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Mit offenem Mund beobachtete Bahadur Khan die Vernichtung seiner Zombie-Armee.
"Das ... das ... das ist unmöglich", stammelte er. Doch die Geschehnisse, die sich vor und unter ihm abspielten, sprachen für sich.
Er hatte keine Ahnung, wie es Nicole Duval gelungen war, seine Zombies zu vernichten, aber Tatsache war, dass sie es geschafft hatte. Er hatte die Dämonenjägerin und ihren vermaledeiten Sternenkristall offenbar unterschätzt. Wieder einmal.
Aber das würde ihm kein weiteres Mal passieren.
"Raketen scharf machen! Tötet sie alle!"
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Thron der Macht
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Impressum
Thron der Macht
(Teil 4)
von Ian Rolf Hill
Mit offenem Mund beobachtete Bahadur Khan die Vernichtung seiner Zombie-Armee.
»Das ... das ... das ist unmöglich«, stammelte er. Doch die Geschehnisse, die sich vor und unter ihm abspielten, sprachen für sich.
Er hatte keine Ahnung, wie es Nicole Duval gelungen war, seine Zombies zu vernichten, aber Tatsache war, dass sie es geschafft hatte. Er hatte die Dämonenjägerin und ihren vermaledeiten Sternenkristall offenbar unterschätzt. Wieder einmal.
Aber das würde ihm kein weiteres Mal passieren.
»Raketen scharf machen! Tötet sie alle!«
Gleich sind wir wieder vereint, chéri!
Professor Zamorra vernahm die Stimme von Nicole und erwachte ruckartig aus der Bewusstlosigkeit. Das Erste, was er registrierte, war die bläuliche Armaturenbeleuchtung der Hornisse, die beinahe schmerzhaft in seine Augen stach. Die Luft schmeckte nicht mehr fade und abgestanden, sondern frisch und rein. Angereichert mit Sauerstoff, der aus den aktivierten Lebenserhaltungssystemen strömte.
Er hatte es geschafft!
Müde und erschöpft strich er sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Kalter Schweiß klebte auf seiner Haut. Wie ein Hund, der sich die Regentropfen aus dem Fell schleuderte, so schüttelte Zamorra die Reste von sich ab.
Nicole, dachte er. Er hätte schwören können, dass es ihre Stimme gewesen war, die er gehört hatte. Verdammt, er musste aus diesem Grab hinaus. Wie er vermutet hatte, war die Gruft im Laufe der Jahrhunderte eingestürzt und schließlich wieder aufgeschüttet worden. Er war lebendig begraben.
Aber nicht mehr lange, schwor er sich und checkte die Antriebssysteme.
»Antriebsenergie bei fünfundsechzig Prozent«, meldete der Bordcomputer.
»Das muss reichen«, knurrte Zamorra und aktivierte die Triebwerke. Ein Zittern lief durch die Hornisse, die sich für wenige Zentimeter hob und prompt steckenblieb. Das Beben wurde stärker. Ein Knirschen erklang. Kurz darauf erstarb der Antrieb.
»Hüllenintegrität auf kritischem Niveau. Notabschaltung initiiert.«
»Negativ«, sagte Zamorra. »Dann müssen wir uns eben freischütteln.«
Er hatte den Gedanken noch nicht beendet, als er die Triebwerke erneut hochfuhr. Dieses Mal ging er behutsamer zu Werke. Ein Erfolg stellte sich trotzdem nicht ein. Dafür wurden die Erschütterungen stärker. Zuerst glaubte Zamorra, es läge abermals an dem Antrieb, bis der Bordcomputer Dhyarra-Aktivität meldete.
Nicole, zuckte es dem Parapsychologen erneut durch den Kopf.
»Alles oder nichts«, knurrte er und fuhr die Antriebenergie bis zum Anschlag hoch.
Wie vom Katapult geschleudert schoss Zamorra mit der Hornisse in die Dämmerung des schwindenden Tages hinein. In einer Fontäne aus Erde und Geröll stieg er in den Himmel hinauf, wo bereits drei Kampfhubschrauber auf ihn warteten.
✰
»Sir, neues Ziel auf vier Uhr!«
»Ich habe Augen im Kopf«, brüllte Bahadur. »Ziel erfassen und ...«
Die nächsten Worte blieben ihm im Halse stecken. Vor ihnen in der Luft schwebte ein spitz zulaufendes, metallisch glänzendes Ding, das aussah wie eine riesige, stählerne Zigarre.
Längst verschüttete Bilder flammten vor Bahadurs innerem Auge auf. Er sah sich selbst in jenem Wald in Nordchina stehen, als er dieses Artefakt geborgen hatten. Damals hatte er damit nichts anfangen können. Flugzeuge, Raumschiffe ... das waren Dinge, an die früher noch niemand zu denken gewagt hatte. Für ihn hatte es sich lediglich um einen Götterthron gehandelt. Genau das richtige Artefakt, um seinen Großvater zu bestatten.
Und jetzt stand das Ding vor ihm in der Luft. Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich in der transparenten Kuppel.
War sein Großvater etwa doch noch aus seinem Todesschlaf erwacht? Nach über achthundert Jahren? Warum erst jetzt? Und viel wichtiger war, was wollte er?
Nicht dass er ernsthaft an einer Antwort interessiert war.
»O nein, Großvater. Du hattest deine Chance. Du machst mir meine Macht nicht streitig.«
»Sir?«, fragte der Pilot.
»Vernichten Sie das Ding! Auf der Stelle!«
✰
Zamorra beschleunigte und zwang die Hornisse in einen abwärts geneigten Spiralflug, der ihn dicht über die Steppe führte. Auf dieWeise hoffte er, hinter die Kampfhubschrauber zu gelangen.
Die ersten Raketen verfehlten ihn knapp und detonierten, als sie gegeneinanderprallten. Der Meister des Übersinnlichen gönnte sich ein triumphierendes Grinsen. Eine Hornisse mit relativ trägen Kampfhubschraubern zu erwischen, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Dachte er!
»Alarm! Sich nähernder Flugkörper wurde registriert.«
Zamorra aktivierte die Waffensysteme der Hornisse. Er wusste zwar nicht, wer in den Hubschraubern saß, doch wer auch immer auf ihn schoss, ohne den Versuch einer Kontaktaufnahme durfte er keine Gnade erwarten. Nur leider reagierte das Waffensystem nicht.
Für einen Augenblick war Zamorra wie gelähmt, und das hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Viel konnte er von seiner Umgebung nicht erkennen, doch zumindest befand er sich nicht in unmittelbarer Nähe einer Stadt oder Siedlung. Dafür ragten die Gipfel des Changai-Gebirges vor ihm auf.
»Dann wollen wir mal das Schlachtfeld ein wenig ausweiten«, sagte er zu sich selbst und flog mit der Hornisse eine Schleife, um die Zielerfassung der Hubschrauber zu irritieren.
Das reichte, um den Treibstoff der ihn verfolgenden Rakete zu verbrauchen. Sie detonierte wenige Meter hinter ihm. Die Gipfel des Changai-Gebirges kamen schnell näher.
»Achtung!«, meldete sich der Bordcomputer. »Antriebssystem überlastet. Abschaltung in neun, acht, sieben ...«
»Was? Negativ«, rief Zamorra. »Abbrechen!«
»Fünf, vier, drei ...«
Er hätte wissen müssen, dass Boras Meridian nicht freiwillig in einem Wald am Arsch der Welt kampierte, wenn er eine intakte Hornisse besessen hätte. Eine Erkenntnis, die leider zu spät kam.
»Zwei, eins. Abschaltung wird initiiert!«
»O Scheiße«, stöhnte Zamorra.
✰
»Jetzt haben wir ihn!«
Bahadurs Augen leuchteten siegesgewiss, als er sah, wie die Hornisse in den Sinkflug überging und vor den Ausläufern des Changai-Gebirges auf den Steppenboden aufschlug. Nicht besonders sanft, wie Khan in der einsetzenden Dämmerung erkannte. Das längliche Scoutschiff wurde nach oben geschleudert, wirbelte um die eigene Längsachse, nur um gleich darauf wieder auf den Boden aufzuschlagen und eine Furche in die Erde zu ziehen.
»Sagen Sie Ihren Flügelmännern, dass sie Madame Esced und ihrer Brut den Rest geben sollen.«
»Ja, Sir«, meldete der Co-Pilot und gab den Befehl an die Besatzungen der beiden anderen Hubschrauber weiter, die abdrehten, um ihn auszuführen.
Bahadur nickte zufrieden. »Gehen Sie tiefer. Ich will wissen, wer sich in dem Ding befindet.«
Das Mini-Raumschiff war längst zum Stillstand gekommen. Mit nach vorne geneigtem Cockpit schwebte der Mil Mi-24 auf das havarierte Flugobjekt zu. Der Pilot war wirklich ein Meister seines Fachs. Aber Bahadur Khan erwartete von seinen Leuten auch nicht weniger.
Mit fiebrigem Blick beobachtete er, wie die transparente Abdeckung zurückfuhr und sich eine hochgewachsene Gestalt aufrichtete. Sie schwankte wie ein Schilfrohr im Wind.
Bahadurs Augen weiteten sich. Nein, das war nicht der reanimierte Leichnam seines Großvaters, das war ...
»Zamorra!« Hasserfüllt sprach er den Namen aus. »Töten Sie ihn!«
✰
So ungefähr muss sich ein Astronaut in der Zentrifuge fühlen, dachte Zamorra, als er sich aufrichtete. Die Welt drehte sich vor seinen Augen und er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Der erbeutete Blaster von Boras Meridian schien Tonnen zu wiegen.
Das Knattern der Rotoren drang wie durch Watte gefiltert an seine Ohren. Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter ihm am Horizont unterging, spiegelten sich auf dem Schanzkleid des Kampfhubschraubers.
Zamorra hob den Arm mit der Waffe. Ein gut platzierter Schuss musste reichen. Sein Blick fiel auf die Ladeanzeige, und plötzlich wurde ihm eiskalt. Die Batterie war leer! Und da begriff er seinen Irrtum. Nach der Landung hatte er instinktiv den Blaster des EWIGEN ergriffen, doch im Gegensatz zu seinem eigenen, der den Zeitsprung mitgemacht hatte, hatte die Waffe von Boras Meridian achthundert Jahre im Grab gelegen. Kein Wunder, dass sie sich entladen hatte.
Die Erkenntnis kam beinahe zu spät.
Mit einem Hechtsprung warf sich Zamorra seitlich aus dem Cockpit der Hornisse. Es war mehr ein unbeholfenes Fallen als ein wirklicher Sprung. Der Aufprall auf den Steppenboden schüttelte ihn durch und jagte Wellen des Schmerzes durch seinen geschundenen Körper. Trotzdem gab er sich selber Schwung, rollte sich aus der Gefahrenzone.
Unvermittelt fiel der Boden ab. Zamorra rutschte in eine Senke. Just in dem Augenblick, als die Hornisse von einem Feuerball verschlungen wurde und das Krachen der Explosion ihm nicht nur das Gehör, sondern auch das Bewusstsein raubte.
✰
Dichte Schwaden aus Staub und Asche trieben lautlos an Lisa Esced vorbei und vereinten sich mit dem fettigen Rauch der Explosion.
Langsam drehte sich die ehemalige Blutgräfin um. Ihre Augen weiteten sich vor Unglauben und Fassungslosigkeit. Bahadurs Zombie-Armee war – weg!
Ausgelöscht, vernichtet. Regelrecht ausradiert.
Sie richtete sich auf und wollte durch die dichten Nebelschleier hindurchgehen, als sie eine Stimme hinter sich vernahm.
»Lisa!«
Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. Erneut wandte sie sich um. Zwei Schemen lösten sich vor ihr aus den Rauchschwaden.
Noémi Mészáros und Dalius Laertes!
Die Untote stützte den hageren Mann, der aus mehreren Wunden blutete.
»Ihr lebt?«
Ihre Assistentin und Geliebte nickte. »Ja, Dalius konnte gerade noch rechtzeitig eine magische Kuppel errichten, kurz bevor die Rakete einschlug.«
Lisa Esced wollte etwas erwidern, als das Knattern der Rotoren anschwoll. Zwei klobige Schatten schälten sich aus den Staub- und Aschewolken, die von den Rotorblättern durcheinandergewirbelt und förmlich zur Seite geschaufelt wurden. Die Hubschrauber schwenkten auseinander, an ihren Absichten bestand kein Zweifel.
»Ich nehme nicht an, dass du das Kunststück ein zweites Mal fertigbekommst?«
Dalius hob den Kopf, das Haar hing ihm wirr und strähnig ins Gesicht. Auch ohne sich umzudrehen wusste er, was die Stunde geschlagen hatte.
»Nun!«, sagte Lisa und blickte zwischen den Kampfhubschraubern hindurch zum Horizont, wo die Sonne eben hinter den Berggipfeln verschwand. »Dann bin ich jetzt wohl dran!«
Sie breitete die Arme aus, und ihr Gewand begann um sie herumzufließen wie lebendiges Gewebe, formte sich zu mächtigen Schwingen, halb Gefieder, halb Flughaut. Ihr Brustkorb wölbte sich nach vorne, blähte sich auf. Büschel schwarzen Pelzes wucherten auf der blassen Haut. Bauch und Lendenbereich wurden von einem ledrigen Panzer bedeckt. Ihr Haar wandelte sich zu einer dichten Mähne, die Schädel und Nacken der Kreatur schützte, zu der Lisa innerhalb weniger Sekunden mutierte.
Mund und Nase wölbten sich vor, bildeten eine Schnauze mit nadelspitzen Hauern.
Mit gewaltigem Flügelschlag hob sie ab und schwang sich hinauf in die Lüfte. Ein Kraftstrom durchfuhr die Untote, und wieder erklangen die fernen, vertrauten Stimmen in ihrem Unterbewusstsein.
Kümmere dich um die dritte Maschine, wir erledigen den Rest!
Der Chor verstummte, dafür lösten sich aus den Schatten ihrer Schwingen zwei formlose Schemen, die rasch Gestalt annahmen. Sie verwandelten sich in gewaltige Eulen, die sich kreischend auf die vorderen Kampfhubschrauber stürzten, während die Blutgräfin mittig zwischen ihnen hindurchschwebte und Kurs auf die dritte Maschine nahm.
Sie hatte die beiden Hubschrauber noch nicht passiert, als der erste bereits abschmierte. Grünes Elmsfeuer loderte im Inneren der Kanzel, schlug aus den geborstenen Scheiben des Cockpits und warf bizarre Reflexe auf das Schanzkleid. Der Rotor setzte aus. Dann stürzte der Helikopter wie ein Stein zur Erde, wo er in einem gewaltigen Feuerball verging.
Die zweite Maschine teilte sein Schicksal.
Lisa sah durch Dorotheas Augen, wie das entsetzte Gesicht des Piloten hinter der Scheibe größer wurde. Die Vampirhexe durchbrach die Cockpitscheiben, als bestünden sie aus Papier. Blut spritzte ihr in die verzerrte Fratze, als sich ihr Schnabel durch den Brustkorb des Mannes wühlte. Mit einem Streich ihrer krallenbewehrten Klauen zerfetzte sie die Kehle des Co-Piloten.
Danach stieß sich Dorothea von der Schnauze des Hubschraubers ab, der unter ihr spiralförmig in die Tiefe trudelte. Hohnlachend schwang sie sich in den dunkler werdenden Himmel hinauf. Nicht ohne dem abstürzenden Heli zwei weitere Feuerbälle hinterherzuschicken. Einen Flügelschlag später zerschellte er am Boden.
Der Explosionspilz war noch nicht in sich zusammengefallen, als Lisa den dritten und letzten Hubschrauber erreichte. Lautlos glitt sie seitlich an die Maschine heran. Die Insassen hatten längst mitbekommen, dass der Kampf nicht so verlaufen war wie erhofft.
Unvermittelt neigte sich der Helikopter nach unten. Was zunächst aussah wie ein inszenierter Absturz, erwies sich für Lisa als tödliche Falle. Das Flappen der Rotorblätter wurde lauter, der Sog stärker. Die Luftschraube würde sie zerfetzten wie ein Müllzerkleinerer.
Die Untote ließ sich fallen!
Noch im Sturz verwandelte sie sich zurück und prallte gegen die Außenverkleidung des Hubschraubers, der abrupt an Höhe gewann. Ein mörderischer Schlag traf die Blutgräfin, die sich mit übermenschlicher Kraft am Schanzkleid festklammerte und wie eine Spinne an der Außenhülle entlangkrabbelte.
In der Zwischenzeit bekam der Pilot die Maschine wieder unter Kontrolle. Lisa war auf dem Weg nach vorne, um durch die Cockpitscheiben in das Innere der Kanzel zu gelangen, als sie hörte, wie sich hinter ihr die Schiebetür öffnete.
Die ehemalige Blutgräfin ließ los und flog zurück, bis sie auf einer Höhe mit dem Söldner war, der tatsächlich einen Flammenwerfer in den Fäusten hielt. Er kam jedoch nicht mehr dazu, ihn einzusetzen.
Während sich Lisa mit einer Hand an der Öffnung festhielt, packte sie mit der anderen den perforierten Lauf und riss den Kerl an sich vorbei in die Tiefe. Anschließend schwang sie sich ins Innere. Drei Söldner sprangen auf sie zu. Dem ersten verpasste sie einen mörderischen Tritt in den Bauch, der ihn quer durch die Kanzel katapultierte, wo er mit knochenbrechender Wucht an die gegenüberliegende Wand prallte.
Dem zweiten Söldner brach sie das Genick. Er lag noch nicht am Boden, da packte sie den Arm des letzten Angreifers, der ihr sein Bajonett ins Herz rammen wollte. Das Ellenbogengelenk splitterte wie ein Streichholz, ehe sie ihm mit einer beiläufigen Bewegung die Kehle herausriss.
Das Blut spritzte Bahadur Khan ins Gesicht, der reglos und mit starrer Miene auf seinem Platz saß.
»Jetzt wird abgerechnet«, zischte Lisa, doch ihr Gegner rührte sich noch immer nicht. Außer sich vor Zorn packte sie seine Kehle, die unter dem Druck ihrer Finger nachgab. Rauch waberte durch die Kabine.
Für Sekunden war Lisa Esced wie gelähmt. Fassungslos schaute sie auf ihre Hand. Die Erkenntnis sickerte tröpfchenweise in ihr Bewusstsein. Bahadur Khan hatte sie reingelegt. Er war gar nicht an Bord dieses Hubschraubers gewesen. Er hatte lediglich einen magischen Doppelkörper entsendet, einen Avatar, den er mit schwarzer Magie zum Leben erweckt hatte.
Die Blutgräfin heulte vor Wut und Enttäuschung auf.
In das Geräusch mischte sich das Krachen eines Schusses. Ein mörderischer Schlag traf ihren Schädel. Lisa wurde schwarz vor Augen, sodass sie die folgenden Einschläge in die Brust nicht mitbekam. Als sich ihre Sicht klärte, befand sie sich längst im freien Fall.
Der Körper der ehemaligen Blutgräfin wurde herumgewirbelt wie ein Blatt im Wind. Für die Verwandlung in die geflügelte Bestie bedurfte es nicht mehr als eines Gedankens. Mit kräftigen Flügelschlägen bremste sie ihren Sturz, während der Hubschrauber über ihr an der Felswand zerschellte, die der Pilot in seiner Panik übersehen hatte.
✰
Nicole Duval hatte das Gefühl zu träumen.
Sie spürte zwar, wie die Energien des entfesselten Dhyarras an ihrem Körper zerrten, doch es wirkte auf eigentümliche Weise surreal. Erst als das Inferno vorüber und die Zombie-Armee vernichtet war, fand sie langsam zurück in die Wirklichkeit.
Eine gigantische Wolke aus Staub und Asche versperrte ihr die Sicht auf das Schlachtfeld. Doch das war nicht weiter tragisch. Ihre Aufmerksamkeit galt allein Lucia, die leblos neben ihr am Boden lag. Sie blutete aus der Nase und den Ohren. Selbst aus ihrem Mundwinkel war ein dünner Streifen Blut gesickert. Das Gesicht war bleich, Brust und Bauch blieben regungslos.
Sie sah aus wie tot!
Der Gedanke puschte Nicole auf.
»Nein, nein, nein«, jammerte sie. »Bitte nicht!« Sie stemmte sich auf die Knie, ungeachtet der Schmerzen in ihrem Körper. Sie beugte sich über Lucia, legte das Ohr an ihre Brust und beobachtete dabei das starre Gesicht der Freundin.
Keine Reaktion!
Sie tastete nach dem Puls, doch sie fand ihn nicht. Weder an der Radialisarterie noch an der Halsschlagader. Nicoles Nasenflügel bebten. Ihre Augen brannten. »Bitte tu mir das nicht an!«, murmelte sie und begann mit der Herzdruckmassage.
Selbst als Professor Zamorra, Lisa Esced, Noémi Mészáros und Dalius Laertes aus den Staubschleiern traten, hielt sie nicht in ihren Bemühungen inne.
✰
Bahadur Khan öffnete die Augen.
Er zitterte am ganzen Körper, und hätte er nicht ohnehin schon in seinem Meditationsraum gekniet, der einer mongolischen Jurte nachempfunden war, er wäre mit Sicherheit zusammengebrochen. So konnte er sich gerade noch mit den Händen am Boden abstützen.
Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Ein Speichelfaden rann ihm über die Unterlippe. Das Letzte, was er gesehen hatte, bevor die Verbindung zu seinem Avatar abgebrochen war, war das hassverzerrte Antlitz seiner ärgsten Gegnerin gewesen.
Er konnte es noch immer nicht fassen, wie es ihr und ihren Verbündeten gelungen war, der untoten Leibgarde zu trotzen. Dalius Laertes hätte doch gar nicht in der Lage sein dürfen, gegen seine Diener zu kämpfen. Bahadur ahnte, dass auch das mit Lucia Nowak zusammenhing. Ihre Kräfte schienen weit größer zu sein, als er bisher angenommen hatte.
Gleichzeitig waren die seinen auf erschreckende Weise geschwächt worden. Die Auferweckung der Zombies, die Erschaffung des Zweitkörpers, der Kontakt zu den Sklaven im Archäologencamp hatten ihn weit über die Grenzen der Belastbarkeit hinweg beansprucht.
Die Sklaven!
Er musste Verbindung mit ihnen aufnehmen. Wenn ihm jemand sagen konnte, was bei Karakorum geschehen war, dann sie.
Bahadur Khan wollte sich aufrichten und den Raum innerhalb seines unterirdischen Privatmuseums verlassen, allein es blieb beim Versuch. Kaum belastete er die Beine, knickten sie unter ihm weg wie Streichhölzer.
Dumpf schlug Bahadur Khan zu Boden und verlor die Besinnung.
✰
»Wird sie wieder gesund?«
Teri Rheken stand neben dem vollautomatisierten Krankenbett in der Intensivstation des AKH Wien, dem renommierten Universitätsklinikum, und blickte traurig auf Lucia Nowak hinab.
Sie war sofort ins Krankenhaus geeilt, als sie die Nachricht von der Rückkehr ihrer Freunde erhalten hatte. Noch jetzt zitterten Zamorra die Knie, wenn er an die zurückliegenden Ereignisse dachte, die beinahe in einer Katastrophe geendet waren. Nur mit äußerst knapper Mühe und Not waren sie mit dem Leben davongekommen.
Zumindest die meisten von ihnen, denn ob das auch für Lucia Nowak galt, musste sich noch herausstellen. Nicoles Wiederbelebungsmaßnahmen hatten zwar kurzfristig Erfolg gezeigt, doch deshalb war sie noch lange nicht über den Berg. Ohne die Fähigkeiten von Dalius Laertes und Madame Esced, alias Erzsébet Báthory, wäre Lucia unweigerlich gestorben. Bis inmitten der mongolischen Steppe Hilfe eingetroffen wäre, wäre es für ihre siebzehnjährige Adoptivtochter längst zu spät gewesen.
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