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Er hat geschworen, mich zu beschützen. Er hat versagt. Sie alle haben versagt. Ich bin eine offene Schachtel mit alten Fotos, aufgenommen im klaren Tageslicht, aber mit Sepia-Filter. Ich bin die Vergangenheit, die er zu vergessen versuchte, und er war die Zukunft, die ich brauchte. Als er vor vier Jahren ging, habe ich jede Nacht nach ihm geschrien. Aber dann hörte alles auf. Meine Schreie wurden plötzlich durch Grausamkeit gedämpft und durch Schmerz noch weiter unterdrückt. Aber er ist zurückgekommen. Er ist nicht mehr der süße Pflegebruder, in den ich heimlich verknallt war, oder der böse, reiche Bengel, den ich nicht lieben wollte. Er ist der skrupellose Vizepräsident der Wolf Pack MC, und er hört nicht mehr auf den Namen Royce Kane. Er hört auf Sicko.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Amo Jones
Sicko
Übersetzt von Patricia Buchwald
SICKO
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »SICKO«.
SICKO
Copyright © 2020 by Amo Jones
All Rights reserved. No part of this publication may be reproduced, distributed, or transmitted in any form or by any means, including photocopying, recording, or other electronic or mechanical methods, without prior written permission of the publisher, except in the case of brief quotations embodied in reviews and certain other non-commercial uses permitted by copyright law.
This book is a work of ficition. All names, characters, locations, and incidents are products of the author’s imaginations. Any resemblance to actual person’s, things, living or dead, locales, or events is entirely coincidental.
Published by arrangement with Bookcase Literary Agency Corp.
The moral rights of the author have been asserted.
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe © 2025
SICKO
by VAJONA Verlag GmbH
Druck und Verarbeitung:
FINIDR, s.r.o.
Lípová 1965
737 01 Český Těšín
Czech Republic
Lektorat: Patricia Buchwald
Korrektorat: Anne Masur
Umschlaggestaltung: Graphics from the Modern Belle
Satz: VAJONA Verlag GmbH,
unter Verwendung von Canva
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
ISBN: 978-3-9871838-8-1
An meine Dunkelheit.
Denn die Bitch kam wirklich raus, um hier mitzuspielen.
Wie die meisten von euch wissen, habe ich normalerweise keine Warnhinweise in meinen Büchern. Mein Hauptgenre ist Dark Romance, also erwarte ich, dass meine Leserinnen und Leser einfach wissen, dass sie etwas Düsteres und Verdrehtes erwarten, sobald sie die erste Seite eines Amo Jones-Buches aufschlagen.
Dieses Buch ist anders. Das ist »mein Level« von Dark Romance. Es ist düster. An manchen Stellen wirst du dich winden, aber nicht so, wie du es wahrscheinlich gewohnt bist oder erwartest.
Es gibt Szenen auf diesen Seiten, die für dich unangenehm zu lesen sein werden. Ich habe nichts abgeschwächt. Ich habe diese Figuren so authentisch wie möglich geschrieben, weil ihr das verdient habt. Ich habe nichts beschönigt, um es leichter verdaulich zu machen. Ich habe jede Szene in Tequila ertränkt, und genau wie ein Shot Patron muss er geschluckt werden, bevor man seine Wirkung spürt.
Bitte nehmt diese Warnung nicht auf die leichte Schulter. Diese Charaktere sind anders als alles, was ich bisher geschrieben habe, und diese Geschichte ist auch für mich Neuland.
Dieses Buch ist dark, aber jedes einzelne Wort und jede Szene, die hier vorkommen, haben einen Grund. Ich habe es nicht wegen des Schockeffekts geschrieben. Es ist einfach eine Geschichte, die so erzählt werden musste, wie sie dargestellt wurde.
Wenn du immer noch hier bist, willst du sie wohl trotzdem lesen … also, legen wir los …
ROYCE
Da war eine Frau.
Sie war wahrscheinlich ganze dreißig Zentimeter kleiner als ich mit meinen ein Meter neunzig. Ich wollte sie aus der Nähe betrachten, um zu verstehen, warum sie mich so sehr faszinierte, aber das Rascheln der Blätter, die um meine Füße herumfielen, lenkte mich so sehr ab, dass ich vergaß, Fragen zu stellen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, über die Umstände nachzudenken, die mich an diesen Punkt in meinem Leben führten.
Ein verdammter Tiefpunkt ohne Fundament, auf dem man wieder aufbauen kann.
Ich drückte den Gasschlauch fest zu. Wer zum Teufel war diese Frau? Ein übergroßer Hoodie hing achtlos von ihrer zerbrechlichen Figur herunter, ihr langes dunkles Haar floss in geschmackvollen Wellen über ihre Schultern. Ich konnte keinen guten Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Sie tat eindeutig alles, um es zu verbergen. Ich nahm an, dass sie etwas wollte, denn sie rührte sich nicht von der Stelle, von der aus sie mich anstarrte, und drehte ihren Körper spürbar zu mir hin.
Ich nickte ihr höflich zu, als ich merkte, dass sie nicht aufhören würde zu glotzen. Ich war auch verdammt paranoid. Nach dem, was gerade passiert war und was wir durchgemacht hatten, musste ich schnell von hier verschwinden.
Ich beobachtete, wie ihr Gesicht hinter dem Rand ihres Hoodies hervorkam und ihre großen grünen Augen auf mich gerichtet waren. Sie warf einen Blick in den Kofferraum meines Autos, bevor sie sich wieder mir zuwandte. »Bist du auf der Flucht, Hübscher?« Ihre Stimme war rauchig, so als hätte sie ihr ganzes Leben lang Zigaretten geraucht. Abgesehen von ihrem Hoodie war nichts Verdächtiges an ihr.
Ich gluckste. »So was in der Art.«
Für eine Sekunde, und ich meine eine verdammt kurze Sekunde, blitzte Dunkelheit über ihren Augen auf. Fast wie eine Wolke, die die Sonne an einem klaren Sommertag verdunkelt. Doch so schnell wie sie da war, war sie auch wieder weg.
Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Nun, es gibt einen Ort am Rande der Innenstadt von LA. Die Bar heißt Patches.« Sie musterte mich. »Ich kann nicht versprechen, dass sie einen hübschen Kerl wie dich reinlassen, aber du kannst es ja mal versuchen.«
Ich stand nur da, während die Zapfsäule im Hintergrund piepte und mein Mund leicht offenstand. Ich ging in den Laden, um mein Benzin zu bezahlen, und bevor ich mich bedanken konnte, war sie auch schon verschwunden.
J A D E
Ich wünschte, ich könnte mich an den Tag erinnern, an dem ich in der Kane-Familie willkommen geheißen wurde, aber ich war kaum alt genug, um lebhafte Visionen in meinem Kopf zu erschaffen. Ich war ein paar Tage alt, als ich verlassen und vor der Haustür des örtlichen Waisenhauses in einer schäbigen Gegend von San Francisco abgesetzt wurde. Ich weiß nicht viel darüber, was passiert ist. Nicht, weil die Kanes nicht wollten, dass ich es weiß, sondern weil ich nie danach gefragt hatte. Dass ich als Baby von meinen Eltern ausgesetzt wurde, ist alles, was ich wissen muss. Ich hatte Glück, dass Mr. und Mrs. Kane am nächsten Tag da waren, um für ihren Sohn einen kleinen Bruder zu finden, mit dem er spielen konnte.
Stattdessen bekam er eine Schwester.
Royce war zwei, als ich nach Hause kam, und er war nicht begeistert, dass er eine Schwester statt eines Bruders bekam.
Anscheinend hat er fünfundvierzig Minuten gebraucht, um mit mir zu reden, aber danach haben wir nicht mehr aufgehört. Jetzt bin ich fünfzehn Jahre alt. Man könnte sagen, die Dinge haben sich geändert.
»Royce!«, schreie ich meinen nervigen Bruder an, während er um den Basketballplatz in unserem Garten kreist und mein Handy in die Luft hält. »Gib es mir sofort zurück, verdammt!«
Er lacht so laut, dass ich seinen Mund am liebsten mit meinem Fuß bekannt machen würde. Royce ist im Laufe der Jahre immer nerviger geworden, aber ich weiß genau, wenn ich etwas brauche, würde ich zuerst meinen großen Bruder fragen.
Er muss mitten im Lauf gestoppt haben, denn ich knalle mit dem Gesicht gegen seinen Rücken, bevor ich zu Boden falle. Der blaue Himmel schwimmt über mir inmitten des gelben Sonnenscheins.
Ein Arm legt sich um meinen Rücken und bringt mich sicher wieder auf die Beine. »Nee, du darfst mir noch nicht sterben, Duchess. Du schuldest mir noch die zwanzig Dollar.«
Ich stoße mich von seiner Brust und ignoriere, wie hart seine Muskeln unter dem Hemd sind. »Gib mir mein Handy!« Ich strecke ihm meine Hand entgegen und lege die andere an meine Hüfte.
»Ich habe gehört, dass einer von den kleinen Freshmen in der Schule mit meiner Schwester ausgehen will …«, stichelt er und in diesem Moment höre ich eine andere Stimme hinter mir.
Orsons Pfiff dringt durch mein Trommelfell. »Verdammt, jemand, der die Regeln noch nicht kennt? Wusste er nicht, dass man die kleine Miss Jade Kane nur über ihre großen Brüder zu einem Date ausführen kann?« Natürlich hat mein nerviger Bruder auch nervige Freunde, die ebenfalls nervig meinen – so genannten – nervigen Arsch beanspruchen. In der Schule bin ich unantastbar. Was nicht hilfreich ist, wenn es einem nichts ausmacht, angefasst zu werden.
»Er ist neu. Ich werde ihn freundlich abweisen«, flehe ich Royce an und beobachte, wie sein Daumen über meinem Handy schwebt. Er würde mein Handy nicht wirklich durchsuchen, aber wenn eine SMS ankäme, während er es in der Hand hält, würde er sie bestimmt lesen … Ding!
Fuck.
Er legt den Kopf schief. Ich beobachte mit Schrecken, wie seine Augen über die Worte fliegen, die erschienen sind.
Er starrt mich an. »Wer ist dieser kleine Scheißer?«
»Was hat er geschrieben?«, fragt Orson und fährt sich mit den Fingern durch sein dunkles, lockiges Haar. Orson ist ein ein Meter achtzig großer, halb mediterraner Franzose, halb amerikanischer Basketballgott und einer von Royce’ besten Freunden. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht genau, wie sie sich so nahe gekommen sind, denn Orson ist talentiert und hat die Highschool als Klassenbester abgeschlossen. Royce ist nicht dumm, aber er kann ein Idiot sein. Ja, das ist ein Unterschied. Außerdem wurde Orson gerade in die NBA gedraftet, was die Liste der Gründe, warum ihn so viele Mädchen wollen, nur noch länger macht. Ich war die meiste Zeit meines Lebens in ihn verknallt, bis ich die Mädchen sah, auf die er abfuhr. Sie waren alle so wunderschön. Eine Nummer zu groß für mich. Seine glatte braune Haut und seine dunkelgrünen Augen waren der Hammer, aber wenn er sein hübsches Lächeln aufblitzen ließ, fielen alle Mädchen in Ohnmacht. Das hatten er und Royce auf jeden Fall gemeinsam, aber das war auch schon alles.
»Er hat gesagt, dass er will, dass sie sich rausschleicht«, zischt Royce und seine Finger fliegen über meine Tastatur.
»Royce.« Ich schüttle den Kopf und schimpfe mit ihm. »Ich bin fünfzehn, verdammt. Das ist viel weniger als das, was du in meinem Alter gemacht hast, und das weißt du verdammt gut.«
»Das ist nicht der Punkt.« Er starrt mich an, sein Daumen schwebt über der Sendetaste. »Ich habe meinen ganzen Scheiß durchgemacht, damit du es nicht tun musst.« Er zwinkert mir zu. »So bin ich ein guter Bruder.«
»Royce«, jammere ich und stampfe mit der Sohle meiner Vans auf den Beton.
Orson lässt den Basketball zwischen seinen Beinen hüpfen, zielt auf den Korb und wirft von der Dreipunktelinie.
»Ihr werdet nie aufhören, auf ihr herumzuhacken.« Eine weitere vertraute Stimme ertönt hinter mir und ich drehe mich zu dem dritten Jungen um, der die dreifache Bedrohung vollendet – Storm Mitchell.
Royce, Orson und Storm sind seit der Grundschule beste Freunde – das heißt, ich kenne sie praktisch mein ganzes Leben lang. Storm Mitchell war nicht wie Orson oder Royce. Storm war der klügste Junge in unserer Schule und hatte einen IQ, der das bestätigt. Er hatte nie eine Freundin – obwohl ihn viele wollten – und er hatte seinen Laptop immer bei sich. Stormy wollte die Welt eines Tages von all ihren Problemen befreien, er musste nur die richtige App dafür entwickeln. Storm hat blondes Haar, graue Augen – passend zum wütenden Himmel – und seine Haut ist so weiß wie Schnee. Seine Wimpern sind dicht, seine Zähne gerade. Er ist die Perfektion in einer seltsamen Verpackung. Ich liebte Stormy, auch wenn er nie lächelte. Nach einer Weile gewöhnt man sich daran.
»Ja«, sage ich zu Storm, während er die Ärmel seines Shirts hochkrempelt. »Royce versucht, einen Jungen zu erschrecken, dem ich schon gesagt habe, dass ich ihn abweisen würde.«
»Weil besagter Junge versucht, dich dazu zu bringen, dich nach Einbruch der Dunkelheit hinauszuschleichen«, spottet Royce über mich. Die Art, wie er den Mund verzieht, lässt mich daran denken, wie gerne ich ihm ins Gesicht schlagen würde. »Ich gebe dir dein Handy später zurück.«
Er dreht sich um und geht weg.
»Royce!«, schnauze ich, aber er bleibt nicht stehen. »Ich meine es ernst! Ich folge dir heute überall hin, bis du mir mein verdammtes Handy gibst!«
Royce dreht sich um und leckt sich über die Lippen. Seine Lippen waren schon immer ablenkend. Ich wette, sie sind wirklich verdammt weich. Ich erinnere mich, dass Jessica Rueben letztes Jahr mit Royce geschlafen hat und dann in der ganzen Schule über seine – ähm – Fähigkeiten geredet hat. Sie hat monatelang geweint, als er sie nach einer Nacht nicht zurückgerufen hat.
»Ach ja?« Er geht rückwärts mit einem nervigen Grinsen im Gesicht. Die Tatsache, dass mein Bruder schmerzhaft attraktiv ist, ist nebensächlich und überhaupt nicht hilfreich, wenn es darum geht, dass er und ich uns streiten. »Dann kommst du wohl mit auf das Boot.«
»Fuck.«
Er verschwindet im Haus und ich drehe mich um, um zu sehen, wie Orson einen weiteren Dreier wirft. Ich wollte heute nicht mit ihnen auf das Boot gehen, denn eigentlich wollte ich mich heute Abend rausschleichen und mich mit Colson treffen.
»Weißt du, du musst aufhören, mit dem Jungen zu spielen …«, stichelt Orson und lässt den Ball gekonnt zwischen seinen Beinen hüpfen. Er hebt die Arme, schnippt mit dem Handgelenk und wirft den Ball durch den Kettenkorb. »Du tanzt mit dem Teufel.«
»Der Teufel tanzt nicht.« Ich strecke ihm die Zunge raus und stürme zurück zum Haus. Bootpartys sind etwas, das alle reichen Kinder schmeißen und immer in einer Katastrophe endet. Ich hasse es, zu ihnen zu gehen. Ich trinke nicht. Ich schlafe nicht mit Jungs – dafür gebe ich Royce die Schuld – und im Großen und Ganzen würde ich mich für ein ziemlich braves Kind halten.
Vor allem, wenn man mich mit meiner besten Freundin Sloane vergleicht.
Ich laufe die Marmortreppe hinauf in den zweiten Stock und bleibe vor meiner Zimmertür stehen. Da ist mein Zimmer und gleich daneben das von Royce. Zwei Gegensätze, aber keiner könnte wirklich ohne den anderen leben. Seine Tür steht einen Spalt offen und meine Wut hat sich etwas gelegt. Das passiert, wenn ich mich mit Royce streite – oft.
Ich drücke leicht gegen die Tür, bis sie aufschwingt. Royce’ Zimmer ist dunkel, stimmungsvoll und schäbig. Die Wände haben die Farbe von frisch vergossenem Blut und sind mit weißen Seidenborten verziert und seine Möbel sind alle aus altem, mattiertem Holz. Sein Bett sieht aus wie aus einem alten viktorianischen Porno, und apropos Porno, er hat eine ganze Menge davon an den Wänden.
Meine Wangen werden heiß und meine Hände jucken. »Kann ich bitte mein Handy zurückhaben?«
Er lehnt am Kopfende seines Bettes, ohne Hemd, ein Fuß hängt über der Bettkante, den anderen hat er an die Brust gezogen und den Ellbogen darauf gestützt. Seine Augen sind auf meine gerichtet, verhangen und glasig. So ist Royce nun mal. Übermütig, frech und sich verdammt bewusst, was er alles auf den Tisch bringt, nur um einen zu vernaschen. Er weiß genau, was er dem anderen Geschlecht antut, und genau deshalb tut er es auch. Ich weiß nur nicht, für wen er sich hält, wenn er es mit mir versucht.
»Roy?«, murmle ich und flehe mich selbst an, meinen Blick nicht auf seine Brust fallen zu lassen. Es ist keine große Sache, ich habe ihn schon ein paar Mal nackt gesehen – aus verschiedenen Gründen. Erstens trägt er fast nie Kleidung und zweitens teilen wir uns ein Badezimmer. Aus einem Ghettoblaster in der Ecke seines Zimmers, was typisch für ihn ist, ertönt leise Blueberry Yum Yum. Er mag die alte Musik von Luda sehr.
Er legt den Kopf schief. »Willst du dich mit ihm rausschleichen?« Sein Ton ist bedrohlich, aber auch faszinierend. Er fährt mit der Hand über seine harten Muskeln, bis hin zum Knopf seiner Jeans. Er knöpft ihn auf, bevor er aufsteht und mein Handy auf sein Bett wirft.
Ich stoße mich einen Zentimeter vom Türrahmen ab, bereit, mich darauf zu stürzen.
»Na dann los, Duchess.« Seine Augen richten sich auf meine, und seine weichen, geschwungenen Lippen legen sich über seine außergewöhnlich geraden Zähne. Er zuckt mit dem Kopf in Richtung des Bettes, eine Hand schleicht in seine Hose. »Komm und hol’s dir.«
Mein Gehirn hat einen Kurzschluss. Ich versuche, mir einzureden, warum das nicht so schmutzig klingen sollte. Bruder.
Mit zwei Schritten springe ich auf sein Bett und lande mit dem Handy in der Hand und einem selbstgefälligen Lächeln auf meinem Bauch. Dieses Lächeln schwindet, als er plötzlich seine Faust in meinem Haar hat und meinen Kopf nach hinten zieht. Ich schlucke gegen die plötzliche Enge in meiner Kehle an. Er zieht meinen Kopf an den Haaren nach hinten und ich hoffe wirklich sehr, dass jetzt niemand hereinkommt, denn das würde wie Inzest aussehen.
Ich schaue zu Royce hoch, während er von hinten auf mich herabschaut und seinen Kopf immer noch schief hält. »Hmmm, ich will mir nicht vorstellen, dass irgendein kleiner Scheißer genau diese Sicht hat.« Sein Blick wandert meinen Rücken hinunter und landet auf meinem Hintern. Er hält inne. »Das würde mich ziemlich wütend machen.« Er kehrt zu meinem Gesicht zurück und streicht sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Und du weißt, wie ich werde, wenn ich wütend bin, Duchess.« Er zieht die Brauen zusammen.
Ich schlage seinen Arm weg, sein Kopf fällt nach hinten und ein lautes, bellendes Lachen schallt durch das Zimmer. Er umklammert seinen Bauch. »Tut mir leid, Dutch. Das werde ich nicht noch einmal machen.«
Ich rolle von seinem Bett. »Du bist ein Arschloch, und um deine Frage zu beantworten …« Als ich wieder in der sicheren Zone bin, also, in der Nähe der Tür, sehe ich ihn an. »Es würde mich nicht stören, wenn er mich so ansieht.« Sein Lachen verstummt und die Temperatur im Raum sinkt auf ein Level, das einem Iglu gleichen könnte.
Er macht einen Schritt. »Nimm das zurück.«
Jetzt ziehe ich die Brauen zusammen. »Nein!«
Er stürzt sich auf mich, aber ich bin zu schnell, mache auf dem Absatz kehrt und schreie, als ich die zwei Schritte zu meiner Zimmertür zurücklege. Ich husche in mein Zimmer, aber als ich die Tür zuschlagen will, schiebt sich sein Arm dazwischen und hält sie auf.
Ich schreie wieder auf. »Royce!« Mein Herz springt in meiner Brust herum und Hitze durchströmt meinen Körper. »Es tut mir leid!«
Er fliegt nach vorn, sein Arm legt sich um meinen Rücken und sein schwerer Körper fällt auf meinen. Ich lande mit einem dumpfen Aufprall auf meinem Bett, wobei die gelbe Bettdecke als Landeplatz dient.
»Royce!« Ich stoße gegen seine Brust und ein Lachen vibriert in mir.
Er packt mich an den Handgelenken und hält meine Arme über meinem Kopf fest. »Sag mir, dass du ihn nicht ficken wirst.«
Schließlich verstummt mein Lachen und meine Augen treffen auf seine. Er ist so nah, dass ich die Hitze auf seiner Nasenspitze spüren kann.
»Was?«, frage ich und schaue ihm in die Augen. »Warum sagst du das überhaupt?«
Der Muskel in seinem Kiefer spannt sich an. »Versprich es mir einfach, Duchess.« Sein Ton ist sanft, aber in seiner Stimme schwingt Schmerz mit. Warum ist das so wichtig für ihn?
»Royce«, schnaube ich und mustere sein Gesicht. Von seiner weichen, gebräunten Haut bis zu seiner scharfkantigen Kieferlinie. Seine Haut ist frei von Tattoos, aber er redet immer davon, sich tätowieren zu lassen. Als er nicht lächelt, grinst oder gar den Blick von mir abwendet, schüttle ich den Kopf. »Ich verspreche es, aber Roy, du musst dir darüber keine Sorgen machen.« Meine Augen weiten sich vor Unverständnis über meinen aufdringlichen Bruder.
»Ach wirklich?« Seine blauen Augen wandern meinen Hals entlang zu meinen Brüsten. Er richtet seinen Blick wieder auf meinen. »Da bin ich ganz anderer Meinung.«
»Royce …«, warne ich.
»Jade«, flüstert er und mimt meinen Tonfall nach.
»Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Ganz und gar nicht.« Wieder weite ich meine Augen und hoffe, dass er versteht, was ich meine.
»Glaubst du etwa, ich weiß nicht, dass du noch Jungfrau bist?« Endlich verschwinden die Sorgenfalten und ein Grinsen schleicht sich auf seinen Mund. »Baby, was glaubst du denn, wer sie abschreckt?« Mein Lächeln verschwindet, aber bevor ich ihm antworten kann, verschwindet sein Gewicht über mir und er geht auf die Tür zu. »Sei in zwei Stunden fertig und lass Sloane zuhause.« Klar, er weiß ganz genau, dass ich Sloane nicht zurücklassen werde.
Er knallt die Tür hinter sich zu und ich zeige ihm den Mittelfinger, während ich durch meine Kontaktliste auf meinem Handy scrolle. Ich öffne eine Nachricht an Sloane, aber bevor ich die Worte eintippen kann, poppt eine SMS auf.
Royce: Ich meine es ernst. Lade sie nicht ein.
Ich werde sie von Bord werfen.
Ich schüttle den Kopf und rolle mich auf den Bauch, während ich durch meine Musikplaylist scrolle. Ich verbinde mich über Bluetooth mit meinem Sound-Dock und drücke auf Sacrifice von Jessie Reyez.
Ich: Ich brauche eine Freundin, die mich begleitet.
Royce: Seit wann brauchst du eine Freundin? Und außerdem brauchst du keine Freunde, wenn du große Brüder hast. Eine Stunde und fünfzehn Minuten.
Ich werfe mein Handy auf mein Bett und fluche vor mich hin. Er hat recht, aber er versteht auch keine Mädchen. Vor allem Mädchen wie Sloane, die ausflippen wird und das als kompletten Vertrauensbruch ansieht.
Ich gehe durch den Raum und fange an, alles zusammenzusuchen, was ich brauchen werde. Kurz gesagt, ich liebe es, auf das Boot zu gehen, aber ich würde lieber ausgehen, wenn der einzige Zweck dafür nicht ist, sich mit Idioten zu betrinken. Allerdings habe ich es geschafft, mein Handy zurückzubekommen. Ich könnte die Bootstour auch einfach ausfallen lassen und jetzt wegrennen …
Meine Tür schwingt auf und schlägt gegen die Wand meines Zimmers. Royce steht auf der Schwelle und grinst. »Denk nicht mal dran.«
Seufzend schnappe ich mir meinen Bikini. »Gib mir ein paar Minuten.« Ich schließe die Badezimmertür hinter mir und schlüpfe in einen pastellrosafarbenen Bikini und Shorts. Ein Shirt brauche ich nicht, denn meine Brüste quellen nicht gerade hervor. Ich ziehe die letzte Schublade unter der Theke auf und nehme mein kleines weißes Tuch heraus, das ich hinter meinem Hinterkopf halte und den Rest meiner langen braunen Haare oben auf meinem Kopf zusammenbinde. »Beeil dich!« Royce klopft an meine Tür und ich zucke zusammen und zeige ihm den Mittelfinger.
»Ich komme ja schon!« Schnell schnappe ich mir ein Handtuch und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. »Wessen Boot nehmen wir?«
Royce’ Augen scannen meinen Körper. Andere Mädchen würden bei der Aufmerksamkeit von Royce Kane erröten, ich will das nicht. Und warum? Weil er nur zusammenfasst, was ihm nicht gefällt. Ich wette, er hat schon beschlossen, dass ich einen Sack tragen muss. Seine Wimpern fächern sich über seine hohen Wangenknochen, als sein Blick meine Füße streift, bevor er wieder zu mir hochwandert. »Auf dem Wasser wird es kalt, das weißt du doch.«
Ich schnappe mir einen Hoodie und schiebe mich an ihm vorbei. »Gut.«
Royce folgt mir schließlich, als wir uns auf den Weg nach unten zur Haustür machen. Wir wollen gerade gehen, als Mr. Kane aus der Küche kommt.
»Geht ihr mit Green Stone aus?«, fragt Mr. Kane uns beide, aber seine Augen bleiben auf Royce gerichtet. Green Stone ist der Name von Royce’ glänzend schwarzer und jadegrüner Nautique G25, auch bekannt als sein Baby.
Mr. Kanes Augen treffen meine, blaue Ozeanflecken, die so tief sind, dass sie mich ganz verschlucken könnten.
Meistens habe ich keine gute Beziehung zu Mr. Kane, und wenn er und ich allein sind, ist die Atmosphäre etwas angespannt. Entweder wollte er mich nicht adoptieren, oder ich war einfach nicht das, was er wollte.
»Ja, es ist schon eine Weile her.« Royce rempelt Dad mit seiner anderen Schulter an. »Willst du mitkommen? Oder wirst du zu alt für das Wakeboard?«
Dad rempelt zurück, gluckst und spannt dabei seine prallen Armmuskeln an. »Ich kann dich, Orson, und diesen kleinen Scheißer Storm Bankdrücken.« Seine Augen richten sich wieder auf mich. »Und Jade auch noch draufwerfen.«
Royce gluckst und seine Hand ergreift meine. Er schiebt mich hinter sich. »Nein, Jade könnte fallen und sich diesen hübschen kleinen Kopf verletzen.«
Dad lacht und verschwindet wieder in der Küche, während wir zur Zehnfachgarage gehen. Die Sonne prasselt auf meine Haut und keine einzige Wolke am Himmel stört sie, als Royce den Stromkasten aufmacht, um das Garagentor zu öffnen. Soweit ich weiß, ist das Haus schon seit ein paar Generationen im Besitz der Familie Kane und wurde im Laufe der Jahre nur erweitert und verändert. Die Garage wurde von Dad und Mom angebaut. Sie brauchten sie, als Royce entdeckte, dass er alles liebt, was schnell ist, also auch Autos und Boote, und was Royce will, bekommt er auch. Natürlich schloss mich das mit ein. Als ich bereit war, konnte ich mir aussuchen, welches Auto ich wollte, aber es fühlte sich nie richtig an, also habe ich es hinausgezögert. Mom hat gesagt, dass ich den BMW nehmen werde, ob ich ihn will oder nicht.
Royce wirft seine Schlüssel in den Ford Raptor und ich springe auf den Beifahrersitz und schließe die Tür hinter mir.
Ich hole mein Handy heraus und schicke eine Nachricht an Sloane, die wahrscheinlich stinksauer auf mich sein wird, weil ich sie nicht mitnehme, aber Sloane ist mit allen befreundet. Sie wird für heute Abend eine andere Beschäftigung finden.
Ich: Ich wurde dazu überredet, mit dem Boot rauszufahren. Sorry! Sehen wir uns später?
Ich beuge mich vor, um den Schlüssel im Zündschloss umzudrehen, und scrolle durch meine Playlist, während Royce das Boot aufbockt. Fünfzehn Minuten später schlüpfen Orson und Storm auf den Rücksitz und wir machen uns auf den Weg. Ich drücke auf Start bei Tech N9ne, weil ich seinen aggressiven Ton brauche, um meine Gedanken zu beruhigen.
Ich lasse das Fenster herunter und lege meine Füße auf das Armaturenbrett, während Orson mir einen Wine Cooler aus dem Kofferraum reicht.
Ich schüttele den Kopf. »Was ist das? Lila Jack Daniels?«
Orson macht den Deckel auf und trinkt einen Schluck. »Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass es dir schmecken würde.«
Royce drückt vom Fahrersitz aus mein Bein und ich beobachte, wie die Sonne hinter seinem Kopf strahlt. Er hat seine Cap nach hinten gedreht und seine Lippen glänzen, weil er vor ein paar Minuten mit seiner Zunge über seine Oberlippe geleckt hat. Seine beiden Grübchen lenken mich für den Bruchteil einer Sekunde ab, als wir in den Hafen einfahren, wo ein paar Leute aus der Schule versammelt sind. Royce, Orson und Storm herrschen wie Götter über die Schule, aber sie sind anders. Sie sind keine Arschlöcher, keine Angeber und nicht einmal ein bisschen versnobt. Man könnte es von ihnen erwarten. Orson ist der Sohn von Larken, der auf der Forbes-Liste auf Platz vier steht, kurz darauf folgt Bessen, Storms Mutter, die auf Platz zehn steht, und dann Royce, oder besser gesagt Royce und ich, dessen Vater auf Platz zwei steht. Man würde erwarten, dass sie so sind. Arschlöcher, die jeden rücksichtslos behandeln, aber das tun sie nicht. Sie kümmern sich um die Stone View High, als ob es ihr Zuhause wäre. Sie sind alle gute Menschen.
Jeder Einzelne von ihnen.
Gerade als ich aus dem Pickup schlüpfe, wirft Orson mich über eine Schulter und knallt die Tür hinter uns zu.
»Lass mich runter!« Ich klopfe auf seinen muskulösen Rücken, aber es nützt nichts. Alle sind daran gewöhnt, dass ich von meinen drei Brüdern hochgehoben werde, sodass niemand auch nur mit der Wimper zuckt. Die Mädchen, die es bemerken, sind diejenigen, die vor Neid erblassen. Jedes Mädchen wollte diese Jungs haben, und manchmal hatten sie auch Glück. Vor allem mit Royce und seinem skrupellosen Schwanz, aber es war nie von Dauer. Sie blieben nie und sie bekamen nie eine zweite Runde.
»Lass mich runter, bitte! Ich habe getan, was Royce wollte! Ich bin mitgekommen!«
Ich kann spüren, wie Orsons Schultern unter meinem Gewicht beben. »Ich weiß, aber weißt du, wir haben ein kleines Problem …«
»Und das wäre?«, frage ich, obwohl mein Blick überall hinschweift, um zu sehen, wer alles hier ist. Ich kann sehen, dass viele Leute bei ihren Crews bleiben und fast alle schon am Wasser geparkt haben. In der Bucht lagen Flöße, die sich stapelten, und überall waren Boote über Boote geparkt. Aus ihnen drang Musik, die sich mit Klirren von Glasflaschen und Gelächter mischte. Die Küstenwache hasste uns alle, und je nachdem, wer gerade Dienst hatte, ließ sie uns normalerweise in Ruhe.
»Nun, wir müssen sicherstellen, dass jeder hier weiß, dass du vergeben bist.«
Ich rolle mit den Augen. Immer, wenn ich ausgehe, stecke ich bei ihnen fest. Obwohl ich noch nicht alt genug war, um meinen Bootsführerschein zu machen, weiß ich, wie man ein Boot bedient und ich trinke nie, also ist es für alle drei praktisch, mich hier zu haben. Normalerweise würde Sloane auch davon profitieren.
»Duchess!«, ruft Royce und pfeift.
Ich klopfe wieder auf Orsons Rücken und er stellt endlich – endlich, verdammt – meine Füße wieder auf festen Boden. »Was?«
Royce grinst mich über seinen Arm hinweg an, als er das Boot von der Rampe ins Wasser zurücksetzt. »Vielleicht musst du aufspringen und ein paar Befehle schreien.« Ich verdrehe die Augen, ziehe meine Flip-Flops aus und werfe alle meine Sachen in den hinteren Teil des Bootes. Ich bewege mich durch das Wasser und hieve mich von der kleinen Leiter am Ende des Bootes nach oben. Royce fährt weiter rückwärts ins Wasser, bis ich ihn aufhalte. Er ist damit beschäftigt, das Boot von seinem Fahrzeug abzukoppeln, als Orson, Storm und ein paar Mädchen auf das Boot klettern.
Ich knirsche mit den Zähnen und schwinge meine Tasche unter Deck, wo es ein Bett, eine kleine Küche und ein Badezimmer gibt. Royce springt als Letzter auf und wirft mir sein Hemd ins Gesicht.
»Lächle, Dutch.« Er beugt sich vor und drückt seinen Daumen gegen meine Unterlippe. »Ich möchte nicht, dass dieses hübsche kleine Gesicht so bleibt.«
»Royce!« Annette Bird, auch bekannt als Royce’ derzeitiges Spielzeug, winkt ihn auf den Vordersitz, wo sie, Bianca und Natasha Daniels in ihren Bikinis sitzen und ihre Körper einölen.
Ich fahre mit der Zunge über meine Zähne. »Weißt du, ich wünsche wirklich, ich wäre einfach zu Hause geblieben. Das wäre mir lieber gewesen, als hier zu sitzen und zuzusehen, wie die drei Jungs mit ihren neuesten Barbiepuppen spielen.
»Aww.« Royce zerzaust mein Haar. »Du tust so, als würdest du dich nicht auf das Board stellen wollen?« Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Er gestikuliert zu dem neongrünen Wakeboard hinüber. »Steig auf.«
Ich tanze zum Heck des Bootes hinüber und klinke mich dort ein. Ich bin angeschnallt, Royce lässt Cypress Hills Rockstar aus den Lautsprechern dröhnen und wir sind fast an unserem Lieblingsspot – der ziemlich genau in der Mitte der Ocean Tavern liegt –, da hebe ich meine Hand zum »Hang loose«-Zeichen und werfe mich nach hinten. Das Wasser kracht unter meinem Gewicht und ich spüre das Rauschen der Natur durch meine Fingerspitzen und wie es in meine Adern pumpt. Ich war schon immer ein Outdoor-Mädchen. Ich war nie das Girly-Girl, also denke ich, dass Royce in gewisser Weise den Bruder bekommen hat, den er in mir sehen wollte. Zumindest im Moment. Mit dem Alter lässt es nach. Aber Rosa mag ich immer noch nicht.
Mit einem Lächeln auf den Lippen tauche ich wieder oben auf und streiche mir die langen braunen Haare aus dem Gesicht.
»Du kleiner Scheißer!«, schreit Royce und zeigt mir den Mittelfinger.
»Was habe ich denn getan? Ich springe immer so runter!«
Er winkt ab, den Mund zu einer dünnen Linie verzogen. Angespannter Bastard. Er wird mürrisch, wenn wir shredden wollen, vor allem, wenn ich shredden will. Ich schaue um uns herum und sehe vier oder fünf weitere abgestellte Boote, aus denen andere aussteigen, schwimmen, trinken und chillen. Das ist unser übliches Transportmittel. Statt mit dem Auto fahren wir alle mit den Booten raus. Es ist wie eine außerschulische Aktivität für die Reichen und Gelangweilten.
»Duchess.« Orson wirft mir einen Kuss zu, während er den Griff ins Wasser wirft. »Versuch, dir diesmal keinen Knochen zu brechen.«
»Hör auf, sie zu verhexen!« Storm stößt Orson an und lässt sein Hemd aufgeknöpft, hält es aber fest. Storm geht nie ohne Hemd raus. Er redet nicht darüber und Royce hat gesagt, dass ich nie fragen soll, aber er trägt immer ein Hemd. Sogar im Wasser. Sogar beim Shredden.
Ich nehme den Griff in die Hand, mache erneut das »Hang loose«-Zeichen und strecke Royce die Zunge raus.
»Weil du heute besonders boshaft aussiehst, werde ich langsam fahren!«, schreit er, das Boot zieht sich langsam von mir weg. Ich spüre das Ziehen an dem Seil und kichere.
»Ach ja? Ich werde daran denken, wenn du dran bist!«
»Warum kannst du nicht so sein wie die anderen Mädchen und auf meinem blöden Boot sitzen und hübsch aussehen, hm?« Royce wirft mir ein Grinsen zu. Ich kann ihm jetzt nicht antworten, weil er zu weit weg ist. Er hat ja recht. Ich bin das einzige Mädchen, das mit den Jungs shreddet, aber das ist ihre Schuld. Sie haben das Monster erschaffen und jetzt wundern sie sich, warum ich beiße. Das Boot nimmt Fahrt auf und ich bin oben, das Board skatet über das Wasser wie Butter. Sobald er mehr Geschwindigkeit aufnimmt, drehe ich mich mit einem entspannten Lächeln im Gesicht, um ein paar Tricks zu machen. Ich liebe es, draußen auf dem Wasser zu sein. Der Grund, warum ich heute nicht mitkommen wollte, war nicht, weil ich nicht auf dem Board stehen wollte, sondern weil ich keine Lust auf die Party hatte, die danach in Orsons Höhle stattfindet.
Ja, in einer richtigen Höhle.
Royce fährt eine scharfe Kurve mit dem Boot, ich stoße mich ab und lande einen Big Worm. Wir verbringen noch etwa zwanzig Minuten, während ich alle meine Tricks vorführe und meine Energie verströme, bevor ich mit einem finsteren Blick zurück ins Boot gezogen werde.
Orson hebt mich unter meinen Armen hoch. »Hör auf, traurig zu sein, Kleine. Du weißt ganz genau, dass du mehr Zeit bekommst als wir alle.«
»Das ist wahr«, kichere ich, ziehe meine Schwimmweste aus und bleibe in meinem Zweiteiler. Ich trockne meine Haare mit einem Handtuch, als Royce mir eine Flasche Wasser reicht.
»Geht es dir gut?«
Annette stellt sich hinter ihn und schlingt ihre dünnen Arme um seinen Bauch.
»Jep.« Ich nicke und gehe nach vorn, um mich auf dem Verdeck zu sonnen. Der Rest des Tages brennt weg, während sie sich alle auf dem Board abwechseln und Storm seine Angel auswirft. Erst als die Sonne hinter den Wolken am Himmel untergeht, macht Royce endlich seinen ersten Drink auf.
Ich weiß, dass ich das nicht sollte, aber ich bin neidisch. Dieses eine Mal. Sicher, ich war noch nie wirklich betrunken und Royce würde mir nie erlauben, zu viel Alkohol zu trinken, aber ein Mädchen darf doch träumen, oder?
Ich setze mich an die Spitze des Bootes und wir führen den Konvoi zum Berg Aetos. Orsons Nachname ist Aetos, also ja, Orsons Berg. Es ist nur eine einfache Insel mitten im Ozean, auf der seine Eltern eine milliardenschwere Villa besitzen, die auf Felsen gebaut ist.
Weil Orsons Haus dort liegt, wo man mit dem Boot hinfahren muss, übernachtet er normalerweise bei Royce – daher der Basketballplatz. Die Höhle biegt in einem Bogen von der Insel ab, bevor man rechts am weißen Sandstrand ankommt. Das Wasser ist ruhig und unbeweglich und der Sand ist so fein, dass er zwischen den Zehen versinkt.
Wir ankern gerade, als die Sonne am Himmel untergeht. Storm holt sein Bogenschießset heraus, zündet die Spitze des Stocks an und richtet ihn auf den Buschholzstapel am Ufer. Er lässt seinen Finger los und das Lagerfeuer explodiert in einem Schwall von Flammen.
Jeder in der Schule weiß über den Wochenend-Treffpunkt Bescheid und wer daran teilnimmt. Das liegt aber nicht daran, dass die Leute nicht eingeladen sind, sondern daran, dass nicht jeder ein Boot hat und nur eine bestimmte Anzahl von Leuten auf ein Boot passen kann. Wenn Orson das seines Vaters nimmt, ist das eine ganz andere Geschichte. Die Multi-Millionen-Dollar-Motoryacht namens Vegas ist genau das, was ihr Name vermuten lässt. Es ist eine ganze Party auf einer Yacht, die im Stil von Sin City gestaltet und bemalt ist. Orsons Vater ist Grieche und seine Mutter Amerikanerin, doch sie weilt nicht mehr unter uns. Seit dem Tod seiner Mutter hält sich sein Vater kaum noch in dem Haus auf und lässt Orson allein.
Mit meinen Flip-Flops und meinem Hoodie in der Hand gleite ich ins Wasser und mache mich auf den Weg zum Ufer, um so weit wie möglich von Royce entfernt zu sein, während er Annette um sich hat. Ich komme damit nicht klar, obwohl ich nicht weiß, warum. Ich weiß nicht, warum sich mein Magen jedes Mal verkrampft, wenn sie ihre Hand auf ihn legt, weil er seine nicht auf sie legt. Sie ist immer diejenige, die in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigt, nicht er. Ich weiß nicht einmal, warum ich darüber nachdenke.
»Hey!« Ein Mädchen mit langen gelockten Haaren und ein paar Piercings im Gesicht winkt mich zu sich. Sie trägt eine kurze Hose, ein kariertes Hemd und sind das Doc Martens? Ich liebe Docs, aber in der Nähe des Wassers?
»Hi!« Ich mache mich auf den Weg zu ihr, wo sie allein sitzt, und eine Zigarette raucht. Sie ist wunderschön, so viel ist klar, aber ich habe sie nie hier gesehen. Eigentlich noch nie. Nicht einmal in der Schule.
»Bist du neu?«, frage ich und setze mich auf einen der Baumstümpfe, die das lodernde Feuer umgeben. Es knistert im Hintergrund und wärmt meine Wange. Sie nickt und hebt die Champagnerflasche. »Bin ich, und ich muss sagen …« Sie sieht sich um und hält alle paar Sekunden inne. »Ich sehe hier kein einziges Mädchen, mit dem ich befreundet sein möchte.«
Ich kichere, schiebe meine Arme in die Ärmel meines Calvin Klein-Hoodies und schließe den Reißverschluss. Ich bin froh, dass ich vorhin meine schwarzen Shorts angezogen habe, aber jetzt wünschte ich, ich hätte eine Skinny Jeans mitgenommen. Normalerweise gehe ich ins Haupthaus, wenn hier unten die Hölle los ist – auf Anweisung von Royce – damit ich mir nicht zu lange die Titten abfrieren muss. »Sie sind nicht alles so übel.«
»Sicher sind sie das …«, sagt das Mädchen und schnippt die Asche an der Spitze ihrer Zigarette weg. Sie streckt ihre Hand vor sich aus. »Ich bin India, und du?«, fragt sie, und ich schaue von ihrem Gesicht zu ihrer Hand. Ich bin nicht der Typ, der Freundschaften schließt. Das liegt nicht daran, dass ich nicht will, sondern daran, dass sich niemand mit mir anfreunden will. Ich habe nie verstanden, warum, und als Sloane herausfand, dass ich ein komischer Kauz bin, war es schon zu spät, wir waren schon Freunde.
Ich nehme Indias Hand in meine. »Das ist ein schöner Name. Die Leute sagen, ich sehe zum Teil indisch aus. Das hat man mir mein ganzes Leben lang gesagt, also erzähle ich den Leuten jetzt, dass ein Großelternteil von mir aus Indien stammt. Das gibt mir ein gutes Gefühl.«
India lacht, ihr Kopf fällt nach hinten, bevor ihre Augen auf meine treffen. »Ja, ich sehe es irgendwie. Du hast eine gebräunte Haut, dunkle Haare und …« Sie beugt sich näher zu mir, bis sich unsere Nasenspitzen fast berühren. »Welche Augenfarbe hast du?«
Ich weiche ein wenig zurück, etwas irritiert von ihrem Eindringen in meine Blase. »Eh, grün. Ich bin Jade.«
»Wow! Das ist ein cooler Name!«
»Nun, wir können tauschen.« Meine Hände tauchen in die Taschen meines Hoodies und meine Augen richten sich auf die Flamme. Hinter mir ertönt laute Musik und ich muss meinen Kopf nicht drehen, um zu wissen, was los ist. Die Tiki-Bar wird in vollem Gange sein, die Lichterketten werden eingeschaltet, und das Graffiti, das Royce auf die felsige Bergwand gesprüht hat, wird für alle zu sehen sein. Meine Augen fliegen hoch zu den Kunstwerken, die in allen Schattierungen der Farbe Grün gehalten sind. Limette, Wald, Meer, Türkis, Jade. Die Zahlen 2000 sind in Graffiti-Schrift aufgedruckt. Das Jahr, in dem ich geboren und in die Kane-Familie aufgenommen wurde. Ich glaube nicht, dass irgendjemand außer Orson und Storm die Bedeutung des Bildes bemerkt. Jedes Mal, wenn ich es sehe, setzt mein Herz mehrere Schläge aus. Es gab nie den Hauch eines Zweifels daran, was ich Royce und er mir bedeutet. Liebe ist Liebe, aber wenn sie bedingungslos ist, ist sie fürs Leben.
»Auf keinen Fall, dein Name passt zu dir. Und was machst du hier?«, fragt India und drückt ihre Zigarette im Sand aus. »Nichts für ungut, aber du siehst auch ein bisschen jünger aus als alle anderen hier.«
Gerade als ich den Mund aufmache, legt Orson seine Hände auf meine Schulter und drückt sie grob zusammen. »Duchess, schließt du Freundschaften?«
»Das tut sie.« India grinst zu Orson hoch. Das ist der Punkt, an dem es passiert. Sie werden nervös, weil sie meine Brüder sehen, und dann bin ich plötzlich wieder am Anfang und es gibt nur noch mich und Sloane. Die meisten Mädchen in meinem Alter sind Opportunisten. Sie sehen meine Brüder und beschließen, dass sie sie mehr mögen als mich.
India wischt ihre Hand ab und streckt sie Orson mit einem freundlichen Lächeln entgegen. »Ich bin India.«
Orson wirft ihr einen Seitenblick zu, als Royce und Storm hinter ihm auftauchen. »Orson.«
Sie alle begrüßen India und ich beobachte, wie ihre Augen umherfliegen, ohne sich für einen meiner Brüder zu interessieren. Seltsam, denke ich bei mir. So etwas passiert normalerweise nicht.
Vielleicht ist India anders?
Das Lagerfeuer heizt sich auf, als Royce sich neben mich setzt und seinen Arm um meine Taille schlingt. Er schmiegt seine Nase in meine Halsbeuge und balanciert seinen roten Becher in der anderen Hand. »Mmmm, riechst du immer so gut?« Seine tiefe Stimme vibriert über mein Fleisch und trifft auf dem Weg nach draußen jeden Nerv.
»Du magst sie also ein bisschen älter?« India hebt eine Braue zu uns beiden.
»Was?« Meine Augen weiten sich vor Entsetzen. Ich schiebe Royce von mir weg. Er gluckst so laut, dass er seinen Kopf zurückwirft. »Nein! Er ist mein Bruder.«
Verwirrung blitzt in Indias Gesicht auf. »Wirklich?« Ihre Mundwinkel kräuseln sich, nicht vor Ekel, sondern vor Schock.
»Ja, Pflegebruder, aber trotzdem Bruder.«
»Pflegebruder ist ein Synonym für Schlupfloch, nur mal so gesagt«, stichelt Royce und streckt frech seine Zunge raus.
Ich rolle mit den Augen. »Ignorier ihn, er ist offensichtlich betrunken. Oder high.«
Royce lacht, als Annette hinter ihm auftaucht und ihre Arme um seinen Hals schlingt, während sie sich nach unten beugt.
»Und du?«, fragt mich India und legt ihren Kopf schief. »Trinkst oder rauchst du?«
»Nein«, antwortet Royce für mich und seine Augen bohren sich in meine. »Sie ist zu jung.«
Ich knirsche mit den Zähnen. Es ist nicht so, dass ich nicht an seine erdrückende Art gewöhnt wäre oder dass ich nicht daran gewöhnt wäre, dass er jedes Mal, wenn wir eine Party feiern, den gleichen Scheiß mit mir macht, aber jedes Mal zerrt er aufs Neue an meinem Geduldsfaden.
»Sie ist fünfzehn, nicht zwölf.« India rollt mit den Augen, und bevor ich Royce widersprechen kann, habe ich einen roten Becher in der Hand, bei dem der Alkohol über den Rand schwappt und sich über meine Hand ergießt. »Einer wird dir nicht wehtun und du weißt, dass du ihn von mir hast und nicht von irgendeinem zwielichtigen Arschloch an der Bar.«
Royce beugt sich vor, um mir den Becher aus der Hand zu nehmen, als ich mich von ihm wegziehe und die Brauen herausfordernd hochziehe. »Weißt du, sie hat schon irgendwie recht. Ich meine, wie viel Ärger kann ich wirklich bekommen, wenn meine drei großen, überfürsorglichen Brüder hier sind, um alle zu verscheuchen?«
»Duchess …«, warnt Royce mit zusammengepresstem Kiefer.
»Lass sie in Ruhe«, jammert Annette und küsst Royce auf den Hals. »Die fasst sowieso keiner an.« Sie lacht, aber Royce schlägt ihre Hand von ihm weg.
»Royce, nur dieses eine Mal, und ich bitte dich nicht um Erlaubnis.« Herausfordernd kneife ich die Augen zusammen. Ich weiß, dass er streiten will, und wie Royce nun mal ist, würde er auch vor den Zuschauern nicht zurückschrecken. Das ist ihm scheißegal. Aber bevor er noch etwas sagen kann, drehe ich den beiden den Rücken zu und wende mich India zu.
»Also«, murmle ich und nippe an dem – wie ich vermute – Bourbon mit Cola, aber ich bin auch nicht wirklich daran interessiert, etwas zu trinken, nachdem ich meine Meinung deutlich ausgedrückt habe. »Warum habe ich dich noch nie auf so einer Party gesehen?«
India kichert, aber ihr Lächeln verschwindet, bevor sie es verbergen kann. Ich beobachte, wie die Wärme der lodernden Flammen einen orangefarbenen Schimmer auf ihre sonst blassen Wangen zaubert. »Ich schätze, ich bin neu. Ich fange am Montag mit meinem letzten Schuljahr an. Wirklich freuen tue ich mich nicht darüber.«
Ich stelle meinen vollen Becher in den Sand und kuschle mich in meinen Hoodie. »Stone View ist nicht schlecht. Es ist ungefähr so wie Hogwarts, nur dass alle Muggel sind und wir statt Hagrid Hagdid haben. Ohne Scheiß, unser Schulleiter heißt Hagdid.«
Wir lachen beide, als wir in Small Talk verfallen. Nachdem wir Handynummern ausgetauscht haben, stehe ich auf und klopfe mir den Sand vom Hintern. »Ich schreibe dir am Sonntag eine SMS, vielleicht können wir uns treffen. Du kannst Sloane kennenlernen. Ihr werdet euch blendend verstehen.«
India blickt zu mir auf, die Tiefe ihrer haselnussbraunen Augen birgt so viele Geheimnisse. Ich habe das Gefühl, dass sie schon tausend Leben gelebt hat. Was macht sie wohl in Lake View?
»Klar!« Sie zwinkert mir zu. »Bis später, Little J.«
Obwohl ich den Spitznamen hasse, liebe ich sie.
Ich schlängele mich durch das Meer betrunkener Menschen und halte meinen Kopf gesenkt. Ich bin fast am Anfang des steilen Weges, der den Strand mit dem Hinterhof von Orsons Haus verbindet, als sich eine Hand um meinen Arm legt.
»Royce.« Ich drehe mich zu ihm um und erwarte ein freches Grinsen und vielleicht eine Schelte, weil ich getrunken habe, aber stattdessen sind seine Augen auf mich gerichtet und suchen meinen Körper ab.
»Willst du nach Hause gehen?«
Ich fahre mit der Zunge über meine Lippe. »Es ist schon spät. Wir können einfach im Poolhaus pennen, wie immer.« Je älter wir geworden sind, desto stärker ist unsere Verbindung geworden, und das ist ein Beweis dafür, wie stark sie ist, denn als wir uns das erste Mal sahen, war es um uns geschehen. Es war, als hätte sich das Universum jedes Mal, wenn wir in der Nähe des anderen waren, verändert. Er prägte sich in mein Herz ein und ich habe meinen Namen auf seine Gliedmaßen genäht. Wir streiten oft, aber wir lieben uns sehr, und wenn es um ihn und mich geht, kann der eine nicht ohne den anderen existieren.
Royce Kane ist unbestreitbar mein bester Freund.
Er nickt in Richtung Meer. »Ich habe nur ein paar gehabt. Ich kann fahren.« Seine Hand gleitet von meinem Arm herunter und seine Finger verflechten sich mit meinen. Bei dieser plötzlichen Verbindung ist es, als würde mein Herz zum ersten Mal überhaupt schlagen. Das Blut rauscht in meinen Ohren und meine Wangen werden heiß. Ich bin dankbar – so verdammt dankbar – für die Decke der Nacht. »Komm schon, Dutch …« Ich bin fünfzehn, er ist achtzehn. Ich fühle mich nie unwohl in seiner Nähe, aber – warte. Warte, verdammt noch mal. Warum schätze ich unser Alter ab?
Zitternd vor der plötzlichen Widerwärtigkeit vor dem, was mir gerade durch den Kopf ging, ziehe ich mich von ihm zurück und schlinge meine Arme schützend um meinen Oberkörper.
Als ob das helfen könnte.
Als ob Royce nicht alles niederreißen würde, um an das zu kommen, was er will, wenn es sein muss.
»Ich will mich vor den anderen nicht rechtfertigen. Ich gehe einfach auf mein Zimmer.« Das war nicht einmal gelogen, denn ich hatte wirklich keine Lust auf die hochgezogenen Brauen und die Fragen der Leute, die uns sehen würden, wie wir Green Stone verlassen.
»Die können mich mal«, sagt er und zuckt mit den Schultern.
Ich öffne den Mund und beschließe, dass wir einfach auf dem Boot bleiben können, anstatt im Poolhaus, als ich dünne Finger und rote Nägel sehe, die über Royce’ Bauch streichen. Annette starrt mich von hinter seinem Arm aus an. »Hey, Baby, ich bin müde, können wir auf dein Boot gehen, wie du gesagt hast?«
Mein Magen zieht sich zusammen, als mir die ganze Luft aus der Lunge gesaugt wird.
Er hat sie verdammt noch mal vor mir auf das Boot eingeladen. Ungetrübte Wut brodelt unter meiner Haut, als ich mich umdrehe und die Treppe zum Haupthaus hinauflaufe. Normalerweise lasse ich mir Zeit dabei, weil es so viele davon gibt und die Aussicht oben so schön ist, aber ich will so schnell wie möglich weg von den beiden. Fünf Minuten später habe ich den Gipfel erreicht, aber ich bleibe nicht stehen. Ich renne über den gepflegten Rasen, umrunde den beleuchteten Pool und steuere direkt auf die Tür des Poolhauses zu. Ich schiebe sie auf, schlüpfe hinein, und schließe die Tür hinter mir ab. Mein Herz klopft in meiner Brust und Tränen füllen meine Augen. Warum zum Teufel weine ich? Tief im Inneren weiß ich, dass ich unvernünftig bin, und um ehrlich zu sein, ist Royce immer mit jemandem zusammen und tänzelt herum. Warum ist das jetzt anders? Warum fange ich an, mich ihm gegenüber anders zu fühlen?
Ich ziehe meinen Hoodie aus und werfe ihn auf den Boden. Dann wische ich mir die unvernünftigen Tränen weg und schleppe meinen Hintern auf die andere Seite des Zimmers, wo mein Einzelbett auf mich wartet.
J A D E
Ein Arm schlingt sich um meine Taille und zieht mich an einen harten, warmen Körper. Ich weiß schon, wer es ist, bevor ich mich umgedreht habe. Ich könnte ihn in jedem Raum riechen. Ohne nachzudenken, winde ich mich in seiner Umarmung, als mein Hintern gegen seinen Schritt drückt. Er ist hart – verdammt hart – und ich weiß, dass alles in mir sagt, dass das falsch ist. Wir waren noch nie in dieser Situation – noch nie. Er hat zwar im selben Bett wie ich geschlafen, aber da waren wir noch Kinder. Das sind wir jetzt nicht mehr. Seine Finger streichen über meinen Bauch und ich halte den Atem an, weil ich Angst habe, dass es zu laut wird, wenn ich atme. Zu schnell. Zu verzweifelt. Zu offensichtlich, was er mit mir macht. Seine Finger bewegen sich nach unten, während sich seine Lippen an meinen Nacken drücken.
»Du bist eine verdammte Göre, das weißt du doch, oder?« Seine Stimme ist leise und doch distanziert. Das macht nichts, denn meine Hüften suchen seine Berührung, als wären sie zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder vereint. Er stoppt meine Bewegung sofort und zwingt mich, stillzuhalten, während er seine Hand auf meinen Unterleib presst. Ich schlucke durch meine zugeschnürte Kehle und versuche so sehr, die Kontur seiner Härte zu ignorieren, die gegen meinen Hintern drücken. O fuck. O fuck, o fuck. Danach würde es kein Zurück mehr geben. Es ist mir egal. Aber ihm normalerweise nicht. Seine Neckereien hören immer auf, bevor er mich berührt. Wir haben uns nie berührt, nie geküsst. Wir haben nie etwas getan, was diese Grenze überschreiten würde, außer vielleicht einen leichten Flirt, von dem ich meistens denke, dass ich ihn mir nur einbilde.
Er rollt mich auf den Rücken, während seine Hand meinen Mund bedeckt. Er zieht meine Beine, bis ich weit gespreizt bin. Die Umrisse seiner Haare sind alles, was ich in der Dunkelheit des Raumes sehen kann. Wir sind immer noch im Poolhaus. Ist er mir gefolgt?
»Du musst still sein, Duchess.« Er dreht den Kopf und ich folge seinem Blick dorthin, wo Annette friedlich in Decken eingekuschelt auf dem Boden schläft. Er hat sich in mein Bett geschlichen, nachdem sie eingeschlafen ist. Doch das ist mir egal.
Als ich nicke, lockert er seinen Griff ein wenig, und dann spüre ich die Hitze seiner Brust an meiner. Er stößt langsam mit seinen Hüften gegen meine und lässt die Hand von meinem Mund gleiten, während seiner sich auf meinen senkt. Meine Brust wird zu einem Feuer und mein Bauch entzündet sich bei der Verbindung unserer Lippen. Seine Zunge leckt mit der gleichen Besessenheit über meine, von der ich schon immer wusste, dass er sie hat, während sein Kopf unter der Decke verschwindet.
»Roy!«, flüstere ich und greife nach seinem Haar. Er schiebt meine Hände weg und meinen Slip zur Seite. Ich hätte wirklich eine Hose anziehen sollen. »R–« Sein warmer Mund bedeckt die Spitze meiner Klit, seine Zunge gleitet nach oben und umkreist sie.
»O mein …« Eine seiner Hände liegt wieder auf meinem Mund, während seine Zunge über meine Klit streicht. Es dauert zwei Sekunden, bis meine Beine zittern und sich mein Innerstes zusammenzieht, als mein Orgasmus in Wellen über meinen unschuldigen Körper schwappt. Dann wandert er meinen Körper wieder hinauf und spreizt meine Beine weit.
»Willst du das tun?« Er streicht mit seiner Nase über meine. »Dann gibt es kein Zurück mehr.«
»Ich will nicht aufhören. Nimm sie dir.«
»Warum?«, fragt er, während sich seine Finger an meinem Schlüsselbein krümmen. Seine dicke Spitze drückt gegen meinen feuchten Eingang und alles, was es braucht, ist ein kleiner … Ich schiebe meine Hüften nach oben und sein Schwanz ist einen Zentimeter in mir und dehnt meine engen Wände. Ich zucke zurück. »Warum, Duchess?«, flüstert er gegen meine Lippen.
Ich lege meinen Arm um seinen Hals und knabbere an seiner Unterlippe. »Weil ich schon immer wollte, dass du es tust.« Sofort gleitet er in mich hinein und füllt mich voll und ganz aus, bis ich spüre, wie meine Seele aus meinem Körper sickert und ein Schrei meine Lippen verlässt.
»Duchess!«
Orson? Jemand schüttelt mich an den Schultern.
»Wach auf! Sofort!«
»Was?« Meine Augen springen auf und ich werde von der Dunkelheit des Zimmers mit Ausnahme einer Lampe begrüßt. Orson steht über mir, sein Hoodie über den Kopf gezogen. »Royce hat sich mit Derek Chambers geprügelt, wir fahren zurück zu euch nach Hause.«
»Was?«, frage ich und stütze mich auf meine Ellbogen. »Was spielt es für eine Rolle, dass er sich mit Chambers geprügelt hat!« Verdammte Idioten, und wo wir gerade von Idioten sprechen … dieser Traum war – kein Kommentar.
»Es spielt eine Rolle, weil Royce ihn fertiggemacht und fast umgebracht hat. Wir hauen ab – sofort.«
»Was?« Ich fliege hastig aus der Decke und fange an, an meinem Hoodie zu zerren. »Wo ist Royce?« Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und ziehe den Reißverschluss zu. Er hat ihn fast umgebracht? Das ist schlecht. Royce darf nicht noch einmal Sozialstunden bekommen.
»Royce geht es gut, er ist schon auf dem Boot. Chambers hat kaum einen Treffer gelandet.«
Ich habe nicht gefragt, warum Orson hier war und nicht Royce. Ich nehme mein Handy und stecke es in die Tasche, bevor wir uns auf den Weg zurück zum Strand machen. Die Leute sind schon lange weg und das einzige Boot, das andockt, ist das von Royce. Ein paar Leute liegen verstreut am Ufer und schlafen, aber größtenteils ist es ein verdammtes Durcheinander. Ich habe Mitleid mit Orsons Reinigungsteam.
Ich beschleunige meine Schritte, renne hinüber ins Wasser und springe ins Boot, wo ich Royce auf dem Rücken auf einem der Sofas liegen sehe, wobei sein Arm sein Gesicht bedeckt. Ein Bein hängt über dem Polster, das andere ist angewinkelt.
»Er schläft. Ich werde fahren.« Orson bindet uns los, während ich das Boot starte. Storm kommt mit blassem Gesicht unter dem Deck hervor.
»Was ist los?«, frage ich Storm, der noch unbehaglicher aussieht als sonst.
Er schüttelt den Kopf. »Er hat ihn fast umgebracht.«
Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippe und drehe meinen Kopf, um einen Blick auf Royce zu werfen, der sich noch immer nicht bewegt hat. Ich würde gerne sagen, dass ich Royce nicht zutraue, jemanden ernsthaft zu töten, aber wenn man ihm etwas gibt, für das es sich zu sterben lohnt, wird er dafür töten.
Ich räuspere mich und denke über den Traum nach, den ich vor wenigen Minuten hatte. Es fühlte sich alles zu real an. Viel zu real. Ihn so kurz nach den lebhaften Bildern, die noch frisch in meinem Kopf sind, zu sehen, schickt eine Gänsehaut über meinen Körper und lässt mein Herz schneller schlagen als jemals zuvor.
Storm nickt über seine Schulter. »Ich fahre. Geh und mach dein Ding.« Ich lasse das Lenkrad los und bewege mich rückwärts, bis ich wieder in der Nähe von Royce bin. Das Innere und Äußere des Bootes wird von den LED-Neonlichtern erhellt, deren tiefblaue Töne seine Figur betonen. Seine dunklen Jeans, die locker an den Füßen geschnürten Militärstiefel und der Hoodie, den er sich über den Kopf gezogen hat.
»Willst du nur dastehen und mich anstarren oder schreien, damit wir es hinter uns bringen können?« Er schiebt seinen Arm über den Kopf und ich kann endlich einen ersten Blick auf seine hohen Wangenknochen und seine weichen Lippen werfen. Lippen, die ich in meinem Traum gespürt habe. Allzu real. Warum zum Teufel fühlte sich das so echt an? »Komm her.« Die Art und Weise, wie seine Stimme diese einfachen Worte umspielt, ist der Grund, warum mir das Herz in die Hose rutscht. Seine Zunge schnellt heraus und befeuchtet seine Unterlippe. »Sofort, Duchess …«
Schließlich setze ich mich neben ihn und atme tief ein und aus.