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Er ist der beste Freund ihres Bruders und ein Junge, den Halen schon immer kannte. Sie ist die Tochter eine der gefürchtetsten Familien, die es gibt, und das einzige Mädchen, das jemals seine Wut entfacht hat. Sie drängen und zerren einander, bis es sie zerreißt … Halen wusste, dass es gefährlich war, Grenzen mit War zu überschreiten, doch sie tat es trotzdem. Und die Kings sind dabei, zu lernen, dass nicht alle Feinde nur auf dem Schlachtfeld spielen. Manche sind die Geister dessen, was zurückgelassen wurde.
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Amo Jones
(Carpe Noctem Band 1)
Übersetzt von Patricia Buchwald
War and his Queen
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »War and His Queen«.
Copyright © 2024 War and His Queen by Amo Jones
All Rights reserved. No part of this publication may be reproduced, distributed, or transmitted in any form or by any means, including photocopying, recording, or other electronic or mechanical methods, without prior written permission of the publisher, except in the case of brief quotations embodied in reviews and certain other non-commercial uses permitted by copyright law.
This book is a work of ficition. All names, characters, locations, and incidents are products of the author’s imaginations. Any resemblance to actual person’s, things, living or dead, locales, or events is entirely coincidental.
Published by arrangement with Bookcase Literary Agency Corp.
The moral rights of the author have been asserted.
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe © 2025
War and his Queen
by VAJONA Verlag GmbH
Druck und Verarbeitung:
FINIDR, s.r.o.
Lípová 1965
737 01 Český Těšín
Czech republic
Übersetzung: Patricia Buchwald
Korrektorat: Désirée Kläschen und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: Stefanie Saw und Diana Gus
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH
An meine Lesenden. Ja, die Männer, über die ich schreibe, wollen dich einfach genauso ficken …
Wenn du die Trigger nicht lesen willst, lies bitte trotzdem die Autorenhinweise.
Dieses Buch wird nicht das düsterste Buch der Carpe Noctem-Reihe sein. Im Vergleich zu den kommenden Büchern der Reihe würde ich es als leicht über dem Mittelmaß liegend bezeichnen.
Explizite Sprache, fragwürdige Sexszenen (dunkel), Waffenspiel, fragwürdiger Konsens, Non-Con (lies das bitte noch einmal), Mord (eine Menge davon), Charaktere, die sich einen Dreck um Erlösung scheren (wenn ein paar Nuancen dunkler als moralisch grau nichts für dich sind, lies dieses Buch bitte nicht), sexueller Missbrauch (auf der Seite und außerhalb davon), extrem grafische Gewalt und Folterszenen, Lustmord, menschliche Schachfiguren, die sie als Waffen für ihr Schlachtfeld benutzen; nicht mehr und nicht weniger (Jeder ist für sich selbst der Nächste), exzessiver Drogen- und Alkoholkonsum auf der Seite (Pablo Escobar, melde dich – auch ein Scherz), Gespräche über Selbstverletzung.
Bevor du dich auf dieses Buch einlässt, mach dir bitte klar, dass diese Figuren sich nicht zurückhalten. Dieses Buch ist für die chaotischen Leute. Diejenigen, die das toxische Verhalten eines gewaltsam gebundenen Paares lieben. Sie sind sadistisch in ihren Gedankenspielen und tun alles, was in ihrer Macht steht, um den anderen zu brechen, aber wenn es jemand anderes wagt, werden sie ihn fertig machen. Das ist ein »Ich kann dich zerstören, so sehr ich will, aber wenn dich jemand auch nur falsch anschaut, reiße ich ihm die verdammte Lunge raus und hänge sie als Ornament an meine Wand«-Buch. Von beiden Seiten …
In diesem Sinne (haha …): Dies ist ein Buch der Fiktion. Nein, ich bin nicht diese Dinge, mache, was sie tun, oder glaube an die gleichen Dinge wie sie, und diese Figuren repräsentieren auch nicht, wer ich als Frau oder Mensch bin. Sie können (manchmal) eine erschreckende Ausgeburt meiner Fantasie sein. Mit meinem künstlerischen Gespür für das Chaos überlasse ich ihnen die Kontrolle über jeden Schritt bei der Umsetzung ihrer Geschichten.
Ich rate niemandem, an einer der Aktivitäten teilzunehmen, die man darin findet (Bitte nicht. Ich sehe in Orange nicht gut aus). Dieses Buch ist für Personen über achtzehn Jahre. Bitte beachte die Trigger und diese Hinweise sorgfältig.
Ich habe dich gewarnt. Wenn du neu in der Welt der Dark Romance und nicht mit dem Inhalt vertraut bist, der vor dir liegt, kannst du natürlich weitermachen, aber sei dir bewusst, dass diese Reihe kein freundliches erstes Date sein wird. Es wird deine Tugendhaftigkeit zerreißen und dich dort lassen.
Ich meine, War und Halen wären kein schlechtes erstes Date, aber wenn du von Priest and His Anarchist oder Stella and her Outlaws ausgehst, würde ich zurückgehen und mit War und His Queen anfangen.
Wenn du immer noch liest und mich anschreist, ich solle bitte die Klappe halten, damit du endlich zu dem guten Shit kommst …
Lass deine Moral hier und blättere um …
Unsere Eltern erzählten Geschichten über die Zeit, als sie in den Hamptons statt in Riverside zur Highschool gingen. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als in den verdammten Hamptons zur Schule zu gehen. Ich habe nichts gegen den Ort, aber mit Menschen zu leben, die nichts von der Welt wissen, in die ich hineingeboren wurde, ist eine verdammte Belastung.
Ich atme tief ein. Ich habe dreißig verdammte Minuten gewartet. Nur sie würden mich überhaupt warten lassen – und wofür? Ich hoffe, es gibt einen guten Grund. Ich bin verdammt müde. Die Mädchen und ich haben gestern die ganze Nacht darüber nachgedacht, was wir tun wollen. Wie wir es anstellen wollen und was für ein Gemetzel wir in der Zeit, die uns noch für das Ritual bleibt, anrichten können.
Als ich in meiner Handtasche krame, piekst mich etwas in den Daumen und ich schiebe ihn zwischen die Lippen, während die Kleeblätter meines Armbands in der Sonne funkeln. »Diese Arschlöcher sollten sich besser beeilen.«
Aufwändige Muster säumen den goldenen Torbogen, der zur Eingangstür von Hayes Castle führt. Ich wünschte, ich würde scherzen. Unser Haus ist ein übertriebenes Abbild des modernen Regency-Stils und vermittelt ein trügerisches Bild von Perfektion und Gold.
Ich lehne mich an den Tisch im Eingangsbereich neben der zweigeteilten Treppe und höre draußen Autos vorfahren. Türen öffnen und schließen sich, und dann stampfen schwere Schritte über die Marmorveranda. Schließlich öffnen sich beide Türen, und mein Zwilling steht vor mir.
»Sieh mich verdammt noch mal nicht so an, Halen. Das ist das erste Mal, dass wir nicht alle auf dich warten.«
»Zunächst einmal …« Ich mache einen Schritt auf ihn zu, bevor er die Tür weiter aufreißt und War und Vaden draußen auf der Einfahrt offenbart. »Warte, warum seid ihr alle hier und nicht schon dort?«
War stützt sich mit dem Arm an der Tür meines Wagens ab und grinst mich breit an. Abgesehen davon, dass er mich schon mein ganzes Leben lang nervt, hat er es sich, solange ich denken kann, zur Aufgabe gemacht, mir alles schwer zu machen. Außerdem hat er eine perverse Art, sich an meinem Untergang zu ergötzen.
»Steig ins Auto, Halen.«
Mit einer hochgezogenen Braue schließe ich meinen Mund. »Ähm, ich habe nicht mit dir geredet.«
Seine Zunge gleitet über seine Unterlippe. »O, hast du nicht? Hmmm … lass mich mal sehen, wo ich jemanden finde, den das interessiert. Vielleicht sind sie ja unter meinem Zwanzig-Zentimeter-Schwanz. Jetzt steig ins Auto.«
»Haltet die Klappe. Alle beide.« Priest – oder besagter Zwillingsbruder – dreht mir den Rücken zu und ich beobachte, wie er sich auf den Weg zurück zu seinem Auto macht. Er öffnet die Vordertür, und ich fahre die Linien des geschwungenen Kotflügels nach. Priests S15 ist das Beste überhaupt. Er ist tiefergelegt und hat tiefschwarze Felgen. Wir haben alle unterschiedliche Autos, aber sie alle haben das gleiche Thema.
Schwarz. Sogar die Nummernschilder, die wir gar nicht zeigen müssen.
»Pap ist weg, weißt du!«, rufe ich, zeige Priest hinter seinem Rücken den Mittelfinger und dränge mich mit der Schulter an War vorbei nach unten.
»Willst du das noch mal versuchen?«, ruft War hinter seinem GTR hervor. Die Tatsache, dass er die R32-Karosserie geklaut hat, die ich bauen wollte, als wir vierzehn waren, und sie auf über achthundert PS gebracht hat, bedeutete, dass ich nicht nur den R34 aus Japan importieren, sondern auch noch einen Hakosuka dazupacken musste. Vaden hat sich dann wie verrückt auf den S14 gestürzt, bevor War sich wie ein absolutes Arschloch einen verdammten RX4 geholt hat. Wars 32er ist trotzdem hübsch. Schwarz glänzend, mit einer breiten Karosserie und bronzefarbenen Tiefbettfelgen. Ganz zu schweigen von dem, was unter der Haube steckt. Wir sind einfach eine riesige Familie mit einem Godzilla-Komplex. Das heißt, River hat sich den Honda NSX geschnappt und Stella den RX7 Batty. Priests Sammlung war so groß, dass man schnell den Überblick verlieren konnte.
Ich kann die Dolche fast spüren, mit denen Vaden War durchbohrt. »Wir lachen, bis wir es nicht mehr witzig finden und Priest dir zwischen die Augen schießt.«
»Ich kann besser zielen!«, rufe ich und steige in meinen 34er. Ich drücke den Startknopf und atme seufzend aus, während sie unter mir schnurrt wie ein gut gepflegtes Biest.
Es klopft an meine Scheibe. Ich klimpere mit meinen Wimpern zu meinem Zwilling hoch und kurble sie herunter. Unsere Ähnlichkeiten enden mit unserer Haarfarbe. Während meine Augen grün sind wie die von Mom, sind seine honigbraun und schwarz umrandet. Wie es kommt, dass er fast zwei Meter groß ist und ich gerade mal eins sechzig, werde ich nie verstehen.
»Ja, Bruder?«
»Sieh mich nicht so an.« Er schnippt mir mit dem Finger gegen die Stirn. »Du wirst nicht beim Devil’s Cockpit mitfahren.« Mein Lächeln wird schwächer. »Ich meine es ernst, Halen. Du fährst nicht. Ich möchte, dass du heute Abend bei den Mädels bleibst.«
»Was?!«, schnauze ich. »Sehe ich für dich wie eine Babysitterin aus?« Es hilft nicht, dass ich das älteste Mädchen in der Familie bin, wenn auch nicht um viel. Die anderen brauchen keine verdammte Babysitterin. Außer vielleicht Stella.
»Du siehst aus, als würdest du alles sein, was ich von dir erwarte.« Er beugt sich herunter und wirft eine Maske auf den Beifahrersitz. »Es ist Freitag der Dreizehnte.«
»Ich will nicht –« Er schleicht sich wieder davon. Mein Fenster schließt sich, als ich meine Spotify-Playlist öffne. Ich brauche Verstärkung.
Ich tippe die Nummer meiner besten Freundin ein und überprüfe meinen Lippenstift im Rückspiegel, bevor ich mein Auto aus der runden Einfahrt lenke. Riverside ist eine kleinere Stadt mit 13534 Einwohnern. Die Einwohnerzahl ist wichtig, denn jedes Mal, wenn sie sinkt, stellen wir sicher, dass es sich um natürliche Ursachen handelt. Wenn jemand in unsere Stadt kommt und uns Schaden zufügt, muss er sich vor unseren Vätern und bald auch vor uns verantworten.
»Ich bin bereit, aber lass mich ausreden …«
Ich lasse mich gegen meinen Sitz sinken und kneife die Augen zusammen, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht sehen kann. Niemand verlässt sich darauf, dass ich mich um andere kümmere, aber ich tue es trotzdem gerne. Als wäre ich mit einem natürlichen Gespür dafür geboren worden, meine Familie zu beschützen, also würde ich mich nie beschweren. Aber wenn sie dächten, ich würde babysitten, würden sie vielleicht nicht herausfinden, was wir wirklich tun.
Manchmal, und ich meine fast jeden Tag, brauchen wir eine verdammte Pause. Weg vom Glamour und Gold und einfach … existieren. Um zu tun, was immer wir wollen, ohne dass unsere Brüder auf uns herabblicken wie lästige Hauskatzen, die seit zwei Stunden nicht mehr gefüttert wurden.
»Ich will dich nicht ausreden lassen, Evie!« Evelyn Paige ist schon Teil meines Lebens, seit wir zwei Jahre alt waren. Mutter sagte, wir erinnerten sie an sie und ihre beste Freundin Tate. Ich war mir nicht so sicher, ob das stimmte. Ich liebe Tante Tay, aber die Schlampe ist genauso verrückt wie Mom. Ich schwöre, wir alle können nur dabei zusehen, wie sie sich gegenseitig in ihren schlechten Entscheidungen unterstützen. Jetzt geht es ums Einkaufen, um Urlaube und kleinliche Rache. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie als Teenager gewesen sein müssen.
Evie ist nicht so. Nicht einmal annähernd.
»Du solltest lieber bereit sein!« Ich tippe auf den Blinker, um in ihre Straße abzubiegen. Es ist kurz nach zehn, also ist es ruhig, als ich mein Auto an den Bordstein vor ihrem Haus fahre und der RB-Motor unter meinem Hintern brummt.
Ich schicke ihr eine Nachricht und streiche mein langes schokoladenbraunes Haar hinter mein Ohr. Als sie nicht antwortet, schaue ich zu ihrem Haus hinauf.
Alle Häuser in Riverside liegen irgendwo auf der Skala der großen Geld-Ausstrahlung, und die Taschen von Evies Vater waren einige der gefülltesten in unserer Stadt. Ihre Eltern besaßen eine milliardenschwere Muttergesellschaft und beschlossen, ihre einzige Tochter hier aufzuziehen. Um in Riverside kaufen zu dürfen, muss man die Zustimmung des Stadtrats einholen, und dieser Rat sind die Elite Kings. Also hat ihre Familie entweder eine Vorgeschichte, die mit einer der zehn Gründerfamilien verbunden ist, oder sie sind durch ein gutes Wort meines Vaters hinein gekommen. In Anbetracht seines Forbes-Rankings würde ich sagen, es könnte eine Kombination aus beidem sein.
Das Licht auf ihrer Terrasse geht an und ein Schimmer von kastanienbraunem Haar leuchtet im Licht. Evelyn Paige war alles andere als basic. Sie hat sich immer schick gekleidet, selbst wenn wir nur chillen wollten.
Sie geht gemächlich die breite Veranda hinunter und trägt ein beigefarbenes Set, das aus einem kurzen Rock, einem kleinen Crop-Top, farblich abgestimmten kniehohen Stiefeln, die ihre Beine locker umschließen, und einem langen Trenchcoat besteht. Sie hat ihr Haar zu einem engen, niedrigen Dutt gebunden und trägt eine Sonnenbrille mit weißen Rändern, die ihre bernsteinfarbenen Augen verdeckt. Die Beifahrertür öffnet sich, und sie rutscht hinein, wobei sie die Maske in den Fußraum legt. »Du siehst heiß aus, Bitch, aber sind das meine Schuhe?« Sie beugt sich über die Konsole und mustert mein Outfit.
Eine weite Jeans mit zerrissenen Quasten, hoher Taille und mit Löchern an den Oberschenkeln, gepaart mit Air 1s. Das Oberteil habe ich schlicht gehalten, mit einem weißen Crop-Top, das ich unter meinen Brüsten zusammenbinden kann.
»Nein«, zögere ich und lege den ersten Gang ein. Mist. Das könnte sein. Da wir alle einen ähnlichen Stil haben, wobei keiner von uns einheitlich ist, weiß ich nicht, wer was in meinem Zimmer lässt.
»Dafür habe ich deine Dolce-Schuhe.« Sie zuckt mit den Schultern und klappt die Sonnenblende herunter, um ihren Lippenstift im Spiegel zu überprüfen. »Ich dachte, du brauchst sie nicht, weil du sie in ungefähr jeder Farbe hast, und außerdem –« Ich blicke sie über meinen Arm hinweg an. Und außerdem was? »– und außerdem weißt du, dass Pink nicht deine Farbe ist.«
Da hat sie recht. »Stimmt.«
»Was ist der Plan für heute Abend?«
Ich tippe mit dem Finger auf das Lenkrad und schaue zwischen der Straße und der LED-Anzeige, die die Uhrzeit anzeigt, hin und her.
»Hales …« Ihre Stimme durchbricht meine Gedanken und sie dreht sich auf ihrem Sitz zu mir um. »Ich kenne diesen verdammten Blick. Was denkst du gerade?«
»Die Kings machen heute Abend das Übliche und sind sehr herrisch.« Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt nachdenke, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass es auf eine von zwei Arten enden wird, wenn ich bei dem erwischt werde, was ich jetzt vorschlage. Die erste? Priest sperrt mich wie Rapunzel in mein Zimmer und lässt mich wochenlang nicht mehr raus, oder … War. Wars Zorn möchte ich nicht unbedingt erleben.
Als wir eine rote Ampel erreichen, bremse ich und schaue mir die beiden Schilder vor uns an. Das eine weist auf das Stadtzentrum von Riverside hin, das andere auf den Highway, der direkt zum Chevalier Hill führt.
»Ich meine …« Evie neckt mich, während sie ihre Sonnenbrille abnimmt. Ihre Augen glitzern verschmitzt, während sie zwischen mir und dem Schild hin- und herschaut und sich mit den Händen über die braunen Oberschenkel reibt. »Das würde deinen Bruder bestimmt wütend machen.«
»Er ist nicht derjenige, den ich versuche, wütend zu machen.« Ich umklammere das Lenkrad.
Evie hält inne und hebt eine perfekt gezupfte Braue. Sie weiß, auf wen ich mich beziehe. »Was hat er jetzt wieder gemacht?«
Ich trete die Kupplung und lege den ersten Gang ein. Jeden Moment werden sie durch die Straßen rasen und wenn sie das tun, will ich nicht hier sein.
Ich trete die Kupplung durch und tippe mit meinem anderen Fuß auf das Gaspedal. Gerade als ich eine hohe Drehzahl erreiche, lasse ich die Kupplung los und trete mit demselben Fuß auf die Bremse, bis meine Hinterreifen die Bodenhaftung verlieren und Rauch die Scheiben des Autos vernebelt. Evie und ich atmen beide den vertrauten Geruch von heißem Asphalt und verbranntem Gummi ein, als wäre es unser eigenes Parfüm.
Ich schalte in den zweiten Gang, gehe von der Bremse und rase los. Ich würde nie zum Chevalier Hill fahren, aber es würde Spaß machen, zu sehen, wie weit wir tatsächlich kommen würden, bevor uns jemand oder etwas aufhält.
Erster Halt: die Mädchen abholen.
Liebe war nichts weiter als eine Maske, die dazu diente,
jemandem all das Unrecht zu verzeihen, das er getan hatte.
Liebe existierte nicht. Besessenheit schon.
Meine Finger berührten die Wasseroberfläche, während ich meine Augen schloss. Vögel zwitscherten um den rauschenden Wasserfall herum, und ich grub meine Zehen tiefer in den Sand. Ich hatte auf diesen Moment gewartet. Die aufregenden Minuten, die vergingen, obwohl ich wusste, dass ich nicht hier sein sollte.
Ich öffnete meine Augen und schaute über meine Schulter. Wo zum Teufel ist River hin? Unsere Handtücher lagen auf dem Sand ausgebreitet, während Metallica durch die Luft schallte. Ich liebte es hier.
Das Wasser verschlang meinen Körper immer weiter, während ich tiefer und tiefer hinausging. Sobald ich mich an die Wassertemperatur gewöhnt hatte, hielt ich mir die Nase zu und tauchte unter. Meine Haut kribbelte nicht mehr wie ein Schmelzofen, als ich mich vom sandigen Boden hochdrückte und wieder an die Oberfläche kam. Ich wischte über meine Augen, die Mascara lief über meine Hand und ich wandte mich wieder dem Ufer zu, in der Hoffnung, River zu finden, doch stattdessen stieß ich mit einem harten Körper zusammen. Meine Hand flog und landete auf seiner Brust. Ich wusste, wer es war. Auch ohne seine verräterischen Tattoos anzusehen, hatte ich es gewusst. Die Vehemenz, die ihm überallhin folgte, wurde von einer Flammenzunge begleitet, die mich immer zu schmecken schien, wenn er in der Nähe war. Eines Tages würde er mich ganz verschlingen.
Stopp, Halen. Denk nach. Nicht das. Nicht jetzt.
»War …« Ich stieß mich von ihm weg, aber seine Hand schloss sich um meinen Rücken und zwang mich in seine Nähe. Als wüsste er, dass ich ihn nicht in meiner Nähe haben wollte, aber mehr brauchte. Selbst in der Dunkelheit konnte einen das heftige Brennen des Hasses nach Hause leiten. »Was zum Teufel machst du da?« Ich schaffte es, mich aus seinen Armen zu winden, und gerade, als ich dachte, er würde mich zum Ufer schwimmen lassen, lag seine Hand auf meinem Bauch und drückte mich wieder zurück.
Seine Finger strichen über meine Haut. »Hör auf zu reden, verdammt.« Ich biss mir auf die Unterlippe, als mir der Atem in der Kehle stecken blieb. Ich wollte gar nicht aufhören zu reden. Ich wollte wütend auf ihn sein, weil er mich berührte. Ich wollte das Feuer brennen lassen, bis es uns beide in Asche verwandelte.
Er strich mit seinen Lippen über meinen Nacken und Angst kribbelte über meine Haut. Angst, Wut, Hass – sie alle wurden mit denselben Zutaten gekocht, um die eine Emotion zu schüren, die genauso oft missbraucht wurde, wie sie verfolgt wurde. »Du willst es. Hör verdammt noch mal auf zu spielen.« Seine Fingerspitzen streiften den Saum meines Bikinis und meine Schenkel krampften sich zusammen. »Ich weiß nicht, warum. Ich würde dich nur aufbrechen und alles herausreißen, was dich gut macht.«
Ich stieß mich von ihm weg und dieses Mal hielt er mich nicht, sondern ließ mich los. Ich schwamm durch das Wasser und ärgerte mich über mich selbst, weil ich nicht hart genug gekämpft hatte. Warum hatte ich das zugelassen?
Scheiß auf War.
Und scheiß auf die Verletzten, die er überall zu hinterlassen schien.
»Geht es dir gut?« Stella schaute mich über ihre Prada-Brille an und hielt zwei rote Plastikbecher in ihren Händen. Ihr mitternachtsschwarzes Haar war zu zwei schicken Frischgrätenzöpfen auf beiden Seiten ihres Kopfes geflochten. »Was hat er getan?«
»Nichts.« Ich nahm ihr einen der Becher ab. Wenn ich etwas gut konnte, dann war es, War zu ignorieren.
Nun … nein, das war nur eine Halbwahrheit.
Vorbei an den Leuten, die in der Nähe der Schaukel, die zum Wasser hinausschwang, tranken, folgte ich dem Pfad durch die Lichtung, wobei ich über abgebrochene Zweige und Blumen trat. Devil’s Cockpit begann am Wasserbett auf der anderen Seite in der Nähe des Skidpads, aber man konnte auch querfeldein laufen, um zu der privaten Sandbucht zu gelangen.
Ich war noch nicht ganz am Ende angekommen, als ich die unsichtbare Berührung der Augen von hinten spürte. Vielleicht war es die Stille, die mich von dem Ort trennte, an dem ich stand, oder vielleicht war es die Art und Weise, wie der Wind meine Knöchel umspielte und dieses vertraute Gefühl der Angst meinen Magen erfüllte.
Meine Finger kribbelten, als ich mich umdrehte, ohne etwas zu sehen. Nichts außer dem leeren Weg, über den ich gerade gegangen war. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, ging ich weiter. Das gleiche Gewicht fiel zu Boden, als ein Schatten hinter einem Baum hervortrat.
Er war groß und schlaksig und hatte einen rot-weißen spiralförmigen Ohrring an seinem Ohrläppchen hängen.
Sein Kopf neigte sich zur Seite und mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Er war viel zu alt, um hier zu sein.
»Hast du dich verlaufen?« Meine Füße trugen mich dorthin, wo er stand, während der Wind die losen Strähnen meines Haares umherwirbelte.
Ich strich mir eine Strähne hinter das Ohr. »Ich bin Halen, ich –« Ich hielt inne. O nein!
Er antwortete nicht.
Ich wich ihm aus, aber mein Arm streifte seinen im Vorbeigehen. Ein stechender Schmerz schnürte mir die Kehle zu und ich fiel auf die Knie. Ich konnte nicht mehr atmen. Die Welt begann, um mich herum zu zerfallen.
Die Strecke.
Der Sand.
Das Lachen und die Geräusche von Gummireifen.
Alles um mich herum löste sich auf, als er mich an der Kehle packte und auf die Beine zog. Die Welt, wie ich sie kannte, gab es nicht mehr.
Die Welt, wie ich sie kannte, war düster.
Vierzehn Jahre alt
Meine Schlafzimmertür flog auf, als Halen hineinschlüpfte und sich mit dem Rücken dagegen lehnte, als sie sich schloss. Ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, mich zu fragen, was für ein verdammtes Spiel sie da spielte. Sie war Halen Hayes. Das Mädchen kam mit allem durch.
Wortwörtlich.
»Halen.« Priest stand von meinem Bett auf und verteilte Gras auf dem Teppich. Nicht, dass es Dad oder Mom viel ausgemacht hätte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mom jeden Tag Brownies aß. »Was zum Teufel machst du hier?«
Selbst wenn J. Cole und Joyner Lucas durch die Wände zu hören waren, kann das Priest nicht ablenken.
»Als ob ich nicht kommen würde, wenn ihr eine Party schmeißt!« Sie warf ihr langes braunes Haar über ihre Schulter und verengte ihre Augen auf uns alle. An mir blieb sie hängen, weil sie das verdammt noch mal immer tat.
Mein Blick fiel auf den Becher, den sie in der Hand hält. »Bist du betrunken?«
»Hmmm?« Sie straffte ihre Schultern ein wenig zu fest, als versuche sie, nüchtern zu wirken. »Nein. Leider.«
Vaden beobachtete sie genau und seine Augen verfinsterten sich. »Sie ist total dicht.«
»Ach, Vade …« Sie schürzte ihre Unterlippe. »Wir können um deinen R35 wetten, dass ich es nicht bin.«
Priest zeigte mit seinem Finger auf seinen Zwilling. »Geh nach unten. Und zwar sofort. Ich bringe dich nach Hause.«
»Das kannst du nicht. Du bist betrunken.« Ich stand von meinem Bett auf und hielt ihren Blick fest. »Ich nehme sie mit.« Wir waren uns seit ihrem dreizehnten Geburtstag aus dem Weg gegangen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie sich danach besonders bemüht hat, mir aus dem Weg zu gehen.
Priest klemmte sich den Joint hinters Ohr und schloss den Abstand zwischen ihnen. Er senkte sich auf ihre Augenhöhe, was fast einen halben Meter war. »Du solltest doch zu Hause sein.«
Sie forderte ihn heraus. »Das war ich. Und dann habe ich beschlossen, dass ich mich betrinken will. Zum Glück macht ihr mir das leicht.«
»Ich werde sie auf dem Weg zu Emma absetzen.« Die Party war im Moment klein, weil die Nacht noch jung war. Es war gerade mal neun Uhr abends und sie war offensichtlich schon völlig im Eimer. In ein paar Stunden würde das Haus voller betrunkener Fuckboys sein, und na ja … Dad hatte gesagt, kein Blut auf dem Teppich.
Ich wartete auf eine Antwort von ihm und war vorsichtig, wenn es um Halen geht. Priest war vieles eigentlich scheißegal, aber wenn es um seine Schwester ging, knickte er ein. Nicht immer, denn sie benutzte seine Geduld gerne als verdammtes Springseil. Er ließ sie in Ruhe, aber der Schein trog, denn er hatte sie immer im Blick. Als sie aufwuchsen, nannte man sie die Schattenzwillinge. Sie war das Tageslicht, er die Dunkelheit, und wo immer sie hinging, war er dabei. Priest war ihr Schleier, und wenn jemand versuchte, ihn zu lüften, würde er einem die Kehle aufschlitzen und die Organe als Schmuck tragen.
Priest ignorierte sie und schaute mir weiterhin in die Augen. »Schließt sie in ihr Zimmer ein, wenn ihr da seid.«
»Ähm – Ich bin doch hier!«, schnauzte sie und ging einen Schritt auf Priest zu. Ich packte sie am Arm, öffnete die Tür mit der anderen und zerrte ihren Arsch in den Flur.
»War!«, knurrte sie und schlug meine Hand weg, was mich nur dazu brachte, noch fester zuzudrücken. Ich ließ nicht los, bis wir die Treppe hinuntergegangen und aus der Haustür raus waren. Dann warf ich sie auf den Beifahrersitz meines RX4.
»Übernimmst du das wirklich?«, fragte Vaden aus dem Schatten auf der Terrasse, als ich ihre Tür zuschlug. Er schnippte seine Zigarette auf den Beton. »Oder müssen wir noch mal darüber reden, dass wir nicht dort scheißen, wo wir essen?« Er hob eine einzelne dunkle Braue und trat vorsichtig aus dem Schatten. Das Licht des Gartens beleuchtete sein Gesicht, in dem ein blaues und ein braunes Auge zu sehen waren. »Oder dass wir uns alle geschworen haben, einander nicht zu vögeln.«
Ich streckte ihm den Mittelfinger entgegen und griff nach dem Türgriff auf der Fahrerseite. »Du musst mir diesen Scheiß nicht sagen.« Dieser Schwur war Blödsinn. Wir alle wussten es. Er wurde von mir für mich gemacht. Sie stimmten einfach alle zu.
Priest wusste, warum ich es getan habe. Er war zu schlau, um es nicht zu wissen.
Ich schwang die Tür zu und trat die Kupplung. Der Kreiskolbenmotor pulsierte unter mir wie ein Lied, das ich in der Wiederholung abspielen könnte, aber Halen griff trotzdem nach dem Radio. Die Spannung zwischen uns stieg, aber sie würde nicht lange ruhig bleiben können. Als wir die lange Auffahrt herunterfuhren, schaltete sie schon die Musik aus und drehte sich zu mir um. Ich wusste, dass sie irgendeinen dummen Scheiß sagen würde, aber damit hatte ich nicht gerechnet …
»Ich will, dass du mich fickst.«
Ich trat ruckartig auf die Bremse und sie flog nach vorne, eine Hand landet auf dem Armaturenbrett. »Was zum Teufel, Halen?«
Ihre smaragdgrünen Augen weiteten sich, während sie sich mit den Fingern durch die Haare fuhr und sie oben auf dem Kopf sammelte. »Es ist eine einfache Bitte, War.« Sie zuckte mit den Schultern, ihr langes Haar war jetzt zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. »Bitte? Ich muss –« Sie hielt einen Moment inne, ihr Blick schweifte in die Ferne, bevor sie den Kopf schüttelte und mich wieder ansah. »- meine V-Card hinter mir lassen und ich möchte lieber nicht irgendeinen Bauern aus der Schule ficken.«
Mein Mund öffnete und schloss sich dann wieder. Ich war noch nie sprachlos, aber natürlich ist sie die Erste, die es schaffte.
»Hör auf zu reden, verdammt!« Ich wandte mich wieder der Straße zu und legte den ersten Gang ein. Ich wollte gerade die Kupplung loslassen, als sich ihre Finger um mein Kinn schlossen und sie meine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte. Halen und ich waren schon immer ein No-Go. Abgesehen vom Schwur der Bruderschaft würde ich das nie tun. Deshalb hatte ich das verdammte Ding ja erst ins Leben gerufen. Ich hatte es für niemanden außer mich selbst getan. Dann war da noch Priest. Und der verdammte Bishop Hayes als ihr Daddy. Ja, man hatte bessere Chancen, in einem verdammten Nonnenkloster flachgelegt zu werden, als das jemals zu schaffen.
»War, ich mein’s ernst.« Mein Blick fiel auf ihre Lippen. Sie waren geschwollen. Sie sahen immer so aus, als wäre sie viel zu oft geküsst worden. Sie passten zu ihrem diamantenförmigen Gesicht. Volle Wimpern umrahmten ihre smaragdgrünen Augen, und ihre Wangenknochen waren hoch und scharf – bis sie lächelte. Sie war schon immer süß. Wenn süß bedeutete, dass sie einem auch die Nase mit ihrem rechten Haken brechen konnte. Verdammt wahre Geschichte. Aber heute Abend fiel mir zum ersten Mal auf, wie sehr sich ihre Gesichtszüge verändert hatten. Irgendwo zwischen dem kleinen Mädchen, das ich ein ganzes Leben lang gekannt hatte, und der Frau, zu der sie heranwuchs, lag die Person, die mich anschaute und mich bat, sie zu ficken.
Fuck.
Ich würde mich selbst belügen, wenn ich sagen würde, dass sie nicht heiß wäre. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie eine Hayes war.
Fuck.
Ihre Wimpern fächerten sich über ihre Wangen, während sie meinen Blick suchte. Es war mir egal, dass ich mitten auf der Straße angehalten hatte und die Gefahr bestand, dass wir entdeckt werden könnten, denn in dieser Stadt weiß jeder, wem unsere Autos gehörten, selbst unsere exotischen Wagen.
»Halo …«
Ich kam nicht einmal dazu, meinen Satz zu beenden, bevor sie über die Mitte kletterte, mich von hinten im Nacken packte und sich auf meinen Schoß herabließ.
Instinktiv griff ich ihr an die Kehle, aber anstatt, dass es mir in dieser Situation half, wurden dadurch die Tattoos meiner Hand auf ihrer jungfräulichen Haut sichtbar.
Sie wurde rot und gerade, als ich dachte, dass sie in Panik geriet und mich aufforderte, sie loszulassen, hob sich ihr Mundwinkel und ihre Zähne blieben an ihrer Unterlippe hängen. »Okay, dann lass uns spielen.«
»Fuck …«, knurrte ich und meine Geduld schwand. Wenn das alles war, was ich tun musste, um alles infrage zu stellen, dann scheiße. Ich musste mich ablenken. Abstand. Ich brauchte mehr Abstand.
»Ich versuch’s!« Sie rollte mit den Augen. Ich fing ihre Hüften auf, als sie sich gegen mich bewegte, und schob sie zurück in ihren Sitz.
Ihr Kopf schlug gegen das Fenster. »Au!«
»Bleib verdammt noch mal da sitzen. Ich meine es ernst.«
»Schön!« Sie schlug die Sonnenblende nach unten und richtete ihren Lippenstift im Spiegel. »Aber sag nachher nicht, ich wäre nicht zuerst zu dir gekommen.«
Heute
Das war vor fast sechs Jahren und obwohl weder sie noch ich jemals wieder darüber gesprochen haben, möchte ich es jedes Mal tun, wenn sie in der Nähe ist, nur um sie zu quälen. Haben wir uns seitdem voneinander ferngehalten? Ja. Es ist recht einfach, bis wir alle zusammen sind. Und das sind wir fast jeden Tag. Ich glaube nicht, dass wir jemals länger als eine Woche voneinander getrennt waren.
Also taten wir, was wir mussten. Die Leute in Riverside würden nicht einmal in der Nähe eines dieser Mädchen atmen, ohne dass wir es wüssten. Es ist nicht leicht, mit einem Mädchen zusammenzukommen, dessen Familie Teil der gefürchtetsten kriminellen Organisation der Welt ist, die die Menschheit kennt. Organisation ist wahrscheinlich noch untertrieben. Es ist ein Orden. Eine Lebensweise. Von Generation zu Generation haben wir alle Bereiche der Macht in der Welt kontrolliert. Von Verschwörungstheoretikern wurden wir im Laufe der Jahre als die modernen Illuminaten bezeichnet. Damit haben sie fast recht. Nur haben sie es nicht.
Das hat die Schwachen von den Mädchen ferngehalten. Wenn man nicht in der Lage ist, gegen uns anzutreten, dann hat man es nicht verdient, dass sie vor einem auf die Knie gehen. Es ist eine Win-Win-Situation.
»Yo!«, pfeife ich Vaden zu, als er in seinen höhergelegten R35 gleitet. Ich werfe ihm die Scream-Maske zu und er fängt sie in der Luft auf, während ich die Fahrertür meines R32 öffne. Ich habe das verdammte Ding von Grund entkernt, es auf seinem Hinterteil abgeladen und mit Tiefbettfelgen ausgestattet. Im Moment hat er achthundert PS, was nichts ist, wenn man ihn mit Vadens neuem Hennessey Venom vergleicht, aber er ist immer noch der schnellste JDM, den wir haben, und ich habe keine paar Millionen dafür bezahlt.
Die Maske hängt von Vadens Finger. »Was zum Teufel? Was ist das für ein kitschiges Klischee? Die einzige Maske, die dieses Gesicht berührt, ist meine Millionen Dollar teure Calvaria.«
»Zieh das verdammte Ding an.« Priest öffnet die Tür zu seinem 180SX. Er hält inne und schaut auf meine Jason-Maske hinunter. »Zeit, mit den Kindern zu spielen.«
Ich lasse den Motor vor dem Anwesen der Vitiosis laut aufheulen, nachdem Evie und ich schnell nach Hause gefahren sind, um die Autos auszutauschen. Der Hakosuka ist das Lieblingskind. Mit seinen elfenbeinfarben lackierten und verdunkelten Kennzeichen, ist er das perfekte Ride-or-Die-Auto. Am Anfang mussten wir den Motor austauschen, weil die älteren GTRs nicht mit dem RB ausgestattet waren. Aber jetzt ist sie eine Waffe.
Als sie zu lange braucht, schiebe ich mich durch das Fenster und setze mich auf das Autodach. Das Herrenhaus von Vitiosis bietet aufgrund seiner abgelegenen Lage einen direkten Blick auf die Berge. Es hat eine moderne gotische Architektur mit Glasfenstern, schlichter schwarzer Vertäfelung und Marquina-Marmorsteinzeug. Unsere Eltern begannen während ihrer Schwangerschaft mit dem Ausbau des Elite Boulevards, der sich nun über das gesamte Land hinter Riverside erstreckt.
Am Elite Boulevard liegen Hayes, Vitiosis und Malum Lane. Das erste Haus, auf das man trifft, ist die Burg Hayes, die zwischen Malum und Vitiosis liegt. Brantley und Saint, die Eltern von Stella und Vaden, haben beschlossen, ihr Haus in sicherer Entfernung von der Zivilisation zu bauen. Alle Kings bauen seit Jahren an ihren eigenen Häusern, und als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war das von Priest fast fertig. Wir hatten keines von ihnen gesehen, denn jedes Haus liegt versteckt und zweigt vom Grundstück unserer Eltern ab.
Logischerweise.
Der Kronleuchter, der von der Decke hängt, wirft ein flackerndes Licht auf die Terrasse. Ihr Lachen erfüllt die Luft, als sie aus der Tür stolpern. Ihr wirres Haar ist eine chaotische Mischung aus blond und rabenschwarz. Stella hat ihr mitternächtliches Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, während Rivers sandfarbene Wellen geglättet sind.
River trägt ein elegantes, trägerloses Minikleid in Schwarz mit Seitenschlitzen und oberschenkelhohen Riemchen-Heels, während Stella ein figurbetontes, schwarzes, trägerloses Minikleid und dazu passende oberschenkelhohe Boots wählte.
»Ich sagte, du sollst mich nicht warten lassen!« Ich ziehe eine Braue hoch, bevor ich zurück ins Auto gleite und mein Fenster hochkurbele.
Als Stella einsteigt und die Tür zuschlägt, lehnt sich River vor und streift mit ihrem Arm den meinen. »Zuerst einmal«, ihr Haar fällt zur Seite, »wissen wir beide, dass wir alle darauf warten mussten, dass die Dämonenbande mit ihrem Spielzeug spielen geht.«
»Ich habe das Gefühl, dass sie mit dem Alter immer schlimmer werden.« Evie wirft River die Tüte mit dem Koks zu. Da Stella ein paar Jahre jünger ist als wir, versuchen wir, sie von Ärger fernzuhalten. Aber sie ist achtzehn, und so sehr wir auch versucht haben, sie vor vielem zu beschützen, ist sie eine King. Sie wird spielen wollen …
… und genau das tut sie.
Evie dreht sich zu mir um. »Also, wohin? New York? Bitte! Ich frage mich, ob ich das finden kann –«
Ich unterdrücke ein Lachen und steuere uns um die kreisförmige Einfahrt, die uns den Berg hinunter und zurück auf den Elite Boulevard führt. »Warst du nicht auf Snapchat?«
Evie schüttelt langsam den Kopf, während Stella sich nach vorne lehnt und die Musik aufdreht. Fight the Feeling von Rod Wave spielt durch die Subwoofer. »Nein!«, schreit sie, gerade, als ihr Telefon aufleuchtet. Ich beobachte, wie die zwei kleinen Linien zwischen ihren Brauen langsam verschwinden und ihr Mundwinkel zuckt. »O, perfekt.«
Ich drehe die Musik ein wenig leiser. »Jep.« Mein Blick trifft die Mädchen im Rückspiegel. »Ich habe nachgedacht. Wir könnten etwas Ähnliches wie Devil’s Cockpit gründen, aber ohne, dass sie uns nerven.« Ich halte inne und denke über meine nächsten Worte nach. Was auch immer sie auf Perdita machen, es gehört zu einem ganz anderen Spiel-Genre. Perdita ist unsere Mutterinsel und liegt nur drei Flugstunden von der Küste von Riverside entfernt. Die Insel selbst wird von unseren eigenen Leuten und von Zivilisten bewohnt, die mit den zehn Gründerfamilien verbunden sind, die es vorziehen, in einer gesetzlosen Gesellschaft zu leben. Sie wird von einer Schlampe geleitet, die ich hasse, und von einer Gruppe von Jungen, die seit Hunderten von Jahren auf der Insel großgezogen werden, als Waffe eingesetzt. Die verlorenen Jungs. Aber sie sind keine Jungs. Sie sind so ruhig wie Rotkäppchen, aber so hungrig wie der Wolf.
Stella blickt von hinten auf, nachdem sie durch Snapchat gescrollt hat. »Du hast etwas in Bayonet Falls angefangen? Der Ort ist verlassen, nicht wahr? Seit dem Krieg zwischen denen, die nicht genannt werden sollen, und uns.« Ich verschlucke mich an meinem Lachen über Stellas schlechten Versuch, die Gentlemen nicht zu erwähnen.
»Ja, aber deshalb ist es ein perfekter Ort, um es dort zu machen.«
»Mit es meinst du Rennen? Eigentlich eine gute Idee. Es liegt zwischen Riverside und Chevalier Hill, also kommt es dem Abkommen nicht in die Quere, und –«
Sie hebt ihren Zeigefinger und lässt ihren zehnkarätigen, strahlenden Diamantring aufblitzen. Unsere Väter überhäufen uns bei jedem Geburtstag mit Diamanten. Ich bin mir sicher, dass es eine versteckte Bedeutung dahinter gibt und es etwas mit Einschüchterung zu tun hat.
»– vor allem können wir tun, was wir wollen.« Der süße Rauch von Zaza erfüllt die Luft, als Stella es Evie reicht. »Du weißt, dass sie denken, wir wären alle noch Jungfrauen.«
Ich beiße mir in meine Unterlippe, um mein Lächeln zurückzuhalten. »Nur, weil wir es ihnen erlauben.«
Ich fahre uns durch die bewaldete Landschaft des Vitiosis Drive. Riverside mag über dreizehntausend Einwohner haben, aber jeder, auch die, die nicht hier wohnen, wissen, wer wir sind.
Wir Mädchen haben uns, als wir jünger waren, ein Schlupfloch ausgedacht, damit die Jungs nichts von dem erfahren, was wir tun. Wir fuhren in die Stadt und gingen dort auf Partys. Es war eine vierstündige Fahrt dorthin und eine vierstündige Fahrt nach Hause, aber wir fuhren meistens freitags los und kamen samstags nach Hause.
Das Spiel mit den Lügen war einfach, denn wir waren alle füreinander da. Tief im Inneren wusste ich, dass keiner von uns erwischt werden wollte, aber es gab uns Freiheit. Die Freiheit, unter Menschen zu sein, die uns, unsere Eltern oder unsere Familien nicht kannten. Zumindest nicht persönlich, und wenn sie uns doch erkannten, war es einfacher zu sagen, dass die Gerüchte tatsächlich nur Gerüchte waren.
Natürlich bringen wir keine Menschen um.
Nein, mein Pop war nicht zwei Amtszeiten lang Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und hat gleichzeitig einen Geheimorden geleitet.
Nein, wir versammeln uns nicht und trinken während eines Rituals das Blut von anderen, um die Macht zu übernehmen, wenn unsere Zeit gekommen ist.
Die Elite Kings sind in Kreisen berüchtigt, von denen wir uns fernhalten wollen. Wir wollen Normalität. Wir wollen Koks von den Titten der anderen schnupfen und mit irgendwelchen Typen rummachen. Das würde in Riverside oder irgendwo nördlich von New York nie passieren. Also fahren wir in die entgegengesetzte Richtung und halten uns in der Nähe von Kleinstadtbewohnern auf, die so beschäftigt und verklemmt sind, dass sie sich nicht darum kümmern, was um sie herum passiert. Die geradlinige Art.
Evie müsste nicht dabei sein, da sie keine King ist, aber sie weiß genug, ohne zu viel zu wissen. In der Schule war sie das beliebte Mädchen. Jeder wollte mit ihr befreundet sein, denn so fühlt man sich bei Evie. Gewollt. Geschätzt und geliebt. Sie ist die Menschlichkeit in unserer Familie, und ich glaube, das ist ihr Vater auch für Dad.
Rivers Blitzlicht auf ihrem Handy geht an, bevor sie es auf mich und Evie richtet. Ich strecke meinen Mittelfinger nach oben und Evie streckt ihre Zunge zur Seite heraus.
In einem Lachanfall richte ich meinen Blick auf die Straße und drehe die Musik lauter.
In dem Moment, in dem wir das Ortsausfahrtsschild von Riverside passieren, schalte ich in den dritten Gang und gebe Gas. Je weiter man auf diesem Highway fährt, desto deutlicher wird, wie wenig Menschen unterwegs sind. Es muss Jahre her sein, dass Autos diese Straße befahren haben, denn der einzige Ort, zu dem sie führt, ist eine verlassene Stadt, und zwar die einzige Stadt, in die wir laut Vertrag niemals einen Fuß setzen dürfen. Die einfache, gerade Straße mit Hügeln und nichts um uns herum als Wald auf beiden Seiten.
Ich lache über River und Stella, die Low Life für irgendeinen TikTok-Trend lip-synchen, als etwas vor mein Auto rennt. Meine Haut kribbelt, ich schreie und bremse so hart, dass wir beinahe ins Schleudern geraten wären.
Evie schaltet das Radio aus, Sekunden vergehen in Stille, ehe ich mich umdrehe, um nach ihnen zu sehen. »Geht es allen gut?«
Stella hält sich die Hand an die Brust. »Ja, aber was zum Teufel war das?« Es hilft nicht, dass es keine Straßenlaternen gibt, sodass wir nur durch die Scheinwerfer direkt vor uns sehen können.
»Ich weiß es nicht …«, flüstere ich und lehne mich in meinem Sitz zurück. »Ich werde nachsehen.«
Ich will die Tür öffnen, aber Evies Hand greift nach meinem Arm und hält mich auf. »Jetzt mal im Ernst. So stirbt jeder in jedem Film.«
»Das ist kein Film. Es ist Riverside. Das heißt, es ist schlimmer.« Ich öffne meine Tür und steige aus dem Auto aus. Ich gehe um die Vorderseite herum, wo die Scheinwerfer auf die endlose Straße der Dunkelheit strahlen. Jemand liegt an der Seite und hält sich den Bauch. »Shit.« Ich lasse mich neben ihn fallen, drücke seinen Arm und drehe ihn auf den Rücken.
Er ist nur mit einer zerrissenen Jeans und Stiefeln bekleidet, und über seinen Rippen klafft eine tiefe Wunde, aus der Blut fließt. Er ist eindeutig bewusstlos. Ich halte inne, als ich die Scream-Maske bemerke.
»Mein Gott … haben wir ihn angefahren?«, fragt Evie, die ihren Blick auf seinen Körper richtet.
Ich scanne die Vorderseite meines Autos. »Wenn wir das getan hätten, hätte er Schaden angerichtet. Alte Autos wie dieses würden das nicht so gut verkraften. Nein. Ich glaube, er ist auf die Straße gerannt, um Hilfe zu holen.« Ich drücke mich hoch und zeige auf seinen Körper. »Bleib hier bei ihm. Ich muss meinen Dad anrufen.« Ich laufe zurück zu meinem Auto und lehne mich durch die Tür.
River räuspert sich auf dem Rücksitz. »Wir beide wissen, was das ist.«
»Ich weiß. Aber Evie ist hier und ich will dieses Gespräch nicht mit ihr führen müssen. Niemals.«
»Ich glaube, es ist an der Zeit.« Stella seufzt und stützt ihren Kopf gegen das Fenster. »Du hast ihr unsere Welt lange genug verschwiegen und sie weiß, dass es den Elite Kings Club gibt und dass unsere Familien korrupt sind. Das ist nur ein ›Hey, ja, also zusätzlich sind wir auch noch –‹«
»Halen! Er bewegt sich!«
»Wenigstens ist er nicht tot«, murmelt River. Ich weiß, dass sie recht hat. Ich weiß, dass ich Evie von dem Drama in unserer Welt ferngehalten habe. Nicht weil ich ihr nicht vertraue, sondern weil ich sie nicht in Gefahr bringen will. Vielleicht hätte ich sie damit direkt in die Schusslinie gebracht. Priest nervt mich schon seit Jahren damit, ihr alles zu sagen, damit wir nicht wie auf Eierschalen um sie herumtänzeln müssen. Sie ist achtzig Prozent der Zeit mit mir zusammen. Das macht die Sache schwierig.
Ein lautes Heulen vibriert durch den Wald auf beiden Seiten der Straße, als ich mich auf den Weg zurück zu ihnen mache. Evie springt auf und dreht sich von links nach rechts. »Was zum Teufel war das?«
»Ein Werwolf?«, scherze ich und beuge mich wieder zu dem Mann auf der Straße hinunter. Seine Bauchmuskeln wölben sich über seinen Oberkörper, seine Haut ist nackt und frei von Tattoos. Ich ziehe meine Jacke aus, ignoriere den kalten Biss, der Zahnspuren auf meiner Haut zu hinterlassen scheint, und lege sie auf die Wunde an seinen Rippen. Er stöhnt unter der Maske auf, also ziehe ich sie langsam ab.
Gott. Bitte kenne diesen Typen nicht. Bitte sag mir, dass diese Idioten es nicht endlich zu weit getrieben und tatsächlich jemanden an Land getötet haben. Auch wenn er sich bewegt …
»Hey …« Ich schlage dem Kerl, um seine hohen Wangenknochen und breiten Lippen herum, ins Gesicht. Er hat eine Beule auf der Nase, weil er einmal zu oft geschlagen wurde, und einen Hauch Bartwuchs am Kinn.
Seine Augen weiten sich und ruhen auf mir. »Verdammt …«
Ich ziehe eine Braue hoch. »Okay, Playa. Wo kommst du her?«
Er hustet und hält seine Hand auf seinen gebräunten Bauch, während er versucht, sich von der Straße zu ziehen. »Hey! Bleib hier!« Ich dränge ihn mit einem Schubs zurück nach unten.
Er räuspert sich. »I-Ich muss mich verlaufen haben.«
Ich drehe sein Gesicht an seinem Kinn zurück zu meinem. »Ich bin Halen. Halen Hayes.«
Sein Gesicht wird blass. »Ich hab mich verlaufen.« Natürlich. Was zum Teufel ist hier los?
Ich schaue zu Evie hoch, die den Kopf zur Seite neigt und zwischen mir und dem Mann hin und her schaut. Es passierte schon zwei Mal in meinem Leben, dass Evie in der Position war, Fragen zu stellen. Sie entscheidet sich immer dagegen. Ich warte auf den Tag, an dem sie es endlich tut, und dann lasse ich sie entscheiden, was sie tun will. Aber darum kann ich mich später kümmern. Jetzt muss ich erst einmal meinen verdammten Bruder finden.
»Du musst jetzt aufstehen. Bist du außer an deinen Rippen noch irgendwo verletzt?«
»Nein. Ich glaube nicht.«
Ich lege meine Hand unter seinen Kopf. »Ev? Hilfe?«
»Äh …« Sie tritt von einem Fuß auf den anderen und schaut zurück zum Auto. »Ist das eine gute Idee? Halen, wir kennen ihn nicht, und ich verstehe, dass du ein großer Hund bist und deine Familie unantastbar ist, aus welchem Grund auch immer, aber sie sind gerade nicht hier und er könnte ein Mörder sein!«
Der Typ verschluckt sich an seinem Lachen. »Das ist verdammt lächerlich.«
»Okay, Kumpel. Halt die Klappe und steh auf.« Ich gebe ihm einen kräftigen Ruck und er lässt sich schließlich von mir von der Straße ziehen. Ich lege seinen Arm um meine Schulter und führe ihn zur Beifahrerseite des Autos. »Ev, setz dich hinten zu den Mädels.«
»Halen …«
»Evie!« Ich sehe sie mit großen Augen an und öffne die Beifahrertür mit der Hand, mit der ich den blutenden Fremden nicht festhalte.
»Schön.« Sie geht an uns beiden vorbei und springt auf den Rücksitz. Ich beuge mich vor und schiebe den Beifahrersitz weiter nach hinten, lasse den Jungen fallen und werfe die Maske auf seinen Schoß. Ich schließe die Tür und gehe um das Auto herum zur Fahrerseite. Gelächter und noch mehr Gejohle dringen durch den Wald, und für einen Moment glaube ich, Schatten hinter den Bäumen zu sehen.
Ich rolle mit den Augen, lasse mich auf den Fahrersitz gleiten und drehe den Schlüssel im Zündschloss um. »Sadisten.«
»Was ist hier los?« Evie beugt sich vor und da sie mir buchstäblich im Nacken sitzt, weiß ich, dass es keinen Ausweg gibt.
»Das waren unsere Brüder.«
»Ja, ich weiß, dass sie jeden Freitagabend dieses komische Ding machen, wie auch immer es heißt.«
Mehr weiß sie nicht, genau wie alle anderen, die dabei mitmachen. Der arme Idiot, der gerade auf meinem Beifahrersitz verblutet, eingeschlossen.
»Aber ist das nicht nur ein Jagdspiel oder so?«
»Oder so …«, kichert River.
Je mehr Zeit vergeht, desto nervöser sind wir alle wegen des Rituals. Ich weiß, dass die Jungs mehr in die Welt involviert sind als wir im Moment, aber das war nicht gewollt. Ich habe versucht, für mehr Stellung zu kämpfen, aber es hat nicht geklappt. Mom hat den Weg für die Mädchen gebahnt, oder wie wir früher unverschämterweise genannt wurden, die Swans, aber der Weg, der geebnet wurde, ist eindeutig nur für die Männer des EKC.
Bin ich verrückt? Nicht wirklich. Unsere Zeit wird kommen, aber in der Zwischenzeit sind ihre Hobbys rücksichtslos geworden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie in den Händen der Väter landen oder zu einem weltweiten Problem werden.
Der Typ neben mir dreht sich zu mir um, sein Körper rutscht den Sitz hinunter.
»Wenn du Blut auf meine maßgefertigten Recaro-Sitze machst, o Verirrter, muss ich vielleicht beenden, was mein lieber Bruder begonnen hat.«
»Ach, das?« Er gestikuliert zu seiner Seite hinunter und hebt meine Jacke von seiner Wunde. »Das war nicht Priest.«
»Natürlich war er das nicht.« Ich sehe zu ihm rüber. »Mein Bruder lässt die Beweise nicht frei rumrennen.« Ich wende mich wieder der Straße zu und verdrehe die Augen, als ich das Schild »Willkommen in Riverside« sehe. Das war ein Spiel. Der Höhepunkt einer Verfolgungsjagd. Sie alle lieben Verfolgungsjagden, aber diese hier trägt ganz und gar Wars Handschrift.
Gerade als wir das Schild passieren, biege ich scharf rechts ab und fahre uns die vertraute Straße hinunter. Ohne Lichter und Asphalt ruckeln wir in unseren Sitzen über die Bodenwellen. Es ist nichts weiter als ein schmaler Feldweg mitten im Wald.
»Fuck. Kannst du langsamer fahren?« Der Typ neben mir stöhnt auf und rutscht auf seinem Sitz weiter nach oben, und ich drücke grinsend das Gaspedal durch.
Er wird blass. »Oder auch nicht.«
Es kommt einem so vor, als würde die Straße ewig weitergehen, bis wir die Lichtung erreichen und das weite Feld sehen. Das Wasser rauscht heftig den Berg hinunter und in das berühmte Wasserloch unten – das von großen Bäumen umgebene Naturbecken. In der Nähe hört man in der Dunkelheit ein Lagerfeuer, an dem Autos geparkt sind, die den Beginn des Devil’s Cockpit Tracks markieren.
Die Leute verteilen sich auf dem Platz, trinken und lachen, aber ich ignoriere sie alle und fahre direkt nach vorne, wodurch ich einen Kreis aus Sportlern aufscheuche.
Doch als sie mein Auto sehen, beschwert sich keiner von ihnen.
»Ich kann nicht glauben, dass du mich hierher bringst. Was für eine Inszenierung …«
»Hey.« Ich lasse den Motor laufen und öffne meinen Gurt. »Niemand hat gesagt, dass du mir vor das Auto springen und unseren Abend ruinieren sollst.« Ich greife nach meinem Handy, öffne Snapchat und schicke eine Nachricht in den Gruppenchat, der für das Treffen in Bayonet Falls gedacht war.
»Um mir zu helfen –« Er starrt mich an, aber seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen. »Ich habe es getan, um Hilfe zu bekommen.« Ich gebe es nur ungern zu, aber er ist ein bisschen süß. Wenn ich auf die ganze Sache mit dem verletzten Welpen stehen würde.
Oder vielleicht könnte ich das. Da War beschlossen hat, sein kleines Spielzeug direkt auf meinem Schoß landen zu lassen, warum nicht das Miststück aufziehen und tanzen lassen?
»Pfui. Ich kann nicht glauben, dass unser Wochenende ruiniert ist«, beschwert sich River und klopft auf den Beifahrersitz. »Beeil dich, Arschloch. Steig aus, damit wir losfahren können.«
»Wisst ihr, ihr seid alle ziemlich charmant. Hat euch das schon mal jemand gesagt?« Er greift nach der Tür und mein Auge zuckt, als ich merke, dass er dort Blut hinterlassen wird.
»Ja«, antworte ich süß. »Mein Dad macht das jeden Abend, wenn er mich ins Bett bringt.«
Er lacht und stolpert hinaus. Ich öffne meine Tür, gehe um die Vorderseite des Wagens herum und folge ihm. Devil’s Cockpit ist der Treffpunkt in Riverside, wo sich alle, die die Riverside Elite University und Riverside Prep besuchen, jedes Wochenende treffen.
Das ist der Startpunkt, von hier geht es durch den hinteren Teil von Riverside entgegen der Klippen, die zum Meer führen, bevor man eine Schleife fährt, sobald man die Zaunlinie von Elite Kings Estate erreicht, und zurück nach Devil’s Cockpit kommt. Das ist keine gewöhnliche Strecke. Sie ist schwer. Wenn man nicht geschickt genug ist, stirbt man. Auf der Stelle.
Es ist eher ihr kleines Spiel, an dem sie unter dem Deckmantel der Rennen und Partys teilnehmen, von denen niemand weiß. Das ist alles nur ein Köder für das, was wirklich tief im Wald vor sich geht. Ich weiß nicht viel darüber, da wir nie Zeit hier verbracht haben. Wir haben es uns sogar zur Aufgabe gemacht, so weit wie möglich von Riverside entfernt zu sein, vor allem an den Wochenenden.
Bis ihre Zielperson mir vor das Auto sprang.
»Halen!« Connor, einer der Uni-Spieler, der die Riverside Elite besucht, nickt mir zu und hebt seinen roten Becher. Ich lächle, aber es erreicht meine Augen nicht. Er traut sich nur, mich zu grüßen, wenn er betrunken ist. Ein Haufen bescheuerter Idioten. Alle von ihnen. Alle haben zu viel Angst vor den Kings, um mit einem von uns zu reden.
Ich kann es ihnen nicht verübeln.
Meine Scheinwerfer beleuchten die gehackten Holzscheite, die hinter dem Feuer ausgebreitet sind. War, Priest und Vaden sitzen dort mit einer Reihe von Mädchen um sie herum – oder auf ihnen.
Priest leert seinen Drink und schubst das Mädchen von seinem Schoß. Sie stolpert und stößt einen Schrei aus, bevor sie auf dem Boden aufschlägt.
»Wie peinlich«, murmelt Evie. »Ich hole mir einen Drink.«
»Fang gar nicht erst an.« Ich starre meinen Bruder an, als er auf mich zukommt.
Die Leute entfernen sich immer weiter von uns, torkeln und tanzen. Die Musik ist so laut, dass niemand unsere Unterhaltung hören kann, aber dass Priest und ich uns streiten, ist nichts, was nicht ohnehin schon alle gesehen hätten. Ich liebe meinen Bruder. Auch wenn wir uns streiten. Und noch mehr, wenn wir uns streiten, denn dann zeigt er wenigstens etwas. Ich muss ihn hier halten, in seiner Menschlichkeit. Auch wenn sie mit Wut verbunden ist.
»Warum hast du ihn hierher zurückgebracht?«
»Wo hätte ich ihn denn sonst hinbringen sollen?«
»Fuck.« Priest packt den Kerl am Arm und zwingt ihn, zu War und Vaden zu gehen. Ich drehe mich genervt zu den Mädels um. Evie versteckt ihr Lachen hinter ihrer Hand.
»Lachst du etwa?«
Ihre Hand rutscht ab. »Ja?«
»Wir hätten ihn einfach zurücklassen sollen«, beschwert sich River und folgt Priest. Stella schaut zwischen den beiden hin und her, kommt an meine Seite und verschränkt ihren Arm mit meinem.
»Ich habe mich nicht für diese Art von Vibe angezogen.«
»Wir werden Bayonet Falls verschieben müssen.« Ich sehe sie mit großen Augen an, und wir alle folgen Priest. Mein Handy vibriert in meiner Tasche, aber ich weiß, wenn ich es jetzt herausnehme, werden die Fragen anfangen. Wenn ich sage, dass ich nicht atmen kann, ohne dass einer von ihnen weiß, wie viele Atemzüge ich pro Tag gemacht habe, dann meine ich es auch so. Es ist fast so, wie wenn man strenge Eltern hat, aber das führt nur dazu, dass die Kinder ungehorsam sind – irgendwie ähnlich. Nur, dass wir uns seit Jahren schlau anstellen und sie nichts davon wissen.
Feuer knistert durch die Luft, Flammen erstrecken sich in die leere Nacht, während die Milchstraße den Himmel mit Sternen und dem Vollmond schmückt.
Priest schubst den Mann auf den Boden. »Halt die Klappe, dann erlebst du deine Teamkollegen vielleicht noch.« Er schaut zu War, aber ich widerstehe dem Drang, seinem Blick zu folgen.
War ist eine Nutte. Das sind sie alle, mit Ausnahme von Vaden. Priest ist wählerisch, mit wem er schläft, in dem Sinne, dass er normalerweise nur mit einem oder zwei Mädchen schläft und zwischen beiden hin und her springt, aber War hat eine ganze Sammlung. Tillie hat mir erzählt, dass er es von Nate hat, und wisst ihr was? Das kann ich mir gut vorstellen.
»Warum sitzt Emma auf Wars Schoß, als ob sie dort hingehört?«, flüstert Evie mir ins Ohr.
Es ist mir nicht wichtig genug und ich will ihm auch nicht die Genugtuung geben, es zu sehen. Im Laufe der Jahre waren wir alle brave Mädchen in den Familien. Wir haben uns in der Öffentlichkeit so verhalten, wie es sich gehörte, und unsere Unordnung hinter verschlossenen Türen versteckt. Der Rest von ihnen lässt sich auf Promiskuität und Drogen ein und tut so, als gehöre ihnen alles.
Ich habe es gehasst.
River hat es gehasst.
Stella ist es eigentlich egal.
Und wenn Dad jemals herausfindet, was für einen Scheiß sie hinter diesen Partys und Rennen abgezogen haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass er durchdrehen wird.
Priest ist nicht wie unser Dad und ein bisschen mehr wie unser Pop. Mom sagt, das macht Dad am meisten Angst, dass er komplett das Kommando übernimmt.
Aber ich glaube, sie liegen beide falsch. Ich glaube, er ist eher wie der erste Hayes, der den EKC gegründet hat. Das ist aber nichts, worum sie sich jetzt Sorgen machen sollten. Sie sollten sich eher Sorgen machen, dass sie sich alle drei wie verrückte Hyänen benehmen, die aus dem Gleichgewicht geraten sind. Und da sie noch nicht mit den großen Hunden spielen müssen, schlagen sie die Zeit tot, indem sie es riskieren, auf unseren eigenen Straßen aufzufliegen – nur so aus Jux und Tollerei.
»Priest?« Ich starre meinen Bruder durch die Hitze des Feuers hindurch an. »Lass ihn in Ruhe.«
War verschluckt sich an seinem Lachen und zu meiner Verärgerung wandert mein Blick zu ihm, als er Emma auf seinem Schoß bewegt. Seine tätowierten Hände landen auf ihren Arschbacken, als er sich nach vorne beugt und mit seiner Zunge von der Seite ihres Halses über ihren Kiefer fährt, während er meinen Blick festhält. Mein Magen explodiert zu einem Feuerball und die ganze Wut, die ich versteckt gehalten habe, droht an die Oberfläche zu kommen. Jahrelang. Jahre, in denen wir uns alle wie friedliche kleine Kings verhalten haben, die im Schatten dieser Arschlöcher sitzen. Aber das hat er noch nie getan. Bei den wenigen Malen, die wir hier waren, hat War seine Eroberungen nicht vor mir zur Schau gestellt. Ich weiß nicht, ob das Absicht war, oder ob das hier der Grund dafür ist, aber jetzt möchte ich ihn am liebsten schlagen.
Direkt ins Gesicht. Es wäre nicht das erste Mal.
Pop Smoke fängt laut an zu spielen und ich bewege mich von meinem Platz zu dem verwundeten Jungen und knie mich vor ihm nieder. »Darf ich mir das mal ansehen?«
Seine braunen Augen richten sich auf meine. Es ist das erste Mal, dass ich merke, dass er wahrscheinlich etwas älter ist als wir. Wenn ich richtig liege, ist das nicht gut. »Hast du etwas, um den Schmerz zu betäuben?«
Mein Blick fällt auf seine Lippen und mein Mund zuckt. Ich greife in die Gesäßtasche meiner Jeans.
Schritt eins, Jungs. Wir nehmen Drogen. Genau wie ihr.
Ich lasse den Spaß vor mir aufblitzen und er lehnt sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm, ein Bein ausgestreckt und das andere angewinkelt. Den anderen Arm stützt er auf sein Knie, klemmt mich zwischen seinen Beinen ein. Ich kann die Hitze der Flammen an meinem Rücken spüren. Das reicht, um mich warm zu halten, denn er hat meine Jacke ruiniert.
»Halen? Halt dich verdammt noch mal fern von ihm.« Wars eisiger Ton lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Oh? Du hast mich hier gesehen? Oh ja, darauf wette ich.
Ich drehe mich leicht und verstecke mein Lächeln hinter meiner Schulter. »Wie wäre es mit einem Nein?«
Priest leert den Rest seines Drinks ins Feuer und kommt direkt auf mich zu. Er beugt sich herunter, um die Tüte aus meinen Fingern zu schnappen, aber ich schließe meine Hand.
»Priest, ich bin genauso alt wie du. Fick dich und setz dich hin.«
Er starrt auf mich herab. »Ich bringe dich nach Hause.«
»Nein, tust du nicht. Weil ich nicht mehr vierzehn bin – keiner von uns ist es – und weil wir die Hälfte unseres Lebens damit verbracht haben, in Städten außerhalb von Riverside zu feiern, nur damit du dich wohl fühlst, sage ich dir jetzt –« Ich halte inne und hasse es, dass ich so tief sitze und er mich überragt. Er ist schon groß genug, auch wenn ich nicht in einer sitzenden Position bin, aber ich mag es irgendwie, wie ich an dem verwundeten Welpen lehne. Ich bin mir fast sicher, dass er mir das erlaubt. Wer ist er und warum hat er größere Eier als jeder andere Junge in dieser Stadt?
