Profit ab der Quelle - Christian Schuh - E-Book

Profit ab der Quelle E-Book

Christian Schuh

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Beschreibung

Optimales Beschaffungs-¬Management
Das Autorenteam erklärt in »Profit ab der Quelle«, wie die Beschaffung in einem neuen Licht betrachtet werden sollte, denn sie hat das Potenzial, die Geheimwaffe eines CEOs in diesen schnelllebigen, disruptiven Zeiten zu sein. Auf der Grundlage von BCG-Forschungsergebnissen und den Erfahrungen der Autoren aus erster Hand, die mit einigen der weltweit führenden Unternehmen arbeiten, bietet »Profit ab der Quelle« erprobte Strategien, die Unternehmen zu neuem Umsatz- und Gewinnwachstum verhelfen.

Zielgruppe sind Führungskräfte, insbesondere in den Bereichen Beschaffung, Lieferkette und Logistik in großen und mittelgroßen Unternehmen.

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Zum Inhalt:

DER EINKAUF ALS GAME-CHANGER

In vielen Industrieunternehmen machen die Ausgaben für Zulieferer mehr als 50 % ihrer Ausgaben aus. Damit wird deutlich, dass der Beschaffung sowohl in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als auch in prosperierenden Zeiten eine entscheidende Rolle zukommt, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.

Mit diesem Buch wollen die Autorin und die Autoren zeigen, wie neue Beziehungen zu Lieferanten aufgebaut werden können, um größtmöglichen und nachhaltigen Nutzen aus diesen Verbindungen zu ziehen.

Wenn ein Unternehmen den Einkauf richtig einsetzt, kann es viel mehr bewirken, als nur die Kosten im Griff zu behalten. Dieses Buch nennt neben anderem die fünf entscheidenden Hebel, die Unternehmen betätigen können, um ihrem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen:

Innovation

Qualität

Nachhaltigkeit

Geschwindigkeit

Risikominimierung

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Jeder dieser Teile stellt einen der drei zentralen Bausteine einer Strategie vor, bei der Unternehmen ihre Lieferanten in den Mittelpunkt stellen und den Einkauf mit mehr Verantwortung ausstatten.

Über die Autoren

Die Autoren sind erfahrene Unternehmensberater der Boston Consulting Group und verfügen über große Erfahrung im Bereich der Beschaffung.

PROFITAB DER QUELLE

WIE SIE IHR UNTERNEHMEN UMGESTALTEN, INDEM SIE DIE LIEFERANTEN IN DEN MITTELPUNKT STELLEN

Christian Schuh

Wolfgang Schnellbächer

Alenka Triplat

Daniel Weise

VWidmung

Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. In der Vergangenheit bewegten sich ihre Rolle und ihr Erfolg innerhalb eines engen finanziellen Rahmens, und der Wohlstand, den sie schufen, war einigen wenigen vorbehalten. Unternehmen betrachteten ihre Lieferanten als Quelle für Kosteneinsparungen und ihren Einkauf als Instrument zur Erzielung dieser Einsparungen. In Zukunft müssen sie jedoch zum breiteren Wohl der Gesellschaft beitragen – zum gemeinsamen Wohlstand. Sie müssen allen Menschen dienen, nicht nur einigen wenigen.

Wie wir in Profit from the Source zeigen, ermutigen einige CEOs ihre Einkaufsteams bereits dazu, neue Beziehungen zu Lieferanten aufzubauen, um größtmöglich von diesen zu profitieren. Ja, sie sollen Kosten einsparen, doch gleichzeitig Produkte und Dienstleistungen hervorbringen, die zu einer besseren Gesellschaft beitragen; Produkte und Dienstleistungen, die innovativer, hochwertiger, schneller am Markt, weniger riskant und vor allem nachhaltiger sind. Bei all diesen Aspekten außer dem letzten besteht das Maß des Erfolgs darin, besser zu sein als die Konkurrenz. Wollen Unternehmen jedoch wirklich nachhaltig sein, dürfen sie nicht messen, wie gut sie im Vergleich zu ihren Mitbewerbern abschneiden oder wie gut sie ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Mindestanforderungen erfüllen. Nachhaltigkeit ist ein Absolutum: Ein Unternehmen ist entweder nachhaltig oder nicht.

Wir wissen, dass Nachhaltigkeit keine einfache Aufgabe ist. Tatsächlich ist es die schwierigste, wichtigste und drängendste Aufgabe, vor der Unternehmen heute stehen. Deshalb möchten wir unser Buch jenen Menschen und Unternehmen widmen, die uns anderen den Weg in eine bessere, nachhaltigere Zukunft weisen können.

VIIInhalt

Einführung Von Lieferanten und Einkäufern

Was bisher geschah: Eine kurze Geschichte von Einkäufern und Lieferanten

Henry Ford, der Verlust von Vertrauen und der Beginn der vertikalen Integration

Alfred Sloan, General Motors und der Aufstieg unternehmenseigener Lieferanten

Taiichi Ohno, Toyota und die transformative Kraft von Keiretsu

Jack Smith, Ignacio López und die Anfänge der globalen Beschaffung

Apple, Dell, & Co. – wie Big Tech das globale Unternehmen neu erfindet

Warum und wie Sie Ihre Lieferanten in den Mittelpunkt stellen sollten

Teil 1 Wie Sie sich verändern müssen

1 An der Spitze beginnen

Wie der CEO von GM den Einkauf veränderte und das größte Industrieunternehmen transformierte

Warum wir heute mehr Jack Smiths brauchen

Ein neues Unternehmensdenken fördern

Den CPO mit mehr Mitspracherecht und strategischer Verantwortung ausstatten

VIIIFazit

Das Wichtigste in Kürze

Teil 2 Wie sich Ihr Unternehmen verändern muss

2 Lieferanten wie Freunde behandeln

Eine Lösung zu Kostensenkung: das 360-Grad-Programm

Das 360-Grad-Programm bei Advanced Luxury Vehicles

Jenseits von Kosteneinsparungen: der Performance/Potenzial-Ansatz

Wie Sie Ihre Lieferanten beeinflussen – die Ocean Victory Corporation

Wie Sie in Ihre Lieferanten investieren – NASA und SpaceX

Wie Sie Ihre Lieferanten integrieren – Apple und die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

3 Den Einkäufern mehr Verantwortung übertragen

Wie Produkte hergestellt werden und warum das ein kostspieliges Problem ist

Von Anfang bis Ende – wie der Einkauf die Zukunft Ihres Produkts (und Unternehmens) gestalten kann

Das funktionsübergreifende Team

Technische und taktische Tools

Die gesamte Produktlebensdauer in den Blick nehmen

Die neue Beschaffungsökonomie – warum der „Tesla Weg“ den „Toyota Weg“ ablöst

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

IX4 Das Beste aus beiden Welten verbinden

Die menschliche Dimension

Den oder die richtige CPO auswählen – worauf Sie achten sollten

Wie Sie den Einkauf zum „Place to be“ für unentbehrliche Mitarbeiter machen

Die digitale Dimension

Automatisierung und digitale Transformation

Big Data und Advanced Analytics

KI und Erweiterte Intelligenz

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

TEIL 3 Wie sich das Ökosystem Ihres Unternehmens ändern muss

5 Kosten senken – und zwar schnell

Wie Sie an einen A-Lieferanten herantreten

Wie Sie an einen B-Lieferanten herantreten

Wie Sie an einen C-Lieferanten herantreten

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

6 Sich gemeinsam hohe Ziele stecken

Das Geheimnis der Produkt- und Prozessentwicklung von nachfragenden Unternehmen in Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten: nachfrageorientierte Innovationen

Produktinnovation

Prozessinnovation

Produkt- und Prozessinnovation

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

X7 Perfektion als Ziel

Null Fehler als Ziel – Wie Toyota, Dell und die großen Pharmakonzerne auf Qualität pochen

Im Anschluss an die Produktionsphase: Wie Unternehmen ihre Verluste wieder wettmachen können, wenn der Lieferant minderwertige Waren und Dienstleistungen liefert

Die Suche nach Qualität – es geht nicht nur um Fehlervermeidung

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

8 Gemeinsam die Zukunft gestalten

Unternehmen sollten Gutes tun, damit es ihnen gut geht

Die Umwelt – der Wettlauf zur Netto-Null

Ermitteln Sie das Ausmaß Ihrer CO2-Emissionen

Legen Sie ehrgeizige Ziele für Ihre Lieferkette fest und berichten Sie über Fortschritte

Gestalten Sie Ihre Produkte, Verpackungen und das Produktportfolio neu, um nachhaltig für wenig Kohlenstoffausstoß zu sorgen

Gestalten Sie Ihre Einkaufsstrategie neu – für eine klimafreundliche Welt

Helfen Sie Ihren Lieferanten, die CO2-Emissionen zu reduzieren

Nachhaltigkeit im Thema Soziales und Unternehmensführung

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

9 Gemeinsam schneller werden

Neugestaltung des Einkaufprozesses

Neugestaltung der Lieferkette

Neugestaltung des Produktentwicklungsprozesses

Nutzen Sie viele verschiedene Lieferanten, um die Produktentwicklung zu beschleunigen – Wie die US Army das Nachfolgemodell des Humvee gebaut hat

XIBauen Sie länder- oder regionsspezifische Ökosystem von Lieferanten auf – was große Tech-Unternehmen von chinesischen Smartphone-Herstellern lernen können

Testen Sie Gigafactorys, Microfactorys und Smart Factorys – wie Tesla und Unilever die Product Journey beschleunigen

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

10 Das Unvermeidbare antizipieren

Führung in einer Krise: „Extreme Ownership“ und was wir von den US Navy SEALs lernen können

Von Just-in-Time hin zu Nur-für-den-Fall: Wie Sie sich auf das „Wann“, nicht das „Ob“ vorbereiten

Stellen Sie ein Spitzenklasse-System zur Risikoüberprüfung auf

Verschlanken Sie Ihr Produktportfolio

Reduzieren Sie das Risiko in Ihrer Lieferkette

Übernehmen Sie wieder die Kontrolle über die Lieferung von geschäftskritischen Inputgütern

Das Drehbuch für die Krise: Was ist zu tun, wenn das Unerwartete tatsächlich eintritt?

Stabilisierung der Lieferkette

Nutzung von Kostensenkungs- und Liquiditätsmöglichkeiten

Vorbereitung auf die Zeit nach der Krise

Fazit

Das Wichtigste in Kürze

Nachwort

Danksagung

Stichwortverzeichnis

Die Autorinnen und Autoren

Anmerkungen

1Einführung Von Lieferanten und Einkäufern

Wie Sie Ihr Unternehmen zukunftsfähig machen

Im August 2011 trat ein wenig bekannter ehemaliger Einkaufschef die Nachfolge des berühmtesten CEOs der Welt an. Bis dahin hatte Tim Cook seine Karriere in den Hinterzimmern diverser Tech-Unternehmen verbracht, weitab von den Augen der Öffentlichkeit. Er war Director of Fulfillment bei IBM und für kurze Zeit Chief Procurement Officer (CPO) bei Compaq Computers, danach kam er als Senior Vice President of Worldwide Operations zu Apple, wo er die Leitung des Einkaufs übernahm. Nun sollte er den kreativen Kopf ersetzen, der Apple Computer Inc. gegründet hatte und nach einer zwölfjährigen Auszeit, in der er sich anderen Interessen gewidmet hatte, als Retter zu Apple zurückgekehrt und zum Inbild der Coolness geworden war: den unersetzlichen Steve Jobs.

Dass Cook die Nachfolge von Jobs antrat, war hochumstritten. Viele Branchenbeobachter zweifelten an seiner Eignung, ein Unternehmen zu führen, in dem sich offenbar alles um Style und Looks drehte. Und die Skeptiker schienen Recht zu behalten, als einige Monate später das 2iPhone 4S auf den Markt kam und nur verhaltene Reaktionen auslöste. Der New Yorker berichtete: „Apple schien über seine eigene Theatralik zu stolpern. Das Unternehmen veranstaltete eine seiner legendären Produktpräsentationen, die das erste Mal von Tim Cook, dem Intellektuellen, gehalten wurde – und das Publikum langweilte sich.“1

Andere lobten die Ernennung Cooks zum neuen CEO als inspirierend. In ihren Augen zeigte die Entscheidung, dass das Topmanagement – und Jobs selbst, der Cook zu seinem Nachfolger erkoren hatte, – verstand, was Apple auszeichnete: seine Lieferkette. In einer hypervernetzten Welt, die das Ergebnis einer zügellosen Globalisierung ist, hat sich Apple als Meister des Einkaufs erwiesen: Das Unternehmen arbeitet mit Lieferanten aus aller Welt zusammen, um die hochwertigsten und innovativsten Produkte zu entwickeln – und das zu unschlagbaren Preisen.

Das iPhone war (und ist) ein Musterbeispiel für ein modernes globales Produkt: entwickelt in der Apple-Zentrale im kalifornischen Cupertino, zusammengebaut von chinesischen Arbeitskräften in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou südlich von Peking und hergestellt aus Rohstoffen und Komponenten aus insgesamt 43 Ländern auf sechs Kontinenten.2 2018 lieferte Apple mehr als 217 Millionen iPhones aus.3 Niemals zuvor war ein derart komplexes Produkt in solchen Massen gefertigt worden.

Die folgenden Jahre sollten zeigen, dass sich die Skeptiker bezüglich Cook geirrt hatten. Der neue Apple-Chef stellte unter Beweis, dass er in der Lage war, unglaublich große Gewinne zu erzielen, die die Aktionärinnen und Aktionäre begeisterten. Unter seiner Führung ist Apple noch stärker geworden: 2022 belief sich der Marktwert des Unternehmens auf beeindruckende 3 Billionen US-Dollar. Nur vier Jahre zuvor hatte Apple als erstes börsennotiertes Unternehmen die 1-Billionen-Dollar-Grenze geknackt.4

Für seine Führung hat Cook lauten Beifall geerntet. Dem Einkauf als Funktion im Unternehmen ist interessanterweise jedoch nicht dieselbe Ehre zuteil geworden. Als Cook zum neuen Apple-Chef ernannt 3wurde, glaubten viele, der Einkauf würde nun endlich sein Schattendasein beenden und die Anerkennung erfahren, die er als Maschinenraum eines modernen globalen Unternehmens verdiente. Jetzt, da ein ehemaliger Einkaufschef es an die Spitze eines derart prominenten Unternehmens geschafft hatte, würden ihm doch sicher viele weitere folgen.

Dem war jedoch nicht so. Nur wenige CEOs, die heute die Geschicke ihres Unternehmens lenken, waren früher als CPOs tätig. Apple mag das am meisten bewunderte Unternehmen der Welt sein, doch eine der Eigenschaften, die den Konzern von anderen unterscheidet – die Art und Weise, wie er seine Lieferanten in den Mittelpunkt stellt –, wird von den meisten Großunternehmen ignoriert.

• • •

In vielen Unternehmen, wenn nicht gar den meisten, ist der Einkauf ein wenig glamouröser, unbeliebter Teil des Geschäfts. Wer einen Job im Einkauf angeboten kommt, weiß, dass dies eine Sackgasse ist. Man wird nach Sibirien geschickt – ohne Rückfahrkarte. Unseren Berechnungen zufolge beschäftigen sich CEOs nur einen Bruchteil ihrer Arbeitszeit mit ihren Lieferanten – und damit der Einkaufsfunktion. Bei Aktionärsversammlungen oder in Earnings Calls mit Analysten findet die Arbeit von CPOs selten Erwähnung. Laut Untersuchungen der Harvard-Business-School-Professoren Michael Porter und Nitin Nohria widmen CEOs lediglich 1 Prozent ihrer Zeit den Lieferanten ihres Unternehmens.5 Bedenkt man, dass die Beschaffungskosten – für die der Einkauf zuständig ist – mehr als die Hälfte des Budgets eines durchschnittlichen Unternehmens ausmachen, wird eine frappierende Imbalance sichtbar. Denn im Grunde heißt das: CEOs beschäftigten sich so gut wie gar nicht damit, wie ihr Unternehmen mehr als die Hälfte seiner finanziellen Mittel einsetzt, geschweige denn, dass sie in diese Aktivitäten involviert sind. Das ist eine Schieflage mit potenziell existenziellen Folgen für Unternehmen.

4Doch warum wird CPOs und ihren Einkaufsteams so wenig Beachtung geschenkt? Das liegt daran, dass der Einkauf eine gründlich missverstandene Unternehmensfunktion ist. In den meisten Unternehmen besteht die Hauptaufgabe des Einkaufs darin, Produkte und Dienstleistungen zu möglichst günstigen Preisen zu beschaffen. In den vergangenen Jahren haben CEOs in dem Versuch, Kosten einzusparen und Gewinn und Aktionärsrendite zu steigern, ihre CPOs dazu angehalten, nach günstigeren Lieferanten Ausschau zu halten: für Rohstoffe, zentrale Komponenten und andere Inputgüter der Produktion, aber auch für Dienstleistungen wie IT-Instandhaltung, Buchhaltung und Rechtsberatung. Infolgedessen ist der Gestaltungsspielraum des Einkaufs begrenzt, wodurch Unternehmensverantwortliche sein enormes Potenzial verkennen.

Unserer Ansicht nach sollten der oder die CPO und die Einkaufsfunktion eine zentrale Rolle im Unternehmen spielen – und zwar aufgrund der Tatsache, dass sie für die Lieferantenbeziehungen verantwortlich sind. Sie sind das Erfolgsgeheimnis von CEOs in schwierigen Zeiten – und weit darüber hinaus. Bereits vor den globalen Folgen der COVID-19-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine hatten Unternehmensverantwortliche einen anspruchsvollen Job: Die Globalisierung war ins Stocken geraten, neue digitale Technologien stellten bisherige Geschäftspraktiken auf den Kopf, und die weitreichenden Folgen der erdbebenartigen, aber sich langsam vollziehenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen (eine alternde Bevölkerung, die zunehmende Ungleichheit, der Aufstieg Chinas und die Entwicklung Afrikas) wurden allmählich sichtbar.6

Mittlerweile ist die Aufgabe von CEOs noch anspruchsvoller geworden: Als Anfang 2020 viele Länder Lockdowns verhängten und Unternehmen ihre Fabriken schließen mussten, prognostizierte der Economist, dass „durch die Pandemie die Frage des Supply-Chain-Managements zu einer zentralen Führungsaufgabe werden wird“7. In den Folgemonaten spitzte sich die Situation weiter zu: Unternehmen 5hatten mit schwankender Kundennachfrage zu kämpfen, Fluggesellschaften mussten ihre Maschinen am Boden lassen, und Spediteure konnten ihre Container aufgrund von Personalmangel nicht entladen. Die Automobilindustrie wurde durch eine ausgewachsene Halbeiterkrise lahmgelegt, weil Fabriken in Asien schließen mussten (2021 waren Fahrzeugbauer gezwungen, Pläne für die Produktion von insgesamt 10 Millionen Autos auf Eis zu legen).8 Wie im „Briefing Room“-Blog des Weißen Hauses zu lesen war, beeinträchtigte die Halbleiterknappheit nicht nur die Automobilindustrie, sondern zog auch die US-Wirtschaft „in Mitleidenschaft“, wodurch „das BIP-Wachstum um fast 1 Prozentpunkt zurückgehen könnte“.9 Dass der Mangel eines so weit verbreiteten und gängigen Technologiebestandteils so verheerende Folgen haben könnte, alarmierte Politikverantwortliche und Entscheidungsträger. Aus Angst, Lieferkettenengpässe könnten der US-Wirtschaft nachhaltig schaden, veranlasste Präsident Joe Biden eine hunderttägige Überprüfung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten ausgewählter kritischer Produkte. Dazu zählten nicht nur Halbleiter, sondern auch Batterien für E-Fahrzeuge, Arzneiwirkstoffe sowie kritische Mineralien und Spezialverpackungen.10 Biden kündigte die Maßnahme mit den Worten an: „Die US-Bürgerinnen und -Bürger sollten niemals eine Verknappung von Produkten oder Dienstleistungen erleben müssen, auf die sie angewiesen sind, sei es ihr Auto, verschreibungspflichtige Medikamente oder Lebensmittel aus dem Laden um die Ecke.“11 Seitdem hat der Krieg in der Ukraine die Lieferkettenprobleme weiter verschärft.

Inmitten dieser turbulenten Zeiten wurde von CEOs und ihren Führungsteams schier Unmögliches erwartet: Kosten zu senken und gleichzeitig bessere Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen sowie das Unternehmen schneller, innovativer und nachhaltiger zu machen. Sie stehen unter zunehmendem Druck, nicht nur den Status quo ante wiederherzustellen, sondern die Dinge auch besser zu machen, als sie waren. Der New Yorker kommt zu dem Schluss, 6„Lieferkettenprobleme legen nahe, dass etwas falsch ist an der Art und Weise, wie wir derzeit mit der Welt umgehen“, und fügt hinzu, dass kurzzeitige Lösungen weder zufriedenstellend noch ausreichend sein werden. „Die wahre Herausforderung im Zusammenhang mit Lieferketten besteht nicht darin sicherzustellen, dass ein Containerschiff entladen wird. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir leben wollen.“12

In den kommenden Jahren werden Unternehmen als Motoren der Weltwirtschaft und als zentrale Akteure der globalen Gesellschaft zwangsläufig eine entscheidende Rolle dabei spielen, die vielfältigen und komplexen Probleme infolge der COVID-19-Pandemie und der zunehmenden geopolitischen Spannungen zu lösen. Doch wo können CEOs und ihr Topmanagement dabei ansetzen?

Wie wir in diesem Buch erläutern, lautet die Antwortet darauf: bei ihren Lieferanten und im Einkauf.

Warum sagen wir das? In der Regel ist der Einkauf nicht nur für mehr als die Hälfte der Kosten eines Unternehmens verantwortlich, sondern auch für die Qualität und Nachhaltigkeit seiner Produkte und Dienstleistungen. Der Einkauf hat Einfluss auf die Geschwindigkeit der operativen Prozesse. Er hat das Potenzial, die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens zu transformieren (oder zu zerstören). Und er kann das Unternehmen vor bislang unbekannten Lieferkettenrisiken bewahren. Mit anderen Worten: Wenn CEOs den Einkauf clever einsetzen, können sie viel mehr bewirken, als nur die Kosten im Griff zu behalten. Sie können fünf entscheidende Hebel einsetzen, um ihrem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen: Innovation, Qualität, Nachhaltigkeit, Geschwindigkeit und Risikominimierung. Darüber hinaus können sie ihre Träume für das Unternehmen verwirklichen.

Doch selbst in den besten Zeiten gelingt es CEOs nicht, die hochgesteckten Ziele, die sie sich bei Amtsantritt gesetzt haben, zu erreichen. Dringendes behindert den Fokus auf das Wichtige, kurzfristige Brandbekämpfung erstickt langfristiges Denken, und alles wird finanziellen 7Quartalszielen untergeordnet. Seit Anfang 2020 finden sich Unternehmensverantwortliche jedoch in den schlimmsten Zeiten wieder. Viele sagten uns: Wenn es ihnen gelänge, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen und die Markterwartungen zu übertreffen, könnten sie sich Zeit und Spielraum verschaffen, um ihre Träume für das Unternehmen zu verfolgen. Die gute Nachricht ist: Zeit und Handlungsspielraum sind genau das, was ein ausgefeiltes Konzept hinsichtlich Lieferanten und Einkauf bieten kann.

Als Gegenargument hören wir häufig: Sobald wieder eine gewisse Normalität einkehrt, würden all die Sorgen in Bezug auf die Lieferkette – und die damit verbundene Notwendigkeit für eine strategischere Rolle des Einkaufs als wichtiges Bindeglied zwischen Unternehmen und Lieferanten – schon verschwinden. Oder anders formuliert: Mit ein wenig Geduld könnten CEOs und ihre Führungsteams den Sturm aussitzen und müssten ihr Unternehmen nicht auf eine neue Zukunft vorbereiten. Unserer Ansicht nach ist das eine vergebliche Hoffnung: Wir erleben einen anhaltenden, rasanten und einmaligen Wandel der Art und Weise, wie Unternehmen arbeiten. Aus dieser Umbruchssituation werden jene CEOs gestärkt hervorgehen, die die Lieferanten ihres Unternehmens in den Mittelpunkt stellen und ihre Einkaufsverantwortlichen, die für die Lieferanten zuständig sind, mit den nötigen Befugnissen ausstatten.

Wir bereits erwähnt ist der Einkauf im Durchschnitt für mehr als die Hälfte des Budgets eines Unternehmens verantwortlich. In einigen Unternehmen – interessanterweise einigen der erfolgreichsten Tech-Unternehmen – ist dieser Anteil noch deutlich höher. Wir glauben, dass dieser Trend, der lange vor der Pandemie begonnen hat, noch lange anhalten wird. Denn Unternehmen müssen ihren Blick zunehmend nach außen richten und sich neu aufstellen, wenn sie von dem immer häufiger auftretenden Phänomen der Business-Ökosysteme profitieren wollen. Das sind lose Netzwerke von Unternehmen, die sich mit Lieferanten, Händlern, Regierungsbehörden und anderen Playern 8zusammenschließen, um Kunden Produkte und Dienstleistungen reibungslos bereitzustellen.

Die Zeit drängt also. CEOs und ihr Topmanagement müssen schnell und radikal handeln. Dazu gehört insbesondere, Lieferanten ins Zentrum ihres Geschäfts zu stellen und CPOs und Einkaufsverantwortliche in die Lage zu versetzen, den maximalen Nutzen aus den Lieferantenbeziehungen des Unternehmens zu ziehen.

Was bisher geschah: Eine kurze Geschichte von Einkäufern und Lieferanten

Bevor wir genauer darauf eingehen, was CEOs jetzt tun müssen, ist es wichtig zu verstehen, wie wir in die heutige Situation gekommen sind. Warum erkennen so wenige CEOs das Potenzial ihrer Lieferanten und ihrer Einkaufsfunktion? Werfen wir dazu einen Blick in die Geschichte.

Lange bevor Unternehmen die Bedeutung professioneller Einkaufsmanager erkannten, beschafften Regierungen – insbesondere Verteidigungsministerien und das Militär – bereits als erfahrene Einkäufer Waren und Dienstleistungen von privaten Unternehmen. Wie so vieles in der Geschäftswelt geht auch die Einkaufsstrategie auf die Generäle zurück, die ihre Streitkräfte mit Menschen, Maschinen und Material ausstatten mussten.

Die moderne Geschichte der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen in Unternehmen nimmt ihren Anfang vor etwas mehr als hundert Jahren. Damals kämpfte Henry Ford, der vom Bauernsohn zum Self-made-Millionär aufgestiegen war, mit den Folgen des Ersten Weltkriegs auf sein Automobilunternehmen.

9Henry Ford, der Verlust von Vertrauen und der Beginn der vertikalen Integration

1908, sechs Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs, präsentierte Ford sein spektakulär erfolgreiches Model T. Damit löste er sein Versprechen ein, „ein Auto für die breite Masse zu bauen“. Das Model T war erschwinglich, einfach zu fahren und für einigermaßen handwerklich geschickte Landarbeiter leicht zu reparieren (sollte es einmal kaputtgehen). Da das Auto nur in begrenztem Umfang individuell angepasst werden konnte – „Jeder Kunde kann die Farbe seines Autos selbst wählen, solange sie Schwarz ist“ – so Fords berühmte Worte, war es relativ einfach zu fertigen.13

In den ersten fünf Jahren feierte Ford beeindruckende Erfolge. Er wurde beeinflusst von dem angesehen Maschinenbauingenieur Frederick Winslow Taylor, dem Erfinder des Scientific Management. Ford hatte ihn als Berater engagiert mit dem Auftrag, er solle die Mitarbeiter beobachten und Möglichkeiten zur Effizienz- und Produktivitätssteigerung identifizieren. 1914 ging alle 93 Minuten ein neues Model-T-Fahrzeug vom hypermodernen Fließband im Highland Park in Detroit. Doch der Ausbruch des Krieges erschwerte den Geschäftsbetrieb: Ford gelang es insbesondere nicht, die Rohstoffe zu beschaffen, die er für die Fertigung des Model T brauchte. Der Kautschuk für die Reifen kam zum Beispiel aus Ceylon (dem heutigen Sri Lanka), und dessen Bereitstellung lag fest in den Händen der Briten, die nun in einen weltweiten Konflikt verwickelt waren. Diese neuen Probleme verstärkten ein bestehendes: die in den Augen von Ford skrupellosen Praktiken der Lieferanten in einer Zeit des unbarmherzigen Kapitalismus. Die Hochzeit der sogenannten Raubritter war zwar vorbei, doch Vertrauen – die unsichtbare Kraft, die eine produktive Zusammenarbeit erst ermöglicht – war damals noch ein seltenes Gut.

In dieser angespannten Situation beschloss Ford, den gesamten Prozess selbst in die Hand zu nehmen: von der Beschaffung der Rohstoffe 10bis zur Fertigung der Endprodukte. Er wollte die gesamte Lieferkette kontrollieren. Ein ehrgeiziges Unterfangen, denn bis dahin hatte Ford als Systemintegrator gearbeitet und von Spezialzulieferern handgefertigte Komponenten zusammengebaut. Nun erwarb er seine eigene Kautschuk-Plantage im brasilianischen Regenwald und gründete dort eine kleine Siedlung namens Fordlandia. Außerdem kaufte er Kohlefelder, Eisenerzgruben und Waldflächen sowie eine Schiffsflotte und eine Eisenbahn, um die Rohstoffe zu seiner Fabrik zu befördern. 1927 errichtete er schließlich in River Rouge, unweit von Detroit, sein eigenes riesiges Stahlwerk, eine Teilefabrik und ein Fließband.

Diese als vertikale Integration bekannte Strategie wendete das Blatt und machte Ford zum reichsten Mann der Welt. Zugleich bedeutete es, dass das Unternehmen keine Einkaufsprofis benötigte, schließlich gab es nichts zu beschaffen. Ford hatte alles, was er zur Fertigung seines Model T brauchte, im Haus. Diese Strategie war jedoch mit erheblichen Nachteilen verbunden: Zunächst einmal war sie kostspielig. Außerdem bürokratisch, was das Unternehmen unflexibler machte als einige seiner Mitbewerber. Insofern überrascht es nicht, dass Ford 1930 von General Motors und Chrysler überholt wurde.

Es bedurfte eines weiteren Krieges – und des Einflusses seines größten Rivalen Alfred Sloan –, bis Henry Ford einen neuen Ansatz entwickelte.

Alfred Sloan, General Motors und der Aufstieg unternehmenseigener Lieferanten

Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft. Fehlt es, wie infolge des Ersten Weltkriegs, nehmen Unternehmensverantwortliche die Dinge selbst in die Hand (siehe Ford). Ist es dagegen vorhanden, sind Unternehmenschefs eher bereit, mit anderen zum Wohle aller zu kooperieren.

11So wie während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Januar 1942, nur einige Wochen nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, infolgedessen die Vereinigten Staaten zur Kriegspartei wurden, richtete der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt das War Production Board ein. Es hatte die Aufgabe, die Lieferkette in den USA zu überwachen, die Bereitstellung essenzieller Materialien zu organisieren und Fabriken in Fertigungsstätten für Flugzeuge, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und anderes Kriegsgerät zu verwandeln. Indem die US-Regierung als eine Art Garant fungierte, konnte sie mit einem Streich das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherstellen. Im Verlauf der folgenden drei Jahre wurden US-amerikanische Fabriken zum „Arsenal der Demokratie“, wie es Roosevelt formulierte.14

Die industrielle Stärke von Ford kam dabei gut zur Geltung. In seinem umfunktionierten Werk in Willow Run außerhalb von Detroit fertigte das Unternehmen pro Stunde einen Bomber des Typs B-24 Liberator. Doch der größte Krisengewinner war Fords Erzrivale, General Motors: GM erhielt staatliche Aufträge im Wert von 13,8 Milliarden US-Dollar (Ford dagegen nur in Höhe von 5,26 Milliarden).15 So kam es, dass GM durch seine Unternehmensführung und die Art und Weise, wie es Güter und Dienstleistungen von seinen Lieferanten beschaffte, andere Unternehmen beeinflusste – auch Ford. Es war kein Zufall, dass Peter Drucker GM als Thema für seine wegweisende Studie zur Unternehmensorganisation auswählte, infolge derer die ersten Managementschulen in den Vereinigten Staaten entstanden.16

Unter der Führung von Alfred Sloan, President und CEO, entwickelte GM eine neue Form der vertikalen Integration. Sloan schuf verschiedene „Captive Suppliers“, also selbstständige Divisionen bzw. unternehmenseigene Lieferanten, zur Herstellung von Bauteilen. Dazu gehörten AC Spark Plug, Harrison Radiator und Saginaw Steering. Seine Idee: die Vorteile eines vertikal integrierten Unternehmens mit den Vorteilen des freien Marktes hinsichtlich Kosten und Effizienz verknüpfen.

12Die Ford Motor Company versuchte, von ihrem größten Konkurrenten zu lernen: 1946 warb das Unternehmen, das mittlerweile von Fords Enkel, Henry Ford II, geführt wurde, mehrere Führungskräfte von GM ab. Außerdem stellte Ford einige Militärangehörige ein, die während des Zweiten Weltkriegs für die Beschaffung unter hohem Zeitdruck zuständig gewesen waren. Zu ihnen zählten insbesondere zehn Offiziere aus der Eliteeinheit Statistical Control der US-Luftstreitkräfte, die zu dem Zweck eingerichtet worden war, die Fähigkeit des Landes zu erhöhen, Luftangriffe in Europa, Nordafrika und im Pazifik durchzuführen. Nachdem Henry Ford II massenweise ehemalige Offiziere eingestellt und diese ihre Arbeit im riesigen River-Rouge-Komplex aufgenommen hatten, unterzogen sie das Unternehmen einer rationalen, forensischen Untersuchung: Wie funktionierte das Unternehmen? Wie lief die Fahrzeugfertigung ab? Warum wurden bestimmte Komponenten verwendet?

Die zehn Ex-Offiziere erhielten den Spitznamen „Quiz Kids“ in Anspielung auf die gleichnamige US-amerikanische Radiosendung, in der hochintelligente Kinder auftraten, und schon nach kurzer Zeit zeigte ihre Arbeit große Wirkung: Als sie 1946 ins Unternehmen kamen, beliefen sich die Gewinne von Ford auf magere 2.000 US-Dollar. Im darauffolgenden Jahr schossen sie auf 64,8 Millionen US-Dollar, und 1949 hatte sich diese Zahl verdreifacht.17 In Anerkennung ihrer Arbeit gaben die Medien den jungen Offizieren den Spitznamen „Whiz Kids“, der sich bis heute gehalten hat. Das auffälligste Whiz Kid war der frühere Harvard-Professor Robert McNamara, der später President von Ford wurde. Hätte ihn US-Präsident John F. Kennedy nicht 1961 zum Verteidigungsminister ernannt, wäre er vielleicht bis zum Ende seiner beruflichen Laufbahn bei Ford geblieben. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Ford wie viele andere Unternehmen über eine personell gut ausgestattete Einkaufsfunktion mit einem breiten Netzwerk an Lieferanten.

13Taiichi Ohno, Toyota und die transformative Kraft von Keiretsu

In den ersten 25 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten Ford und GM, die beiden weltgrößten Industrieunternehmen, den Markt. Bis sie völlig unerwartet von einem neuen exogenen Schock zurückgeworfen wurden. Diesmal handelte es sich nicht um einen Krieg, sondern um die Energiekrise Anfang der 1970er Jahre.

Nachdem die US-Regierung Israel im Jom-Kippur-Krieg gegen Ägypten unterstützt hatte, verhängten die arabischen Mitglieder der OPEC-Länder 1973 ein Öl-Embargo gegen die Vereinigten Staaten. Infolgedessen schossen die Preise für Rohöl und Gas in die Höhe. Das traf US-Fahrzeugbauer hart, weil sie große Autos (wahre Spritfresser) fertigten. Diesen Moment der Schwäche nutzten japanische Automobilhersteller, um den wachsenden Markt für kleinere, verbrauchsärmere Fahrzeuge zu erobern.

Was die japanischen Autobauer jedoch am stärksten von ihren amerikanischen und europäischen Konkurrenten unterschied, war die Qualität und die Erschwinglichkeit ihrer Produkte. Das war wiederum das Ergebnis ihres Fertigungsprozesses – insbesondere der Art und Weise, wie sie Waren und Dienstleistungen von Lieferanten bezogen. Pionier war hier Toyota. Unter der Führung seines Gründers, Kiichiro Toyoda, und dem Chef-Ingenieur Taiichi Ohno, einem Management-Genie in der Tradition von Taylor, Ford und Sloan, wurde Toyota zum Wegbereiter für neue Formen der Prozessinnovation. Diese bildeten die Grundlage dessen, was später als das Toyota-Produktionssystem bekannt wurde. Einer dieser innovativen Prozesse nannte sich Kanban oder Just-in-time-Produktion, ein anderer Kaizen oder kontinuierliche Verbesserung. Der wahre Game-Changer war jedoch zweifelsohne Keiretsu, ein kollaboratives Unternehmensnetzwerk, in dem Toyota Minderheitsanteile an seinen wichtigsten Lieferanten hielt. In gewisser Weise stellte Keiretsu eine Weiterentwicklung des Systems der 14unternehmenseigenen Lieferanten (Captive Suppliers) von GM dar, allerdings waren diese nicht Teil des Unternehmens. Was Toyota und seine Lieferanten zusammenhielt, war ein Gefühl der gegenseitigen Verpflichtung, das durch die Tatsache verstärkt wurde, dass sie jeweils am anderen Unternehmen beteiligt waren.

Die Folgen waren bemerkenswert. Am Vorabend der Ölkrise 1970 fertigte jeder Toyota-Arbeiter im Schnitt 38 Fahrzeuge pro Jahr – 1955 waren es noch 5 gewesen. Die Beschäftigten bei Ford kamen auf 12 Autos pro Jahr und ihre Kollegen bei GM auf lediglich 8 – so viele wie bereits 15 Jahre zuvor.18 Diese Effizienz war es, die John Krafcik – den späteren CEO von Waymo, das autonome Fahrzeuge fertigt und ein Tochterunternehmen von Alphabet ist, zu dem auch Google gehört – zu einer neuen Wortschöpfung veranlasste: Lean Production.19

Jack Smith, Ignacio López und die Anfänge der globalen Beschaffung

In den frühen 1980er Jahren bekamen die US-amerikanischen und europäischen Automobilhersteller, die zu den weltweit größten Industrieunternehmen zählten, die volle Stärke ihrer japanischen Konkurrenten zu spüren. Sie mussten reagieren. Da sie es jedoch nicht mit der Qualität der japanischen Autos aufnehmen konnten, beschlossen sie ein radikales Sparprogramm. Das war die Geburtsstunde des Einkaufs als kostensenkende Funktion. Wie wir in Kapitel 1 noch genauer zeigen werden, war der führende Innovator in diesem Zusammenhang der CEO von GM, Jack Smith. Er engagierte einen wenig bekannten spanischen Ingenieur, José Ignacio López de Arriortúa, für den neu geschaffenen Posten des Vice President of Worldwide Purchasing und beauftragte ihn damit, die Lieferantenkosten zu senken. López brachte die Lieferanten nicht nur dazu, niedrigere Preise zu akzeptieren, sondern begründete auch das globale Beschaffungsprogramm von GM, das noch heute als vorbildlich gilt. Dieses beinhaltete, rund um 15die Welt neue Lieferanten zu gewinnen. Dabei machte sich López die zunehmende Globalisierung zunutze und verfolgte so einen deutlich anderen Ansatz als die Japaner, die fast ausschließlich auf einheimische Lieferanten setzten.

In den darauffolgenden 30 Jahren leistete die Globalisierung Unternehmen gute Dienste. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurden auch die osteuropäischen Märkte zugänglich: Eine Milliarde zusätzliche Arbeitskräfte und Konsumenten waren nun Teil der globalen Wirtschaft. China trat der Welthandelsorganisation bei und öffnete damit den größten Niedriglohnmarkt für Unternehmen weltweit. In den letzten Jahren hat sich das Blatt jedoch gewendet, und was einst wie eine smarte Einkaufsstrategie erschien, wirkt heute wie ein Ansatz, der sich lediglich eine günstige makroökonomische Entwicklung Richtung Kostensenkung zunutze machte. Die Lohnkosten in China stiegen, noch bevor der Handelskrieg zwischen den USA und China die Situation verkomplizierte. Auch der Wettbewerb verschärfte sich. Diese beiden Entwicklungen haben zu einer Kosten-Preis-Schere in Industrieländern geführt, bei der die Kosten nach oben getrieben werden, nicht nach unten. Hinzu kommt, dass viele CEOs den negativen Effekten dieses makroökonomischen Trends scheinbar nichts entgegenzusetzen haben. Also halten sie an einer veralteten Einkaufsstrategie fest und zwingen ihre Lieferanten, für weitere Aufträge auf einen Teil ihres Gewinns zu verzichten – kein zukunftsträchtiges Unterfangen.

Das ist jedoch ein Nullsummenspiel, das keiner gewinnen kann. Glücklicherweise gibt es Alternativen, und deren Wegbereiter sind die großen Tech-Unternehmen.

Apple, Dell, & Co. – wie Big Tech das globale Unternehmen neu erfindet

Vor nicht allzu langer Zeit waren Big-Tech-Unternehmen Little-Tech-Unternehmen: Sie haben als Start-ups begonnen und sich wie Ford, 16als es vor mehr als 100 Jahren gegründet wurde, stark auf Lieferanten gestützt. Michael Dell erinnert sich an seine ersten Jahre als Entrepreneur:

„Wenn Sie ein Unternehmen mit nur 1.000 US-Dollar starten, wie ich das getan habe, überlegen Sie sehr genau, wofür Sie das Geld ausgeben. Sie lernen sparsam, effizient und vernünftig zu sein. Sie lernen außerdem, nur die Dinge zu tun, die Ihren Kunden und Aktionären echten Mehrwert bringen. Bei Dell haben wir uns mehr oder weniger vom ersten Tag an gefragt: Sollen wir die Komponenten selbst herstellen, oder haben wir jemanden, der sie entsprechend unserer Konstruktionsvorgaben produzieren kann?“

Dell entschied sich, auf Lieferanten zu setzen, und diese wurden schon bald zu Verbündeten, „ohne die wir nicht hätten überleben und wachsen können“.20 Während Ford durch äußere Umstände gezwungen war, sich von seinen Lieferanten zu verabschieden und vertikale Integration zu verfolgen, operierten die Tech-Unternehmen in einer zunehmend globalisierten Welt, die immer flacher wurde, wie es Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times ausdrückte. Sie waren in der Lage, eng mit ihren Lieferanten zusammenzuarbeiten, wie es ein Jahrhundert zuvor nicht vorstellbar gewesen wäre.21

Wer hätte gedacht, dass das wertvollste Unternehmen der Welt eines ist, das gar nichts herstellt? Und doch ist es genau das, was Apple gelungen ist. Sein Erfolg sowie der Erfolg anderer Tech-Giganten wird gern auf ein schönes Design, bemerkenswerte technische Innovationen und ein tiefes Kundenverständnis zurückgeführt. Keine Frage: Diese Faktoren spielen alle eine Rolle. Doch was Apple & Co. wirklich an die Spitze gebracht hat, ist die außerordentliche Fähigkeit, ein riesiges Netzwerk an Lieferanten zu managen.

Wir leben in einer Welt, die von digitalen Technologien geprägt wird. Ihr Herzstück ist das Internet, das definitionsgemäß Interaktionen zwischen Menschen erleichtert. In den vergangenen 20 Jahren 17haben wir gelernt, unser Leben online zu leben – ob es nun ums Einkaufen, um Bankgeschäfte oder Dating geht. Aus gutem Grund wird unser Zeitalter auch als „Trust Economy“ oder „Shared Economy“ bezeichnet. Für Unternehmen ist heute nicht mehr allein wichtig, was sie besitzen, sondern mit wem sie zusammenarbeiten und wie sie das tun. Infolgedessen sind diese Unternehmen Teil – oder besser Orchestratoren – eines Netzwerks äußerst erfolgreicher Unternehmen. Im Gegensatz zum japanischen Keiretsu werden diese Business-Ökosysteme jedoch nicht durch finanzielle Beteiligungen zusammengehalten, sondern durch Vertrauen und gemeinsame Interessen. Indem sie mit spezialisierten Lieferanten zusammenarbeiten, die in ihrem Bereich Weltklasse sind, profitieren die großen Tech-Unternehmen von Skaleneffekten und schaffen außerordentlichen Wert. In gewisser Weise bringen sie das Konzept der Arbeitsteilung von Adam Smith zu seiner logischen Vollendung.

Wie gelingt ihnen das? In erster Linie dadurch, dass sie ihre Lieferanten in den Mittelpunkt ihres Geschäfts gestellt und ihre Einkaufsfunktion, die für die Beziehungspflege zu anderen Unternehmen zuständig ist, mit mehr Verantwortung ausgestattet haben.

Doch wie wir in diesem Buch zeigen werden, können selbst die großen Tech-Unternehmen, die anderen als Vorbild gedient haben, noch sehr viel weiter gehen.

Warum und wie Sie Ihre Lieferanten in den Mittelpunkt stellen sollten

Es ist schwer zu begreifen, wie wertvoll Apple tatsächlich ist. 1997, als Steve Jobs als CEO in das Unternehmen zurückkehrte, das er mehr als 20 Jahre zuvor mitgegründet hatte, war Apple 3 Milliarden US-Dollar wert. Das war weniger als ein Zehntel des Wertes von Siemens, das damals zu den weltweit größten Industriekonglomeraten zählte (und 18es immer noch tut). Heute, weitere 20 Jahre später, ist Apple nicht nur mehr wert als Siemens, sondern als die führenden Unternehmen im DAX zusammen. Und das vor dem Hintergrund, dass Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas ist.

Die Geschichte hat uns jedoch gelehrt, dass sich kein Unternehmen für immer an der Spitze halten kann. In einer Studie zur Langlebigkeit von mehr als 30.000 börsennotierten Unternehmen über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren haben unsere Kollegen des BCG Henderson Institute und Wissenschaftler der Princeton University herausgefunden, dass „Unternehmen schneller von der Bildfläche verschwinden als je zuvor“.22 Einigen gelingt es jedoch, diesem Schicksal zu entgehen, indem sie sich auf profitables Wachstum konzentrieren. Tatsächlich nehmen sie sowohl den Gewinn als auch den Umsatz in den Blick. In einer anderen Studie kommt das BCG Henderson Institute zu dem Schluss, dass zwar die meisten Unternehmen während eines Abschwungs schlechtere Ergebnisse erzielen, 14 Prozent ihren Absatz und ihre Gewinnmarge jedoch steigern können.23

Das ist alles andere als einfach. Es setzt voraus, sich neue Quellen für Wettbewerbsvorteile zu erschließen. Apple und andere Big-Tech-Unternehmen haben diese Quelle in ihren Lieferanten gefunden und festgestellt, dass sie durch eine starke Einkaufsfunktion erheblichen Wert mit diesen Lieferanten schaffen können. Doch bislang hat kein Unternehmen – nicht einmal Apple – das volle Potenzial seines Ökosystems von Lieferanten ausgeschöpft.

Um CEOs zu zeigen, wie das gelingen kann, haben wir dieses Buch geschrieben.

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Profit from the Source gliedert sich in drei Teile. Jeder dieser Teile stellt einen der drei zentralen Bausteine einer Strategie vor, bei der Unternehmen ihre Lieferanten in den Mittelpunkt stellen und den Einkauf 19mit mehr Verantwortung ausstatten, um den größtmöglichen Nutzen aus den Lieferantenbeziehungen zu ziehen. Im ersten Baustein geht es darum, was CEOs tun müssen, um den Status quo zu verändern. Denn wie so oft gilt auch hier: Wenn die Unternehmensspitze die Transformation nicht unterstützt, wird sich nichts ändern. Im zweiten Baustein beleuchten wir, wie sich das Unternehmen verändern muss. Wir behaupten: Wenn CEOs ihr Unternehmen nicht verändern und grundlegend neu strukturieren, indem sie die Lieferanten in den Mittelpunkt stellen, werden sie ihre strategische Vision nicht umsetzen und sich keinen langfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Im dritten Baustein sehen wir uns an, wie sich das Ökosystem des Unternehmens, also das Ökosystem von Lieferanten, verändern muss. Denn wenn CEOs nicht verändern, wie ihr Unternehmen mit seinen Lieferanten umgeht, werden sie das große Potenzial des Einkaufs nicht realisieren. Damit meinen wir den Beitrag, den der Einkauf zur Herstellung von Produkten oder Services leistet, die nicht nur weniger kosten, sondern auch innovativer, qualitativ hochwertiger, nachhaltiger, schneller am Markt und generell weniger risikobehaftet sind.

Um Sie bei diesem Wandel zu unterstützen, haben wir zehn praktische Handlungsempfehlungen entwickelt, die auf Studien der Boston Consulting Group (BCG) sowie unseren eigenen Erfahrungen – und denen unserer Kolleginnen und Kollegen – in der Arbeit mit weltweit führenden Unternehmen basieren. Diese Handlungsempfehlungen sind nicht in Stein gemeißelt. Wenn Sie nur einige von ihnen befolgen, ist das völlig in Ordnung. Es gibt kein einziges Unternehmen auf der Welt, das sich an alle zehn Empfehlungen hält und das Potenzial einer fortschrittlichen Einkaufsfunktion voll ausschöpft. Doch die Unternehmen, die einige der Handlungsempfehlungen befolgen, erzielen überdurchschnittliche Ergebnisse. In einer BCG-Studie der 150 größten Unternehmen im S&P 500-Index, die wir für dieses Buch durchgeführt haben, zeigte sich, dass 35 Prozent über einen CPO – oder eine ähnliche Position – in ihrem Führungsteam verfügen. Interessanterweise 20entwickelten sich diese 50 Unternehmen in den 20 Jahren zwischen 2000 und 2020 134 Prozent besser als der Markt (siehe Abbildung 1).

Die erste Handlungsempfehlung, die sich auf den ersten Baustein (Wie Sie sich verändern müssen) bezieht, lautet: An der Spitze beginnen: Machen Sie Ihre Lieferanten und den Einkauf zur Chefsache. Wir empfehlen CEOs, ein Denken zu kultivieren, das allen Akteuren hilft, die wichtigsten Lieferanten als zentrale Partner für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens und den Einkauf als essenzielle und transformative strategische Wertschöpfungsfunktion zu betrachten anstatt lediglich als transaktional und administrativ. Darüber hinaus sollte der oder die CPO mehr Mitspracherecht sowie ein neues strategisches Mandat erhalten, das dem Einkauf die Position zuweist, die er verdient: im Herzen des Unternehmens. Wenn Sie diese Empfehlungen berücksichtigen, verändern Sie das Schicksal Ihres Unternehmens deutlich zum Besseren.