Projekt Cerberus – Totengräber der neuen Welt - Simak Büchel - E-Book

Projekt Cerberus – Totengräber der neuen Welt E-Book

Simak Büchel

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was verbirgt sich hinter der Tür im Himmel? Während um sie herum das Chaos tobt, versuchen der 11-jährige Jorin, seine Roboterfreundin Fenja und die Agenten der Anti-KI-Allianz sich zum Hauptquartier durchzuschlagen. Der machthungrige Milliardär Borax Dosch hat seine iDEMONS auf die Städte Europas losgelassen, stählerne Kampfmaschinen, die für Zerstörung und Schrecken sorgen. Jetzt fehlt ihm nur noch der Sender mit dem Aktivierungscode, der Abertausende von Nanobots mit Viren freisetzen kann, um sämtliche Daten, Handyspeicher und Computerfestplatten zu löschen. Doch der befindet sich noch in der Hand von Jorin und seinen Freunden. Eine gnadenlose Jagd beginnt … Atmosphärisch dichte Agentenstory mit vielen technischen Details "Projekt Cerberus – Totengräber der neuen Welt" ist ein Kinderbuch ab 10 Jahren für Jungen und Mädchen, die spannende und temporeiche Geschichten lieben. Geheimnisvolle Agenten, ein mysteriöser Computervirus und eine rasante Jagd nach dem Aktivierungscode - eine ungewöhnliche Agentengeschichte mit einem sympathischen Antihelden. Für alle, die Bücher wie Die geheime Benedict-Gesellschaft oder Young Agents lieben. Mit Projekt Cerberus Lesepunkte bei Antolin sammeln! Alle Bände der iKIDS-Trilogie: Projekt Mimesis – Die Insel der künstlichen Kinder (Band 1) Projekt Oblivion – Geister am Polarkreis (Band 2) Projekt Cerberus – Totengräber der neuen Welt (Band 3) Stimmen zu "Projekt Mimesis": »ein packendes Abenteuer- und Science-Fiction-Buch mit verheißungsvollem und wunderschön gestaltetem Cover, das uns mitten in ein Paradies führt, das in Wahrheit keines ist … Wow! Absolut lesenswert« Maren Bonacker, Gießener Allgemeine »wahnsinnig spannendes Abenteuer für alle Detektiv- und Technikfans.« Marsha, Mutter & Söhnchen Blog »Leser*innen, die spannende Krimis und KI-Geschichten ebenso wie unkonventionelle Figuren wie Jo mögen, wird dieses Buch garantiert gefallen. Absolut empfehlenswert!« Christa Robbers, Kids Best Books »Besonders gefallen hat mir, dass sich Jorin vom übergewichtigen Versager zum echten Helden mausert." (…) eine spannende Mischung aus den Themen Abenteuer, Spionage und künstliche Intelligenz.« Greta (12 J.), Kinderseite BeNNi, Badische Neueste Nachrichten

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Originalcopyright © 2022 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autor: Simak Büchel

Illustrationen und Gesamtgestaltung: Corinna Böckmann

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-96594-166-3

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung,

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Mehr vom Südpol Verlag auf:

www.suedpol-verlag.de

Für Malin, Henrik und Danny!

Prolog

Sämtliche Oberflächen schimmerten makellos weiß, glatt wie frisch aufgetragener Lack, unschuldiger noch als Neuschnee am Schöpfungstag. Im Monitor über dem Schalt­­pult spiegelte sich die Gestalt eines Jungen, vor dessen Kopf ein goldfarbenes Hologramm mitten im Raum hing und einem Albtraum entsprungen schien. Wie ein schlagendes Herz pul­­sierte das Bild eines zähnefletschenden Höllenhundes mit drei Köpfen in der Luft. Die Lef­zen waren gebleckt, Gei­­fer rann aus den Mundwinkeln. Ab­grundtiefe Bosheit fun­­kelte in seinen Augen. Ständig zer­­floss das Hologramm, um sich sofort wieder neu aufzubauen, als teilten sich Bak­terien im Zeitraffer. Aber statt aus Zellen war der Höllen­­hund aus Ziffern zusammengesetzt, aus Nullen und Einsen, die den Umriss des Monsters um­­spielten.

„Bist du bereit?“, fragte eine kalte Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Abendlicht fiel durch schmale Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten. Dazwischen verharrten sechs etwa mannshohe Kampfmaschinen – iGHOSTS, deren langgezogene mund- und nasenlose Schädel über Kabel mit Ladestationen in der Wand verbunden waren. Wie bei Jagdspinnen saßen in ihrer Stirn acht über- und nebeneinander platzierte Augen, über die sich milchige Nickhäute geschoben hatten. Wirre Muster flirrten über die Tarnhaut, von der die Körper der Roboter bedeckt wur­­den. Die knochendürren Arme hatten sie vor sich abgestützt, sodass ihre dolchartig gebogenen Sichelklauen auf dem Boden ruhten und nur hin und wieder kaum merklich zuckten.

Der Boden vibrierte und hinter dem getönten Glas war eine Dünenlandschaft zu erkennen, wogendes Gras so weit das Auge reichte. Darüber zischten Möwen vorbei, kippten kreischend ihre Flügel.

„Hörst du mich, Adam?“, fragte die Frauenstimme in schneidendem Tonfall. „Antworte!“

Der braunhaarige Junge hob widerstrebend das Kinn, strich sich eine Strähne hinter die leicht abstehenden Ohren und trat an das Rechnerpult. Den iGHOSTS schenkte er keine Beachtung, auch die Frauenstimme schien ihn nicht zu beunruhigen. Vielmehr beugte er sich konzen­­triert über Regler und Anzeigen. Vor seinem blassen Gesicht ro­­tierte das geifernde Hologramm, während sich gleich da­­r­­unter auf einer digitalen Tischplatte eine Landkarte Eu­­ropas ausbreitete: Inseln, Küsten, schiffbare Flüsse und Auto­­bahnen, Gebirgszüge, Städte und Häfen waren darauf zu erkennen, wie auf dem Schlachtfeld eines Strategen.

„Warum jetzt?“, brach der Junge das Schweigen und stemmte seine Hände auf dem Tisch ab. „Wieso können wir mit dem Wecken nicht noch warten, Esther? Der Akti­vierungscode ist bald wieder in unserer Hand und alle Schwärme sind einsatzbereit.“ Er warf einen Blick hinter sich, wo eine Reihe von Glasschränken die Wand einnahm. Schränke, in denen Scharen künstlicher Bienen, Hirschlausfliegen und orange-schwarz gebänderter Käfer ordentlich aufgereiht auf ihren Einsatz warteten.

Die Frauenstimme im Lautsprecher ächzte leise, ihrem ge­­pressten Atmen war die unterdrückte Wut anzuhören. „Adam ...“

Der Junge löste sich vom Tisch, bewegte sich auf ei­­nen der Schränke zu, zog einen künstlichen Käfer aus der Ladebuchse und hielt ihn sich vor die Augen. Ver­­­blüf­­­fend, wie echt das Ding aussah, die drahtigen Beine, die Flügeldecken und Fühler mit den knubbeligen Ver­dickungen an ihren Enden. Einem Totengräber waren sie nachgebildet, einem Aaskäfer, der seine Eier in verwesendes Gewebe legte und damit seinem Namen alle Ehre machte. Wäre er dazu in der Lage gewesen, hätte sich der Junge geekelt. So legte er nur den Kopf schräg und lauschte. Unter der Oberfläche des Käferkörpers summte ein Programm, von dem Adam wusste, dass es nur darauf wartete, Angst und Schrecken zu verbreiten.

„Warum die plötzliche Eile?“, fragte er in den Raum hinein. „Wir haben doch alle Zeit der Welt.“ Er steckte den Käfer zu den zigtausend anderen Nanobots zurück, die in ihren Ladestationen ein Heer grüner Lämpchen zum Blinken brachten. Unheilvoll schimmerte ihr Widerschein auf den Pupillen des Jungen.

„Ach, meinst du?“, fauchte Esthers Stimme und formte dabei jede Silbe wie mit einem Skalpell. „Stellst du etwa die Entscheidungen deines Schöpfers infrage, Adam?“

Abrupt drehte sich Adam um, sein Gesicht eine Maske. „Ich meine nicht“, entgegnete er ungerührt. „Ich zweifle nicht. Beides steht mir nicht zu.“

„Na siehst du“, zischte Esther. „Wenn wir jetzt die iDEMONS auf die Menschheit loslassen, ist das der endgültige Beweis seiner Macht, der Auftakt des letzten Aktes, für Projekt Cerberus – drei Köpfe, drei Schwärme, für eine neue Welt!“

Der Blick des Jungen huschte zum wabernden Holo­­­gramm hinüber, dessen Ziffern flirrten und schwirrten, wie ein Schwarm perfekt aufeinander abgestimmter Kriebel­­mücken.

„Noch wiegt sich Europa in Sicherheit, Adam, selbst die A.KI.A. ist arglos. Dabei ist Doschs Armee längst an Ort und Stelle und wartet nur auf den Befehl. Nichts hindert uns mehr, anzugreifen.“

„Aber sollten wir nicht warten, bis wir den Code zurückhaben, um dann zeitgleich den Virus loszuschicken? iDEMONS ohne Aktivierungscode sind doch wie Waffen ohne Munition“, wagte sich der Junge vor. „Sollen wir nicht noch ein paar Tage die Tarnung aufrechterhalten?“

Es knisterte im Lautsprecher, als sich Esther räusperte. „Die Zeit der Tarnung ist endgültig vorbei. Auch so wird der Einsatz der iDEMONS verheerend sein. Ihre Zerstörungskraft ist enorm, ihr Erscheinen wird Entsetzen säen. Nein, Adam, Mimesis hat ausgedient. Der Kontinent wird uns fürchten lernen. Es wird nicht verhandelt, wir schaffen Tatsachen. Außerdem schließt sich das Zeitfenster für Doschs Überraschung“, fuhr sie fort. „Wir brauchen umgehend ein Empfangskomitee auf dem Boden. Die Schläfer müssen online sein, sobald die Maschine landet, um den Aktivierungscode zu sichern.“

„Aber was wird aus Doschs Plan, den Kontinent zu er­pressen?“, hakte der Junge nach. „Ohne Aktivierungscode keine Schadsoftware, ohne Virus kein Druckmittel ...

„Ach, Adam! Wann hätte sich Borax je in die Karten schau­­en lassen? Er ist uns allen überlegen und sein Triumph unausweichlich. Der ursprüngliche Plan wurde angepasst, nachdem die A.KI.A. zweimal dazwischengefunkt hat. Jetzt endlich kann das Zerstörungswerk beginnen. Wirst du nun Cerberus von der Leine lassen oder muss ich einen Fähi­geren finden, der dich ersetzen kann?“

Unheilschwanger hingen die letzten Worte in der Luft und der Junge blickte auf einen unscheinbaren Kippschal­ter, der aus der Oberfläche des Pults ragte. Zögerlich hob er die Hand.

„Nun?“, fauchte die Frauenstimme. „Meine Geduld ist begrenzt.“

„Und Jorin?“, stieß Adam hervor. „Was ist mit Jorin Flug­­brand?“

„Der Affenjunge?“ Esther schien verblüfft zu sein, dann lachte sie, ebenso kalt wie abgehackt. „Jorin, Fenja und die Idioten der Anti-KI-Allianz befinden sich im Landeanflug auf die Hölle. Sie wissen es nur noch nicht.“

„Gut.“ Adam schlug die hart glänzenden Augen nieder und betätigte den Schalter. Ein Klicken war zu hören.

Sofort veränderte sich das holografische Bild des Höllen­hundes. Die Form pulsierte kraftvoll und immer stärker, bis sich die einzelnen Ziffern aus dem Verbund zu lösen begannen, um wie eine Wolke über das elektronische Pult vor Adam zu wabern. Schließlich rieselten die Nullen und Einsen zur Tischplatte hinab, trafen auf die animierte Karte wie ein Schauer fallender Meteoriten. Wo sie einschlugen, waren Lichtblitze zu sehen. An allen Häfen Europas, längs der Flüsse ebenso wie an den Küsten und Fjorden setzte mit einem Mal ein goldenes Glühen ein, das den Anfang der Zerstörung markierte. Die iDEMONS erwachten! Überall in Europa schlugen sie ihre roten Augen auf, reckten die Glieder und brachen mit stahlzerfetzender Kraft aus ihren Containern aus.

„Na also.“ Esther klang zufrieden. „Bravo Adam, die Jagd hat begonnen. Alles, was Europa jetzt noch bleibt, sind Verwüstung und Vergessen.“

1. Kapitel

Zischend sog Jorin Flugbrand die Luft ein, als er gegen seine Wange stieß. Der frisch genähte Schnitt, den ihm eine iGHOST-Klaue verpasst hatte, pochte wie verrückt und die Haut spannte. Fünf Stiche, dunkles, steifes Garn. Jorin besah sich in der spiegelnden Scheibe des Flugzeugfensters und tastete die Ränder des jodgetränkten Pflasters ab. Seine gesamte linke Gesichtshälfte fühlte sich an wie ein Kro­­­kodilei: fremdartig, ledrig und viel zu heiß. Jeden Au­­gen­­blick rechnete Jorin damit, dass ein ungeduldiges Baby­­reptil aus seiner Wange schlüpfte.

Dabei hatten die schwedischen Ärzte wirklich nicht mit Schmerzmitteln gegeizt. Erst jetzt, nach etlichen Stunden in Domingo Ribeiras einmotorigem Flugzeug, der windschnittigen Cessna Pathfinder, ließ die Betäubung etwas nach, sodass das Leben in Form eines Prickelns in Jorins Mundwinkel zurückkehrte. Er kniff seine gletscherwasserblauen Augen zusammen und legte den Kopf schräg. Sein Gesicht sah wirklich schlimm aus, überall Schrammen und blaue Flecken, Kratzer und Schürfwunden. Sogar seine brau­­nen, im Nacken und an den Seiten kurz geschorenen Haare waren angesengt vom Inferno im Steinbruch. Trotz­dem gefiel ihm sein Spiegelbild irgendwie. Eine ganze Menge Babyspeck hatten die Strapazen der letzten A.KI.A.-Mission weggeschmolzen, mit dem Erfolg, dass Jorins Kinn nun deutlicher hervortrat, fast so, als ließe sich ein flüchtiger Blick auf die Zukunft erhaschen, auf jenen Mann, der Jo einmal sein würde, der aber noch für Jahre hinter den kindlich runden Zügen verborgen lag.

Gezeichnet! Das war das Wort, nach dem er gesucht hatte. Sein Gesicht sah gezeichnet aus von den Abenteuern am Polarkreis, die er mit seinen Freunden durchlebt hatte: die alte Walfangstation, der brennende See und der Kampf mit den iGHOSTS im Steinbruch*.

Behutsam tastete Jorin nach dem muschelförmigen An­­hänger auf seinem Brustbein, dem Kommunikator der Anti-KI-Allianz, fuhr mit den Fingerkuppen die glatten Flächen ab und sah sich im Flugzeug um. Auf dem Platz neben ihm saß Samuel Smuts, ihnen gegenüber die beiden Mädchen: iKID Fenja und Njeri, das Waisenkind mit kenianischen Wurzeln. Die beiden unterhielten sich leise, in ihre Sitze geschmiegt, während die erwachsenen Agenten Annabel und Domingo die Maschine durch den Luftraum steuerten. Nur widerstrebend blickte Jorin hinüber zu dem einzigen besetzten Platz an der gegenüberliegenden Flugzeugseite. Dort saß er, hineingezwängt mit stählernen Hand- und Fußfesseln, sein Erzfeind Borax Dosch. Breite Lederriemen fixierten den braungebrannten Milliardär, so­­dass er sich keinen Millimeter rühren konnte.

„Tut’s sehr weh, Jo?“, fragte Samuel Smuts und schob sich im Sitz empor, wobei das Leder seines wadenlangen schwarzen Mantels leise knarzte. An das linke Handgelenk des blonden A.KI.A.-Agenten war der Metallkoffer gekettet, in dem sich Borax Doschs kostbarstes Artefakt befand, der eiförmige Sender, mit welchem der Aktivierungscode für den Oblivion-Virus verschickt werden sollte. Jener Computer-Virus, den Dosch entwickelt hatte, um das digitale Gedächtnis Europas zu löschen, sämtliche Kontodaten, Firmendokumente, Videos, Familienfotos auf Smartphones – einfach alles! Würde der Code verschickt, öffneten sich Poren in der pockennarbigen Haut der iDEMONS und Abermillionen winzig kleiner Kriebelmücken würden daraus ausschwärmen. In sich trugen sie den Virus, um ihn zu Servern von Rechenzentren, Cloud-Anbietern, Banken, Ministerien und Laboren zu tragen und eine Welle der Datenlöschung auszulösen. Unter keinen Umständen durfte das passieren!

Zwischen seinen Beinen hatte Samuel den nagelneuen Koffer abgestellt und blätterte in der grünen Akte mit der Aufschrift FLUGBRAND, die er auf seinen Knien balancierte. Gerade warf er Jorin einen mitfühlenden Blick zu. „Die Ärzte haben uns ein paar Tabletten mitgegeben, wenn’s zu schlimm wird.“

„Alles gut“, winkte Jorin ab und verschränkte seine et­­was zu lang geratenen Arme vor der Brust. „Geht schon, Smuts, ich bin nur dagegen gestoßen.“

Den Schnitt nahm er wirklich gern in Kauf, immerhin hatte sich ihr Kampf gegen Doschs iGHOSTS mehr als aus­­gezahlt. Noch jetzt rieselte ein Gruselschauer Jorins Rück­­grat hinab, wenn er an die knochig dürren Kampf­maschinen dachte. Nur ihre Füße erinnerten noch daran, dass sie die zweite Generation künstlicher Wesen nach den iKIDS-Roboterkindern waren, die Dosch erschaffen hatte: Zehen und Fußballen waren geformt wie die nackten Füße klei­­ner Kinder, was Jorin fast noch am unheimlichsten fand.

All das ließ sich natürlich nur sehen, wenn die Tarnhaut der iGHOSTS nicht aktiviert war, die sie ansonsten perfekt mit der Umgebung verschmelzen ließ.

Hoch im Norden hatten diese albtraumhaften Kampf­roboter Jorin und seinen Freunden eine Hetzjagd geliefert, der sie nur mit knapper Not entkommen waren. Dabei hatten die Mitglieder der Anti-KI-Allianz Doschs Pläne, die Regierungen Europas zu unterwerfen, nicht nur vereitelt, nein! Jorin war sogar der Lösung seines Lebensrätsels ein großes Stück näher gekommen. Seitdem beseelte ihn ein sengender Wunsch, der alles andere in den Schatten stellte: die Suche nach seinem Vater! Nachdenklich zog er das schmale hellblaue Plastikarmband mit seinem Namen darauf aus der Hosentasche und ließ es durch die Finger gleiten. Eine Angewohnheit, die ihn immer beruhigte. In­­zwischen wusste Jorin, dass seine Eltern, Edda und Cord Flugbrand, ursprünglich für Dosch gearbeitet hatten, als Augenkonstrukteure für künstliche Menschen. Ihren For­­schun­gen wurde erst durch den absichtlich gelegten Labor­­brand ein Ende gesetzt. Alles hatten die Flammen da­­mals verschlungen, Jorins Familie, sein Glück und seine Zukunft.

Elf Jahre lang hatte er geglaubt, dass seine Eltern bei dem Brand umgekommen waren. Doch ausgerechnet in Doschs Geisterfabrik am Polarkreis war Jo auf diese grüne Akte gestoßen, in die sich Samuel jetzt wieder vertieft hatte.

Ein Handlanger von Dosch hatte darin sämtliche medizinischen Informationen über Familie Flugbrand gesammelt. Auf diesem Weg hatte Jo zwei Dinge erfahren, die sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatten: Zum einen, dass er selbst ein Experiment seiner Eltern gewesen war, dass Cord und Edda Jorins Embryo mit einem Satz fremder Gene ausgestattet hatten, um seinen Augen die Tie­fenschärfe eines Falkenblicks zu geben und die Fähig­keit, ultra­­violettes Licht wahrzunehmen. Superaugen sozusagen. Außerdem wurden Jorins Zellkerne mit Genen von Pongo pygmaeus angereichert, landläufig als Orang-Utan be­kannt. Diese Information hatte ihn mächtig aus der Bahn geworfen. Affen-Gene?! So viel Sympathie er sonst für die behäbigen orangefarbenen Menschenaffen aufbrachte, die sich durch den Dschungel Borneos hangelten, mit ihnen genetisch verquirlt zu werden, ging gar nicht. „Verdammt, Sam, ich bin doch kein Cocktail mit Schirmchen“, hatte er sich bei seinem Mentor beklagt. „Was haben sich meine Eltern dabei gedacht?! Orang-Utan-Gene! Bin ich jetzt 10 Prozent Affe oder nur fünf? Was ist das für ein Mist?!“

Samuel Smuts hatte verlegen die Backen aufgeblasen. „Es ist geradezu kriminell, unverantwortlich, Jo. Ich kann nur mutmaßen, was sie dazu verleitet hat. Wahrscheinlich wollten deine Eltern dich für eine Aufgabe wappnen. Als hätten sie schon damals geahnt, dass du unmenschliche Sin­­nes­­schärfe brauchen würdest, um Doschs Pläne zu durch­­schauen, um das Monster zu stoppen.“

Mein Äffchen, hatte ihn seine Mutter immer genannt. Das klang in Jorins Ohren nun wie blanker Hohn. Er schau­­­derte noch jetzt beim Gedanken daran und starrte zu dem Sitz hinüber, in den Borax Dosch gezwängt worden war.

Orang-Utan-Gene hin oder her, sie hatten ihren Zweck jedenfalls erfüllt: Das Monster war gefangen, das Scheusal mit Hang zu Weltmachtsfantasien war gut verschnürt und bereit zur Übergabe an den Chef der Anti-KI-Allianz.

Ohne es zu merken, hatte Jorin seine Hände zu Fäusten geballt, während er Doschs Gesichtszüge betrachtete, und dabei den blauen Plastikstreifen zerknüllt. Denn der Mör­der lächelte still vor sich hin.

Doch das anhaltende Prickeln hinter Jorins Schläfen irritierte ihn, als wollte es ihn unablässig auf etwas aufmerksam machen, als fehlte noch immer ein letztes Puzzleteil, um das Geheimnis um den größenwahnsinnigen Mann zu entschlüsseln. Irgendetwas stimmte hier nicht. Erst der Schmerz, der Jorin durch die mit Brandblasen versehrten Handflächen schoss, ließ ihn die Finger wieder strecken.

„Dieses Monster“, knurrte der Junge leise.

Dosch hatte alles Menschliche hinter sich gelassen, er war kalt und herzlos, schlimmer noch als die Maschinenwesen, die er erschaffen hatte, um mit ihnen Europa zu erobern.

Und damit kam Jorin unweigerlich zu der zweiten Sache, die er aus der grünen Akte gelernt hatte: Dosch war schuld am Tod von Jorins Mutter. Das hatte er nun Schwarz auf Weiß. In der Akte FLUGBRAND befanden sich nämlich auch die Krankenhausberichte, in denen beschrieben wurde, was mit Edda und Cord nach ihrer Einlieferung im Marienkrankenhaus passiert war. Vor etwas mehr als neun Jahren, an einem Dienstag, um elf Uhr und drei Minuten war Jorins Mutter ihren Verbrennungen erlegen. Nur wegen Dosch! Cord jedoch, und das ließ in Jorins Brustkorb mit einem Mal ein irrsinniges Glücksgefühl einströmen, hatte den Brand vermutlich schwerverletzt überlebt. In ein künstliches Koma war sein Vater gelegt worden, um darin bis zur Genesungzu verbleiben. Mittlerweile kannte Jorin die Akte auswendig. Es bestand die Hoffnung, dass sein Vater tatsächlich noch lebte! Irgendwo dort draußen musste er sich befinden, nicht ahnend, dass sein Sohn auf der Suche nach ihm war. Jorin hatte so viele Fragen! Er musste Cord finden, um jeden Preis!

Der Wunsch, sofort loszustürzen, rumorte in Jorin wie ein magmatisches Brodeln. Am liebsten wäre er mit der Akte davongestürmt. Schließlich hatten sie das Unmögliche geschafft und die Welt gerettet. Der Mörder war gefasst. Der Aktivierungscode wie auch Borax Dosch mussten nur noch ins Hauptquartier der A.KI.A. gebracht werden. Das konnten die anderen auch ohne ihn erledigen.

Alles, was Jorin jetzt noch interessierte, war sein Vater. Cord. Er ertappte sich dabei, wie sich Cords Name in nahezu jeden seiner verschlungenen Gedanken hineinmogelte. Jo wollte Antworten. Er suchte, was von seiner Familie noch übrig war. Was für ein Mensch musste sein Vater sein, wenn er die Gene des eigenen Sohnes manipulierte? Und welcher Vater ließ sein einziges Kind allein zurück? Glück und Zweifel und Zorn bildeten in Jorins Brust eine explosive Mischung.

Mit Gewalt zwang Jorin seinen Blick vom Milliardär fort und schaute aus dem Fenster. Orange-golden gleißte der Ozean. In einem von Abendleuchten durchglühten Dunst zeichneten sich die Umrisse der friesischen Inseln im Wattenmeer ab. Knapp dahinter begannen die Weiten des europäischen Kontinents, dort erhob sich die niederländische Küste mit Feldern und Grachten und schmucken, aufgeräumt wirkenden Städtchen.

In wenigen Minuten würden sie Konrad und Nele am Rand des kleinen Inselflugplatzes von Duinbos abholen, um dann gemeinsam den Weg nach Oude Geest fortzusetzen, wo sich das Hauptquartier der A.KI.A. befinden sollte. Domingo war bereits in den Sinkflug gegangen.

Konrad und Nele waren wie Jorin, Fenja und Njeri ehemalige Schüler des Mimesis-Projektes, dem Trainingslager für Doschs Roboterkinder*. In einem als Inselschule getarnten Experiment hatte der Milliardär seine iKIDS mit echten Menschenkindern zusammengebracht, um das Verhalten der Roboter zu perfektionieren. Aber Jorin und seinen Freun­den war es gelungen, den Plan zu vereiteln. Obwohl die Kinder seitdem nahezu unzertrennlich waren, hatten Konrad und Nele ihre Sommerferien in einem Zeltlager an der Nordsee verbracht, und von den Vorkommnissen am Polarkreis nur durch Jorins Bericht erfahren. Nun wollten die beiden aber unbedingt dabei sein, wenn Borax Dosch und der Aktivierungscode zum geheimen Hauptquartier der A.KI.A. gebracht wurden.

„Natürlich kommen wir mit, Jo!“, hatte Konrad am Tele­fon losgepoltert. „Widerstand zwecklos. Wir lassen dich nicht noch mal allein. Ohne uns gerätst du bloß in noch grö­­­ßere Schwierigkeiten! Schwingt euch her, wir packen in der Zwischenzeit.“

Etwas widerwillig hatte Domingo die Flugroute geändert, um die beiden Sommerfrischler auf Duinbos aufzulesen. Zum Glück war es nur ein kleiner Schlenker. Doch selbst der grummelige Pilot sah ein, dass die A.KI.A. Konrad und Nele diesen Gefallen schuldig war. Schließlich hatten die beiden unter Einsatz ihres Lebens dabei geholfen, Agentin Annabel Biron aus den Tiefen der Mimesis-Festung zu befreien, bevor die Insel in die Luft gejagt worden war.

„Oude Geest“, murmelte Jorin und kniff die Augen zusammen, da ihn die tiefstehende Sonne blendete. Wo genau sich das Hauptquartier der A.KI.A. dort befand, war top secret, allerhöchste Geheimhaltungsstufe. Selbst Smuts und Annabel hatten es noch nie betreten. Lediglich der Na­­me der Stadt war ihnen bekannt: Oude Geest.

Unter ihnen rückten die weitläufigen Strände der Nord­­­seeinsel näher, sanft gewellte Dünen und in violette Schat­ten getauchter Kiefernwald schlossen sich an diese an. Im Grunde genommen war Duinbos wenig mehr als ein Sand­­haufen im Watt, der sich ein paar Meter über den Mee­res­­spiegel erhob. Fischkutter tuckerten längs der Küste, zogen Netze an ihren Auslegern hinter sich her, um den Hafen noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Möwenschwärme folgten den Booten und lauerten auf fette Beute.

Jorin beugte sich noch ein Stück weiter vor, presste seine Stirn gegen das Fensterglas und schaute zum Horizont, wo Meer und Himmel in einem dunstigen Glühen miteinander verschmolzen. Pfeilschnell schoss eine Handvoll Möwen durchs Leuchten, um plötzlich, mitten im Flügelschlag, zu verschwinden.

„Äh ...“ Jorin blinzelte. Im Gold der Dämmerung flirrte die Luft, doch es bestand kein Zweifel, die Tiere hatten sich vor seinen Augen in Nichts aufgelöst. „Habt ihr das eben auch gesehen?“

„Was denn?“, fragte Samuel abwesend.

„Die Vögel, sie sind plötzlich verschwunden.“ Jorin tipp­te mit der Fingerkuppe gegen das Glas, gerade als ein Stück weiter eine Möwe nach der anderen wiederauftauchte und weiterflog, als sei nichts geschehen. Jorin rieb sich die Au­­gen.

„Vögel?“, murmelte Smuts. „Ach Jo, vermutlich spielt dir nur die Müdigkeit einen Streich. Die Sonne steht so tief, dass –“

Aufgebracht drehte sich Jorin um. „Ich weiß doch wohl, was ich gesehen habe!“

„Jo, wir alle sind platt“, beschwichtigte Smuts. „Wir brau­­chen eine Dusche, was zu essen und ein weiches Hotel­bett. Und wir sind übermüdet, wer könnte es dir verdenken, dass du Vögel verschwinden siehst. Glaub mir, wenn es sich um Brathähnchen handelt, helfe ich höchstpersönlich mit beim Verschwindenlassen.“

Niemand sonst schenkte der Auseinandersetzung Beach­­tung, weder iKID Fenja, die mittlerweile ihre Augen ge­schlossen hatte, noch Njeri, die ein Paar schwarzer Kampf­­handschuhe in den Fingern drehte. Mit vor der Brust an­­­ge­­zogenen Beinen saß sie da, hatte die Arme um ihre Knie geschlungen und die dicht geflochtenen Cornrow-Zöpfe pikten in ihren Nacken. Jorins Freunden waren die Strapazen der letzten Tage überdeutlich anzusehen. Von ihren zerlumpten und versengten Kampfanzügen ging ein Geruch nach Schwelbrand aus. Immerhin waren sie nach der Festnahme von Doschs Truppe sofort ins Flugzeug ge­­stiegen, um den Heimweg anzutreten. Nur Jacob Mkwawa, der Bärenforscher, war zu seiner Universität in Finnland zurückgekehrt.

Jorin schüttelte den Kopf. Missmutig sah er den Möwen nach, die über den Dünen einschwenkten und sich auf dem feuchten Spülsaum des Strandes niederließen.

„Es war aber so“, beharrte er, „sie sind verschwunden und wiederaufgetaucht.“

Plötzlich rollte Borax Dosch seinen Kopf zu Jorin herum, riss die Augen auf und starrte den Jungen an. Ein bösartiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

2. Kapitel

„Wow! Hey, das müsst ihr euch ansehen!“ Annabel drehte sich im Co-Pilotensitz um und streckte ihr Tablet in die Luft. Die zierliche Agentin mit den gescheitelten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, strahlte über das zerschrammte Gesicht. Ihre katzengrünen Augen blitz­­ten. „Die Presse hat bereits Wind von unserer letzten Mission bekommen.“ Ohne Vorwarnung warf sie das Tablet zu Jorin herüber, doch bevor der Junge auch nur einen Finger krümmen konnte, war Fenjas Hand seitlich vorgeschossen und hatte das Gerät aus der Luft geschnappt.

Gähnend schüttelte das Robotermädchen den Kopf, was natürlich nur eine Marotte war, da Fenja keine echte Müdigkeit empfinden konnte.

„Uiuiui, Blauauge“, sagte sie tadelnd, „es ist mir ein Rät­sel, wie ihr Menschen so lange überleben konntet ... Mit so schlechten Reflexen.“ Sie streckte Jorin die Zunge raus, aber der war zu perplex, um eine Antwort zuwege zu bringen.

Gespannt beugte er sich mit Njeri und Smuts über den Bildschirm, den Fenja vor sich hielt. In einer Nachrichten-App war das Foto einer Raketenbasis in Guayana zu sehen, darüber stand in Großbuchstaben:

AUFBRUCH IN DIE STILLE ZWISCHEN DEN STER­NEN. Unbemannte Weltraummission zu den Rändern des Sonnensystems geht in die heiße Phase.

Hingerissen versenkte sich Fenja in den Artikel, Smuts hingegen fragte nur ungläubig: „Raketen, Annabel? Ich weiß ja, dass du auf krasse Beschleunigung stehst, spätestens, seitdem ich im sonnenblumengelben Fiat Panda deiner Oma gesessen habe, aber, was hat das –“

„Hach!“ Das herzförmige Gesicht der Agentin tauchte zwischen den Sitzreihen auf, sie reckte den Arm, wischte genervt mit dem einzigen Finger, der nicht bandagiert war, über den Bildschirm und brachte das richtige Video zum Laufen. „Du bist eine Laberbacke, Sam, echt jetzt“, sagte sie.

Etwas enttäuscht zog Fenja die Augenbrauen zusammen.

Dann sahen es alle. Umringt von den Spezialeinhei­ten, die sie im Steinbruch am Polarkreis unterstützt hatten, wurden Gefangene aus einem gepanzerten Fahrzeug eskortiert. Die stacheldrahtgesäumten Mauern eines Ge­­fäng­­nisses waren im Hintergrund zu sehen, ebenso ein Wach­­­turm mit Suchscheinwerfern. Gut ausgeleuchtet hatte sich die Fernseh-Reporterin mit gezücktem Mikro postiert, sodass den Zuschauern der Blick auf das Geschehen in ihrem Rü­­­cken frei blieb. Energisch begann sie ihren Bericht: „Spe­­­zial­­einsatzkräften ist am Polarkreis ein gewaltiger Coup gelungen. In Zusammenarbeit mit der Anti-KI-Alli­anz ist allem Anschein nach der Versuch vereitelt worden, Eu­­ro­­pa anzugreifen.“

Hinter der Reporterin erkannte Jorin die ehemaligen Lehrer des Mimesis-Projektes, Leander Maria Lehmschlag mit gepflegtem Vollbart, dicht gefolgt von der athletischen Grit Bracken. Hager und hohlwangig drehte der Chemie­experte Ansgar Telchow sein Gesicht in die Kamera, bevor auch er abgeführt wurde. Ein Veilchen zierte dessen linkes Auge, was Jorin ein zufriedenes Grunzen entlockte. Sein Schwin­­­­ger war es gewesen, der den Bösewicht zu Fall ge­­bracht hatte.

„Im Grenzgebiet zwischen Norwegen und Russland“, fuhr die Reporterin fort, „hatte der Milliardär Borax Dosch eine Fabrik aufgebaut, in der verborgen vor der Welt­öf­­­fent­­lichkeit Kampfmaschinen und ein Computervirus her­­gestellt wurden, mit deren Hilfe eine Erpressung der ge­­­samten Europäischen Union geplant war. Die Operation fir­­mierte unter dem Codenamen Projekt Oblivion.“

Den Mimesis-Lehrern folgten in Spezialfesseln Chloé und Dorian, iKIDS der ersten Generation an Roboterkindern, der auch Fenja angehörte, und zu guter Letzt ein Pulk verunsichert dreinschauender Technikerinnen und Mitarbeiter, die in dem schwarzen, kuppelförmigen Fabrikgebäude von Borax Dosch ein erstaunlich normales Leben geführt hatten.

„Im sprichwörtlich letzten Moment konnte das Schlimms­te verhindert werden“, sagte die Reporterin ernst. „Der Kopf der Organisation befindet sich auf dem Weg zum Verhör an einem geheim gehaltenen Ort, während der Großteil seiner Gefolgschaft, wie in diesem Bei­trag zu sehen, die Untersuchungshaft antritt. Bereits vor Monaten wurde der Cheftechniker namens Camaphos festgesetzt. International zur Fahndung ausgeschrieben, und hier bittet die Polizei um Ihre Aufmerksamkeit, sind folgende Personen.“

Zwei Fotos wurden eingeblendet, das linke zeigte Esther Zünsler, eine etwa sechzigjährige Diva mit schulterlangem rotem Haar und blau getönter Sonnenbrille; auf dem zweiten war Fenjas Bruder Adam zu sehen, der Anführer der iKIDS. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein ganz normaler Junge aus der Nachbarschaft, unauffällig, sympathisch mit seinem gewellten braunen Haar und den leicht abstehenden Ohren. In Wahrheit war das iKID nicht nur Borax Doschs rechte Hand, sondern vielmehr seine gnadenlose Faust.

„Sachdienliche Hinweise zur Ergreifung der beiden Top-Terroristen werden erbeten, die Telefonnummer wird am unteren Bildrand eingeblendet“, fuhr die Reporterin fort. „Von Seiten der Anti-KI-Allianz gab es keine Stel­lung­­nahme, um, wie es hieß, die eigenen Agentinnen und Agenten zu schützen. Wie weit Borax Doschs Pläne be­­reits ausgereift waren, lässt sich jedoch an dem Um­­stand ablesen, dass überall in Europa Schiffscontainer eines bestimmten Typs gesucht werden. Von Göteborg bis Rot­­terdam, von Gioia Tauro bis Le Havre wurden bereits mehrere nachtblaue Container mit einem goldenen Stier­kopf darauf gefunden, über deren Inhalt man sich bislang noch ausschweigt. Selbstverständlich halten wir Sie über den Fortgang der Ereignisse auf dem Laufenden! Das war Victoria Santos für Kanal 3.“

Plötzlich brach ein fruchtiges Lachen in die Pause. Es wirk­­te ebenso künstlich wie deplatziert. Borax Doschs Mund hatte sich zu einem grotesken Grinsen verzogen.

Jorin fixierte den Mann und seine Augen begannen unverzüglich zu tränen. Ein Schauder überlief seinen Na­­cken und das Prickeln hinter den Schläfen kehrte zurück. Ir­­gend­­etwas war hier oberfaul! Rasch steckte er das blaue Arm­­­band in seine Hosentasche, während Fenja das Video anhielt. Wie in Zeitlupe drehten sich auch die anderen zu Borax Dosch um, der sie aus seinem Gefangenensitz an­­starrte.

„Was ist so lustig, Dosch?“, fauchte Agent Smuts. „Immer­hin ist Ihr Plan zum zweiten Mal kläglich gescheitert. Ist es nicht eher an der Zeit, ein bisschen Reue zu zeigen?“

Der Milliardär seufzte. „Ihr versteht es immer noch nicht, oder? Ihr von der A.KI.A. seid erbärmlich, wie Hunde, die ihrem eigenen Schwanz nachjagen. Immer im Kreis ...“ Er reckte sein Kinn vor, beugte sich, so weit es die Fes­­seln zuließen, zu Smuts hinüber und flüsterte: „Es – ist – zu – spät.“

Aufbrausend schoss Smuts aus seinem Sitz hoch, die Akte rutschte zu Boden und die Kette an seinem Handgelenk spannte sich jäh. „Zu spät?! Für Sie vielleicht, Dosch! Für Sie ist es zu spät. Ihre Leute sind verhaftet worden und auch Sie verschwinden bald auf Nimmerwiedersehen hinter Gittern!“ Smuts’ Gesicht hatte sich zu einer starren Maske verhärtet und nur sein Barrakuda-Lächeln verriet, in welchem inneren Aufruhr sich der Agent befand.

„Was …“, fragte Jorin mit belegter Stimme, „was soll Ihrer Meinung nach zu spät sein?“

Dosch legte den Kopf schräg. „Alles.“ Er lachte erneut. „Alles ist zu spät, Jorin Flugbrand, der Tag des Jüngsten Gerichts ist gekommen, sogar für deinen Vater. Endlich werde ich auch ihn zur Rechenschaft ziehen, denn niemand wendet sich ungestraft gegen Borax Dosch!“

Jorin starrte den Millardär entsetzt an. Ein Wirrwar aus Gedanken tobte in ihm. Endlich hatte er den Beweis, dass sein Vater noch lebte, Dosch wusste es. Aber gleichzeitig legte sich Angst wie eine Schraubzwinge um seinen Brustkorb. Er musste Cord finden und ihn warnen, bevor Dosch ihn in die Finger bekam.

„Projekt Cerberus nimmt seinen Lauf, die Dämonen werden geweckt. Manchmal muss eine alte Welt eben zerstört werden, um eine neue aus der Taufe zu heben. Ist es nicht so, Fenja?“ Borax Dosch wandte sein Gesicht dem iKID zu, presste seine fein geschwungenen Lippen aufeinander und stieß plötzlich eine Reihe kalter Klickgeräusche aus.

Jorin wurde übel vor Schock. Er kannte dieses Geräusch nur allzu gut. Es war die Sprache, in der Doschs Geschöpfe, iKIDS und iGHOSTS, miteinander kommunizierten. Jene Abfolge rasend schneller metallischer Klickgeräusche, Mor­se­­­codes ähnlich, die alles war, nur nicht menschlich.

Fenja schreckte zurück, als habe man ihr ein glühendes Stück Eisen gegen die Stirn gedrückt.

Im nächsten Moment brach in Jorin eine Erkenntnis auf, die sich unterschwellig seit dem Zusammentreffen im Steinbruch angekündigt hatte. „Sie“, stammelte er. „Sie ... sind gar nicht Dosch.“

Der in Fesseln geschlagene Milliardär lächelte sanft. „Wie recht du hast, Jorin. Ich bin nicht Dosch, lediglich sein elektrischer Zwilling. Für euch jedoch ...“, ein Beben lief über das sonnengebräunte Gesicht, „... bin ich der Untergang.“ Mit diesen Worten fuhr ein Ruck durch den Kör­­per des Gefangenen. Er straffte sich und sprengte mit un­­­­menschlicher Kraft seine Fesseln.

3. Kapitel

Wie ein Berserker fuhr der iDOSCH empor. Ledergurte knall­­ten, Handschellen barsten. Einen Wimpernschlag spä­­ter hatte er Samuels Arm gepackt, die Kette zerfetzt, als würde sie nicht aus Stahl, sondern aus Loombändern be­­ste­­hen, und den Koffer mit dem Aktivierungscode an sich gerissen.

„Nein“, schrie Smuts. „Der Sender!“