Psychomotorik in der Natur - Thorsten Späker - E-Book

Psychomotorik in der Natur E-Book

Thorsten Späker

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Beschreibung

Die Natur bietet eine Fülle von Anregungen zur Entwicklungsförderung von Kindern. Sie eröffnet abwechslungsreiche Bewegungslandschaften, sinnesreiche Wahrnehmungsmöglichkeiten und gemeinschaftsbildende Projekte. Sie regt kreative Gestaltung, symbolisches Spiel und erlebnisreiche Erfahrungen an, welche für die Psychomotorik hilfreich eingesetzt werden können. Das Buch bietet 80 fantasievolle Impulse zur psychomotorischen Praxis in der Natur, in Form von Aufwärm- und Wahrnehmungsspielen, zum Bauen, Konstruieren und Gestalten, für Sozialerfahrungen und entwicklungsbezogene Spielthemen. Ergänzt werden sie durch eine fachliche Einordnung, praktische Anleitungen und rechtliche Hintergründe zu Sicherheits- und Gefahrenfragen. Also, Matschhose oder Regenjacke an und nichts wie raus aus dem Haus und hinein in Wald und Wiese!

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Herausgegeben von Prof.in Dr. Astrid Krus und Aida Kopic

Dr. Thorsten Späker ist Motologe mit Arbeits- und Forschungsschwerpunkt im Bereich Naturerfahrungen und ihre Bedeutung für die menschliche Entwicklung und Gesundheit. Er lehrt im Arbeitsbereich „Motologie und Psychomotorik“ der Philipps-Universität Marburg sowie als Dozent der Deutschen Akademie – Aktionskreis Psychomotorik.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03172-6 (Print)

ISBN 978-3-497-61709-8 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61712-8 (EPUB)

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: ©istock.com/jacoblund

Satz: Bernd Burkart; www.form-und-produktion.de

Illustrationen Kap.4: Juliane Euler

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Geleitwort zur Buchreihe „psychomotorische praxis“

von Astrid Krus und Aida Kopic

Einleitung

1Naturerfahrungen als Basis einer gesunden Entwicklung

1.1Entwicklungspotenzial von Naturaufenthalten

1.2Wirkung von Naturerfahrungen – Zehn gute Gründe, rauszugehen

2Grundlagen für psychomotorisches Arbeiten in der Natur

2.1 Der eigene Zugang zur Natur

2.2 Abgrenzung zu anderen Disziplinen

2.3 Haltung im Umgang mit Natur und Nachhaltigkeit

2.4Prinzipien der Psychomotorik

2.5Der Safe Place

2.6Auswahl von Zielen, Inhalten und Methoden

2.7Grenzen im Einsatz von Naturerfahrungen

3Organisation und Durchführung

3.1 Die Ausrüstung

3.2Einen guten Platz finden

3.3Wie baue ich einen Unterstand?

3.4 Rechtliche Rahmenbedingungen

3.5Sicherheit und Gefahren

4Anregungen für die Praxis

4.1Spiele zum Aufwärmen und Ankommen

4.2Spiele zur Körper- und Sinneswahrnehmung

4.3Spiele zur Bewegungserfahrung

4.4Spiele zum Bauen, Konstruieren und Gestalten

4.5Spiele zur Sozialerfahrung

4.6Spiele zur entwicklungsthematischen Selbsterfahrung

Literatur

Sachregister

Das Onlinezusatzmaterial zum Buch können Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags unterhttps://www.reinhardt-verlag.de herunterladen. Auf der Homepage geben Sie den Buchtitel oder die ISBN in der Suchleiste ein. Hier finden Sie das Onlinezusatzmaterial unter den Produktanhängen.

Geleitwort zur Buchreihe „psychomotorische praxis“

Die neue Buchreihe „psychomotorische praxis“ knüpft an die Tradition des Vaters der Psychomotorik, Ernst Jonny Kiphard an, der 2023 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Kiphard begann bereits sehr früh, die Verbreitung und den Zugang zu gelingender psychomotorischer Praxis für eine breite Zielgruppe pädagogischer und therapeutischer Fachkräfte aktiv zu initiieren. Dies setzte er sowohl durch Vorträge, Workshops und Lehrgänge um, als auch über eine umfangreiche Liste an Publikationen. Über 60 Jahre sind seitdem vergangen, in der sich die psychomotorische Praxis durch Erfahrungswissen psychomotorisch geschulter Fachleute in unterschiedlichen Handlungsfeldern weiterentwickelt hat und sich durch neue fachtheoretische Ansätze und Erklärungszusammenhänge andere Entwicklungslinien eröffnet haben. Damals wie heute geht es darum, die Idee und das Konzept der Psychomotorik für unterschiedliche Arbeitsfelder zugänglich zu machen und den PraktikerInnen Handwerkszeug anzubieten, mit dem sie eine für ihre Zielgruppe und ihr Handlungsfeld angemessene psychomotorische Praxis entwickeln und umsetzen können.

Dies ist auch der Schwerpunkt der Buchreihe „psychomotorische praxis“. Wir möchten PraktikerInnen aus diversen psychomotorischen Arbeits- und Handlungsfeldern vielfältige, fachtheoretisch fundierte Impulse für die Gestaltung, Umsetzung und Reflexion der eigenen psychomotorischen Praxis bieten. Die Impulse umfassen neben konkreten Spiel- und Bewegungsanregungen auch Gestaltungselemente wie die Auswahl geeigneter Materialien, die Wirkung räumlicher Strukturen, methodisch-didaktische Hinweise für den Aufbau von Fördereinheiten sowie umfangreiche zusätzliche Arbeitsmaterialien.

Ein Kernprinzip der Psychomotorik ist die Individuumszentrierung, die unter anderem dadurch deutlich wird, dass Spiel- und Bewegungsimpulse nicht einfach auf die eigene Zielgruppe transferiert werden können, sondern Anpassungen erforderlich sind, die eine adressatengerechte psychomotorische Gestaltung ermöglichen. Daher zeigt die Buchreihe neben den konkreten Spiel- und Bewegungsanregungen auch die „Stellschrauben“ / Variablen auf, die für eine Anpassung an die Zielgruppe erforderlich sind und so einen gelingenden Transfer auf das eigene Arbeitsfeld unterstützen. Gerahmt werden die Praxisimpulse durch leicht verständliche Theoriebezüge, die das eigene Handeln fachlich einordnen lassen und zur Reflexion des Arbeitens anregen. Zugleich bieten sie Argumentationshilfen für eine fundierte psychomotorische Praxis im professionellen Handlungsfeld, aber auch gegenüber Eltern und FachkollegInnen.

Wir sehen die Reihe dieser theoriegestützten Praxisbücher als eine Art Reiseführer, die Sie auf Ihrem Weg in die psychomotorische Praxis begleiten. Sie sind informativ, erleichtern Ihnen durch Fallbeispiele und Zusatzmaterialien das Erkunden neuer Felder und liefern die entsprechenden Hintergrundinformationen für eine gute Orientierung. Und wenn Sie sich schon gut auskennen, dann sind es Impulse des Erinnerns an bereits Bekanntes, vielleicht manchmal Vergessenes oder Anregungen für interessante Variationen.

Wir starten in die Reihe mit „Psychomotorik in der Natur“ von Thorsten Späker, ein Handlungsfeld, das durch die Veränderung kindlicher Lebensbedingungen immer bedeutsamer wird. Thorsten Späker zeigt das psychomotorische Entwicklungspotenzial der Natur auf und sensibilisiert durch sein umfassendes Know-how sehr praxisnah für ein kompetentes und sicheres Handeln im Erfahrungsraum Natur. Neben vielfältigen Impulsen für abwechslungsreiche Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Erlebnismöglichkeiten, bietet das Buch auch Anregungen für kreative Bauprojekte oder symbolisches Spiel, die mithilfe des „psychomotorischen Blicks“ für die eigene Zielgruppe adaptiert werden können.

Wir wünschen Ihnen eine gute Reise in und durch die psychomotorische Praxis mit vielen bewegenden Erlebnissen und Eindrücken.

Astrid Krus & Aida Kopic

Einleitung

BEISPIEL

Die sechs Kinder der Wald-Psychomotorik-Gruppe (fünf bis acht Jahre) wollen wieder mal nicht auf dem Weg bleiben, sondern querfeldein durch den Wald gehen, um zu einem unserer festen Plätze zu kommen. Und wie beim letzten Mal kommen wir wieder nicht an. Wir weichen Brennnesseln aus, klettern über Baumstämme, bleiben stehen und hören den Bussard rufen, spüren den Wind auf der Haut, riechen den Waldboden, streichen vorsichtig über die moosbedeckten Baumwurzeln, entdecken Schnecken, Mauselöcher und die vermeintliche Höhle eines Zwergs, laufen bergauf, bergab durch Licht und Schatten, rutschen einen Hang herunter und entdecken gemeinsam den Naturraum, in dem wir uns bewegen.

Die Natur eröffnet vielerlei Möglichkeiten, die Entwicklung von Kindern zu fördern. Sie bietet als Erkundungs- und Explorationsfeld einen Erlebnisraum, welcher sich in jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, mit jedem Ortswechsel verändert. Eine unendliche Anzahl von Bewegungs-, Handlungs- und Spielaufforderungen kann immer wieder neu entdeckt werden. Auf dem gleichen Baumstamm zu balancieren, einmal an einem warmen Sommernachmittag von grünem Blattwerk umgeben, einmal an einem frischen Wintermorgen mit Schnee und Eis bedeckt, verändert nicht nur die Wahrnehmungsqualitäten und Bewegungsherausforderungen, sondern wirkt sich auch auf das innere Befinden und die Gefühls- und Stimmungslage aus. Die im Naturraum überall auffindbaren natürlichen Bewegungsbaustellen bieten vielfältige Spielflächen, ein unerschöpfliches Spielmaterial und damit zahllose Spielthemen, welche die Kinder nach ihren Bedürfnissen ausagieren können. So könnte die oben aufgeführt Szene auch so verstanden werden, dass die Kinder im Unterwegssein das Thema bespielten, den eigenen Weg zu suchen. Damit verbunden sind Aufgaben, wie die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit auszuweiten, neue Räume zu erkunden, in Unbekanntes einzudringen, die Bewegungsmöglichkeiten zu erweitern oder eigene Fähigkeiten zu entdecken und Initiative zu entwickeln, also typische Entwicklungsaufgaben dieser Lebensphase.

Hier zeigt sich der besondere Blick der Psychomotorik, der sich sowohl auf die Bewegungs- und Wahrnehmungsentwicklung richtet als auch auf die entwicklungsthematischen Sinnbezüge in den Spiel- und Handlungsthemen der Kinder. Die Haltung, dass Kinder ihren eigenen Weg finden sollen, ist auch im übertragenen Sinne ein wesentlicher Baustein der psychomotorischen Entwicklungsbegleitung. Die Aufgabe einer Psychomotorischen Fachkraft liegt dann „nur noch“ darin, die Kinder auf diesem Weg zu begleiten, zu unterstützen und anzuregen, ihnen eine haltende Beziehung anzubieten und in einem sicheren Rahmen Hilfe zur Entfaltung und Selbstbemächtigung zu geben (Kap. 2).

Die Natur bietet im Vergleich zur Sporthalle oder zum Bewegungsraum vielfältige zusätzliche Bewegungs- und Wahrnehmungsgelegenheiten, die beim Klettern, Schwingen, Rollen, Springen, Balancieren, Riechen, Fühlen, Tasten, Bauen etc. die Körpererfahrungen erweitern. Kinder, die sich viel in der Natur bewegen, haben mehr Kontrolle über ihren Körper und sind geschickter und flexibler in ihren Bewegungen, weil sie sich draußen ständig an die örtlichen Gegebenheiten anpassen müssen (Scholz / Krombholz 2007 u. Späker et al. 2018). Materialerfahrungen werden durch die Auseinandersetzung mit dem abwechslungsreichen Material im Naturraum im Wechsel der Jahreszeiten, der Temperatur, des Lichts und der Bodenbeschaffenheiten gesammelt. In der Natur werden in der Regel keine zusätzlichen Materialien benötigt, es kann alles verwendet werden, was vorgefunden wird. Die Kreativität der Kinder wird gefördert, mit dem vorhandenen Material wird improvisiert, kreative Spielideen werden eingebracht und entwickelt. Durch den hohen Aufforderungscharakter zu gemeinsamen Handlungen in der Natur (z. B. Tipi bauen, Höhle erkunden, gemeinsam über den Bach gelangen etc.) werden zudem die Sozialerfahrungen gestärkt. Kinder, die sich in freien Naturräumen aufhalten, spielen häufiger mit anderen Kindern und in größeren Gruppen über alle Altersstufen hinaus, haben weniger Konflikte, die zudem selbstständiger gelöst werden, und zeigen ein engagierteres, komplexeres und ausdauernderes Spielverhalten (Schemel et al. 2005 u. Luchs / Fikus 2011).

In der Psychomotorik ebenfalls von großer Bedeutung können die Kinder zudem Entwicklungsthemen bespielen, z. B. im Tier-Rollenspiel, auf dem Koboldspielplatz, als Wald-PiratInnen auf Schatzsuche oder als EntdeckerInnen im Dschungel. Ein Thema zu „bespielen“, meint im psychomotorischen Sinne die Verarbeitung von (belastenden) Erfahrungen und Konflikten oder auch das Ausdrücken von Unterbewusstem, Wünschen, Befindlichkeiten etc. Die Motivation der Kinder, in der Natur ihre Fantasie und Kreativität im Spiel einzusetzen, wird insofern angeregt, da es kein vorgefertigtes Spielmaterial gibt. Gleichzeitig entsteht die Chance, das Spielgeschehen mit eigenem Sinn und einer eigenen Bedeutung zu füllen. Weniger vorgefertigte und geplante Inhalte seitens der Fachkraft geben dabei mehr Gelegenheiten für die eigenen Inhalte der Kinder. Wichtiger wird stattdessen die Art und Weise der Begleitung. Hier geht es darum, das Spielinteresse und das Spielgeschehen der Kinder aufmerksam wahrzunehmen, ggf. abzufragen und im Dialog als SpielpartnerIn zur Verfügung zu stehen, um an geeigneter Stelle Impulse zu geben oder begleitend zu verbalisieren.

Und nicht zu vergessen: Geht die Psychomotorische Fachkraft mit den Kindern raus, kann das bewirken, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Begleitpersonen entspannter und ausgeglichener sind, was den Kindern wieder zugutekommt. Die Lärmbelastung ist in der Regel deutlich geringer als in Innenräumen, der größere Freiraum ohne einengende Wände und die Wirkung der Landschaft und Atmosphäre tun ihr Übriges.

All dies verdeutlicht das große Potenzial der Psychomotorik in der Natur. Dieses Buch soll daher eine Anregung für alle praktisch tätigen Psychomotorischen Fachkräfte sein, ModopädInnen, MotologInnen und pädagogische sowie therapeutische Fachkräfte mit psychomotorischer Zusatzausbildung, sich vertieft mit der psychomotorischen Begleitung außerhalb geschlossener Räume zu beschäftigen. Dabei wird insbesondere die Altersgruppe von vier bis zwölf Jahren in den Fokus genommen, da in diesem Alter die eigenständige Spielfähigkeit und selbstständige Explorationsfreude am höchsten ist. Bei Kindern unter vier Jahren geht es oftmals im Schwerpunkt darum, einen sicheren Raum zur Verfügung zu stellen und bei geringerer Eigenständigkeit als Begleitperson noch sehr präsent zu sein.

Vielfältige psychomotorische Spielideen für Wald und Wiese für Kinder von zwei bis vier Jahren bietet das Buch:

Fuchs, E. (2021): Naturerleben für Kleinkinder. Ernst Reinhardt Verlag, München

Bei Kindern und Jugendlichen über zwölf Jahren stehen wiederum andere Themen im Vordergrund. Wenn es z. B. um Grenz- und Gegenwartserfahrung geht, kann hier mit einer psychomotorischen Haltung aus dem breiten Fundus der Abenteuer- und Erlebnispädagogik geschöpft werden.

Vielfältige erlebnispädagogische Spielideen für Wald und Wiese für Jugendliche bieten die Bücher:

Gilsdorf, R., Kistner, G.: Kooperative Abenteuerspiele. Band 1, 2 und 3. Kallmeyer Verlag, Seelze-Velber

Zur Veranschaulichung von theoretischen Hintergründen und dem praktischen Vorgehen soll in den folgenden Kapiteln Wissenswertes zum Themenbereich Psychomotorik in der Natur vorgestellt werden.

Wollen Sie z. B. wissen, welche aktuellen Studien Nachweise der Wirksamkeit von Naturerfahrungen auf die körperliche, psychische, soziale und kognitive Entwicklung von Kindern liefern und was zehn gute Gründe sind, mit Kindern in der Psychomotorik nach draußen zu gehen? Dann lesen Sie im ersten Kapitel einiges zu den Hintergründen, die verständlich machen, warum Naturerfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung und ein gesundes Aufwachsen von Kindern wichtig sind.

Wollen Sie mehr dazu erfahren, was die Psychomotorik in der Natur z. B. von der Naturpädagogik, der Waldpädagogik oder der Erlebnispädagogik unterscheidet, was die Prinzipien der praktischen Arbeit sind, wie auch draußen ein sicherer Ort geschaffen werden kann oder wo die Grenzen von Naturerfahrungen liegen? Dann finden Sie im zweiten Kapitel einiges zum Konzept, zur Abgrenzung und den Grundsätzen der psychomotorischen Arbeit außerhalb geschlossener Räume.

Benötigen Sie konkrete Tipps und Hinweise, um direkt draußen starten zu können? Dann hilft Ihnen das dritte Kapitel mit Informationen zur Ausrüstung, zum Bau eines Unterstandes, zur Platzwahl, zu den Rechten und Gesetzen und zu Sicherheits- und Gefahrenfragen.

Wollen Sie Anregungen haben, was in der Praxis im Freien alles gemacht werden kann und Spielideen mitnehmen? Dann lassen Sie sich im vierten Kapitel motivieren von einer Fülle an Inspirationen psychomotorischer Praxis in der Natur, in Form von Aufwärmspielen, Wahrnehmungsspielen, der Nutzung des Naturraums als Bewegungslandschaft, zum Bauen, Konstruieren und Gestalten, für Sozialerfahrungen und entwicklungsbezogene Spielthemen.

Psychomotorik in der Natur anzubieten macht nicht nur Spaß, es hat auch viele positive Effekte für die Gesundheit und Entwicklung von Kindern. Kurz: Es lohnt sich. Oder wie ein schöner Spruch es zusammenfasst:

Rausgehen ist wie Fenster aufmachen – nur krasser!

Also. Nichts wie raus aus dem Haus und bis bald im Wald!

Abb. 1: Das Liegen auf dem Baumstamm entspannt.

1Naturerfahrungen als Basis einer gesunden Entwicklung

„Fragt mich aber jemand nach meinen Kindheitserinnerungen, dann gilt mein erster Gedanke trotz allem nicht den Menschen, sondern der Natur. Sie umschloss all meine Tage und erfüllte sie so intensiv, dass man es als Erwachsener gar nicht mehr fassen kann. Der Steinhaufen, wo die Walderdbeeren wuchsen, die Leberblümchenstellen, die Schlüsselblumenwiesen, die Blaubeerplätze, der Wald mit den rosa Erdglöckchen im Moos, das Gehölz rings um Näs, wo wir jeden Pfad und jeden Stein kannten, der Fluss mit den Seerosen, die Gräben, die Bäche und Bäume, an all das erinnere ich mich besser als an die Menschen. Steine und Bäume, sie standen uns nahe, fast wie lebende Wesen, und die Natur war es auch, die unsere Spiele und Träume hegte und nährte. In der Natur ringsum war auch all das angesiedelt, was unsere Fantasie zu erfinden vermochte. Alle Sagen und Märchen, alle Abenteuer, die wir uns ausgedacht oder gelesen oder gehört hatten, spielten sich nur dort ab, ja sogar unsere Lieder und Gebete hatten dort ihren angestammten Platz.“

(Lindgren, A. 2009, 64)

Astrid Lindgren spricht vielen Menschen aus der Seele, die mit und in der Natur aufgewachsen sind und die Naturerfahrungen in ihrer Kindheit als Abenteuer erlebt haben. Im Nachhinein werden die Erfahrungen in der Tendenz vielleicht etwas positiver dargestellt, als sie tatsächlich waren, werden doch auch unangenehme Bedingungen wie Kälte, Nässe, Stürme oder Regenwetter vorgekommen sein. Dennoch bleibt das Gefühl, dass intensive kindliche Naturerfahrungen einfach gut für die Entwicklung sein müssen. In der Theorie wird dabei zwischen vielen verschiedenen Begriffen unterschieden, die den Austausch zwischen Kind und Natur zu erfassen versuchen, wie z. B. Naturerleben, Naturkontakt, Naturbegegnung, Naturwahrnehmung oder Naturzugang (Lude 2021). Als Oberbegriff wird hier von „Naturerfahrung“ gesprochen.

Wenn in diesem Buch von Natur die Rede ist, meint dies im Wesentlichen den konkret-praktischen Handlungsraum, wie z. B. den Außenraum der Einrichtung, ein gemietetes Naturgelände, Wald, Wiesen, Parks, Naturspielplätze, Flüsse, Seen, Meer, Gebirge etc. Der Begriff „Erfahrung“ meint dabei Erlebnisse des Betroffen-Seins, die auf vielfältige Weise Spuren beim Kind hinterlassen. Diese Erfahrungen müssen am eigenen Leib gemacht werden, um persönlichkeitsfördernd wirksam zu werden und sollten immer ganzheitlich gedacht werden, d. h. sie gehen einher mit körperlichen, psychischen und emotionalen Prozessen. Wenn Naturerfahrungen in diesem Sinne über den vertrauten Rahmen und das Gewohnte hinausreichen, können anregende Anreize und Kontraste geschaffen werden. Es ergeben sich neue Erkenntnisse, Lern- und Wissensstände, der Zugang zu bedeutenden Themen und alternativen Perspektiven wird eröffnet, was positive Auswirkungen auf das Handeln, Denken, Fühlen und die Persönlichkeit des Kindes haben kann.

Abb. 2: Matschen macht Spaß

Der Naturbegriff ist heute vor allem positiv besetzt, was dazu verleitet, ihm viele vorteilhafte und angenehme Eigenschaften zuzusprechen. Damit aber nicht eine romantische, schwärmerisch verklärte Sichtweise entsteht, sollen hier begründete und belegte Wirkungen und Potenziale von Naturerfahrungen in der Kindheit aufgeführt werden.

1.1Entwicklungspotenzial von Naturaufenthalten

War früher alles besser?

Die alle zwei Jahre durchgeführte KIM-Studie befragt rund 1.200 sechs bis 13 Jahre alte Kinder persönlich sowie deren HaupterzieherInnen mit Fragebogen zum Stellenwert der Medien und zu Freizeitaktivitäten im Alltag. Was schätzen Sie? Wie viele Kinder geben nach der KIM-Studie 2020 an, jeden oder fast jeden Tag draußen zu spielen?

■Antwort 1: 25 %

■Antwort 2: 45 %

■Antwort 3: 65 %

Zu den vier häufigsten Freizeitaktivitäten jeden bzw. fast jeden Tag gehören Hausaufgaben / Lernen (71 %), Fernsehen (70 %), drinnen Spielen (51 %) und draußen Spielen (45 %). Auf die Frage, welche Freizeitaktivitäten am liebsten gemacht werden, sind das Treffen mit Freunden sowie das Draußenspielen Spitzenreiter (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020). Die Kinder gehen also nach eigenen Angaben nach wie vor am liebsten nach draußen und spielen mit FreundInnen, auch wenn sie im realen Alltag offensichtlich öfter vor dem Fernseher sitzen und drinnen spielen. Da ist der Wunsch wohl größer als das tatsächliche Handeln. Haben sich die Kinder heute also von der Natur entfremdet?

Diese Gegenüberstellung wird schnell herangezogen: Früher war alles besser und wir haben noch draußen gespielt und heute hängen die Kinder nur noch vor dem Fernseher, dem Handy, der Spielkonsole oder anderen elektronischen Unterhaltungsmedien rum. Auch wenn die Kinder sicherlich die neuen Medien vielfältiger nutzten als noch vor einigen Jahren, lässt sich dies nicht ganz so leicht verallgemeinern. Es gibt so viele Waldkindergärten wie noch nie, hunderttausende junge PfadfinderInnen, engagierte Kinder in der Naturschutzjugend oder anderen Umweltorganisationen, interessierte kindliche NatursportlerInnen und vielfältige naturpädagogische Angebote in Kita, Schule und Freizeit.

Einen differenzierteren Blick kann die Milieuforschung bieten: Während Kinder und Jugendliche aus prekären Milieus sehr wenig Naturerfahrungen, wenig Wissen über ökologische Zusammenhänge, eine Naturentfremdung und einen wenig emotionalen Bezug zur Natur aufweisen, haben Kinder und Jugendliche aus sozialökologischen Milieus sehr viele Naturkontakte und einen sehr positiven Bezug zur Natur. Dazwischen gibt es viele, denen die Natur nicht egal ist, die sich aber auch nicht besonders für sie interessieren (Wippermann / Wippermann 2010).

Elternhaus, Freunde, Bildungsniveau etc. sind also nur einige Faktoren, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Einschätzung von Naturentfremdung in der heutigen Kindheit geht. Früher war also nicht alles besser, nur anders und auch heute sind noch viele Kinder täglich draußen.

Abb. 3: Gemeinsam ein Zwergenhaus bauen

Der Erfahrungsraum Natur als Entwicklungsmotor

Es lässt sich leicht behaupten, dass die Entwicklung von Kindern gefördert wird, wenn sie häufig draußen sind. Welche Studien können hier aber hinzugezogen werden, um dies auch theoretisch zu untermauern? Die individuelle Entwicklung von Kindern betrifft im Wesentlichen ihre körperlich-motorischen, psychisch-emotionalen, sozial-emphatischen und kognitiv-geistigen Fähigkeiten, die in wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen. Entwicklung wird dabei durch innere und äußere Bedingungen angetrieben und muss immer innerhalb ihrer gesellschaftlichen und lebensweltlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden (Flammer 2017).

Eine entscheidende Frage für das Thema dieses Buches ist folglich: Inwieweit spielt auch der Raum, in dem Entwicklung stattfindet, eine Rolle? Im Speziellen also: Inwiefern können Erfahrungen im Naturraum die körperliche, psychische, soziale und kognitive Entwicklung von Kindern anregen? Macht es einen Unterschied, ob ich mit oder ohne Naturerfahrungen aufwachse?

Schauen wir uns also beispielhaft einige Studien zu diesem Themengebiet an und beginnen mit dem Vergleich von Wald- und Regelkindergarten. Kinder in Waldkindergärten verbringen ihren pädagogischen Alltag überwiegend in freier Natur. Haben sie dort die ersten Lebensjahre verbracht, konnte Häfner (2002) nachweisen, dass die Kinder im späteren Verlauf in der Schule – im Vergleich zu den Kindern aus den Regelkindergärten – von den LehrerInnen signifikant besser in den Bereichen Mitarbeit im Unterricht, Sozialverhalten und Motivation und Konzentration eingeschätzt werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Untersuchung von Gorges (2002), bei der die Kinder aus den Waldkindergärten in allen abgefragten Lern- und Verhaltensbereichen besser als der Durchschnitt der Klasse abschnitten, besonders im Sachunterricht. Sie überzeugten durch positiveres Sozialverhalten, eine höhere Lernmotivation, ein größeres Konzentrationsvermögen und eine größere motorische Geschicklichkeit.

In einer Studie von Kiener (2004) wurde zudem deutlich, dass Kinder aus dem Waldkindergarten bessere Ergebnisse in den angewandten Kreativitätstests erzielten. Ergänzend konnten Scholz / Krombholz (2007) nachweisen, dass Kinder aus Waldkindergärten bessere motorische Fähigkeiten und eine größere körperliche Fitness in fast allen Bereichen vorweisen können (Balancieren, Halten an der Reckstange, seitliches Hin- und Herspringen, Pendellauf, vorwärts Hüpfen links). Schon 1997 stellen Grahn et al. fest, dass die Kinder aus den Waldkindergärten auch deutlich weniger Krankheitstage haben als die Kinder aus den Regelkindergärten.

Späker et al. (2018) untersuchten ergänzend mit standardisierten Testverfahren die sprachlichen und sozial-emotionalen Fähigkeiten von fünf- und sechsjährigen Kindern aus Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten. In der sprachlichen Entwicklung erreichten die Kinder aus dem Waldkindergarten im Vergleich zu den beiden anderen Kindergartenformen deutlich bessere Werte im Sprachverständnis, in der Grammatikentwicklung und im Silben erkennen (phonologische Bewusstheit). In der Entwicklung von Resilienz wurde deutlich, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten höhere Werte in der Kontaktfähigkeit (spielt mit anderen Kindern, kann attraktive Spiele initiieren, teilt sich anderen Kindern mit etc.) und in der Explorationsfreude (erkundet selbstständig, ist optimistisch, wenn es etwas Neues anfängt, traut sich neue Dinge zu etc.) hatten. Angemerkt werden muss, dass die Eltern, deren Kinder einen Waldkindergarten besuchten, im Durchschnitt einen höheren Bildungsabschluss besaßen, also möglicherweise von einem höheren sozioökonomischen Status auszugehen ist, was die Entwicklungsbedingungen begünstigt. Dennoch zeigen sich einige Anhaltspunkte, dass die räumlichen Bedingungen des Erfahrungsraums Natur einen großen Anteil an der Förderung der Entwicklungsbereiche Bewegung, Sprache und Resilienz haben.

Geht der Blick vom Kindergarten in die Schule, ist zudem nachweisbar, dass ein naturnahes Außengelände die Bewegungsfreude der Kinder anregt. Boldermann et al. (2006) konnten zeigen, dass auf Schulhöfen mit Bäumen, Sträuchern und offenen Bodenflächen die mittlere Schrittzahl bei 21,5 pro Minute lag, im Vergleich zu nur 17,7 Schritten pro Minute auf Schulhöfen mit weniger bewegungsanregenden Grünflächen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie von Dyment (2005), in der SchülerInnen vor und nach der naturnahen Umgestaltung ihres Außengeländes untersucht wurden. Die Motivation, die Konzentrationsfähigkeit und die Kreativität der SchülerInnen stiegen im Vergleich zu vorher an. Außerdem verbesserte sich das Sozialverhalten, d. h. es wurde mehr kommuniziert und interagiert und es wurden mehr und unterschiedlichere Spiele mit größerer Themenvielfalt gespielt. Zudem traten weniger Konflikte auf und die Unfallhäufigkeit nahm ab. Aus Inklusionsgedanken auch zu beachten ist, dass sich die soziale Zusammensetzung im Draußenspiel erweiterte und vermehrt unabhängig von Geschlecht, nationaler Herkunft, sozialökonomischem Hintergrund oder intellektuellen Fähigkeiten gespielt wurde.

Eine weitere sehr spannende Perspektive ist der Blick auf herausforderndes Verhalten im Vergleich von Innen- und Außenräumen. Taylor et al. (2001) und Taylor / Kuo (2011) konnten diesbezüglich nachweisen, dass bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die typischen Symptome Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität deutlich weniger zum Vorschein kamen, wenn sie draußen im Grünen aktiv waren, insbesondere in relativ offener naturnaher Umgebung mit viel Bewegungsfreiraum. Nach Aufenthalten im bebauten Außengelände ohne Grünflächen oder in geschlossenen Räumlichkeiten traten die Symptome entsprechend deutlich öfter und stärker auf. Lässt man Kinder mit ADHS zudem Konzentrationstests nach Spaziergängen machen, sind die Ergebnisse wesentlich besser, wenn sie in einem grünen Park spazieren gehen, im Vergleich zu schlechteren Ergebnissen nach einer Bewegungseinheit im Stadtzentrum oder im Stadtwohngebiet (Taylor / Kuo 2009). Auch van den Berg / van den Berg (2010) konnten bestätigen, dass während einer Freizeit für Kinder mit ADHS die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit nach Aufenthalten in der Natur deutlich besser war als nach einem Aufenthalt in städtischen Gebieten, die Impulsivität und Hyperaktivität verringerte sich.

Zuletzt noch ein Vergleich zum Spielverhalten: In einer vergleichenden Studie von Luchs und Fikus (2011), bei der das Spiel von fünf- bis sechsjährigen Kindern auf konventionellen Spielplätzen im Vergleich zu einer Naturfläche (Sträucher, Wiese, Hügel, Bäume, Bach) beobachtet wurde, zeigte sich, dass die Kinder auf der Naturspielfläche engagierter, kreativer, raumgreifender und komplexer in längeren Episoden spielten und es zu weniger Konflikten kam, die dazu selbstständig von den Kindern gelöst wurden.

Ganz ähnliche Ergebnisse zeigen auch die Studien von Schemel (2008), die das Spielverhalten von sechs- bis zwölfjährigen Kindern auf klassischen Spielplätzen und in Naturerfahrungsräumen (Brachflächen o. Ä. etc.) verglichen haben. Es wurde nicht nur deutlich, dass die Kinder in den Naturerfahrungsräumen häufiger, ausdauernder, selbstständiger aus eigenem Antrieb und lieber gespielt haben, es zeigte sich auch, dass sie dort vermehrt mit anderen Kindern und in größeren Gruppen über alle Altersstufen hinweg agierten. Darüber hinaus spielten sie komplexer, planvoller, gezielter und kreativer und konnten dementsprechend auch hinterher ausführlicher, begeisterter und interessierter von ihren Spielen und Erlebnissen erzählen. Darin zeigte sich auch, dass sie mehr Wissen über und mehr Interesse an Tieren und Pflanzen hatten. Die Autoren fassen die Ergebnisse folgendermaßen zusammen:

„Die Beobachtung der Kinder und die Interviews haben deutlich gemacht, dass für Kinder geeignete Naturflächen im Wohnumfeld von großer Bedeutung für die Ausbildung ihrer Umweltwahrnehmung, von Interaktionspotentialen – also positivem Sozialverhalten – und damit für ihre gesamte Entwicklung sind.“ (Schemel et al. 2005, 36)

Diese beispielhaft vorgestellten Studien verdeutlichen sehr überzeugend, dass Naturerfahrungen nachgewiesenermaßen positive Wirkungen auf die kindliche Entwicklung haben, was in Tabelle 1 nochmal exemplarisch zusammengefasst wird:

Tabelle 1: Entwicklungspotenzial von Naturerfahrungen für Kinder

Bereiche

Entwicklungspotenzial Naturerfahrungen

Körper / Bewegung

■Förderung der Bewegungsmotivation und -aktivität (mehr Bewegungsvariabilität)

■Unterstützung motorischer Leistung und körperlicher Fitness (weniger Unfallgefährdung)

■Stärkung der Immunabwehr (weniger Krankheitstage, weniger Allergien und Asthma-Erkrankungen)

Psyche / Emotionen

■Abbau von Stress und Förderung von Entspannung und Erholung

■Begünstigung der inneren Ausgeglichenheit und Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens

■Förderung der Selbstwirksamkeit

■Motivation zur Selbstständigkeit und zum selbstgestalteten Spiel

Sozialverhalten / Empathie

■Anregung zu Kooperation, Kommunikation und Interaktion (Förderung Sprachfähigkeit)

■Verringerung von Konflikten und problematischem Verhalten bei vermehrten Lösungskompetenzen

■Förderung der sozialen Eingliederung im altersübergreifenden gemeinsamen Handeln

■Förderung der Spielmotivation und Anregung von ausdauerndem, komplexem und gezieltem Spiel

Kognition / Geist

■Förderung von Interesse und Wissen über Tiere und Pflanzen

■Verbesserung der Aufmerksamkeit und Konzen-trationsfähigkeit

■Anregung der Lernmotivation

■Förderung der Kreativität und Phantasie (Ideenflüssigkeit, Ideenflexibilität)

Eine sehr nützliche Übersicht über weitere Studien zur Bedeutung von Naturerfahrungen für die kindliche Entwicklung findet sich bei:

Raith, A., Lude, A. (2014): Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fördert. Oekom Verlag, München

1.2Wirkung von Naturerfahrungen – Zehn gute Gründe, rauszugehen

Dass Naturerfahrungen sich positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirken, ist durch Studien offenbar gut zu belegen. Es lohnt sich aber noch etwas genauer hinzuschauen, also nicht nur darauf, was Naturerfahrungen bewirken, sondern auch auf die Frage, warum und wie sie wirken. Dazu werden im Folgenden zehn Erfahrungsfelder vorgestellt, die als Argumentationshilfe zur Überzeugung von KollegInnen, Ämtern oder Entscheidungsträgern, aber auch für schriftliche Konzeptionen oder Ausschreibungen hilfreich sein können (Späker 2020).

Abb. 4: Natur-Erfahrungsfelder

Stellen Sie sich dazu ein ca. achtjähriges Mädchen namens Anna vor, welches sich in einem Haus befindet, sich die Schuhe und Jacke anzieht und nach draußen geht. Was passiert alles?

1. Körperliche Vitalität

Als Erstes kommt Anna draußen mit der vitalisierenden Wirkung von Tageslicht in Kontakt, welche einhergeht mit der vorrangig über das Auge gesteuerten Synthese der Hormone Melatonin und Serotonin, die positive Auswirkungen auf die Befindlichkeit, die Konzentration und den Tag-Nacht-Rhythmus haben. Dazu wird die Haut mit UV-Sonnenstrahlung konfrontiert, was bei ihr die körpereigene Bildung von Vitamin D anstößt. Je mehr Vitamin D Anna im Blut hat, desto geringer ist nachgewiesenermaßen ihr Risiko für Gefäß-, Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem hellt sich ihre Stimmung auf, ihre Konzentrationsfähigkeit steigt und ihre Immunabwehr wird angeregt.

Dazu kommt die bessere Luftqualität außerhalb geschlossener Räume. Annas Körper registriert auch unbewusst eine mangelhafte Raumluftqualität innerhalb geschlossener Räume, verursacht durch einen hohen Kohlendioxidgehalt als Folge der menschlichen Ausatemluft, chemischen Belastungen in Baumaterialien, Möbeln etc. Bei zu schlechter Luft im Haus können z. B. Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Gereiztheit die Folge sein. Umgekehrt ist beim Gang nach draußen ein Gefühl des Durchatmens erfahrbar: Die Lungen jubeln, endlich frische Luft.

Zugleich erlebt Anna die positiven Effekte durch kalt-warme Temperatureinflüsse draußen. Diesen Effekt hat schon Kneipp genutzt, um die Blutgefäße zu trainieren: Bei Kälte ziehen sie sich zusammen, bei Wärme öffnen sie sich. In einem regelmäßigen Wechsel kommt es so zu einer Anregung des Blutkreislaufs, des Stoffwechsels und der Entschlackung des Körpers von Anna, einhergehend mit einer gesteigerten Infektabwehr, die für weniger Erkrankungen sorgt.

Zu guter Letzt kommt Anna draußen verstärkt mit der Mikroflora in Kontakt, was ebenfalls ihr Immunsystem stärkt. Hierzu gibt es einige Studien, die sich mit der Wirkung eines kontinuierlichen Kontaktes mit einer vielfältigen Mikroflora beschäftigen, die z. B. zeigen konnten, dass Kinder, die auf einem Bauernhof groß werden, ein signifikant geringeres Risiko aufweisen, Asthma, Heuschnupfen, Hautausschläge oder Allergien zu bekommen (Riedler et al. 2001). Die „Hygienehypothese“ wird demgegenüber als Begründung aufgeführt, dass es bei zu viel Keimfreiheit in Innenräumen vermehrt zu Allergien, Asthma etc. kommt. Allein durch das Verlassen des Innenraums lassen sich also schon einige physiologische Reaktionen in Annas Körper feststellen. Wohlgemerkt bestimmt hier immer auch die Dosis das Gift: Ein Zuviel an Einwirkungen, z. B. von UV-Strahlung, kann natürlich auch entsprechend negative Wirkungen auf den Körper haben.

2. Psychische Entspannung

Verbunden mit den körperlichen Wirkungen zeigen sich bei Anna beim Gang nach draußen auch ausdrücklich psychische Entspannungseffekte. Die sinkende Konzentration von Cortisol im Blut, der niedrigere Blutdruck und Puls und eine niedrigere Herzfrequenzvariabilität sind belegbare Anzeiger für eine höhere parasympathische und geringere sympathische Aktivität von Annas Nervensystem, also für eine Entspannung ihres Organismus. Wie lässt sich aber dieser Entspannungseffekt von Naturaufenthalten erklären?

Hierzu gibt es im Wesentlichen zwei Theorien: Erstens stellten Ulrich et al. (1991) die Psychoevolutionäre Theorie