Professor Zamorra 1278 - Christian Schwarz - E-Book

Professor Zamorra 1278 E-Book

Christian Schwarz

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Beschreibung

Er erstarrte. Eine eisige Hand kroch langsam seinen Rücken hinunter. Entsetzt rieb er sich die Tränenschleier aus den Augen. Aber das Bild verschwand nicht. Auf der Decke lag seine Liese und starrte ihn an. Er glaubte durch sie hindurchsehen zu können. Wie durch einen Geist. Nur: Liese, seine Hündin, war vor drei Tagen gestorben!


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Inhalt

Cover

Seelentiere

Leserseite

Vorschau

Impressum

Seelentiere

von Christian Schwarz

Peter Ehm hörte ein tiefes Atmen, während der Hundegeist ihn nun mit einem derart bösartigen Gesichtsausdruck anzuknurren schien, dass Ehm zu zittern anfing.

Der Hundegeist knickte sprungbereit in den Vorderbeinen ein. Ein grelles rotes Leuchten erfüllte die Augen. Sie schienen zu explodieren.

Der Hundegeist sprang ab. Genau auf Ehm zu! Er glaubte, der Geist werde durch ihn hindurchspringen. Stattdessen spürte er feste Zähne, die sich ihm in den Hals gruben. Blut spritzte.

Ehm schrie wie am Spieß.

Und verstummte.

Sigmaringen, Süddeutschland

Peter Ehm trauerte um die Liebe seines Lebens. Sechzehn Jahre lang hatte ihn sein Parson-Russell-Hündin Liese durch dick und dünn begleitet, dann war das Tier an Krebs und Altersschwäche gestorben, erlöst von der Tierärztin. Drei Tage war das jetzt her. Der alte Mann saß in seinem Fernsehsessel und weinte leise vor sich hin. Der Schmerz drohte ihm die Brust zu zerreißen. Das abendliche Fernsehen war beinahe ein Ritual gewesen, während dem sich Liese nach zweiminütigem Ohrkraulen zufrieden auf ihre Decke in der Ecke gekuschelt hatte. Nun war die Decke für immer leer. Er hatte es noch nicht übers Herz gebracht, sie zu entsorgen. Irgendein Instinkt zwang Ehm, den Kopf nach hinten zu drehen. Er erstarrte. Eine eisige Hand kroch langsam seinen Rücken hinunter. Spinne ich jetzt? Entsetzt rieb er sich die Tränenschleier aus den Augen. Aber das Bild verschwand nicht. Auf der Decke lag seine Liese und starrte ihn an. Er glaubte, durch sie hindurchsehen zu können. Wie durch einen Geist.

Ehm schüttelte den Kopf und rieb sich erneut die Augen. Aber das zutiefst verstörende Bild verschwand nicht. Liese lag noch immer auf ihrer Decke. Sie wedelte sogar kurz mit dem Schwanz, während sie ihn weiter unverwandt anstarrte. Dabei wirkte die Version des Hundes nicht mehr annähernd so freundlich wie die lebende. Das mochte an den seltsamen rötlichen Augen liegen, die brutal und böse wirkten.

»Liese? Bist du das wirklich?«, fragte Ehm halblaut, obwohl er sich albern dabei vorkam. Dass das ... Ding da ... erneut durch kurzes Schwanzwedeln reagierte, verstörte ihn noch mehr. »Mein Gott, ich drehe durch. Jetzt habe ich schon Halluzinationen«, murmelte er vor sich hin, während er die Halluzination unverwandt weiter beobachtete.

Daniela Kabus, seine Lebensgefährtin, trat ins Zimmer. Sie hatte in der Küche nebenan aufgeräumt. »Hast du was gesagt, Peter?«, fragte sie freundlich.

»Was?« Er brauchte einen Moment, um wahrzunehmen, dass sie da war. Dass die Halluzination, Liese mochte er sie nicht nennen, auf Daniela reagierte, ließ ihn endgültig an seinem Verstand zweifeln.

»Ob du was gesagt hast, Peter«, wiederholte sie.

»Äh, nein ... das heißt, ja. Ich habe nur mit mir selber geredet. Sag mal, kommt dir hier etwas seltsam vor?«

Daniela sah ihn stirnrunzelnd an. Dann nickte sie. Es durchzuckte ihn wie ein Blitz. Konnte sie die seltsame Erscheinung etwa auch sehen?

»Es ist kalt hier drinnen. Ekelhaft kalt sogar. Hast du gelüftet?«

Erst jetzt fiel Ehm auf, dass Daniela die Hundedecke keines Blickes würdigte. Und dass es tatsächlich eisig im sonst kuschelig gemütlichen Wohnzimmer geworden war.

Die Erscheinung sprang auf, ging schwanzwedelnd auf Daniela zu und beschnupperte ihre Beine. So wie Liese es zu Lebzeiten immer gemacht hatte. Dabei hatte Daniela nie eine wirkliche Beziehung zu der Hündin aufgebaut, anders als seine verstorbene Frau Susanne. Daniela mochte keine Hunde, sie hatte Liese nur deswegen akzeptiert, weil der Hund nun mal bereits im Haus gewesen war, als sie hier einzog. Aber Hunde hatten die seltsame Angewohnheit, sich am dichtesten an diejenigen zu kuscheln, die sie am meisten ablehnten. Als ob sie die Menschen so doch auf ihre Seite ziehen wollten.

Der Vorgang trieb weitere eisige Schauer über Ehms Rücken. So langsam bekam er Angst vor sich selber. Nicht so sehr vor der Geistererscheinung, denn die war ja nicht echt, sondern nur ein Produkt seiner momentanen psychischen Verfassung. Blitzschnell begann er zu überlegen, ob es irgendwelche Geisteskrankheiten in seiner Familie gegeben hatte. Dass ihm nichts bekannt war, besagte allerdings wenig. Auch wenn er in der Beziehung bisher keinerlei Probleme gehabt hatte, konnte die Veranlagung dafür trotzdem in ihm schlummern. Möglicherweise ist ... das ... dann durch den Schmerz über Lieses Tod ausgebrochen. Gibt es so was? Kann das sein?

»Was ist denn los mit dir, Peter? Ich habe dich gefragt, ob du gelüftet hast. Warum antwortest du mir nicht?« Daniela sah ihn vorwurfsvoll an.

»Was?« Er versuchte sie anzulächeln. »N-nein. Habe ich nicht. Entschuldige, ich fühle mich gerade etwas unwohl.«

»Wirst du krank? Vielleicht ist ja die Heizung nicht voll aufgedreht.« Daniela ging zum Heizkörper unter dem Fenster, um nachzusehen.

Der Geisterhund wich aus, als Daniela sich zu bewegen begann, ganz so wie Liese es immer gemacht hatte. Aber Ehm sah sehr wohl, dass Danielas Bein die Erscheinung noch am Kopf erwischte. Und darin eintauchte! Für einen Moment verschmolzen Kopf und Bein. Der letzte Beweis für Ehm, dass er einen Geist sah und keine vollstoffliche Projektion.

Welchen Unterschied machte das aber?

Der Geisterhund schaute Daniela hinterher. Und fletschte knurrend die Lefzen. In der gespenstischen Lautlosigkeit wirkte das noch deutlich bösartiger, als es das ohnehin schon getan hätte. Und genau diese Geste verstörte Ehm endgültig. Denn Liese hatte das nie gemacht, kein einziges Mal. Wenn der Geisterhund also nur in seinem Verstand existierte, wieso tat er dann Dinge, die nicht in Ehms Gedankenmustern verankert waren?

»Alles in Ordnung«, sagte Daniela, nachdem sie die Hand auf den Heizkörper gelegt hatte. »Seltsam. Es zieht auch nicht durchs Fenster. Ich begreife das nicht. Na ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann gehe ich jetzt mal schlafen, ich bin müde. Kommst du mit, Peter? Oder schaust du noch deine Krimiserie an?«

»Äh, nein ... heute nicht. Ich komme mit.« Er erhob sich mühsam aus seinem Sessel, die Arthrose in der linken Hüfte meldete sich wieder mal. Als er hinter Daniela die Treppe in den ersten Stock erklomm, folgte ihm der Geisterhund. Er ging mit ins Badezimmer und legte sich dann im Schlafzimmer auf den Bettvorleger. Genau in Lieses Position.

Daniela ging erneut durch den Geist hindurch. Wieder fletschte Liese böse die Zähne. Dieses Mal sprang sie sogar auf und folgte Daniela ein paar Schritte. Ehm konnte einen erschrockenen Laut gerade noch unterdrücken. Gleich darauf lag er im Dunkeln. Er hörte Danielas regelmäßige Atemzüge neben sich. Wie immer war sie sofort eingeschlafen. Noch mehr aber hörte Ehm das eigene Herz pochen, ein äußerst unangenehmes Gefühl. Immer wieder schielte er neben das Bett. Der Hundegeist lag friedlich da. Er war deutlich zu sehen, weil er in schwachem weißem Licht leuchtete.

Sein Lieblingsspruch, den er mal per WhatsApp bekommen hatte, fiel ihm ein:

Seelentiere sterben nicht ...

Solange wir leben, werden auch sie leben.

Wenn wir uns erinnern, können wir sie sehen.

Und dann wissen wir, sie wandern neben uns.

Ganz wie in alten Zeiten.

Liese war sein Seelentier gewesen. Zweifellos. War es also das? Ist sie weiter bei mir? Wandert sie neben mir, ganz wie in alten Zeiten? Diese Gedanken überzogen Ehms ganzen Körper mit Gänsehaut. Er schüttelte sich. Als reines Gedankenkonstrukt hatte sich der Spruch immer gut und tröstlich angefühlt. Als Geist gewordene Wahrheit fühlten sich die Zeilen aber komplett falsch an.

Irgendwann fiel Ehm trotzdem in einen oberflächlichen unruhigen Schlaf. Im Wegdämmern hoffte er, dass die Geistererscheinung mit dem neuen Tageslicht verschwunden war. Als er erwachte, starrte ihn der Hundegeist jedoch bereits an. Das rötliche Glühen in den Augen schien noch intensiver geworden zu sein. Nun glaubte Ehm sogar eine Aura kompletter Bösartigkeit zu spüren, die das ... Ding ... ausstrahlte.

O mein Gott, was bilde ich mir da noch alles ein. Ich muss dringend zu einem Seelenklempner. Aber erst mal rufe ich Karl an ...

Ehm wartete ungeduldig darauf, dass Daniela zum Einkaufen ging. Kaum dass sie aus der Tür war, wählte er die Nummer von Karl Rautenfeld, dem Vorsitzenden des Hundezentrums Donautal. Es dauerte etwas, bis Rautenfeld an sein Handy ging. »Hallo Peter, wie geht's dir? Alles klar so weit?«, schallte es aus dem Hörer.

Ehm räusperte sich, während er den Hundegeist beobachtete, der in der Küche doch tatsächlich nach seinem Fressnapf zu suchen schien! Jedenfalls schnüffelte er dort herum, wo er immer gestanden hatte. »Äh, so weit so gut, Karl«, antwortete er mit zittriger Stimme. »Ich ... äh, wie soll ich sagen, ich scheine den Tod meiner Liese nur schwer zu verkraften.«

»Wenn das einer verstehen kann, dann ich, Peter«, antwortete Rautenfeld einfühlsam. Ich habe Monate gebraucht, bis ich den Tod von Lenny verkraftet hatte.«

»Ja, klar. Hast du deinen Lenny auch manchmal noch in der Wohnung gesehen? Ich meine, so richtig, als ob er noch da wäre.« Ehm wartete voller Beklemmung auf die Antwort, während der Hundegeist die Lefzen hochzog und erneut zu knurren schien. Diesmal in Ehms Richtung. Das Ding da machte ihm immer mehr Angst.

Rautenfeld stieß pfeifend die Luft aus. »Na ja, das gerade nicht. Ich meine, am nächsten Morgen bin ich heulend durchs Haus gelaufen und habe laut nach ihm gerufen. Und seine Sachen an mich gedrückt ...« Er machte eine kurze Pause. »Hm. Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, Lenny sei noch da. Aber so richtig gesehen habe ich ihn natürlich nicht mehr.«

»Natürlich«, murmelte Ehm. »Dann ... äh, muss ich doch zum Psychiater, Karl. Ich ... wie soll ich das sagen, ich ... sehe meine Liese seit gestern Abend in der Wohnung, ihren Geist, ihre Seele, keine Ahnung. Sie war doch mein Seelentier, so wie Lenny deines.«

Ehm hörte ein tiefes Atmen, während der Hundegeist ihn nun mit einem derart bösartigen Gesichtsausdruck anzuknurren schien, dass Ehm zu zittern anfing. »Das ist schon krass, Peter«, antwortete Rautenfeld nach einer kurzen Pause. »Ich denke, du brauchst einfach Ruhe. Oder geh tatsächlich mal zum Arzt, der kann dir sicher weiterhelfen. Von solchen Symptomen habe ich auf jeden Fall noch nie was gehört. Wahrscheinlich hast du einfach eine starke Einbildungskraft. Zu viel Fantasie.« Er lachte. Es hörte sich irgendwie künstlich an.

»Danke, Karl, das werde ich machen. Einen schönen Tag dir noch.« Ehm beendete das Gespräch. Der Hundegeist knickte gerade sprungbereit in den Vorderbeinen ein. Ein grelles rotes Leuchten erfüllte die Augen. Sie schienen zu explodieren.

Der Hundegeist sprang ab. Genau auf Ehm zu! Er glaubte, der Geist werde durch ihn hindurchspringen. Stattdessen spürte er feste Zähne, die sich ihm in den Hals gruben. Blut spritzte.

Ehm schrie wie am Spieß.

Und verstummte.

Kneipe »Zum Teufel«, Saint-Cyriac, Frankreich

»Ihr seid doch alle Warmduscher!«, brüllte Gerard »Malteser Joe« Fronton erbost. Dazu misshandelte er die Tischplatte des Montagne-Tischs mit einem derart starken Faustschlag, dass die Gläser hüpften. Professor Zamorra hielt sein Weinglas gerade noch fest, bevor es sich über den Tischrand verabschiedete.

»Ja. Und wir parken immer nur im Schatten«, erwiderte Nicole ungerührt. Ein Lachorkan fegte durch Pierre Mostaches Kneipe, der einzigen und damit besten im Ort.

»Im Schatten, das ist gut.« Dorfschmied Charles Goudon hing mit dem Oberkörper halb über dem Tisch und schlug vor Begeisterung ein paar Mal mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Dabei lachte er Tränen.

»Hm, wenn ich mich recht erinnere, hat mir Joe neulich mal, im Hochsommer, vor Marie-Claires Laden einen Schattenparkplatz vor der Nase weggeschnappt«, säuselte Justine Rameau und schnappte sich ein Stückchen von der bereits arg geplünderten Käseplatte à la Chef. Das schob sie sich genüsslich in den Mund, während sie Malteser-Joe fixierte.

Der verschränkte die Arme vor der Brust. »Das war ein reines Versehen, weil ich dich nicht gesehen habe«, behauptete er. »Denn der Gerard Fronton würde so was niemals absichtlich machen, weil er ein geborener Gentleman ist, der Gerard Fronton. Außerdem hält sich der Gerard Fronton immer an die Verkehrsregeln und würde niemandem den Parkplatz klauen, der zuerst da war.«

»Ach was«, erwiderte Zamorra genüsslich. »Du hast Justine angeblich nicht gesehen, weißt aber, dass sie vor dir da war? Ist ja hochinteressant.«

»Äh, ja ... das eine schließt das andere nicht aus«, behauptete Malteser-Joe. »Der Gerard Fronton ist kein Verkehrsrowdy. Er war es noch nie und er wird es niemals sein.«

»Und das sollen wir jetzt glauben?«, mischte sich Pater Ralph ein. »Mir ist da doch neulich zu Ohren gekommen, dass du in Lyon eine Feuerwehrzufahrt zugeparkt hast, nur weil du die paar zusätzlichen Schritte nicht machen wolltest, mein lieber Joe. Für mich ist das sogar ein klassischer Fall von Verkehrsrowdytum.«

Wieder lachte sich die Runde schlapp.

»Ihr seid doch bescheuert, einer noch mehr als der andere«, sagte Malteser-Joe beleidigt. »Ich weiß auch nicht, warum ich mich überhaupt mit euch abgebe. Ich glaube, ich gehe jetzt.« Er machte jedoch keinerlei Anstalten, aufzustehen. Stattdessen orderte er bei Mostache, der an der Theke stand und Gläser putzte, einen Malteser.

»Um noch mal auf das andere Thema zurückzukommen: Du hast tatsächlich mal an einer Witzeweltmeisterschaft teilgenommen, Joe?«, mischte sich nun Pascal Laffite ein und kaute dabei auf einem Stück Pferdesalami herum. Er besuchte den Stammtisch nur noch sehr selten. Denn den größten Teil seiner Zeit verbrachte er mit dem ehemaligen Höllischen Archivar Faolan in der Bibliothek von Château Montagne, wo noch immer weit mehr als die Hälfte der uralten Folianten digitalisiert werden musste. Die restliche Zeit widmete er zumeist seiner Familie. Malteser-Joe hatte ihn quasi hierher gezwungen, weil er behauptete, dass die Männer des Dorfes schon seit Jahrhunderten zu ihren runden Geburtstagen einen in der Kneipe auszugeben hatten. Nachdem seine Nadine den Segen gegeben hatte, war Pascal Malteser-Joes Ruf gefolgt.

»Und ob ich an der Witzeweltmeisterschaft teilgenommen habe«, brüstete sich Malteser-Joe. »Auch wenn die Banausen hier das nicht glauben wollen. Und nicht nur das, mein Herr. Der Gerard Fronton ist ein derart begnadeter Witzeerzähler, dass er bei besagter Witzeweltmeisterschaft den dritten Platz belegt hat. In Monaco war das. Jawohl, mein Herr.« Der ehemalige Fremdenlegionär nickte gewichtig.

»Glaub ihm kein Wort, Pascal«, meldete sich nun Mostache von der Theke her. »Letztes Mal war er noch Zweiter. Und die Witzeweltmeisterschaft, von der noch keiner je was gehört hat, hat angeblich in Lausanne stattgefunden. Außerdem ist Malteser-Joe der miserabelste Witzeerzähler der letzten hundert Jahre, ach was, der letzten zweihundert Jahre sogar.«

»Pfff. Dass ich mich einen Platz zurückgestuft habe, zeugt ja nur von meiner großen Bescheidenheit. Denn der Gerard Fronton wollte sich noch nie in den Vordergrund spielen«, konterte Malteser-Joe mit ebenso kühnen wie unhaltbaren Behauptungen. »Lausanne stimmt natürlich. Monaco ist mir nur deswegen rausgerutscht, weil die Witzeweltmeisterschaft ursprünglich dort stattfinden sollte, dann aber nach Lausanne verlegt worden ist.« Er hatte sich richtig in Rage geredet. »Und die Meinung, dass ich ein schlechter Witzeerzähler sei, hat der Herr da hinter der Theke, dem der liebe Herrgott statt eines Gehirns eine Erbse zwischen die Ohren gesetzt hat, so ziemlich exklusiv. Ich bin der beste Witzeerzähler unter ...«

»Jetzt habe ich genug von deinen Flunkereien, Joe«, sagte Pater Ralph streng. »Gleich morgen früh um acht meldest du dich zum Beichten in der Kirche. Und als Buße verurteile ich dich schon jetzt zu sieben Mal Gurgeln mit Weihwasser.«

»Aber nur, wenn es mindestens achtundvierzig Prozent hat«, gab Malteser-Joe schlagfertig zurück.

Wieder wieherte der ganze Stammtisch. Die Tür öffnete sich. Marie-Claire Boulez, die stolze Besitzerin des Krämerladens und genauso stolze fünfundsechzig Jahre alt, betrat die Dorfkneipe und gesellte sich zur fröhlichen Stammtischrunde. Sie brachte den Geruch nach frischer Abendluft mit. Und die Abendausgabe des Le Progrès, die sie auf den Tisch legte.

André Goadec, Zamorras größter Weinbergpächter, schnappte sich die Zeitung sofort. »Mal schauen«, sagte er. »Ich hatte heute noch keine Zeit, irgendwas zu lesen, nicht mal die Kontoauszüge.«

»Die hätten dir ohnehin nur die Tränen in die Augen getrieben«, behauptete Marie-Claire trocken. »Wenn da was drauf wäre, würdest du sicher nicht ständig anschreiben lassen.«

»Das mache ich einfach deswegen, weil das in diesem kleinen verträumten Ort noch möglich ist. Ein folkloristischer Vorgang sozusagen«, antwortete er und sicherte sich damit zumindest Nicoles Kichern. Er faltete die Zeitung auf. »Ah, in Deutschland hat es schon wieder einen dieser geheimnisvollen Todesfälle gegeben, steht da. Schon seltsam ...«

Zamorra war sofort ganz Ohr. »Geheimnisvolle Todesfälle?«, hakte er nach. »Was ist da los? Nici und ich waren die letzten Wochen so beschäftigt, dass wir kaum was mitgekriegt haben. Pascal, hast du da was übersehen?«

Lafitte grinste schräg. Tatsächlich checkte er nach wie vor für Zamorra die weltweiten Medien nach Fällen, die eventuell einen übersinnlichen Hintergrund hatten. »Nein, habe ich nicht. Da handelt es sich wohl eher um natürliche Vorgänge. Drei oder vier Leute sind da zu Tode gebissen worden. Irgendwo bei Sigmaringen in Süddeutschland, glaube ich. Die Medien berichten, dass es sich laut Polizei um Hunde- oder Wolfsbisse handeln könnte. Klar ist mir da sofort ein Werwolf in den Sinn gekommen. Aber da ist wohl ein ganz normaler großer Hund oder Wolf auf Beutezug.«

»Hm«, machte Nicole nachdenklich. »Dass große Hunde oder Wölfe Menschen reißen, zumal gleich mehrere, habe ich so bisher auch noch nicht gehört.«

Pascal nickte. »Das dachte ich auch gleich. Zumal ...«

»Zumal?« Zamorra nippte an seinem Glas. Er war nun die Aufmerksamkeit in Person.

»Erinnert ihr euch an das Sekten-Massaker, das vor etwa einem halben Jahr in Süddeutschland passiert ist?«

»Dunkel«, erwiderte Zamorra. »Was war da noch mal los?«

»Das war auf einer Wiese an der Donau unterhalb von Schloss Breitenstein. Da wurden insgesamt siebzehn Menschen tot aufgefunden. Irgendein Irrer hat sie mit Axt und Messer übel zugerichtet, sie teilweise sogar zerlegt. Grausam. Einige der Toten konnte man bis heute nicht identifizieren. Laut Polizei stand die Besitzerin von Schloss Breitenstein schon länger im Verdacht, eine sektenähnliche Gruppe zu führen oder ihr zumindest die Burg für ihre Umtriebe zur Verfügung zu stellen. Die waren aber eher politisch motiviert, was man so gelesen hat. Die haben da auf der Wiese wohl nachts irgendein Fest gefeiert und da ist es passiert.«

»Und da siehst du anscheinend irgendeinen Zusammenhang zu diesen seltsamen Todesfällen«, stellte Nicole fest.

»Nein, eigentlich nicht.« Pascal schüttelte den Kopf. »Mir kam es im ersten Moment nur seltsam vor, dass sich zwei derart außergewöhnliche Ereignisse mit geheimnisvollen Todesfällen innerhalb kurzer Zeit in derselben Gegend ereignen. Das ist natürlich auch der Lokalpresse aufgefallen, aber selbst die versucht da keine Zusammenhänge zu konstruieren.«