Problemhunde und ihre Therapie - Sascha Bartz - E-Book

Problemhunde und ihre Therapie E-Book

Sascha Bartz

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Beschreibung

Bücher über die Erziehung des Hundes wurden bisher stets aus der Perspektive des Menschen geschrieben, die glauben, mich und meine Welt zu verstehen. Ich habe den Mut, es in diesem Buch stattdessen aus meiner Perspektive, aus der eines Hundes zu tun, weil ich mir sicher bin, meine Welt besser zu verstehen. Bevor mich der Hundetrainer Sascha Bartz erzogen hatte, war ich ein sozial unverträglicher Leinenaggressor, wie mein Herrchen sich auszudrücken pflegte. Mein ständiges Zerren an der Leine oder das nervende Bellen waren nur zwei der harmlosen Verhaltensweisen, die jeden Versuch eines entspannten Gassigehens in einem Desaster enden ließ. Beißattacken und sogar Übergriffe auf Kinder gingen auf mein Konto, weshalb das Veterinäramt bereits ein Auge auf mich geworfen hatte. In diesem Buch erkläre ich die Ursachen für dieses Verhalten und den theoretischen Ansatz einer puristischen Erziehungsmethode, die bei guter Therapietreue der Hundehalter kurzfristig zum Erfolg führt. Um den theoretischen Ansatz zu verstehen, ist es aber notwendig, den Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung verstanden zu haben. Denn deren Nichtbeachtung ist die Quelle des Scheiterns.

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Seitenzahl: 159

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Neu Karin, 2020

Lieber Roof,

du hast dein Leben mit mir geteilt und mir eine Welt offenbart, die sich mir ohne dich nicht erschlossen hätte. Weil es dich gab, weiß ich, was es bedeutet, einen zuverlässigen Freund an seiner Seite zu wissen, wenn man Hilfe benötigt. Und sei sie nur moralisch.

Es tut mir unendlich leid, in welche Konflikte ich dich gebracht haben muss, weil ich dich nicht verstanden habe. Es hat zu lange gedauert, bis ich deine Sprache sprechen konnte. Verzeih mir.

Heute weiß ich, dass ich all mein Wissen über eure Welt der Caniden1 auch dir zu verdanken habe. Du hast mich geduldig gelehrt, euch zu verstehen, um mit euch kommunizieren zu können.

Jetzt habe ich einen kleinen Sohn, den ich über alles liebe. Manchmal träume ich und sehe euch noch beide spielen. Und du passt auf ihn auf.

Du hast einen ebenso intelligenten, zuverlässigen und treuen Nachfolger, der jetzt statt deiner an meiner Seite läuft und meinen Sohn beschützt. Doch er kann niemals sein wie du. Denn du warst mein großer Lehrer.

Danke Roof

1 Familie der Hunde in der Ordnung der Raubtiere

Inhaltsverzeichnis

WER BIN ICH?

oder warum wurde dieses Buch geschrieben?

DIE QUELLEN SEINES WISSENS

oder wer ist der Hundetrainer Sascha Bartz?

WANN IST DER HUND EIN „PROBLEMHUND“?

oder wie sollten wir uns stattdessen benehmen?

UNSERE BEDÜRFNISSE

oder warum verhalten wir uns wie wir uns verhalten?

ERZIEHUNGSGRÜNDE GIBT ES VIELE

oder dient das Markieren unserem Wohlbefinden?

EINE PURISTISCHE ERZIEHUNGSMETHODE

oder gibt es ein Erfolgsrezept?

DAS PRÄGENDE SCHLÜSSEERLEBNIS EINES WELPEN

oder die Folgen einer unterlassenen Hilfeleistung

SIND HUNDESCHULEN ORTE DES VERTRAUENS?

oder warum erleben nicht nur Welpen Schlimmes?

PRO UND KONTRA HUNDEGESCHIRR

oder ist die Art der Leine der Erziehung förderlich?

WENN WIR MIT DER RUTE WEDELN

oder wann sind wir unsicher?

UNSERE ENTWICKLUNGSPHASEN

oder wann kann der Mensch etwas falsch machen?

DIE GEFAHR VON HUNDETREFFEN

oder ist der Hund noch ein Rudeltier?

DIE RELEVANZ VON HERRCHENS FÜHRUNGSQUALITÄTEN

oder was hat das mit einer Gruppe Skifahrern zu tun?

„SO ZIEHEN WIR ROTZLÖFFEL HERAN“

oder was hat eine antiautoritäre Kindererziehung mit „Problemhunden“ zu tun?

DIE KRITIK AN DER THERAPIEMETHODE „RANGREDUKTION“

oder nur ein Missverständnis?

DIE METHODEN DES TRAININGS

oder die Interna einer puristischen Hundeerziehung

COMPLIANCE ALS ULTIMATIVER GARANT DES ERFOLGES

oder warum scheitern gelegentlich Therapien?

SO VIELE „VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN“

und nur eine Lösung?

01. WER BIN ICH?

ODER WARUM WURDE DIESES BUCH GESCHRIEBEN?

__________________________________

Bücher über die Erziehung des Hundes wurden bisher stets aus der Perspektive des Menschen geschrieben, also aus der Sicht derer, die glauben, mich und meine Welt zu verstehen. Ich habe den Mut und erlaube es mir, in diesem Buch stattdessen aus meiner Perspektive, aus der eines Hundes zu tun. Ich bin mir nämlich sicher, dass ich von meiner Welt mehr Ahnung habe als es nur zu glauben.

Ich habe genervt und eine Lösung musste her

Mein Herrchen war immer der Ansicht, ich erfülle alle Klischees eines verhaltensauffälligen Hundes. Er behauptete, ich sei aggressiv, nicht nur gegenüber meinesgleichen oder anderen Spezies meiner Faune, nein, auch gegenüber Menschen und attackiere sogar Kinder. Meine angeblichen Aggressionen würden sich nicht nur gegen lebende Wesen, sondern sogar gegen alles richten, so es sich nur bewege, Kinderwagen und Mopeds nicht ausgenommen. Auch mein ständiges Zerren und Kläffen an der Leine nerve ihn unendlich. An ein entspanntes Gassigehen durch Wald und Flur, geschweige denn durch eine urbane Umgebung mit all ihren vielen Menschen und Tieren, sei mit mir ein Ding der Unmöglichkeit.

Mit anderen Worten: Ich sei sozial unverträglich, und eine Entscheidung über meine Zukunft müsse getroffen werden. Und das insbesondere deshalb, weil inzwischen sogar schon das Veterinäramt ein Auge auf mich geworfen habe, denn sogar Beißattacken gingen auf mein Konto. Somit begab er sich mit mir auf eine regelrechte Odyssee von Hundeschulbesuchen, um dieses Problem quasi aus der Welt schulen und mich sozusagen sozialisieren zu lassen, wie er sich auszudrücken pflegte. Da aber all diese Versuche keine Erfolge zeitigten und er offenbar schon ein kleines Vermögen in meine erfolglose Umerziehung investiert zu haben schien, engagierte er sogar einen sogenannten Problemhundetrainer. Jedenfalls nannte der sich so. Doch auch das war nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Bei der Auswahl all dieser Experten schien er offenkundig kein glückliches Händchen gehabt zu haben.

Oftmals saß er deshalb resigniert und sichtlich deprimiert vor mir und fragte, mich dabei anschauend, warum denn niemand diese Bestie, die er trotz alledem liebe, von seinen Macken befreien könne? Ich hätte ihm, so ich hätte können, natürlich gerne geantwortet, denn die Frage nach der Ursache für die vielen Misserfolge war im Grunde genommen einfach zu beantworten: Die verstanden mich alle nicht.

Bis der Zufall es wollte und wir aufgrund einer Empfehlung doch noch Kontakt zu einem Hundetrainer bekamen, bei dem ich von der ersten Minute an das Gefühl hatte, dass daraus etwas werden könnte. Denn nicht nur die ersten Minuten unserer Begegnung verliefen gänzlich anders, nein, vielmehr hatte der gesamte Ablauf nichts mehr mit dem zu tun, was ich aus all den vorherigen Exzessen her kannte oder gewohnt war, über mich ergehen zu lassen:

Beispielsweise die ätzend langen sogenannten Erstgespräche mit meinem Herrchen, in denen zunächst scheinbar tiefgründige Analysen meines Wesens vorgenommen und auf deren Grundlage dann umfangreiche Strategien erarbeitet und ganze Trainingskonzepte aufgestellt wurden, fanden diesmal nicht statt. Die damit auch ansonsten stets einhergehende Planung einer ganzen Serie von Trainingsterminen, die es für mich zu absolvieren galt und deren Anzahl sich vorgeblich aus meiner Gelehrigkeit ergebe, war diesmal kein Thema mehr. Obwohl dies für alle vorherigen Experten eine nicht infrage zustellende Selbstverständlichkeit zu sein schien. Denn Ihren Worten nach handle es sich bei einer Erziehung schließlich um einen hoch komplexen und somit zwangsläufig zeitaufwendigen Prozess. Und der Erfolg sei von einer Vielzahl von Faktoren und Variablen abhängig, auf die ein Hundetrainer ohnehin kaum Einfluss habe. Daraus ergäbe sich auch, dass das Ziel notgedrungen nur durch Üben, Üben und nochmaliges Üben mühsam erarbeitet werden müsse.

Ebenso spielten plötzlich all die sich ansonsten üblicherweise anschließenden Riten keine Rolle mehr, wie das ständige Reichen von Leckerli oder ähnlich gelagerte Ablenkungsmanöver immer just in den Momenten, wenn ich mich anschickte, meinen Job machen zu wollen. Für derartige Dressurversuche erfanden sie sogar allerlei Kompetenz vorgaukelnde und axiomatisch2 daherkommende Wortschöpfungen wie „Ankereffekt“, „positive Bestärkung“, „Alternativverhalten“ und ähnliche „Weisheiten“. Und nicht zu vergessen die sogenannten „social walks“3, die im Grunde genommen nichts anderes waren als die von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuche, mich im Rahmen gemeinsamer Spaziergänge mit meinen Rivalen irgendwann an sie zu gewöhnen. Welch ein zum Himmel schreiender Unfug. Ein Rivale bleibt schließlich ein solcher, unberührt davon, wie lange man gezwungen wird, nebeneinander herzulaufen. Ebenso aberwitzig bis absurd waren Versuche, die sie „Rudeltherapie“ nannten, bei denen sie mir sogar einen Maulkorb umbanden, angeblich zu meinem eigenen Schutz, um mich dann, meiner Verteidigungsmöglichkeiten beraubt, von einer Meute fremder Bestien „erziehen“ zu lassen. Das Ergebnis solchen Unsinns war erwartungsgemäß eine Manifestation meiner unerwünschten Verhaltensweisen und nicht etwa deren Beseitigung. Warum, das werde ich in diesem Buch noch erläutern.

Die Lösung liegt vielmehr in der Beseitigung des Grundes

Wie gesagt, von all dem war bei diesem Trainer plötzlich keine Rede mehr. Nachdem mein Herrchen ihm in einem kurzen Gespräch seine Sorgen, die er glaubte mit mir zu haben, erläutert hatte, schnappte er mich stattdessen kurzentschlossen mitsamt meiner Leine, machte mit mir einen kurzen Spaziergang und demonstrierte mir in eindrucksvoller Weise, dass es ab sofort nicht mehr zu meinen Aufgaben gehöre, für die Sicherheit meines Herrchens Sorge zu tragen.

Und simultan4 beantwortete er mir auch meine sich daraus ergebende Frage nach der Zuständigkeit für meine eigene Sicherheit mit einer beeindruckenden Demonstration. Denn er hatte offensichtlich genau zu diesem Zweck seinen Therapiehund, den er mit dem Namen Neo ansprach, dabei, der quasi auf Kommando mir gegenüber ein Affentheater aufführte, was sein Chef dazu nutzte, mir zu demonstrieren, dass er nicht nur willens, sondern sichtlich auch in der Lage ist, diese Bedrohung statt meiner von uns beiden abzuwenden.

Kurzum, er entband mich mittels nur weniger Gesten und Handlungen von meiner Verantwortung und übernahm selbige stattdessen selbst und übertrug sie anschließend offenbar auch auf mein Herrchen. Denn dieser verhielt sich von da an urplötzlich ganz anders als sonst üblich und sorgte, wie ich sofort spürte, von nun an und stets statt meiner zuverlässig für unsere beider Sicherheit. Und als uns, wie der Zufall es so wollte, wenig später ein fremder Artgenosse meiner Spezies über den Weg lief, den ich zuvor wahrscheinlich in der Luft zerrissen oder wenigstens zum Teufel gejagt hätte, zog er nicht, wie ich es bis dato gewohnt war, reflexartig an meiner Leine, um mir zu signalisieren: „Achtung, aufpassen!“. Nein, im Gegenteil, er blieb recht cool und stellte sich stattdessen demonstrativ schützend vor mich. Ich spürte seine wohltuende und von Selbstbewusstsein nur so strotzende Selbstsicherheit und den daraus für mich logischerweise resultierenden Schutz.

Aber auch mein Entscheidungsspielraum war wie ausgelöscht

Die Konsequenz war allerdings auch, dass mir ab sofort eine Kontaktsperre zu meinen Konkurrenten auferlegt wurde und mein Entscheidungsspielraum ab diesem Moment nicht nur eingeschränkt war, sondern quasi ausgelöscht. Ich durfte von nun an nicht mehr selbst darüber befinden, ob ich jemanden jage, verjage oder angreife. Dazu bedurfte es jetzt der ausdrücklichen Erlaubnis oder Weisung meines Chefs.

Mag sein, dass dies, oberflächlich hingehört, für manch einen meiner Artgenossen nicht sehr vorteilhaft klingt, hat aber, wenn man die Konsequenzen bedenkt, einen kaum zu überschätzenden Vorteil: Auf meinen Schultern lastete urplötzlich keinerlei Verantwortung mehr, und ich war entlastet von allerlei psychischer Belastung bis hin zum Stress. Ich konnte mich stattdessen völlig entspannt dem Genuss eines sorgenfreien Lebens an der Seite meines Herrchens hingeben, ohne ständig auf irgendwelche Bedrohungen achten, das Revier nach Gefahren aufklären oder potentielle Rivalen verjagen zu müssen. Und auch das ständige Urinieren zum Zweck des Markierens, um allen den Hinweis zu geben, dass ich hier war, entfiel gänzlich. Ich musste nur noch müssen, wenn ich musste.

Die Geschichte der Domestikation5

Die Zusammenhänge und Kausalitäten all dessen werden dem Leser wahrscheinlich erst dann wirklich verständlich, wenn wir einen kurzen Blick auf unsere Domestikation geworfen haben. Und daraus sollte dann auch das Verständnis erwachsen, warum nur auf diesem Wege meine Probleme zu lösen waren.

So ganz genau weiß es wohl immer noch niemand, aber an die dreißigtausend Jahre soll es her sein, als meine Vorfahren begannen, die Nähe des Menschen zu suchen. Ob diese Vorfahren tatsächlich astreine Wölfe waren oder eine Art Zwischenspezies, weiß die Forschung momentan auch noch nicht so wirklich. Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit müssen es die Mutigen unter ihnen gewesen sein. Und die Menschen wiederum mussten es wenigstens geduldet haben. Was auch nicht selbstverständlich gewesen sein kann, denn wir waren immerhin Nahrungskonkurrenten. Also liegt die Vermutung nahe, dass es zum gegenseitigen Vorteil geschah.

Für meine Vorfahren lag dieser sicherlich in der somit leicht zugänglichen Nahrung, denn wir gaben uns wahrscheinlich mit den Resten und Abfällen zufrieden. Ein eigenes kräftezehrendes Jagen entfiel sicherlich nicht gänzlich, war aber wohl seltener notwendig. Und befördert haben mag das Ganze unsere konsequente Unterordnung unter den Willen des Menschen.

Der Kompromiss, den wir dafür eingehen mussten, war unsere genetische Trennung von unseren Ureltern, den Wölfen, oder eben dieser Zwischenspezies.

Der Mensch zog seinen Vorteil wohl aus unserer Jagderfahrung und daraus, dass wir weitere Nahrungskonkurrenten und unliebsame Gesellen weitestgehend auf Distanz hielten.

Das Grundverständnis für meine Probleme

Und hierin liegt nun das Grundverständnis begründet für meine anfangs erwähnten Probleme. Mensch und Hund waren nämlich zu keiner Zeit gleichberechtigte Partner, sondern immer in einer Beziehung von Befehlsgeber und Befehlsempfänger. Somit halte ich auch Bemerkungen wie „Machen sie ihren Hund zu ihrem Partner!“ oder „Kommunizieren sie mit ihrem Hund auf Augenhöhe!“ für wenig hilfreich, wenn nicht sogar konterkarierend6. Partner zu sein suggeriert, wir hätten nicht nur gleiche Pflichten, sondern auch gleiche Rechte. Oder wir würden in Entscheidungssituationen über den besseren Lösungsansatz diskutieren. Das funktioniert in unserem Zusammenleben aber nicht und ist heute immer noch Quelle von Konflikten. Man sollte uns eher in einer Beziehung sehen wie Eltern und Kind.

Aber Achtung: Damit ist auf gar keinen Fall gemeint, unser Verhalten an gleichen Maßstäben messen und bewerten zu sollen wie das der Kinder. Wir sind trotz alledem Caniden, auch wenn der Blick durch eine anthropomorphisierende7 Brille vieles an unserem Verhalten wie das der Kinder erscheinen lässt oder scheinbar ähnlich motiviert ist. Ist es aber nicht. Wir wollen vielmehr nur, dass wir uns, ähnlich wie Kinder auch, an unserer Bezugsperson wie an einer Art Elternteil orientieren können und ein Feedback8 bekommen, ob das, was wir tun, richtig oder falsch ist. Und je ausgeprägter die Führungsqualitäten der Bezugsperson sind, umso besser. Was anderes ist damit nicht gemeint.

Wir haben uns relativ widerspruchslos auf diese Rolle des Befehlsempfängers eingelassen, da wir als ehemalige Rudelwesen, die wir heute aber nicht mehr sind, ohnehin hierarchische Strukturen kannten. Wir ordnen uns dem Menschen grundsätzlich und widerspruchslos unter. Allerdings knüpfen wir dies an die Bedingung, dass der Mensch die Befriedigung unseres Grundbedürfnisses nach Nahrung sicherstellt.

Als Gegenleistung übernehmen wir dafür liebend gern den Schutz oder sonstige für den Menschen oftmals lästige oder sogar unlösbare bzw. gefährliche Aufgaben. Dies tun wir mit einer stoischen Selbstverständlichkeit.

Und übrigens, des Menschen Schutz übernehmen viele meiner Artgenossen grundsätzlich schon von Hause aus, auch ohne dafür explizit den Auftrag erhalten zu müssen, weil wir es gewohnt sind, unser Grundrecht auf Selbstverteidigung in die eigenen Pfoten zu nehmen. Da macht es uns halt nichts aus, wenn wir die uns Anvertrauten und deren Hab und Gut gleich mitbeschützen. Zumal deren Unversehrtheit schließlich auch unsere eigene gewährleistet.

Aber insbesondere im Letzteren liegen auch meine „Probleme“ begründet. Der Mensch erkennt nämlich hinter unserem Verhalten, wenn er es als auffällig, störend oder gar aggressiv empfindet, meistens nicht unsere wahren Motive, sprich den wahren Grund. Oder anders ausgedrückt: Dem Menschen ist in solchen Situationen gar nicht bewusst, dass wir nichts anderes tun, als nur unseren Job, den der Mensch uns schon seit tausenden von Jahren übertragen hat. Das scheint jedoch mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein. Befördert sicherlich durch die sich stetig verändernde Beziehung zwischen Hund und Mensch, welche sich offensichtlich aus einem völlig veränderten Rollenverständnis ergibt.

Die veränderte Beziehung zwischen Hund und Mensch als Quelle unseres Missverständnisses

Die klassische Rollenverteilung zwischen uns ergab sich aus der seit tausenden von Jahren getroffenen Vereinbarung, wonach der Mensch sowohl die Führung als auch die Befriedigung eines Teils unserer Grundbedürfnisse übernimmt, und wir dafür, quasi als Gegenleistung, zuverlässig die uns gestellten Aufgaben erfüllen.

Im Grunde genommen hat man uns seit Urzeiten lediglich drei Jobs übertragen: Entweder wir sollten mit dem Menschen auf die Jagd gehen und beim Beutemachen helfen, oder wir sollten seine Tiere auf der Weide hüten oder sein Hab und Gut bewachen und ihn selbst vor Gefahren bewahren. Später kamen zwar noch weitere hinzu wie beispielsweise das Suchen und Retten oder einen Schlitten quer durch Sibirien zerren.

Aber insbesondere die Auswirkungen der drei erstgenannten Aufgaben finden sich heute immer noch als Veranlagungen in unserem Dispositionsgefüge9 wieder und bestimmen somit unser arttypisches Verhalten. Dazu nutzen wir das uns von unseren Ureltern vererbte agonistische10 Verhaltensrepertoire wie Aggressionen, Territorial-, Schlichtungs- und Vermeidungsverhalten.

Allerdings stimmen unsere heutigen, in der modernen westlichen Zivilisation an uns gestellten Erwartungen oftmals nicht mehr mit diesem Dispositionsgefüge überein. Denn Hand aufs Herz, welches Herrchen streift heute noch mit uns gemeinsam durch die Wälder, um Beute zu machen, oder lässt von uns seine Tiere auf der Weide hüten oder sein Haus und Hof bewachen? Sicherlich gibt es das hier und da noch. Aber diese Glücklichen unter uns sind nicht die typischen Kandidaten für die hier beschriebene Notwendigkeit einer Erziehung bzw. Sozialisierung. Denn bei ihnen stimmen das Dispositionsgefüge und die von ihnen erwarteten Verhaltensweisen wie zwei Blaupausen überein. Denn es würde doch beispielsweise kein vernunftbegabter Hundetrainer je auf die Idee kommen, einen Wachhund erziehen zu wollen, indem er ihm die Verantwortung für das zu Bewachende nimmt. Das wäre doch absurd, denn dieser Hund verhält sich schließlich genauso, wie man es von ihm erwartet: Er jagt jeden vom Hof, der sich ihm nähert.

Stattdessen sollen wir uns heute aber immer öfter als eine Art sozialer Partner betätigen oder mangels sozialer Kontakte als deren Ersatz. Nicht selten sieht der Mensch in uns, wenn er uns durch die erwähnte anthropomorphisierende Brille betrachtet, sogar ein sozial gleichberechtigtes Mitglied der Familie. Unsere heutige Rolle, die wir im Leben des Menschen spielen sollen, hat sich mittlerweile meilenweit von der entfernt, die meine Vorfahren noch innehatten. Mit dem Ergebnis, dass der Mensch in uns etwas sieht oder sogar aus uns gemacht hat, was wir tatsächlich aber gar nicht sind bzw. gar nicht sein wollen, geschweige denn können.

Es gibt dazu eine treffende Metapher: Ein Wolf sagte einmal zu seinesgleichen, er gehe mal kurz rüber zu den Menschen. Was solle schon passieren? Dreißigtausend Jahre später findet er sich völlig entstellt, eines Wolfes bei weitem nicht mehr ähnlich, mit einem gestrickten Pudelmützchen und wärmendem Laibchen in einem Babykörbchen wieder und wird von Frauchen durch die Stadt getragen.

Mein Chef pflegt immer zu sagen, wenn es ihn wieder einmal in ein Hundefachgeschäft verschlagen hat, er glaubte, sich in ein Baby- und Spielwarenladen verirrt zu haben. Absolut irre!

Was können Sie von diesem Buch erwarten?

Der Grund für das Schreiben dieses Buches liegt deshalb einerseits in der Absicht, ausgehend von diesem heutigen Widerspruch zwischen unseren Veranlagungen und der von uns erwarteten Rolle, die sich daraus zwingend ergebende Notwendigkeit unserer Erziehung zu begründen, damit wir stressfrei in einer Gemeinschaft mit unserer gesamten Umwelt klarkommen. Und andererseits, eine puristische11 Methode zu beschreiben, mittels derer ein sogenannter verhaltensauffälliger Hund, der er im eigentlichen Sinne zwar gar nicht ist, in kürzester Zeit erzogen bzw. sozialisiert werden kann.

Was dürfen Sie aber nicht erwarten?

Mein im nächsten Kapitel kurz vorgestellter Hundetrainer, dessen Erziehungserfahrung Gegenstand dieses Buches ist, erntet hin und wieder kritische Bemerkungen, in denen bemängelt wird, er würde in keinem seiner theoretischen Beiträge konkrete Handlungsanweisungen geben. Es fehle quasi die praktische Anleitung zum Handeln, wie ein Hund zu erziehen sei. Eine Erklärung in Form einer Rechtfertigung finden Sie im Kapitel 16.

Und noch ein Hinweis zur besseren Lesbarkeit dieses Buches

Um mir nicht noch den Vorwurf eines Machos einzufangen, erkläre ich an dieser Stelle ausdrücklich, dass ich die vorwiegend verwendete männliche Form bei der Bezeichnung von Geschlechtern nur wegen der besseren Lesbarkeit des Textes verwendet habe und selbstverständlich auch immer die weibliche Form mit eingeschlossen wissen will. Gleiches gilt für die verwendete Bezeichnung Herrchen. Selbstredend ist hier auch immer Frauchen mit gemeint. Deshalb habe ich es in meinem zweiten Buch12 auch andersherum gemacht und die weibliche Form gewählt.

Doch bevor ich beginne, sei mir gestattet, die Kompetenz dieses Trainers zu begründen und zu schildern, welches die Quellen seines Wissens sind.

2 hier: nicht anzweifelbar

3 Trainingsspaziergang in der Gruppe

4 zur gleichen Zeit, parallel

5https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/domestikation

6 durchkreuzend, hintertreibend, vereitelnd

7 das Wesen des Hundes vermenschlichen

8 eine Rückmeldung bekommen wie sein Verhalten wirkt

9 hier: Veranlagungen, Instinkte, Bedürfnisse

10 kämpferisch – siehe Seite 35

11 einfache Methode, unter Weglassung von allem, was nicht notwendig ist

12 DIE ERZIEHUNG VERHALTENSAUFFÄLLIGER HUNDE UND DIE GRÜNDE IHRES SCHEITERNS