Puppenhaus - Karin Köster - E-Book

Puppenhaus E-Book

Karin Köster

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Eine turbulente Liebeskomödie um echte und falsche Traumprinzen, die große Liebe und eine waschechte Puppe! "Na los, ihr Transusen, worauf wartet ihr? Wollt ihr etwa hier sitzen bleiben und weiter Trübsal blasen? Kein Mann der Welt ist es wert, dass man auch nur eine Träne seinetwegen vergießt! Kommt schon, lasst uns einen schnasseln!" Jahrelang folgte Lissy ihrem Ehemann und Globetrotter Pierre durch die ganze Welt. Bis sie schmerzhaft feststellen musste, dass Pierre nicht nur keine Heimat, sondern auch keine Treue kennt. "Entweder der Richtige ... oder keiner!", denkt Lissy, und auch ihre frisch geschiedenen Freundinnen Barbara und Amanda haben ganz genaue Vorstellungen, wie ihr "Mr. Right" sein soll. Nie mehr wollen sie die Puppe in den Händen eines selbstsüchtigen Mannes sein! Als Lissy den ernsthaften und mitfühlenden Marcus kennen lernt, ist es um ihr Herz geschehen. Barbara entdeckt einen echten Traumprinzen und Amanda einen fitten Bodybuilder. Doch kann so viel Glück auf einmal wahr sein?

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Seitenzahl: 324

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Impressum

Copyright © 2016 © 2023by Karin Köster

www.facebook.com/koester.karin

[email protected]

ebookfaktur.de

Otto-Kraus-Str. 10

D - 90411 Nürnberg

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Herbert Grambihler © 2016

[email protected]

Bildautoren:

Cupcakes: alenarozova / fotolia.de

1. Ein unverhoffter Kuss

Der Scheidungstermin war für elf Uhr angesetzt und jetzt ist es neun Minuten nach. Nervös rutsche ich auf dem Sitzpolster herum, schaue zur Tür und wieder auf die Wanduhr. Der Zeiger rückt eine weitere Minute vor. Verdammt, kann Pierre nicht wenigstens heute mal pünktlich sein?

Bestimmt hat sein Flug Verspätung, sagt eine beschwichtigende Stimme in meinem Innern. Diese Stimme glaubt, alles besser zu wissen, und sie geht mir echt auf den Geist.

Der graubärtige Richter und seine Mitarbeiterin stecken die Köpfe zusammen, tuscheln und rücken wieder voneinander ab. Neben mir ordnet der Rechtsanwalt die vor ihm liegenden Papiere, staucht den Stapel auf dem Tisch auf und legt ihn in den geöffneten Aktenkoffer.

„Wir vertagen den Termin“, verkündet der Scheidungsrichter, erhebt sich von seinem Stuhl, und in diesem Moment wird die Tür aufgestoßen.

Johnny Depp kommt herein. Nein, natürlich ist er es nicht, es ist Pierre, aber er könnte fast als Captain Jack Sparrow durchgehen. Fehlt nur der Knochen- und Perlenschmuck in den Haaren. Na ja, und der überdimensionale Treckingrucksack passt irgendwie auch nicht ins Bild.

Der Richter setzt sich wieder hin und ich atme erleichtert auf. Das ist das letzte Mal in meinem Leben, dass ich mich mit Pierre in einem Raum aufhalten muss. Wenn ich diesen Termin überstanden habe, werden sich unsere Wege nie wieder kreuzen. Pierre wird sich kopfüber ins nächste Reiseabenteuer stürzen und ich werde weiterhin Unterwäsche in einem Kaufhaus verhökern und die Abende einsam in meiner Fünfundvierzig-Quadratmeter-Wohnung verbringen.

Nur so lange, bis du weißt, was du wirklich willst.

Ja, ja, und wann bitteschön soll das sein? Ich warte schon seit achtzehn Monaten auf die Erleuchtung und habe nicht mehr viel Hoffnung.

„Hi“, ruft er grinsend in den Saal und schält sich aus dem Rucksack.

Er hat sich ein rotes Tuch um die Stirn gebunden, sein weit geschnittenes Shirt gibt den Blick auf seine Brust frei, die von einem feinen Schweißfilm benetzt ist. Siehst du, er hat sich beeilt!, kommentiert die Stimme.

Meine Nasenspitze fängt an zu kribbeln. Oh nein, bitte nicht! Bitte nicht jetzt! In heiklen Situationen juckt mir die Nase. Ich fummle dann automatisch an meiner Nase herum, bis sie feuerrot ist. Energisch klemme ich meine Hände unter die Oberschenkel und verlagere mein Gewicht darauf. Ich werde an meiner Ehescheidung nicht als Rotnasenclown teilnehmen, nein, das werde ich nicht!

„Sind Sie Pierre de Almeida Santos?“, bellt der Richter und als Pierre bejaht, weist er ihm einen Platz am gegenüberliegenden Tisch zu.

Zumindest habe ich bei der Eheschließung meinen eigenen Nachnamen behalten. Lissy de Almeida Santos, wie bescheuert hört sich das denn an? Ich heiße Lissy Stelljes, fertig, aus. Eigentlich Elisabeth, aber so nennt mich nur mein Vater. Okay, genau genommen war es Pierre, der die Sache mit den Nachnamen entschieden hat. Er fand einen gemeinsamen Familiennamen uncool.

Der Rechtsanwalt auf dem Stuhl neben mir holt schnell die Papiere wieder aus dem Koffer. Der Richter rückt den Kragen seiner Robe zurecht und räuspert sich.

Anstatt sich hinzusetzen, rollt Pierre die Schultern und wiegt den Kopf hin und her, so wie manche Leute das machen, wenn sie einen verspannten Nacken haben. Die Gerichtsbedienstete betrachtet das Spiel seiner Muskeln mit leicht geöffneten Lippen und der Richter räuspert sich erneut. Meine Nase macht mich wahnsinnig, ich wende den Blick von Pierres Lockerungsübungen ab und konzentriere mich auf die Maserung der Tischplatte.

Plötzlich rieche ich Kokosöl und sehe braungebrannte Füße in wildledernen Mokassins. Was ...?

„Hallo Lissy!“

Irritiert schaue ich hoch - und spüre Pierres Lippen auf meinen. Ist das zu glauben, der besitzt doch tatsächlich die Frechheit, mich zu küssen! Ich bin so perplex, dass es mir glatt die Sprache verschlägt. Heiße Röte steigt mir ins Gesicht, meine Lippen fühlen sich taub an. Ich hätte ihm eine Backpfeife verpassen können, so wie empörte Damen in Filmen das tun, aber ich sitze ja auf meinen Händen.

Mit den geschmeidigen Bewegungen eines Panthers schlendert er rüber zu seinem Platz.

Mein Sprachzentrum ist wieder betriebsbereit. Wurde auch Zeit!

„Hast du sie noch alle? Was fällt dir ein, mich zu küssen?“, quieke ich, aber er reagiert nicht, sondern gleitet auf den Stuhl und lauscht dem Richter, der die Verhandlung nun für eröffnet erklärt.

„Haben Sie das gesehen?“, wende ich mich aufgebracht an meinen Nebenmann. „Der hat mich mitten auf den Mund ...“

Der Rechtsanwalt hebt einen manikürten Zeigefinger. „Pscht“, macht er, als wäre ich ein ungezogenes Kindergartenkind. Ich ignoriere seinen Finger und seine Mahnung.

„Wo gibt’s denn sowas?“ Meine Stimme überschlägt sich. „Ich verlange ...“.

Der Richter haut mit seinem Hammer auf den Tisch. „Ruhe im Saal!“, donnert er.

Das gibt’s doch nicht, die müssen doch irgendwas unternehmen! Wir sind hier schließlich bei Gericht! Ich meine, dieser Mann da drüben hat mich gegen eine dunkelhäutige Schönheit eingetauscht und nun kommt er daher und drückt mir einfach einen auf? Wutschnaubend starre ich rüber zu meinem zukünftigen Ex-Mann. Der lächelt mich treuherzig an.

Mit gleichförmiger Stimme liest der Richter den Antrag vor. Ich hör nur mit halbem Ohr hin, bis er das Datum unseres Hochzeitstags nennt und vor meinem inneren Auge Bilder auftauchen, die ich seit anderthalb Jahren konsequent verdrängt habe. In meinem Hals bildet sich ein Kloß von der Größe eines Kürbisses und macht mir das Schlucken unmöglich.

Mein Blickfeld verschwimmt, ich kämpfe mit dem Kloß und als der Richter fragt, ob wir in die Scheidung einwilligen, kriege ich nur ein Krächzen heraus. Ich bilde mir ein, dass Pierres fragender Blick auf mir ruht, bevor er ebenfalls zustimmt. Meine Nasenspitze brennt wie Feuer und mir wird bewusst, dass ich nicht mehr auf meinen Händen sitze.

Stühle werden zurückgeschoben, alle erheben sich, der Spuk ist vorbei. Wie eine Schlafwandlerin verlasse ich den Gerichtssaal und muss dabei an meine Eltern denken, die sich damals alle Mühe gegeben hatten, mir Pierre auszureden. Ihre Warnungen hatten mich in meinem Entschluss jedoch nur bestärkt. Pierre war ein Abenteurer, er liebte die Freiheit und er würde mich niemals in ein Gefängnis sperren. Ich würde nicht so enden wie meine Mutter, die ihre Träume begraben hatte, um das Leben mit meinem engstirnigen Vater auf einem abgelegenen Bauernhof zu fristen.

Ein Sonnenstrahl fällt durch die mannshohen Glasscheiben im Flur des Gerichtsgebäudes. Meine Schritte klingen hohl auf dem gebohnerten Steinboden. Das einzig Gute an diesem Tag ist, dass ich heute nicht zur Arbeit muss. Ich werde jetzt nach Hause fahren, mir Joggingklamotten anziehen und den Stadtpark ansteuern. Nach zwei oder drei Runden um den Bootsteich mit Amy Winehouse auf den Ohren werde ich hoffentlich wieder klarkommen. Anschließend werde ich meine Wohnung auf Hochglanz bringen.

Das hast du doch gestern erst gemacht.

Ich werde meine Zimmerpflanze umtopfen und meine Kontoauszüge sortieren.

Warum liest du nicht zur Abwechslung das Telefonbuch?

Eine weinende Frau hockt einsam auf der Bank vor den Fensterscheiben. Die Frau schluchzt, ihre Schultern beben, sie hat die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Ihrer Kleidung nach zu urteilen steht sie kurz vor der Rente. Die Ärmste, was ihr wohl Schlimmes zugestoßen ist? Ich bleibe stehen, aber sie nimmt mich gar nicht wahr.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, erkundige ich mich und bemerke erleichtert, dass der Kloß in meinem Hals auf ein erträgliches Maß geschrumpft ist.

Im Zeitlupentempo hebt sie den Kopf. Aus babyblauen Kulleraugen schaut sie mich so verwundert an, als käme ich von einem anderen Stern. Ihr rundes, blasses Gesicht ist mit rötlichen Flecken übersät, ihre Lider sind verquollen. Eine aschblonde Strähne klebt als Löckchen an ihrer Stirn, ihr übriges Haar ist glatt und mittellang. Ich hab mich getäuscht, die Frau ist um die dreißig, also in meinem Alter.

Ihr voller Busen bebt, sie kann den Schluchzer nur mit Mühe unterdrücken. „Ich könnt' ein Taschentuch gebrauchen. Oder auch zwei“, stammelt sie entschuldigend, als hätte sie eine übertriebene Forderung gestellt. Um mir zu beweisen, dass sie sich nicht bereichern will, öffnet sie ihren braunen Stoffbeutel und zeigt mir eine leere Packung.

Ich fasse in meine hintere Hosentasche, ziehe ein volles Paket heraus und reiche es ihr. Wenn ich Jeans kaufe, dann achte ich darauf, dass sie große Taschen haben. Da passt alles rein, was ich brauche, und ich muss keinen Beutel oder Tussikoffer mit mir herumtragen.

Umständlich fummelt sie ein Taschentuch heraus, faltet es auseinander und schnäuzt sich. „Danke schön“, murmelt sie, faltet es zusammen und prustet noch einmal hinein. „Ich heiß' übrigens Barbara.“

„Lissy“, entgegne ich und setze mich neben sie. Ein Hauch ihres Maiglöckchenparfums steigt mir in die Nase. Was auch immer Barbara widerfahren ist, ich glaube, sie braucht gerade ganz dringend jemanden, der ihr zur Seite steht.

Barbara erinnert mich an diese knuffigen Schlenkerpuppen aus Frotteestoff. Ihr fehlt jegliche Körperspannung und sie ist von ihrem Idealgewicht meilenweit entfernt. Sie ist rund und weich und irgendwie drollig.

„Ich bin jetzt geschieden“, sagt sie mit Grabesstimme. Sie faltet das nächste Taschentuch auseinander und wischt sich damit über die Augen.

„Willkommen im Club.“

Ich muss schon wieder an meine Eltern denken. ’Was man anfängt, das hält man auch durch', ist ihre Version von ’Wer A sagt, muss auch B sagen'. Ich kriege das mit dem B nicht hin. Vor ein paar Jahren habe ich mein Studium abgebrochen und vor ein paar Minuten meine Ehe an die Wand gefahren. Ich hab versagt, und zwar auf ganzer Linie.

Barbara wirft mir einen Seitenblick zu. „Ich wollte mich nicht scheiden lassen.“ Ihr Busen bebt erneut und sie schluckt den Schluchzer tapfer runter. „Bis zuletzt hab ich gehofft, dass er sich’s anders überlegt.“

„Sei froh, dass er’s nicht getan hat. Du hast es nicht nötig, einem Mann hinterherzubetteln.“

Sie fasst nach meiner Hand, drückt sie kurz und lässt sie wieder los. „Danke. Du bist lieb, Lissy.“

Vom hinteren Flur sind gedämpfte Stimmen zu hören. Der Scheidungsrichter, seine Mitarbeiterin und der Rechtsanwalt biegen um die Ecke. Die Herren sprechen über ein Bundesligaspiel und der Richter outet sich als Bayern-Fan. Daraufhin gratuliert ihm der Anwalt so überschwänglich zum Meisterschaftssieg, als hätte der Richter die entscheidenden Tore selbst geschossen. Die Gerichtsdienerin streift Barbara und mich mit einem Blick, dann starrt sie wieder geradeaus. Der Anwalt nickt mir im Vorbeigehen zu. Verabschiedet haben wir uns ja vorhin schon und meine Rechnungsadresse hat er auch.

Kaum ist der Tross an uns vorübergezogen, schlendert Pierre heran. Hinter seinem Kopf ragt eine zusammengerollte Iso-Matte samt Schlafsack auf. Er scheint Barbara gar nicht wahrzunehmen und wendet sich mir mit strahlendem Lächeln zu. „Woll’n wir beide was Essen gehen? Curry-Huhn? Oder Iskender mit Schafskäse?“

Barbara lässt das benutzte Taschentuch in ihrem Stoffbeutel verschwinden und schaut auf ihren Schoß.

„Garantiert nicht!“, fauche ich. „Und wage es ja nie wieder, mich zu küssen.“ Ich hebe drohend das Knie.

Er lacht sich kaputt. „Huuuuh!“, ruft er albern, wirft die Hände schützend vor sein bestes Stück und springt einen übertriebenen Schritt rückwärts. „Da ist aber jemand empfindlich!“

Ich atme tief durch. Es ist reine Energieverschwendung, sich mit einem Idioten anzulegen. „Mach’s gut Pierre. Schönes Leben noch.“ Ich winke ihm wie zum Abschied zu, als Zeichen, dass er endlich verduften soll. Aber Pierre tut selten das, was andere Menschen von ihm erwarten.

Barbaras Tränen sind versiegt. Sie fasst in die Tasche ihres Blazers, setzt ihre Brille auf und beobachtet Pierre verstohlen. Er steht breitbeinig da, zieht sein Handy raus und tippt auf dem Display herum. Dann schaut er angestrengt durchs Fenster in den strahlendblauen Himmel, als müsse er sich gegen einen plötzlichen Wetterumschwung wappnen. Endlich verstaut er das Handy und hakt mit den Daumen hinter die Träger seines Rucksacks. „Wir sehen uns“, meint er und trollt sich.

Ich hoffe, das war weder eine Drohung noch ein Versprechen.

„Donnerwetter, war das dein Ex?“, staunt Barbara und ich nicke grimmig. „Der sieht ja aus wie dieser Schauspieler! Du weißt schon, der aus ’Fluch der Karibik'.“

„Kann schon sein“, erwidere ich lahm, streiche eine widerspenstige Locke, die sich aus meinem Zopf gelöst hat, aus meinem Gesicht und klemme sie hinters Ohr. Pferdehaare. Friedolin, das alte Ackerpferd meines Vaters, hat struppiges Fell in derselben Farbe. Ein gutmütiger Rotfuchs, auf dessen breitem Rücken ich reiten lernte.

„Ist er ein Vagabund oder so etwas?“

Ich schrecke aus meinen Erinnerungen auf. „Pierre? Der tingelt durch die Weltgeschichte. Als ich ihn kennenlernte, fand ich das unheimlich spannend. Wir waren ein paar Jahre zusammen unterwegs.“

„Das war bestimmt wunderbar romantisch“, ruft Barbara begeistert.

Energisch verscheuche ich das Bild der dunkelhäutigen Schönheit. „Eine Weile schon“, stimme ich ihr zu. Plötzlich schmecke ich Wüstenstaub auf meiner Zunge, ich denke an die Bishnoi, die mitten in der indischen Thar-Wüste leben. „Ich habe beeindruckende Menschen kennengelernt. Und unbeschreibliche Naturschauspiele gesehen“, höre ich mich sagen.

Barbara fasst wiederum nach meiner Hand. Sie fühlt sich warm und weich an. „Sei nicht traurig. Vielleicht ist dein Traumprinz schon in diesem Moment auf dem Weg zu dir.“

Ich fliege zu ihr herum und entreiße ihr dabei meine Hand. „Traumprinz?“, speie ich und bereue, dass ich so heftig reagiert habe, als ich Barbaras erschrockenes Gesicht sehe. „Sorry, aber ich glaube nicht mehr an Märchen. Und von Männern habe ich die Nase gestrichen voll.“

Barbara streicht sanft über meinen Oberarm. „Pierre hat dich ziemlich verletzt, nicht wahr?“

Tränen schießen mir in die Augen, meine Kehle schnürt sich zusammen. Verdammt, ich werd doch wohl nicht etwa heulen?

Klackernde Absätze sind zu hören und dann eine gellende Frauenstimme. „Hau bloß ab, du Scheißkerl! Und wehe, du zahlst nicht pünktlich! Wenn dein Unterhalt nicht am Monatsersten auf meinem Konto ist, bin ich sofort beim Anwalt, verlass dich drauf!“

„Puh“, macht Barbara und tut, als müsse sie sich Luft zufächeln.

Ein platinblondes Daniela Katzenberger-Double stöckelt heran. Sie trägt ein hautenges Top mit Leopardenmuster, ihre langen Beine stecken in pinkfarbenen glänzenden Leggins und ihre Füße in Pumps mit monstermäßig hohen Absätzen. Kleidergröße 34, Körbchengröße 75 D. Ich muss an Henry denken, meinen Arbeitskollegen und besten Kumpel. Wir machen uns manchmal einen Spaß daraus, heimliche Wetten bezüglich der Maße unserer Kundinnen abzuschließen. Er hätte vermutlich auf 75 C getippt und gewonnen. Henry gewinnt meistens.

Der unterhaltspflichtige Mann ist der Blonden auf den Fersen. „Amanda, bitte beruhige dich“, beschwört er sie. „Wir können doch wie ganz normale Menschen miteinander reden.“

„Völlig unmöglich. Du bist nämlich nicht normal. Du bist ein unterbelichteter Perverser mit einem Würmchen in der Hose. Und jetzt lass mich in Ruhe“, schnappt sie.

Die beiden sind nun fast auf unserer Höhe. Ich wundere mich über den Mann, der trotz der Beleidigungen nicht aufgibt. „Amanda“, sagt er bittend und fasst leicht nach ihrem Arm. Daraufhin schreit sie so laut um Hilfe, als würde ihr jemand ein Messer an die Kehle halten. Ihr Schrei ist so schrill, dass Barbara und ich uns die Ohren zuhalten.

Sie baut sich vor uns auf. „Ihr beide seid meine Zeuginnen! Ihr habt genau gesehen, dass Victor mir an die Wäsche wollte, nicht wahr?“, kreischt sie.

Wir nehmen die Finger aus den Ohren.

„Was haben wir?“, fragt Barbara verdattert.

Amandas Begleiter sucht kopfschüttelnd das Weite. Sie zeigt ihm den Mittelfinger und als er durch die Ausgangstür verschwunden ist, lässt sie sich aufatmend neben mir auf der Bank nieder. „Das ist ja gerade nochmal gut gegangen“, seufzt sie zufrieden. „Der Richter hatte ein Einsehen und ich krieg den Höchstsatz. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!“

Sie beugt sich vor und mustert uns. Ihre Ballonbrüste machen Anstalten aus dem Top rauszuspringen. „Wer seid ihr zwei überhaupt? Und was ist mit euch los? Seid ihr depressiv oder was?“

„Das ist Lissy und ich heiße Barbara und wir wurden heute geschieden.“

Amanda rutscht ein Stück von mir weg. „Seid ihr lesbisch?“

„Wir wurden von unseren Ehemännern geschieden“, stelle ich richtig und sie entspannt sich wieder.

„Hey, wie cool ist das denn? Drei frisch geschiedene Frauen! Darauf müssen wir anstoßen!“ Sie springt auf, und ihre Brüste ruckeln sich wieder unterm Shirt zurecht. Barbara und ich schauen uns unschlüssig an.

„Na los, ihr Transusen, worauf wartet ihr? Wollt ihr etwa hier sitzen bleiben und weiter Trübsal blasen? Kein Mann der Welt ist es wert, dass man auch nur eine Träne seinetwegen vergießt! Kommt schon, lasst uns einen schnasseln!“

Ich denke an die Amy-Winehouse-Joggingrunden um den Bootsteich, die meinen Kopf freipusten sollen. Und an meine Wohnung, die pikobello sauber ist. Nun, eine Stunde könnte ich erübrigen, oder? Barbara atmet tief ein und wieder aus. Dann lächelt sie mich an, zwinkert mir zu, schultert ihren Leinenbeutel und fasst nach meiner Hand.

***

Amanda steuert mit uns das „Puppenhaus“ an, eine Kneipe, die in Anbetracht der Uhrzeit erstaunlich gut besucht ist. Ich meine, haben die Menschen an einem Donnerstag kurz nach Mittag nichts anderes zu tun, als sich einen hinter die Binde zu gießen? Amanda wollte uns unbedingt in ihrem BMW-Cabrio mitnehmen, deswegen habe ich meinen Wagen auf dem Parkplatz beim Gericht stehengelassen.

„Ich wohne gleich um die Ecke. Falls ich also nachher betrunken sein sollte, hab ich’s nicht weit“, verkündet sie kichernd und stolziert zu einem Stehtisch, der sich als einziger etwas erhöht auf einem Podest befindet.

Amanda ist etwa einen Meter achtzig groß, plus Schuhe. Ihr blondes Haar fällt weich über ihren Rücken, ihr perfekt geformter Hintern schwingt bei jedem Schritt von einer Seite zur anderen. Logisch, dass sie die Blicke sämtlicher Männer in der Kneipe auf sich zieht. Einige glotzen ihr unverhohlen erst auf die Brüste und dann auf den Po. Fehlt bloß noch, dass ihnen Sabber aus den Mundwinkeln tropft.

Barbara und ich stolpern hinter ihr her wie zwei Hinterwäldlerinnen, die zum ersten Mal ihre Höhle verlassen haben. Aus einer altmodischen Jukebox ertönt ein Hit aus den Neunzigern. An den Wänden hängen gusseiserne Kandelaber, in denen elektrische Kerzen flackern. Wir entern das Podest und Amanda bringt sich in Position. Von hier aus kann sie das Geschehen in der Kneipe gut beobachten und die Gäste können ihr Profil bewundern.

Dass wir stehen müssen, gefällt Barbara gar nicht. „Da drüben sind noch Stühle frei“, murrt sie und zeigt auf einen Tisch im hinteren Eck.

„Später“, vertröstet Amanda sie. „Jetzt ist erstmal Party angesagt!“ Sie winkt dem Kellner, einem hochaufgeschossenen Jüngling mit Flaumbärtchen, und bestellt drei „Puppenhaus-spezial“ Cocktails. Augenblicke später serviert er bauchige Gläser mit Schirmchen, Orangenscheibe und einer tiefen Verbeugung.

„Auf unsere Scheidungen“, sage ich feierlich und hebe mein Glas. Barbara zögert einen Moment, schluckt, dann greift auch sie zu. Wir stoßen an, die Gläser klingen. Der Alkohol fließt eiskalt durch meine Speiseröhre und zieht eine Feuerspur hinter sich her. Köstlich! In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich seit mehr als achtzehn Monaten weder eine Kneipe besucht noch Alkohol getrunken habe. Das letzte Mal war ich mit Pierre in einem als Bambushütte getarnten Lokal auf Honolulu, wo die Bedienungen Baströckchen trugen und Blumenkränze in den Haaren hatten. Ich verscheuche den Gedanken an Pierre, nehme einen weiteren Schluck und spüre, wie die Anspannung aus meinem Körper weicht.

Neben mir fängt Barbara an zu kichern. „Das glaub ich dir nicht, Amanda. So dumm ist doch kein Mensch!“

„Männer schon“, erwidert diese. Sie hält das Glas in ihren langen Fingern, spitzt die pink geschminkten Lippen und trinkt einen Schluck. Ein paar Leute starren zu uns rüber, als ständen wir auf einer Showbühne.

Ich hab nicht mitbekommen, worüber die beiden reden. Meine Gedanken hatten sich mal wieder selbständig gemacht.

„Wie meine Großmutter immer gesagt hat: ‚Ein erigierter Penis hat kein Gewissen‘“, verkündet Amanda gackernd.

Barbara beißt sich auf die Unterlippe. „Wenn ein Paar sich ewige Treue schwört, dann sollten sich auch beide daran halten“, murmelt sie. „Was meinst du dazu, Lissy?“

Schon wieder erscheint ein Bild vor meinen Augen. Ich zwinkere, aber es will nicht verschwinden. Die Blicke meiner neuen Freundinnen ruhen auf meinem Gesicht. „Ich musste für eine Weile nach Deutschland, weil meine Oma gestorben war“, erinnere ich mich düster. „Als ich zurück nach Honolulu kam, steckte Pierre gerade tief in einem neuen Projekt. Das Projekt hieß Lucilla.“ Ich bin stolz auf mich, denn mir sind weder Tränen in die Augen geschossen, noch habe ich einen Kloß im Hals.

„Schweinehund“, knurrt Amanda.

Barbara schaut sich nach potenziellen Mithörern um und senkt ihre Stimme. „Hast du ihn etwa beim Sex erwischt?“, flüstert sie entsetzt.

„Und ob. Sie waren gerade mittendrin.“

Barbara schüttelt traurig den Kopf. „Du Ärmste.“

„Das wird mir nie wieder passieren“, verkünde ich tapfer. „Ich hab das Thema Liebe abgehakt, und zwar ein für allemal.“

Amanda stellt schwungvoll das Glas ab, stützt die Fäuste auf die Tischplatte und beugt sich vor. Die Fäuste verschwinden unter ihrem Busen. „Hört mal her, ihr Süßen!“, ruft sie. „Wir alle machen Momente der Verzweiflung durch. Aber wenn wir ihnen ins Auge sehen, dann finden wir heraus, wie stark wir in Wirklichkeit sind.“ Sie zwinkert uns zu, richtet sich auf, ergreift ihr Glas und strahlt wie ein Superstar in die Runde. Einige männliche Gäste prosten ihr zu. Eine Weile herrscht Schweigen am Tisch, während ihre Worte in uns nachhallen.

Barbara seufzt auf. „Ich versteh das nicht. Ich hab alles für Ingo gemacht, wirklich alles. Ich hab sogar seinen blöden Nachnamen angenommen, weil er das so wollte.“

„Wie lautet der denn?“, erkundige ich mich.

„Sommerlatte. Ich heiße Barbara Sommerlatte,“ gesteht sie.

Amanda bricht in wieherndes Gelächter aus und ich muss ebenfalls grinsen. „Sommerlatte ist wirklich kein Geschenk“, kommentiere ich. „Sieh’s positiv, Barbara: Jetzt, da du geschieden bist, kannst du eine Namensänderung beantragen und wieder deinen Mädchennamen annehmen.“

„Das macht Sinn, es sei denn, der ist noch schlimmer!“, prustet Amanda. „Morgenlatte zum Beispiel.“

„Nein, dann heiße ich wieder Barbara Meier.“

„Großes M und kleine Eier“, meint Amanda kichernd. Plötzlich schreit sie entsetzt auf. „Sag mal, ist das etwa dein Ehering da an deinem Finger?“

Barbara schlägt die Augen nieder und nickt kaum merklich. „Ich werde ihn nachher zu Hause abnehmen. Seit heute brauche ich mir ja keine Hoffnungen mehr zu machen. Es ist endgültig aus und vorbei.“

Ich tätschle ihre Wange. „Ich kenne Ingo nicht, aber er muss ein Idiot sein. Sonst hätte er gecheckt, was er an dir hat.“

Wir leeren unsere Gläser und Amanda gibt dem Kellner ein Zeichen. Im Nu stehen neue Cocktails auf unserem Tisch. Mein Kopf fühlt sich an, als wär er mit fluffig-weicher Watte gefüllt. Ich lehne am Tisch, schlürfe den nächsten Drink und bin ausnahmsweise einmal mit mir und meiner Welt im Reinen.

„Ich hab mich heute extra schick gemacht. Nur für Ingo,“ jammert Barbara. „Aber er hat das gar nicht bemerkt, er hat mich nicht mal angesehen.“

„Ähem“, räuspert sich Amanda und mustert Barbaras Erscheinung von oben bis unten. „Nimm’s mir nicht übel. Aber wenn der Plunder schick sein soll, dann möcht ich nicht wissen, wie du normalerweise rumläufst.“

„Die Geschmäcker sind halt verschieden“, schalte ich mich ein.

„Ich hab das alles selbst genäht. Den Hosenrock, die Bluse und den Blazer.“

Amanda reißt die Augen auf. „Im Ernst?“ Sie schaut sich den Blazer etwas genauer an. „Wenn du sowas kannst, warum nähst du dir dann keine vernünftigen Klamotten?“

„Was gibt es denn an meiner Kleidung auszusetzen?“, rätselt Barbara. „Das ist richtig guter Stoff, der war ganz schön teuer.“

„Die Farbe sieht aus wie Babydurchfall und der Schnitt ist was für Omas“, erwidert Amanda ungerührt. „Hey, ich wünschte, ich könnte das auch. Ich würd die geilsten Fummel nähen und sie auf dem Laufsteg präsentieren.“

„Das kannst du lernen“, ist Barbara überzeugt. „Wenn du willst, zeig ich’s dir.“

„Nein, nein. Ich bin in solchen Dingen echt ne Niete.“

„'Kann ich nicht, heißt will ich nicht.' Das hat meine Großmutter immer gesagt.“ Barbara grinst, hebt ihr halbvolles Glas und leert es in einem Zug.

Wir trinken zwei oder drei weitere Cocktails, unsere Gespräche drehen sich um Männer im Allgemeinen und Untreue im Besonderen. Es ist nicht zu fassen, Barbara glaubt trotz einer Reihe herber Enttäuschungen mit Männern und dem Reinfall mit dem narzisstischen Ingo an ihren Märchenprinzen. Wie kann sie nur so naiv sein? Statt auf den Traumprinzen zu hoffen sollte sie lieber aufpassen, dass sie nicht auf den nächsten Frosch reinfällt, der sie wieder nur ausnutzt.

„Also meiner muss hammermäßig aussehen, so einer mit nem richtig geilen Body, versteht ihr?“, erklärt Amanda. Barbara nickt nachdrücklich und ich verdrehe die Augen.

„Muskeln aus Granit und Sehnen aus Stahl. Und zwar am ganzen Körper, wenn ihr wisst, was ich meine.“ Sie kichert.

Das ist doch nicht zu glauben! Ich muss sie unbedingt zur Besinnung bringen. „Mädels, was ist los mit euch? Hallo? Wir sind frisch geschieden, schon vergessen?“ Mir ist etwas schwummerig und ich halte mich sicherheitshalber mit beiden Händen am Tisch fest.

„Und Kohle muss er haben. Richtig fett viel Kohle. Sonst wird das nichts mit ihm und mir“, plant Amanda fröhlich weiter, als hätte ich nichts gesagt.

Als der Jüngling die nächste Ladung Cocktails an unseren Tisch bringt, frage ich nach der Speisekarte. Wer trinkt, braucht eine solide Grundlage. Ich bestelle ein Jägerschnitzel mit Pommes, Barbara schließt sich an, und Amanda wählt einen kleinen gemischten Salat ohne Dressing.

„Als Model achte ich stets auf meine Figur“, begründet sie ihr karges Mahl.

Barbara schaut ihr einen Moment kopfschüttelnd dabei zu, wie sie ein Salatblatt mümmelt. „Nee, das wär nichts für mich. Ich esse für mein Leben gern.“

„Was du nicht sagst“, entgegnet Amanda in gutmütigem Ton und kommt wieder auf die Klamottenfrage zu sprechen. „Barbara, du musst deine Oberweite betonen. Nimm einen Push-Up und zieh dir was mit großem Ausschnitt an. Alle Männer stehen auf dicke Möpse. Ausnahmslos alle!“

„Aha“, macht Barbara mit vollem Mund und schneidet ein großzügiges Stück vom Schnitzel ab.

„Und deine Brille ist total Old School. Am besten steigst du um auf Kontaktlinsen.“

„Die vertrag ich nicht.“

„Dann kauf dir ne anständige Brille. Eine mit schwarzem Rand, die finden Männer sexy.“ Amanda spießt eine halbe Gurkenscheibe auf und hält in der Bewegung inne, als müsste sie erst überlegen, ob sie diesen Happen noch bewältigen kann.

Sie wendet sich an mich. „Lissy, bei dir ist obenrum nicht viel zu holen“, stellt sie fest. „Aber du hast ein hübsches Gesicht und tolle Haare. Und einen knackigen Po.“

„Besten Dank“, entgegne ich und zwinkere Barbara zu. Wir grinsen uns an, während Amanda die Gabel zum Mund führt und auf der Gurke herumkaut.

„Du machst leider überhaupt nichts aus deinem Typ“, schränkt sie das Kompliment gleich wieder ein. „Dieser langweilige Pferdeschwanz geht gar nicht.“

„Du hast mich noch nicht mit offenen Haaren gesehen“, merke ich an. „Ein Wischmopp ist nichts dagegen.“

„Männer stehen drauf“, ist sie überzeugt.

„Auf Wischmöppe?“, frage ich kichernd.

„Auf lange wilde Locken. Die Sommersprossen musst du mit Concealer abdecken. Am besten lässt du sie wegmachen, das geht ganz einfach per Laser oder UV-A-Blitzer.“

„Ich finde Lissys Sommersprossen goldig“, wirft Barbara ein.

„Du bist aber kein Mann.“

„Da hast du allerdings Recht.“

Weiter geht’s, Amanda hat noch mehr Beautytipps für mich auf Lager. „Eyeliner und Wimperntusche, logisch. Und natürlich musst du dich vernünftig anziehen. Ringelshirt, Jeans und Sportschuhe, ich bitte dich!“

Verwirrt schaue ich an mir hinab. „Was ist denn daran nicht vernünftig?“

Amanda gähnt demonstrativ. „Hast du dich für das Miss-Langweilig-Casting beworben?“

Sie legt einen krallenartigen, pinkfarbenen Fingernagel an ihre Lippen und schaut von mir zu Barbara. „Hey, ich hab ne tolle Idee!“, ruft sie plötzlich und klatscht vor Begeisterung in die Hände. „Ich zeig euch demnächst mal, was ihr aus eurem Typ machen könnt. Ihr werdet mich dafür lieben!“, prophezeit sie.

„Das ist sehr nett von dir“, meint Barbara.

„Männer sind visuelle Wesen. Bei denen zählt in erster Linie die Optik einer Frau.“

„Moment!“, protestiere ich und stoße mit den Enden von Gabel und Messer auf die Tischplatte, wie dieser Junge im Struwwelpeter-Buch, der seine Suppe nicht essen wollte. „Nur damit ihr’s ein für allemal kapiert: Ich will keinem Mann gefallen, keinem!“

„Ist mir schon aufgefallen, du gibst dir ja alle Mühe dabei“, meint Amanda unbeeindruckt.

Das deftige Essen hat meinen Schwindelanfall beseitigt. Forsch bestelle ich die nächste Runde. Bevor wir uns darüber hermachen, wollen wir gemeinsam auf die Toilette gehen. Ich finde das ziemlich albern, ich habe noch nie verstanden, warum die meisten Freundinnen am liebsten zusammen zum Klo gehen. Aber Amanda besteht darauf und kündigt mit geheimnisvoller Stimme an, dass sie uns unbedingt etwas Außergewöhnliches zeigen will. Jetzt hat sie mich doch neugierig gemacht.

Wir gehen also zum Lokus, jede in eine Kabine, und nach dem Händewaschen wartet die Überraschung auf Barbara und mich: Amanda präsentiert uns ihre Tätowierung. Ich halte mich nicht für prüde, aber es ist mir doch ein bisschen peinlich, als sie Schwupps ihre Leggins runterzieht und uns ihren nackten Hintern entgegenstreckt.

„Huch!“, entfährt es mir.

Vor meinen Augen erscheinen zwei stramme Pobacken und eine leuchtend bunte Schlange.

„Oh ho... kay“, haucht Barbara und rückt ihre Brille zurecht.

„Das ist eine Königsnatter, die hat ein Promi-Tätowierer in Los Angeles gestochen. Der tätowiert nur echte Stars“, prahlt Amanda. Sie macht keinerlei Anstalten, die Hose wieder hochzuziehen. Barbara und ich schauen uns betreten an.

„Ihr fragt euch bestimmt, wo sich ihr hübsches Köpfchen befindet“, sagt sie glucksend.

„Nein!“, versichern Barbara und ich wie aus einem Munde.

„Nein?“, fragt sie ungläubig, richtet den Oberkörper auf und zieht sich wieder an. Sie scheint enttäuscht über unser mangelndes Interesse zu sein.

„Ich bin auch tätowiert“, verkündet Barbara, zieht den Blazer aus und schiebt den Ärmel ihrer Bluse hoch. Auf ihrem drallen Oberarm prangt ein kleiner Schmetterling. Er sieht irgendwie verwaschen aus.

„Schlecht gearbeitet“, meint Amanda mit kritischem Blick. „Da war ein Stümper am Werk.“

***

Puh, das war eindeutig ein Glas zu viel! Draußen vor dem Puppenhaus-Fenster wird es dämmerig, die Straßenlaternen flammen auf. Meine neuen Freundinnen und ich haben unzählige Cocktails getrunken und obwohl ich zwischendrin auf Mineralwasser umgestiegen bin, ist mir speiübel. Amanda und Barbara sind offenbar besser trainiert. Sie haben dieselbe Menge Alkohol intus und ihnen fehlt nichts.

Wir sitzen an einem eckigen Holztisch, vor mir steht eine Jumbotasse Kaffee und aus der Jukebox krächzt Tina Turner „You’re simply the best“. Ein Mann in Schlips und Kragen schwebt mit einer Frau im engen Kleid an uns vorbei. Hinter meiner Stirn dreht ein Karussell schnelle Runden, ich mache für einen Moment die Augen zu, aber dann wird mir noch schwindeliger und so mache ich sie gleich wieder auf.

Amanda hat mal wieder einen Verehrer abgewimmelt. Nun erklärt sie uns, weshalb er nicht ihr Typ ist: Schmale Schultern, dünne Arme, schlecht sitzende Hose und schräg abgelaufene Sohlen an den Schuhen. Im Laufe dieses einen Nachmittags wurde sie von mehr Männern angebaggert als ich in meinem ganzen Leben. Ich gähne lauthals.

„Mädels, ich muss ins Bett“, lalle ich mit schwerer Zunge und krame umständlich in der Hosentasche nach meinem Handy.

„Wie kommst du denn nach Hause?“, erkundigt sich Barbara besorgt. „Dein Auto steht doch noch beim Gerichtsgebäude.“ Ihr Gesicht ist gerötet, aber ihrer Aussprache ist der Alkoholgenuss nicht anzumerken.

„Ich ruf meinen Kumpel Henry an.“

„Oh là, là!“, macht Amanda albern und wackelt mit dem Zeigefinger. „Wenn da mal nicht mehr dahintersteckt.“

Vermutlich ist es undenkbar für sie, mit einem Mann nur befreundet zu sein.

Ich presse das Handy ans Ohr und höre Henrys Stimme. Mühsam erkläre ich ihm, wo ich bin und bitte ihn, mich abzuholen.

„Hast du ne Wolldecke im Mund?“, erkundigt er sich kichernd, ich hör ihn mit dem Schlüssel klimpern und dann legt er auf.

„Er ist gleich da“, seufze ich erleichtert und lehne mich auf dem Stuhl zurück. Himmel, ist mir schlecht.

„Wir müssen uns unbedingt bald wieder treffen“, drängt Barbara.

„Logisch, ich hab euch doch ne Farb- und Stilberatung versprochen. Am besten, wir schnasseln vorher nen Kleinen hier im Puppenhaus und anschließend gehen wir zu mir. Was haltet ihr davon?“

„Spitzenidee!“, ist Barbara begeistert.

„Jepp“, mache ich und konzentriere mich auf eine möglichst flache Bauchatmung. Beim Gedanken, jemals wieder „einen zu schnasseln“ wird mir noch elender.

Wir tauschen die Telefonnummern aus, in meinem Fall heißt das, ich überreiche Barbara einfach mein Handy und sie tippt die Nummern ein.

„Großer Gott, schaut euch den mal an!“, ächzt Amanda mit Blick auf die Kneipentür. Sie macht ein Gesicht, als hätte sie auf etwas Ungenießbares gebissen.

Ich bin nicht in der Lage mich umzudrehen. Barbara schiebt ihre runtergerutschte Brille hoch, schaut Richtung Tür und zuckt die Schultern.

„Typen wie der sollten echt verboten werden. Da wird einem ja vom Hingucken schon ganz schlecht“, stöhnt Amanda. „Ein Fleischberg mit drei Zentnern Übergewicht in Sprüche-T-Shirt und Prepissed-Jeans. Schlimmer geht’s nimmer.“

„Das ist keine Jeans, sondern eine Jogginghose“, korrigiert Barbara sie ernsthaft.

„Sag ich doch.“

„Trägt er braune Herrensandalen?“, erkundige ich mich matt.

Barbara reckt den Hals. „Ja, tatsächlich. Woher weißt du das denn?“

„Das ist Henry“, entgegne ich und hebe meinen schlaffen Arm in der Hoffnung, dass er mich entdeckt.

Barbara schlägt die Augen nieder. „Oh Lissy, entschuldige bitte, wir konnten ja nicht ahnen, dass das dein Kumpel ist!“

Amanda hebt abwehrend die Hände. „Ich bin raus. Mir wär das echt zu peinlich, mich von dem abholen zu lassen.“

„Man sollte Menschen nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilen“, mahnt Barbara.

„Das ist aber die einzige Möglichkeit“, entgegnet Amanda. „Wie willst du einen Mann denn sonst einschätzen, wenn nicht nach seinem Body? Man kann schließlich nicht in einen anderen reingucken.“

„Hi Mädels!“, ruft Henry. Er hat unseren Tisch erreicht, schaut mit breitem Grinsen in die Runde und lässt sich auf dem Stuhl neben mir nieder. Henry hat eine helle Stimme, die irgendwie im Widerspruch zu seinem massigen Körper steht. Seine fusseligen Haare stehen vom Kopf ab, als hätte er sich durch einen Sturm gekämpft. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangt in großen gelben Lettern „Zum Anbeißen“.

„Danke, dass du hergekommen bist“, nuschle ich.

„Ehrensache“, meint er und schaut mich forschend an. „Wow, du bist betrunken! Ich hab dich noch nie betrunken erlebt.“ Er tut, als hielte er ein Telefon ans Ohr und sagt mit tiefer Stimme: „Ist dort die Alkoholikerberatung? Ich hab hier eine junge Frau, die braucht unbedingt Ihre Hilfe.“ Er haut sich glucksend auf die Oberschenkel und ich konzentriere mich weiter auf meine flache Atmung. Alles dreht sich - gab es nicht mal ein Lied mit diesem Titel?

Die drei machen sich bekannt. Amanda bemüht sich sichtlich um Liebenswürdigkeit, aber ihre Mimik verrät tiefe Abneigung.

„Sagt mal, warum heißt der Schuppen eigentlich ’Puppenhaus'?“, rätselt Henry und schaut sich suchend um. „Ich hab noch keine einzige Puppe entdeckt.“

Amanda verdreht die Augen. „Sie sind direkt vor dir. Du sitzt mit dreien am Tisch.“

Barbara richtet sich auf ihrem Stuhl auf. „Hab ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich Puppen und Teddys nähe?“ Ihre blauen Kulleraugen leuchten. „Ich habe mich vor Kurzem mit meiner Puppenmanufaktur selbständig gemacht.“

„Das klingt ja interessant!“ Henry stützt die Arme auf den Tisch und beugt sich zu ihr rüber. „Vertreibst du sie online? Oder hast du Kunden in der Region?“

Barbara gräbt ihre Vorderzähne in die Unterlippe. „Ich ... äh ... bring sie ins Kinderkrankenhaus.“

„Tolle Geschäftsidee!“, lobt er.

„Nein, ich ... äh ... schenke sie den kranken Kindern“, gesteht sie.

Niemand sagt etwas.

„Ihr glaubt gar nicht, wie sehr die Kinder sich über meine Puppen und Teddys freuen.“

„Ach du Scheiße, und wovon lebst du?“, will Amanda wissen.

„Das Arbeitsamt zahlt mir für die nächsten Monate einen kleinen Betrag. Ich muss mich halt einschränken ...“ Sie hebt den Blick. „Aber das macht gar nichts, weil ich meine Arbeit wahnsinnig liebe! Ich könnte Tag und Nacht Puppen und Teddys nähen, es gibt nichts Schöneres für mich.“ Sie lächelt verträumt.

„Hey, du könntest den Inhaber dieses Ladens fragen“, schlägt Henry vor. „In ein Puppenhaus gehören Puppen. Richtige Puppen“, fügt er mit einem Seitenblick auf Amanda hinzu.

„Du scheinst dich ja gut auszukennen“, schnappt Amanda.

„Stimmt“, erwidert er.

„Pffft“, macht sie und wendet sich ihren Fingernägeln zu. Prüfend betrachtet jeden einzelnen Nagel.

Henry kennt sich tatsächlich gut mit Puppen aus. Er lebt nämlich mit einer Puppe zusammen. Ich vermute, ich bin der einzige Mensch in seinem Umfeld, der davon weiß.

Barbara kaut wieder auf ihrer Lippe herum. „Ich kann doch nicht einfach wildfremden Leute meine Puppen aufschwatzen“, murmelt sie.

„Was ist denn dabei? Mehr als ein Nein kannst du dir nicht einfangen. Einen Versuch ist’s allemal wert“, will Henry ihr Mut machen, aber Barbara schüttelt nachdrücklich den Kopf.

Plötzlich steigt ekliger saurer Magensaft in meiner Kehle auf. Ich kriege einen Hustenanfall, Henry klopft mir auf den Rücken. „Ich muss nach Hause“, röchle ich, als ich wieder zu Atem komme. „Mir geht’s gar nicht gut.“ Die Untertreibung des Jahrhunderts.

„Kannst du laufen?“, erkundigt er sich besorgt.

„Keine Ahnung“, stöhne ich, krame mein Portemonnaie hervor und bedeute ihm, meine Zeche zu zahlen.

Henry springt auf und stapft mit großen Schritten zur Theke. Als er zurückkehrt, drückt er mir mein Portemonnaie in die Hand und sagt zu Barbara: „Montag ab achtzehn Uhr hat der Chef Zeit, sich deine Puppen anzusehen.“

„Oh ... wirklich?“, haucht sie und fummelt am Kragen ihrer Bluse herum.

Henry greift unter meine Achseln und stellt mich auf die Füße. Der Boden unter mir schwankt wie Schiffsplanken auf hoher See, gleichzeitig tauchen vor meinen Augen grelle Blitze auf. Übelkeit steigt in mir hoch, ich presse die Lippen zusammen. Mein Organismus hat mich auf meine Grundbedürfnisse reduziert. Zum Überleben brauche ich ein Klo und ein Bett, und zwar in dieser Reihenfolge.

„So wird das nichts“, stellt Henry fest, fasst kurzerhand unter meine Knie, nimmt mich auf den Arm und ich komm mir vor wie ein Kleinkind. Ich kneife die Augen zu, damit ich nicht sehen muss, wie die Leute mich anstarren, während er mich aus der Kneipe trägt.

Die Abendluft schlägt mir wie ein Hammer entgegen. Angeblich soll frische Luft ja ein Allheilmittel sein, in meinem Fall ist sie das Gegenteil. Ich muss würgen und Henry setzt mich an einem Straßenbaum ab.

„Raus damit, dann wird’s besser“, feuert er mich an und tritt einen Schritt zur Seite.

Er hat recht, denn als ich meinen Mageninhalt losgeworden bin, ist mir zumindest nicht mehr so furchtbar übel. Henry drückt mir ein Stofftaschentuch in die Hand und ich trockne damit meinen Mund. Ich bin fix und fertig mit den Nerven, meine Beine fühlen sich an wie Pudding, meine Eingeweide haben sich zu einem einzigen Krampf zusammengeballt. Tränen rinnen mir über die Wangen, ich wische sie mit dem Taschentuch weg. Ich werde nie wieder „Puppenhaus-spezial“ Cocktails trinken, das schwöre ich. Nie wieder!

Henry hält mit seinem Kombi dicht neben dem Straßenbaum an und macht die Beifahrertür auf. Ich rutsche auf den Sitz und bin in der nächsten oder übernächsten Straße eingeschlafen.

2. Der geheimnisvolle Fremde