn. Okay, jetzt macht sie mich wütend. »Wie sollte ich lügen?« Sie hat sich zu einem Ball zusammengerollt, ihre Lippen sind blutverschmiert und ihr elfenbeinfarbenes Kleid ist eine tugendhafte Täuschung.

»Du hast mir gesagt, dass ich immer sicher sein würde.«

Ich verschlucke mich an meinem Lachen. »So habe ich das nicht gemeint.«

Vadens Blick erhitzt mein Profil und ich weiß, dass er etwas sagen will. Ich ziehe die Bremse an und halte mitten auf der Straße an.

»Bist du dir da sicher?« Seine Frage richtet sich an mich, aber ich weiß, dass es ihm egal ist, ob sie es hört. Am Ende der Nacht wird sie tot sein.

Habe ich schon einmal über diesen Moment nachgedacht? Ja. Viele Male, aber es fehlte etwas. Die Erregung meiner Fantasie. Die Dinge, die ich mit ihr machen würde … »Nein.«

»Warum?« In ihrer Frage liegt keine Verzweiflung. Keine Angst, dass sie sterben wird.

»Weil ich dich hasse und du hättest weglaufen sollen.« Ich konzentriere mich auf die dunkle Straße vor mir.

Vaden klopft an meinen Sitz. »Lass mich raus.«

»Ich bin gerannt!«, schreit sie, aber ihre Kehle schnürt sich bei den Worten zu, und ein karmesinroter Tropfen spritzt von ihren Lippen. »Ich bin schnell gerannt.«

Vaden steigt aus. Er verschwindet die Auffahrt hinunter und geht in Richtung des Schlosses.

Im Auto vermischt sich der warme, metallische Geruch von Eisen mit dem süßen Duft von Sonnenblumen. Ich neige meinen Kopf, bis meine Lippen ihre berühren und die Feuchtigkeit ihres Blutes meinen Mund befleckt. Ich fahre mit der Zunge über meine Unterlippe, ihre vertraute Berührung ist zu stark, um sie zu ignorieren. Das war sie schon immer. »Hast du? Oder bist du langsam gelaufen, weil du wolltest, dass ich dich fange?« Meine Fingerknöchel gleiten über ihre entblößte Brust und entflammen die Hölle.

»Priest, bitte.«

»Bitte, was, Madness? Worum bettelst du?«

»Töte mich nicht.«

Ich schnalze mit der Zunge. Meine Finger bleiben an ihrem Hinterkopf hängen und ich vergrabe mein Gesicht in ihrer Halsbeuge.

Sie ist alles, was ich hasse.

Denn sie ist alles, was ich geschaffen habe.

Ich spüre, wie ich schwanke, als sie an meiner Gürtelschnalle herumfummelt. Ich habe hier zwei Möglichkeiten. Ich kann sie töten, es hinter mich bringen und sie rausschmeißen, oder ich kann sie ficken. Und dann das Obengenannte tun.

Meine Hüften stemmen sich gegen ihre Berührung und ich versenke mein Gesicht noch tiefer in ihrem Nacken. »Denk daran, dass ich dich hasse, auch wenn ich dich ficke.«

Liebes Tagebuch

An

Argh. Ich habe keine Ahnung, an wen ich das richten soll. Vielleicht hätte ich Mom fragen sollen, als ich sie sah. So tun, als wäre sie mütterlich. Es ist nicht ihre Schuld. Sie ist wahnsinnig. Und ich wünschte, das wäre ein Scherz …

Die Spitze meines Stifts klopft gegen den Schreibtisch. Wenn nur ›Liebes Tagebuch‹ nicht so klingen würde … So …

Banal.

Ein lauter Schrei dringt an meine Ohren und ich ramme die Spitze des Stifts in das Papier. »Jemand soll ihr sagen, dass sie die verdammte Klappe halten soll. Ich kann nicht denken.« Der Stift klopft weiter. Diese Tische müssen gestrichen werden. Oder abgeschliffen. Oder so. Auf ihnen sind Namen und Nummern eingeritzt.

Oh! Ich weiß! Nein. Ich kann nicht.

Fuck!

Dieses Zimmer ist basic. Mit farblosen Wänden, beigem Bettzeug, braunen Kunstwerken und einem Einzelbett.

Ich halte inne und dränge mich auf die Beine. Meine Muskeln werden schwächer, als ich versuche, mich aufzurichten, aber der Schmerz in meinem Rücken ist unerträglich, je länger ich das tue. Ich hasse das verdammt noch mal.

Mehr gibt es nicht zu sagen. Ich hasse alle, blah blah blah – nichts Neues. Warum gehen so viele Leute davon aus, dass ich wie sie sein würde? Süß, unschuldig. So hat sie die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen.

Auf diese Weise hat sie seine Aufmerksamkeit bekommen. Die werde ich nie haben. Und ich bin verdammt froh darüber.

Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen. »Oh, Darling. Wie verdammt falsch du liegst …« Das Lachen verlässt mich in Wellen, und jede Sekunde, die vergeht, ist wie eine Last, die von mir abfällt.

Aber ich mag sie dort. Ich mag es, dass meine Füße jeden Morgen schwer sind. Ich mag es, dass sich meine Sünden wie eine Last anfühlen, die mich an ihn fesselt wie ein Haustier.

Mein Lächeln verschwindet, als ich zu dem Schreibtisch zurücktanze, der am Fenster steht. Ich habe ein Fenster. Das ist doch was ….

Der Stift liegt wieder zwischen meinen Fingern und schlägt gegen den Schreibtisch. Blöder beschissener Schreibtisch. Ich habe eine Körperhaltung, um die mich jede Ballerina beneiden würde. Das ändert sich nie. Egal, wo ich lande.

Die Haare fallen mir über die Schulter, während ich den Stift in das Blatt drücke.

Seid gegrüßt, Darlings.

Zu Ehren meiner Wenigkeit fange ich damit an, zu sagen, dass jede Person hier gefickt werden kann.

Da haben wir es, Mutter. Das wolltest du doch hören, oder?

Ha. Wahrscheinlich nicht. Ich glaube nicht, dass das jemand hören will. Rate mal, was ich heute gemacht habe? Mal sehen. Wenn ich an das erste Mal zurückdenke, als ich hier aufgewacht bin, würde ich sagen: Ich weiß es nicht. Denn ich weiß es wirklich nicht. Jeden Tag wache ich auf, ziehe meine Vorhänge auf, bewundere den Ozean, den Himmel, das endlose Wasser, von dem ich mir vorstelle, dass es am Rande der Welt einfach hinabfällt – und bevor ihr fragt: Natürlich ist die Erde flach – was seid ihr denn? Blind oder was.

Wo war ich … Ach ja. Bewundernd. Jeden Morgen wache ich auf und bewundere die Landschaft um mich herum. Ich erinnere mich daran, dass ich lebe und dankbar bin, und wenn nicht …

Hmmmm.

Der Stift tippt härter. Will ich den Weg der Glückseligkeit beschreiten oder will ich ein bisschen Brillanz?

Elektrizität umgibt mich und ich beuge meinen Kopf, um zu der über mir hängenden Glühbirne aufzuschauen. »Geiziger Bastard.«

Ich radiere alles weg, was ich geschrieben habe, und spüre, wie eine vertraute Hitze durch mich hindurchfährt.

Seid gegrüßt, Darlings.

Ich weiß, was ihr denkt … Oh, fuck. Die Schlampe hat tatsächlich einen Stift in die Hand genommen und angefangen, etwas zu schreiben … Wisst ihr, als die Leute sagten, ich bräuchte eine Therapie, wünschte ich, sie meinten eine Schocktherapie.

Wo war ich?

Ach ja, Schocktherapie. Ein Mädchen kann doch hoffen, oder? Ich meine, ist ja nicht offensichtlich oder so, aber ich hätte nichts dagegen, fixiert zu werden.

Entschuldigt bitte meine Direktheit – obwohl, nein – fickt euch und erstickt daran.

Das Wort für heute ist ›Rache‹. Ihr wollt wissen, warum? Na ja. Ich bin sicher, dass ich euch ein farbenfrohes Bild malen kann. Wisst ihr … alles begann, als ich ein kleines Mädchen war. Ich wollte einfach nur glücklich sein, aber sie hat mir mein Leben gestohlen. Sie hat mir alles genommen. Meine Familie, meine verdammte Welt …

Und ihn.

Ich wollte ihn gar nicht haben! Aber sie hat ihn genommen. Es war ihr egal.

Werde ich lange genug leben, um diesen Eintrag zu beenden? Vielleicht nicht. Wir werden es bald herausfinden.

Liebes Tagebuch, es gab einen Jungen, aber es gab auch ein Mädchen.

Ich lese die Worte noch einmal durch. »Gibt es nicht immer einen Jungen?« Ich breche in Gelächter aus.

Das Mädchen war nicht das Entscheidende. Ich würde sie unten in einem verdammten Stapel von Bändern begraben, wenn ich nie wieder eins sehen müsste.

Sie

war

nicht

wichtig.

Er war es. Tja, es begann alles mit einem Jungen. Aber er mochte mich nicht. Er mochte sie. Wollt ihr wissen, woher ich das weiß? Ich wette, ihr lest das hier und fragt euch, woher ich das weiß, stimmt’s, Priest? Ich weiß es, weil du mich nie so angesehen hast, wie du sie angesehen hast.

Willst du auch wissen, woher ich das weiß?

Mmmhmm … Weil du dachtest, deine kostbare Madness sei gerettet und sicher, damit du sie nach Belieben polieren kannst.

Weiß sie über mich Bescheid?

Ich weiß auf jeden Fall über sie Bescheid.

Willst du wissen, woher ich weiß, dass du mich nie so angesehen hast, wie du sie angesehen hast?

Weil. Ich. Es. Weiß.

Ich sehe dich schon vor mir, wie du diesen Eintrag entweder im Aussichtsturm liest (aber seien wir ehrlich, dort kannst du es nicht riskieren), im Autohaus deiner lächerlichen gotischen Villa oder – na ja … dort. Du bist neugierig geworden, oder? Ha … ha … Ich liebe das. Sieh mal einer an, da hat jemand die Zunge von Priest Hayes eingefangen und rate mal was, Darling? Ich verspreche, dass ich nicht zubeißen werde. Es wäre schade, wenn du sie verlierst, denn du weißt, wie man sie benutzt …

Denk nach, Priest.

Woher könnte ich das wissen …

Nun, ich denke, es ist an der Zeit, dass ich dich an den Anfang zurückbringe, damit die Mitte einen Sinn ergibt …. Es begann alles, als …

Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, als ich das erste Mal das kühle Metall spüre, das meinen Nacken hinuntergleitet und an meiner Wirbelsäule endet. Dasselbe Grinsen, das ich kurz zuvor noch trug, ist jetzt noch breiter. »Guten Morgen, Darling. Ich bin ziemlich beschäftigt. Es sei denn, du willst mit mir spielen. Willst du mit mir spielen?«

Er schiebt mein Haar mit dem Lauf seiner Waffe aus dem Weg und enthüllt die Haut auf meinem Rücken. »Kommt drauf an.« Die Schmetterlinge in meinem Bauch kribbeln, als das Metall seine Reise meine Wirbelsäule hinunter fortsetzt. »Wirst du dieses Mal zuhören?«

Ich entferne mich von ihm und verdrehe die Augen. »Du könntest wenigstens so tun, als wärst du an mir interessiert.«

»Warum zum Teufel kümmert dich das?«, antwortet er flach.

Die Erregung kocht an die Oberfläche, als er nicht wieder in mich eindringt. Ich beiße die Zähne zusammen. »Weil ich nicht gerne verliere.«

Er gluckst. »Wir haben noch nicht einmal gespielt, verdammt.«

Mein Stift beginnt wieder auf den Schreibtisch zu schlagen. »Ich werde nie so sein wie sie.«

Die Spannung in der Luft verdichtet sich, genauso wie der Griff um den Stift. Ich habe ihren Namen nie erwähnt. Ich habe ihm nie gesagt, wie es sich anfühlt, mit einem Mann zusammen zu sein, der immer eine andere Frau lieben wird. Ein anderes Mädchen. Frau, Mädchen? Was zum Teufel ist sie überhaupt?

Oh. Ich weiß, was sie ist …

»Nein. Das wirst du nicht. Schlag sie dir aus deinem verdammten Kopf.«

»Lun–« Meine Kopfhaut brennt, als er seine Hand in meinem Haar vergräbt und meinen Kopf zurückreißt, bis ich ihn von hinten ansehe. Selbst aus diesem Winkel ist er wunderschön. So verdammt schön. Ein dunkler Prinz mit Dämonen, die so schurkisch sind, dass nicht einmal die Liebe ihn retten könnte.

Die Muskeln in seinem Kiefer spannen sich an. »Sag ihren Namen, und das Nächste, was diese Lippen verlässt, wird dein letzter Atemzug sein.«

Er stößt mich weg, das Kribbeln seiner Wut brennt immer noch auf meiner Kopfhaut.

Ohne zu warten, bis er verschwunden ist, drücke ich den Stift aufs Papier.

Liebes Tagebuch,

Luna Nox Hayes ist tot. Willst du wissen, woher ich das weiß?

Weil ich es war, die sie getötet hat.

Gegenwart

Midnight Mayhem. Der Zirkus für Erwachsenenunterhaltung. Der Geruch von karamellisiertem Popcorn und Benzin ersetzt Chanel No. 5. Das Lachen wird gegen leises Keuchen ausgetauscht, während sie uns dabei zusehen, wie wir von fremden Orten gefickt werden. Ich dachte immer, es sei toll. Dass Mom einen Fehler gemacht hat, als sie mir nicht erlaubte, diese Seite meiner Familie kennenzulernen. Als ich ein Kind war, hatte ich Fragen gestellt. Zum Beispiel, warum ich nicht mehr Zeit mit den anderen verbringen konnte. Und warum sie nie die gleichen Regeln hatten, wenn es um die Kings ging.

Zwei Wege wurden für mich geschaffen. Midnight Mayhem, wo der dritte Akt das Reiten von Schwänzen ist, und der Elite Kings Club, wo die Leute dich mehr fürchteten, als sie dich mochten.

Zweitaktmotoren dröhnen in der Ferne, während ich mein Make-up auftrage. Mit einem letzten Strich habe ich die Farbe von Rotwein auf meinen Lippen. Als ich den Deckel wieder aufsetze, betrachte ich mich im Spiegel. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich mich dann wirklich anders entschieden?

Nein.

Eine Gruppe von Mädchen hüpft durch die Tür, öffnet ihre Reißverschlüsse und lacht miteinander. Eine von ihnen bleibt stehen, als sie mich sieht, und ihr Lächeln verblasst. Es kränkt mich nicht, dass keine von ihnen mit mir spricht. Ich bevorzuge es sogar. So wird es einfacher sein, wenn ich gehen muss. Denn ich werde gehen. Das weiß ich mit absoluter Sicherheit.

»Sorry, Luna …«, flüstert sie und neigt den Kopf. Die Narben auf ihrem Körper erzählen von ihrer Vergangenheit. Wenigstens haben sie etwas zu tun, während sie hier sind. Etwas, das sie so zum Lächeln bringt, wie sie es kurz zuvor getan haben.

»Sag nicht, dass es dir leidtut.« Meine Augen brennen, weil ich nicht blinzle. Ich habe Angst, dass ich den Satz nicht zu Ende bringe, wenn ich es tue. Dann werde ich wieder die Spinnerin sein, die den Zirkus leitet, aber sich mit keinem von ihnen einlässt.

Sie alle starren mich mit einer Mischung aus Schock und Verwirrung an.

Ich benutze meinen kleinen Fingernagel, um den Rand meiner Lippen zu säubern. »Sich zu entschuldigen, bedeutet, dass du etwas falsch gemacht hast. Wenn du das zu der falschen Person sagst, wird sie es als Schwäche ansehen. Bist du schwach?« Als keine Antwort kommt, schaue ich in den Spiegel und ziehe die Brauen hoch.

Alle drei schütteln den Kopf und murmeln ein Nein.

»Gut.« Ich presse meine Lippen aufeinander. »Macht euch für euer nächstes Set fertig.«

Sie verschwinden lautlos, ganz anders, als sie gekommen sind. Während ich die Schnalle an meinem Knöchel schließe, leuchtet mein Handy unter dem Schreibtisch auf.

Der Name meiner Mutter steht auf dem Display.

»Hey, Mom …« Die Spannung in meinen Schultern löst sich langsam.

»Ich will nur sichergehen, dass du nicht aus Versehen jemanden umgebracht hast.«

Ich lache. Es ist ungewohnt und fühlt sich an, als würden sich Risse in meinen Wangen bilden. »Ich vermisse dich. Wie geht es allen?« Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und schlage ein Bein über das andere, sodass meine Netzstrumpfhose zum Vorschein kommt. Selbst in der engen Garderobe herrscht eine Atmosphäre aus gestreiften Wänden und gekrönten Totenköpfen.

»Gut. Perse und King sind dieses Wochenende zu Besuch, also ändern wir die Reiseroute, damit sie auch kommen können.« Midnight Mayhem war früher mit einem einzigen Zelt um die Welt gereist. Damals wie heute gilt die Regel, dass die Shows um Punkt zwölf beginnen, aber nach dem Tod von einem der Brüder – ich weiß nicht mehr, welcher es war – beschlossen sie, sich aufzuteilen, sodass jeder seine eigene Ecke der Welt nahm. Moms und Dads Show wählte ein Tal tief in den Bergen Spaniens, während Persephone und Kingston in New York blieben. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hatten sie eine in Japan und eine andere in Rumänien, wo Midnight Mayhem seinen Anfang genommen hatte.

»Ah, das wird bestimmt lustig.« Mein Lächeln kommt nicht zurück.

Mom kichert ein wenig. »Ich vermisse dich.«

Lilith Patience ist in keiner Situation sanft, außer wenn sie mit mir spricht. Manchmal frage ich mich, ob das aus Schuldgefühlen geschieht, aber dann erinnere ich mich daran, wer meine Mutter ist und dass sie sich für nichts schuldig fühlen muss.

»Ich vermisse dich auch.«

»Es gab einen Grund, warum ich angerufen habe, aber ich habe es vergessen.«

Ich verdrehe meine Augen. »Ist Vater nicht da oder so?«

Mom lacht wieder, aber dieses Mal verstummt sie schnell. »Er sieht sich ein Boot an.«

»O Gott …« Ich richte mich in meinem Stuhl auf und betrachte mich noch einmal im Spiegel. »Und wo ist Dad?« Ich erwähne meinen Dad und den, der mich, biologisch gesehen, miterschaffen hat. Den Elite King.

»Er sollte bald von seinem Besuch bei Bishop zurück sein.« Die Erwähnung, dass Dad auf dieser Seite der Welt ist und ich ihn nicht sehen kann, zerrt an etwas tief in meiner Brust. Mom muss es spüren, denn sie seufzt. »Du weißt, wenn er könnte, würde er.«

Ich schlucke, aber es fühlt sich wie Sand an. »Ich weiß.«

»Okay, ich gehe jetzt besser. Ich muss noch Limetten für unsere Margaritas auftreiben.«

»Okay, Mom. Lieb dich.«

»Liebe dich auch, Schatz. Schreib deinen Dads. Sie vermissen dich auch.«

»Mach ich.« Ich beende das Telefonat und werfe mein Handy auf den Waschtisch, während die Zirkusdirektorin das nächste Set vorstellt.

Es ist nicht unangenehm, hier zu sein. Die Atmosphäre erinnert mich nur an alles, was ich mir über die Jahre verwehrt habe. Das Risiko selbst ist es wert, hier zu sein, denn wenn die Zeit gekommen ist, kann niemand etwas tun, um ihn aufzuhalten.

Mein Display leuchtet wieder auf. Mom hat sich wahrscheinlich daran erinnert, weswegen sie angerufen hat. Meine Mundwinkel sinken herab und das Lachen in meiner Kehle erstirbt, als ich die Worte einer unbekannten Nummer lese.

Zieh eine Show für mich ab, Madness. Hast du mich vermisst?

Wie von einem Strudel werde ich in die Vergangenheit gesogen …

Erstes Jahr

vor sieben Jahren

Ich kann nichts durch die verschwommene Sicht sehen, egal wie sehr ich versuche, die Tränen wegzublinzeln. Er hatte mich verletzen wollen. So viel war klar, aber ich weiß nicht, warum. Warum er mich so sehr hasst, dass ihm schon bei dem bloßen Gedanken an mich schlecht wird. Ich bin mir dessen sicher, denn jedes Mal, wenn wir in den Winterferien hierherkommen, lässt er mein Leben unbedeutend erscheinen.

Ich versuche, meine Wut zu verbergen, aber heute hat er mich herausgefordert, auf Schlittschuhen über ein gefrorenes Wasserbett zu fahren, das sich am Fuße eines Wasserfalls befand. Er wartete, bis ich in der Mitte war, bevor er ein Loch in das Eis schoss, sodass sich Spinnennetze aus Rissen bildeten. Das Wasser war so kalt. Als Vaden mich wieder ans Ufer zog, hatte ich schon so viel Hass in mir, dass ich sogar mit ihm mithalten konnte.

Wir verbringen nicht viel Zeit mit den Elite Kings, denn Mom und Vater streiten sich gerne darüber. Dad möchte, dass ich hier bei ihnen präsenter bin, aber Vater will das nicht.

Er hat ihnen beiden gesagt, dass diese Welt mich verändern wird.

»Kings, die schwarzes Blut vergießen. Willst du, dass sie eine von ihnen wird?«

Dad würde sagen, dass ich es längst bin. Ich war mehr eine King, als dass ich jemals eine Zirkusnummer sein würde. Vater würde sagen, dass das daran lag, dass ich kein Teil des Midnight Mayhem war.

Was auch immer das bedeutete.

Ich beiße mir in den Finger meines Handschuhs und ziehe daran, bis Eiskristalle über meine Handfläche rieseln. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich will, dass Mom glücklich ist. Ich will, dass Dad und Vater glücklich sind, aber ich weiß, dass ihr Streit nicht über Nacht enden wird.

»Geht es dir gut?« Moms Stimme klingt ganz anders. Sie beobachtet mich genau, ihre Gesichtszüge sind angespannt, aber ihre lilafarbenen Augen sind scharf auf meine gerichtet. Dieser Blick ist mir vertraut. Sie wird etwas sagen, das mir vielleicht nicht gefällt. Mutter ist eine Maschine, die gebaut wurde, um Männer zu bedrohen, genau wie meine Onkel, aber das hat sie nicht getan. Sie wurde weicher, als sie eine Mutter wurde, aber nicht immer.

Nur wenn sie bei mir ist.

Ihre weiche Hand streift meine Wange, als sie die Träne auffängt, die herunterrollt und eine Spur hinterlässt. »Du weißt, dass ich dich sehr liebe.«

Meine Kehle schnürt sich zu. Zu sehr. Ich kann meine nächsten Worte kaum herausquetschen, aber das Lächeln auf meinem Gesicht ist wieder da. Breit und selbstgefällig. Wahrscheinlich, weil ich weiß, dass Priest für heute in Schwierigkeiten sein wird.

Ich schnappe mir eine Handvoll Schnee und hebe sie vor ihr Gesicht. »Weißt du, warum manche Menschen die Kälte nicht spüren können?«

Moms Augen tränen. Würde sie weinen? Ich habe sie noch nie weinen gesehen. Sie ist die Zirkusdirektorin von Midnight Mayhem. Sie ist düster und ausdruckslos. Was auch immer sie traurig macht, es muss etwas Schlimmes sein. Mutter ist nie traurig.

»Nein. Warum, Noxy?« Ihr falsches Lächeln entspricht fast dem meinen. Die Art, die Risse im Make-up hinterlässt. Sie braucht keine Schminke. Mom sieht ohne viel lebendiger aus.

»Weil sie innerlich tot sind«, flüstere ich, suche ihren Blick und warte. Ich warte darauf, dass sie die Worte sagt, die ich sie schon einmal habe sagen hören. Denn ich weiß, was sie mir sagen will. Ich verstehe, warum keiner meiner Väter hier ist. Denn für den einen ist das normal. Er hat das Gleiche durchgemacht wie ein King, nur als Rebellis, und der andere ist ein Midnight Mayhem. Er versteht das nicht. Dad hätte mitkommen können, aber er hätte Vater zurückhalten müssen.

Mutter ist diejenige, die emotional stark genug ist, um es zu tun.

Sie streckt die Hand aus und berührt meinen seitlichen Zopf erneut, dieses Mal ohne Tränen. Sie hebt meine Hände, küsst sie sanft und schließt die Augen.

Erst als sie meine Hände auf ihre Brust legt, öffnet sie sie wieder. »Diese Reise ist anders, Schatz.«

Weiß sie denn nicht, dass ich aus dem gleichen harten Material gemacht bin wie sie? Ich kann damit umgehen. Was auch immer nach dem heutigen Tag passieren wird, ich bin darauf vorbereitet. Ich kann es aushalten, weil ich ihre Tochter bin. Ich bin Dads kleine Zicke und Vaters Plage. Ich kann alles schaffen, weil ich die drei als meine Eltern habe, die mich so erzogen haben, dass ich genau wie sie bin.

»Hab ich mir gedacht.« Meine Stimme bricht.

»Natürlich hast du das«, flüstert Mutter, aber nur zu sich selbst. »Du warst schon immer so viel schlauer als andere Kinder in deinem Alter.« Sie schaut über ihre Schulter, wo ein schwarzer SUV zwischen schneebedeckten Bäumen steht. Er wartet auf etwas. Oder auf jemanden.

Höchstwahrscheinlich auf mich.

»Okay, wir haben nicht viel Zeit, also drei Dinge. Hörst du mir zu?«

Als ich meinen Blick nicht vom Auto abwende, landen ihre Hände auf meinen Wangen und zwingen mich, sie anzusehen.

»Erstens: Du bist immer sicher. Das ist die andere Hälfte deines Lebens, mit der du dich prominent präsentiert hast. Wir haben es versucht – wir haben es mit Mayhem versucht, aber das warst nicht du. Hier liegt deine Zukunft.«

Sie sagt es so, als ob ich erschrocken sein sollte. Der EKC ist nicht schlecht. Sie haben alle etwas gemeinsam, was sie zusammenhält. Die Familie. Warum ist das für sie und meine Väter so abschreckend? Im Grunde sind wir doch alle eine Familie.

»Zweitens: Ich bin immer hier. Das sind wir alle. Wir sind genau hier und warten auf dich. Wenn du dieses Leben nicht willst, Luna, werden wir dich verschwinden lassen. Es heißt, man könne vor einem King nicht weglaufen, aber das kann man sehr wohl, wenn man sich nicht in einen King verliebt.« Die Worte hallen noch lange nach, nachdem sie sie gesagt hat. »Dad ist immer für dich da. Er kann deine Anrufe entgegennehmen und dich sehen, aber dein Vater und ich werden das nicht tun. Zumindest vorerst nicht.«

Okay, das ist schlimmer, als ich dachte.

»Und zuletzt, Luna, Baby, lass es dir nicht wegnehmen. Du hältst es genau hier fest …« Ihr Finger stößt gegen meine Brust. »Du hältst es fest. Du lässt es dort sitzen und hart werden, und du tust genau das, was du tun musst, um die Jahre zu überstehen.« Sie nimmt einen tiefen Atemzug. »Lebend.«

Die Geräusche der Natur verschwinden in der Ferne, während mir Säure die Kehle zuschnürt. Was meint sie mit lebend? Ich werde hier immer sicher sein. Bei ihnen. Oder?

»Lilith.«

Nach einem Kuss auf den Kopf richtet sich meine Mutter auf, wischt sich die Tränen von den Wangen und streicht ihre Traurigkeit weg, als wäre sie nie da gewesen. Als sie sich umdreht, entblößt sie eine Muskelwand hinter sich. Onkel Bishop Hayes. Er ist der Anführer des Elite Kings Clubs und bald wird mein dummer Peiniger seinen Platz einnehmen, weil es Tradition ist.

»Wir müssen jetzt gehen, bevor andere es sehen. Ihr wird es gut gehen.« Onkel Bishop ist so groß, dass mir der Nacken wehtut, als ich zu ihm aufschaue. Bei ihm werde ich sicher sein. Er scherzt immer mit mir, wenn ich hier bin. Er hat mir das Schachspielen beigebracht, genau wie Onkel Nate. Sie sagten, es sei nicht nur ein Spiel, sondern eine Strategie für das Leben, wenn man klug genug sei, es zu lernen.

Mutter lächelt, aber es ist nicht breit genug, um ihre Augen zu erreichen. Sie nimmt die goldene Kette um ihren Hals ab und legt sie in meine Handfläche. »Ich kenne die Komplexität von Geheimgesellschaften nur zu gut, Hayes, und ich weiß, wie gefährlich du, deine Familie und der EKC sind, aber wenn sie das hier nicht lebend übersteht, werde ich jeden Einzelnen von euch töten oder bei dem Versuch sterben …« Sie dreht mir den Rücken zu und klopft Onkel Bishop auf die Brust. »Ich nehme mir zuerst Madison vor, dann Priest und Halen, und dann, tja –« Die Schatten unter Onkel Bishops Gesicht verfinstern sich und ich schwöre, ein Knurren erschüttert den Wald. Die Leute haben immer Angst vor ihm. Verständlich, denke ich, aber nicht wirklich.

Onkel Bishop jagt mir keine Angst ein. Das tut keiner von ihnen, außer vielleicht er.

»Geh, Lilith.« Er rückt näher heran, sodass sie jetzt Schulter an Schulter stehen, und obwohl Mutter viel kleiner ist als er, streckt sie die Brust raus und hält den Kopf oben. Mutter hat einen Ruf, und der hängt an ihr wie eine unsichtbare Rüstung. »Solange du noch Beine hast.«

Mutter lässt sich Zeit, als sie sich ihren Weg durch den Schnee bahnt und zu einer Limousine geht, die in der Nähe des SUV wartet. Es ist derselbe Wagen, in dem sie mich hergebracht hat, in der Hoffnung, ein Gespräch fernab von meinen Vätern zu führen. Dies sollte ein ganz normaler Ausflug nach Aspen werden. Solange ich mich erinnern kann, sind wir alle einmal im Jahr hierhergefahren.

Aber ich wusste, dass dieses Mal etwas anders sein würde als sonst. Und das lag nicht nur daran, dass ich gehört hatte, wie sie darüber sprachen, dass ich eine Rebellis und die erste meiner Art sei – was auch immer das heißen mochte –, sondern auch an den Gesprächen, die ich im Laufe der Jahre mit Vater und Dad geführt hatte.

Onkel Bishop nimmt meine Hand. Sie ist klein in seiner. Er sagt kein Wort, als er mich zum SUV führt. Wenn wir Schach spielten, waren es nur er und Onkel Nate. Onkel Brantley hat nie mitgespielt. Er sah nur aus der Ecke des Zimmers zu und trank. Er trank und trank und sah zu, wie wir drei spielten. Das war ein lustiges Spiel, das mir Spaß gemacht hatte. Wir spielten es jedes Jahr, wenn wir nach Aspen kamen. Bis jetzt habe ich mich nicht gefragt, warum wir es dieses Mal nicht gespielt haben.

Ich steige in das Auto und schließe die Tür. Erst als Onkel Bishop neben mir ins Auto steigt, wird mir die Schwere von Mutters Worten wieder bewusst.

Lebend.

Was meinte sie mit lebend?

Meine Finger spreizen sich und legen die Halskette in meiner Handfläche frei. An der Seite befindet sich ein vierzackiger Stern, und in der Mitte sind die Buchstaben IV eingraviert. Die mit Diamanten und Gold besetzte Kette ist etwas, das ich bei ihr noch nie gesehen habe.

Vielleicht weil sie sie gekauft hat, bevor wir alle kamen.

»Luna, ich habe deiner Mutter mein Wort gegeben, dass wir es leichter haben werden als frühere Generationen, und ich werde es auch halten.«

Mein Blick wandert zu Onkel Bishop. »Okay. Was tue ich hier?«

»Hast du es nicht gehört?«, fragt er und hebt eine Augenbraue, als würden er und ich ein Geheimnis teilen. Verdammt. Vielleicht stimmt es ja doch. Er kann Gedanken lesen. Es gibt Leute in Midnight Mayhem, die das können, aber das ist alles Blödsinn. Gibt es irgendetwas, das ein King nicht weiß?

Er schüttelt den Kopf. »Nein. Und ja, ich weiß alles.« Er knöpft seine Anzugjacke auf und legt den Kragen darunter frei. Schwarze und graue Tätowierungen blitzen hervor. Sie ist frisch, aber blass.

»Ich könnte es dir sagen, aber ich zeige es dir lieber.«

Mein Speichel bleibt mir in der Kehle stecken. »Okay …«

Das Auto fährt weiter, bis die Müdigkeit meine Augenlider schwer werden lässt und ich schließlich einschlafe. Als ich sie wieder öffne, befinden wir uns auf einer Landebahn. Laute Düsentriebwerke heulen wie ein Wolfsrudel durch den Wald, der uns umgibt.

Meine Handfläche sticht, als ich meine Finger wieder aufzwinge. Sogar im Schlaf habe ich die Kette umklammert, bis sie Abdrücke in meiner Haut hinterlassen hat. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um traurig zu sein, also verdränge ich die Gedanken an meine Mutter.

Lichter erhellen das Rollfeld und säumen die Landebahn, die nie zu enden scheint. Warum sind wir auf einem Flughafen? Wird es so beginnen?

»Ziemlich hübsch, nicht wahr?«, unterbricht eine tiefe Stimme vom Fahrersitz meine Gedanken.

Mein Blick schweift zum Rückspiegel. Unmöglich, ihn von hier aus richtig sehen zu können, selbst wenn ich ihn kennen würde.

»Die Lichter?«, frage ich und erinnere mich an die Farben des Strips. »Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie sind ziemlich hell.«

Er gluckst und beobachtet mich aus dem Spiegel. Er muss jünger sein als Onkel Bishop. Vielleicht Mitte zwanzig.

»Sie erinnern mich an Weihnachten.« In seiner Stimme liegt eine Zärtlichkeit, die sich warm anfühlt.

Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Ich war schon immer ein Halloween-Mädchen.«

»War ja klar«, scherzt er. »Wenigstens verirren sich die Flugzeuge nicht.«

Onkel Bishop unterhält sich mit jemandem außerhalb eines schwarzen Flugzeugs. Es ist nicht so groß wie die Flugzeuge, in denen ich bisher gesessen habe, aber es ist schnittig und spitz. EKC steht in goldenen, kursiven Buchstaben über dem rechten Flügel.

»Ich weiß es nicht. Ich mag es eigentlich, verloren zu sein. Du nicht auch?«, frage ich den fremden Mann.

Die Haut um seine Augen entspannt sich. Er muss gelächelt haben. »Doch, klar. Aber nur, wenn ich den Weg hinaus kenne.«

»Aber wo bleibt denn da der Spaß?« Ich reiße spielerisch die Augen auf. »Genau da geschieht doch die ganze Magie.«

Er gluckst wieder, gerade, als ich höre, wie eine Tür auffliegt.

»Ja, du hast recht, Kleine. Du hast zu sehr recht.«

»Gut, du bist wach!« Mit dieser Stimme habe ich nicht gerechnet, und bevor ich mich aufhalten kann, springe ich auf und drehe mich um. River Malum blinzelt mich mit ihren typischen hellblauen Augen an. Ihr platinblondes Haar ist hochgesteckt und sie trägt einen strengen Pony, der ihre frische, weiche Haut zur Geltung bringt. River Malum ist wunderschön, aber wir haben noch nie miteinander gesprochen. In den Winterferien habe ich mich meistens zurückgehalten, aber das lag nicht daran, dass andere Mädchen es nicht versucht hätten. Sie haben es versucht. Ich war nur … nicht daran interessiert, was sie taten. Also habe ich mich zurückgezogen oder mit Onkel Bishop und Nate Schach gespielt.

»Ja?« Mein Blick geht zurück in den Rückspiegel, als würden der Fremde und ich uns schon eine Weile kennen und er könnte mir bei meinem Unbehagen helfen.

River verdreht die Augen und verzieht die Mundwinkel. »Luna, ich verspreche, dass ich nicht beißen werde.«

Als ich mich nicht bewege, atmet sie aus, klettert neben mich auf die Rückbank und blendet das Geräusch der Düsentriebwerke aus.

»Ich weiß, dass du nicht beißt.« Ich erlöse sie von ihrem Elend. Ich mag River, wahrscheinlich mehr als die anderen beiden.

Stella fasziniert mich am meisten.

Aber River könnte ich eines Tages mögen.

»Woher weißt du das?«, scherzt sie und verschränkt ihre Arme vor sich. Sie ist offensichtlich mit einer Skijacke und einer Schneehose von der Piste gekommen. »Ich könnte!«

Ihr neckischer Ton bringt mich zum Lächeln.

»Wie oft haben wir uns gesehen? Zwölf Mal.« Das ist nicht sehr oft.

Meine Wangen werden warm, als mir ein Kichern entweicht, aber das Wissen, dass der Mann auf dem Fahrersitz uns beobachtet, gibt mir ein beruhigendes Gefühl. Sicher. Als ob ich ihn schon mein ganzes Leben lang kennen würde. Aufgrund meines fotografischen Gedächtnisses bin ich mir sicher, dass ich nicht weiß, wer dieser Mann ist.

»Ich bin mir nicht sicher, was ich hier tue, River«, seufze ich und öffne meine Finger, um die Halskette zu enthüllen. Es hat keinen Sinn, vorsichtig zu sein und darauf zu achten, was ich sage, denn von jetzt an habe ich keine Kontrolle mehr über meine Zukunft. Wenn sie mich umbringen wollen, kann kein noch so guter Small Talk daran etwas ändern.

Rivers mandelförmige Augen richten sich auf meine Handfläche, bevor sie wieder zu mir hochwandern. Sie beugt sich vor und reißt mir die Kette aus der Hand. Was macht sie da?

Sie verdreht die Augen und dreht mich an den Schultern um.

Sie fasst meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen, legt mir die Kette um den Hals und schließt sie. »Hör zu, alles, was ich weiß, erzähle ich dir, aber über eine Sache müssen wir uns hier und jetzt einigen.«

Ich drehe mich um, meine Hand ruht auf dem Stern, der über meiner Brust hängt. »Okay. Das kann ich machen.«

»Nimm nichts davon persönlich. Das ist für uns alle ungewohntes Terrain.« Sie blinzelt und ihre Wimpern streifen fast den kleinen Schönheitsfleck unter ihrem linken Auge. »Es tut mir leid, was auf uns beide zukommt.«

Eine Welle der Angst kriecht über meine Wirbelsäule. »Warum tut es dir leid?«

Sie lächelt wieder, aber es ist so schnell verschwunden, wie es gekommen ist. »Weil es nicht leicht werden wird und ich dich vielleicht nicht oft sehen werde.«

Die Tür öffnet sich und unterbricht unser Gespräch. Onkel Bishop lehnt sich herein. »Der Jet ist bereit für euch beide.«

Ein seltsames Gefühl der Unruhe rauscht durch mein Blut wie ein Windstoß an einem schönen Tag.

River legt ihre Hand auf mein Knie und spürt mein Unbehagen. »Gut. Wir sind fertig mit Warten.«

Sind wir? Verdammt.

River steigt vor mir aus. Als ich mit einem Fuß auf dem Asphalt lande, halte ich inne und drehe mich zu dem fremden Mann um. Dieses Mal treffen seine Augen meine nicht im Rückspiegel. Er ist jung, aber vielleicht viel jünger, als ich dachte. Er ist genauso alt wie Rivers Bruder und die anderen Jungs.

Mit großen Augen und einer Haut so glatt wie Seide verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. »Wir sehen uns bald wieder, Kleine.«

»Du bist nicht viel älter als ich!«, necke ich ihn und steige aus dem Auto. Bevor ich die Tür schließe, höre ich sein Glucksen.

»Oh, wenn das nur wahr wäre …«

Mit schweren Schritten tragen mich meine Beine über das Rollfeld. Was auch immer auf der anderen Seite wartet, ich bin sicher, dass ich bereit sein werde. Denn ich habe schon immer eine gewisse Rastlosigkeit in mir verspürt. Ich habe mich mein ganzes Leben lang oft verloren gefühlt, wenn wir nicht in Aspen waren. Ich wurde in eine Zirkusfamilie hineingeboren, aber ich verachtete den Gedanken an Auftritte. Die Kluft zwischen mir und meinen Kiznitch-Vorfahren wurde damals deutlich. Alles, was damit zu tun hat, im Mittelpunkt zu stehen, weckt meinen Fluchtinstinkt. Ich habe mich nie jemandem so verbunden gefühlt wie Onkel Bishop, Nate und hoffentlich auch mit River.

Verflucht! Ich hätte mich schon vor langer Zeit mit ihr anfreunden sollen. Was ist, wenn sie ihr tief im Inneren alle ähnlich sind und ich mich die ganze Zeit von ihnen ferngehalten habe?

Die Wärme der Kabine legt sich über uns, als wir endlich drinnen sind und dem Wind entkommen. Der süße Duft von frisch gebackenem Gebäck erfüllt die Luft und lässt meinen Magen knurren. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal etwas gegessen?

Mein Mund wird trocken bei dem Gedanken, Essen hinunterzuzwingen.

»Komm schon, Lulu. Setz dich …« River ruft mich zu sich, dorthin, wo sie es sich ganz vorne gemütlich gemacht hat. Auf dem Weg zähle ich die Liegesessel.

Eins.

Zwei.

Drei.

Sechzehn, und sie sind alle leer, außer meinem und Rivers. Einige sind in Vierergruppen einander gegenüber angeordnet, einige in Paaren, und die hinteren stehen um einen Esstisch herum. Wo ist Onkel Bishop hin? Kommt er nicht mit?

River zieht den Reißverschluss ihrer Jacke auf und gibt ihre Kleidung darunter frei. Ein einfaches, weißes, langärmeliges Oberteil und eine Yogahose.

Ein Paar flauschige weiße Socken landet auf meinem Schoß, als ich mich ihr gegenüber niederlasse. »Zieh die an. Die Reise sollte nicht lang sein, aber sie haben mir immer geholfen, mich während des Fluges zu entspannen.«

Ich spiele mit dem weichen Stoff. »Hast du Angst vorm Fliegen?« Ich habe noch nicht einmal meine Schuhe ausgezogen und meine Füße in die neuen Socken gesteckt, als Onkel Nate und Bishop die Doppelsitze neben uns einnehmen.

»Hallo, Luna.«

Mein Lächeln ist nur von kurzer Dauer, als ich die Strenge in ihren Gesichtern bemerke.

»Was ist?« Die Veränderung ist spürbar. Sie schauen sich gegenseitig an, bevor sie sich wieder River und mir zuwenden.

Sie rutscht näher. »Nein, im Ernst, was ist?«

Wir sitzen beide im selben Boot, aber sie ist viel besser darin, sich abzulenken, als ich.

»Nichts. Es gibt nicht viel, was ich sagen kann, außer dass es mir leidtut.« Nate streckt die Hand aus und streichelt ihre Wange.

»Nein«, flüstert sie und ihre Ungläubigkeit drückt auf ihre Stimme.

»Was?« Ich blicke zwischen den beiden hin und her. River und ich sind im gleichen Alter, aber meine Abwesenheit in dieser Welt wird dadurch deutlich, dass River und ich Informationen ganz anders verarbeiten.

Bishop bleibt passiv, um Rivers Reaktion zu beurteilen. Das ist BVH, nicht Bishop, mein Onkel, oder Bishop, der Vater. Das ist Bishop Vincent Hayes, der Anführer des EKC.

»Du wirst uns für sieben Jahre verlassen, Luna. In diesen sieben Jahren wirst du gebrochen, geformt, gefaltet, getestet und trainiert werden, bis du dein Potenzial maximal ausschöpfst. River schlägt eine andere Richtung ein, aber ich bin mir sicher, dass du sie oft sehen wirst … oder auch gar nicht« – zwischen uns herrscht Schweigen – »Die Riverside-Eliteschulen sind nur die Fassade. Die Familie Malum-Riverside leitet die Schulen, ja, aber diese hier ist etwas anderes. Niemand wusste über Generationen hinweg von ihrer Existenz – außer denen, die sie besucht haben oder zur Malum-Linie gehören.«

Erinnerungen der letzten Jahre überfluten meinen Geist. Ich sah, wie sich meine Mutter sorgte, wie mein Vater stritt oder wie mein Dad ausrastete. Sie versuchten, mich dazu zu bringen, alles in Midnight Mayhem zu tun.

Luftakrobatik. Feuer. Kunststücke. Tricks. Zirkusdirektion.

Ich beobachtete, wie ihre Frustration und Erschöpfung nach jedem gescheiterten Versuch zunahm, und sah, wie es Mutter und Vater zunehmend beunruhigte. Auch Dad schien nicht erfreut zu sein, aber er war nicht so schlimm wie Mutter und Vater.

War das der Grund? Wussten sie, dass sie mich wegschicken würden?

Natürlich wussten sie das.

Ich mache mir nicht die Mühe, tiefer gehende Fragen zu stellen. Zu viele Fragen in dieser Umgebung würden sie nur verärgern. »Wo werde ich sieben Jahre lang sein? An dieser Schule?«

»Es geht nicht darum, wo, Luna.« Nates Blick zuckte kurz zu Bishop. Wenn ich geblinzelt hätte, wäre es mir entgangen. »Es geht darum, mit wem.«

»Mit wem?« Es ist keine Überraschung, dass River die Erste ist, die das fragt, denn sie ist schon viel länger mit den Männern und dieser Welt vertraut als ich.

Einen Moment später streift ihr Blick in die Ferne. Ihr Mund bleibt offen stehen und die Farbe verschwindet aus ihrem Gesicht. Die Hände ballende Panik kehrt zurück.

River schüttelt den Kopf. »Nein. Du kannst nicht –«

»Wir müssen«, unterbricht Bishop sie. »Und du kannst nicht Nein sagen.«

Sie lehnt sich in ihrem Sessel zurück, aber es ist, als würde man den Sonnenuntergang nach einem harten Arbeitstag beobachten. »Er wird sie umbringen.«

»Wer?«, frage ich schließlich und als Sekunden vergehen, ohne dass jemand antwortet, sinke ich ebenfalls in meinen Sessel zurück und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. So fühlt es sich an, eine Außenseiterin zu sein, obwohl mir mein ganzes Leben lang gesagt wurde, dass ich mehr EKC als Kiznitch sei. Das habe ich auch immer so empfunden.

Bis jetzt.

»Ruh dich aus«, beendet Nate das Gespräch, bevor er und Bishop sich mit gedämpften Stimmen zueinander umdrehen.

Erstes Jahr

Es ragt über mir auf wie ein Schulhofschläger, verspricht eine Geschichte der Qual, die erst erzählt wird, wenn es von dir probiert hat. Als wäre ich in eine farblose Welt aus Dunkelheit und Verstörung getreten. Mit rohem brutalistischem Baustil und pechschwarz gestrichenem Beton kommt der einzige Hauch von Leben von den Wäldern, die uns umgeben. Sogar die Stufen und die Veranda, die zur Haustür führen, sind schwarz. Ich habe keine Ahnung, wo wir gelandet sind. Sobald das Flugzeug gelandet war, wurden wir durch den Hinterausgang zu einem wartenden Stadtauto gedrängt. Ich könnte jetzt überall auf der Welt sein und kein einziger Mensch würde wissen, ob ich noch am Leben bin.

Ich bleibe stehen. Plumpe Sträucher verschlucken eine Reihe von kastanienbraunen Tulpen in der Mitte der abgerundeten Einfahrt. So beeindruckend sie auch sind, das ist es nicht, was mich innehalten lässt. Es sind verstreute Blumen mit langen Stielen und spitz zulaufenden Blütenblättern. Sie ähneln Sonnenblumen, nur dass sie – na ja – schwarz sind.

Ich strecke die Hand aus, um eines der Blütenblätter zu berühren, als mich der Wind, der durch die Bäume pfeift, überrascht. Ich ziehe die Hand zurück und klammere mich an die Kette an meiner Brust. Verdammt. Wohin haben sie River gebracht? Wird sie auch hier bei mir sein, oder waren sie nur großzügig, als sie sagten, ich würde sie oft sehen?

Äste winden sich in verknoteten Ranken um das Anwesen, als hätte die Natur ihr ganzes Leben danach gegriffen. In der Ferne schlagen die Wellen gegen die Felsen und Vögel zwitschern durch die Bäume. Ich befinde mich irgendwo in der Nähe des Wassers. Das könnte überall sein.

Abgesehen von der düsteren Ästhetik leuchtet die Haustür in Mahagoni- und Zinnobertönen. So stelle ich mir vor, wie das Sterben aussehen würde.

Ich erschaudere bei dem Gedanken und bereue sofort das Kleid, das ich auf dem Hinflug angezogen habe. Selbst mit meinem Mantel erinnert mich jeder Windstoß daran, wie ungeschützt ich bin. Schneebedecktes Gras und Moms Parfüm ziehen durch meine Haarsträhnen. Ich will nicht hier sein.

Ich trete vor und mein Stiefel landet auf dem gepflasterten Weg, der zur Tür führt. Schwarz und grau. Eine interessante Wahl. Das würde man nicht erwarten, wenn man sich die geheimnisvolle Natur des Hauses ansieht. Es sieht aus, als käme es direkt aus einem Tim-Burton-Film.

Der Wind nimmt wieder zu und schlingt seine kalten Arme um meinen Körper. Ich zittere und gehe vorsichtig vorwärts. Die Terrasse knarrt unter meinen Füßen und ich stütze mich am Geländer ab, weil ich Angst habe, durchzubrechen. Es ist glatt und glänzend, eine Art Stein oder Marmor. Der Luxus des Geldes ist mir nicht fremd, aber alles an diesem Haus scheint anders zu sein. Es ist, als würde es sich bemühen, das Gegenteil zu sein. Es liegt inmitten von Wäldern und versteckt sich tief in den Bergen. Es will nicht gesehen werden.

Es will keine Liebe oder Wertschätzung.

Ich komme an der letzten Stufe an. Soll ich anklopfen?

Mit einem letzten Funken Hoffnung drehe ich mich um und wünsche mir, dass das Auto immer noch an der gleichen Stelle parkt, an der es mich abgesetzt hat. Ich möchte River sehen oder ein vertrautes Gesicht, das mir sagt, dass alles in Ordnung ist und ich in Sicherheit bin. Selbst wenn es gelogen wäre.

Etwas packt mich am Arm. Ein Schrei reißt sich aus meinem Mund los, als ich umgedreht werde. Diesmal ist es nicht die Tür des Todes, die mich anstarrt. Es ist eine Gestalt, die so groß ist, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um zu ihr aufzuschauen. Bekleidet mit einem einfachen schwarzen T-Shirt, Jeans und dicken, militärischen Stiefeln, ist er viel größer als ich. So viel größer.

»Kann ich dir helfen?«

Als ich endlich sein Gesicht erblicke, dreht sich mein Magen um. In Schwarz und Weiß ist der berüchtigte Schädel des Elite Kings Club auf sein Gesicht gemalt, sodass man nicht erkennen kann, wer es ist.

Kenne ich ihn?

Wahrscheinlich nicht.

Ich versuche, mich auf seine Augen zu konzentrieren, denn sie sind das Einzige, was ich sehen kann, aber die Sonne ist hinter dem Berg verschwunden, was bedeutet, dass wir etwa zehn Minuten von tiefer Dunkelheit entfernt sind. Vielleicht kenne ich ihn und er mag mich nicht.

Das ist nicht ungewöhnlich. Die meisten Menschen mögen mich nicht.

Ich verschränke die Arme. »Willst du etwas sagen?«

Bevor ich eine weitere Frage stellen kann, zerrt er mich ins Haus. Die Worte von River hallen noch immer in meinem Kopf nach.

»Er wird sie umbringen.«

Marmorne Adern durchziehen obsidianfarbene Wände, bevor sie auf einen Boden treffen, so hell wie Knochen. Dieses Haus stellt einen Menschen dar. Da bin ich mir sicher.

Graue Sofas füllen den offenen Raum, und ein großes Fenster vertreibt die Dunkelheit, wo kurz zuvor noch die Sonne untergegangen ist. LED-Lichter verteilen sich über den Außenbereich wie eine Landebahn und heben den Infinitypool hervor, der scheinbar über die Klippe hinaus in die Tiefe stürzt.

Die Tür schließt sich hinter mir, bevor schwere Schritte vorbeistapfen. Seine Schulter streift meine, als er ins Wohnzimmer geht. Meine Kehle wird trocken. Ich bin hier ganz und gar nicht in meinem Element. Die Frage ist nur, ob ich diese Tatsache weiter verstecken sollte.

Flackernde, rotgoldene Flammen tanzen im riesigen Kamin, während er hinter einem Schrank mit Alkoholflaschen abtaucht. Im schummrigen Licht ist es schwer, sein Profil zu erkennen, doch ich werde das nagende Gefühl nicht los, dass ich diesen Mann kennen muss. Ich muss es einfach. Bishop und Nate würden mich niemandem anvertrauen, der kein King ist, Totenkopf hin oder her. Ich muss ihn kennen. Ich kenne nicht alle EKC-Mitglieder, aber die meisten der zehn Gründerfamilien schon.

Es gibt nicht genug Dekoration, um mich von meinen Gedanken abzulenken. Keine Fotos oder Kunstwerke. Ein einfaches, verschnörkeltes Geländer zeichnet die Struktur des Hauses von der oberen Etage aus nach und wirft einen Schatten auf die untere Etage, die einem Loft gleicht. Die gotische Eleganz wird durch die kathedralenartigen Fenster über dem Eingang und die herabhängenden Onyxkristalle des Kronleuchters noch verstärkt. Ein leiser Hinweis, dass ich mich vielleicht in einer ungewissen Situation befinde, aber ich bin immer noch auf King-Territorium. Nur sie schaffen es, dass Opulenz sich wie ein Todesurteil anfühlt.

Ich trete in die Tiefen der Hölle ein und halte inne, als sich die Luft im Raum verdichtet. Ein eiskaltes Gefühl überzieht mein Gesicht wie ein Frostbrand.

Hier gibt es noch einen. Versteckt in der dunkelsten Ecke des Raumes schluckt er alles Licht, das ihn umgibt. Er sitzt entspannt mit gespreizten Beinen in einem Ohrensessel und die Spitze seines Stiefels bewegt sich ein wenig. Mein Herz schlägt langsamer. Die Tatsache, dass ich denjenigen, der mich draußen getroffen hat, nicht kenne, spielt keine Rolle mehr.

Ich weiß ganz genau, wer das ist.

Wie in Zeitlupe tauchen seine Hände aus dem Schatten auf, als er sich nach vorne beugt und die Arme auf die Oberschenkel stützt. Ein Hoodie verhüllt sein Gesicht, aber meine Beine werden zu Wackelpudding, als er den Kopf hebt. Ich greife nach dem Sofa, um meinen Sturz abzufangen, denn anders als der erste Junge versteckt sich dieser hier nicht hinter der Totenkopf-Bemalung. Er trägt seine Identität offen zur Schau, wie eine Drohung, von der ich weiß, dass er sie wahr machen kann.

Priest Hayes ist die Verkörperung des Schreckens. Über die Jahre hat er nie viel mit mir zu tun gehabt, aber in den Momenten, in denen wir einander begegnet waren, ließ er mich unmissverständlich wissen, dass er mich hasste. In manchen Momenten ist es offensichtlicher als in anderen, wie zum Beispiel heute oder gestern – scheiße, ich habe schon das Zeitgefühl verloren – als er versucht hat, mich zu töten.

Er ist nicht zu lesen, anders als die meisten. Ein vollkommen steifer Leichnam, der keine Seele hat.

Ehrlich gesagt, will er alle töten. Und wenn ich alle sage, meine ich alle.

»Nun.« Seine Mundwinkel verziehen sich leicht. »Siehst du nicht aus wie der pure Wahnsinn?«

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Warum bin ich mit ihm hier, und wer … Ich drehe mich abrupt nach dem Mann um, der mich draußen empfangen hat. Er umrundet das Sofa und steuert auf das zu, das dem Fenster am nächsten steht.

»Welcher von ihnen bist du?«