Princess Reality - Noëmi Caruso - E-Book

Princess Reality E-Book

Noëmi Caruso

4,6

Beschreibung

Princess Reality ist der Beginn einer Trilogie, die sich ein wenig in die Romantasy-Schublade stecken lässt, aber auch dystopische und sehr realitätsnahe Elemente enthält. Die Geschichte eines Landes mit Monarchie und teilweise mittelalterlichen Strukturen, trifft auf Handys und Reality-TV. Während die Weltgeschehnisse ähnlich einem Abgrund zudriften, wie dies unsere eigene Welt tut, kann eine junge Frau ihrem Volk helfen und zeigen, dass die Monarchie nicht alt und verstaubt ist, sondern ernsthaft auf der Suche nach Lösungen ist. Ausgerechnet eine Reality Show über Prinzessin Siara soll die Rettung sein? Das glaubt sie zwar nicht ganz, aber für sie beginnt das Abenteuer ihres Lebens.

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Für meinen Märchenprinzen, den ich zum Glück nicht mehr suchen muss.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Noch nicht genug gelesen?

Leseprobe

Prolog

E in letztes Mal drehte ich mich vor dem großen Spiegel in meinem Zimmer um die eigene Achse. Dann legte ich den Kamm, der in meiner Hand lag, auf meinen Schminktisch. An meiner Frisur gab es nichts mehr zu verbessern, jede Strähne saß an ihrem Platz. Ich atmete tief durch und warf einen letzten Blick aus dem Fenster. Still lag der Garten da - komplett unberührt von der Hektik, die im Palast herrschte, und die auch mich selbst in der vergangenen Nacht wachgehalten hatte. Ich wusste, dass es auf der anderen Seite des Gebäudes völlig gegenteilig aussah. Da trafen im Minutentakt große Familienkutschen und kleinere Einspänner ein.

Für den heutigen Tag wurden zusätzliche Stallburschen angeheuert und dutzende neue Uniformen mussten genäht werden. Wochenlang war ausgebessert, geplant, gestrichen, geflickt, geputzt und vorbereitet worden, während ich nichts anderes zu tun hatte, als mich um mein Kleid, meine Frisur und mein Make-up zu kümmern. Und natürlich um Zeit mit ihm zu verbringen.

Meinem Bräutigam.

Das Wort fühlte sich seltsam an auf meiner Zunge und so probierte ich es mehrmals aus, wenn ich mir sicher war, allein zu sein.

Mein Gemahl.

Wie würden wohl die Fernsehleute und Zuschauer reagieren, wenn sie erfuhren, dass ich diese Worte in den letzten Wochen sicher tausendmal mit den verschiedensten Betonungen und Stimmlagen ausprobiert hatte? Ich kicherte und lauschte dem Getrappel von hunderten Hufen, das bis hinauf zu meinem Fenster erklang und an den Palastmauern widerhallte.

Einen Moment lang dachte ich an all die herrlichen Pferde in unseren Stallungen, die ich als kleines Mädchen so gerne angeschaut und mit einem Zuckerstückchen beglückt hatte. Mich hatte nie gekümmert, wie lang ihre Stammbäume waren und ob sie aus eigenen oder englischen Elitezuchten stammten. Wenn sie mit ihren weichen Nüstern meine Hand berührten, schwebte ich im siebten Himmel. In diesem Moment fühlte ich Dankbarkeit, jemanden gefunden zu haben, der jede meiner Leidenschaften zu teilen schien. Er würde mir nie verbieten, einen Ausritt zu machen, auch nicht, wenn ich darauf bestand, dies in Hosen und ohne jeglichen Begleitschutz zu tun.

»Eure Beine, Prinzessin«, ich erinnerte mich an seinen belustigten Gesichtsausdruck, als er mich zum ersten Mal in Hosen ertappt hatte. Bei dem Gedanken daran, wie rot ich geworden war, wurden mir erneut die Wangen heiß.

»Bist du soweit, mein Täubchen?« Als die Tür aufging, hatte ich die irrwitzige Hoffnung, er könnte es sein. Vielleicht hatten meine Gedanken, die um ihn kreisten, ihn erreicht und dazu gebracht, mich zu besuchen? Natürlich war das Blödsinn, schließlich war es ihm nicht erlaubt, mich zu sehen, bis wir zusammen vor dem Altar standen. Was irgendwie fair war, da er vor lauter Neugier in den letzten Tagen fast gestorben war, und ich mir auf keinen Fall den Moment verwehren wollte, wenn er mich zum ersten Mal in voller Hochzeitspracht sehen würde.

Als ich der unerwarteten Besucherin entgegenblickte, war ich froh, dass sie keinerlei Kameramänner mitgebracht hatte. Es reichte vollkommen, wenn sie den restlichen Tag über keine Sekunde von mir ablassen würden.

Es war meine Mutter, die nun den Kopf in meine Gemächer streckte und missbilligend schnalzte, als ihr auffiel, dass ich ganz alleine war.

»Wie kannst du ausgerechnet heute deine Zofen wegschicken, Siara?« Es schien nicht so, als ob sie eine Antwort erwartete. Die Falten um ihren Mund wirkten tiefer als gewöhnlich. Geschäftig wuselte sie in meinen Gemächern umher, ohne dass sich mir der Sinn ihres Besuches offenbarte.

»Aber ich bin doch längst fertig, Mutter«, wagte ich zu widersprechen und bemühte mich um einen sanftmütigen Tonfall, um sie nicht aufzuregen. Ich wusste, wie wichtig auch ihr dieser Tag war und dass sie seit Wochen deswegen der Aufregung und Hektik verfallen war. Ich lächelte sie glücklich an, als sie auf mich zutrat.

»Du siehst wunderschön aus, mein Herzchen.« Ihre Gesichtszüge wurden ein wenig weicher.

»Danke, Mutter«, murmelte ich - verlegen, weil ich solche Gefühlsregungen von der Königin Luandias nicht gewohnt war. Sie hatte sich in eine silberne Robe gekleidet, einige Nuancen dunkler als mein eigenes Kleid und gleichzeitig ein perfekter Kontrast zu ihrem kastanienfarbigen Haar. Ihre Krone saß ohne Fehl und Tadel auf der toupierten Frisur und sie verkörperte einmal mehr vollendete Perfektion.

»Die Gäste sind alle soweit. Einige sitzen bereits auf ihren Plätzen und vor dem Dom der Göttin warten die Schaulustigen seit dem Morgen«, berichtete sie nun, wieder gewohnt sachlich, ganz so, als ob sie ihren schwachen Moment von zuvor überspielen wollte.

»Und er?« Mich interessierte nicht, was die Gäste taten oder wie lange das Volk wartete. Schon gestern Abend hatte ich einige von ihnen neben den Lieferwagen der Presse auf der gegenüberliegenden Straßenseite campieren sehen. Ich wollte nur wissen, was er in diesem Moment tat, ob er ebenso das aufgeregte Flattern, das seit dem Aufstehen in meiner Brust rumorte, spüren konnte.

»Er wird wohl in Kürze zum Dom aufbrechen. Die Menschen entlang der Straße werden ihm heute zum ersten Mal als zukünftigem Regenten zujubeln. Ich werde dich nun ebenfalls verlassen, mein Täubchen. Der König kommt bald, um dich zu holen.«

Sie drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und hüllte mich in eine Wolke ihres Parfüms. Bevor ich mich über ihre ungewohnte Zärtlichkeit wundern konnte, war sie schon aus dem Zimmer gerauscht. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie die Kameras mit keiner Silbe erwähnt hatte. Jetzt konnte es sowieso nicht mehr lange dauern, bis sie kamen. Trotzdem musste ich schmunzeln, dass sie gesagt hatte, der König würde kommen, um mich zu holen. Schließlich war er mein Vater.

Ich atmete tief durch und beobachtete im Spiegel, wie sich meine Brust in dem weißen Kleid hob und senkte. Ein letzter Blick über die Schulter und als die Tür aufging, wusste ich, dass ich bereit war. Ich trat einen Schritt auf meinen Vater zu und ließ mir seinen Arm geben.

Als die Tür ins Schloss fiel, richteten sich die Kameras auf uns, doch ich dachte nur daran, diese Gemächer nicht wiederzusehen.

Kapitel 1

P rinzessin!!!« Jemand rüttelte unsanft an meiner Schulter. Welches Mädchen träumt nicht davon, einen Tag lang Prinzessin zu sein? Oder wäre erfreut, als solche aufzuwachen? Als Prinzessin wache ich jeden Tag auf - doch dieses Mal war ich ziemlich unglücklich über die Art und Weise, wie das passierte. Verwirrt blickte ich mich um und blinzelte mehrmals.

»Prinzessin«, erneut wackelte mein ganzes Bett. Eine Hand umschloss fest meinen Arm und ich drehte missmutig meinen Kopf.

»Bin doch schon wach«, brummte ich - nun langsam etwas genervt. Neben mir stand Mrs Budwyler. Sie war eine der Betreuerinnen auf dem Internat, das ich besuchte, und durch ihren täglichen Umgang mit Prinzessinnen wohl etwas abgehärtet. Etwas zu sehr abgehärtet nach meinem Geschmack, denn erst als mein Blick mit hochgezogener Augenbraue auf ihre Hand fiel, löste sie diese langsam von meinem Arm, ohne dabei auch nur die Spur verlegen auszusehen.

»Prinzessin, Ihr müsst dringend aufstehen und in einer halben Stunde im kleinen Salon erscheinen. Euch erwartet Besuch, den Ihr auf keinen Fall warten lassen könnt«, berichtete Mrs Budwyler nun atemlos. Ich sah kleine Schweißtröpfchen auf ihrer Stirn glänzen und ihre Brust hob und senkte sich, als sei sie all die Treppen bis in den vierten Stock zu den Zimmern der Schülerinnen gerannt.

Besuch, den ich auf keinen Fall warten lassen konnte? Seufzend schwang ich meine nackten Beine über die Bettkante und setzte mich auf. Es gibt nur eine Person, die man niemals warten lassen darf. Mein Vater hatte eine Art, seiner Umwelt zu vermitteln, dass ihn warten zu lassen an Hochverrat grenzte und dementsprechend bestraft wurde. Ich war eine der wenigen Personen, die wusste, dass er deswegen noch niemanden umgebracht oder eingebuchtet hatte.

Mrs Budwyler hatte sich von meiner Bettkante erhoben und kam nun mit einer Zofe und einem Morgenmantel zurück. Letzteren legte sie mir um die Schultern, während Maryan mit raschen, geschickten Bürstenstrichen meine Haare entwirrte.

»Papa?« Ich hatte den Aufzug genommen, da ich nicht den Wunsch verspürte, in Morgenmantel und Pantoffeln irgendjemandem in der Schule über den Weg zu laufen. Danach hatte ich nur über den Flur in den kleinen Salon huschen müssen. Am Fenster stand mein Vater, den Blick nach draußen über die Stadt gerichtet. Er schien noch hagerer geworden zu sein, als ich ihn in Erinnerung hatte. Als er sich umdrehte, erschrak ich ob der tiefen Furchen, die die Sorgen in sein Gesicht gegraben hatten.

»Was ist passiert?«, fragte ich erschrocken und eilte durch den Raum auf ihn zu. Wir verschränkten unsere Hände ineinander und er drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

»Du musst nach Hause kommen, Siara«, verkündete er, ohne mich wirklich zu begrüßen. Er schob mich ein Stück von sich und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich konnte ihm ansehen, dass ihm nicht gefiel, was er sah, doch da er es war, der mich an einem Sonntagmorgen aus dem Schlaf gerissen hatte, würde er mir wohl kaum übelnehmen, dass ich im Schlafanzug vor ihm auftauchte. Erst nach einigen Wimpernschlägen wurde mir bewusst, was seine Worte eigentlich bedeuteten. Das Schuljahr hatte doch erst begonnen.

»Nach Hause?«, wiederholte ich wenig geistreich und begann, an den Bändern, die meinen Morgenmantel zusammenhielten, herumzuspielen.

»Siara.« Wieder packte Papa meine inzwischen eiskalten Hände. Er war in diesem Moment nicht der König von Luandia, sondern einfach nur ein besorgter Mann und Vater, dem man die ersten Spuren des Alters deutlich ansehen konnte.

»Was ist passiert?«, wollte ich wissen und suchte verzweifelt in seinem Gesicht nach Hinweisen, warum er so verändert schien. Der eiskalte und stets gelassene Regent schien in Luandia geblieben zu sein. Dass er mich im Internat in der Schweiz besuchte, war erst das zweite Mal, und ich hatte mich schon unruhig gefragt, was geschehen war, als ich im Aufzug nach unten gebracht worden war.

»Luandia leidet unter großen Unruhen. Bisher ist es uns gelungen, dass nichts davon durchgesickert ist. Die Leute in der Hauptstadt und in Europa denken immer noch, dass alles in Ordnung ist, aber wir stehen kurz vor einem Bürgerkrieg, Siara.« Während er sprach, hatte Papa begonnen, durch den Raum zu tigern. Wieder hielt er am Fenster inne, um das Bergpanorama zu genießen. Erst als ich neben ihn trat, erkannte ich, dass sein Blick leer war und er die Schönheit der Natur rund ums Internat gar nicht wahrnahm. Die Verbitterung auf seinen Zügen ließ meine Verzweiflung wachsen. Diese Neuigkeiten waren alles andere als gut und sicherlich nicht das, was ich erwartet hatte, als ich gestern Abend eingeschlafen war.

»Wir müssen diese Probleme beseitigen, bevor jemand darauf aufmerksam wird. Die Staatsverträge mit den anderen europäischen Ländern stehen noch auf zu wackeligen Beinen, als dass wir da ein Risiko eingehen könnten.« Es war das erste Mal, dass mein Vater derart offen und erwachsen zu mir sprach. Ich konnte mir noch immer nicht erklären, wie es zu diesen Unruhen gekommen war.

»Was war der Auslöser für die aktuelle Situation?«, wollte ich schüchtern wissen. Einen Moment lang streifte mich sein Blick und die Angst, er würde mich sogleich mit einer verächtlichen Antwort zurechtweisen, umklammerte mich. Ich hielt den Atem an, doch meine Sorge war unbegründet. Zerstreut wühlte er sich durch die Haare.

»Millionen von Flüchtlingen und Heimatlosen überschwemmen Europa. Viele davon stranden als erstes in Luandia. Unser schönes Land hat einfach zu wenig Platz, um allen ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Also versuchen wir, sie mit Schiffen weiter nach Europa zu lotsen und eine ausreichende Erstversorgung zu gewährleisten. Doch viele von ihnen wollen bleiben und beginnen, ihre Notunterkünfte anzuzünden oder unser Essen zu verweigern, während andere in ihrer Heimat vielleicht gerade Hunger leiden. Die Einwohner von Luandia haben einerseits Angst vor einer feindlichen Übernahme und andererseits empfinden sie es als Beleidigung, wie wenig unsere Hilfe von den Heimatlosen geschätzt wird. Sie gehen auf die Straßen und protestieren, verwüsten dabei vieles, was gut und richtig ist. Die Gendarmerie musste schon mehrmals die kämpfenden Fronten trennen. Natürlich sind es jeweils nur kleine Gruppen, die tatsächlich so schlimm sind, aber sie wissen beide die Massen mitzureißen und dafür zu sorgen, dass kaum noch ein Tag in den Grenzprovinzen vergeht, an dem alles ruhig bleibt. Währenddessen habe ich Spezialisten damit beauftragt, ein Konzept zu schaffen, bei dem wir den Flüchtlingen, die sich bisher friedlich verhalten haben und die vielleicht qualifiziert wären, an unserem Wirtschaftswachstum mitzuarbeiten, ein Zuhause zu ermöglichen. Die meisten Leute in der Bevölkerung wären wohl auch bereit, den Menschen eine Unterkunft oder anderweitige Hilfe entgegenzubringen, wenn sie nicht so extrem eingeschüchtert von den Gruppierungen wären, die inzwischen fast täglich gegen diese Völkerwanderung aus Nordamerika protestieren.« Ich hatte meinen Vater keine Sekunde aus den Augen gelassen, während er gesprochen hatte.

Nun merkte ich, wie wirr mein Kopf sich anfühlte und war mir nicht sicher, ob der Champagner am vergangenen Abend oder das ununterbrochene Auf- und Abgehen von meinem Vater schuld daran war.

»Aber wie kann ich helfen, Vater?« Nachdem es eine Weile still zwischen uns war, wagte ich, ihn zu fragen. Noch immer konnte ich mir nicht erklären, warum ich nach Hause kommen sollte, wo es doch dort offensichtlich alles andere als sicher war.

»Wir müssen das Volk daran erinnern, dass wir alle zusammengehören und nur wenn wir uns an den Händen halten, können wir weiterhin bestehen. Und wer wäre dazu besser geeignet, das den Menschen von Luandia zu zeigen als du, Siara?« Nun trat er wieder vor mich und strich mir mit einem Finger sanft über den Oberarm. Durch den seidenen Stoff des Morgenmantels konnte ich seine Berührung kaum spüren und nur die Wärme an dieser Stelle verriet mir, dass ich es mir nicht einfach eingebildet hatte.

»Was soll ich tun, Vater?« Noch immer verstand ich meine Aufgabe nicht ganz, auch wenn es mich mit Freude und Stolz erfüllte, dass er zu mir gekommen war und mich um Hilfe bat. Gleichzeitig ließ mich eine gewisse innere Unruhe nicht los und ich hing gebannt an Papas Lippen.

»Deine Mutter und ich haben gemeinsam mit dem Kronrat beschlossen, dass das Volk eine Ablenkung braucht - etwas, worauf es sich konzentrieren kann. Und da in letzter Zeit immer wieder Bilder von dir und deinen Freundinnen in den Magazinen in ganz Europa abgedruckt wurden, die allesamt positive Rückmeldungen erhalten haben, dachten wir daran, dass du das Gesicht des Umschwungs in Luandia werden sollst. Wir wollen, dass du nach Hause zurückkehrst. Einige kluge Köpfe aus Nordamerika, die schon vor der großen Krise nach Luandia eingereist sind, haben uns ein interessantes Konzept vorgestellt: In der Vergangenheit ist es vorgekommen, dass ganz normale Menschen und Familien ihr Leben von Fernsehkameras haben begleiten lassen. Anscheinend war das ein absoluter Quotenhit, sodass diese Leute damit viel Geld verdient haben. Nun haben wir gedacht, dass eine solche, tägliche Sendung bestimmt noch um einiges erfolgreicher ist, wenn sie das Leben einer Prinzessin zeigt. Wir wollen damit allerdings kein Geld verdienen, sondern Sympathien beim Volk und gleichzeitig Europa ablenken, bis wir unsere internen Probleme wieder im Griff haben. Wenn die Leute sehen, was für ein sympathisches Mädchen du bist, vergessen sie vielleicht, dass sie sich zuvor noch bekriegt haben. Das würde natürlich voraussetzen, dass du erlaubst, dass Kameras dich rund um die Uhr begleiten und dir von Profis dabei helfen lässt, dein Leben so zu gestalten, dass es unterhaltsam genug ist, die Leute jeden Tag aufs Neue vor den Fernseher zu locken.« Der Augenblick, als mein Vater Luft holen musste, bot mir die Gelegenheit, zwei Schritte rückwärts in Richtung der Salontür zu gehen.

Alle Freude und jeglicher Stolz, von meinem Vater, dem König von Luandia, gebraucht zu werden, waren einer Fassungslosigkeit gewichen.

»Du möchtest mein Leben benutzen, um Probleme zu lösen, die ihr Politiker nicht hinkriegt?«, wollte ich mit scharfem Tonfall wissen und zog den Morgenmantel etwas enger um meinen schmalen Körper. Dabei hoffte ich, dass meine blitzenden Augen genug Eindruck schinden würden, denn leider bin ich nicht mit einem allzu großen Körperbau gesegnet.

»Aber nein, meine Liebe«, nun kam er einen Schritt auf mich zu.

»Wir wollen nichts tun, das dir schadet. Und außerdem musst du sowieso eines Tages ans Heiraten denken, also warum nicht im Rahmen einer solchen Show, die zudem auch hier an der Schule und bei uns im Palast gefilmt werden würde.« Beim Wort ‚Heiraten‘ zuckte ich erneut heftig zusammen. Das wurde ja immer dicker.

»Es geht um Luandia, Siara. Um unser Land, deine Heimat und dein Volk.« Vaters Stimme klang eindringlich und wieder so fest wie immer, wenn er als König sprach.

»Habe ich eine Wahl?«, seufzte ich und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich sein Besuch aufwühlte und wie benutzt ich mich von ihm und dem Kronrat fühlte, noch bevor diese verrückte Idee überhaupt umgesetzt wurde.

»Ich habe noch vor meinem Eintreffen beantragt, dass du vom Unterricht beurlaubt wirst. Der Privatjet steht am Flughafen bereit. Im Palast in Kiana besprechen wir alles in Ruhe noch einmal mit deiner Mutter und dem Team von Spezialisten, das ich zu diesem Zweck zusammengestellt habe. Ob und wann du wieder hierher zurückkommst, ist noch offen, also pack deine wichtigsten Sachen zusammen. In drei Stunden geht unser Flug.« Paps Tonfall hatte etwas Endgültiges - das Gespräch war beendet. Enttäuscht nickte ich und wandte mich zur Tür.

»Ach, und Siara«, erklang es hinter mir. Vaters Stimme war wieder kühl und unbeteiligt wie immer.

Ich drehte mich um.

»Zieh dir doch bitte etwas Richtiges an.«

Kapitel 2

E rnsthaft? Die ganze Welt soll dir zuschauen, wie du auf deiner goldenen Toilette sitzt und wenn du dann vergisst, dir die Hände zu waschen, bevor du dich mit einem potenziellen Heiratskandidaten triffst, steht das am nächsten Tag in allen Zeitungen?« Sarah saß auf meinem Bürostuhl und hatte die Füße auf die Lehne gelegt. Auch sie sah aus, als ob sie soeben erst das Bett verlassen hatte, und ich war mir sicher, dass nicht allzu viele Leute die Prinzessin von Schottland so zu Gesicht bekamen.

Doch Sarah war mir schon seit meinen ersten Tagen hier am Internat eine der liebsten Freundinnen geworden. Nicht nur, weil unsere Heimatländer durch wenig mehr als eine Flugstunde getrennt sind, auch weil wir über dieselben Dinge lachen konnten und sie so herrlich normal sein kann, inmitten all dieser Prinzessinnen, Fürstinnen und Gräfinnen, die zu perfekten jungen Damen herangezüchtet werden sollen.

»Genau, ich nehme an, dass Papa sich das exakt so vorstellt«, stimmte ich ihr pragmatisch zu und wir mussten kichern. Doch meine Heiterkeit hielt nicht allzu lange an, währenddessen ich Stück für Stück meine wichtigsten Habseligkeiten von einer Zofe einpacken ließ, deren Namen ich mir leider nicht hatte merken können. Die beiden Koffer füllten sich mehr und mehr, während ich selbst die wesentlichsten Kleinigkeiten in meiner Handtasche verstaute. Schmuck hatte ich kaum dabei, da es im Internat nur wenige öffentliche Anlässe gibt und ich - wenn ich einmal aus den alten Mauern rauskam - lieber unerkannt blieb. Und wozu sollte ich auch Familienerbstücke mit mir rumschleppen, wo es doch hier in der Schule völlig normal war, eine Prinzessin oder Adelige zu sein, sodass wir das nicht durch Statussymbole betonen mussten.

»Ich werde dich so vermissen, Siara«, seufzte Sarah, die mich in die Eingangshalle des Internats begleitet hatte. Mir würde es ebenso gehen und ich wünschte, Sarah könnte mir bei dem, was mir bevorstand, beistehen. Zusammen hätten wir vielleicht sogar ein bisschen Spaß an der ganzen Sache und könnten diese Show ein wenig lockerer sehen, doch ich kam nicht mal auf den Gedanken, dies meinem Vater vorzuschlagen. So winkte ich Sarah schwermütig zu, als ich bereits in dem Wagen saß, der meinen Vater und mich zum Flughafen bringen würde. Ihr fröhliches Lächeln war das Letzte, was ich von der Schweiz in Erinnerung behalten würde. Ich fragte mich, wie lange es bis zu einem Wiedersehen dauern wird.

Den kompletten Flug über hatte ich gegrübelt und nachgedacht, doch die Notwendigkeit, das Volk von Luandia abzulenken und zu besänftigen, lag auf der Hand. Ich hatte mein Land vermisst, seit ich nach den Sommerferien wieder in die Schweiz geflogen war und dennoch erwartete ich nun mit bangem Gefühl im Magen die Landung auf dem Hauptstadt-Flughafen von Kiana. Leise Trauer, dass meine Familie bereits in den Palast zurückgekehrt war, erfasste mich beim Gedanken an das große, kalte Gebäude. Ich hatte die Sommermonate im Sommerschloss in Dryden genossen. Der städtische Verkehr war dort weit weg und es gab eine kleinen Weg von unserem Anwesen direkt an eine versteckte Bucht, die nur bei Ebbe überhaupt zugänglich war.

Ob mich die Typen dann auch in Dryden filmen würden? Oder erst in Congatwood Great House, dem Jagdhaus der Familie, das ich so sehr liebte? Und was sollte ich obendrein den ganzen Tag anfangen, wenn ich schon nicht zur Schule ging? Die Hoffnung, dass mein Vater sich die Sache noch einmal gründlich überlegen würde, hegte ich weiterhin, als ich neben ihm die Gangway hinunter schritt.

Und da waren sie: Die Reporter und Fotografen, die sich in der Schweiz so diskret verhalten hatten. Nun rissen sie den beiden Assistenten, die mit unserem Gepäck vorauseilten und versuchten, sich einen Weg zu bahnen, fast die Anzüge auseinander. Sah so Respekt vor dem Königshaus aus? Und wie sah das wohl aus, wenn sie ihren König und dessen Tochter mit panikerfüllten Gesichtern auf den Titelseiten der Zeitungen abdruckten? Sicher nicht das, was Papa sich wünschte und er sah so grimmig aus, dass ich um die Kameras der nächststehenden Fotografen fürchtete. Ich legte ihm leicht die Hand auf den Arm und hob die andere, sodass es aussah, als ob ich mal meine Nase kratzen musste. In Wirklichkeit wusste ich nicht, ob nicht einer dieser bescheuerten Reporter auch noch filmte und das Material vielleicht später einem Lippenleser vorgespielt würde.

Ich hatte ganz vergessen, wie farbig und laut Kiana war. Verglichen mit der stillen und diskreten Schweiz, in der ich mich in meinen Anfangszeiten im Internat furchtbar gelangweilt hatte, glich dies hier einem Jahrmarkt, der keine Sekunde stillzustehen schien. Obwohl wir am Flughafenausgang von einer Limousine des Palastes abgeholt worden waren, musste sich diese einen Weg durch das Getümmel vor dem Flughafen bahnen. Eine große Herausforderung, wenn man bedachte, dass auch noch Wochenende war und die ganze Stadt auf den Beinen zu sein schien.

Ich zog die Vorhänge vor den Fenstern zur Seite und warf immer wieder einen Blick auf die Menschen, die hierhin und dorthin eilten. Jeder von ihnen schien ein Ziel zu haben und plötzlich fragte ich mich, ob die Gründe, die mich nach Luandia zurückgeführt hatten, die meinen waren oder einfach nur die Befehle meines Vaters.

Ein kleines Mädchen am Straßenrand erkannte mich, unsere Blicke trafen sich. Aufgeregt zog sie an der Hand ihrer Mutter und winkte mir dann zu und deutete in unsere Richtung. Ich war erstaunt, wie lange es dauerte, bis sich die Frau endlich ihrem Kind zuwandte, während dieses wie ein Gummiball an ihrer Hand auf und ab hüpfte. Erst als wir beinahe vorbeigefahren waren, und ich den Kopf schon weit drehen musste, blickte die Mutter des Mädchens zerstreut auf und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.

Unwillkürlich schmunzelte ich ebenfalls über diese Begegnung und vergaß für einen Moment meine eigenen Sorgen.

Als ich den Blick vom Fenster losriss und den Vorhang fallen ließ, bemerkte ich, dass die Augen meines Vaters auf mir ruhten. Wie lange hatte er mich schon beobachtet?

»Was ist?«, fragte ich unsicher und wandte mich endgültig vom Fenster ab. Die Fahrt zum Palast würde noch eine gute halbe Stunde dauern.

»Auch Könige fragen sich manchmal, ob ihre Entscheidungen die Richtigen waren«, gestand er und seine Gesichtszüge wurden ein wenig sanfter als sonst, blieben aber angespannt. Seine Eröffnung erstaunte mich.

»Denkst du an die Fernsehteams, die bald nicht mehr von deiner Seite weichen werden?«, erkundigte er sich, als ich einen Moment lang nicht antwortete, unsicher wie meine Reaktion auf das Geständnis aussehen sollte.

Na klar, woran sollte ich denn sonst denken? Und wenn ich nicht daran dachte, änderte es trotzdem nichts an der Tatsache, dass meine eigenen Eltern beschlossen hatten, mein Leben zu einer Fernsehshow zu machen. Wut stieg in mir auf und ich hatte große Lust, ein wenig ausfällig zu werden. In diesem Moment fehlte mir Sarah, die mich zwar das eine oder andere Mal zu Dummheiten angestachelt hatte, aber stets wie ein Ruhepol in meinem Leben gewirkt hatte. Einmal mehr fragte ich mich, wann es mit meiner Freundin aus Schottland ein Wiedersehen geben wird.

»Werden mich diese Freaks dann auch auf die Toilette begleiten?«, erkundigte ich mich spitz und verkniff mir, Toilette durch ein ekligeres Wort zu ersetzen. Mein Vater wäre wohl mehr als nur ein bisschen blass geworden, wenn er gewusst hätte, wie sehr ich mein Vokabular in den letzten zwei Jahren erweitert hatte. Und vor allem wenn er wüsste, wie ich das angestellt hatte. Daran dachte ich jetzt und musste ein Schmunzeln hinter der damenhaft gehobenen Hand verstecken, um ihn nicht zu verärgern.

»Aber nein, Liebes. Bestimmt kommen diese Produzenten nicht auf solch schreckliche Ideen.« Mein Vater antwortete mit ernstem Gesichtsausdruck und es wirkte nicht so, als hätte er den Witz hinter meiner Frage erkannt. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Sticheleien fortsetzen sollte, und lehnte mich zurück ins Polster. Schon als kleines Kind hatte ich die Autofahrten mit meinen Eltern genossen, auch wenn wir manchmal die Scheiben öffneten und ich sie mit dem ganzen Volk von Luandia teilen musste, gehörten sie in solchen Augenblicken nur mir. Es war unseren Angestellten untersagt, mit uns im selben Auto zu fahren, sodass sie uns meist mit den schwarzen, protzigen Wagen flankierten, die gegen Kugeln und Schlimmeres gewappnet waren. Schon als kleines Mädchen hatte ich deswegen diese Momente geliebt und auch die einzigen persönlichen Gespräche, die ich je zwischen meinen Eltern mitbekommen hatte, fanden im Auto statt.

»Aber sie sollen mir dabei zusehen, wie ich mich verliebe und schließlich heirate?« Nun klang ich ernster und erkannte am Blick meines Vaters, dass er meine Zweifel gespürt hatte.

»Wenn es sich ergibt, Siara - dann wäre das der Idealfall für uns alle!«

Kapitel 3

D ie Ankunft im Palast war jedes Mal ein spezielles Ereignis für mich. Während die riesige Anlage für das Volk von Luandia ein Statussymbol und der Sitz ihrer Regierung war, war es mein Zuhause.

Hier war ich geboren worden – nicht im Krankenhaus, sondern im Krankenflügel, der eine eigene Hebamme und einen Arzt mit zwei Krankenschwestern beherbergte. Wer dies zum ersten Mal hörte, würde vielleicht den Kopf schütteln und meine Familie als verschwenderisch betiteln, doch der Krankenflügel stand jedem Palastbewohner und jedem Besucher zur Verfügung. Auch unsere Angestellten brachten dort ihre Kinder zur Welt und wenn ein Mitglied des Kronrats oder des Parlaments während der Sitzungen Bauchschmerzen bekam, stand ihm ebenfalls der Krankenflügel des Palasts zur Verfügung.

Obwohl oder gerade weil meine Familie schon immer viel gereist und ich stets mit dabei gewesen war, war der Palast mein Zuhause geblieben. Auch nach der Sommerzeit, die wir wie immer in Dryden verbracht hatten, war die Rückkehr in die Hauptstadt jedes Jahr ein großes Highlight für mich. Im Winter vergrub ich mich gerne im Palast, wanderte durch die endlosen Flure und beobachtete das Schneetreiben im Garten draußen vor den hohen Fenstern.

Dieses Mal schritt ich mit einem mulmigen Gefühl im Magen die breite Treppe zum Haupteingang hinauf. Vom Zaun her drangen die Stimmen der Reporter, die uns verfolgt hatten, zu uns hinüber. Warum sie hier waren und nicht irgendwo sonst im Land auf eine Sensation lauerten, war mir nicht klar.

Mit festen Schritten ging mein Vater voran. Die Zweifel, die er mir offenbart hatte, schienen wie vom Herbstwind weggeblasen zu sein. Als ihm der Butler die Tür öffnete, nickte er hoheitsvoll und schritt vorbei wie ein Mann, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und Dienste entgegenzunehmen.

Ich lächelte den Butler kurz an und er entblößte eine schiefe Reihe heller Zähne, während er freundlich zurück grinste. Kurz bevor er die Tür schloss, drehte ich mich noch einmal um und konnte sehen, dass einige Fotografen weiterhin vor dem Tor ausharrten. Blitzlichter leuchteten auf, ehe es hinter der schweren Eichentür dunkel wurde.

Meine Augen brauchten einen Augenblick, um sich an die Lichtverhältnisse in der Eingangshalle zu gewöhnen. Sie verfügte nur über kleine Gucklöcher in der Decke, andere Fenster gab es nicht. Im Winter, wenn Schnee auf den Dachfenstern lag, war sie komplett ohne natürliche Lichtquelle, doch zu diesem Zweck hingen zwei Kronleuchter von der Holzdecke, die warmes Licht spendeten und Besucher willkommen hießen.

Mir hatte die Eingangshalle des Palastes nie gut gefallen. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass sie bereits seit dem Amtsantritt meines Urgroßvaters im gleichen Zustand belassen worden sei und mein Vater aus Nostalgie ebenfalls nie etwas daran verändert hatte.

»Aber wie lange wollen wir sie noch so lassen? Sie ist so unglaublich düster. Was sollen denn unsere Gäste denken, wenn sie uns besuchen kommen? Die bekommen Angst und reisen wieder nach Hause«, hatte ich damals, als sieben- oder achtjähriges Mädchen protestiert. Meine Mutter hatte gelacht und wieder ihr Strickzeug zur Hand genommen.

»Wenn du Königin bist, Siara – dann darfst du den Palast nach deinen Wünschen gestalten und umbauen. Aber wer weiß, vielleicht lässt du dann auch einige Dinge so, wie sie sind und jedes Mal, wenn du daran vorbeigehst, werden sie dich an deine Eltern oder Großeltern erinnern.«

Ihre sanfte Stimme hätte sich so gut geeignet, um Kinderlieder zu singen oder Märchen zu erzählen, doch ich konnte mich nur an ein oder zwei Mal erinnern, dass sie das für mich getan hätte. Damals hatte ich sie trotzdem vergöttert und nach ihrer Aufmerksamkeit gelechzt. Heute war ich gespannt, ob sie mich überhaupt begrüßen und meine Anwesenheit bemerken würde.

So schnell wie möglich, ohne rennen zu müssen, ließ ich die Eingangshalle hinter mir. Noch bevor ich mich meiner Schuhe entledigt hatte, war mein Vater in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Der Knall der dumpf zuschlagenden Tür hallte durch den Eingang und verklang in den schweren Teppichen der Treppen, die links und rechts der Wand entlang in den ersten Stock führten. Ich zuckte zusammen, obwohl ich dieses Knallen schon so oft gehört hatte. Manchmal hatte ich in der Nacht geglaubt, es sogar in meinen Gemächern im obersten Stockwerk des Palastes vernommen zu haben. Ob es tatsächlich Papas Bürotür gewesen war oder nicht, konnte ich nicht sagen, denn bis zum heutigen Tage hatte ich es nie überprüft.

Ein wenig verloren stand ich kurz darauf im kleinen Saal, der zugleich so etwas wie ein Familienwohnzimmer für uns darstellte. Wenn Verwandte uns besuchten, dann sassen wir hier zusammen und tauschten den neuesten Klatsch und Tratsch aus.

Heute war er vollkommen leer und ich wusste nicht recht, was ich mit mir anfangen sollte. Ratlos nahm ich die Treppe hinter einem Wandgemälde, die eigentlich für die Angestellten gedacht war. Sie führte auf direktem Weg auf den Flur, an dem meine Gemächer lagen.

Als ich schließlich vor der Tür stand, hob ich zwei Mal die Hand und ließ sie wieder fallen, bevor ich die Klinke hinunterdrückte. Ich hatte im Spätsommer nach unserer Rückkehr aus Dryden gerade mal eine Woche im Hauptstadtpalast verbracht, bis ich mit dem Hintergedanken, das alles erst in einem Jahr wiederzusehen, in die Schweiz aufgebrochen war.

Langsam schob ich nun die Tür auf. Sie war nicht abgeschlossen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, hier im Palast eine Tür abzuschließen, während ich im Internat manches Mal meine Zimmertür von innen oder außen abgeschlossen hatte. Hier wusste jeder, welche Türen er durchschreiten durfte, und welche nicht. Und diejenigen der Prinzessin waren für sehr, sehr viele Leute in diesen Gemäuern tabu.

Tabu oder nicht, kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, schwang sie sofort wieder auf und traf mich unsanft an der Schulter. Ich stolperte nach vorn und wäre beinahe auf die Knie gefallen. Während dieser brenzligen Situation fragte ich mich, ob ich wohl das Klopfen überhört hatte. Ich konnte mich an nichts dergleichen erinnern und wirbelte wütend auf dem Absatz herum.

Dann stieß ich einen Freudenschrei aus, den dank der halb geöffneten Tür jeder im Palast hören musste. Doch das war mir in diesem Augenblick piep egal. Vor mir stand meine Cousine Danina. Ich riss sie überschwänglich vor Freude in meine Arme. Danina war die Tochter der Schwester meiner Mutter und sah dieser erstaunlicherweise ähnlicher, als ich es tat. Manchmal scherzten wir, dass wir bei der Geburt vertauscht worden seien, doch da zwischen uns ein Altersunterschied von wenig mehr als einem Jahr bestand, war diese Theorie unwahrscheinlich.

Wir waren zusammen aufgewachsen und so war sie meine beste und älteste Freundin.

»Ich freu mich so, dass du wieder da bist«, murmelte Danina, die meine Umarmung ebenso heftig erwiderte, atemlos.

»Hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht«, lachte ich und konnte für einen Augenblick vergessen, wie sehr ich mich geärgert hatte. Über den Besuch meines Vaters, über seine hirnrissige Idee und über meine rasche Rückkehr, bei der ich meine Schule und Sarah in der Schweiz hatte zurücklassen müssen.

Ich freute mich einfach, Danina zu sehen. Diese zog mich lachend in meinen kleinen Salon, nachdem wir endlich aufhörten, uns ständig zu umarmen.

»Wie hast du so schnell gewusst, dass ich komme?« Noch immer konnte ich mir ihr rasches Auftauchen nicht erklären.

»Ich war heute Morgen zufällig mit meiner Mutter hier, um mit der Königin zu frühstücken. Bei dieser Gelegenheit hat deine Mutter - die Königin, sorry - erwähnt, dass du schon im Flugzeug hierher sitzt. Den Grund dafür wollte sie allerdings nicht verraten.« Daninas Augen blitzten vor Neugierde, doch sie war zu gut erzogen, um sofort mit der Tür ins Haus zu fallen und mich zu löchern.

Ich schwieg einen Augenblick, während mein Grinsen immer breiter wurde. Es machte mir Spaß, Danina auf die Palme zu bringen. Innerlich zählte ich, kam jedoch nicht weit.

»Du heiratest doch nicht etwa plötzlich?«, schoss es aus meiner Cousine heraus und ich konnte mein Lachen endgültig nicht mehr zurückhalten, als ich sah, dass sie den Atem anhielt. Ich zögerte noch einen kurzen Augenblick, um sie auf die Folter zu spannen, dann schüttelte ich stumm den Kopf.

»Uff, da bin ich aber froh!« Erleichtert griff Danina nach meiner Hand.

»Schließlich sind die Zeiten, in denen Eltern einem den Ehemann aussuchen und dann dem Höchstbietenden ihre Töchter verscherbeln, längst vorbei. Auch für Prinzessinnen«, verkündete sie und sprang auf.

Mit federleichten Schritten ging sie zur großen Fensterfront, die zum Garten zeigte, und öffnete eines der Fenster, die aus vielen kleinen Abteilen aus Glas bestanden. Als Kind hatte ich gerne hier gestanden und die verzerrte Sicht durch die Glasquadrate hinunter auf den grünen Rasen, genossen. Jetzt lag mein Blick nachdenklich auf Danina.

So oft hatte sie mir gestanden, dass sie den Wunsch hegte, mit mir zu tauschen. Während ich als Prinzessin und Thronfolgerin von Luandia geboren war, durfte sie sich zwar ebenfalls mit einem Adelstitel schmücken und würde ein grosses Vermögen erben, aber sie würde niemals mein Leben in der Öffentlichkeit und in Vorbereitung auf den Thron führen.

Sie hatte ein Internat in England besucht, das allerdings aktuell ein Selbststudien-Semester hatte und das sie im nächsten Frühling beenden würde. Dann würde sie bald in Eton ihr Studium beginnen, doch die Erwartungen an sie waren nicht halb so hoch wie die meiner Umwelt an mich.

In diesem Moment, als ich ihr zusah, wie sie in den Garten hinunter starrte, konnte ich ihren Wunsch nicht verstehen. Im Gegenteil, ich verspürte ein wenig Eifersucht auf Danina, die später dem Palast und all seinen Regeln und Zwängen den Rücken kehren würde.

»Sei dir bei der Sache mit den Prinzessinnen mal nicht so sicher«, meine Stimme war bereits nicht mehr so fröhlich wie zu Beginn unserer Unterhaltung. Bisher hatte ich meine Rolle als bedrückend und mein Zuhause nie als beengend empfunden, aber jetzt spürte ich, wie zuwider mir die Idee war, aus meinem Leben eine Show zu machen, und schlussendlich auch das, was nur mir gehören sollte, meine Heirat, mit jedem zu teilen.

Erleichtert legte ich meine Hand in Daninas, als sie herüberkam und sich neben mich setzte.

»Wir kriegen das hin, Siara. Egal was es ist - gemeinsam biegen wir es hin.« Sie drückte mir einen Kuss auf den Kopf und ich lehnte mich gegen sie. Als Ältere von uns beiden hatte sie stets als Schulter zum Anlehnen für mich fungiert, ob wortwörtlich oder im übertragenen Sinne.

Ich versuchte, ihren Worten zu glauben, so wie sie es tat. Wenn ich nur fest genug daran glaubte, würde es so sein.

Kapitel 4

I n dieser Nacht, der ersten in meinem eigenen Bett in Luandia, schreckte ich drei Mal hoch. Immer wenn ich die Augen wieder schloss, kehrten die Albträume zurück und sie alle drehten sich um die Show. Nachdem ich den ganzen Abend weder von meinem Vater noch von meiner Mutter gerufen worden war, hatte ich mich früh zu Bett gelegt, was sich als Fehler herausstellte. Nach der Reise und dem unsanften frühen Erwachen am Morgen zuvor war ich zwar müde, doch mein Geist kam nicht zur Ruhe. Bilder, wie mich die Kameras bis in meine innersten Gedanken verfolgten und alles von mir offen legten, schwirrten durch meinen Kopf. Fremde Männer, deren Gesichter ich nicht sehen konnte, kamen, um mich zu treffen, mich anzufassen und schließlich ebenfalls dem Fernsehpublikum vorzuführen.

Als ich zum letzten Mal erwachte, fiel das sanfte Licht des neuen Tages zwischen den schweren Vorhängen ins Zimmer. Genüsslich räkelte ich mich und streckte bereits die Hand aus, um nach einem Kaffee zu verlangen, als mir auffiel, dass etwas an dem Licht heute anders war. Gespannt stand ich auf und zuckte zurück, als meine nackten Füße auf den hölzernen Boden trafen. Er war eiskalt, zu kalt für diese Jahreszeit. War die Heizung vielleicht defekt? Ich grub unter dem Bett nach meinen Pantoffeln und fluchte, da ich meine Lieblingsteile in der Eile in der Schweiz gelassen hatte. Doch das alte Paar, das ich hervorzog, würde reichen. Ich schlüpfte hinein und stöhnte, weil die Filzschuhe ebenfalls durch und durch kalt waren. Kurzerhand packte ich die Tagesdecke von meinem Bett und wickelte mich darin ein, bevor ich zum Fenster hinüber schlurfte.

Ein freudiger Gedanke schoss mir durch den Kopf und beschleunigte meine Schritte. Schwungvoll riss ich den Vorhang beiseite - und tatsächlich: Es hatte geschneit. Mit einem leisen Jauchzer öffnete ich das Fenster und lehnte mich weit hinaus.

Kaum war ich nach Hause gekommen, schneite es hier einfach so, wie, um mich willkommen zu heißen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann zum letzten Mal Anfang Oktober Schnee in Luandia gefallen war. Vor allem in der Hauptstadt war Schneefall trotz unserer nördlichen Lage in Europa, etwas seltenes. Die warmen Strömungen von Spanien sorgten dafür, dass es an unseren Küsten auch im tiefsten Winter noch milde Tage gab und nur im Norden, in Dryden und seiner unmittelbaren Umgebung, kam es jeweils zu heftigen Schneefällen, weshalb unser Sommerschloss meist für ein halbes Jahr komplett verbarrikadiert wurde, um die hohen Heizkosten zu sparen.

Umso mehr freute ich mich, dass ich direkt vor meinem Fenster eine weiße Winterwunderlandschaft bestaunen konnte. In der Ferne, hinter den Palastmauern, sah ich auf einem Hügel Kinder spielen. Sie wirkten wie farbige Kugeln, so dick waren sie eingemummelt in ihre Schneeanzüge. Früher hätte ich mich sofort mit Danina und ihrem Bruder Elvar in den Schlossgarten gestürzt und Schneemänner oder Iglus gebaut. In meiner liebsten Kindheitserinnerung hatte sich uns an einem finsteren Dezembernachmittag sogar mein Vater angeschlossen und wir hatten hinter den Stallungen den größten Schneepalast gebaut, den Luandia je gesehen hatte.

Seufzend ließ ich den Vorhang los, schloss das Fenster wieder und wandte mich ab. Es schien ein halbes Jahrhundert vergangen seit diesem Nachmittag und ich fragte mich, ob die Produzenten meiner zukünftigen Show auch solch witzige Aktionen wie eine Schneeballschlacht für das Volk bereithielten. Der heutige Tag würde es zeigen.

So als ob eine höhere Macht meine Gedanken gelesen hätte, klopfte es in diesem Augenblick an der Türe. Ich machte mich gerade auf den Weg in mein Empfangszimmer, um den Gast hereinzubitten, als aus dem Dienereingang flink wie ein Wiesel meine Zofe Audey zur Tür huschte und eben diese öffnete.

»Eure Mutter, Prinzessin«, flüsterte sie, als sie kurz gesprochen hatte. Ich nickte und betrat den Raum, nachdem ich mir einen Morgenmantel geschnappt und um die Schultern gelegt hatte. Dass ich an den Füssen noch immer diese schrecklichen alten Pantoffeln trug – damit musste meine Mutter leben.

»Guten Morgen, Siara.« Sie sah bereits perfekt gestylt aus und ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals anders angetroffen zu haben. Sie kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu und küsste mich zwei Mal auf jede Wange. Ihre Nase fühlte sich kühl an und auch von ihren Händen, die sanft auf meinen Armen lagen, ging eine unangenehme Kälte aus.

»Hallo Mama.« Unwillkürlich sprach ich sie immer noch mit dem Kosenamen aus meiner Kindheit an, auch wenn sie mich schon so oft dazu aufgefordert hatte, ‚Mutter‘ zu ihr zu sagen, damit mir in der Öffentlichkeit nicht versehentlich die falsche Anrede herausrutschte. Ich war froh, als sie mich losließ und sich in einen der bequemen Sessel, die ich selbst ausgesucht hatte, niederließ.

Die Stellen, an denen sie mich berührt hatte, blieben kühl und ich zog den Morgenmantel enger um mich und beobachtete meine Mutter. Wie immer war ihre Haltung perfekt und aufrecht. Ihre Körperspannung reichte bis in die Fingerspitzen, als sie mich mit einer Handbewegung dazu einlud, mich ebenfalls zu setzen. Urplötzlich ärgerte ich mich über ihre herablassende Geste, die mir zeigen sollte, dass sie mir sogar in meinen eigenen Gemächern überlegen war.

Kommentarlos und nicht halb so damenhaft wie von mir erwartet, ließ ich mich in das weiche Plüschpolster fallen. Ihre Augenbraue wanderte langsam nach oben. Mit einem Blick aus dem Fenster ignorierte ich sie geflissentlich.

»Ich hoffe, deine Heimreise war angenehm?« Meine Mutter stellte oft Fragen, die nicht so klangen, als ob sie eine Antwort erwartete. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich akzeptiert hatte, dass es Dinge gab, die sie nicht im Entferntesten interessierten. Also nickte ich bloß, um sie nicht mit meinen Erzählungen zu langweilen, und lauschte dann den Befehlen, die sie Audey erteilte.

»Bring uns zwei Mal luandisches Frühstück und berichte den Produzenten, dass sie sich in einer Stunde im Besprechungszimmer einfinden sollen. Ach und bitte sorge dafür, dass meine Tochter bis dahin präsentabel aussieht.« Damit wedelte sie meine Zofe mit einer ungeduldigen Handbewegung davon. Es fehlte nur noch, dass sie mit der Zunge geschnalzt hätte, um Audey ihren Status klarzumachen. Ich hätte ihr gern ein beschwichtigendes Lächeln geschenkt, doch sie huschte bereits mit gesenktem Kopf davon. Wut brodelte in mir und ich presste den Mund zusammen, um damit nicht vor meiner Mutter herauszuplatzen.