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Grabgesang
Eine wärmende Morgensonne lag über dem Gräberfeld.
Dennoch fröstelte die Frau und zog die gehäkelte Stola enger um die Schultern.
Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, obschon sie das Grab ihres seligen Gatten noch nicht erreicht hatte.
Eine Melodie erklang, leise und klimpernd, als käme sie tief aus der Erde.
"Herr im Himmel, erhöre mein Flehen, und beschütze mich vor allem Übel!"
Die alte Frau bekreuzigte sich und ergriff von Grauen gepackt die Flucht.
Kindlicher Gesang begleitete ihren Weg.
"Hoppe hoppe Reiter ..."
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Grabgesang
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Joe Therasakdhi/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8307-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Grabgesang
von Ian Rolf Hill
Eine wärmende Morgensonne lag über dem Gräberfeld.
Dennoch fröstelte die Frau und zog die gehäkelte Stola enger um die Schultern.
Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, obschon sie das Grab ihres seligen Gatten noch nicht erreicht hatte.
Eine Melodie erklang, leise und klimpernd, als käme sie tief aus der Erde.
»Herr im Himmel, erhöre mein Flehen, und beschütze mich vor allem Übel!«
Die alte Frau bekreuzigte sich und ergriff von Grauen gepackt die Flucht.
Kindlicher Gesang begleitete ihren Weg.
»Hoppe hoppe Reiter …«
Mutabor wechselte spielerisch vom linken in den rechten Galopp und entlockte seiner Reiterin Mira ein glückliches Lächeln. Kerzengerade saß die Siebzehnjährige im Sattel und genoss die ersten Sonnenstrahlen und das Zwitschern der erwachenden Vögel.
Andere Mädchen in ihrem Alter lagen noch in den Betten, um sich von den Strapazen der vergangenen Nacht zu erholen. Nicht zwingend allein, wenngleich der Bettnachbar (oder auch Nachbarin) oftmals maßgeblich zur frühmorgendlichen Erschöpfung beigetragen hatte.
Mira interessierte sich jedoch weder für Dorftanz noch für Beziehungskisten. Ihr Vater hielt sie daher für eine Spätzünderin, was vor allem ihrer Tante erhebliche Sorgen bereitete. Deren Nichte dagegen nervte das ständige Genörgel einfach nur. Sie lebten schließlich nicht mehr im Mittelalter. Heutzutage musste man nicht mit zwanzig unter der Haube sein, um seine besten Jahre damit zu vergeuden, schreiende Babys ruhigzustellen.
Gott, dieses Dorf war so spießig.
Oder war es nur ihre Familie?
Mira verscheuchte die Gedanken an ihre Verwandten und ärgerte sich darüber, dass ihr die Sorgen die Freude am frühmorgendlichen Ausritt zu verderben drohten.
Eben ließen sie den kleinen Hain am Rande von Pechern hinter sich, durchquerten den alten Mühlgraben und ritten in das Neißetal hinein. Dies hatte seinen Namen von dem gleichnamigen Fluss erhalten, der unweit des Dorfes entlangfloss.
Sobald sich Mira konzentrierte, konnte sie sogar das Rauschen des Neißewehrs hören.
Mutabor lief jetzt im versammelten Galopp, und Mira unterdrückte den Impuls, die Augen zu schließen, um dem gleichmäßigen Takt der Hufe auf dem nachgiebigen Waldweg zu lauschen. Kalt und erfrischend fuhr ihr der Wind ins Gesicht. Wenn sie nach Hause kam, würden ihre Wangen rot leuchten. Miras Gedanken wanderten zu Fabian, den sie heute Nachmittag treffen wollte.
Ohne dass ihr Vater oder ihre Tante davon wussten.
Und das sollte auch so bleiben. Es war beileibe nicht so, dass sich Mira nicht für Jungs interessierte. Sie legte bloß keinen Wert darauf, sämtliche Welt daran teilhaben zu lassen. Außerdem musste es schon ein besonderes Exemplar der männlichen Gattung sein, das es mit dem Gefühl von Freiheit aufnehmen konnte, das sie unweigerlich empfand, wenn sie auf Mutabors Rücken durch die Natur ritt.
Nebel zog von den Ufern der Neiße über die Felder und Weiden und leuchtete im Licht der aufgehenden Sonne, deren Strahlen den Horizont in einen wunderschönen orangefarbenen Glanz tauchten. Hinzu kamen die Einsamkeit und Stille, denn zu dieser frühen Stunde trieben sich noch keine Landwirte auf lärmenden Traktoren herum.
Jäger waren genauso wenig auf den Beinen, ebenso wie die spärlichen Touristen, die sich in diese entlegene Ecke von Sachsen, dicht an der polnischen Grenze, verirrten. Sie musste höchstens mit ein paar Anglern rechnen, die hofften, einen guten Fang in der Neiße zu machen.
Das Schöne daran war, dass dies in der Regel leise vonstattenging.
Weder der Angler noch seine Beute produzierten unnötige Geräusche, selbst wenn es um Leben und Tod ging.
Auf einen guten Fang hoffte vermutlich auch die schwarze Katze, die schräg vor Mutabor und Mira durch das hohe Gras pirschte. Unwillkürlich beschleunigte der junge Hengst seinen Schritt und verfiel in einen starken Galopp. Mira runzelte die Stirn. Hatte sie sich unbemerkt nach vorne gebeugt oder die Schenkel zu fest angelegt?
Solche Eigenmächtigkeiten erlaubte sich Mutabor sonst nie. Dafür war der siebenjährige Andalusier viel zu gut ausgebildet. Und trotzdem rannte der Hengst immer schneller, und Mira glaubte sogar das Klopfen seines kräftigen Herzens an der Innenseite ihres linken Schenkels zu spüren. Der Schlag des Pferdeherzens schien sich auf ihr eigenes zu übertragen, das nun ebenfalls heftiger schlug.
Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Miras Bauch aus.
Andere hätten im Reflex die Beine an den Pferdekörper gedrückt, sich vielleicht sogar vorgebeugt oder heftig an den Zügeln gezerrt.
Mira tat nichts von alledem, dafür saß sie schon viel zu lange auf dem Rücken eines Pferdes.
Das Mädchen ließ die Beine locker, richtete sich auf und lehnte sich sogar leicht zurück, wobei sie sanft, aber bestimmt an den Zügeln zog.
Was sonst immer reibungslos funktionierte, bewirkte heute das glatte Gegenteil.
Mutabor wurde schneller …
Das Hämmern der Hufe wurde zu einem durchgehenden Stakkato. Irgendetwas hatte Mutabor erschreckt und völlig aus der Fassung gebracht. Schaum flog ihm aus dem Maul. Verzweifelt versuchte Mira, die Ruhe zu bewahren.
Der Stopp kam so abrupt, dass das Mädchen sich nicht mehr im Sattel halten konnte.
Sie wurde nach vorne geschleudert und griff in Mutabors Mähne, um sich festzuhalten. Der fing an zu bocken und stieg schließlich sogar auf die Hinterhand.
Da wusste Mira, dass sie in ernsten Schwierigkeiten steckte. Wie ernst begriff sie jedoch erst, als sie nach hinten geworfen wurde. Die Mähne entglitt ihren behandschuhten Fingern, und plötzlich befand sie sich im freien Fall.
Mira schrie und schlug hart auf den teilweise noch gefrorenen Feldweg. Die Reiterkappe flog ihr vom Kopf. Greller Schmerz zuckte durch ihr rechtes Knie, als der Fuß sich im Steigbügel verfing und das Gelenk nach außen gedreht wurde.
Das Mädchen brüllte und schlug um sich. Sie spürte, wie das Kniegelenk nachgab.
Die Qualen waren so heftig, dass ihr schwarz vor Augen wurde. So bekam sie zunächst gar nicht mit, dass Mutabor weiter vorwärtspreschte und seine Reiterin mit sich schleifte.
Adrenalin flutete ihre Adern und kämpfte vergebens gegen die Schmerzen an, die entstanden, als ihr Körper erbarmungslos über die Unebenheiten des Bodens gezerrt wurde.
Er wird mich zu Tode trampeln, dachte sie panisch und im selben Moment traf der Huf des Hinterbeins ihre linke Schulter.
Mira brüllte, als die Knochen splitterten.
Mutabor hielt an, und Miras Fuß rutschte endlich aus dem Steigbügel.
Der Hengst aber gebärdete sich wie wahnsinnig. Er warf den Schädel von einer Seite zur anderen, schnaubte und wieherte, als würden ihn selbst heftige Schmerzen plagen. Jammernd wälzte sich Mira über die rechte Schulter. Sie schrie gepeinigt, als ihr gebrochenes Knie auf den festgestampften Boden prallte.
Die Siebzehnjährige wollte bäuchlings davonkriechen, verharrte aber mitten in der Bewegung. Vor ihr auf dem Pfad, dort wo ein schmaler Grasstreifen die Spurrinnen voneinander trennte, saß die schwarzen Katze und starrte sie aus gelbgrün funkelnden Augen an.
Kaum begegnete Miras Blick dem des Tieres, als es die Ohren anlegte und ein aggressives Fauchen ausstieß. Die kleinen weißen Fangzähne hoben sich scharf vor dem dunklen Fell und dem rosafarbenen Mäulchen ab.
Mira nahm den Anblick mit ins Grab.
Sie spürte einen Luftzug, glaubte, einen Schatten im Augenwinkel größer werden zu sehen, dann traf der Vorderhuf ihren Hinterkopf mit solch mörderischer Wucht, dass Miras Gesicht in das harte Erdreich gestampft wurde.
Ihr Schädel zerplatzte wie ein überreifer Kürbis.
Mutabor wieherte und suchte das Weite.
Die Katze trottete auf den zermalmten Kopf des Mädchens zu, dessen Beine noch ein letztes Mal zuckten, und schnupperte an der blutigen Masse.
☆
»Hey, Chef, zieh dir das mal rein!«
Professor Zamorra brummte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und wollte das Gesicht ins Kissen drücken, als ein schwerer Gegenstand genau dort einschlug, wo er eben noch sein Haupt hatte betten wollen.
Er schrak hoch und wandte auf dem Bauch liegend den Kopf.
»Ja, ist sie denn des Wahnsinns fette Beute?«
»Das ›fett‹ nimmst du zurück, sonst ziele ich hiermit besser.«
Nicole Duval stand am Fußende des Doppelbettes und hob demonstrativ die linke Hand, in der sie eine Schüssel hielt, aus der sich dünner Dampf kräuselte, der Zamorra zeigte, dass der Inhalt der Schale warm war.
»Hm, kommt drauf an, was drin ist.«
Seine Gefährtin und Mitarbeiterin in Personalunion griff nach dem Löffel und schob sich eine weißgelbe, unappetitlich aussehende Pampe in den Mund. Bis auf ein viel zu großes Hemd, dessen Schöße auf ihren Oberschenkeln ruhten, schien Nicole nichts weiter am Leib zu tragen.
Man konnte ihr ja gewiss so einiges vorwerfen, aber Fettleibigkeit gehörte definitiv nicht dazu. Das sah selbst ein Blinder mit Krückstock auf den ersten Blick.
»Leckerer Haferbrei!«, nuschelte sie mit vollem Mund und grinste, während sie lasziv den Löffel ableckte.
Zamorra verzog das Gesicht. »Haferschleim? Bäh! Du hast gewonnen, ich nehme alles zurück und behaupte, dass du des Wahnsinns entzückendste Beute bist.«
Der Parapsychologe setzte sich auf und lehnte sich ans Kopfende des Bettes. Er grinste Nicole herausfordernd an, die den Mund verzog.
»Da hast du aber gerade noch die Kurve gekriegt, chéri. Du solltest mal probieren, schmeckt deutlich besser, als es aussieht.«
»Ja, das sehe ich dir an! Muss ein kulinarischer Hochgenuss sein.«
»Vor allem ist es gesund!«
»Ich bin unsterblich. Ich brauch nicht auf meine Gesundheit zu achten.«
»Relativ unsterblich, und auf seine Gesundheit sollte Mann stets achten, egal wie viel Wasser er aus der Quelle des Lebens getrunken hat.«
Nicole kroch mit Knien auf das Bett, und Zamorra sah, dass sie außer dem Hemd tatsächlich keinen überflüssigen Faden am Leib trug. »Hier probier mal! Die Engländer nennen es Porridge.«
»Ich weiß wie die Engländer das nennen. Deshalb bin ich ja so besorgt.« Er beäugte die Pampe misstrauisch. »Sieht aus, als hätte William das als Dichtungsmasse angerührt.«
»Angerührt hat es Madame Claire, aber tatsächlich nach einem Rezept von William.«
»War ja klar. Dabei sollte man meinen, dass er nach all den Jahren weiß, wie ein ordentliches Frühstück auszusehen hat. Brötchen, Croissants, Konfitüre, Eier.«
»Speck, Nierchen, Würstchen.«
Zamorra griente. »Ja, von der fetten Groben.«
»Alles klar! Das reicht. Dann bekommst du eben kein Porridge und wirst alt und mürrisch. Ein alter, mürrischer, verbitterter Gelehrter.«
»Mürrisch und verbittert werde ich nur, wenn ich den Fraß zu mir nehmen muss. Essen hält bekanntlich Leib und Seele zusammen. Das Einzige, was dieses Zeug zusammenhält, sind Ziegelsteine.«
»Red keine Operetten, lies lieber den Artikel. Das ist Futter für dein Hirn.«
Zamorra drehte den Kopf und bemerkte erst jetzt den flachen Gegenstand, den ihm Nicole aufs Kissen geworfen hatte. Es war ein Tablet, bei dem sich mittlerweile der Bildschirmschoner eingeschaltet hatte.
Er nahm den tragbaren Computer an sich und wischte über den Touchscreen. Nicole legte sich neben ihm auf die Decke und löffelte genüsslich ihren Haferbrei, derweil sich Zamorra mit dem Zeitungsartikel eines bekannten deutschen Boulevardblättchens auseinandersetzte.
»Mysteriöse Todesfälle!«, las er die Überschrift des kurz gehaltenen Artikels vor. »Seit nunmehr vier Wochen hält eine Serie rätselhafter Todesfälle das Dörfchen Pechern in der Gemeinde Görtlitz, nahe der polnischen Grenze, in Atem. Binnen drei Wochen ist es hier zu drei tragischen Unfällen gekommen. Zuletzt ist ein Mann aus dem Dorf in dem nahegelegenen Neißewehr ertrunken, nur eine Woche, nachdem seine Tochter von ihrem Pferd zu Todes getrampelt wurde. Obwohl die örtliche Polizei ein Fremdverschulden ausschließt, geht die Angst in Pechern um. Manch Einwohner glaubt gar, dass die betroffenen Familie verflucht sei, denn sämtliche Opfer seien miteinander verwandt gewesen. Andere meinen, dass ein Nachzehrer für die Tode verantwortlich sei. Es handelt es sich um einen lokalen Mythos, der in Schlesien weit verbreitet ist.«
Zamorra runzelte die Stirn und wandte den Kopf, um seine Gefährtin anzuschauen. Nicole tat so, als hätte sie seinen Blick nicht bemerkte. Eifrig kratzte sie mit dem Löffel die letzten Reste des Haferbreis aus der Schüssel.
»Stammt der Hinweis zufälligerweise von Pascale?«
»Zufälligerweise ja!«, erwiderte Nicole. »Und dienstbeflissen wie unser Bibliothekar nun einmal ist, hat er sogar schon den Begriff Nachzehrer recherchiert. Angeblich ist es eine Abart der Vampire.«
Nicoles Augen funkelten, sodass Zamorra glaubte, kleine goldene Lichter in ihren Pupillen tanzen zu sehen. Ein Zeichen ihrer Erregung. Den Mund hatte sie vor Abscheu verzogen, was jedoch nicht an dem zweifelhaften Genuss des Haferbreis lag, sondern allein an der Erwähnung der untoten Blutsauger.
Nicole hasste Vampire von ganzem Herzen.
Fast so sehr wie ihr Freund, der Silbermonddruide Gryf. Dieser Hass war tief in ihrer Seele verwurzelt und stammte aus einer Zeit, als sie selbst mit dem Vampirkeim infiziert gewesen war. Das allein war vielleicht noch zu verschmerzen. Bis sie ausgerechnet von einem Vampir, Tan Morano, verführt worden war, der sie dazu gebracht hatte, Zamorra zu betrügen.
»Nicht nur das«, fuhr der Parapsychologe fort. »Nachzehrer zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu ihren herkömmlichen Artgenossen ihre Grabstätten nur selten zu verlassen pflegen. Sie liegen stattdessen lieber im Sarg und kauen an ihren Leichenhemden herum, was zu einem charakteristischen Schmatzen führt, über das Michael Ranft ein lesenswertes Traktat verfasste: ›Über das Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern‹. Das Besondere an Nachzehrern ist, dass sie die Eigenschaft besitzen, ihre nächsten Verwandten zu sich ins Grab zu ziehen, sofern man ihnen nicht Einhalt gebietet. Früher glaubte man, Nachzehrer entstünden dadurch, weil die Toten mit offenem Mund und offenen Augen bestattet werden und jemand mit der Kleidung des Toten dessen Lippen berührt.«
Nicole lüpfte die fein geschwungenen Augenbrauen. »Donnerwetter. Jetzt bin ich aber doch ein klein wenig beeindruckt. Da merkt man sofort, dass du Professor bist.«
Zamorra grinste. »Ich weiß ja, wie sehr dich das antörnt.«
»War mir klar, dass du nur deine niederen Triebe im Sinn hast. Aber beeil dich, sonst wird dein Frühstück kalt. Spätestens heute Mittag sollten wir aufbrechen, wenn wir rechtzeitig vor Einbruch der Nacht in Pechern eintreffen wollen.«
»Moment mal, wer sagt denn, dass wir dort hinfahren?«
Nicole sprang auf und lächelte, sodass ihre Zähne blitzten. »Na, ich natürlich. Wer sonst?«
»Puh, hab ich da auch ein Wörtchen mitzureden?«
»Das kommt ganz darauf an, ob du allein unter die Dusche gehen willst oder in Begleitung.«
Mit verführerischem Augenaufschlag nestelte Nicole die obersten Knöpfe auf und bewegte kreisend die Hüften, sodass das Hemd an ihrem seidig glatten Leib der Schwerkraft folgend nach unten sank.
»Das ist Erpressung!«, murrte Zamorra.
»Das ist Motivation«, korrigierte ihn seine Gefährtin.
☆
»Wo willst du hin, Gerd?«
»Wohin wohl? In die Kneipe! Wie jeden Samstag! Was dachtest du denn?«
»Aber morgen ist Sonntag. Wie kannst du da ans Saufen denken?«
»Gerade weil morgen Sonntag ist, denke ich ans Saufen. Solltest dir auch einen genehmigen. Dann bist du vielleicht nicht mehr so hysterisch!«
»Dein Vater, dein Bruder und deine Nichte sind gestorben!«
»Als ob ich das nicht wüsste.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
»Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Wenn ich nüchtern bleibe, macht sie das auch nicht wieder lebendig.«
»Kaltschnäuziger Mistkerl!«
Ein lautes Klatschen, gefolgt von einem unterdrückten Schluchzen, dann erklangen schwere Schritte auf dem Dielenboden. Wenig später krachte eine Tür ins Schloss. Die Geräusche des im Hintergrund laufenden Fernsehers wurden vom Weinen einer Frau übertönt.
Lucia schloss behutsam die Tür zu ihrem Zimmer.
Es war nicht der erste Streit ihrer Eltern, den sie mitangehört hatte. Möglicherweise aber der Letzte. Die Sechzehnjährige schürzte die Unterlippe und schüttelte traurig den Kopf. Was dachte sie denn da? Wurde sie jetzt schon genauso verrückt wie ihre Mutter, die tatsächlich der Meinung war, ihre Familie sei verflucht?
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