Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde - Sascha Bartz - E-Book

Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde E-Book

Sascha Bartz

3,0

Beschreibung

Warum scheitern so viele Versuche, unerzogene Hunde zu erziehen? Oder anders gefragt: Warum sind Misserfolge beim Versuch, einen Hund von seinen unerwünschten Verhaltensweisen zu befreien, gar nicht so selten? Der Autor sieht im Anthropomorphisieren (Vermenschlichen) das Kardinalproblem. Dadurch werden dem Hund entweder Bedürfnisse und durch sie initiierte Verhaltensweisen angedichtet, die schlichtweg nicht stimmen oder, und das ist der Hauptgrund des Scheiterns, das Bedürfnis des Hundes nach Sicherheit, dessen Befriedigung meistens der Auslöser seines unerwünschten Verhaltens ist, wird gar nicht als solcher erkannt. Das führt dazu, dass viele Hundetrainer glauben, die Hunde könnten durch Konditionierung (beispielsweise mittels Belohnung) nachhaltig von ihrem unerwünschten Verhalten befreit werden. Das ist aber nicht oder nur scheinbar möglich. Durch Konditionierung kann ein Hund zwar ausgebildet aber nicht erzogen werden. Und da das Beseitigen des unerwünschten Verhaltens kein Ausbildungs-, sondern ein Erziehungsziel ist (die Beseitigung des Grundes), sind alle Methoden der Konditionierung zum Scheitern verurteilt. Wir sprechen in diesem Kontext ja nicht von missglückten Versuchen, den Hunden Sitz, Platz & Co. beizubringen, sondern von erfolglosen intra-, inter- und umweltspezifischen Sozialisierungen. Die Palette von unerwünschtem Verhalten reicht von harmlosen Problemen wie dem Zerren an der Leine, Verbellen oder Hinterherjagen bis hin zu ernsthaften Aggressionen und Beißattacken nicht nur gegen andere Hunde, sondern auch gegen Menschen, insbesondere Alten und Kindern. Diese Verhaltensauffälligkeiten werden häufig von den Hundeschulen nicht nur nicht beseitigt, sondern sogar als angeblich kaum therapierbar diagnostiziert; obwohl beinahe alle diese Hunde, mit Ausnahme der neuropathologischen Fälle, in nur wenigen Schritten von den ursächlichen Konflikten befreit werden könnten. Der Autor lässt in seinem Buch, wie bereits in seinem ersten mit dem Titel "Problemhunde und ihre Therapie", seinen Hund namens Neo aus dessen Perspektive dem Leser und der Leserin erklären, warum all die gescheiterten Erziehungsversuche scheitern mussten und wie sie stattdessen durch Beseitigung der Ursache und ein verändertes Verhalten des Menschen dem Hund gegenüber in relativ kurzer Zeit gelingen. Dabei verwendet er zum besseren Verstehen eine Reihe von Erkenntnissen aus angrenzenden Fachgebieten wie den Kognitions- und Neurowissenschaften.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 227

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,0 (1 Bewertung)
0
0
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

ODER WO SIE WAS FINDEN

MEIN CHEF UND ICH:

ODER WARUM DIESES BUCH GESCHRIEBEN WURDE

DIE EXPERTISE EINES LUFTFAHRTEXPERTEN:

ODER WARUM ES ALTERNATIVES WISSEN SCHWER HAT

DIE ZWEI SÄULEN UNSERER PERSÖNLICHKEIT:

ODER WARUM AUSBILDUNG UND ERZIEHUNG ZWEI VERSCHIEDENE DINGE SIND

DER ANTHROPOMORPHISMUS ALS KONFLIKTURSACHE:

ODER IST DER VORWURF DER VERMENSCH LICHUNG ÜBERHAUPT GERECHTFERTIGT?

DIE SOZIALISATION DES HUNDES:

ODER WAS SICH HINTER DER ERZIEHUNG VERBIRGT

DIALOG MIT DEM URGROSSVATER:

ODER WARUM NICHT ALLE HUNDE ERZOGEN WERDEN MÜSSEN

DIE ABERWITZIGEN EMPFEHLUNGEN VON „PROFIS“:

ODER WARUM WIR AN DER LEINE ZERREN

DIE DAUER EINER ERZIEHUNG:

ODER WANN FRAUCHEN MEINEN CHEF VERSTANDEN HAT

DER MYTHOS „TRAINEREFFEKT“:

ODER DER MENSCH UNTERSCHÄTZT UNSERE INTELLIGENZ

DAS KOGNITIV BEGRÜNDETE MISSLINGEN UNSERER ERZIEHUNG:

ODER DIE MACHT DER BASALGANGLIEN

NOCH EINE BEGRÜNDUNG DES MISSLINGENS:

ODER DIE METAPHER VOM WASSERGLAS

STRESSSYMPTOME UND DIE GEFAHR IHRER FEHLINTERPRETATION:

ODER DIE CRUX MIT DER KOMPLEXITÄT

UNSER ROLLENTAUSCH:

ODER SEINE KONSEQUENZEN FÜR UNSERE ERZIEHUNG

„BEZIEHUNG STATT ERZIEHUNG“:

ODER DIE GEFÄHRLICHEN FOLGEN FALSCHER BOTSCHAFTEN

„CLICK FOR BLICK“:

ODER WAS HAT DAS MIT DEM KÖNIG DER MOLOSSER ZU TUN?

DIE DEPRIVATION:

ODER IST DER FLOHMARKT EIN GEEIGNETER ORT FÜR DEN ERWERB EINES HUNDES?

„MEIN HUND IST AGGRESSIV“:

ODER IST DAS DIE FOLGE EINER MANGELHAFTEN BINDUNG?

DIE WAHREN FRATZEN HINTER DEN VERFÜHRERISCHEN MASKEN:

ODER DARF FRAUCHEN UNS BESTRAFEN?

DIE ABSURDITÄT EINER „RUDELTHERAPIE“:

ODER EINE UNTERLASSENE HILFELEISTUNG

DER UNFUG ANTIJAGDTRAINING:

ODER DAS MÄRCHEN VOM TAPFEREN SCHNEIDERLEIN

„HUND BEISST KIND FAST ZU TODE“:

ODER DIE FRAGWÜRDIGEN ANSICHTEN MANCHER TIERLIEBHABER

ROTTWEILER & CO. BENÖTIGEN EINE „STRAFFE HAND“:

ODER IST DIE BESTRAFUNG SOGAR PARADOX?

UNSERE ARTGERECHTE HALTUNG:

ODER WANN WIR UNS WOHL FÜHLEN

DER IRRTUM NAMENS DOMINANZ:

ODER WER IST CHEF IM RING?

BABYSCHWIMMEN UND WELPENSPIELSTUNDE:

ODER IST DAS „ALLES DUMMES ZEUG“?

DIE PARADOXIE EINES WESENSTESTS:

ODER DIE GAFAHR EINER FEHLEINSCHÄTZUNG

DIE TÜCKE LIEGT IM DETAIL:

ODER NOCH EINE KRITIK AM WESENSTEST

DER VERSUCH EINER RECHTFERTIGUNG:

ODER „SIND SIE EIN HOCHSTAPLER ODER EIN GENIE?“

DIE HOHE SCHULE DER HUNDESCHULE:

ODER WENN ERZIEHUNG AUF AUSBILDUNG TRIFFT

WARUM WIR IMMERZU MARKIEREN MÜSSEN:

ODER DER IRRTUM VON DER ARTGERECHTEN HALTUNG

AUS DEM ALLTAG EINES HUNDETRAINERS:

ODER EIN ANRUF GENÜGT

MEIN CHEF UND ICH

ODER WARUM DIESES BUCH GESCHRIEBEN WURDE

Sie beginnen hiermit, unser zweites Buch zu lesen, weshalb ich meinen Chef und mich auch nur in aller Kürze vorzustellen beabsichtige. Denn ausführlicher tat ich dies bereits in unserem ersten Buch mit dem Titel „Problemhunde und ihre Therapie“.

Doch bevor ich beginne, seien mir zwei Bemerkungen gestattet:

Im Interesse eines flüssigen Lesens haben wir uns entschieden, bei der Verwendung von Geschlechterbezeichnungen sowohl auf das Nennen beider als auch auf eine Gendersprache zu verzichten und stattdessen nur die feminine Form zu verwenden, mit Ausnahme der Textstellen, an denen es stilistisch eleganter oder traditionell passender erscheint, die maskuline Form zu benutzen. Somit begnügen wir uns beispielsweise mit der Bezeichnung Hundehalterinnen oder Hundetrainerinnen. Gleichwohl versteht sich, dass wir stets beide Geschlechter meinen und mit der Wahl der weiblichen Form auf gar keinen Fall zum Ausdruck bringen wollen, dass nur Frauchen Probleme im Umgang mit ihrem vierbeinigen Liebling hätte oder den männlichen Kollegen im Kreise der Hundetrainer Probleme bei der Hundeerziehung fremd wären, im Gegenteil.

Eine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Inhalt des Buches. Da wir uns entschieden haben, dieses als Zusammenfassung einer Auswahl von Texten, die mein Chef bereits in lockerer Abfolge im sozialen Netzwerk veröffentlicht hat, zu gestalten, war es nicht vermeidbar, dass einige Kapitel fachliche Wiederholungen enthalten. Aber wir glauben, dass dies insofern akzeptabel sein sollte, da es sich unserer Meinung nach um solche Aspekte in der Hundeerziehung handelt, die eine Wiederholung durchaus rechtfertigen und sie nicht als eine überflüssige Redundanz erscheinen lassen.

Wer bin ich?

Mein Name ist NEO und ich bin ein Deutscher Schäferhund. Ich begleite meinen Chef schon seit vielen Jahren, wenn er Hunde von ihren „Macken“ zu befreien beabsichtigt, weil er mich für sie gerne als „Sparringspartner“ dabeihat, wie er sich auszudrücken pflegt, um im Anschluss an ihre intraspezifische1 Sozialisation den Erfolg zu überprüfen. Was es mit dieser intraspezifischen Sozialisation auf sich hat, werde ich an anderer Stelle noch erläutern. Dabei kommt mir dann stets die Rolle des Bösewichts zu, demgegenüber der frisch erzogene Protagonist sein absolutes Desinteresse zu demonstrieren hat, was das erklärte Ziel einer Erziehung ist. Auch wenn ich ein noch so provozierendes Affentheater aufführe und er mich zuvor zu gerne in der Luft zerrissen hätte, sollte er dann die Gelassenheit in Person sein.

Aus diesem Grund, weshalb ich manchmal lieb und manchmal böse sein soll, hat mich mein Chef auch bewusst nicht von meiner Verantwortung für unsere beider Sicherheit entbunden, der ich auch aufgrund meines Dispositionsgefüges2 sehr gerne nachkomme. Deshalb kann ich bei Notwendigkeit recht böse werden. Jedoch hat er mir gleichzeitig meinen Entscheidungsspielraum eingeschränkt, so dass mir mein agonistisches3 Verhaltensrepertoire anzuwenden nur dann gestattet ist, wenn er mir eine dementsprechende Erlaubnis erteilt. Mit anderen Worten, solange er mir diese verweigert und nicht ausdrücklich erteilt, bin ich ein liebenswerter und für seine Umwelt verträglicher Zeitgenosse.

Damit sind wir aber bei einer Besonderheit in der Hundeerziehung, die jedoch nicht Gegenstand dieses Buches ist, denn wir behandeln hier vornehmlich die Fälle, wie wir sie im Folgenden unter anderem im Abschritt „Was sind Problemhunde?“ beschreiben. Auf meine Besonderheit gehen wir nur der Vollständigkeit halber in aller Kürze am Ende des Buches im Kapitel „Die hohe Schule der Hundeschule“ ein.

Wie Sie bemerkt haben sollten, bin ich in diesem Buch, wie ich es bereits im ersten war, wieder der Erzähler, weil mein Chef meint, dass die hier behandelten Themen von einem Hund erzählt werden sollten, der weiß, wovon er spricht. Denn der Anthropomorphismus4, den wir im vierten Kapitel noch erklären werden, und die sich daraus ergebende Fehlinterpretation unseres hündischen Verhaltens durch den Menschen sei immerhin die Quelle allen Übels.

Wer ist mein Chef?

Dass er Hundetrainer ist, habe ich gerade erwähnt. Aber noch nicht, dass er sich nur und ausschließlich mit der Erziehung meiner Spezies befasst. Das ist insofern erwähnenswert, weil er, wie er auch offen eingesteht, sich in die Ausbildung unsereins ungern einmische, denn dazu fehle ihm oftmals die Geduld. Außerdem überlasse er dieses Feld lieber den vielen Hundeschulen, die diesen Job auch vortrefflich erledigen würden. Er befasse sich stattdessen lieber mit der Sozialisation, und dabei auch wiederum vorwiegend mit solchen Helden meiner Gattung, bei denen sich schon handfeste vermeintliche Auffälligkeiten verfestigt hätten wie Aggressionen aller Art bis hin zu Beißattacken oder sonstige Vorkommnisse, die eventuell sogar schon den Amtstierarzt auf den Plan gerufen hätten. Aber auch die allseits bekannten Leinenaggressoren und Dauerkläffer gehören dazu. Kurzum, ihn interessieren alle Fälle von unerwünschtem sozialem Verhalten oder sogenannten und vermeintlichen Problemhunden, die ich nachfolgend schon einmal beschreiben will.

Was sind Problemhunde?

Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so simpel, zumal wir damit bereits das potentiell verminte Feld des Anthropomorphismus betreten. Denn würde sich beispielsweise ein Kind adäquat verhalten wie wir, wenn wir fremden Leuten in den Arm oder sonst wohin beißen, würde jeder sagen, es sei ein Problemkind. Aber uns gleiches anzudichten, wäre schon anthropomorphisierend. Denn wenn wir zubeißen, dann verhalten wir uns, zumindest aus unserer Perspektive, mitnichten problematisch, sondern nehmen, wenn Sie so wollen, nur unser legitimes Recht auf Selbstverteidigung wahr. Was ich damit sagen will, ist, dass es Problemhunde im vom Menschen interpretierten Sinne des Wortes, bei denen diese Bezeichnung tatsächlich gerechtfertigt erscheint, nur sehr selten gibt. Denn solche sind vorwiegend pathologisch, oftmals neuropathologisch begründet. Und gemessen an der Häufigkeit wäre es absurd zu unterstellen, dies seien alles Psychopathen. Die überwiegende Mehrheit meiner Spezies, die typischerweise aufgrund ihres Verhaltens als Problemhunde bezeichnetet werden, sind jedoch tatsächlich nur Opfer falschen Interpretierens ihres Verhaltens durch den Menschen.

Trotzdem will ich eine Antwort auf die Frage, was sogenannte Problemhunde im hiesigen Kontext sind, nicht schuldig bleiben. Mein Chef bezeichnet all diejenigen meiner Spezies als solche, die ein von Frauchen unerwünschtes und durch sie nicht korrigierbares Verhalten an den Tag legen oder ein nichtkorrigierbares Verhalten, mit dem sie andere Mitglieder unserer Fauna (Mensch und Tier) belästigen, gefährden oder sogar schädigen. Dabei unterscheidet er stringent zwischen den echten Problemhunden und den sogenannten Problemhunden. Von echten spricht er dann, wenn tatsächlich eine pathologische Schädigung vorliegt; die armen Teufel sozusagen nichts dafürkönnen. Aber den überwiegenden Anteil, und nur mit diesen beschäftigen wir uns hier, stellen die sogenannten. Dabei handelt es sich um Hunde, bei denen eine den Umständen entsprechend notwendige Erziehung nicht oder noch nicht stattgefunden hat oder gescheitert ist und sie sich deshalb intraspezifisch (den eigenen Artgenossen gegenüber), interspezifisch (anderen Lebewesen gegenüber einschließlich Menschen) oder umweltspezifisch (auf unterschiedlichste Umwelteinflüsse reagierend) nicht sozialisiert verhalten und dieses Verhalten die Halterinnen oder andere Menschen und Tiere stört, gefährdet oder sogar Schaden zufügt.

Die Einschränkung, die er mittels der Bezeichnung „den Umständen entsprechend notwendige“ Erziehung vornimmt, bedeutet, dass nicht alle Hunde zwingend erzogen werden müssen. Darauf gehen wir im Kapitel „Dialog mit dem Urgroßvater“ noch näher ein. Die Frage der Schuld oder Verantwortlichkeit soll hier aber noch nicht beantwortet sein. Die Antwort finden Sie aber in diesem Buch. Wir gebrauchen hier die beiden Begrifflichkeiten sogenannter Problemhund und sogenannter verhaltensauffälliger Hund synonym.

Was sind die Gründe für das Schreiben dieses Buches?

Drei Sachverhalte haben uns bewogen, ein weiteres Buch zum Thema Erziehung von sogenannten verhaltensauffälligen Hunden zu schreiben:

1. Zunächst ist da die Vielzahl und Häufung der Fälle, in denen sich hilfesuchende Hundehalterinnen nahezu verzweifelt an meinen Chef wenden, weil sie trotz mehrerer Hundeschulbesuche keine befriedigende Hilfe bekommen haben und die unerwünschten Verhaltensweisen ihrer Schützlinge oftmals noch nicht einmal ansatzweise beseitigt wurden. In einigen Fällen wurde ihnen sogar die Abgabe an ein Tierheim oder in Extremfällen sogar die Einschläferung empfohlen. Nicht selten kommt es auch zur irrsinnigen Empfehlung, sie kastrieren zu lassen. Und das alles, obwohl es für alle diese Fälle eine relativ einfache Lösung gibt.

2. Die sich aus der Analyse dieser Fälle ableitenden Erkenntnisse zu den repräsentativen Ursachen des Scheiterns einer Hundeerziehung und der sich daraus für uns ergebenden Motivation, die häufigsten Fehler, die von den Hundeschulen bzw. Hundetrainierinnen gemacht werden, einmal in einem Buch darzulegen.

3. Unser Unverständnis darüber, dass mein Chef, wenn er sein Wissen in den sozialen Netzwerken zur Diskussion stellt, oftmals auf unerklärbar scharfe Ablehnung stößt, die nicht selten in persönliche Beleidigungen ausartet.

Die erste Frage, die sich daraus ableitet, ist die nach den Gründen, warum zum einen trotz oder wider besseres Wissen in der Hundeerziehung immer noch Schulungs- bzw. Trainingsmethoden angewendet werden, deren Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit zumindest fragwürdig ist, wenn nicht sogar in ihrer Geeignetheit bereits wissenschaftlich widerlegt wurde, und zum anderen neuere oder alternative Kenntnisse offensichtlich hartnäckig abgelehnt oder zumindest infrage gestellt werden.

1 innerartliche

2 Veranlagungen

3 Konkurrenzverhalten betreffend

4 Das Vermenschlichen

DIE EXPERTISE EINES LUFTFAHRTEXPERTEN

ODER WARUM ES ALTERNATIVES WISSEN SCHWER HAT

Wenn mein Chef in der Vergangenheit sein Wissen und seine Erfahrungen im Netz der sozialen Medien zur Diskussion stellte, sah er sich zu seiner Verwunderung nicht selten recht unsachlichen Kritiken ausgesetzt. Gelegentlich kam es sogar zu sehr bösartigen verbalen Angriffen bis hin zu Beleidigungen. Dass die Anonymität des Netzes so etwas befördert und so manch einem „Meinungshelden“ offenbar recht viel „Mut“ verleiht, ist hinlänglich bekannt. Doch seine Verwunderung war umso größer, je mehr er davon überzeugt war, dass es sich bei seinen publizierten Kenntnissen, zumindest vom Grundsatz her, durchaus um wissenschaftlich belegte Sachverhalte handelt oder sie allein schon durch den gesunden Menschenverstand nachvollziehbar sein sollten. Trotzdem kam es zu diesen unschönen Anfeindungen, die ihn mittlerweile dazu veranlasst haben, sich und seinen Leserinnen dies zu ersparen und auf die Veröffentlichungen zumindest in solchen Netzwerken zu verzichten.

So wundert er sich beispielsweise darüber, dass seine Aussage, dass alle Trainingsmethoden, die zur Erlangung des Trainingsziels das Mittel der Belohnung nutzen – die behavioristische Lernpsychologie5 spricht hier von operantem Konditionieren6 (im Zirkus von Dressur) – keine geeigneten Mittel seien, um einen Hund zu erziehen, sondern ihre Berechtigung lediglich in der Ausbildung haben, nahezu einen Sturm der Entrüstung auslösen. Wer hier Proteste anmeldet, meint er, müsse sich doch nur einmal der Mühe unterziehen, beim Altmeister Pawlow7 nachzulesen, was dieser seinerzeit im Rahmen seiner Experimente an Erkenntnissen diesbezüglich gewonnen habe.

Und ähnlich heftig fallen die Reaktionen seiner Leserinnen aus, wenn er behauptet, dass die Erziehung eines Hundes in der Regel sogar in nur einer einzigen Trainingseinheit möglich sei. Und obwohl er seine Aussagen sachlich begründet, und wo möglich, mit einem wissenschaftlichen Bezug versieht, provozieren sie derartige emotionale Reaktionen der Ablehnung.

Wenn solcherart massive und teils unsachliche Kritik an publiziertem Wissen geübt wird, liegt doch die Vermutung nahe, dass die gemachten Aussagen und verwendeten Argumente offenbar nicht nur dem Wissen dieser Herrschaften widersprechen, sondern sogar an den Grundfesten ihrer Überzeugungen zu rütteln scheinen. Denn redensartlich weiß man bekanntlich, dass heilige Kühe nicht so einfach geschlachtet werden dürfen und die Bereitschaft ihrer Behüter dazu nahezu gegen Null tendiert.

Aber wie der Zufall so spielt, kam er diesbezüglich mit einem Luftfahrtexperten ins Gespräch, der ihm für dieses Phänomen des grundsätzlichen Ablehnens alternativer Kenntnisse oder Argumente, die den eigenen Grundüberzeugungen widersprechen, eine überraschende Erklärung gab:

Der Luftfahrtexperte meinte, man dürfe nicht unterschätzen, welche Kraft Grundüberzeugungen besäßen und dadurch Geisteshaltungen oder Werte generieren, nach denen Menschen nicht nur entscheiden und handeln, sondern die ihnen in einer oftmals hoch komplexen Welt auch eine wichtige Orientierungshilfe böten und dadurch Sicherheit vermitteln. Deshalb würden solche Grundüberzeugungen auch sehr ungern über Bord geworfen. So etwas sei immer ein sehr schmerzlicher Prozess, der für den Betroffenen umso schwerer wöge, je mehr Aufwand er zuvor in ihre Erlangung investiert habe.

In der Luftfahrt gebe es einen Forschungszweig, der sich im Kontext von Unfallhergangsuntersuchungen entwickelt habe und sich unter anderem auch mit diesem Phänomen befasse. Der Name dieses sich mittlerweile zu einem Wissenschaftszweig etablierten Fachgebietes laute Human-Factors (Menschliche Faktoren). Im Rahmen dessen befasse man sich auch mit den Ursachen menschlichen Fehlverhaltens, um daraus resultierend Fehlervermeidungsstrategien zu entwickeln. Es gehe dabei unter anderem um die Frage, warum dem Menschen Fehler passieren und welche kognitiven Leistungsgrenzen möglicherweise die ursächliche Rolle spielen. Das Ergebnis seien interessante Erkenntnisse zum „Umgang“ des menschlichen Gehirns mit Fehlern; auch als kognitives Fehlermanagement bezeichnet.

Und damit wir die Zusammenhänge besser verstehen konnten, hielt er einen kleinen Diskurs über die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zum sogenannten endogenen (körpereigenen) Belohnungssystem des Gehirns und seines Gegenspielers, dessen Inhalt ich im Folgenden versuche, mit eigenen Worten und in knapper Form wiederzugeben:

Die Evolution hat die Menschen bekanntlich zur erfolgreichsten Spezies unserer Fauna werden lassen; sie ist quasi ihre größte Erfolgsstory. Keine andere hat sich derart flexibel an ungünstige und sich stets ändernde Umweltbedingungen angepasst und sich dadurch erfolgreich unterschiedlichste Lebensräume erobern können. Die entscheidende Rolle in diesem Prozess spielt zweifelsohne das menschliche Gehirn. Eine der zentralen Funktionen, die dem Gehirn dabei unter anderem zukommt, ist die Förderung des ständigen Strebens seines Inhabers nach Neuem. Denn Anpassung des Organismus an sich verändernde Umweltbedingungen setzt seine Weiterentwicklung voraus. Stagnation würde das Gegenteil bedeuten. Und um diese Weiterentwicklung zu gewährleisten, hat sich die Evolution quasi einen Trick einfallen lassen, der den Menschen sozusagen endogen – aus innerer Motivation heraus – stets nach Neuem streben lässt: Wir nennen es die Neugierde.

Fürst Wladimir Odojewski schreibt über diese Neugierde in seinem Zyklus „Russische Nächte“ (1844): „In allen Zeiten wendet sich des Menschen Seele mit einem Drang von unbezwingbarer Kraft unwillkürlich, wie ein Magnet dem Norden, Aufgaben zu, deren Lösung verborgen ist in der Tiefe jener geheimnisvollen Elemente, die das geistige und das stoffliche Leben bilden und verbinden; nichts hält diesen Drang zurück … dieser Drang ist so beständig, dass es manchmal scheint, als vollzöge er sich wie die physischen Funktionen unabhängig vom Willen des Menschen“.8

Odojewski konnte die wissenschaftliche Begründung dieses typisch menschlichen Verhaltens und in seinem Wesen verankerte Streben noch nicht kennen. Erst die moderne Neurowissenschaft hat es, zumindest teilweise, entschlüsselt. Es handelt sich um eine Art neuronales Belohnungssystem, das den Menschen antreibt.

Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie an der Uni Ulm, beschreibt es in seinem Buch „Lernen“ wie folgt: „… unser Gehirn berechnet kontinuierlich voraus, was demnächst eintreten wird, und wenn dies eintritt, was meist der Fall ist, wird das Geschehen als unbedeutend verbucht und nicht weiter verarbeitet …. Gelegentlich geschieht jedoch etwas anderes. Manchmal treten Ereignisse ein, die sich von dem, was das Gehirn vorausberechnet hat, positiv abheben. Wir tun etwas, und das Resultat dieses Tuns ist besser als erwartet. Wenn dies der Fall ist, dann geschieht mehr als der beruhigende Abgleich von Vorausberechnetem und Eingetretenem. Es wird vielmehr im Gehirn ein Signal generiert.“ Und wenn dieses Signal produziert wird, führt es „zu einer Ausschüttung von Neuropeptiden …, bei denen es sich vor allem um körpereigene Stoffe handelt, die opiatähnliche Wirkungen entfalten … und uns ein positives Gefühl vermitteln … Opium belohnt und macht bekanntlich süchtig.“9 Der Mensch ist quasi süchtig nach Erfolg.

Und der Verhaltensforscher Edward Lee Thorndike (1874 – 1949), berühmt geworden durch den von ihm entwickelten „Problemkäfig“, mit dem er Lernexperimente mit Hunden und Katzen durchführte, sprach von einem Effektgesetz, wonach das Lernen eines Tieres erfolge.10 Demnach werde erfolgreiches Handeln durch das dadurch generierte angenehme Gefühl „eingestanzt“. Wenn aber eine Verhaltensweise zu einem Irrtum führt, entstehe ein unangenehmes Gefühl.

Und somit sind wir bei unserem Problem: Der Mensch ist süchtig nach Erfolg, mag aber das Gegenteil, den Misserfolg, der mit einem unangenehmen Gefühl korreliert, ganz und gar nicht. Will heißen, er scheut Niederlagen, Enttäuschungen und Irrtümer wie der Teufel das Weihwasser, weil das Hormonsystem diese nicht nur nicht belohnt, sondern, im Gegenteil, sogar mit einem grässlichen Gefühl „bestraft“. Und Selbiges wird dann umso unangenehmer, je mehr der Irrende zuvor in das, was sich jetzt als Irrtum herausstellt, investiert hat; sei es nun Mühe, Geld, Zeit oder sonstiger Aufwand. Also ähnlich wie bei der Belohnung: Je größer der Abstand zwischen Erwartung und Ergebnis, in diesem Fall jedoch in Gestalt eines negativen Abstandes, um so unschöner ist das Gefühl. Die Folge: Der Mensch versucht mit allen Mitteln und Tricks, dem des Irrtums folgenden unangenehmen Gefühls aus dem Wege zu gehen.

Aus diesem Grund gibt es beispielsweise in der wissenschaftlichen Arbeit die Forderung nach Falsifikation11, wenn man behaupten will, auf wissenschaftlichem Weg zu seiner Erkenntnis gelangt zu sein. Ein Prinzip der Wissenschaftstheorie, die eng mit dem Wissenschaftstheoretiker Karl Popper (1902-1994) verbunden ist, der sagte, dass eine positiv formulierte These nur so lange Bestand habe, bis das erste Gegenbeispiel gefunden worden sei (siehe Ulrich und Johannes Frey Fallstricke)12. Sein berühmtes Beispiel: Alle Schwäne sind weiß. Sobald man einen einzigen schwarzen gefunden hat, ist dieser Satz falsifiziert, also falsch. Deshalb solle man zum Beweis der These nicht zehn weiße Schwäne suchen, sondern den einen schwarzen. Weil der Mensch sich halt zu schnell in eine mit Mühe erarbeitete These verliebe und sich dann außerordentlich schwertue, bei Gegensignalen kritisch zu bleiben.

Der Versuch des Menschen, dem Irrtum aus dem Wege zu gehen, treibt solche Blüten, die jeder kennen sollte. Selbst wenn der Verstand schon zweifelt, klammert sich der Wille noch lange an den Irrtum. Denn er will das unangenehme oder eben auch grässliche Gefühl der Enttäuschung oder gar die Angst, die mit der neuen Erkenntnis vielleicht einhergeht, so lange wie möglich von sich fernhalten. Auch und obwohl es rational viel sinnvoller wäre, sich mit der neuen Erkenntnis schnellstmöglich auseinanderzusetzen, um den möglichen Schaden zu begrenzen. Der Luftfahrtexperte weiter: Piloten beispielsweise würden dieses Phänomen des Klammerns an die falsche Wahrheit noch sehr gut kennen aus der Zeit, als es noch kein GPS und ähnlich moderne Navigationssysteme gab. Als sie sich noch anhand von Karte und Kompass orientieren und ihr Ziel erreichen mussten. So fürchteten sie beispielsweise nichts so sehr wie einen Orientierungsverlust und die damit einhergehenden Konsequenzen. Denn sie konnten nicht einfach mal anhalten, aussteigen und jemanden fragen. Wenn sie sich dann verflogen hatten und die Darstellung der Natur auf ihrer Karte mit der realen Welt verglichen und beides nicht mehr wirklich übereinstimmte, kam Unruhe auf. Und obwohl der Verstand sagte, „Du, wir haben uns verflogen und sollten uns schleunigst auf die Suche nach einem Ausweg machen“, kam es zu solch irrwitzigen Reaktionen, dass Flüsse und Seen da unten, die auf der Karte völlig anders aussahen oder gar nicht da waren, so lange uminterpretiert wurden, bis sie „stimmten“. Man könne auch sagen, dass der Mensch hier ein angeborenes Meideverhalten an den Tag lege, um dem widerlichen Gefühl des Sich-geirrt-Habens aus dem Wege zu gehen.

„Und nun…“, sagte der Luftfahrtexperte zu meinem Chef, „…stellen Sie sich einmal folgendes Szenarium aus ihrer Welt der Hundetrainer vor:

Der Irrende würde sich seinen Lebenstraum erfüllt und seine eigene Hundeschule eröffnet haben mit der hehren Absicht, all denjenigen helfen zu wollen, deren Hunde stets nur das Gegenteil von dem machen, was sie machen sollen; will meinen kläffen, zerren, beißen et cetera. Und um die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, habe er all sein Hab und Gut in seine eigene Ausbildung und Qualifikation investiert; sich Wissen angeeignet, wo er nur konnte; eine ausländische Privatakademie absolviert; an allen möglichen Lehrgängen, Seminaren, Weiter- und Fortbildungen aller Art teilgenommen und habe, nach seiner Einschätzung zu urteilen, schließlich und endlich mit viel Aufwand und Mühe, verbunden wahrscheinlich auch mit erheblichen Kosten, alle vermeintlich notwendigen Kenntnisse für eine wirtschaftlich erfolgreiche Führung seiner Schule erlangt. Eine der zentralen Fachkenntnisse, die er sich im Rahmen dessen angeeignet habe, seien die Erkenntnisse des russischen Mediziners und Physiologen Iwan Petrowitsch Pawlow, die jeder Hundetrainer kennen sollte, wenn er wissen wolle, wie man Hunde erfolgreich konditioniere. Auch Edward Lee Thorndikes Erkenntnisse zum operanten Konditionieren seien ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

Jetzt habe er sich nur noch ein knackiges Marketingkonzept einfallen lassen müssen, wie man Hundehalterinnen dazu motivieren könne, nicht nur zu ihm in seine Hundeschule zu kommen, sondern dies auch noch möglichst häufig oder wiederholt zu tun. Denn, wie er in einem Marketing- und Managementseminar auch gelernt habe, sei der Stammkunde der Bringer des positiven Deckungsbeitrages. Also lasse er sich sogenannte Kundenbindungsmaßnahmen einfallen wie Zehnerkarten, allsonntägliche Welpenspielgruppen oder gemeinsame Rudeltrainings und kollektive Hunde-Gruppen-Waldspaziergänge sowie sonstige wohlfeil klingende Hundetreffen. Und damit der brave und treue Hundeschulbesucher nicht irgendwann Lust und Laune verliere oder meine, dass es ihm jetzt doch langsam zu kostspielig werde, weil der eigentlich angestrebte Erziehungserfolg seines kleinen Leinenaggressors sich immer noch nicht so wirklich eingestellt habe, müsse ihm nur noch überzeugend klar gemacht werden, dass die Erziehung eines Hundes ja nun einmal ein sehr komplexer und damit ein sehr aufwändiger und vor allem langandauernder Prozess sei. Denn, wie schon Pawlows wissenschaftliche Versuche gezeigt hätten, sei eine Konditionierung durch eine Vielzahl an Wiederholungen gebunden. Unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Irrende dabei aber kein schlechtes Gewissen bekommt, ist allerdings seine eigene Überzeugtheit von der Richtigkeit und Seriosität seiner Theorien und seines Wissens. Denn wir reden hier nicht von einem Hundeschulbetreiber, dem seine Irrtümer bewusst sind, denn dann müssten wir ja von Schwindel, Betrug oder arglistiger Täuschung sprechen. Adäquat wie wir in der Luftfahrt im Rahmen der Human-Factors Forschung und Unfallhergangsuntersuchung nicht die Fehler analysieren, die jemand bewusst macht. Solche Fälle sind Sache des Staatsanwalts. Sondern wir befassen uns ausschließlich mit den Fehlern, die jemandem passieren, ohne dass derjenige, dem sie passieren, es wollte, dass sie ihm passieren.

Mit anderen Worten: Der Irrende sei zutiefst von der Richtigkeit und Tugendhaftigkeit dessen, was er weiß und was er da tut, überzeugt. Nichts auf dieser Welt könne seine Überzeugungen erschüttern oder ihn gar zweifeln lassen, denn er habe schließlich einen riesigen Aufwand betrieben, um sich dieses Wissen zur erfolgreichen Ausbildung und Erziehung eines Hundes mittels seiner Konditionierung anzueignen und darauf seine Existenz aufgebaut. Bei allen Wissensvermittlungen, an denen er teilgenommen habe, sei ja schließlich – und auch offensichtlich erfolgreich – mit dem Mittel der Belohnung gearbeitet worden, um einen Hund von einem unerwünschten Verhalten abzubringen.

Aber nun geschehe urplötzlich und wie aus heiterem Himmel etwas völlig Unerwartetes, was das Kartenhaus des Wissens und der Überzeugungen unseres Protagonisten droht zumindest als fragil erscheinen und wenn nicht sogar einstürzen zu lassen. Es käme nämlich ein Neunmalkluger um die Ecke und meine, es sei alles ein Irrtum! Die viel gepriesenen Methoden der operanten Konditionierung, wozu all diejenigen zählen, die mit Belohnung arbeiten, seien angeblich keine expliziten Erziehungsmethoden und dafür nur sehr bedingt oder sogar gar nicht geeignet. Man könne auf diesem Wege einen Hund zwar erfolgreich ausbilden; ihm also Fähigkeiten wie Sitz, Platz & Co. beibringen oder auf Kommando rückwärts einen doppelten Rittberger machen lassen, jedoch, wenn überhaupt, nur scheinbar erziehen. Aber man könne ihn auf gar keinen Fall sozialisieren, was bekanntlich das Ziel der Erziehung sei.

Und zu allem Überfluss gebe dieser Neunmalkluge auch noch kund, eine Erziehung sei, im Gegensatz zur Ausbildung, ein relativ kurzfristig erreichbares Ziel und kein langwieriger Prozess, der schon gar nicht einen mehrmaligen Besuch einer Hundeschule rechtfertige.

Was würde jetzt wohl im zentralen Nervensystem unseres Protagonisten, genauer gesagt im Bereich hinter dem vorderen Stirnlappen – genannt Präfrontaler Cortex – und dem sogenannten Limbischen System (hier werden u.a. Emotionen verarbeitet), im Rahmen seines kognitiven Fehlermanagements ablaufen? Kann man sich in etwa vorstellen, welch eine riesige Enttäuschung es letztendlich bedeuten würde, verbunden mit Angst vor all den Konsequenzen, wenn das stimmen sollte, was der Neunmalkluge da behauptet? Es würde quasi seine gesamte Welt der Hundeschulung auf den Kopf stellen bis hin zur Infragestellung seiner Existenzgrundlage.

Also geht sein Gehirn zunächst in eine Art sich selbst beruhigende Abwehrstellung und lehnt kurzerhand erst einmal die Neuigkeit in Bausch und Bogen ab, um vermeintlich Zeit zu gewinnen. Denn, was nicht sein darf, nicht sein kann. Die Wissenschaft hat dies sogar in Extremsituationen, in denen ein eingetretenes Ereignis für den Betroffenen vermeintlich katastrophale Folgen hat, untersucht und sogar nachweisen können, dass der Mensch sich in solchen Ausnahmesituationen für Bruchteile von Augenblicken das Ereignete als rückgängig machbar vorstellt. Der Laie sagt dazu, er wolle es nicht wahrhaben.

Aber je widerstandsfähiger sich die gruselige Neuigkeit erweist und je zäher sie haftet und nicht weichen will, umso mehr weicht die Selbstberuhigung einem sich schleichend erwachenden und Unruhe stiftenden Gefühl. Und es wird nach Auswegen gesucht, den schrecklichen Konsequenzen aus dem Wege zu gehen.

Also wehrt sich der Wille mit Händen und Füßen vor diesem furchtbaren Irrtum. Und das führt in manchen Fällen, wenn der Irrtum fundamental ist, zu drastischen Reaktionen bis hin zum Angreifen oder sogar versuchten Vernichten des Überbringers der Nachricht. Schon im alten Griechenland wurde der Überbringer der schlechten Botschaft bestraft und im Mittelalter sogar geköpft. Bei Konfuzius kann man lesen ‚Ein Mann, der die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd.‘ Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Aber in der Regel beginnt der sich Irrende mit verbalen Attacken gegen den Neunmalklugen, indem er sich über die Person bzw. seine alternativen Theorien lustig macht oder ihn verspottet, meistens verbunden mit der Infragestellung seiner fachlichen Kompetenz. Auffallend ist auch, dass er in der Regel kaum oder gar keine Gegenargumente vorbringt, sondern ausschließlich pauschale Ablehnungen.

Wenn aber stattdessen der gesunde Menschenverstand die Oberhand im Krisen- oder Fehlermanagement behalten würde, wären die Folgen eines Irrtums im Sinne einer Schadensbegrenzung wesentlich geringer. Die bis zum Eingeständnis des Irrtums verstrichene und wertvolle Zeit hätte nämlich inzwischen in eine effektive und effiziente Lösungssuche investiert werden können. Und damit wäre allen Beteiligten geholfen und der eingetretene Schaden unter Umständen wesentlich kleiner.“