Professor Zamorra 1073 - Michael Breuer - E-Book

Professor Zamorra 1073 E-Book

Michael Breuer

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Beschreibung

Die silberhaarige Frau mit dem Körper einer Göttin war vor Sekunden aus dem Nichts aufgetaucht. Der zeitlose Sprung hatte sie auf den schneebedeckten Gipfel eines Berges geführt. Aus schockgrünen Augen blickte sie hinab ins angrenzende Tal. Sie blieb nicht lange allein. Urplötzlich materialisierte ein riesiger Mann im blau-weiß gestreiften Kimono neben ihr. Er trug ein Schwert an seiner Seite und sah aus, als sei er entschlossen, es auch zu benutzen. »Du bist hier nicht erwünscht, Sara Moon«, erklärte er mit Eiseskälte. »Verschwinde von hier, sonst werde ich dich töten!«

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Blut der Sonne

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Lingg

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1548-6

www.bastei-entertainment.de

Das Blut der Sonne

von Michael Breuer

Die silberhaarige Frau mit dem Körper einer Göttin war vor Sekunden aus dem Nichts aufgetaucht.

Derzeitlose Sprunghatte sie auf den schneebedeckten Gipfel eines Berges geführt. Aus schockgrünen Augen blickte sie hinab ins angrenzende Tal.

Sie blieb nicht lange allein.

Urplötzlich materialisierte ein riesiger Mann im blau-weiß gestreiften Kimono neben ihr. Er trug ein Schwert an seiner Seite und sah aus, als sei er entschlossen, es auch zu benutzen.

»Du bist hier nicht erwünscht, Sara Moon«, erklärte er mit Eiseskälte. »Verschwinde von hier, sonst werde ich dich töten!«

Doch die Existenz der Engel, Die bezweifelte ich nie:

Lichtgeschöpfe sonder Mängel, Hier auf Erden wandeln sie.

(Heinrich Heine)

1.

Hannover, DeutschlandGegenwart

Sanja stöhnte auf und hielt sich den Kopf. Sie hatte das Gefühl, als habe ihr jemand einen Quirl in den Schädel geschoben, um ihr Gehirn ordentlich durchzurühren.

Heute muss Dienstag sein, dachte sie. Dienstage hatte sie schon immer gehasst.

Endlich gelang es Sanja, die Augen zu öffnen. Beim Anblick der Bescherung im Badezimmer wurde ihr schon wieder ganz anders zumute.

Bis jetzt hatte die Frau auf den kalten Badezimmerfliesen gelegen. Nun erst setzte sie sich vorsichtig auf, um sich die schmerzenden Schläfen zu reiben. Dann erst wagte sie, das ganze Ausmaß der Verwüstung genauer zu inspizieren.

Unwillkürlich verzog Sanja das Gesicht.

Wunderbar, dachte sie, das ganze Badezimmer voller Geisterrotze!

Weiße, zähflüssige Schlieren bedeckten den Spiegel über dem Waschbecken, die angrenzenden Schränke und den Boden. Es handelte sich um pures Ektoplasma, die Hinterlassenschaft einer verlorenen Seele, eines Boten aus der Totenwelt.

Nun, da der Geist von ihr gewichen war, verblasste das Ektoplasma langsam wieder. Ein Normalsterblicher hätte es vermutlich gar nicht wahrgenommen. Lediglich jemand mit Sanjas medialen Fähigkeiten war in der Lage, den Geisterrotz zu sehen.

Die Attacke hatte die junge Frau völlig überrascht. Dabei war es nicht zum ersten Mal geschehen. Es schien Sanja, als befände sich die Geisterwelt in den letzten Monaten in Aufruhr. Eine Erklärung hatte sie dafür freilich nicht.

Sanja blickte an sich hinunter. Auch ihr Körper war mit weißlichen Schlieren bedeckt. Langsam schüttelte sie den Kopf.

Schlimmer kann es heute nicht mehr kommen, dachte sie. Wenn einem vor dem Frühstück schon das Ektoplasma aus sämtlichen Körperöffnungen schießt, ist der Tag echt gelaufen!

Denn genau das war es, was geschehen war, bevor Sanja das Bewusstsein verloren hatte.

Mit verdrießlicher Miene verließ sie das verwüstete Bad und begab sich zurück ins Wohnzimmer. Hier zeigten sich keine Verwüstungen, dennoch war sich Sanja der Tatsache bewusst, dass die Wohnung einer gründlichen, spirituellen Reinigung unterzogen werden musste.

Mit ruhigen, mechanisch wirkenden Bewegungen trat Sanja an eine kleine Kommode und begann in den Schubladen zu kramen. Es dauerte einen Moment, bis sie Räucherstäbchen und Weihwasser gefunden hatte.

Das hätten wir, dachte sie, als sie endlich die gewünschten Gegenstände ausfindig gemacht hatte. Jetzt brauche ich erst mal was Ordentliches zu trinken!

Sanja schlurfte in die Küche, wo sie sich ein Glas Scotch eingoss. Sie hatte das Gefühl, als sei etwas über ihre Zunge gekrochen und im Inneren ihres Munds gestorben. Der harte Alkohol würde ihr helfen, den abscheulichen Geschmack loszuwerden. Hastig beförderte sie den Scotch an seinen Bestimmungsort.

Sie atmete tief durch. Der Alkohol wärmte augenblicklich ihr Inneres. Gleichzeitig verhalf er ihren wirren Gedanken zu etwas mehr Klarheit. Sie sah auf die Uhr. Es war bereits Mittag.

Da hat es mich ja ganz schön umgehauen, dachte sie. Sanja war gegen sieben Uhr aufgestanden und hatte sich direkt ins Bad begeben. Dort war sie von dem Geist attackiert worden, dessen Hinterlassenschaften jetzt noch an ihr klebten. Es war nur ein kurzer Angriff gewesen, dessen Heftigkeit jedoch ausgereicht hatte, Sanja das Bewusstsein verlieren zu lassen.

Unvermittelt klingelte es an der Tür.

Auch das noch, dachte Sanja, begab sich aber dennoch in die Diele, um die Wohnungstür einen kleinen Spalt zu öffnen.

Sie blickte in das verhärmte Gesicht einer Nachbarin.

»Was war denn heute Morgen bei Ihnen los, Frau Gruschinski?«, fragte sie ohne Begrüßung. »Da fallen ja selbst die Toten aus dem Bett!«

Sanja verzog das Gesicht.

»Tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe«, erwiderte sie. »Es wird nicht wieder vorkommen!«

»Ja ja, das sagen Sie immer«, gab die Nachbarin zurück. »Ich werde mich beim Vermieter über Sie beschweren!«

Sanja seufzte. »Tun Sie das«, antwortete sie trocken und drückte die Tür wieder zu. Auf solche Auseinandersetzungen hatte sie jetzt nicht die geringste Lust.

Während die Nachbarin im Hausflur noch weiter zeterte, begab sich Sanja zurück ins Badezimmer. Von dem Ektoplasma war kaum noch etwas zu sehen.

Ein Glück, dachte sie, denn langsam musste sie sich fertigmachen. Immerhin hatte sie heute noch einen wichtigen Termin vor sich.

Sanja wischte über den Spiegel. Sie blickte in das Gesicht einer fünfundzwanzigjährigen Frau mit hohen Wangenknochen und großen, dunklen Augen. Die kobaltblauen Haare trug sie in Form einer neckischen Kurzhaarfrisur. Ihre Haut war blass und wirkte ein wenig käsig, aber das war nach den Ereignissen dieses Morgens ja auch kein Wunder. Ein wenig Schminke würde das schon wieder in Ordnung bringen.

Dann wollen wir mal, dachte Sanja und schwang ihren Körper unter die Dusche.

Danach fühlte Sanja sich soweit erfrischt, dass sie sich gewappnet für den Tag fühlte. Mit ruhigen Bewegungen begann sie sich anzuziehen. Sanja wusste, dass ihre heutige Kundschaft der sogenannten besseren Gesellschaft entstammte. Von daher wäre es vielleicht angeraten gewesen, auf den üblichen, lässigen Kleidungsstil zu verzichten. Nach kurzem Überlegen entschied sich Sanja jedoch anders. Wenn man ein Problem damit hatte, dass sie in zerschlissenen Jeans zu einer spiritistischen Sitzung auftauchte, sollte man das ihr ruhig sagen.

Da pfeife ich doch drauf, dachte Sanja. Sie hatte schon immer ihren eigenen Kopf besessen.

Abgesehen davon hatte sie auch gar keine Zeit, sich noch groß in Schale zu werfen. Erneut blickte sie auf die Uhr. Um drei Uhr war sie verabredet. Damit hatte sie gerade noch genug Zeit, die dringend notwendige spirituelle Reinigung der Wohnung in Angriff zu nehmen.

Sie begab sich zurück zur Kommode, wo sie sich zunächst eine Zigarette anzündete und dann eines der Weihrauchräucherstäbchen. Sofort breitete sich aromatischer Geruch im Zimmer aus. Sanja steckte einige Utensilien ein, dann begann sie, mit der Zigarette im Mundwinkel die einzelnen Räume der Wohnung abzugehen. Dabei murmelte sie leise Vertreibungsformeln.

Sollte dies noch nicht ausreichen, würde sie schwerere Geschütze auffahren und zum Einsatz von Weihwasser übergehen!

Als Sanja gerade im Schlafzimmer ihres Apartments angekommen war, spürte sie plötzlich trotz der geschlossenen Fenster einen kalten Windhauch. Sie wusste sofort, was das bedeutete.

Nicht schon wieder, stöhnte Sanja innerlich auf.

Denn der Geist war immer noch da.

Und dann ging er auch schon zum Angriff über.

***

Ebene des Hohen HimmelsVergangenheit

»Mich töten?«, fragte Sara Moon ungläubig und strich sich eine silberfarbene Haarsträhne aus der Stirn. Sie blickte den riesigen Mann fassungslos an.

Sie zweifelte nicht daran, Susanoo vor sich zu haben. Bei dem Sturmgott handelte es sich um den Bruder der japanischen Sonnengöttin Amaterasu.

Und wegen dieser war Sara Moon an diesem Tag hier.

Amaterasu stand nämlich im Bann des Dämons Vassago. Dieser zwang die Sonnengöttin dazu, die Seelen böser Menschen zu sammeln und in ihrem Götterschrein einzulagern, bevor sie dann in Vassagos Seelenstadt überführt wurden. Dort sollten sie bis in alle Ewigkeit brennen und unaussprechliche Qualen erleiden. Das geschah jedoch nicht ohne Grund. Die Seelenstadt sollte nämlich die Seelenhalden der alten Schwefelklüfte ersetzen.

Die Schwefelklüfte in der bisher bekannten Form waren mit dem Untergang der Hölle vernichtet worden. Mit seiner Seelenstadt wollte Vassago offenbar für einen adäquaten Ersatz sorgen.

Sara Moon verstand nicht wirklich, warum der Dämon so handelte. Soweit sie sich erinnerte, hatte er stets nach der Erlösung im Licht gestrebt. Oft genug war er es gewesen, der den Dämonenjägern um Professor Zamorra hilfreiche Tipps gegeben hatte, um damit sein »gutes« Punktekonto aufzubessern. Und Sara wusste, das hatte er auch nach dem Untergang der alten Hölle bereits ein paar Mal getan. Doch nun sah es anders aus – aber hatte er sich wirklich endgültig auf die Seite des Bösen geschlagen?

Dämon bleibt eben Dämon, dachte Sara Moon grimmig. Für sie war der Fall damit erledigt.

Warum Vassago so handelte, war für sie erst einmal nachrangig. Wichtig war nur, dass er aufgehalten wurde. Dass ein Dämon eine leibhaftige Göttin in seine Gewalt gebracht hatte und sie für seine schmutzigen Zwecke benutzte, konnte nicht im Sinne der Schicksalswaage sein. Und darum war Sara Moon an diesem Tag hier. Per zeitlosem Sprung hatte sie sich von ihrem Stützpunkt Caermardhin aus direkt in den japanischen Götterhimmel versetzt. Da sie nach ihrem Onkel Asmodis die neue Dienerin der Schicksalswaage war, wollte sie Amaterasus Knechtschaft unbedingt beenden.

Während Susanoo sie noch grimmig anblickte, erinnerte sich Merlins Tochter an den letzten Besuch im japanischen Götterhimmel. Zamorra und seine Gefährtin Nicole Duval waren ebenfalls anwesend gewesen, als es zum Kampf mit Vassago gekommen war.

Sie hatten jedoch nichts gegen den uralten Dämon ausrichten können. Während sich die Sonnengöttin einen mörderischen Kampf mit Vassago lieferte, mussten die Dämonenjäger die Flucht durch ein Weltentor antreten. Das lag jetzt schon einige Zeit zurück. Sara verfluchte sich selbst dafür, sich nicht eher um die Angelegenheit gekümmert zu haben, aber Amaterasu war zurzeit nicht ihr einziges Problem. Der Tunnel nach Avalon war von ihr zwar mittlerweile erfolgreich verplombt worden, aber ein neuer Übergang zu der dort befindlichen neuen Hölle musste geöffnet werden. Nur wenn die Hölle mit der Erde verbunden war, herrschte Gleichgewicht im Multiversum. Solange nämlich kein Übergang bestand, konnten die Seelen der Toten nicht von der Erde abfließen, sondern blieben dort gefangen. Dieser Zustand würde früher oder später in einer Katastrophe münden. Es musste also dringend etwas getan werden!

Aber nun war Sara entschlossen, das Problem nicht mehr länger auf die lange Bank zu schieben. All diese Dinge hingen möglicherweise miteinander zusammen. Immerhin war Vassago brennend an den auf der Erde befindlichen Seelen interessiert. Sie kam der Sache auch schon näher und wusste nun mittlerweile, wie man im Saal des Wissens an Informationen kam. Seltsamerweise war es Kühlwalda gewesen, die geheimnisvolle Kröte, die im Schloss hauste und mit der Eva sich angefreundet hatte.

Kurz entschlossen hatte Sara ihre kleine Schwester Eva in die Obhut von Zamorra und seiner Gefährtin gegeben. Dort, auf Château Montagne, war sie gut aufgehoben und man würde sich gut um sie kümmern. Obwohl Sara Caermardhin mittlerweile als sicher betrachtete, hätte sie doch ein ungutes Gefühl gehabt, wenn Eva alleine dort herumstrolchte.

»Ja, du bist hier nicht erwünscht«, wiederholte Susanoo. Seine dunklen Augen blickten ernst. Sara versuchte, eine Gefühlsregung in ihnen wahrzunehmen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. Fest stand, dass der Sturmgott ziemlich entschlossen aussah.

»Sagt wer?«, fragte Sara frech. »Deine Schwester?«

Susanoo nickte knapp. »Sie verwehrt dir den Zutritt zu unserer Daseinssphäre. Ihre Worte waren eindeutig!«

Sara stemmte die Arme in die Hüften und blickte den Sturmgott trotzig an. »Das glaube ich gern«, erwiderte sie. »Deine Schwester hat wohl Angst, dass man ihren dunklen Geheimnissen auf die Spur kommt!«

Für einen Moment lang gerieten Susanoos Gesichtszüge in Bewegung. Seine ernste Miene verrutschte und der Sturmgott trug einen entgeisterten Ausdruck zur Schau. »Amaterasu hat Geheimnisse, das ist wohl wahr«, bestätigte er schließlich. »Aber woher weißt du davon, Menschenmädchen?«

Die Miene des Sturmgotts wurde wieder ernst und verschlossen. Der Blick aus seinen dunklen Augen wurde intensiver. Er schien Sara mit seinen Augen förmlich zu sezieren. Für Sara war offensichtlich, dass er keinen blassen Schimmer davon hatte, was mit Amaterasu los war.

»Ich bin eben kein normales Menschenmädchen, Sturmgott«, erwiderte sie.

Von Zamorra und Nicole Duval wusste sie, dass es sich bei den japanischen Gottheiten um ein ganz spezielles Völkchen handelte. Auch wenn sie durchaus Respekt vor diesen unbegreiflichen Wesenheiten hatte, erkannte sie, dass hier deutliche Worte angebracht waren. Sie trat einen Schritt zurück und atmete tief durch.

»Ich bin die Dienerin der Schicksalswaage, Sturmgott«, erklärte sie ernst, »und ich habe jedes Recht hier zu sein, wenn es der Erfüllung meiner vielfältigen Aufgaben dient!«

Einen Moment lang wurden Susanoos Augen groß und kugelrund.

»Ich prüfe das«, sagte er knapp.

Ehe Sara reagieren konnte, schoss seine riesige Hand nach vorne und legte sich um ihren Kopf.

Um Himmels willen, dachte sie. Er könnte mich zerquetschen wie eine Erdnuss!

Aber der Sturmgott hegte keine bösen Absichten, wie sich gleich darauf zeigte. Stattdessen spürte Sara, wie tastende Impulse durch ihren Körper jagten. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass sie gerade auf Herz und Nieren geprüft wurde.

Schließlich löste Susanoo seinen Griff und zog seine Hand zurück. »Verzeih«, erwiderte er. Seine Stimme klang jetzt etwas sanfter. »Ich musste ganz sicher sein!«

Sara nickte und deutete eine knappe Verbeugung an, die von Susanoo erwidert wurde. Nachdem sie sich solcherart gegenseitig ihren Respekt bezeugt hatten, trat der Sturmgott wieder zurück.

»Was willst du von meiner Schwester?«, fragte er dann.

»Amaterasu braucht Hilfe«, erklärte Sara. »Ist dir noch nichts Ungewöhnliches an ihr aufgefallen? Der Kampf vor einigen Wochen kann euch doch nicht entgangen sein!«

Während des zurückliegenden Gefechts mit Vassago war von den übrigen Gottheiten weit und breit keine Spur zu sehen gewesen. Sara erinnerte sich, dass sie sich damals schon darüber gewundert hatte.

»Jetzt, wo du es sagst …«

Susanoo schien zu überlegen. Sara hatte den Eindruck, dass er sich immer noch nicht gänzlich in die Karten schauen lassen wollte. Schließlich jedoch fasste er sich ein Herz.

»Amaterasu verhält sich merkwürdig in letzter Zeit, das stimmt. Wir dürfen nicht mehr in die Nähe ihres Schreins. Statt mit uns über die Ebenen zu tollen, sucht sie die Einsamkeit. Etwas stimmt nicht …«

Der Sturmgott zog die Stirn kraus. Erst jetzt schien ihm der zweite Satz Saras in seiner ganzen Tragweite bewusst zu werden.

»Ein Kampf?«, hakte er nach.

Sara nickte eifrig. Sie zauberte ein einnehmendes Lächeln auf ihre Lippen.

»In der Tat«, bestätigte sie. »Soll ich nicht doch noch ein bisschen bleiben? Ich denke, wir sollten uns ausführlicher unterhalten!«

***

Hannover, DeutschlandGegenwart

Die Temperatur im Schlafzimmer schien mit jeder Sekunde weiter abzusacken. Sanja wappnete sich für den bevorstehenden Angriff und spannte ihre Muskeln an.

In der Mitte des Raums, direkt über ihrem zerwühlten Bett, manifestierte sich ein wolkenartiges Gebilde. Eine Art Strudel bildete sich, durch den Sanja direkt ins Totenreich hinabzublicken glaubte.

Eine kalte Einöde erstreckte sich vor ihr, die kein Zeichen von Leben barg. War dies das Jenseits?

Aber wenn es war, wo versteckten sich dann die Geister der Verstorbenen?

Sanja hatte das Gefühl, als sollte ihr das gespenstische Bild etwas verdeutlichen. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben verfluchte sie ihre übersinnlichen Fähigkeiten, die ihr bis jetzt nichts als unruhige Nächte beschert hatten.

Während sie noch ins Innere des Strudels blickte, verblasste das Bild plötzlich. Für einen Moment blieben nur die wolkenartigen Schlieren übrig.

Dann schoss aus dem Nichts eine knochenartige Fratze auf sie zu. Sanja taumelte erschrocken zurück. Sie ruderte mit den Armen, als sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich an einer nahen Kommode festzuhalten.

Sekundenlang schwebte die Totenfratze vor ihr in der Luft.

Das Gesicht des Geistes wirkte zornig und traurig zugleich. Es war komisch, aber für einen Sekundenbruchteil hatte Sanja den Eindruck, dass er auch gerade lieber woanders gewesen wäre.

Aber vielleicht kann er nirgendwo anders hin, dachte sie. Möglicherweise ist ihm der Weg ins Jenseits versperrt.

Es gab viele Gründe, aus denen Geister gezwungen waren, auf der Erde zu verweilen. Sie als Medium wusste das. Es gehörte zu ihrem Job. Vielleicht hatte der Tote im Leben Schuld auf sich geladen, die es noch zu begleichen galt. Fragte sich also, was dieser Knabe hier ausgefressen hatte.

Sanja machte eine beruhigende Geste. Tatsächlich hielt der Geist inne und schwebte vor ihr in der Luft. Seine starren Totenaugen funkelten nach wie vor angriffslustig.

Junge, Junge, dachte Sanja, mit dem ist nicht gut Kirschen essen!