Professor Zamorra 1292 - Stefan Hensch - E-Book

Professor Zamorra 1292 E-Book

Stefan Hensch

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Beschreibung

"Bist du bereit?", fragte Mercier.
Tanguy nickte. Die Wahrheit war, dass es ihm niemals mehr besser gehen würde. Ganz im Gegenteil, von nun an würde es nur noch bergab gehen. Er spürte, dass er jeden Tag weniger wurde. Der Appetit war erloschen, und sein Körper holte sich die benötigten Kalorien bereits aus seiner Muskulatur. Die Fettdepots waren längst erschöpft. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen. "Wenn du mich unbedingt zu einem Mentalparasiten machen willst, dann leg los!"
Mercier schmunzelte. "Mentalparasit? Wie kommst du denn nur darauf?"


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Seitenzahl: 130

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Inhalt

Cover

Der Mentalparasit

Leserseite

Vorschau

Impressum

Der Mentalparasit

von Stefan Hensch

»Was können wir für Sie tun, Colonel?«, fragte Zamorra, nachdem er und Nicole ausgestiegen waren.

»Kommen Sie bitte mit!«, forderte Mussa sie statt einer Antwort auf.

Jetzt erkannten sie, dass es sich um ein Militärfahrzeug handelte. Also hatte Zamorra recht gehabt.

»Da sitzen noch Leute drin!« entfuhr es Nicole erschrocken.

»Korrekt, Madame. Es handelt sich um einen Offizier und einen Unteroffizier aus einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Orléans. Beide wurden aus nächster Nähe erschossen.«

Chinon im Loiretal, Gegenwart

Zamorra stand mit offenem Mund im Wohnzimmer des alten Hauses, dessen Besitzer vor Kurzem verstorben war. Was er sah, war einfach überwältigend. An allen vier Wänden waren bis zur Decke vollbesetzte Bücherregale montiert. So war es auch in allen anderen Zimmern des Hauses. Das Wohnzimmer bildete gewissermaßen den Höhepunkt, denn hier war sogar die Innenseite der Tür mit Regalen bestückt. Unter der Decke gab es eine Art Hochregal, das mittels einer Kurbel nach oben oder unten bewegt werden konnte.

»Ihr Onkel war definitiv ein ...«, begann Nicole und suchte nach den richtigen Worten.

»Büchermensch«, vervollständigte sie den Satz.

Daniel Vinet musste schmunzeln. »Das kann man wohl sagen.« Er deutete mit dem Kinn auf einen Stapel englischer Bücher, die zu einem annähernd perfekten Würfel aufgeschichtet waren. »In den letzten Jahren hat er diese Serie eines Amerikaners gelesen, in dem die Zivilisation nach einem Krieg mit Atomwaffen völlig zusammenbricht und ein tapferer Held alles daransetzt, eine neue Gesellschaft aufzubauen.«

Zamorra nahm eines der Taschenbücher und blätterte es durch. »Ziemlich dick«, kommentierte er.

Nicole stand neben ihm und flüsterte: »Und so trashig.«

»Deshalb habe ich Sie auch nicht kontaktiert, obwohl Sie sich gerne an den Schmökern hier bedienen können.«

Der Professor fühlte Nicoles kritischen Blick auf sich ruhen und legte den Roman lieber wieder zurück.

Vinet ging zu einem Sideboard, das mitten im Raum stand. Er öffnete eine der Türen, um vorsichtig ein großes goldenes Buch hinauszunehmen und legte es auf dem Wohnzimmertisch ab.

»Das Interesse meines Onkels bezog sich auch auf seltene Bücher – oder was er dafür hielt. Ein Bekannter von mir ist Sprachwissenschaftler. Ich habe ihm einen Schnappschuss von dem Buch gezeigt, damit er mir sagen kann, um was für eine Sprache es sich dabei handelt. Er musste passen, hat jedoch naturgemäß großes Interesse an diem Buch.«

Was den Preis selbstverständlich in die Höhe treibt, ergänzte Zamorra gedanklich. Neugierig trat er an den Tisch heran und sah sich das Buch an. Es war in Leder gebunden und mit goldenen Lettern beschriftet. Das Leder war abgegriffen und von winzigen Rissen übersät, während das Blattgold vermeintlich zeitlos vor sich hin schimmerte.

»Nichts ist so treu wie Gold«, kommentierte Nicole.

Den Titel konnte Zamorra beim besten Willen nicht entziffern. Am ehesten erinnerten die Schriftzeichen ans Phönizische, jedoch waren die Ähnlichkeiten nur sehr vage. Die Schrift der Phönizier galt als Urahnin der meisten heute noch gebräuchlichen Schriften, und ihre Buchstaben waren mit viel Phantasie als Vorläufer unserer heutigen Schriftzeichen zu erkennen. Das traf bei der hier vorliegenden Schrift keinesfalls zu. Vielmehr wirkte es, als stammten die Schriftzeichen von der selben Hand, die auch die phönizische Schrift erschaffen hatte, jedoch hier einen gänzlich anderen Weg gegangen war. Zamorra sah sich jeden Buchstaben aufmerksam an, fand aber nichts, was in irgendeiner Form ein Erkennen auslöste. Merkwürdigerweise galt das nicht für den Namen des Verfassers.

»Wilhelm von Zanth«, las Nicole prompt vor.

»Haben Sie je von diesem Autor gehört?«, wollte Vinet wissen.

»Nein«, antworteten die beiden Dämonenjäger nahezu gleichzeitig.

»Glaubst du, das Buch fällt in unser Metier?«

Zamorra sah sie an. »Die Sprache alleine macht es fast dazu«, sagte er nachdenklich und klappte es vorsichtig auf. Auch im Inneren waren die eigentümlichen Schriftzeichen benutzt worden. »Was möchten Sie für das Schätzchen haben?«

Vinet nannte seinen Preis, und Zamorra ärgerte sich schon, dass er überhaupt gefragt hatte. Eine gute halbe Stunde später verließen Sie das Haus mitsamt dem seltsamen Buch.

Vor sechs Jahren, in der Nähe von Auxerre

Einst war es der Stammsitz eines Adelsgeschlechts der Bourgogne, bevor es eines Tages ausstarb und vom Antlitz der Welt verschwand. Betagte Erben im weit entfernten Paris wussten mit dem stattlichen Herrenhaus nichts anzufangen, veräußerten es aufgrund ihres Traditionsbewusstseins jedoch nicht. Mit den Jahrzehnten ging es von einer Hand zur anderen und verfiel mit jedem Wechsel zusehends.

Eines Tages brach der Tag an, an dem die Menschen Dingen wie Traditionen deutlich weniger Gewicht als noch in der Vergangenheit beimaßen, und die Immobilie wurde zum Kauf angeboten. Das wuchtige Gebäude mit seinen vielen Zimmern und dem verschwenderisch großen Grundstück wurde von einer anonymen Holding erworben. Schon bald begannen umfangreiche Sanierungsarbeiten, und die Menschen in der Gegend wurden Zeuge, wie die Uhr für das Gebäude rückwärts lief. Zuerst wurde es aufwendig erneuert, dann folgte der Garten, und zuletzt errichteten die neuen Eigentümer eine wuchtige Mauer, die das gesamte Grundstück einfasste.

Von nun an kehrte auch das Leben in das ehemals verfallene Haus zurück. Edle Limousinen brachten Menschen aus den Großstädten, die fürs Wochenende oder einige Wochen blieben. Niemals betrat nur ein einziger Einheimischer das Herrenhaus. Im Dorf verbreitete sich das Gerücht, dass es sich um das Seminarzentrum eines weltweit operierenden Hedgefonds handeln würde. Böse Zungen vermuteten hingegen, dass es sich viel eher um eine Einrichtung einer Sekte handelte, vielleicht Scientology. Letztlich täuschten sich die Menschen. Was von dem Herrenhaus Besitz ergriffen hatte, war schlimmer als eine Finanzheuschrecke oder eine Sekte. Viel schlimmer ...

Gabriel Mercier saß in dem behaglich eingerichteten Kaminzimmer in einem grünen Clubsessel und sah die Kursteilnehmer an. Er trug einen locker sitzenden grauen Zweireiher im klassischen Prince-of-Wales-Karomuster. In der Rechten hielt er ein Glas Portwein. »Grundpfeiler unserer Weltanschauung ist, dass es auf diesem Planeten zwei Sorten Menschen gibt: uns und die gewöhnlichen Menschen.«

Die jungen Leute kicherten und applaudierten. Die Stimmung war ausgelassen und glich eher einer entspannten Dinnerparty als einem Seminar. Und doch würde dieser Kurs für einige Anwesende die Weichen für die Zukunft stellen. Niemand der höchstens Zwanzigjährigen musste sich selbst oder der Gesellschaft noch irgendetwas beweisen. Alle kamen sie aus wohlhabenden oder noch begüterteren Elternhäusern und Familien. Töchter und Söhne von Unternehmern, erfolgreichen Rechtsanwälten, Ärzten und Politikern. Und doch teilten sie alle das gleiche Bedürfnis: Den Hunger nach wahrer Erkenntnis und Macht.

»Sie meinen Minderleister, Professor Mercier?«, fragte ein junger Mann in einem Designeranzug.

Der Angesprochene trank einen Schluck Portwein, ehe er antwortete. »So werden diese Menschen oftmals bezeichnet, obwohl das kein ganz zutreffender Ausdruck ist. Es sind Schlafende, Luis. Im Gegensatz zu uns haben diese Leute keinen Zugriff auf die Informationen, die wir besitzen. Vielleicht besteht unsere Aufgabe darin, sie im wahren Wissen zu unterrichten.«

Luis Littell lachte. »Nicht im Ernst? Mein Vater sieht dieses Pack als unnütze Esser, die unserer Herrschaft im Wege steht. Und damit steht er nicht alleine. Meister Gray hat das in seiner letzten Ansprache genauso formuliert.«

Augenblicklich veränderte sich die Stimmung im Kaminzimmer. Mercier hob spöttisch die linke Augenbraue. »Ich schätze die Meinung von Rupert Gray. Solange er jedoch nicht Großmeister ist, bleibt es allerdings nur eine von mehreren Perspektiven.«

»Kannst du dir nicht vorstellen, wie einsam eine Welt ohne diese Menschen wäre? Du müsstest selbst den Müll rausbringen, den Porsche waschen und deine Anzüge bügeln«, meinte ein schlanker Kursteilnehmer in weißem T-Shirt und Bluejeans.

Luis erblasste sichtlich, was wieder für deutlich bessere Laune bei den Anwesenden sorgte.

»Richtig, Tanguy. Die Welt wäre langweiliger«, schloss sich Mercier an.

Der zentrale Kellerraum des Anwesens sah wie der überdimensionierte Proberaum einer Band aus. Sämtliche Wände waren mit einer dicken Dämmung überzogen. Die Räume waren völlig leer. Die Kursteilnehmer hatten es sich auf Decken bequem gemacht und lagen überall auf dem Boden verteilt.

Mercier saß auf einem Hocker und lehnte mit dem Rücken an der weichen Kellerwand. Draußen hätte die Welt untergehen können, ohne dass es jemand hier unten mitbekommen würde.

»Mit jedem Atemzug sinkt ihr tiefer und tiefer. Ihr fühlt euch wohl und entspannt euch mehr und mehr.«

Damit war die Einleitung der Meditation abgeschlossen. Lautlos erhob sich Mercier, öffnete die Schatulle in seinen Händen und legte jedem der fünfzehn Teilnehmer einen Kristall auf die Stirn. Danach kehrte er zu seinem Platz zurück.

»Spürt ihr das Gewicht des Roaldus? Lenkt nun eure gesamte Aufmerksamkeit dorthin und stellt euch vor, wie ein Lichtstrahl aus eurer Stirn austritt und bis zur Decke leuchtet.«

Er lächelte, als das Unvermeidliche passierte. Nach und nach stellte sich ein Flimmern über den Köpfen der Meditierenden ein. Die Kristalle wirkten als Katalysatoren der psionischen Energie in den Köpfen. Durch seine Anleitung würden sich die Emissionen weiter verstärken, während die unsichtbar im Raum verteilten Kameras es aufnehmen würden. Die kleine Demonstration sollte verdeutlichen, wozu die Teilnehmer bereits jetzt in der Lage waren. Mit dem nötigen Training würden sie noch eindrucksvollere Ergebnisse erzielen können.

Leise spazierte Mercier zwischen den Liegenden umher und stellte sicher, dass keiner der Roaldi hinunterrutschte. Laut der Überlieferung des Alten von Madrid konnte man durch diese Unterweisung das psionische Potenzial eines Menschen erkennen. Mercier zweifelte daran. In all den Jahren hatte er nichts Besonderes bei der Anleitung zahlreicher Menschen bemerken können. »Fokussiert euch auf den sanften Druck auf eurer Stirn. Lenkt all eure Aufmerksamkeit zu diesem Punkt.«

Er spürte die Veränderung, ehe er sie sah. Neugierig blickte er sich um. Eine körperlich zu erspürende Spannung trat auf, die neu war. Und dann sah er es. Ausgerechnet Littell, das durfte nicht wahr sein. Mercier erschauerte. Der junge Mann lag regungslos am Boden. Wenige Zentimeter über dem Roaldus hing das erwartete Flimmern wie eine Wolke in der Luft. Dabei blieb es jedoch nicht. Aus dem Zentrum des Flimmerns speiste sich ein semi-transparenter Lichtstrahl und zog sich bis zur Decke hin. Der Ausbilder schluckte hart und versuchte den Frosch im Hals loszuwerden.

»Konzentriert euch weiter, intensiviert die Wahrnehmung des Roaldus auf eurer Stirn.«

Mercier bekam eine Gänsehaut, als der Strahl zusehends an Klarheit gewann und an Helligkeit zunahm. Einen solchen Effekt hatte er in seiner zwanzigjährigen Tätigkeit nie zuvor erlebt. Der junge Littell musste über ein hohes psionisches Potential verfügen.

Plötzlich war es, als würde ihn jemand beobachten. War etwa einer der Teilnehmer aus der Trance erwacht?

Er fuhr herum und erschrak zutiefst. Hinter ihm war es, als stünde eine Lanze aus purem Licht mitten im Raum. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter, als er die Quelle dieser psionischen Emission erkannte. Es war Tanguy Degrave, der Sohn des bekannten Unternehmers. Merciers Herz begann zu rasen, als er ein nicht ganz unwesentliches Detail entdeckte, das anders als bei allen anderen Teilnehmern war, die er bis zum heutigen Tag betreut hatte. Der Roaldus lag genau auf seinem Platz auf Degraves Stirn. Der Lichtstrahl entsprang jedoch gut zwei Zentimeter unterhalb des Kristalls, zwischen den geschlossen Augen. Gedanken wirbelten durch den Kopf des Mannes. Wie bei den anderen Teilnehmern existierte zusätzlich das Flimmern über dem Stein. Tanguy Degrave schien die katalysatorische Wirkung des Roaldus nicht zu benötigen, sondern nutzte ausschließlich sein eigenes energetisches Potenzial. Das war aufsehenerregend. Nein, korrigierte sich Mercier selbst. Das war sensationell!

Neugierig drehte er sich zum jungen Littell um. Auch der Anblick war mehr als ungewöhnlich. Der Alte von Madrid behielt letztlich recht. Mercier wollte um jeden Preis mit den beiden Kursteilnehmern arbeiten. Degrave und Littell waren genau das, wonach er die ganze Zeit über gesucht hatte.

Drei Monate später, in der Nähe von Auxerre

Seit dem Kurs hatte Mercier Kontakt mit den beiden Naturtalenten Littell und Degrave gehalten. Zu seinem Bedauern gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Luis Littell genau so, wie er es erwartet hatte. Das Elternhaus machte keinerlei Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Mercier und seiner Zugehörigkeit zum eher konservativen Flügel der Bruderschaft. Anstelle dessen favorisierten sie die progressiven Einstellungen eines Rupert Grays, der ein entschiedener Befürworter moderner Technik war. Mercier, alles andere als ein Technikfeind, wollte allerdings auch nicht auf die Anwendung psionischer Energie verzichten. Dass ausgerechnet ein Sohn des Hauses Littell das Zeug hatte, eines Tages zu einem fähigen Psioniker aufsteigen, betrachtete er als reinste Ironie.

Dementsprechend gering war leider auch Luis' Wille, den Weg zu beschreiten. Neben Tanguy hatte Mercier auch Luis über das Wochenende ins Seminarzentrum eingeladen, doch der hatte die Einladung ohne jegliche Begründung ausgeschlagen. Erschienen war nur Tanguy Degrave. Ein Adept war immerhin besser als keiner.

Mercier holte ein Kartenspiel aus der Schublade hervor und mischte es durch. Er legte den Kartenstapel auf die Tischplatte. »Ich möchte, dass du dich entspannst. Gleich werde ich Karten ziehen, und du sagst mir einfach, woran du denkst. Verstanden?«

Tanguy lächelte und präsentierte dabei strahlende Zähne. »Ich soll Spielkarten raten?«

Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte. »Bleib dabei entspannt und sag einfach, was dir durch den Kopf geht.«

Tanguy stimmte zu, und Mercier nahm die oberste Karte. Er hielt sie mit der Rückseite in die Richtung seines Probanden. Es war ein Herz As.

Degrave starrte die Karte an. »Kreuz Bube?«

Mercier schüttelte den Kopf. »Du kannst das Bild der Karte nicht erraten, wenn du die Rückseite anstarrst.«

Der junge Mann legte die Stirn in Falten und sah den Ausbilder ratlos an. Unvermittelt klärte sich sein Blick. »Jetzt verstehe ich. Sie wollen, dass ich es aus Ihren Gedanken errate.«

»Genau das, Tanguy. Die Spielkarten bestehen aus toter Materie und können dir nicht weiterhelfen. Das sieht bei meinem Gehirn völlig anders aus.«

Mercier hob die nächste Karte hoch. Kreuz sieben. Tanguys Blick glitt von der Spielkarte zu seinem Tester und verharrte dort. Augenblicklich spürte Mercier eine merkwürdige Empfindung. Es war, als würde etwas Unsichtbares nach ihm greifen. Dann war das Gefühl auch schon wieder verschwunden. Ihm lief es eiskalt den Rücken hinunter. War das ein telepathischer Zugriffsversuch gewesen? »Kreuz acht.«

»Schon deutlich besser«, lobte Mercier und offenbarte die Karte. »Versuch es gleich noch mal. Die Karte ist nur der Aufhänger. Probier, meine Gedanken zu lesen.«

Er zog eine neue Karte und präsentierte sie in gewohnter Weise. Das war einfach phänomenal! Endlich hatte Mercier die Person gefunden, die er brauchte, um den progressiven Ansichten eines Rupert Grays entgegenzutreten. Wenn er an diesen Technokraten dachte, wurde ihm schon schlecht.

Tanguy lächelte spitzbübisch.

»Was ist nun? Kennst du die richtige Antwort?«

»Es ist die schönste Karte des ganzen Spiels: die Herz Dame. Was Sie über Monsieur Gray denken, finde ich allerdings viel interessanter.«

Mercier errötete. Zukünftig würde er aufpassen müssen, was er dachte, wenn er seinen Schüler trainierte. Andererseits war Ehrlichkeit die beste Basis für ihre weitere Zusammenarbeit.

»Jetzt erklärt sich mir, warum ich eine recht gute Intuition habe. Es gab da ein paar interessante Zufälle in meinem Leben.«

»Das wollte ich als Nächstes fragen, Tanguy. Es wäre höchst merkwürdig, wenn du bis jetzt noch überhaupt nichts von deiner psionischen Gabe bemerkt hättest.«

Der junge Mann dachte kurz nach, ehe er weitersprach. »Ist es das? Eine Begabung?«

Mercier stimmte ihm lächelnd zu. »Mit deiner Fähigkeit können wir Zeit und Raum durchdringen, um den Subraum zu erreichen. Genau das, was Meister Gray mit seinen Magneten erreichen will. Laut unserer Prophezeiung benötigen wir weder komplizierte Apparaturen noch Wissenschaftler. In Wahrheit sind nur Menschen mit einer Begabung nötig, so wie du einer bist!«

Dieses Mal meditierte Tanguy Degrave alleine im großen Meditationsraum, während ihm Gabriel Mercier helfend zur Seite stand. In einer Ecke des Raumes befand sich eine Schale mit Räucherkräutern, die eine entspannende Wirkung hatten. Ihr Duft erinnerte an Salbei, Weihrauch und Sandelholz. Vor Beginn der Übung hatte Mercier seinen Schützling eine Injektion mit einer bewusstseinserweiternden Droge verabreicht.