Projekt Spirits - Chantall Seimetz - E-Book
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Projekt Spirits E-Book

Chantall Seimetz

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Beschreibung

Stellt euch vor, kleine, rote Kristalle bringen euren Alltag durcheinander. Sie verleihen euch Magie, aber zu welchem Preis? Kaum kommen die Kristalle ins Spiel, verwandelt sich eure Welt zum Kriegsschauplatz fremder Wesen. Als hätte Laura nicht schon genug zu tun, heftet sich ein Elementgeist namens Millenia an ihre Fersen und bittet Laura dringend um Hilfe. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

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Seitenzahl: 1772

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Chantall Seimetz

Projekt Spirits

Millenia

Mein herzlicher Dank geht an meine Liebsten – an meinen Mann und meine wunderbaren Kinder, die mir immer die Kraft und die Zeit gegeben haben, mich meinem Buchprojekt zu widmen. Ohne euch hätte ich das niemals geschafft. Und selbstverständlich geht der Dank auch an meinen Freundeskreis, für die offenen Ohren und die motivierenden Worte, wenn ich gezögert habe. Am Schluss möchte ich mich auch bei dir bedanken. Dafür, dass du mein Buch gelesen hast. BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Prolog

 

Wie grausam!

Diese Schmerzensschreie würden sie sicher einige Nächte verfolgen. Bei dem beißenden Geruch nach verbranntem Fleisch wurde ihr übel. Es war so heiß, dass ihr der Schweiß über das Gesicht rann. Ihr rubinrotes Haar klebte bereits an ihren Wangen. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Die Luft flimmerte um sie herum. Die Flammen waren nun ein Teil von ihr, das musste sie akzeptieren.

 

Aber wie könnte sie nur?

Denn dieses Feuer tötete diese armen Leute auf eine grauenvolle Art und Weise. Dabei entkam Millenia erst vor Kurzem dem Tod. Als Feuermeister – eins von vielen magischen Völkern, lernte Millenia schon in jungen Jahren, die gefährliche Macht zu kontrollieren und richtig einzusetzen.

 

Alles änderte sich mit jenem Moment, als diese seltsame Flüssigkeit gewaltsam mit einer Spritze in ihre Venen gelangte. Ein unerforschtes Mittel, das Millenia veränderte. Eine Formel, die eine Macht in ihr weckte, die Millenia nicht zu kontrollieren vermochte. Ein Fluch, der dank ihrer fehlenden Selbstkontrolle anderen schadete und somit schreckliche Gewissensbisse heraufbeschwor. Ein Wissenschaftsteam aus Genies, wie sie sich nannten, und das ihr Leben zerstörte. Acht Köpfe, alle unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete. Sie erschufen ein Monster, denn die Leichen im Feuer gingen auf ihr Konto.

 

Millenia wurde zur Laborratte eines bislang unbekannten Forschungsteams. Ihre Magie war nun viel stärker und unberechenbarer. Sie konnte diese turmhohen Flammen kaum kontrollieren. Selbst jetzt tobte der Feuerwirbel um sie herum. Ununterbrochen verließen die aggressiven Flammen ihren Körper und stiegen empor. Millenia wurde eins mit ihrem Element. Mit dem geliebten Feuer, das ihr Herz an kalten Tagen wärmte und der Stolz ihres Volkes war. Aber nun brachte es Tod und Zerstörung. Alles dank dem Mittel, das nun durch ihre Adern pumpte.

 

Millenia war eine Gefangene. All die Leute, mit denen sie in einem Dorf, weit weg von hier, aufgewachsen war, starben an dem unerforschten Mittel. Sie war die einzige Überlebende. Die Einzige, die dieses Zeug unter den fürchterlichen Schmerzen ertrug und nicht mit dem Tod erlöst wurde. Diese schrecklichen Leute, die ihr das angetan hatten, glaubten doch nicht etwa, dass sie ihnen all das Leid einfach verzeihen würde.

 

Die junge Feuermeisterin vermisste die glückliche Zeit in ihrem Dorf und vor allem die Dorfbewohner, die ihre Kindheit lebhaft gemacht hatten. Da war der Obstverkäufer, den sie mit ihrer Mutter jeden Morgen besucht hatte, weil Millenias Alltagsheldin wusste, wie sehr sie seine süßen Früchte liebte. Das stumme Mädchen von nebenan, das ihr die Gebärdensprache beibringen wollte. Trotz ihrer Einschränkung hatte Millenia sie für dieses strahlende Lächeln beneidet, dass jedermann den Tag versüßen konnte. Der Bäcker, der für die landesweit besten Melonenbrötchen bekannt war. Ihr Vater, ein stolzer Angler und Feuerakrobat. Ihre Mutter, die beste Köchin der Welt und die tollste Geschichtenerzählerin.

 

Wenn ihre Mutter mit einer Geschichte angefangen hatte, war die Welt um Millenia herum vergessen. Solange, bis sie das Ende der Geschichte kannte. Sie war glücklich, bis zu jenem Moment, wo aus dem Schatten heraus diese bewaffneten Leute traten und sie zu der riesigen Forschungsanlage verschleppten.

 

Diese schreckliche Wut fraß sich durch ihre Adern und sie fühlte sich von den Emotionen überschwemmt, völlig machtlos. Der Zorn, der wie eine bösartige Krankheit über sie herfiel und drohte, sie zu vergiften, blendete ihren Verstand. Sie verspürte den wahnsinnigen Durst nach Rache. Rache für ihr geopfertes Dorf.

All die Lieben, die für welchen Zweck starben?

Wozu sollte solch eine Macht gut sein, wenn Millenia sie nicht einmal kontrollieren konnte?

All jene, die hierfür verantwortlich waren, sollten sie fürchten lernen und sich fragen, wie man ihr das nur hatte antun können.

 

Wäre da nicht dieses störende Halsband, das sie kontrollierte. Ein Ring aus fließendem Silber, der sich einfach nicht abnehmen ließ. Sie hatte es versucht, vergebens. Auf diesem lagen Zauber, die sie willenlos machten. Man erwartete Gehorsam von ihr. Das Forschungsteam duldete keine Widerworte und vor allem nicht ihr trotziges Verhalten, was man ihr immer so gern vorwarf.

 

Die Forscher redeten laufend von dem sogenannten „Projekt Spirits“. Welche Rolle sie in diesem Projekt spielte, war ihr leider noch nicht bekannt.

 

Verbittert blickte sie hinauf in den Flammenwirbel. Ohne Aussicht auf ein Ende floss das Feuer aus ihren Poren und wurde von dem gigantischen Trichter aus kreisenden Flammen angezogen. Es nahm kein Ende, der Himmel glühte in den warmen Farbtönen Gelb und Orange. Während der höchste Punkt mit einer dichten Rußschicht überdeckt wurde und das Gefühl eines Weltuntergangs vergab. Von Dunkelgrau bis Rabenschwarz lagen die Rußwolken schwer in der Luft. Ein gewaltiges Inferno, das bis zur ihrer Erschöpfung wütete.

 

Warum hilft mir denn niemand?

Wie können alle über ihre Tränen hinwegsehen, als wären sie gefühllose Monster?

Und warum zwingen sie mich zu solch grausamen Dingen?

Sie biss sich vor Zorn auf die Lippe und hoffte, diesem Horror so schnell wie möglich zu entkommen.

 

1. Kapitel

Der Tatort

„Wie ist er gestorben?“, wird Laura von ihrem neuen Partner Paul gefragt.

Die Stille zwischen den beiden Kollegen scheint dem jungen Kerl unangenehm zu sein und doch ist es Laura leid, auf diese Frage zu antworten. Wie dankbar die junge Kriminalkommissarin doch ist, als sie die Straßenabsperrung aus der Ferne erblickt. Ein Tatort mitten auf einer Landstraße, wo ein Vierzigtonner quer über dem Schotterweg liegt. Ein Lastkraftwagen, der halb in den prachtvollen Felder ragt, auf denen Mais angebaut wird. Da freut sich doch der Bauer, wo doch schon bald die Erntezeit beginnt.

Der Lastkraftwagen entpuppt sich nicht als einziges beschädigtes Fahrzeug. Laura erfasst mit ihren haselnussbraunen Augen drei Kleintransporter. Jetzt stellt sich die Frage, wie ist der riesige Bulle unter den Fahrzeugen entgleist und wer hat den Unfall überlebt.

An dem Krankenwagen entdeckt sie keine Verletzten. Niemand, der medizinisch versorgt werden muss. Paul erkennt, dass sie bereits voll in ihrem Element steckt. Schweigend fährt er den Wagen zum Unfallort.

Die Fahrzeuge ihrer Kollegen sind so unglücklich platziert, dass die junge Kriminalkommissarin keinen freien Blick auf die Unfallstelle hat. Unruhig zählt sie schon die Sekunden, bis Paul den Wagen endlich parkt und die Arbeit losgehen kann.

Wie lange es wohl gedauert hat, bis der Unfallort überhaupt gemeldet wurde?

Hoffentlich denken ihre Kollegen mit und durchstreifen das Gebiet großräumig nach Unfallopfern, Tatverdächtigen und Zeugen. Laura versucht, immer so viele Fälle aufzuklären wie möglich. Oft bekommt sie zu hören, wie verbissen sie sein kann. Während die anderen die Sache zweimal kontrollieren, dreht sie jeden Hinweis vier- oder sogar fünfmal um.

Irgendetwas stimmt hier nicht. Überall, wohin sie auch blickt, findet sie verstörte und panische Gesichter. Obwohl sich Laura auf übelzugerichtete Leichen einstellt, hätte sie nichts hierauf vorbereiten können. Dabei hat die junge Kriminalkommissarin bereits viele dunkle Szenarien in ihrer Karriere erlebt. Ereignisse, die sie nachts aus ihren Träumen reißen. Menschen können so grausam sein, das hat sie bereits früh lernen müssen.

Nun gut, wie sagt man so schön?

Neuer Tag, neues Glück.

Die letzten Tage waren etwas chaotisch, nett ausgedrückt. Seit jenem Vorfall hatte Laura viele nervtötende Gespräche und viel Papierkram, sodass es zu einigen Überstunden kam. Es tut so gut, dass Büro nun endlich hinter sich zu lassen. Der Außendienst ist eine schöne Abwechslung zu dem Papierchaos auf ihrem Schreibtisch. Vielleicht hilft ihr die frische Luft, um ein bisschen fitter zu werden. Die Anstrengung der letzten Tage macht sich an ihren müden Knochen und der sinkenden Konzentration bemerkbar.

Paul muss ihr diesen Freigang jedoch vermiesen, dabei hatte sie schon die Türklinke in der Hand. Wäre Laura doch nur einen Schritt schneller gewesen, dann würde jetzt nicht seine Flosse auf ihrem Arm liegen. Erschöpft atmet Laura aus und ermahnt sich, freundlich zu bleiben. Besser ist es, denn auf die Standpauken ihres Chefs kann Laura wirklich verzichten. Dies verdirbt ihr nur unnötig die Laune und kostet Zeit, die sie besser zum Lösen ihrer Fälle brauchen könnte.

Klar, lass quatschen, statt zu arbeiten! - Das ist ja schließlich das Lebensmotto von so vielen Arbeitskollegen hier.

Ein Blick in Pauls schmales Gesicht reicht schon wieder aus, um ihn für diesen warmherzigen Blick zu beneiden. Er hat sicherlich nicht mal halb so viele Sorgen, wie Laura es hat. Bestimmt sieht er die Welt durch eine rosarote Brille und ist davon überzeugt, mit seinem Job diese Stadt zu einem besseren Ort zu machen. Leider hat Laura so viele grausame Taten zu Gesicht bekommen, dass sie kaum noch an das Gute in den Menschen glauben kann.

„Laura, bitte schweig mich nicht weiter an. Wir müssen einander vertrauen. Ich muss mit dir arbeiten können. Also hör auf, mich zu ignorieren“, eine Bitte, die Paul sehr am Herzen liegt.

Zu seinem Pech fällt es Laura schwer, jemanden ihr Vertrauen zu schenken. In all den Jahren hat sie gelernt, nur sich selbst zu vertrauen. Je weniger er über sie weiß, desto weniger Möglichkeiten hat er, um sie verletzen. Besser ihr Herz bleibt fest verschlossen und unerreichbar.

Hätte sich Mr. Ich-habe- gute- Laune über Laura schlau gemacht, dann wüsste er sicherlich, dass sie nicht gerne viel Zeit damit verschwendet, unnötig zu quatschen.

Laura beißt sich wütend auf die Lippe, bevor sie seine Hand von ihrem Arm nimmt. Auf unnötigen Körperkontakt kann sie verzichten, zumal seine Flosse lang genug auf ihr geruht hat.

„Stehe mir einfach nicht im Weg!“, rät Laura ihm und wirft ihr braunes, lockiges Haar über ihre linke Schulter.

Ihr Kollege fährt sich mit den Fingern durch seine wilde Mähne. Er seufzt laut auf und könnte an ihr verzweifeln. Paul wollte sie eigentlich gehen lassen.

Doch dann ändert er seine Meinung und versucht es erneut: „Das mit Christian tut mir schrecklich Leid.“

Laura lässt sich genervt von der Sitzpolsterung auffangen, um ihren Kopf verzweifelt in den Nacken zu legen. Einen langen Moment starrt sie aus dem Fenster in den strahlend blauen Himmel und wünscht sich, dass sie diesen Namen die nächsten Jahre nie mehr zu Ohren bekommt.

Warum sprechen alle über Christian?

Dieser Name beschwört Erinnerungen herauf, die Laura verdrängen möchte. Am liebsten würde sie diese Erinnerungen packen und in die Kiste zu ihrem Herzen wegsperren. Wenn es nur so einfach wäre.

Schlagartig entscheidet sie sich dafür, Paul aus dem Weg zu gehen, schließlich stochert er in der frischen Wunde herum. Eilig verlässt Laura den Wagen, dabei ignoriert sie seine verzweifelten Rufe. Er bittet sie, auf ihn zu warten. Sein Pech, dass Laura nicht gerade für ihre Geduld bekannt ist. Da er noch nach einigen Unterlagen wühlt, begibt sie sich schon mal zum Tatort.

Kaum entfernt Laura sich vom Wagen, fordert ein frischer Windzug sie zum Spielen auf. Er zerrt an ihren Kleidern, an ihren kirschroten Frühlingsmantel – ein Geschenk ihrer Oma Lucia. Die Frau, die Laura großgezogen hat. Lauras braune Haare bleiben ebenfalls nicht vom Wind verschont. Genervt streicht sie die Strähnen hinter die Ohren. In solchen Momenten verflucht sie es, die Haare immer offen zu tragen. Sie sollte sich wirklich mal angewöhnen ein Haargummi bei sich zu haben.

Abgesehen vor dem qualmenden Trümmerhaufen, der hinter der Absperrung liegt, streichelt der Anblick dieser wundervollen Landschaft ihre Seele. Laura muss nur genau hinhören, die Insekten summen fröhlich und die Vögel zwitschern aus der Ferne. Neben der Straße wachsen einige Mohnblumen und die Schmetterlinge flattern sorglos an ihnen vorbei. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonnenstrahlen können ungehindert auf sie herabscheinen. Ein perfekter Tag für eine Spritztour, wäre da nicht Paul. Vor allem Paul.

Keine zwei Tage sind vergangen, seitdem die Beamtin ihren ehemaligen Arbeitskollegen Christian durch einen Schusswechsel verloren hat. Laura ärgert es, dass sie ihn nicht retten konnte. Es hätte anders ausgehen können, wäre sie doch nur konzentrierter gewesen. Christian war ein guter Kollege. Jemand, auf den sie sich verlassen konnte und nun ist er fort.

Die junge Kriminalkommissarin hatte ihre Kollegen bereits gewarnt, dass sie nicht großartig auf die Sache eingehen möchte. Es reicht Laura schon, dass sie einen neuen Partner an ihrer Seite hat. Ein nerviger Kerl, der mehr über sie in Erfahrung bringen möchte, als ihr lieb ist.

Es gibt nur eine Person, die zu ihr durchdringen kann und das ist ihre geliebte Oma Lucia. Zu ihrer Verteidigung muss Laura aber auch preisgeben, dass Lucia ihr keine andere Wahl lässt. Laura könnte sie mit einem bissigen Hund vergleichen, den man einfach nicht mehr loswird. Das mag sich zwar hart anhören, aber ihre Oma ist kein Unschuldslamm.

Lucia zog Laura groß, da die Mutter keinen Platz für ein Kind in ihrem Leben hatte. Eine Tatsache, die bis heute an der Kommissarin nagt. Es gibt so viele offene Fragen, die sie beschäftigten.

Warum wurde sie verstoßen?

Was war ihrer Mutter wichtiger als das eigene Kind?

Wo mag sie sich gerade befinden?

Denkt sie ab und zu an Laura?

Die Kriminalkommissarin hat kein Verständnis dafür, wenn sich die Eltern vor der Verantwortung drücken und dem Kind den Rücken zukehren. Nicht einmal in ihrem Leben kam ihre Mutter zu Besuch. Ein Lebenszeichen in Form eines Briefes oder Anrufs hätten ihr auch genügt.

Verbittert schlägt Laura die Augen nieder, denn hier wartet schließlich Arbeit auf sie. Ihre dramatische Familiengeschichte ist hier etwas fehl am Platz und siehe da, die ersten Reifenspuren sind entdeckt. Irgendein Fahrzeug hat eine Ölspur auf der Straße zurückgelassen.

An der Absperrung kommt Laura zum Halt, wo der Hungerhaken Jeff sich ihr selbstbewusst in den Weg stellt. Selbst ihr grimmiger Blick kann ihn nicht vertreiben, dabei weiß er doch, dass Laura nur ungern bei der Arbeit gestört werden möchte.

„Sag der Spurensuche, außerhalb der Absperrung befinden sich Öl- und Reifenspuren“, fordert sie ihn auf.

Es folgt von seiner Seite ein Nicken und doch macht ihr Kollege keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen.

„Hör zu, du solltest da nicht rein, Laura. Ich kann mit dem Chef reden und du bekommst einen anderen Fall zugeteilt.“

Jeff ist ganz schön nervös. Wenn bei dem Kerl die Nerven bereits flattern, dann sollte sie sich Sorgen machen.

„Ich komm klar. Mir geht es gut“, lässt sich Laura nicht von der Arbeit abhalten.

Er stellt sich ihr weiterhin entschlossen in den Weg, woraufhin sie die Zähne bleckt.

„Das überschreitet jeden Fall, den du bereits bearbeitest hast“, versichert er ihr.

„Herausforderung angenommen“, äußert sich die Kommissarin amüsiert dazu und ist schneller als er.

Sie huscht durch die Absperrung hindurch, Jeff betrachtet sie verärgert.

„Ich habe dich gewarnt, Laura. Das ist nichts für schwache Nerven“, lauscht sie erzürnt seinen Worten.

Nur weil ihr Partner vor wenigen Tagen verstorben ist, heißt das nicht, dass Laura schon bei einer Katze zurückschreckt. Er unterschätzt Laura. Sie kann mit Christians Verlust sicherlich besser umgehen als jeder Anwesende hier. Sie braucht keinen Welpenschutz.

Ihr Blick wandert zu ihren verstreuten Kollegen, die fleißig tuscheln und sie wieder erkennen. Solange sie Laura nicht direkt nerven, interessiert sie das eher weniger. Schließlich ist sie hier, um diesen Fall aufzuklären und sie braucht Informationen.

Einige Gesprächsfetzen wecken dabei ihre Neugier, anscheinend geht es hier nicht nur um Christian. Ihre Kollegen scheinen von dem Tatort beunruhigt zu sein. Viele sind ganz schön blass und einige wirken kaum ansprechbar. Gesichtsausdrücke, die Laura allzu gut kennt. Ihre Kollegen wirken ratlos und eingeschüchtert. Das passiert dann gerne, wenn einflussreiche Leute ihre Finger im Spiel haben. Mögliche Tatverdächtige bei denen die Wortwahl und der Laut eine wichtige Rolle spielen. Menschen, die mit teuren Anwälten drohen und manipulative Eigenschaften aufweisen.

Laura stoppt gegenüber Caroline, eine Frau mittleren Alters, die für ihren robusten Magen bekannt wird. Mit schockgeweiteten Augen steht Caroline einfach da und wirkt abwesend.

„Geht es dir gut?“, spricht Laura die Frau von der Spurensuche an.

Caroline reagiert jedoch nicht. Sie steht einfach da, wirkt blass. Erst als Lauras Hände auf ihren Schultern liegen, schreckt ihre Kollegin auf.

„Hey. Ich bin es nur“, beruhigt Laura sie. „Du siehst nicht gut aus.“

Caroline braucht einen Moment, um sich zu sammeln. Sie macht ein Gesicht, als plagen sie fürchterliche Kopfschmerzen. Lauras Worte dringen erst einige Augenblicke später zu ihr durch.

„Ja, mir geht es gut“, versichert sie Laura. „Ich war hierauf einfach nicht vorbereitet?“

Die Kriminalkommissarin hebt mit einem amüsierten Ausdruck eine Augenbraue. „Nicht vorbereitet? Du?“

Doch Caroline ist nicht nach Scherzen zu Mute, stattdessen reagiert sie etwas launisch. „Hast du nichts zu tun, Laura?“

2. Kapitel

Rote Kristalle

Hinter den qualmenden Trümmern findet Laura die Rechtsmedizinerin und zu ihrem Bedauern wird sie mit der größten Labertasche auf dem gesamten Planeten bestraft. Jessica kann ohne Punkt und Komma sprechen, wenn sie nicht aufgehalten wird. Als würde sie den Toten nicht genug die Ohren volljammern, müssen auch ihre anderen Kollegen dran glauben.

Heute jedoch wirkt die junge Frau etwas verändert. Die ungewöhnliche Blässe beunruhigt Laura.

Mit einem falschen Lächeln spricht sie Laura an: „Hey, das musst du dir ansehen. Ich verstehe das einfach nicht.“

Läge diese bedrückende Atmosphäre wie eine dichte Rauchwolke nicht in der Luft, könnte Laura diesen Moment vielleicht genießen. Denn für gewöhnlich beginnt Jessica damit, vom Wetter zu schwärmen. Meist steigert sie sich so in belanglose Themen rein, dass Laura bereits ihre nächsten Reiseziele kennt. Jeder Entführer würde diese Schnattergans freiwillig zurückbringen, ihr den Mund zukleben oder im schlimmsten Fall töten. Das kommt ganz allein auf den Entführer an. Auf jeden Fall wäre ein Verbrecher mehr als genug mit ihr bestraft. Einmal saß Laura mit Jessica im Pausenraum fest. Alles nur, weil Laura auf Christian gewartet hatte. Es waren nur fünf Minuten – die längsten Minuten ihres Lebens.

„Was verstehst du nicht?“, hinterfragt die Kommissarin und folgt der jungen Frau zu den Leichen.

Jessica drückt Laura ihren warmen Kaffeebecher in die Hand, den Laura perplex betrachtet. Wie ärgerlich, denn sie liebt Kaffee und sie hätte jetzt wirklich Lust auf einen großen Schluck von dem schwarzen Gebräu.

Ob es auffällt, wenn sie einmal kurz vom Becher nippt?

Jessica muss krank sein, denn sie hält sich bei ihrer Arbeit ganz schön zurück. Laura erkennt sie kaum wieder. Fast kein Ton verlässt Jessicas Lippen und ihre Sätze wirken eher emotionslos, dabei ist sie immer ganz aufgeregt, wenn sie ihre Ergebnisse mitteilen darf. Oft macht sie eher eine Show daraus, weshalb sich Laura schon öfter gefragt hatte, ob sie nicht besser im Showbusiness aufgehoben wäre.

Die Rechtsmedizinerin versichert ihr: „Wir haben schon Fotos gemacht und alles dokumentiert. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, …“

Die junge Frau pausiert, weil sie immer noch nicht glauben kann, was sie hier zu Gesicht bekommen.

„…ich denke nicht, dass du den Fall lange bearbeiten wirst, Laura.“

Jetzt wird Laura neugierig und kann es kaum erwarten einen Blick auf die Leichen zu erhaschen, bevor sie womöglich von einer anderen Behörde abgelöst wird. Jessica hat sich jedoch so platziert, dass ein Blick an der Rechtsmedizinerin vorbei nicht viel offenbart. Eins kann Laura jedoch schon mal mit Gewissheit sagen, auch wenn sie nur die Füße der Leichen gesehen hat, so befindet sich darunter kein Kind. Eine Tatsache, die sie aufatmen lässt.

Endlich dreht sich Jessica um und führt sie zu den vielen männlichen Leichen, woraufhin Laura mit dem Zählen beginnt. Dreizehn stämmige Kerle sind Opfer eines Kugelhagels. Hier ist es ganz schön zur Sache gegangen. An den Autos entdeckt die Kriminalkommissarin Einschlaglöcher und durch ein Fenster erblickt sie sogar zwei weitere Leichen in den Fahrzeugen.

„Hast du die beiden schon im Wagen gesehen?“, spricht die Kommissarin ihre Kollegin an.

Als Laura ihr Gewicht zur Seite verlagert und Anstalten macht, sich dem Auto zu nähern, schnappt Jessica nach ihr. Ihre Hand umklammert Lauras Arm krampfhaft und zerknittert den Stoff des Mantels. Vorwurfsvoll blinzelt Laura ihre Kollegin an, doch das scheint Jessica nicht im Geringsten zu interessieren.

„Ja, habe ich“, versichert sie Laura.

Ihre Hand löst sich zögernd, schließlich kniet die Rechtsmedizinerin vor einer männlichen Leiche.

„Also gut, wen haben wir da?“, lässt sich Laura auf dieses Spiel ein.

Jessica rattert die Standardprozedur hinunter, erst bei der Todesursache wird Laura hellhörig. Diese Männer sind nicht durch einen Schusswechsel gestorben.

Bevor Laura nachhaken kann oder die Sache überprüft, hebt ihre Kollegin die Augenlider eines Toten an. Ein ungewohnter Anblick offenbart sich der Kriminalkommissarin. Sie blickt in rabenschwarze Augen. Etwas, das viele ihrer Kollegen erschrecken lässt. Sie belächelt dies jedoch, denn heutzutage verkleiden sich die Leute gern und solche Kontaktlinsen kennt sie bereits.

Laura zuckt mit den Schultern und wirft ihr folgende Frage entgegen: „Mal an Kontaktlinsen gedacht?“

Und hey, der vierte giftige Blick, den Laura allein heute erntet.

Wie kann Laura ihr nur solch eine Frage stellen?

„Nein, das sind keine Kontaktlinsen. Siehe dir das mal an“, fordert ihre Kollegin sie auf und öffnet die Jacke der männlichen Leiche, sodass Laura endlich das Loch in der Brust zu sehen bekommt.

Die klaffende Wunde sticht ihr sofort ins Auge, das Blut an dem Körper ist bereits verkrustet. Vielleicht sollte sie das schocken, aber in all ihrer Dienstzeit hat sie weitaus Schlimmeres gesehen. Menschen können grausam sein und nicht jeder ihrer Kollegen weiß mit solchen Erfahrungen umzugehen. Laura kennt einige Leute, die wirklich schlimme Fälle nicht gut verkraftet haben. Kollegen, die freiwillig ihren Job gewechselt haben. Etwas, was Laura nicht könnte. Denn das Leben geht weiter und irgendjemand muss sich doch mit so etwas befassen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Beim genaueren Betrachten erkennt Laura: „Das Herz ist weg.“

„Bei allen Leichen“, bestätigt die Rechtsmedizinerin und klingt dabei immer noch etwas eingeschnappt.

Sofort kommt Laura der Gedanke, dass die Herzen auf dem Schwarzmarkt landen. Damit wäre sie wirklich raus, denn das gehört nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich.

Schweren Herzens drückt sie den Kaffeebecher in Jessicas Hand und seufzt: „Schön, ein Fall weniger. Du hast Recht, wir werden bald abgelöst und werden nie erfahren, worum es hier geht.“

Der ganze Weg war umsonst, dabei hatte sie sich so sehr darauf gefreut, im Außendienst auszuhelfen.

Als hat sie die Möglichkeit, diesen Tatort so schnell hinter sich zu lassen. Jessica greift erneut nach ihr und zieht sie an dem Lastkraftwagen vorbei. Hinter dem Giganten hat sich die Ladung über ein gutes Stück der Straße verteilt. Überall, wo Laura hinsieht, liegen unzählige rote Kristalle auf dem Boden. Wie ein Fluss aus roter Glut strahlen diese im Licht der Sonne.

Laura glaubt zu träumen, schließlich sehen sie exakt so aus, wie Lucias Stein und dann auch sind es auch noch so viele.

Daraufhin hallen die Worte ihrer Oma in ihrem Ohr wieder: „Da war dieser Junge, er war einsam. Ich habe ein wenig Zeit mit ihm verbracht, als wäre er mein Enkel. So wie es sein Wunsch war. Oh, Laura, er tat mir so leid. Am Ende erhielt ich ein Geschenk von ihm. Etwas, wonach ich schon so lange gesucht habe. Einen Kristall. Siehst du wie schön er ist? Dieser Kristall ist wirklich wertvoll, aber für mein Vorhaben brauche ich noch weitere hiervon. Du musst mir versprechen, die Augen danach offen zu halten. Drei weitere sollten reichen.“

Dieser Fund verwandelte die strenge Lucia in ein kleines, aufgeregtes Kind.

Oh je!

In was ist ihre Oma da nur verwickelt?

Was hat es mit dem Jungen auf sich?

Wird er für eine böse Machenschaft missbraucht?

Als wäre diese Erkenntnis nicht schlimm genug, trifft sie der nächste Hinweis wie ein Blitzschlag. Rundum der Kristalle stechen unzählige schneeweiße Hände aus dem Boden und versuchen, nach den Kristallen zu greifen. Dieser Anblick erinnert die junge Kriminalkommissarin an einem verzweifelten Versuch, sich aus einem Moor zu erkämpfen. Anders wie in diesem Fall wären die Arme von Moorversinkenden Schlamm übersät. Bei dieser gruseligen Erscheinung fehlt von Schmutz und Wunden sämtliche Spuren, die weißleuchtenden Arme strahlen förmlich vor Glanz.

Vergeblich greifen die Versunkenen durch die vielen roten Steine und können diese nicht mal bewegen. Zuerst geht Laura von einem Hologramm aus, ihre Augen versuchen, die Spuren eines üblen Scherzes auszumachen. Keine Spur von Projektoren oder Kabeln, auch der Blick ihrer Kollegin zeigt ihr, wie ernst die Lage ist.

Fassungslos starrt Laura auf die Szenerie, die sich ihr bietet, nieder. Die junge Kriminalkommissarin muss sich kurz in den Arm kneifen, denn wer weiß, vielleicht träumt sie ja. Enttäuschend muss Laura feststellen, dass sie hellwach ist.

„Siehst du das?“, wendet sie sich schockiert an Jessica.

Wenn dies nur Einbildung ist – ein Problem mit ihrer Psyche, dann ist es ihre Aufgabe heraus zu finden, welche Bedeutung die Hände in ihrem Tagtraum haben.

„Das ist kein Traum, Laura. Das sind in der Tat Hände“, muss die Rechtsmedizinerin sie enttäuschen.

Auf der Stelle muss gehandelt werden, Laura hält bereits Ausschau nach ihren Kollegen.

Doch sie ist mit Jessica allein, also wendet sie sich an die Rechtsmedizinerin: „Wir müssen dieses Gebiet großräumig sperren und herausfinden, welches Gas oder welche Droge diese Halluzinationen heraufbeschwört.“

„Das wurde bereits gecheckt, die Luft ist sauber“, behauptet Jessica.

Laura belächelt diesen Gedanken spöttisch und schüttelt zweifelnd den Kopf.

„Jeder von uns sollte eine Blutprobe abgeben und sich medizinisch durchchecken lassen, wir müssen etwas eingeatmet haben“, bleibt sie dabei.

„Ist gut“, gibt Jessica nach.

Nun braucht Laura dringend Antworten: „Was wisst ihr über diese Kristalle?“

„Absolut nichts, Laura. Aus dem Laborbericht werden wir hoffentlich schlauer.“

Ihre Kollegin blickt sehr besorgt.

„Und diese Hände? Was hat es damit auf sich?“

Könnten es Leichenteile sein, die sie aufgrund ihrer eingeschränkten Wahrnehmung anders betrachten?

„Besser wir halten uns fürs Erste davon fern. Wir haben Steine nach ihnen geworfen, aber sie reagieren nicht.“

Sie wissen also nichts hierüber und allein der Blick ihrer Kollegin zeigt, dass alle nur darauf hoffen, schnellstmöglich abgelöst zu werden.

Laura ist verdammt neugierig und sie möchte wissen, womit sie es hier zu tun hat. Also nähert sie sich den Händen und muss feststellen, dass es um die Kristalle kälter geworden ist.

Für einige Sekunden betrachtet die Kommissarin das Geschehen und muss sich wirklich fragen, ob dort Leute im Boden vergraben sind. Anstatt tatenlos herumzustehen, beginnt Laura mit ihren Händen im Schotterweg zu graben. Dies ist kein leichtes Unterfangen, denn das ganze Geröll ist oft spitz und mit ihren Händen braucht sie zu lange. So absurd ihre Vermutung auch sein mag, möchte sich die Kommissarin nicht geschlagen geben. Also gräbt sie fleißig ihr Loch wie eine Wühlmaus. Konzentriert und entschlossen.

Dabei ruft sie der Rechtsmedizinerin fragend zu: „Willst du weiter dort rumstehen? Ich könnte eine Schaufel oder so gebrauchen.“

Jessica betrachtet sie wie versteinert, was die Kommissarin wirklich erzürnt. Und dann passiert es. Eine der leichenblassen Hände erwischt Lauras Arm und lässt die Kriminalkommissarin zusammenzucken. Lauras Körper versteift sich augenblicklich, mit klopfendem Herzen blickt sie nieder zu der eisigen Hand.

Wem auch immer der Arm gehört, ist unterkühlt. Als hat derjenige in einer Gefriertruhe gelegen. Was in ihren Augen sehr unlogisch ist. Dieser Arm ist einfach zu kalt, ein Toter bringt zwar eine gewisse Kälte mit sich, aber das ist zu viel des Guten. Die eisige Kälte klettert auf Laura über. Zuerst überkommt sie eine fürchterliche Gänsehaut, schließlich sinkt die Temperatur auf ihrer Hand stetig. Es ist, als gefriert selbst das Blut unter ihrer Haut.

Ein stechender Schmerz durchfährt ihren Körper und lähmt sie für einen kurzen Moment, die Schmerzwelle lässt sie kurz zusammenzucken. Hilfesuchend blickt die Kommissarin zu Jessica, doch die Rechtsmedizinerin steht nur mit weitaufgerissenen Augen da. Dabei bekommt Laura sich von der Hand nicht losgelöst und die Kälte wird immer unerträglicher. Sie frisst sich wie eine Made voran durch Lauras Körper und bringt ihr Immunsystem ganz schön durcheinander.

Noch eine Tasse Kaffee?

Ist ja nicht so, als kann Laura Hilfe gebrauchen.

Lucias Enkelin beobachtet verwundert, wie die weiße Hand in den Boden fährt, ohne Spuren zu hinterlassen. Als wäre der Boden nicht fest, sondern zähflüssig wie Teer oder einer Schlammgrube. Wäre dies der Fall, dann müssten sich Spuren beim Versinken zeigen. Wie Geister durch Wände schreiten, versinkt die fremde Hand gerade im Boden. Nun versteht die Kommissarin die Welt nicht mehr, denn das widerspricht all den Naturgesetzen, die sie kennt.

Ihr neuer Partner Paul findet sie und macht wie Jessica große Augen. Nur mit dem Unterschied, dass er sich kurz darauf in Bewegung setzt. Zu Lauras Glück, denn ihr Arm wird von der Hand in die Tiefe gezogen. Und als ihre Fingerspitzen im Erdreich verschwinden zu drohen, rechnet sie schon damit, dieser Zwickmühle nicht mehr zu entkommen.

Paul bekommt sie nicht losgelöst, verzweifelt sieht er sich um. Sein Blick ruht nun ebenfalls auf Jessica.

„Was machst du da? Du musst Hilfe holen! Hol die anderen!“, brüllt er sie an.

Jessica schüttelt sich wach und stürmt endlich los, zurück kommt sie mit Hilfe. Doch ihre Kollegen greifen durch die mysteriöse Hand. Der Gedanke an einen Geist, der sich an Laura festgebissen hat, ist für die Kommissarin gar nicht mehr so abwegig. Es kommt ihr vor, als können sie die geisterhafte Hand nur dann berühren, wenn das Ding möchte, dass man es berührt. Ob die Hand ein Eigenleben hat oder zu irgendeiner Lebensform gehört, lässt sich schwer sagen, sofern diese tief im Erdreich steckt.

Da ihre Kollegen wenig Erfolg haben und an der Aufgabe fast verzweifeln, greifen sie zu einer Methode, die von den Rettungskräften bei Moorversinkenden gewählt wird. Durch Gurte und einem Seil wie bei einer Klettervorrichtung starten ihre Kollegen den ersten Versuch, mit vereinten Kräften Laura aus der Gefahrenlage zu holen. Aber das Tauziehen verlieren sie. Paul gibt sich dennoch nicht geschlagen und befestigt das Ende des Seils an dem nächstbesten Fahrzeug. Mit einem Dienstwagen und durch den Zug des Motors können sie Laura endlich loseisen. Etwas, was die junge Kommissarin gar nicht mehr mitbekommt, schließlich steht sie unter Schock. Ihr Herz dagegen fängt fürchterlich an zu schmerzen. Sie empfindet starke Trauer, als sei ihr Herz gebrochen.

3. Kapitel

Loksbi

Summend trifft der Dartpfeil genau ins Schwarze - Lauras Gesicht. Ihre Fotos hängen überall, an den Wänden, den Möbeln und sogar an der Dartscheibe. Jedes einzelne Foto dient Sebastian als Zielscheibe. So oft und präzise wie heute traf er noch nie so viele der Ziele.

Um seine Zielgenauigkeit nochmals zu unterstreichen, wirft er mit der messerscharfen Spitze vorweg und trifft abermals. Eine wahre Genugtuung. Ein müdes Lächeln huscht ihm über die Lippen.

Diese verdammte Polizistin!

Ein Hausbesuch ist bei ihr schon lange überfällig.

Laura ist ihm ein Dorn im Auge. Eine gerissene Frau, die sich an seinen süßen Hintern festgebissen hat. Wo viele Polizisten an ihm verzweifelt sind, fängt sie gerade erst an Gefallen an der Jagd zu finden. Für gewöhnlich ist Sebastian der Jäger, umso mehr frustriert es ihn, dass er ihretwegen immer wieder die Flucht ergreifen muss.

Eine lange Zeit hat er sogar seinen Spaß mit der Polizistin gehabt, denn sie ist auf seine Fallen reingefallen und hat sich in die Irre führen lassen. Einmal ist sie ihm so nah gekommen - die spannendsten Minuten seines Lebens. Während er eins mit dem Schatten gewesen ist, ist sie im Licht der Lampe stehen geblieben. Sah sich um, er hat sie atmen gehört und ihren Duft nach Zitronenshampoo gerochen. Kein erdrückendes Parfüm, keine Zigarettenrauchnote. Es hätte ihn auch gewundert, wenn sie bei solch einer enormen Ausdauer geraucht hätte.

Ihr Körper ist fit, trainiert und gelenkig wie der eines Gepards. Sie ist schneller als jeder andere Polizist, der Sebastian über dem Weg gelaufen ist. Oft hat er befürchtet, das Rennen zwischen ihnen zu verlieren. Zu Lauras Pech kann sie die Hindernisse nicht so nutzen, wie Sebastian es kann.

Ein freudiger Schauer überfällt dem Verbrecher jedes Mal, wenn sie ihn beim Familiennamen nennt.

„Loksbi“- aus ihrem Mund klingt es wie ein Sieg.

Sebastian hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt, beschäftigt sie rund um die Uhr. Sicherlich hat seine Rivalin alles über ihn in Erfahrung gebracht. Der frühe Tod seiner kranken Mutter, die Zeit im Heim, sein Ausbruch und die lange Liste seiner Verbrechen. Sebastian ist nun ein wichtiger Teil von ihr.

Laura ist dürr wie eine Lauchstange. Kein Wunder. Nur selten lässt ihre Arbeit es zu, mal einen Bissen hinunterzuwürgen. Dann ist sie auch noch so eine, die sich bewusst ernährt und Wert auf gesunde Produkte legt. Das genaue Gegenteil wie von ihm. Aber das macht ihre Beziehung so besonders. Sie unterscheiden sich wie Tag und Nacht und doch sind ihre Schicksale miteinander verflochten. Ein Blick auf den Pizzakarton lässt ihn lächeln.

Wie kann sie nur solch einer schmackhaften Versuchung widerstehen?

Die perfekte Kombination aus Soße, Käse und Teig. Aber diese Person stirbt eher, anstatt nur einen Bissen von der fetttriefenden Pizza zu nehmen.

Wäre ihr Brustumfang nicht so mager, dann wäre sie auch noch sehr hübsch. Doch sie ist flach wie ein Brett. Nichts, womit er in der Kiste landen möchte. Schon so lange plante er, sich seine Verfolgerin zu schnappen und seinen Spaß mit ihr zu haben. Entschlossen schmiedete Sebastian Pläne, wie er sie leiden lässt. Dabei ist er nicht der Typ, der sich stundenlang mit jemand auseinandersetzt, um ihr eine neue Bedeutung von Schmerz zu verleihen. Aber diese Frau ist die große Ausnahme. Seine größte Rivalin.

Der Spaß sollt jetzt enden, so hat Sebastian es geplant. Wäre da nicht diese kleine Blondine mit ihrem Stiefbruder aufgetaucht und hätte ihm diesen blutroten Kristall gezeigt. Verflüssigt bewirkt das hübsche Schmuckstück Wunder.

Noch immer schüttelt er sich bei dem Gedanken und muss sich fragen, ob es nicht ein billiger Trick gewesen ist, als Blondchen ihren Arm in Flammen gesetzt und sich nicht verbrannt hat. Sie kann aufs Kommando brennen und Feuer aus ihren Fingern saugen. Die Flammen formen sich nach ihrem Willen. Wie cool ist das denn.

Ein Griff zur Seite und schon hält er einen alten Comic in seiner Hand. Wie er diese Zeitschriften als kleiner Junge geliebt hat. Anders als seine Spielkameraden haben ihn die Helden nie interessiert. Er hat mehr Interesse an den Bösewichten. Wenn er Blondchens Auftrag akzeptiert, dann kann er selbst zum Schurken werden. Den mächtigsten Schurken, den die Welt gesehen hat. Eine Vorstellung, die ihm den Tag versüßt. Wie wird wohl Laura dreinschauen, wenn sie erkennt, wie machtlos sie dann gegen ihn ist.

Ob auch er mit Feuer arbeiten kann?

Schon eine ganze Weile beschäftigt er sich mit der Frage, welche Art von Macht er durch den Kristall erhalten wird. Er donnert die Zeitschrift auf den Couchtisch und reibt sich freudig die Hände.

Sein Blick bleibt auf einem alten Foto haften, eine glückliche Zeit in Peru. Dort ist er mit seinem alten Kumpel Joe zu sehen. Ein riesiger Kerl mit jadegrünen Augen und einer schokobraunen Haut. Joe ist vieles: ein Schatzjäger, ein Auftragsmörder, ein Bankräuber und kaum zu glauben aber wahr - ab und an spielt er den Bodyguard. Dieser Riese ist der Anführer einer kleinen Gruppe, die unterschiedliche Aufträge annehmen, solange das Geld stimmt. So viele Schießereien haben die beiden Freunde hinter sich, so viele Tempelanlagen, unterirdische Gänge und Einbrüche.

Joes letzte Worte holen ihn immer wieder ein: „Sag mal, spinnst du? Ich habe dir gesagt, lass es! Deinetwegen werden wir immer in Ärger verwickelt! Ich habe genug! Du hast mich als Boss zu akzeptieren! Spar dir deine Worte! Verschwinde von hier und komme nie wieder! Auf so einen Sturkopf kann ich verzichten!“

Noch nie war sein Freund so aufgebracht. Es hat ihm nicht gepasst, dass Sebastian sich den Mund nicht verbieten lässt. Aber Lauras Rivale ist nicht der Typ, der einfach Befehle ausführt und schweigt. Jeder darf sich auf seine Meinung freuen, ob er möchte oder nicht. Selbst Joe, der über den Streit anscheinend hin weg ist und Sebastian wieder im Team haben möchte. Nur dank Joe ist die kleine Blondine zu ihm gekommen, ein Teenager mit einem reichen Vater.

Worum es in dem Auftrag geht, ist ihm noch nicht bekannt. Die Verhandlungen sind von Laura unterbrochen worden. Den Preis hat dieses grimmige Biest von Polizistin bereits bezahlt. Es war mehr ein Unfall, denn ihr Partner ist ihm genau in die Schussbahn gelaufen. Sicherlich hat er diesem Typen einen Gefallen getan und ihn von Laura erlöst. Denn mal ehrlich, wer erträgt freiwillig so einen Griesgram, wie sie es ist? Diese Frau stirbt sicherlich allein, weil keiner es mit ihr aushält. Hätte Sebastian nicht seine Pläne mit ihr - aber zuerst muss er diese reiche Göre kontaktieren.

4. Kapitel

Der Krankenhausbesuch

Ein nerviges Piepsen reißt Laura aus ihrem Schönheitsschlaf. Müde blinzelt die junge Kriminalkommissarin ein paar Mal, bis zu dem Moment, als ihr bewusst wird, was neben ihr steht. Ihr körperlicher Zustand wird von einer Maschine überwacht, es riecht stark nach einem Krankenhaus. Ein unverwechselbarer Geruch nach Desinfektionsmitteln und Sterilität, der im ganzen Haus wahrgenommen wird.

Plötzlich suchen die Erinnerungsblitze Laura heim, vor ihrem inneren Auge durchläuft sie einzelne Szenen von der Unfallstelle. Als das Bild gefriert, lässt der Anblick der Tatortleichen mit den fehlenden Herzen ihren Puls in die Höhe schnellen. Organhandel und Schwarzmarkt sind die beiden Begriffe, die ihr sofort durch den Kopf schießen und Panik hinterlassen. Sie kann nur hoffen, dass sie in einem örtlichen Krankenhaus liegt, das sich an die Gesetze hält. Wenn sie hat Pech und befindet sich in irgendeiner illegalen Praxis, die sie als Versuchskaninchen missbraucht oder ihre Organe auf dem Schwarzmarkt verkauft.

Bei dem Versuch, sich aufzusetzen, macht Lauras Körper ihr einen Strich durch die Rechnung, denn er reagiert einfach nicht. Es ist, als stecke sie in einem Sack Reis fest. Nein schlimmer noch. Denn sie ist der Sack Reis.

Laura hat kein Gefühl in den Beinen und für einen Moment gerät sie in Panik. Allein die Vorstellung, nie wieder laufen zu können, bereitet ihr Sorge. Ein Leben im Rollstuhl ist einfach undenkbar für sie. Sie braucht ihre morgendlichen Fitnessübungen so sehr wie ihren geliebten Kaffee. Ihr Herz hämmert gegen den Brustkorb. Die Angst um ihre Beine schnürt ihr die Atemwege zu.

Mit weit aufgerissenen Augen blickt sie hinunter auf die blütenweiße Bettdecke, die ihre Beine versteckt hält. Es dauert zwar etwas, aber sie beruhigt sich von ganz allein.

Wieso soll sie jetzt Panik schieben, wenn sie doch nichts Genaueres weiß?

Das muss sie sich immer und immer wieder einreden.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

Ja genau, sie wird wieder Laufen!

Alles andere akzeptiert sie einfach nicht.

Mal sehen, was die Ärzte ihr zu sagen haben, bevor Laura einige Horrorszenarien in ihrem Kopf ausmalt. Wie die Kommissarin feststellen muss, befindet sie sich in einem Einzelzimmer. Dafür ist sie auch wirklich dankbar. Allein die Vorstellung, sie muss das Zimmer mit der nächsten Labertasche teilen und sie kann nicht mal weglaufen, ruft in ihr das Grauen hervor.

Warum muss sie gerade an Jessica denken?

Sie erwischt sich bei einem Lächeln, das sie sich schnell aus dem Gesicht wischt.

Ihr Erwachen wird von der Elektronik angekündigt. Es dauert keine paar Minuten und zwei Krankenschwestern sehen schließlich nach ihr. All der Wirbel um ihr Erwachen. Die Ärzte gehen nicht davon aus, dass sie im Rollstuhl landet.

Ein Glück!

Laura soll sich fürs Erste gedulden und zur Ruhe kommen.

Ruhe?

Hört sich gut an, bei all dem Tumult um sie herum.

Laura kann es kaum erwarten, bis ihre Oma sie besuchen kommt. Denn ihre Enkelin ist sich sicher, Lucia weiß so einiges über diese Kristalle. Sie genießt ein wenig später die Ruhe, bevor der Sturm folgt.

Einige Stunden später kommt auch schon Lucia zu Besuch. Ihre Oma trägt einen stilvollen Rucksack bei sich, das Gepäckstück schimmert in einem silberfarbenen Ton und ist kunstvoll bestickt. Von der Größe her meint Laura fast, ihre Oma hat vor auf Reisen zu gehen oder einen Ausflug in Betracht zu ziehen. Lucias schneeweißes Haar ist streng zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr perlweißer Frühlingsmantel ist dem von Lauras gar nicht so unähnlich, mal abgesehen von den unterschiedlichen Farben. Eine pechschwarze Leggins und ebenso schwarze Ballerinas runden das Outfit ab. Lucias Augen erinnern ihre Enkelin an einen wolkenlosen Himmel. Ihre Oma sieht für ihr Alter noch sehr fit und jung aus. Immer wieder wird sie für Lauras Mutter gehalten, dabei hat Lucia nichts mit irgendwelchen Schönheitsoperationen am Hut.

Ihre Oma wirkt sehr besorgt, anscheinend hat man ihr nur das Nötigste über Lauras Zusammenbruch erzählt.

Also versucht sie, durch ihre Enkelin an mehr Informationen zu gelangen: „Laura-Schatz, man sagte mir, du hättest einen Arbeitsunfall. Doch genauere Details durften sie mir nicht nennen. Was ist passiert?“

Laura schweigt zuerst, aber nur, um ihre Wut zu unterdrücken. Immerhin waren am Tatort exakt die roten Kristalle, die Lucia sucht. Etwas, was nach viel Ärger riecht. Laura hat genug Zeit damit verbracht, um sich Gedanken darüber zu machen und wer weiß, vielleicht handelt es sich hier um eine Droge, die Halluzinationen hervorruft.

Vielleicht wird die Wirkung über die Luft übertragen und es ist nicht auszuschließen, dass diese aus den Kristallen gewonnen wird. Laura vermutet, dass der Kristall dafür pulverisiert werden muss.

Ihre Oma will sich doch nicht etwa Geld in der Drogenszene verdienen?

Das alles klingt logischer, als plötzlich an solche Geisterhände zu glauben.

Laura weiß noch gar nicht, wie sie beginnen soll und der Gedanke, ihre Oma findet Gefallen an solche dunkle Machenschaften, macht sie sie rasend vor Wut. Misstrauisch beobachtet die Kommissarin, wie Lucia den Rucksack abnimmt und diesen auf einen kleinen Tisch stellt.

Laura entscheidet sich nun, mit einer Gegenfrage zu starten: „Oma, sind diese Kristalle gefährlich?“

Lucia sieht sie überwältigt an, das Thema scheint sie deutlich zu verwundern.

Nervös antwortet sie ihrer Enkelin: „Du meinst, sie wären giftig? Nein, nicht das ich davon wüsste.“

Laura muss sich wirklich fragen, ob dies ein schlechter Scherz sein soll. Denn das, was sie erlebt hat, kann man nicht als gesund bezeichnen. Aber wenn ihre Oma ihr etwas vormachen möchte, dann will Laura das Spiel mitspielen. Lucias Nervosität ist schließlich kein gutes Zeichen.

„Das was ich sah, kann man nur glauben, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat. Sind diese Kristalle verflucht?“

Laura verzieht das Gesicht und ärgert sich, jemals so etwas Lächerliches gefragt zu haben.

Lucia schweigt zuerst, woraufhin Laura ihre Augen öffnet und den besorgten Blick ihrer Oma wahrnimmt. Eigentlich sollte die Kommissarin erleichtert ausatmen können, denn anscheinend glaubt ihre Oma an Flüche. Etwas, was Laura beim besten Willen nicht verstehen kann und doch wirkt die Antwort beruhigender, als dass Lucia diesen Kristall als Droge anerkennt.

Lucia wird unruhig und knetet nervös ihre Hände.

Sie will es jedoch genauer wissen: „Was hast du gesehen, Laura?“

Ihre Enkelin erkennt: „Also ja. Diese Dinger sind gefährlich oder?“

Lucia schüttelt ihren Kopf und weiß nicht ganz, wie sie sich erklären soll: „Nein, ich bin einer der Wenigen, die weiß, was man wirklich mit diesen Kristallen anfangen kann.“

„Ach ja, ist das so? Wie kommst du darauf?“

Laura hat genug Kraft, um sich aufzusetzen. Sie will und kann einfach nicht mehr liegen. Denn solch eine Aussage macht ihre Oma wieder zu einer Verdächtigen.

Lucia schüttelt verzweifelt ihren Kopf und weiß: „Du würdest mir nicht glauben.“

So einfach lässt sich Laura nicht abschütteln.

„Du weißt schon, dass es mein Job ist, andere vor Schaden zu bewahren. Ich kann deine Aussage nicht einfach ignorieren, ich fürchte um die Konsequenzen. Lass mich dich bitte verstehen und sag, was hast du wirklich mit diesen Kristallen vor? …“

Da ihre Oma weiterhin schweigt und den Blickkontakt meidet, seufzt ihre Enkelin verzweifelt.

„…Lass es bitte nicht dazu kommen. Zwinge mich nicht, dich wegzusperren.“

Entsetzt blickt Lucia auf und ist zuerst fassungslos.

Zögernd gibt sie schließlich preis: „Ich will ein Portal öffnen.“

Perplex blinzelt Laura ihre Oma an, anscheinend muss Laura ihre Ohren waschen. Lucia hat doch jetzt nicht wirklich ein Portal erwähnt oder?

„Wofür sind die Kristalle gut?“, braucht sie Gewissheit.

„Für ein Portal“, antwortet Lucia ihr im ruhigen Ton.

„Für ein …ein …“

Sie mag es nicht mal aussprechen, denn noch immer glaubt sie, sich einfach verhört zu haben.

„…ich verstehe, du sprichst von einer Gute-Nacht-Medizin“, das klingt logischer für Laura.

Wie bei schlechten Träumen, kann der Kristall helfen, die Wurzel allen Übels zu finden und zu vertreiben.

„Ein Portal, Laura“, fängt ihre Oma schon wieder damit an.

„Ein was?“

Das will nicht in Lauras Kopf.

„Mensch, Laura! Ein PORTAL!“, am Ende erhebt Lucia ihre Stimme.

„Ein Portal? Wofür?“, wiederholt Laura verwundert und nun befürchtet sie, dass Lucia ebenfalls etwas von dem Zeug eingeatmet haben muss.

„Du musst wissen, dass deine Mutter in einer anderen Welt lebt. Einer Welt hinter diesem Portal. Vor unserer Abreise war dies mal ein wirklich schöner Ort. Zu meinem Bedauern muss ich jedoch sagen, dass dieses Reich einfach nicht mehr sicher ist und man dieses aufgrund der akuten Gefahr besser aufgeben sollte. …“

Ihre Oma glaubt doch nicht wirklich, dass Laura diese Geschichte überzeugt. Es schmerzt Laura ja schon in den Ohren, weiterzuzuhören.

„…Trotz der Gefahren, weiß ich bereits, dass es dort Überlebende gibt. Mit diesem Kristall kann ich einige Leute kontaktieren und ich habe mir bereits einige Geschichten von ihnen angehört. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als man mir sagte, dass deine Mutter wirklich gut mit der gefährlichen Lage zurechtkommt. Allein, um meine Tochter zu retten, bin ich fest entschlossen, das Portal zu aktivieren und die Überlebenden zu retten.“

Lucia weiß anscheinend selbst, wie verrückt das klingt und dass Laura noch nicht bereit für die Wahrheit ist. Denn am Ende wird ihre Stimme deutlich leiser.

Lauras versichert ihr erzürnt: „Ich verstehe, du verarbeitest Mutters Verlust durch solch eine Droge. Aber das alles ist nicht real, es sind nur Halluzinationen. Es gibt einen besseren Weg, mit so etwas umzugehen, als durch Drogen.“

„Laura, du musst wissen, meine Heimat wurde schon vor Ewigkeiten von einigen Menschen betreten. Dieses Volk tut sich mit Veränderungen schwer. Nicht jeder ist für neue Entdeckungen aufgeschlossen und so kam es, dass die Reise durch das Portal überwacht wurde. Nur wenige Menschen durften unsere Welt besuchen, wir hingegen hatten keinen Zutritt auf die Erde. Ein magisches Geschöpft verursacht Ärger und wird gejagt. Um den Schutzzauber zu umgehen, haben Saskia und ich einiges durchgemacht. …“

Beabsichtigt pausiert sie, als der Name ihrer Tochter fällt. Wie sehr Laura diesen Namen verabscheut. Der Name ihrer Mutter bringt ihr Blut zum Kochen.

„…Ich konnte mit dir fliehen, deine Mutter jedoch wollte in dieser Hölle bleiben. Freiwillig an der Seite eines guten Freundes“, berichtet Lucia ihr.

Sieht Laura etwa aus, als stecke sie im Körper eines Kindes?

Einem leichtgläubigen Kind, dem man schonend mit irgendwelchen Märchen beibringen will, warum es ohne Eltern aufwächst.

„Raus! Ich habe genug gehört!“, ruft Laura aufgebracht. „Komm erst wieder, wenn du mit deinen Geschichten abgeschlossen hast!“

Ganz recht!

Laura ist felsenfest davon überzeugt, dass es sich hier nur um Geschichten handelt. Eine Geschichte aufgebaut auf dem Fundament von Verlust, Schmerz und Einsamkeit.

Lucia erhebt sich traurig und hofft dennoch auf Antworten: „Laura, bitte erzähl mir von deinem Unfall.“

Diese Chance hat ihre Oma bereits vermasselt, denn Laura ist nicht mehr gewillt, ihr von diesem schrecklichen Tag zu erzählen.

Sie schlägt stattdessen vor: „Geh lieber!“

Lucia kehrt ihr stirnrunzelnd den Rücken zu, als plötzlich diese verzerrte, tiefe Stimme an Lauras Ohr dringt. Überrascht hält Laura Ausschau nach einer weiteren Person. Wohin sie auch blickt, die Kommissarin wird nicht fündig. Ihre Oma hingegen dreht sich verwundert zu Laura. Ein kurzer Blickkontakt und schon nähert sie sich ihrer Enkelin. Ihre bleiche Hand taucht in Lauras Haar ein und bevor Laura fragen kann, was diese Aktion soll, fischt Lucia etwas heraus. Einen roten Kristall vom Tatort. Der Kristall muss sich in ihren Haaren verfangen haben.

Die verzerrte Stimme meldet sich erneut. Die Geräuschquelle klingt nah. Beunruhigend nah.

Lucia vergisst für einen Moment ihre Enkelin und äußert sich dazu: „Sie ist noch nicht so weit, ihr selbst habt das Gespräch verfolgen können. Das Öffnen des Portals hat Vorrang.“

Nun sind es drei verzerrte Stimmen, die zu Lucia sprechen.

Selbst für Laura ist das ganz schön beunruhigend und nun muss sie sich erneut fragen, ob sie einfach nur schlecht träumt. Wieder testet sie sich mit einem kurzen Kneifen.

Wird sie etwa verrückt oder geschieht das alles wirklich?

Am Träumen ist sie schon mal nicht.

Also sucht sie Rat bei Lucia: „Oma? Was soll das hier? Wer spricht zu dir?“

Lucia versinkt für einen kurzen Moment in Gedanken. Laura verfolgt, wie die hagere Gestalt ihrer Oma durch den hellen Raum wandert, um am Fenster zu stoppen. Erst jetzt nimmt Laura das Trommeln wahr, der Regen prasselt gegen die Fensterscheibe. Es schüttet aus Eimern.

Lucia überrascht ihre Enkelin mit einem Angebot: „Du willst also verstehen, was hier vor sich geht, Laura? …“

Sie erwartet keine Antwort und führt ihren Satz weiter fort.

„…Also gut. Nachdem du das Krankenhaus verlassen darfst, komme mich besuchen. Ich habe bereits schon lange vor, dir ein Familienerbstück zu überreichen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich kann dir jedoch versichern, dass es sich hier um keine Droge handelt. Du hast keine Halluzinationen, aber ich verstehe, dass dies deine logischste Vermutung ist.“

Laura kommt nun auf etwas anderes zurück: „Oma, gib mir den Kristall wieder zurück, der gehört dir nicht! Der gehört zum Tatort.“

5. Kapitel

Die Finsternis

Ein flüchtiger Sonnenstrahl verliert sich mittig des blutroten Kristalls und durchleuchtet den winzigen Glasbehälter. Ein zauberhafter Anblick, den Sebastian nur kurz in den Bann zieht. Die Schönheit des kleinen Steins ergreift von ihm Besitz. Es ist, als spreche das Schmuckstück zu ihm.

Es widerstrebt ihm, dem blondhaarigen Mädchen den kleinen Schatz wiederzugegeben. Aber die Zeit liegt dem Verbrecher im Rücken.

Laura hat ihn nicht mal vor einer Woche aufgespürt und ist mit einem Kommando angerückt. Es grenzt an einem Wunder, der Antiterroreinheit entkommen zu sein. Dank der verfluchten Polizistin ist sein Kontaktmann draufgegangen. Die Kneipe ist beschlagnahmt und die meisten Verbrecher dort sind tot. Alles nur, weil das dreckige Gesindel an Kneipenbesuchern Panik bekommen hat, als die bewaffneten Männer den Laden stürmten.

Die Flucht hat geglückt, das Fenster zu seiner Rechten hat sich sofort angeboten. Leider kennt Laura ihn zu gut. Noch während Loksbi aus dem Fenster geklettert ist, hat sie ihn geschnappt und mit Wucht gegen die Hauswand gedonnert. Diese Kopfschmerzen wird er nicht so schnell vergessen. Laura ist eine Nahkampfmaschine. Hinter ihren Schlägen und Tritten steckt solch eine Kraft. Nur hat ein Bär keine Chance gegen eine Schlange. Im Ausweichen war er schon immer gut. Nach dem er die Kneipe verlassen hatte, tänzelte Loksbi an Laura vorbei und schaffte es, zu entkommen. Wie sie ihn gefunden hat, ist Sebastian jedoch ein Rätsel.

„Tu dir nicht weh beim Denken“, wird Sebastian aus seiner Erinnerung zurück ins Hier und Jetzt geholt.

Mit seinen haselnussbraunen Augen verfolgt Loksbi seinen Kumpel Joe, der ihm eine Flasche Wasser auf den Sofatisch stellt.

Kurz nachdem er den verflüssigten Kristall gespritzt bekommen hat, setzte der Schwindel und die Schmerzen ein. Der rote Saft haut ihn ganz schön um. Eigentlich soll er ärztlich überwacht werden, doch Loksbi hasst Ärzte. Damit verbindet er nur die letzten Wochen seiner sterbenskranken Mutter, die das Zeitliche im Krankenhaus gefunden hat. Wie immer hat er seinen Dickschädel durchgesetzt und befindet sich nun eine Weile im Pausenraum und in seiner Hand ein weiterer Kristall. Ein Erinnerungsstück an das, was nun in seinem Blutkreislauf steckt.

Die schwarze Ledercouch ist gemütlicher, als sie aussieht. Endlich mal eine Liegefläche, worauf er keine Rückenschmerzen verspürt. Joe nähert sich ihm verdächtigt, woraufhin Sebastian genervt aufblickt und den Kristall in seiner Hosentasche verschwinden lässt.

„Bitte sag mir jetzt nicht, dass du deinen fetten Hintern auf die Couch befördern möchtest!“, brummt er wie ein Bär, dem man von seinem perfekten Platz für einen Winterschlaf vertreiben möchte.

„Na los, Kumpel, rutsch rüber“, fordert Joe ihn auf.

Dieser Kerl hat wirklich ein Talent, Sebastian auf die Nerven zu gehen. Nicht weit von ihnen stehen Stühle an einem kleinen Tisch, dort hätte Joe genügend Platz. Augenrollend setzt sich Loksbi widerwillig auf, bevor Joe sich noch auf ihn setzt. Schließlich haftet sein Blick auf die Flasche Wasser.

„Ich hoffe, die ist für dich, Spinner! Komm mir nicht mit Kranwasser an!“

Joe schnappt sich den Aschenbecher und zieht ihn näher zu sich hin, bevor er seine Schachtel Zigaretten herausholt.

„Entschuldige, Prinzesschen. Warte kurz, ich bereite dir einen schöne, dampfende Tasse englischen Tee zu“, reagiert der Grünäugige mit Sarkasmus.

„Habt ihr keine Limo oder so hier?“, fragt Sebastian genervt nach und hält bereits Ausschau.

Der Kühlschrank ist bereits entdeckt und noch während Sebastian sich erhebt, reißt ihn sein Kumpel zurück auf die Couch.

„Lass deine Finger bei dir!“, warnt Joe ihn.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Joe!“

Sieh an, Sebastian hat sich getäuscht. Sein alter Freund ist immer noch etwas sauer wegen dem vergangenen Streit damals.

Sein Kumpel pustet ihm den Zigarettenrauch beabsichtig ins Gesicht, womit er einen eisigen Blick erntet. Nun fordert Joe sein Glück ganz schön heraus. Sebastian ist kurz davor, seine Waffe zu ziehen.

„Bist ja nicht mehr so blass wie vorhin, Prinzesschen...“

„Würdest du bitte aufhören, mich Prinzesschen zu nennen!“, unterbricht Sebastian ihn warnend.

„...dann sei nicht so wählerisch. Weißt du, nicht jeder hat das Zeug verkraftet. Ich selbst bin mit so einem Kristall ausgestattet und auch mich hat es ganz schön umgehauen...“

Schwer vorstellbar, Joe steckt einiges weg. Dann muss der Kristall ja schon eine Wirkung haben wie das Betäubungsmittel für Elefanten.

„...Hör zu, ich habe dich vorgeschlagen, bevor sich dieses Monster zeigte. Nein, unterbreche mich jetzt nicht, Kumpel. Hör einfach zu, denn du sollst wissen, dass es da ein Mädchen gibt, die von den Kristallen wusste. Von ihr wusste Sophie, wo das Zeug abgebaut werden muss. ...“

Sophie, das kleine Blondchen. Ein hübsches, junges Mädchen, das viel Wert auf ihr Äußeres legt und der Geldhahn in dem ganzen Spiel ist. Dennoch ist es kaum auszuhalten, was Joe da von sich gibt. Sein Kollege sollte doch wissen, dass ihn die Hintergründe nicht interessieren und ihm viele Details Kopfschmerzen bereiten.

„Mann, Joe. Ist gut, halte einfach die Klappe! Ich bin dabei! Du hast mir bereits einen Keks an die Wange gelabbert! Ist das die Rache für damals?“

Wütend erhebt sich Joe und nimmt Abstand von der Couch.

„...Du verstehst mal wieder gar nichts, dieses Mädchen ist gefährlich! Aber gut, ich habe es versucht. Dann fall doch mal wieder auf die Fresse! Ich kratze dich diesmal nicht vom Boden!“

„Ich bin dabei, was willst du mehr?“, kommt Sebastian ihn so.

„Dieser Job ist anders! Diese kleine Göre ist gefährlich und wird mit dem Zeug die Welt verändern! Ich bin in diesem Fall nicht dein Boss, denn wir tanzen alle nach der Nase von dieser Göre!“

„Göre, ja? Ich dachte, du magst das Blondchen“, spottet Sebastian über das gute Verhältnis zwischen Joe und Sophie.

Auch wenn Loksbi seinen Kumpel nicht für pädophil hält, ist diese seltsame Art, wie die beiden sich zur Begrüßung in die Arme gefallen sind, erschreckend. Diese Herzenswärme und Vertrautheit zwischen ihnen war ja schon fast widerlich.

„Ich rede hier nicht von Sophie!“, ärgert sich Joe und ballt seine rechte Hand zur Faust. Seine Muskeln versteifen sich und sein Arm fängt vor Zorn an zu zittern. „Du und dein verfluchtes Erbsenhirn! Weißt du was? Vergiss es! Vergiss es einfach! Statt dieses sinnlose Gespräch zu führen, könntest du mal lieber ein paar Kunststücken vorführen!“

Diese verfluchte Nervensäge von Joe. Sebastians Halsschlagader tritt bereits hervor und pulsiert bedrohlich.

„Du möchtest Unterhaltung, Joe? Ich kann dich unterhalten!“

Mit Wut im Bauch erhebt sich Loksbi, das Flackern der Lichter entgeht ihm zwar nicht, aber es stellt für ihn einfach keine Bedrohung dar. Kann ja sein, dass die Glühbirne so langsam den Geist aufgibt. Sein Kumpel hingegen sieht sich stirnrunzelnd um, schließlich fällt das Licht von jetzt auf gleich aus.

Es mag stockfinster sein und doch erkennt Sebastian seine Umgebung immer noch so gut wie bei Tag. Selbst Joes Gestalt bleibt dem Verbrecher nicht verborgen. Sein Kumpel holt sein Handy hervor und tätigt einen Anruf mit einem seiner Leute. Denn der grünäugige Schatzjäger geht ebenfalls von einem Stromausfall aus. Keiner von ihnen glaubt, dass es an etwas anderem liegt.

Sebastian nutzt den Moment, um sich mit einem Spaziergang die Beine zu vertreten, er verlässt wortlos den Pausenraum und marschiert entschlossen durch den endlos wirkenden Flur dieser verdammten Lagerhalle.

Joe hat sich einige Kilometer von der Stadt in dieser verlassenen Lagerhalle einquartiert. Hier werden die roten Steine gebunkert und für den Handel auf dem Schwarzmarkt vorbereitet. Sebastian bezweifelt, dass das Auswahlverfahren der richtigen Käufer für diese machtvolle Quelle sorgfältig bedacht wird. Würde es nach ihm gehen, hätte er dieses Wundermittel gar nicht erst verkauft. Leider hat er in dem Punkt nicht viel Entscheidungskraft und Loksbi möchte sich auch gar nicht beschweren, schließlich ist er nun mit diesem funkelnden Edelstein ausgerüstet und wartet sehnlichst auf das Ergebnis.

Misstrauisch stoppt er, als die Lichtquelle neben ihm ebenfalls den Geist aufgibt. Die Dunkelheit rollt über ihn hinweg und beschlagnahmt ein Stück des Flures, bis zum Lichtkegel der nächsten Lampe. Neugierig schreitet er genau auf diese zu und nun beobachtet Sebastian mit eigenen Augen, wie die Lichtquelle durch seine bloße Anwesenheit ausgelöscht wird. Das Leuchten in der Lampe schwindet und zurückbleibt mehr Dunkelheit.

Beeindruckt dreht sich Sebastian zu Joe um, der fluchend mit einer Taschenlampe zu ihm kommt.

„Ich glaube, irgendjemand dreht uns den Saft ab!“, ärgert sich sein Kumpel.

Neugierig streckt Sebastian seine Hand zur Leuchte und beobachtet begeistert, wie die Dunkelheit zu Leben erwacht und Joe die Taschenlampe aus den Fingern reißt.

„Hey!“, meldet sich sein Kumpel erschrocken.

Die Lampe wirbelt allein durch Sebastians Willen durch die Finsternis, bis eine schwarze Kralle entsteht und diese zerdrückt. Das zerbrochene Glas rieselt herunter, während der Rest von der schwarzen Hand verschlungen wird und im Nirgendwo landet.

6. Kapitel

Der Einbruch

Wild und ungebändigt hämmert Lauras Herz gegen den Brustkorb. Schnell tastet ihre Hand nach ihrer Waffe, dabei ignoriert die Kommissarin die Tasche, die ihr von der Schulter gleitet und auf dem Boden landet.

Laura verflucht den Moment der Schwäche. Denn auch wenn das Gefühl in ihren Beinen zurückgekehrt ist, hätte sich der Einbrecher keinen geeigneteren Zeitpunkt raussuchen können. Noch ist Laura angeschlagen. Fünf Tage hat sie auf Station gelegen und heute ist sie endlich entlassen worden. Die Kommissarin ist so dankbar, dass sie nicht im Rollstuhl gelandet ist und nur etwas Ruhe braucht.

In ihrem vertrauten Heim hingegen erwartet sie diese böse Überraschung. Ihre Tür ist nicht abgeschlossen. Etwas, was Laura niemals vergessen würde.

Wirklich niemals!

Egal, wie eilig sie es hat. Und nun hat sich jemand Zutritt in ihre Wohnung verschafft. Entweder befindet sich der Einbrecher noch vor Ort oder er ist bereits fort.

Auch wenn Laura angeschlagen ist, hat sich der Übeltäter die Falsche ausgesucht. So oder so, Laura wird den Einbruch nicht auf sich ruhen lassen. Sie stellt sich mental auf sämtliche Szenarien ein. Es würde sie nicht wundern, wenn die Kriminalkommissarin in ein vertrautes Gesicht blickt.

Laura hat bislang mit einigen üblen Kriminellen zu tun gehabt. Vielleicht ist es ratsam, Verstärkung zu rufen. Aber damit lässt sie nur unnötig Zeit verstreichen.

Zumal, was denken ihre Kollegen, wenn sie ihren jetzigen Zustand zu sehen bekommen?

Schwach und kränklich sind die ersten Worte, die in Lauras Kopf schwirren.

Noch leckt Lucias Enkelin wie ein verwundetes Tier ihre Wunden. Die Kraft in ihren Beinen ist noch nicht vollständig zurück. Ihr angeschlagener Zustand könnte für Mitleid, für Gelächter und dumme Sprüche sorgen. Sofort ist die Sache für Laura klar. Wer auch immer in ihrer Wohnung steckt, wird sich allein mit ihr rumschlagen müssen. Laura möchte ihren Stolz bewahren, sie kann es nicht leisten, Schwäche auf dem Revier zu zeigen.

Ein Anflug von Freude macht sich in ihr breit, hoffentlich befindet sich der Mann dort, den sie bereits so lange hinterherjagt. Der Verbrecher, der ihr keine Ruhe verschafft und den sie unbedingt für seine Taten zur Rechenschaft ziehen möchte. Selbst in ihrem jetzigen Zustand würde sie ihn bis ans Ende der Welt jagen.

Nach einem tiefen Atemzug tritt Laura in die bereits offene Wohnung ein. In gebückter Haltung rückt sie vor und sichert Raum für Raum. Ihr Zuhause findet Laura jedoch in dem Zustand vor, wie sie es zuletzt verlassen hat. Keine Verwüstung und keine Anzeichen für einen Einbruch. Alles steht an dem Platz, wo es hingehört. Laura arbeitet selbst von Zuhause. Ganz stolz ist sie auf die riesige Stadtkarte in ihrem Flur. Eine Karte umgeben von vielen Zeitungsartikeln und markierter Stellen. Oft steht sie davor mit einer Tasse Kaffee, wenn sie in ihren Ermittlungen nicht vorankommt.

Kritisch beäugt sie ihr Meisterwerk und sucht nach Veränderungen an dem Stadtplan. Der Einbrecher kann von Glück sprechen, dass er die hier nicht angerührt hat. Sonst hätte sie ihn persönlich hierher geschleppt und zur Arbeit verdonnert.

Plötzlich geben ihre Beine nach, sie droht zu stürzen. Gerade rechtzeitig fängt Laura den Fall mit einer Hand ab und blickt auf ihre zitternden Beine.

Ausgerechnet jetzt!

In ihrem Kopf malt sie sich bereits aus, wie der Einbrecher auf sie herabblickt und ihren Schwächeanfall belächelt.

Besorgt hält Laura Ausschau nach einem Angriff. Einer hervorblitzenden Klinge oder ein Geschoss, das sie jeden Moment ausschalten könnte. Das Adrenalin schießt durch ihren Körper, während sich Laura erhebt und für einen möglichen Kampf wappnet. Etwas enttäuscht lauscht sie der Stille. Anscheinend ist der Einbrecher über alle Berge.

Eine kurze Meldung auf dem Revier könnte nicht schaden. Laura wollte gerade ihr Handy hervorholen, da nimmt sie Schritte in der Küche wahr. Eilig versteckt sie sich hinter einer Wand, lauscht für einen Moment der Stille. Schritt für Schritt nähert sich die Kriminalkommissarin ihrer kleinen Küchenoase. Laura kann für den Einbrecher nur hoffen, dass er die Finger von ihrem guten Kaffee gelassen hat. Plötzlich kommt es ihr in den Sinn, wie dämlich sich das anhören muss.

Wie lächerlich!

Ein Einbrecher, der es auf ihre Kaffeebohnen abgesehen hat. Da sieht sie mal wieder, welche Bedeutung der Wachmacher für sie hat.

Mahnend erinnert sie sich an das Hier und Jetzt. Laura muss sich fokussieren, denn sie kann sich gerade in ihrer Lage keine Fehler erlauben. Jemand befindet sich in ihrer Wohnung und könnte ihr feindlich gesinnt sein. Nach ihrem Leben trachten. Sie muss schneller sein, den unerlaubten Besucher zu überraschen und in den Schwitzkasten zu nehmen. Also biegt Laura um die Ecke und macht den Einbrecher schnell ausfindig, eine Gestalt sitzt an ihrem Tisch. Entspannt und erwartungsvoll sitzt ihr Einbrecher dort. Der Moment der Überraschung wird Laura nicht gegönnt, sie ist aufgeflogen. Der ungebetene Gast ist aufmerksam. Hat Ohren wie ein Luchs und eine Kälte im Blick, die Lauras Blut in den Adern gefrieren lässt.

Während ihre Waffe den Einbrecher anvisiert, ruft sie bestimmend: „Hände hoch!“

„Hast du genug gespielt, Laura?“, wird sie gelangweilt gefragt.

Die Kriminalkommissarin blinzelt ihre Oma verwundert an, bevor sie die Waffe senkt.

„Bitte was?“, bringt sie kaum hörbar über ihre Lippen.

Wie ist sie hereingekommen?

Laura erinnert sich an keinen Ersatzschlüssel.

Hat Lucia etwa das Schloss geknackt?

Jetzt wird Lucia auch noch frech: „Du bist laut, Kind. Du trampelst wie ein tollpatschiger Bär herum. Das ist nicht gut als Polizistin.“

Ihre Enkelin muss laut aufseufzen, jetzt fängt Lucia auch noch damit an, Laura zu kritisieren.

Laura korrigiert ihre Oma streng: „Kriminalkommissarin.“

„Das spielt keine Rolle. Du hast dir Zeit gelassen“, äußert sich Lucia mit einem leisen Vorwurf dazu.

Der Tag fing schon schlecht mit einer Diskussion an, die sie mit dem Pflegepersonal im Krankenhaus führte, und das hier verspricht einfach keine Besserung. Bevor Laura sich mit ihrer Oma rumschlägt, holt sie ihre Tasche.

Zurück in der Küche muss sich die Kriminalkommissarin erst mal setzen und das alles verdauen. Lucia glaubt tatsächlich immer wieder, die Stimmung mit allmöglichen Themen lockern zu können. Doch Laura gibt keinen Ton von sich. Noch nicht, denn ihre Enkelin gibt sich alle Mühe der Welt, ruhig zu bleiben. Ungeduldig trommelt sie mit ihren Fingern auf ihren verschränkten Armen.

Sie beginnt folgend: „Weißt du, Oma, du hast einen Diebstahl begangen und nun kommt Einbruch hinzu. …“

Lucia fällt ihr beleidigt ins Wort: „Also wirklich, Laura, bist du sauer? Hätte ich lieber vor deiner Tür warten sollen? Also etwas Komfort kannst du mir wohl schon gönnen.“

„…Du hast einige Grenzen überschritten! Du missachtest das Gesetz! Was ist los mit dir?“

Jetzt ist sie laut geworden und bereut dies im gleichen Augenblick.

Lucia weicht dem Thema aus und berichtet ihr: „Nun ja, weißt du, Laura-Schatz, ich habe etwas für dich.“

Laura kann es nicht fassen. „Und du glaubst, dass lässt mich über deine Taten hinwegsehen?“

Ihre Oma geht darauf nicht ein und fängt an zu nörgeln: „Also aufgeräumt ist es ja bei dir, aber von Staubwischen hast du anscheinend keinen Schimmer.“

Staubwischen?

Ihr Ernst?

Wie sorglos kann ihre Oma nur sein und mit solchen banalen Themen Lauras Konfrontationen ausweichen?

Als könnte sich Lucia bei Laura so schnell hier raus reden. Lucia ist jedoch so stur wie ein Esel. An ihr wird sich Laura fusselig reden. Dieses Gespräch muss fürs Erste verschoben werden.

Dennoch kann Laura dieses Verhalten nicht tolerieren und im Laufe der Jahre hat sie eins über ihre Oma gelernt. Eine Sache, wie sie Lucia zeigt, dass nichts okay ist. Entschlossen dreht sich die Kriminalkommissarin um und funkelt Lucia warnend an.

Wieder rät sie ihrer Oma, in der Hoffnung, Lucia wird über ihre Taten nachdenken und eventuell Reue zeigen: „Du solltest gehen!“

Lucia atmet enttäuscht aus. „Schon wieder diese Masche?“

„Anscheinend weißt du nicht, wann und wo die Grenzen überschritten werden!“