Prostatakrebs -  - E-Book

Prostatakrebs E-Book

0,0

Beschreibung

"Prostatakrebs": Diese Diagnose stellt das Leben auf den Kopf. Die Orientierung zu bewahren ist nicht leicht, wenn man persönlich betroffen ist und plötzlich zahlreiche Enscheidungen anstehen. Dazu dient dieses Buch. Seine Autoren sind renomierte Fachärzte und unabhängige Experten. Sie helfen, die Krankheit zu verstehen und mit ihr umzugehen. Verständliche, gründliche Erklärungen und aktuelle Informationen machen die komplizierte Tumorerkrankung begreifbar: Wege der Früherkennung ebenso wie Formen des Krankheitsverlaufs, Behandlungs-Optionen und mögliche Folgen eines Eingriffs. Wissen richtig einordnen, informierte Entscheidungen fällen und trotz aller Belastung mit der Krankheit leben: dabei hilft der große Patientenratgeber Prostatakrebs.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 309

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



L. Weißbach, E. A. Boedefeld (Hg.)

Der große Patientenratgeber

PROSTATAKREBS

Risiko

Früherkennung

Diagnose

Behandlung

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Bildquellen

Coverabbildung U1: Photographee.eu – stock.adobe.com

S. 1: Coloures-pic (Fotolia) und W. Zuckschwerdt Verlag (Grafik)

S. 3, 4, 5, 7, 8, 11: Novalis

S. 15, 16, 21, 75, 188: W. Zuckschwerdt Verlag

S. 41: Coloures-pic (Fotolia) und Dr. Adrianus van de Roemer, Institut für Didaktik in der Medizin (Grafik)

S. 45, 50, 53, 57, 63, 147, 149, 150: Dr. Adrianus van de Roemer, Institut für Didaktik in der Medizin

S. 58: wikipedia

S. 97: Coloures-pic (Fotolia) und Intuitive Surgical, Inc.

S. 125: Varian Medical Systems International AG

S. 156, 158: Intuitive Surgical, Inc.

S. 162: EDAP-TMS

S. 183: AMS Deutschland

S. 184, 185: Coloplast Porgès

S. 193: Coloures-pic (Fotolia) und Johannes M. Wolf

S. 239: Matej Kastelic (AdobeStock)

S. 249: bluedesign (Fotolia) (modifiziert)

alle anderen Abbildungen: Autoren der jeweiligen Beiträge

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-86371-285-3

© 2019 W. Zuckschwerdt Verlag GmbH München

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlagabbildung: ©Photographee.eu - stock.adobe.com

Autoren und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwandt, dass dieses Buch dem Wissensstand bei seiner Fertigstellung entspricht. Für Angaben zu Dosierungen und Applikationsformen kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Die Nutzer dieses Buches sind zu sorgfältiger Prüfung von Herstellerinformationen (z.B. Beipackzettel) und zur Konsultation eines Spezialisten angehalten. Eine Haftung der Autoren, des Verlages oder ihrer Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Sollte diese Publikation Links auf Websites Dritter enthalten, übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Warenzeichen werden nicht immer kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Vorwort

Seit dem Erscheinen der dritten Auflage dieses Ratgebers sind zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit wurden diagnostische Verfahren weiterentwickelt und neue Erkenntnisse über unterschiedliche Verlaufsformen der Erkrankung gewonnen. In der vorliegenden vierten, überarbeiteten Auflage haben wir dem aktuellen Stand dessen Rechnung getragen, was allgemein als „Standard“ bezeichnet wird.

Langsam dringt es in das allgemeine Bewusstsein, dass der Prostatakrebs ein Tumor ist, der in gut der Hälfte der Fälle nicht annähernd so bösartig ist wie von allen Seiten angenommen. War früher die Erkrankung mit großen Ängsten besetzt, so dass bereits die Diagnose Gedanken an einen qualvollen Tod weckte, gewöhnt man sich heute wenn auch noch zögerlich daran, den Prostatakrebs als eine chronische Erkrankung des Alters anzusehen, mit der man sich häufig gut arrangieren kann. Es gilt, einerseits das Wissen über die oft günstige Prognose und die Chancen einer defensiven (beobachtenden) Behandlung zu nutzen, andererseits die Vor- und Nachteile einer sofortigen aggressiven Therapie abzuwägen. Die PSA-gesteuerte Früherkennung wird differenzierter gesehen. Zu oft alarmiert sie durch Über-Diagnosen, die unnötige radikalen Behandlungen nach sich ziehen. Wichtig und richtig ist sie zur rechtzeitigen Entdeckung der weniger häufigen hochmalignen Tumoren.

Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Die invasiven Behandlungsstrategien wurden technisch weiterentwickelt. Die Roboter-assistierte Radikale Prostatektomie erfreut sich zunehmender Verbreitung. Dank der wachsenden Akzeptanz der defensiven Behandlungsverfahren kann das therapeutische Vorgehen der individuellen Situation angepasst werden. Das neue Kapitel „Watchful Waiting und Geriatrisches Assessment“ spiegelt diesen Trend. Die medikamentöse, so genannte „Hormontherapie“ (korrekt wäre „Hormon-Entzugstherapie“) entwickelt sich geradezu rasant.

Angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten eröffnen sich dem Betroffenen Spielräume, in denen seine persönliche Situation und seine Erwartungen die Entscheidung bestimmen. Sein Alter, die funktionelle Einschränkungen und das soziale Umfeld müssen berücksichtigt werden. Eine wertneutrale ärztliche Aufklärung und das vertrauensvolle Gespräch mit seinem Arzt soll und kann ihm dabei helfen, die für ihn richtige Wahl zu treffen.

Zu guter Letzt haben wir noch ein Kapitel über die onkologische Forschung eingefügt. Wir möchten damit das Interesse an der Arbeit wecken, auf der alle Kenntnisse und Fortschritte in der Behandlung von Krebserkrankungen beruhen. Wir danken allen Patienten, die durch ihre Kooperation einen unverzichtbaren Beitrag leisten, allen voran diejenigen, die bereit sind, sich an Studien zu beteiligen. Wir stellen die wichtigsten Studientypen vor, vor allem die randomisierte Studie, die in der Öffentlichkeit oft auf Unverständnis oder Misstrauen stößt.

Wir möchten allen danken, die ihren Beitrag zu dem Ratgeber geleistet haben, allen voran den Autoren und Kollegen, die wieder ihre Zeit geopfert und ihr Wissen in eigenen Kapiteln oder im beratenden Gespräch mit uns geteilt haben. Wir verabschieden uns von Herrn Werner Zuckschwerdt, der uns 2003 zur Herausgabe dieses Ratgebers ermuntert und seitdem zur Seite gestanden hat, jetzt aber in den verdienten Ruhestand getreten ist. Wir danken ihm für 15 Jahre vertrauensvolle Zusammenarbeit und die exzellente verlegerische Betreuung, die er und sein Team, darunter vor allem Frau Dr. Glöggler, uns haben angedeihen lassen. Die jetzige vierte Auflage ist bereits seinem Nachfolger, Herrn Dr. Jörg Meidenbauer zu verdanken.

Die Herausgeber

Inhalt

Prostatakrebsrisiko verstehen

Anatomie des Harntraktes und der Geschlechtsorgane(Lothar Weißbach)

Organe der Harnproduktion und des Harntransports

Männliche Fortpflanzungsorgane

Die Prostata

Wie hoch ist das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken?(Edith A. Boedefeld)

Daten und Fakten aus der Epidemiologie

Individuelle Risikofaktoren

Das Alter

Familiäres oder genetisches Risiko

Prävention: Gedämpfte Erwartungen(Edith A. Boedefeld)

Primärprävention: Die Möglichkeiten sind begrenzt

Erhaltung der Gesundheit

Chemoprävention

Keine einfache Entscheidung: Früherkennung von Prostatakrebs(Corinna Schaefer)

Unnötige Krebsdiagnosen – wie kann das sein?

Welche Untersuchungen gibt es?

PSA-Test: Was wir über Nutzen und Risiken wissen

Diagnostik des Prostatakrebses

Klinische Diagnose(Lothar Weißbach)

Welche Beschwerden verursacht der Prostatakrebs?

Früherkennung

Diagnostische Verfahren

Digitale rektale Untersuchung (DRU)

PSA-Test – die bessere Methode

Weiterführende Diagnostik bei Verdacht auf Prostatakrebs

Transrektaler Ultraschall

Magnetresonanztomografie (MRT)

Gentest

Biopsie

Gleason-Wert (Gleason-Score)

TNM-Klassifikation und Stadieneinteilung

TNM-Kategorien

Krankheitsstadium

Abschätzung des individuellen Risikos

Das Prostatakrebs-Kontinuum

Bildgebende Verfahren(Thomas A. Vögeli)

Wissenschaftliche Beurteilung der Bildgebung

Apparative Untersuchungsverfahren und ihre Technik

Ultraschall und transrektaler Ultraschall

Histoscanning

Elastografie

Knochenszintigrafie

Computertomografie (CT)

Magnetresonanztherapie (MRT)

Positronenemissionstomografie (PET oder PET-CT)

Klinische Bedeutung der bildgebenden Verfahren

Lymphknotendiagnostik im kleinen Becken vor einer Therapie

Was sagen die Leitlinien zur Bildgebung vor einer geplanten Operation oder Bestrahlung?

Prostatakarzinom und MRT

PET-CT in der Rezidivdiagnostik

Nachweis von Knochenmetastasen

Behandlung des lokal begrenzten Prostatakarzinoms

Therapieentscheidung(Corinna Schaefer)

Sofort behandeln oder später?

Die Therapie – Ihre Entscheidung

Abwarten? Beobachten! Die defensiven Strategien

Aktive Überwachung (Active Surveillance, AS)(Corinna Schaefer)

Wem kann man AS empfehlen?

Die Gretchenfrage: Wie sicher ist die aktive Überwachung?

Ist eine Operation die bessere Alternative?

Watchful Waiting (WW) und das Geriatrische Assessment(Edith A. Boedefeld)

Watchful Waiting – eine palliativ orientierte Strategie

Für wen ist WW eine gute Wahl?

Das geriatrische Assessment

Der dreistufige Gesundheits-Check

Formen der Strahlentherapie(Lutz Moser)

Bestrahlungstechniken – Welche Technik in welcher Situation?

Perkutane Strahlentherapie

Brachytherapie

In welchen Situationen kann welche Bestrahlung sinnvoll sein?

Primäre Strahlentherapie

Adjuvante Strahlentherapie

Salvage-Strahlentherapie

Wann ist eine Kombination von Strahlentherapie und Hormontherapie sinnvoll?

Neoadjuvante Hormontherapie

Adjuvante Hormontherapie

Mit welchen Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen muss man rechnen?

Die Kontrollen nach einer Strahlentherapie

Operation des Prostatakarzinoms(Edwin Herrmann und Lothar Weißbach)

Radikale Prostatektomie – von den Anfängen bis heute

Drei operative Zugangswege zur Prostata

Rolle der Beckenlymphknoten und ihre Entfernung (pelvine Lymphadenektomie)

Vorbereitung einer radikalen Prostatektomie

Operationsverlauf

Perineale radikale Prostatektomie

Laparoskopische radikale Prostatektomie

Roboter-unterstützte Prostatektomie – das Da Vinci-System

Bewertung der unterschiedlichen Zugänge und Techniken

Alternative Therapieverfahren(Martin Schostak)

Hochintensiver fokussierter Ultraschall (HIFU)

Schädigung und Wiederherstellung der Potenz nach Operation bzw. Bestrahlung(Daniar Osmonov und Klaus-Peter Jünemann)

Erektionsstörung – unabwendbares Schicksal?

Aufbau und Funktion des Penis

Erektionsstörung durch Prostatakrebsbehandlung

Erektionsstörung – was nun?

Wiederherstellung der Potenz – „Bodybuilding für den Penis“

Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium

Hormontherapie(Johannes M. Wolff)

Ausgangssituation

Hormonabhängigkeit des Prostatakrebses

Hormonbildung und Hormonwirkung oder „Die Befehlskette“ Therapeutisches Vorgehen: Die Befehlskette (der Regelkreis) wird unterbrochen

Chirurgische Kastration

Medikamentöse (= chemische) Kastration

Maximale Androgenblockade (MAB)

Sofortige oder verzögerte Hormonbehandlung?

Intermittierende Hormontherapie

Hormonmanipulationen am hormonunabhängigen Tumor: die Mehrschritt-Therapie

Folge-Therapie nach einfacher Androgenblockade

Neue Medikamente für die Erstbehandlung des metastasierten Tumors

Zweitlinientherapie des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC)(Johannes M. Wolff)

Die Behandlungsmöglichkeiten – bisher

Der Stand heute

Die Entwicklung geht weiter

Hormonelle Behandlungsansätze: die sekundäre Hormonmanipulation

Zielgerichtete Therapien

Immunologische Möglichkeiten

Radium 223 (Alpharadin)

Rezidive bei Prostatakrebs und ihre Behandlung(Martin Schostak und Lothar Weißbach)

Was ist ein Rezidiv?

Untersuchungen

Verschiedene Arten von Rezidiven

Behandlung des Lokalrezidivs

Behandlung des systemischen Rezidivs

Onkologische Forschung(Johannes. M. Wolff und Edith A. Boedefeld)

Keine Angst vor klinischen Studien

Die prospektive, kontrollierte, randomisierte Studie (RCT)

Die Versorgungsforschung (VF)

RCT und VF ergänzen sich

Anhang

Wo kann ich mich informieren?

Leitlinienprogramm der DKG, DKH, AWMF

Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe (BPS) e. V.

Gute Informationen im Netz finden

Vertrauenswürdige Anbieter

Qualitätssiegel

Ist der Inhalt richtig?

Was Sie tun können

Autoren

Glossar

Stichwortverzeichnis

Prostatakrebsrisiko verstehen

Anatomie des Harntraktes und der Geschlechtsorgane

Lothar Weißbach

Über die Prostata (Vorsteherdrüse) ist den meisten Betroffenen nicht allzu viel bekannt. Folgende Fragen sind zu beantworten: Wie sieht sie aus? Aus welcher Art von Gewebe ist sie aufgebaut? Welche Aufgaben hat sie zu erfüllen? Die Antworten auf diese Fragen sollen das Verstehen der nachfolgenden Kapitel erleichtern.

Eine Besonderheit der Prostata ist, dass in ihr zwei wichtige Leitungssysteme des männlichen Organismus zusammengeführt werden: die Harnwege und die Geschlechtswege. Beide zusammen bilden das „Urogenitalsystem“ (Abbildung 1). In ihrer Funktion und Struktur sind sie jedoch ganz unterschiedlich. Für das Verständnis ihrer möglichen Erkrankungen ist es wichtig zu wissen, welche Flüssigkeiten und Sekrete in ihnen entstehen und wie diese weitergeleitet werden. Dies fällt leicht, weil es in diesem „Wegenetz“ nur „Einbahnstraßen“ gibt, mit speziellen „Schranken“, die einen geordneten Fluss der Sekrete gewährleisten. Von der Prostata aus führt ein gemeinsamer Leitungsweg, die Harnröhre, zu einem gemeinsamen Organ, dem Penis. Betrachten wir also zunächst Anatomie und Funktion des Harntraktes und des männlichen Fortpflanzungsapparates und anschließend der Prostata.

Abbildung 1. Das männliche Urogenitalsystem – ein komplexes Leitungssystem für Harn- und Samenflüssgkeit.

Organe der Harnproduktion und des Harntransports

Nieren

Der Harn (Urin) wird in den Nieren gebildet. Dies sind höchst kompliziert aufgebaute, faustgroße Organe, die im hinteren Bauchraum neben der Wirbelsäule liegen und durch die unteren Rippen und das umgebende Fettgewebe geschützt sind. Ihre vielfältigen Aufgaben gehören zu den lebensnotwendigen (vitalen) Funktionen unseres Körpers. Gewissermaßen als „Kläranlage“ unseres Körpers filtern sie Salze, nicht verwertbare Stoffwechselprodukte und schädliche (harnpflichtige) Stoffe aus dem Blut und scheiden sie mit dem überflüssigen Wasser als Urin aus. Das Filtersystem der Niere bereitet die für den Körper verwertbaren Stoffe wieder auf und führt sie in den Blutkreislauf zurück – ein organisches „Recycling“!

Abbildung 2. Aufbau der Nieren. Die Nieren filtern das Blut. Dazu haben sie unterschiedliche Strukturen für Blutzufluss und -abfluss sowie für die Harnbereitung und -ableitung.

Der im Nierenmark gebildete Harn läuft durch sogenannte Sammelrohre über die Nierenkelche in das Nierenbecken (Abbildung 2). Von dort aus fließt der Urin, befördert von rhythmischen, quasi „melkenden“ Kontraktionen, mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 6 ml/min durch den etwa 30 cm langen Harnleiter in die Harnblase. Eine „Schranke“ am Blaseneingang verhindert den Rücklauf des Harns. Versagt diese Schranke, kommt es zu einem Rückfluss von Urin (Reflux).

Harnblase

Die Harnblase ist ein Sammelbecken. Sie kann im Normalfall bis zu 500 ml Urin aufnehmen, bis wir sie schließlich willentlich, d. h. wenn wir das Bedürfnis verspüren, entleeren. Hierfür sorgt ein dichtes Netz aus Schichten und Bündeln von Muskelfasern, das vor der Entleerung

Abbildung 3. Die geöffnete Blase gibt die Sicht frei auf die Harnleitermündungen und die Ausflussbahn des Urins in die prostatische Harnröhre, bevor er über die äußere Harnröhrenöffnung austritt.

Druck aufbaut und sich zur Entleerung zusammenzieht. Am Blasenausgang, dem sogenannten Blasenhals, sitzt der innere unwillkürliche Schließmuskel. Er hat für den Harntransport keine Bedeutung, verschließt aber bei der Ejakulation die Harnröhre zur Blase, sodass die Samenflüssigkeit nach vorn – antegrad – in den Penis entleert wird.

Harnröhre (Urethra)

Aus der Blase kommend fließt der Urin in seine „Zielgerade“, die etwa 20 cm lange Harnröhre. Sie durchzieht zunächst die Prostata – im Normalfall eine Teilstrecke von zirka 2,5 cm. Man bezeichnet dies als den „prostatischen“, d. h. die Prostata durchquerenden Teil der Harnröhre (Abbildung 3). Hier münden die Leitungswege der für die Fortpflanzung wichtigen Sekrete in die Harnröhre. An ihrem Austrittsort aus der Prostata wird die Harnröhre vom äußeren Schließmuskel umfasst. Im Gegensatz zum inneren Schließmuskel unterliegt er unserem Willen, d. h. mit ihm können wir den Harn zurückhalten; er garantiert, dass der Urin während der Sammelphase nicht austritt (Kontinenz). Versagt seine Funktion, sprechen wir von einer Harninkontinenz. Das letzte Teilstück der Harnröhre verläuft an der Unterseite des Penis; an dessen Spitze, der sogenannten Eichel, tritt der Harn über die äußere Harnröhrenöffnung aus.

Die männliche Harnröhre hat einen Durchmesser von etwa 9 mm; dies reicht aus, um dem Urologen als „Tunnel“ für verschiedene Sicht- und Arbeitsinstrumente (z. B. Katheter oder Endoskope) Zugang zu den Organen des Harntraktes zu gewähren. So ist es z. B. möglich, einen Stein in der Niere oder im Harnleiter mit einem durch die Harnröhre eingeführten Instrument zu sehen und zu entfernen.

Männliche Fortpflanzungsorgane

Hoden und Nebenhoden

Die wichtigsten Fortpflanzungsorgane des Mannes sind die beiden Hoden. Sie befinden sich im Hodensack – und sind somit aus dem Inneren des Körpers ausgelagert, sodass die darin gebildeten Samenzellen bei kühleren Außentemperaturen ausreifen können. Jeder Hoden hängt an einem Samenstrang (so wie eine Taschenuhr an ihrer Kette), in dem die zu- und abführenden Blutgefäße sowie der Samenleiter verlaufen. Die Hoden bestehen aus zwei unterschiedlichen Gewebearten:

Zwischenzellen (sogenannte Leydigzellen), die das männliche Hormon Testosteron bilden. Auf dem Blutweg erreicht und beeinflusst dieses Hormon die Geschlechtsorgane (Prostata, Samenblasen, Penis); darüber hinaus ist es für die männliche Behaarung verantwortlich und verändert in der Pubertät die Stimmlage.

Einer Vielzahl von Röhrchen (Tubuli), die in Läppchen angeordnet sind; darin werden die Samenzellen oder Spermien gebildet. Diese sammeln sich zunächst – wie im Mündungsdelta eines Flusses – im Nebenhodenkopf.

Abbildung 4. Die geöffneten Hodenhüllen lassen den Hoden, den sich daran anschmiegenden Nebenhoden und den Samenleiter erkennen.

Die Nebenhoden sind zierliche, nur etwa 4 cm lange Organe, die sich kappenförmig an die Hoden anschmiegen (Abbildung 4). In jedem von ihnen knäuelt sich ein 5–6 m langer Nebenhodengang. Hier reifen die Samenzellen endgültig heran und werden bis zum Orgasmus gespeichert. Die Nebenhoden enden jeweils im sogenannten Nebenhodenschwanz, der auf der Rückseite des Nebenhodenkörpers nach oben zieht und in den Samenleiter übergeht.

Samenleiter und Samenblasen

Die Samenleiter sind derbe, etwa 45 cm lange muskulöse Schläuche. Man kann sie an ihrem Austritt aus dem Hodensack wie Federkiele gut tasten. Sie ziehen in die Leistengegend hinauf und laufen durch den Leistenkanal und das kleine Becken von oben auf die Prostata zu.

Abbildung 5. Auf der Rückseite der Harnblase sind die symmetrisch angeordneten Samenblasen zu sehen, die auf der Prostata sitzen.

Auf der Prostata sitzen außen, wie aufgestellte Flügel, die Samenblasen (auch Bläschendrüsen genannt). Die Samenleiter treffen in der hinteren Harnröhre auf die Ausführungsgänge dieser Samenblasen und bilden gemeinsam mit ihnen die sogenannten Spritzkanälchen. Diese münden im Inneren der Prostata in den von der Harnblase kommenden prostatischen Abschnitt der Harnröhre (Abbildung 5). Die Samenblasen bilden ein alkalisches Sekret, das dem Sperma beigemischt wird. Es enthält vor allem Fruchtzucker (Fruktose), der für das Sperma und die Funktion der Spermien (Samenzellen) als Energiequelle wichtig ist.

Penis

Er ist für seine Doppelfunktion – Geschlechtsverkehr und Harnausscheidung – ideal konstruiert. Das herausragende Merkmal sind die beiden zylindrischen Penisschwellkörper (Corpora cavernosa), die sich bei der Erektion – Schwämmen vergleichbar – prall mit Blut füllen können und dem Penis dadurch Steifheit verleihen. Die Erektion ist ein fein abgestimmtes Zusammenspiel zwischen der Blutzufuhr über die Arterien und einem gedrosselten Blutabfluss über die Venen. Ein dritter Schwellkörper (Harnröhrenschwellkörper, Corpus spongiosum) nimmt an dem von Nerven gesteuerten Ablauf der Erektion nur wenig teil; er dient dem Schutz der Harnröhre, an deren Ende er sich zur Eichel vergrößert.

Wie funktioniert das Ganze?

Beim Samenerguss (Ejakulation) werden die Spermien mit kräftigen Muskelkontraktionen aus dem Nebenhodenschwanz heraus in die Samenleiter gepumpt. Beim Eintritt in die Harnröhre vermischen sie sich mit dem Sekret der Samenblasen und dem Prostatasekret und werden beim Orgasmus als Samenflüssigkeit (Ejakulat) durch die Harnröhre nach außen geschleudert. Der oben erwähnte innere Schließmuskel, der unterhalb des Blasenausganges liegt, hat dabei die Funktion eines „Rückschlagventils“: Während des Orgasmus verhindert er den Rücklauf der Samenflüssigkeit in die Harnblase.

Die Prostata

Aufbau und Funktion

Die Prostata ist eine Drüse. Sie hat bei jüngeren Erwachsenen die Größe und Form einer Kastanie. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Prostata und der geschlechtlichen Entwicklung des Jungen: Im Verlauf der Pubertät bis zum 20. Lebensjahr erreicht die Prostata ein Volumen von 20 ml. Danach bleibt ihre Größe für lange Zeit konstant. Verborgen in der Tiefe des kleinen Beckens steht sie (von der Harnröhre aus betrachtet) vor der Harnblase (daher der Name Vorsteherdrüse).

Eine derbe Außenhülle, die sogenannte Prostatakapsel, umschließt das „Stroma“ (Stützgewebe) aus Muskel- und Bindegewebe, in das 30–40 Drüsen eingebettet sind. Beim jungen Mann ist das Stroma durch eine vom Darm aus gut tastbare Furche (Sulcus) in einen rechten und linken Seitenlappen unterteilt; im Alter kann sich unter hormonellen Einflüssen zusätzlich ein Mittellappen entwickeln. Im Ultraschallbild erkennt man im Querschnitt vier asymmetrisch angeordnete Zonen aus verschiedenartigen Gewebetypen (Abbildung 6). Es sind:

die vordere (anteriore) Zone,

die zentrale Zone,

die Übergangszone (Transitionalzone), die die Harnröhre umschließt,

die äußere (periphere) Zone; sie liegt der Vorderwand des Darmes an.

Drei Viertel aller Drüsenläppchen befinden sich in der äußeren Zone, die übrigen in der Übergangszone. Sie produzieren das für die Fortpflanzung wichtige Prostatasekret. Bei der Ejakulation gelangt es durch viele Ausführungsgänge in die (prostatische) Harnröhre, wo es sich mit der Samenflüssigkeit vermischt und als Ejakulat durch den Penis ausgestoßen wird.

Ein wichtiger Bestandteil des Prostatasekrets ist das „PSA“ (prostataspezifisches Antigen) – ein für die Erkennung des Prostatakrebses bedeutungsvolles, jedoch nicht krebsspezifisches Enzym. Da es auch in die Blutbahn abgegeben wird, kann es dort mit dem PSA-Test nachgewiesen werden. Bei Prostatakrebs sowie bei einer Vergrößerung oder Entzündung der Prostata wird vermehrt PSA gebildet, sodass der „PSA-Wert“ im Blut ansteigt.

Abbildung 6. Ein Querschnitt durch die Prostata (in liegender Position) lässt die um die Harnröhre liegenden Zonen erkennen.

Erkrankungen der Prostata

Bei jungen Männern bis zum 40. Lebensjahr ist die Prostataentzündung (Prostatitis) die häufigste Erkrankung. Gut- und bösartige Veränderungen (z. B. Vergrößerung und Krebs) spielen in dieser Altersgruppe noch keine Rolle.

Ab dem 50. Lebensjahr beginnt die Prostata bei etwa der Hälfte der Männer zu wachsen. Grund dafür ist eine allmähliche hormonelle Umstellung, die in diesem Alter häufig beginnt. Überschreitet das Größenwachstum das normale Maß, spricht man von der „benignen Prostatahyperplasie“ (kurz BPH oder BPE (englisch für benign prostatic enlargement), auch als Prostata-Adenom bezeichnet). Es handelt sich dabei um eine gutartige Erkrankung, d. h. sie hat nichts mit Krebs zu tun. Mit ihr kann die Prostata bis auf das Zehnfache ihrer ursprünglichen Größe anwachsen und ein Volumen von 200 ml (so viel wie ein kleines Bier oder ein Glas Wein!) und mehr erreichen.

Die BPH entsteht in der Übergangszone; in ihrem Verlauf wächst sie nach außen und drückt die äußere Zone wie die Schale einer Apfelsine an den Rand. Da die derbe Prostatakapsel nur wenig räumlichen Spielraum bei einer Vergrößerung der Prostata zulässt, kann es zu einer Einengung der durch die Mitte der Prostata ziehenden Harnröhre kommen. Dies kann zu Blasenentleerungsstörungen führen, z. B. häufigem Harndrang, schwachem Harnstrahl und Nachtröpfeln. Je nachdem, in welche Richtung sich die Prostata ausdehnt (zum Darm oder zur Blase hin), können die Symptome unterschiedlich sein. Dank moderner medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten müssen heute deutlich weniger als die Hälfte der Männer mit einer BPH operiert werden. Ist aber eine Operation erforderlich, wird das Prostatagewebe (sowie auch der Teil der Harnröhre, der die Prostata durchzieht) aus der Kapsel herausgeschält. Es bleibt eine Wundhöhle, die im Verlauf der Heilung schrumpft und sich zu einer funktionsfähigen Harnröhre umbildet.

Neben der gutartigen Vergrößerung der Prostata und ihren Folgen haben wir es beim Prostatakarzinom mit einer Erkrankung des meist älteren Mannes zu tun. Der Ort in der Prostata, an dem der Krebs am häufigsten auftritt, ist die der Darmwand anliegende äußere Zone, und dort vorzugsweise die nahe der Kapsel gelegenen Gewebeanteile.

Kurz gesagt …

Die Harnwege: Die Nieren filtern aus dem Blut Abfallprodukte des Stoffwechsels, Schadstoffe und Salze und scheiden diese zusammen mit überschüssigem Wasser als Harn (Urin) aus. Durch den Harnleiter gelangt der Harn von der Niere in die Blase, wo er gesammelt wird. Ein Schließmuskel am Blasenausgang verhindert, dass der Harn unwillkürlich ausläuft. Am Blasenausgang beginnt die Harnröhre, durch die der Harn nach außen transportiert wird. Sie durchzieht zunächst die Prostata und läuft dann in den Penis.

Die Geschlechtswege: Die männlichen Samen (Spermien) werden in den Hoden produziert und in den Nebenhoden gespeichert. Beim Orgasmus werden sie durch den Samenleiter in den prostatischen Teil der Harnröhre transportiert. In dieses zirka 2,5 cm lange Teilstück münden auch die Ausführungsgänge der Samenblasen und der Prostata, deren Sekrete sich mit den Samen vermischen. Die Samenblasen sitzen auf der Prostata.

Die Prostata besteht vorwiegend aus Drüsen und wird von der Prostatakapsel umschlossen; ihr Aufbau gliedert sich in vier Zonen. Hier wird ein Sekret produziert, das beim Orgasmus durch zahlreiche Ausführungsgänge in die Harnröhre gelangt. Das im Inneren der Prostata entstehende Gemisch aus Spermien und den Sekreten der Samenblasen und der Prostata ist die Samenflüssigkeit (das Ejakulat), die bei der Ejakulation ausgestoßen wird. Ein wichtiger Bestandteil des Prostatasekrets ist das prostataspezifische Antigen (PSA). Seine Menge kann im Blut durch den PSA-Test leicht gemessen werden.

Erkrankungen der Prostata: Sie sind abhängig vom Alter des Mannes. In jungen Jahren steht die Prostataentzündung im Vordergrund, beim älteren Mann sind eine gutartige Vergrößerung und das Prostatakarzinom häufig.

Wie hoch ist das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken?

Edith A. Boedefeld

Daten und Fakten aus der Epidemiologie

Das Prostatakarzinom (PCa) ist mit Abstand der häufigste Krebs bei Männern. In der aktuellen deutschen Krebsstatistik liegt es mit 23,0 % aller diagnostizierten männlichen Tumorerkrankungen auf Platz 1, noch vor Lungenkrebs (13,9 %) und Darmkrebs (13,3 %)1. Im Jahre 2018 erkranken in Deutschland 60 700 Männer an Prostatakrebs (zum Vergleich: Lungenkrebs 34 560,Darmkrebs 33 120 (jeweils nur Männer)). Die Verteilung der häufigsten Tumorlokalisationen ist in Abbildung 7 dargestellt.

Anders sieht es aus, wenn man die Zahl der Todesfälle als Folge der Krebserkrankung betrachtet. Im Jahr 2018 sterben in Deutschland 13 704 Männer an Prostatakrebs. Das entspricht 11,4 % aller Krebstodesfälle. Die Prostatakrebs-Sterblichkeit nimmt damit Platz 2 ein, hinter Lungenkrebs mit 24,9 % und vor Darmkrebs mit 10,8 % krebsspezifischen Todesfällen (Abbildung 8).

Das Prostatakarzinom ist ein typischer Alterskrebs. In der Altersgruppe 60-64 Jahre erhielten knapp über 300 je 100.000 Männer die Diagnose Prostatakrebs, bei den 70-74-Jährigen waren es etwa doppelt so viele und bei den über 85-Jährigen fast 700 je 100.000. (Abbildung 9).

Aus Obduktionsbefunden von Verstorbenen weiß man, dass viele Männer ein sogenanntes latentes (schlafendes) Prostatakarzinom haben. Nach Schätzungen vor allem aus den USA geht man davon aus, dass durchschnittlich etwa jeder dritte Mann betroffen ist. Auch hier gibt es deutliche Altersunterschiede: Einer von zehn Männern im Alter von 50 Jahren, aber 7 von 10 im Alter von 70+ dürften Träger eines unerkannten Prostatakarzinoms sein. Dieser latente Krebs ist weder lebensbedrohlich, noch macht er irgendwelche Beschwerden. Aber bei der Früherkennung mittels PSA-Test kann er als „Krebs“ erkannt werden, den Diagnose-Empfänger verunsichern und die Statistik in die Höhe treiben (eine „Überdiagnose“; dazu mehr im Kapitel „Keine einfache Entscheidung: Früherkennung von Prostatakrebs“).

Abbildung 7. Häufigste Krebsneuerkrankungen 2014 in Prozent

Abbildung 8. Häufigste Krebstodesfälle 2014 in Prozent

Um verschiedene Krankheiten bezüglich ihrer Häufigkeit und Sterblichkeit im zeitlichen Verlauf oder nach Regionen vergleichen zu können, benötigt die Statistik Maßzahlen, die international gelten. Die wichtigsten sind Inzidenz, Mortalität und Prävalenz sowie die relative 5- bzw. 10-Jahres-Überlebensrate. Um sie auch über die Landesgrenzen hinweg vergleichbar zu machen, wird eine europaweit einheitliche Altersstruktur zugrunde gelegt; die Raten werden im Allgemeinen entsprechend „altersstandardisiert“ angegeben (und so auch in den folgenden Abschnitten).

Abbildung 9. Altersspezifische Erkrankungsraten Prostatakrebs je 100 000 Männer in den Jahren 2013 bis 2014

Inzidenz

Die Inzidenz bezeichnet die Anzahl neu aufgetretener Fälle einer Erkrankung (Neuerkrankungen) in einem Jahr und wird als Rate, d. h. pro 100 000 Personen der Gesamtbevölkerung oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe berechnet. Die hier angegebenen statistischen Zahlen beziehen sich stets auf die Bevölkerungsgruppe „Männer“.

Bis vor wenigen Jahren musste man damit rechnen, dass der Prostatakrebs von Jahr zu Jahr häufiger auftreten würde. 2008 gab es 63 440 Fälle, 2010 waren es 65 830; für 2014 rechnete man mit etwa 70 100. Tatsächlich lag die Zahl der Neuerkrankungen im Jahr 2014 bei 57 370. Die Inzidenz des Prostatakarzinoms in Deutschland hatte sich seit 2008 kaum verändert, sie lag bei rund 111, d. h. Jahr für Jahr wurden 111 von jeweils 100 000 Männern (0,11 %) in Deutschland mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert. Laut der Prognose für 2014 würde sie auf dem gleichen Niveau bleiben. Der Blick auf den zeitlichen Verlauf zeigt, dass die Inzidenz jedoch geringer wird. 2013 lag sie bei 99, 2014 bei 92,7 und die Prognose für 2018 liegt ebenfalls bei 92,7 von 100.000 oder 0,93 %.

Mortalität

Die Mortalität oder Sterblichkeit entspricht der jährlichen Anzahl von Sterbefällen pro Todesursache. Sie wird als Rate pro 100 000 Personen der Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe angegeben.

Der Begriff Letalität gibt dagegen das Verhältnis der Todesfälle zur Anzahl der spezifisch Erkrankten an und kann in Promille oder Prozent angegeben werden.

Die Mortalität nimmt in Deutschland seit Mitte der 1990er-Jahre geringfügig aber stetig ab, von 20,8 im Jahr 2008 auf 19,7 im Jahr 2014. Die Prognose für 2018 lautet auf 19,4. Entscheidend dafür sind zwei Entwicklungen:

die PSA-gestützte Früherkennung, durch die immer häufiger wenig bösartige, keinesfalls tödliche Formen entdeckt werden

moderne Hormon- und Chemotherapien, die eine Lebensverlängerung sogar im fortgeschrittenen Stadium möglich machen.

Prostatakrebs ist also nicht mehr die tödliche Erkrankung, die er einmal war, im Gegenteil, er zählt heute zu einer der am besten heilbaren Tumorerkrankungen.

5-Jahres-Prävalenz

Prävalenz ist die Maßzahl für die Verbreitung einer Krankheit (Krankenstand) in einer Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe. Sie wird angegeben als absolute Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. Jahresbeginn) erkrankten Personen. Die 5-Jahres-Prävalenz beziffert die Anzahl von Personen, die innerhalb von 5 Jahren nach Diagnose mit der Krankheit leben. Bei Erkrankungen mit geringer krankheitsspezifischer Mortalität, zu denen der Prostatakrebs glücklicherweise gehört, wird häufig auch die 10-Jahres-Prävalenz angegeben (Anzahl von Personen, die innerhalb von 10 Jahren nach Diagnose noch leben).

Sie steigt kontinuierlich an, im Verlauf der letzten 10 Jahre um rund 23 %. Im Jahr 2014 lebten in Deutschland 271 800 Männer mit einem Prostatakarzinom, 2004 lag die 5-Jahres-Prävalenz noch bei 222 300. Der Grund für diese starke Zunahme liegt nur zum Teil in den dank besserer Behandlungsmöglichkeiten gestiegenen Überlebenschancen. Im Wesentlichen ist der Anstieg auf die vermehrte und frühe Entdeckung vieler Tumoren sowie die Überalterung unserer Gesellschaft zurückzuführen. Auch Männer mit einem beschwerdefreien (latenten) Prostatakarzinom werden in der Statistik als Krebskranke geführt, obwohl sie streng genommen nicht „krank“ sind.

Relative Überlebensrate

Die relative Überlebensrate gibt an, wie viele Personen innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht an der diagnostizierten Krankheit sterben. Üblicherweise wird bei Krebserkrankungen die 5-Jahres-Überlebensrate in Prozent angegeben. Für das Prostatakarzinom ist jedoch die 10-Jahres-Rate sinnvoller, weil es sich um einen langsam wachsenden Tumor handelt.

Seit den 1980er-Jahren ist die relative Überlebensrate für das Prostatakarzinom bemerkenswert angestiegen und beträgt nach 15 Jahren ohne Operation oder Bestrahlung bei mittlerer Differenzierung des Tumors 90,6 % und bei schlechter Differenzierung 78,5 %. Die mittlere relative 5-Jahres-Überlebensrate beträgt 91 %, die für 2018 prognostizierte relative 10-Jahres-Überlebensrate liegt bei 90 %.

Dies ist, ebenso wie die höhere Prävalenz, auf die Früherkennung auch des latenten Krebses zurückzuführen. Bei Männern in höherem Alter spielt dieser Krebs für die Lebenserwartung keine Rolle, andere Erkrankungen stehen im Vordergrund. Sie sterben mit, nicht an diesem Krebs.

Individuelle Risikofaktoren

Das latente, beschwerdefreie Prostatakarzinom ist im Alter so häufig, dass man es fast als Normalfall bezeichnen könnte. Im Prostatagewebe können sich vereinzelte Krebszellen oder kleinste Anhäufungen davon befinden, die nur mikroskopisch nachweisbar sind, keinerlei Krankheitssymptome verursachen und sich über viele Jahre langsam oder gar nicht weiter entwickeln. Umgangssprachlich nennt man das einen schlafenden oder „Haustier“-Krebs. Erst wenn die Zellen sich vermehren, werden Unterschiede deutlich, die im Grad der Bösartigkeit liegen können bzw. in der Tendenz, sich vom „lokal begrenzten“ über das „lokal fortgeschrittene“ zum Stadium der „Ausbreitung“ (Metastasenbildung, z. B. in den Knochen) zu entwickeln. Offenbar gibt es individuelle Risikofaktoren, die diese Entwicklung begünstigen. Damit sind zum einen nicht beeinflussbare Faktoren gemeint, wie das Lebensalter und die genetische Disposition. Andere, mögliche Faktoren, die mit dem Lebensstil zusammenhängen, sind dagegen sehr wohl veränderbar wie z. B. Ernährung und/oder Bewegungsmangel.

Tabelle 1. Individuelle Risikofaktoren.

Erwiesene Faktoren

Mögliche Faktoren

Alter

Hormonstatus

familiäre Belastung

Adipositas

Ethnie (u. a. Afroamerikaner)

Vasektomie

 

Ernährungsfehler

 

Bewegungsmangel

Die S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom nennt nur zwei Risikofaktoren, die durch hinreichende Evidenz erwiesen sind, allen voran das Alter sowie die familiäre Häufung Als „möglich“ werden Risikofaktoren bezeichnet, für die es zwar Hinweise gibt, die aber entweder klinisch nicht relevant oder nicht durch methodisch einwandfreie randomisierte Studien belegt sind.

Das Alter: Es ist der Risikofaktor schlechthin. Prostatakrebs kommt bei Männern unter 40 Jahren praktisch nicht vor. Erst ab einem Alter von 50 Jahren wird die Diagnose häufiger gestellt; neun von zehn Männer sind zum Zeitpunkt der Diagnose über 60 Jahre alt. Das Lebenszeitrisiko, an Prostatakrebs zu erkranken, liegt bei 11,9 %, betrifft also einen von acht Männern; einer von 31 (3,3 %) wird daran sterben Das altersabhängige Risiko, innerhalb der nächsten zehn Jahre an Prostatakrebs zu erkranken bzw. zu sterben, ist in Tabelle 2 sowie in Abbildung 10 dargestellt.

Abbildung 10. Lebenszeit-Erkrankungs- und -Sterberisiko. (blau: gesund; gelb: an Prostatakrebs (PCa) erkrankt; rot: Tod durch Prostatakrebs).

Familiäre oder andere genetische Belastung: Nachgewiesen ist das familiäre Risiko, das auf einer genetischen Disposition beruht. Diese kann, muss aber nicht zur Krebserkrankung führen. In belasteten Familien tritt Prostatakrebs häufiger und dann sehr oft schon in jüngeren Jahren auf. Nicht vollständig aufgeklärt ist, um welche vererbbaren Genveränderungen es sich im Einzelnen handelt. Sicher scheint zu sein, dass Mutationen der BRCA-Gene, die bei Frauen u.a. zu Brustkrebs führen können, auch bei der Entstehung des Prostatakarzinoms ursächlich beteiligt sind. Der Anteil der familiär bedingten Prostatakrebserkrankungen ist allerdings nicht sehr hoch: Er beträgt in Deutschland etwa 10 %. Ein genetisch bedingtes, höheres Erkrankungsrisiko haben auch Männer afrikanischer Herkunft (u.a. Afroamerikaner).

Tabelle 2. Das 10-Jahres-Prostatakrebs-Erkrankungsrisiko und -Sterberisiko.

Tabelle 3. Familiäres Risiko.

Risiko erhöht um Faktor

Verwandtschaftsgrad des/der prostatakrebserkrankten Verwandten

3,5

zwei Verwandte 1. Grades*

2,9–3,3

Bruder

2,1–2,4

Vater

1,9

Verwandte 2. Grades**

Andere Merkmale, die das familiäre Risiko erhöhen:

Brustkrebs oder Ovarialkarzinom bei weiblichen Verwandten ersten und zweiten Grades.

Erkrankungsalter des/der Verwandten unter 60 Jahren

zunehmende Zahl von erkrankten Verwandten

steigende genetische Übereinstimmung zum Betroffenen

*Verwandte 1. Grades: Vater, Bruder

** Verwandte 2. Grades: Großvater, Onkel, Vetter, Neffe

Abhängig vom Verwandtschaftsgrad, der Anzahl und vom Erkrankungsalter der betroffenen Verwandten kann das Risiko um das bis zu 3,5-Fache steigen.

Empfehlung

Gibt oder gab es in der Familie Prostatakrebs oder, bei weiblichen Angehörigen, Brustkrebs oder Ovarialkarzinom, ist das Risiko von Männern, an Prostatakrebs zu erkranken, erhöht. Auf jeden Fall sollte das Vorhandensein dieser Risiken dem Arzt mitgeteilt und im Alter von 45-50 Jahren ein PSA-Test gemacht werden. Dieser dient als „Basis-Wert“, der für die Beurteilung späterer Messungen wichtig ist. Männer mit einer solchen Belastung oder einem ethnisch bedingten Risiko sollten die Angebote zur Früherkennung wahrnehmen.

Andere mögliche Risikofaktoren (mit unzureichender Evidenz oder fehlende Relevanz)

Hormonstatus: Es gibt Hinweise darauf, dass ein zu hoher Testosteronspiegel ein möglicher Risikofaktor ist. Testosteron gehört zu den männlichen Geschlechtshormonen (Androgenen). Es wird in den Hoden produziert und gelangt von dort in die Prostata. Unter anderem regt es die Zellteilung im Prostatagewebe an; ist es im Überschuss vorhanden, kann das Krebswachstum stimuliert werden. Dafür spricht, dass Männer, die vor dem 40. Lebensjahr kastriert wurden und demzufolge kein Testosteron produzieren, sehr selten an einem Prostatakarzinom erkranken. Das Gleiche gilt für Männer mit einer Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die im Zusammenspiel mit dem im Zwischenhirn liegenden Hypothalamus u. a. die Testosteronproduktion in den Keimdrüsen reguliert.

Ernährung: Während bei Chinesen und Japanern, die in ihrem Heimatland leben, die Prostatakrebs-Inzidenz mit 1,8/100 000 bzw. 5,1/100 000 sehr niedrig ist, steigt sie nach Übersiedelung in die USA rasch auf 25,1/100 000 bzw. 31,2/100 000 an. Schon in der zweiten Generation der Einwanderer ist sie gleich hoch wie bei gebürtigen Amerikanern. Der Grund für diese dramatische Zunahme dürfte nach den Ergebnissen einiger großer Studien vor allem darin legen, dass sich die Einwanderer, die in ihrer Heimat eine vegetarische Kost bevorzugten, meist sehr rasch an eine Ernährung gewöhnen, die reich an Fleisch und tierischem Fett ist. Man könnte von einem zweifachen Ernährungsfehler sprechen: Zum einen der Verzicht auf Nahrungsmittel, die einen vorbeugenden Effekt haben können, und zum anderen der steigende Konsum von Nahrungs- und Genussmitteln, die Gesundheitsrisiken darstellen und, im Übermaß konsumiert, ausgesprochen gesundheitsschädlich sind.

Laut einer kleineren kanadischen Studie erkrankten die Patienten mit dem höchsten Konsum an gesättigten Fettsäuren mehr als doppelt so häufig an einem Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium wie die Patienten mit dem niedrigsten Fettkonsum. In einer Übersicht aller Studien zur Beziehung zwischen Nahrungsfett und Prostatakarzinom kommt das National Cancer Institute (NCI, USA) zu dem Schluss, dass ein signifikanter Zusammenhang besteht zwischen gewohnheitsmäßig hohem Konsum von tierischem Fett und der Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken.

Den Ergebnissen einer neueren großen Krebspräventionsstudie zufolge erhöht auch die Einnahme von Vitamin E als Nahrungsergänzungsmittel das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken.

Bewegungsmangel: Der Zusammenhang zwischen der Prostatakrebserkrankung und dem Ausmaß an körperlicher Aktivität ist Gegenstand einiger umfangreicher amerikanischer Untersuchungen, unter anderem der „Health Professionals Follow-up“-Studie, einer Langzeitstudie mit über 50 000 im Gesundheitswesen tätigen Männern, die seit 1986 läuft. Danach soll bei Männern über 65 Jahren das Risiko, ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom zu entwickeln, mit höherer Intensität der körperlichen Aktivität sinken; die Prostatakarzinom-Mortalität soll sogar um bis zu 10 % reduziert sein. Ursächlich dafür kann eine günstige Beeinflussung des Immunsystems sein, die die Speicherung von abdominalem Fett verhindert. Auch ein direkter Einfluss auf den Hormonstatus durch eine Absenkung des Testosteronspiegels wird diskutiert.

Vasektomie – ein Risikofaktor? Besonders in der amerikanischen Presse gab es Anfang der 1990er-Jahre Veröffentlichungen, die einen Zusammenhang zwischen der Vasektomie, d. h. der operativen Unterbindung der Samenleiter, und einem erhöhten Prostatakrebsrisiko behaupteten und damit Millionen von Männern verunsicherten. Die daraufhin vom National Institute of Health (NIH), USA, veranlassten umfangreichen Untersuchungen konnten diesen Verdacht jedoch nicht bestätigen. Seitdem gilt auch bei uns: „Die Sterilisation, also die Durchtrennung der Samenstränge (Vasektomie), stellt nach neuesten Erkenntnissen keinen Risikofaktor dar.“ (Deutsche Krebsgesellschaft 2009)

Nun zeigen neue Daten einer US-amerikanischen Beobachtungsstudie, dass die Vasektomie statistisch gesehen ein um rund 20 % erhöhtes relatives Risiko für ein fortgeschrittenes (tödliches) Prostatakarzinom mit sich bringt.

Andere Faktoren, die eine Rolle spielen könnten (fehlende Evidenz)

Regionale Einflüsse: Nach Studienergebnissen zur unterschiedlichen Häufigkeit von Prostatakrebs in verschiedenen Regionen dieser Welt scheint es solche Einflüsse zu geben. So zeigt die Inzidenz des Prostatakarzinoms global betrachtet ein signifikantes Ost-West-Gefälle zugunsten des asiatischen Raumes. Auf die Rolle, die die Ernährung in diesem Zusammenhang spielt, wurde bereits hingewiesen. Innerhalb Europas verringert sich die Inzidenz von Norden nach Süden. Hier fragen wir nicht nach den kulturellen und sozioökonomischen Unterschieden, sondern nach geografisch, insbesondere klimatisch bedingten Einflüssen. So haben Wissenschaftler in den USA den Zusammenhang zwischen Prostatakrebs und der Intensität und Dauer der natürlichen ultravioletten (Sonnen-) Einstrahlung untersucht. Anlass zu dieser Studie war die Überlegung, dass ein Mangel an Vitamin D (das durch Einwirkung von UV-Strahlung im Körper gebildet wird) das Risiko erhöhen könnte. Tatsächlich ist sowohl die relative Häufigkeit als auch die Mortalität von Prostatakrebs in den skandinavischen Ländern am höchsten (Spitzenreiter ist Schweden), in Südeuropa am niedrigsten. Ein direkter Zusammenhang mit Vitamin D wurde allerdings nicht nachgewiesen. Für Deutschland spielen diese Betrachtungen wegen der geringen Nord-Süd-Ausdehnung keine Rolle.

Berufliche Risiken: Konkrete Informationen zu diesem Thema sind rar. Manche Erhebungen scheinen zu belegen, dass Männer in metallverarbeitenden Berufen ein höheres Prostatakrebsrisiko haben könnten. Es ist unklar, ob dieses bis jetzt nicht erwiesene Risiko, sofern es tatsächlich bestehen sollte, beruflich bedingt ist oder auf einer zufälligen Häufung anderer Faktoren beruht. Man vermutet, dass Männer, die lange Zeit hohen Mengen von Kadmium ausgesetzt sind, beispielsweise Schweißer und Arbeiter in Galvanisierbetrieben, ein beruflich bedingtes, geringfügig erhöhtes Risiko haben. Systematische Untersuchungen zur Klärung dieser Fragen liegen nicht vor.