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Der Wind fegte kühl von den Berghängen, die im Licht der aufgehenden Sonne in einem satten Orangerot leuchteten. Noch ballte sich in den langgezogenen, tiefblauen Schatten die Kälte der Nacht, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Luft aufheizte wie in einem Backofen.
Andrew Clark und seine Kollegen arbeiteten rund um die Uhr. Nicht allein der Hitze wegen, sondern auch weil für die kommenden Tage Sandstürme angekündigt waren, die das bisher Erreichte mit einem Schlag zunichtemachen konnten.
Und alles nur, weil die Einheimischen, die ihnen helfen sollten, davongelaufen waren wie die Hasen. Angeblich lauerte in der Wüste der Tod, machte weder vor Mensch noch Tier halt.
Abergläubisches Pack!
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Wüstentod
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Nataniil
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9719-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Wüstentod
von Ian Rolf Hill
Der Wind fegte kühl von den Berghängen, die im Licht der aufgehenden Sonne in einem satten Orangerot leuchteten. Noch ballte sich in den langgezogenen, tiefblauen Schatten die Kälte der Nacht, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Luft aufheizte wie in einem Backofen.
Andrew Clark und seine Kollegen arbeiteten rund um die Uhr. Nicht allein der Hitze wegen, sondern auch weil für die kommenden Tage Sandstürme angekündigt waren, die das bisher Erreichte mit einem Schlag zunichtemachen konnten.
Und alles nur, weil die Einheimischen, die ihnen helfen sollten, davongelaufen waren wie die Hasen. Angeblich lauerte in der Wüste der Tod, machte weder vor Mensch noch Tier halt.
Abergläubisches Pack!
Professor Andrew Clark fühlte sich von den Nomaden im Stich gelassen.
Vor allen anderen von Berim, ihrem Führer und seinem Vertrauten, der die Gobi kannte wie kaum ein Zweiter. Er war in der Wüste geboren worden, hatte sein gesamtes Leben in ihr verbracht und mehr als eine Expedition begleitet. Daher begriff Andrew nicht, warum er ausgerechnet jetzt mit dem blödsinnigen Geschwätz angefangen hatte, mit dem er nicht nur die mongolischen Hilfsarbeiter in Angst und Schrecken versetzt hatte, sondern auch Andrews eigene Leute.
Jeder, der sich mit der Gobi befasste, kannte die Legenden, die sich um Allghoi Khorkhoi rankten. Doch jeder, der nur halbwegs bei Verstand war, musste wissen, dass es nichts als haltloser Aberglaube war.
Vor allem von den Kollegen und Studenten hatte er deutlich mehr erwartet. Immerhin hatten sie nicht gleich ihre Sachen gepackt, um mit Berim und seinen Männern zu verschwinden. Offenkundig überwog die Faszination über den Fund, den sie erst gestern Abend gemacht hatten.
Hätte Andrew Clark ihn mit einem Wort umschreiben müssen, er hätte ihn als sensationell bezeichnet.
Der Traum eines jeden Paläontologen, und somit auch von Andrew, der ihn träumte, seit er ein kleines Kind gewesen war. Lange bevor ein Film namens »Jurassic Park« in den Kinos lief.
Und dieser Traum war buchstäblich über Nacht in Erfüllung gegangen. Sämtliche Angaben ihres Auftraggebers hatten der Wahrheit entsprochen, so unwahrscheinlich sie zunächst erschienen waren. Woher ihr Geldgeber davon wusste, vermochte Andrew nicht zu sagen, aber um ehrlich zu sein, es war ihm auch egal. Er war froh und dankbar, dass er derjenige sein durfte, der den Fund ans Tageslicht brachte.
Sie arbeiteten in Schichten. Niemand bekam mehr als vier Stunden Schlaf, und Andrew ging mit gutem Beispiel voran. Er hätte ohnehin kein Auge zugetan. Pause machte er nur, um sich eine Tasse starken Kaffee und ein karges Frühstück in Form von Borts, dem Trockenfleisch aus Rinder- oder Yakfleisch, sowie einem Stück Aaruul, getrocknetem Quark, zu gönnen.
Rachel McKenna, Studentin im sechsten Semester, folgte ihm, angeblich, um sich umzuziehen. In der Nacht fielen die Temperaturen drastisch, und oftmals betrugen die Unterschiede zu den Tageshöchstwerten dreißig Grad. Mit verheißungsvollen Blicken und einem aufreizenden Hüftschwung, der ihre prallen Hinterbacken zum Zittern brachte, lud sie den Professor ein, ihr behilflich zu sein. Unter anderen Umständen hätte er sich nicht zweimal bitten lassen, doch heute stand ihm nicht der Sinn nach einem Tête-à-Tête mit der Vierundzwanzigjährigen. Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, doch Andrews kannte die Studentin lange genug, um zu wissen, wie verletzt sie war.
Kein Wunder, bei dem mangelnden Selbstwertgefühl, das sie besaß.
Die rothaarige Amerikanerin mit den irischen Wurzeln war keine Laufstegschönheit. Dafür war ihre Figur zu üppig, die Haut zu blass. Doch genau das mochte Andrew, dem nicht allzu viele Studentinnen schöne Augen machten. Was weniger an seinem Aussehen lag. Mit knapp fünfzig besaß er immer noch dichtes Haar, auch wenn es mittlerweile grau geworden war, aber das spielte für die jungen Dinger kaum eine nennenswerte Rolle. Im Gegenteil, manche fanden seinen Altherren-Look durchaus anziehend. Hinzu kamen eine sonnengebräunte Haut und eine sportliche Figur.
Nein, der Grund weshalb er nicht häufiger etwas mit Studentinnen anfing, war der, dass es an ausreichenden Kandidatinnen mangelte. Oder solchen, die sein Interesse in dem Maße erregten, dass er darüber hinaus seine eigenen Studien vergaß.
Was ihn ausgerechnet an Rachel fasziniert hatte, wusste er selbst nicht zu sagen. Vielleicht war es ihr naiver Charme, der ihn angemacht hatte. Oder ihre drallen Brüste.
Wäre sie nur ein wenig selbstbewusster gewesen, hätte sie zehn Kerle an jedem Finger haben können. Stattdessen lief sie ihm hinterher wie eine läufige Hündin. Und das nur, weil er sie ein-, zweimal bestiegen hatte.
Was bildeten sich diese jungen Dinger eigentlich ein? Dass er ihr nach der Entdeckung des Fossils vor versammelter Mannschaft einen Heiratsantrag machte und sie im Arm herumwirbelte? Oder dass sie seine persönliche Assistentin wurde?
Herrgott, er hätte ihr Vater sein können.
Aber vermutlich lag genau dort ihr Problem. Irgendwer musste schließlich für ihr zerrüttetes Selbstbild verantwortlich sein. Selbst wenn es wie ein Klischee anmutete, so lag die Ursache dafür meistens in der Kindheit. Ob es die Eltern nun wahrhaben wollten oder nicht.
Was auch immer der Grund für Rachels Minderwertigkeitskomplex sein mochte, es interessierte ihn nicht die Bohne. Er war schließlich verheiratet. Und zwar mit seinem Beruf. Keine Frau der Welt konnte es mit der Faszination, die das vollständig erhaltene Skelett eines seit Jahrmillionen ausgestorbenen Lebewesens auf ihn ausübte, aufnehmen. Von dem, was sie hier am Fuße des Altai-Gebirges gefunden hatten, ganz zu schweigen.
Andrew stürzte den heißen Kaffee viel zu schnell hinunter, schnappte sich ein paar Streifen Trockenfleisches, von denen er sich einen sofort zwischen die Zähne schob, und wollte sich auf den Rückweg machen. Sie hatten ihr Lager in einem Tal inmitten hochaufragender Dünen aus Sand und Geröll errichtet, einigermaßen geschützt vor dem Wind, der, je nach Tageszeit, eisig kalt oder brütend heiß war.
Das Camp bestand aus Zelten und kantigen weißen Wohncontainern, zwischen denen die Jeeps und Anderthalbtonner wie Denkmäler standen. Die Kamele hatten die einheimischen Nomaden bei ihrer Flucht mitgenommen, sodass das Lager einen ausgestorbenen Eindruck machte. Wer von den Forschern auf den Beinen war, befand sich an der Ausgrabungsstätte. Momentan lag auch niemand im Bett. Jeder wollte die milden Temperaturen der Morgendämmerung nutzen, um den Fund weiter aus dem steinernen Grab zu befreien, das ihn seit über 70 Millionen Jahren fest im Griff hatte.
Professor Andrew Clark empfand darüber tatsächlich so etwas wie Stolz. Offenbar war die wissenschaftliche Neugier seiner Assistenten und Studenten größer als ihre Angst vor alten Mythen und Legenden einheimischer Narren.
»Andrew!«
Missmutig riss er am Ende des zähen Streifens und stopfte sich das letzte Stück Aaruul in den Mund. Er hatte gehofft, fertig zu sein, bevor sich Rachel umgezogen hatte. Der Höflichkeit halber blieb er stehen und wandte sich um.
Die Studentin kam so schnell auf ihn zugelaufen, dass ihre Brüste unter dem enganliegenden Top auf und ab hüpften. Sie trug jetzt eine khakifarbene Short, die bis zu den Knien reichte und hohe Schuhe mit Kreppsohle. Auf dem Kopf saß ein breitkrempiger Hut, der ihr blasses mit Sommersprossen übersätes Gesicht beschattete. Die krausen roten Haare hatte sie straff zurückgebunden.
»Andrew, warte!«
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich mit Professor Clark anreden sollst?«
Er konnte sehen, wie sehr sie sein Tadel kränkte.
»Aber wir sind doch unter uns!«, protestierte sie.
»Das kann man hier draußen nie so genau wissen.« Er wandte sich ab und stapfte die steil ansteigende Düne hinauf, hinter der sich ihr Fund verbarg. Präziser gesagt, steckte er in einem Felsquader, der im Laufe von Jahrmillionen von Sand- und Gesteinsschichten begraben worden war.
Siebzehn Frauen und Männer schufteten im Schweiße ihres Angesichts an drei verschiedenen Stellen, um das massige Tier freizulegen. Bislang waren gerade mal zwei Quadratmeter eines vollständig erhaltenen Rückenpanzers zu sehen, eine Kralle, die zu einem dreizehigen Fuß gehörte, sowie die sichelförmigen Klauen eines Vorderlaufes, der wahrscheinlich nicht zum Laufen genutzt worden war.
Für einen kurzen Augenblick blieb Andrew auf der Anhöhe stehen und schaute, den Atem anhaltend, auf die Szenerie, die sich seinen glänzenden Augen im Licht der Morgensonne bot. Wie Ameisen krochen die Paläontologen über den Haufen aus Geröll und Gestein, in das Andrews geistiges Auge die Leiber mehrerer Urzeitreptilien von gigantischen Ausmaßen malte.
Dinosaurier.
Und zwar gleich mehrere!
Der Rückenpanzer, gespickt mit mächtigen Dornen, wies auf einen Vertreter der Anyklosauridae hin, die vor allem durch die keulenförmigen Verdickungen an den Enden ihrer kräftigen Schwänze bekannt geworden waren. Die dreizehige Kralle gehörte einem bipeden Theropoden, vielleicht sogar einem Tarbosaurus, einem der größten Vertreter der Tyrannosauridae. Und dann waren da noch die Sichelklauen, einer wahrhaft »schrecklichen Hand«, welcher der Dinosaurier, dem sie vermutlich gehörte, seinen Namen verdankte.
Deinocheirus!
Knochen des gigantischen Tieres waren erstmals 1965 gefunden worden, und zwar ebenfalls in der Gobi, die neben den Rocky Mountains in Nordamerika zu den ergiebigsten Fundstätten von urzeitlichen Fossilien weltweit gehörte.
Obwohl noch lange nicht feststand, dass es sich um vollständige Gerippe handelte, so war ihr Fund bereits jetzt eine Sensation. Dinosaurier drei verschiedener Arten, von derlei Ausmaßen und so dicht beisammen liegend: Das ließ auf ein Massengrab schließen. Möglicherweise erwartete sie eine dramatische Szene, die der des Kampfes zwischen einem Protoceratops mit einem Velociraptor ähnelte.
Der Fund war damals so spektakulär gewesen, dass er sich fast in jedem Buch über Dinosaurier wiederfand. Ein verhältnismäßig kleiner Raubsaurier, der im Film »Jurassic Park« doppelt so groß dargestellt worden war, hatte sich mit seinen Klauen in den Schädel eines gedrungenen Pflanzenfressers mit Nackenschild und Papageienschnabel verkrallt.
Der Protoceratops glich frappierend seinem berühmten Verwandten, dem Triceratops. Abgesehen von der Größe, er maß kaum zwei Meter, und bis auf die Tatsache, dass er keine Hörner besaß. Der Velociraptor dagegen kam mit der Schulter nicht mal bis zur Klinke einer handelsüblichen Tür.
Hier aber hatten sie es mit Exemplaren von über zehn Metern Länge zu tun. Vermutlich noch mehr!
Rachels Keuchen riss Andrew aus seinen Tagträumen. Schnaufend mühte sich die Studentin auf den Kamm der Düne und blieb vornübergebeugt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, neben dem Professor stehen. Schließlich richtete sie sich auf, schob den Hut in den Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ganz schön imposant, nicht wahr?«, fragte sie.
Andrew hätte am liebsten die Augen verdreht. Musste diese Frau eigentlich immer irgendetwas von sich geben? Wortlos reichte er ihr ein Stück Trockenfleisch. Und bereute es im selben Augenblick. Vermutlich missinterpretierte Rachel das als fürsorgliche Geste, dabei hatte er ihr das Borts nur gegeben, damit sie die Klappe hielt.
Er schlitterte die mit Sand und Geröll bedeckte Düne hinunter, auf der büschelweise borstige Gräser wuchsen. Die Gobi war nicht mit anderen Wüsten, wie beispielsweise der Sahara vergleichbar, was vor allem an ihrem stark kontinental geprägten Klima lag.
Lauter Tumult erwartete ihn am Grund des Kessels, und obwohl er noch mehr als hundert Meter entfernt war, vernahm er bereits die aufgeregten Schreie von Simon Norell.
»Professor Clark! Professor Clark!«
Der sportliche Student mit dem flachsblonden Haar, den blauen Augen und dem dichten Vollbart ähnelte mehr einem Wikinger, als einem waschechten Amerikaner. Oder diesem komischen Schauspieler, der den nordischen Donnergott in den albernen Superheldenfilmen verkörperte. Die Studentinnen himmelten ihn an, und entspräche Rachel nur etwas mehr dem gängigen Schönheitsideal, wäre sie mit Sicherheit Norell hinterhergehechelt, um ihn an ihrem Hinterteil schnuppern zu lassen.
Andrew hasste ihn wie die Pest.
Doch er war fleißig und hatte was auf dem Kasten, das war nicht zu leugnen. Vor allem aber war er den körperlichen Strapazen, die Ausgrabungen in der Wüste nun mal mit sich brachten, gewachsen.
Der Student winkte und kam auf Andrew und Rachel zugelaufen. Außer Atem blieb er vor ihnen stehen, was weniger dem kurzen Sprint geschuldet war, als vielmehr seiner Aufregung. Die Gesichtshaut über dem dämlichen Hipsterbart war gerötet und glänzte vor Schweiß.
»Schnell Professor, kommen Sie. Wir … ich glaube, wir haben ihn gefunden!«
Er wollte sich umdrehen und wieder zurücklaufen, doch Andrew packte seinen Arm und hielt ihn eisern fest.
»Warten Sie, Norell. Verraten Sie mir erst einmal, weshalb Sie hier so einen Wirbel veranstalten? Wen haben sie gefunden?«
Der Blick des Studenten irrte verständnislos zwischen Andrew und Rachel hin und her, als wäre die Antwort offensichtlich.
»Na, den Schädel natürlich. Wir haben den Schädel des Sauriers gefunden. Und er ist intakt!«
☆
»Was stehen Sie dann noch hier herum und glotzen?«, fuhr Andrew den Studenten an. »Zeigen Sie ihn mir!«
Das brauchte der Professor nicht zweimal zu sagen. Auf dem Absatz machte Norell kehrt und lief voraus. Andrew achtete nicht darauf, ob Rachel Schritt hielt oder nicht. Ihre Anwesenheit war nicht von Belang. Sämtliche Paläontologen und Studenten hatten ihre Arbeit eingestellt und sich vor dem Fundstück versammelt, das auf einen Laien sicherlich einen eher unspektakulären Eindruck machte.
Zumindest gemessen an den bisherigen Entdeckungen.
Was Andrew zu Gesicht bekam, war im Prinzip nicht mehr als eine gemaserte Oberfläche, in dem sich ein ovaler Einschluss auftat, der wie ein Schacht in das Innere des Felsens zu führen schien.
Bert Sullivan, ein zäher Paläontologe von sechzig Jahren, mit spiegelblanker, sonnenverbrannter Glatze und geröteter Knubbelnase, auf der eine randlose Brille saß, fuhr andächtig mit den Fingerkuppen über die Maserung.
»Erstaunlich, Andrew! Absolut erstaunlich!«, murmelte der ältere Forscher, ohne den Blick von der eigentümlichen Struktur abzuwenden, die sich von dem sandfarbenen Felsen abhob.
Andrew klappte der Unterkiefer herunter.
Mit allem Möglichen hatte er gerechnet. Dem vollständig freigelegten skelettierten Schädel eines Deinocheirus oder eines Tarbosaurus. Möglicherweise auch dem des Ankylosauriers, der sich gegen die Raubtiere verteidigte. Andrew vermochte sich die Szene nicht einmal ansatzweise vorzustellen, die sich hier vor zirka siebzig Millionen Jahren abgespielt hatte.
Doch was er hier zu Gesicht bekam, übertraf sämtliche Erwartungen.
Plötzlich bekam Norells »intakt« eine gänzlich andere Bedeutung. Das wurde auch Rachel klar, die sich dicht an Andrews Seite drängte, sodass ihre linke Brust seinen rechten Arm berührte. Andrew fiel es nicht schwer, sie zu ignorieren, Rachels Kommentar hingegen nahm er sehr wohl zur Kenntnis.
»Ist das … ist das die Haut eines Dinosauriers?«
Andrews Kehle schnürte sich zu. Sein Rachen fühlte sich so rau und trocken an, als wäre er stundenlang bei sengender Hitze ohne einen Schluck Wasser durch die Wüste gelaufen. Er war unfähig eine Antwort zu geben.
Das übernahm Bert Sullivan. »Ja, Rachel. Das ist die Haut eines Dinosauriers. Und sie ist vollständig erhalten.«
»Hör auf, Bert.« Endlich gelang es Andrew, zu sprechen, obwohl seine Stimme krächzte wie die eines alten Raben. »Die Haut ist nicht nur vollständig erhalten, sie ist vollkommen unversehrt.«
»Was bedeutet das?«, fragte die Studentin.
Andrew schwieg, und auch Bert Sullivan wagte nicht, einen Kommentar abzugeben. Schlicht und ergreifend deshalb, weil das, was sicht- und fühlbar vor ihnen lag, nach wissenschaftlichen Maßstäben ein Ding der Unmöglichkeit war.
Norell übernahm anstelle der Professoren die Antwort und sprach aus, was sich sonst niemand traute. »Das bedeutet, dass sie nicht versteinert ist. Es ist so, als sei der Dinosaurier erst vor wenigen Stunden von dem Geröll verschüttet worden.«
☆
Es war eine Sache, die Tatsachen zu erahnen, eine andere, sie auszusprechen. Selbst wenn der Beweis offen vor ihnen lag. Natürlich hatten sie gesehen, dass der Panzer und die Klauen ebenfalls nicht die Versteinerungen aufwiesen, wie es für solche Funde typisch gewesen wäre, doch Horn war schließlich weit widerstandsfähiger als die ledrige Haut von Reptilien.
»Also haben wir es mit einer Mumie zu tun?«, fragte Rachel verunsichert.