Rabenlieder - Janine Senkel (geb. Günther) - E-Book

Rabenlieder E-Book

Janine Senkel (geb. Günther)

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Beschreibung

Saya ist eine junge Vampirin, die es nicht immer leicht hatte. Bevor sie zum Vampir wurde, war sie ein ganz normaler Teenager, der an Jungs dachte, mit Freunden wegging und ab und an die Schule schwänzte. Doch, das ist nun schon ein paar Jahre her. Sie ist jetzt ein Vampir, hat tolle übernatürliche Freunde und verbringt heiße Nächte mit dem Werraben Kris. Doch dann passiert etwas, was Sayas Glück erschüttert und auch ihre Vergangenheit droht, sie einzuholen. Doch als sie dem kleinen Jungen namens Eric begegnet, der ein ähnliches Schicksal durchmacht, wie Saya es vor einigen Jahren erlebt hatte, ist sie entschlossen ihm zu helfen und tüftelt mit ihren Freundinnen, Shania, Shina und Aniola einen Plan aus, der Grausamkeit ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Wird Kris ihr dabei helfen? Wie wird es mit den beiden weitergehen? Und was wird aus dem jungen Eric?

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Seitenzahl: 302

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Deutschsprachige Erstausgabe September 2014

Copyright

Rabenlieder© 2014 by Janine M. SENKEL

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de ISBN 978-3-7375-0716-5

RABENLIEDER

Ich widme dieses Buch meiner Freundin Angie, ohne die ich vermutlich nicht die wäre, die ich jetzt bin, ohne die ich einige Leute nicht kennengelernt hätte und ohne die ich einfach ein ganz anderes Leben geführt hätte. Ich hoffe, ich kann ihr mit den Büchern ein wenig zurückgeben.

5 Jahre zuvor

Sie war gerade auf dem Heimweg von "The Egg", einer angesagten Londoner Disco. Obwohl sie nicht auf die Musik dort - es wurde ausschließlich Techno gespielt - stand, ging sie da öfters hin, allein schon weil ihr die Location gefiel, die Cocktails gut waren und einige ihrer Kollegen - sie arbeitete im Hard Rock Café Shop als Verkäuferin - dort immer hingingen, weswegen sie sich ihnen ab und zu anschloss.

Ihre rotbraunen Haare waren heute ausnahmsweise einmal geglättet und hingen ihr lässig über die Schultern. Sie trug einen kurzen engen Rock und darauf ein locker hängendes rotes Top, das oben eng geschnitten war, so dass es ihre Kurven gut betonte.

Sie lief die einsame Straße entlang, Richtung Baker Street Station. Es war dunkel und beunruhigend ruhig. Ständig drehte sie sich verängstigt um, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches erkennen. Ihre Schritte wurden größer, ihr Gang immer schneller, bis sie fast zu rennen begann.

Ängstlich drehte sie sich immer wieder um und sah zurück.

Sie konnte niemanden erblicken. Doch als sie sich wieder nach vorne drehte, stand plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihr. Lange, fettige Haarsträhnen hingen dem großgewachsenem Mann ins Gesicht. Seine Haut war fahl, seine Augen leer und er sah sie mit einem Blick an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sie erstarrte und blieb regnungslos vor ihm stehen. Stille. Nur ihr pochendes Herz war zu hören. Angstschweiß rann ihre Stirn hinab, ihre Knie zitterten und ihre Augen wurden feucht. Sie wollte rennen, sie wollte schreien, doch es ging nicht. Auf einmal streckte die Gestalt ihre Hände aus und packte ihren Arm. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Mit einem Satz wurde sie nach hinten geschleudert und knallte gegen die Hauswand hinter ihr. Ihre Beine drohten nachzugeben, aber die Gestalt war blitzschnell da und presste sie gegen die Wand. Etwas Spitzes und Scharfes bohrte sich plötzlich in ihre Haut und als sie schaute, was das war, sah sie wie der düster wirkende Mann an ihrem Hals hing, spitze Zähne blitzten hervor. Sie schrie innerlich auf. Das musste ein Alptraum sein. Es konnte gar nicht real sein. So etwas wie Vampire gab es schließlich nicht. Die spitzen Zähne drangen immer tiefer in ihr zartes Fleisch und der brennende Schmerz durchzog ihren ganzen Körper. Plötzlich spürte sie, wie auf der anderen Seite ebenfalls etwas Spitzes sich in ihren Hals bohrte und ein eklig vergammelter Geruch stieg ihr in die Nase. Sie drehte ihren Kopf ein wenig und sah einen schmuddelig aussehenden Mann, der wie der andere ein Vampir zu sein schien. Fassungslos starrte sie ihn an. Ihre Kraft schwand, je mehr Blut sie verlor, ihre Beine gaben nach und der Schmerz wurde so unerträglich, dass sie kurze Zeit später ohnmächtig zusammensackte.

Schmerz. Sie spürte nichts als Schmerz. Ihr Hals brannte, ihre Beine taten weh, ihr Kopf pochte. Unerträgliche Schmerzen. Sie öffnete ihre Augen, alles war noch verschwommen. Sie blinzelte und langsam wurde alles schärfer. Sie konnte sich kaum bewegen, deswegen sah sie nur mit ihren Augen umher. Sie war in einem leeren, dunklen Raum. Kein Möbelstück, keine Geräte, nichts. Der Boden auf dem sie lag fühlte sich feucht an und es roch modrig. Außerdem war es relativ kalt. Sie zitterte leicht und auf ihren Armen hatte sich Gänsehaut gebildet. Vermutlich war sie in einem Keller eingesperrt. Plötzlich kamen ihr wieder die Bilder von den zwei Gestalten in den Sinn. Das letzte woran sie sich erinnern konnte. Sie mussten sie hier eingesperrt haben. Tränen liefen ihre Wangen hinab. Auf einmal wurde eine schwere Tür aufgerissen und Schritte waren zu hören. Es waren zwei Personen. Ihr Zittern wurde stärker. Sie konnte den penetranten Geruch der zwei Männer erkennen, die sie angegriffen hatten. Mit einem Ruck wurde sie nach oben gerissen und gegen die dreckige Kellerwand gepresst. Ängstlich schloss sie die Augen. Ein kaltes Lachen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dann rammten die beiden erneut ihre spitzen Zähne in ihren Hals. Das Brennen wurde heftiger und sie schrie lauthals auf. Die Männer lachten nur hämisch und raubten ihr all ihre Kraft. Sie konnte sich nicht wehren. Dann begannen sie auch noch, mit ihren dreckigen Händen unter ihr Oberteil zu fahren und sie zu begrabschen. Auch vor ihrem Höschen machten sie keinen Halt. Sie schändeten ihren Körper bis aufs Äußerste und fügten ihr immer mehr Schmerzen zu, was sie auch noch zu genießen schienen. Nach einer Weile, durchfuhr sie ein noch schlimmeres Brennen am Hals, als ob Gift ihre Venen durchlief. »Was habt ihr mit mir gemacht?« Sie presste diese Worte schwach und kaum hörbar hervor und sackte zusammen. Reglos, nackt und geschändet blieb sie auf dem kalten, feuchten und schmutzigem Kellerboden liegen. Die beiden Männer stiegen über sie hinweg, als wäre sie Abfall und die Tür knallte, als sie verschwunden waren.

Sie konnte sich nicht rühren und dann verschwamm erneut alles vor ihren Augen.

1

Schweißgebadet wachte Saya auf, ihre Augen weit aufgerissen vor Schreck. In letzter Zeit hatte sie immer wieder diesen Traum. Diese schreckliche Erinnerung, wie sie vor einigen Jahren gequält und zum Vampir verwandelt wurde. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie krallte ihre Finger fest in die Decke. Die Sonne war bereits untergegangen, das konnte sie spüren. Sie kroch also aus ihrer dunklen Höhle und ging ins Bad, um zu duschen.

Fertig angezogen schlenderte sie in die Küche. Da klingelte das Telefon. Saya nahm ab und am anderen Ende war eine helle weibliche Stimme zu hören. »Hallo Saya. Kannst du ins Bat kommen?« Irritiert über diesen frühen Überfall - 22

Uhr kann man zwar normalerweise nicht gerade früh nennen, aber für einen Vampir, der tagsüber schläft, sieht das Ganze wieder anders aus - wusste sie erst gar nicht, was sie antworten sollte und stammelte vor sich hin. »Shina? Was ist denn los?« Ein Lachen schallte aus dem Hörer. »Bist wohl gerade erst aufgestanden, was?« Shina war zwar kein Vampir, aber eine Werleopardin und sie hatte zudem viel Kontakt mit Vampiren, weswegen sie die Angewohnheiten dieser Spezies gut kannte. Sie kannte Saya nun seit einem Jahr und sie waren öfters zusammen ausgegangen.

Zusammen mit ihren zwei anderen Freunden, Shania und Aniola, eine Hexe und eine Vampirin. Ihr Stammlokal war das Bat in the Moon - von ihnen auch liebevoll oft nur Bat genannt - einem Vampirclub, der sich in Harrow on the Hill befand, direkt neben dem Pub the Moon on the Hill, wodurch der Club auch seinen Namen erhalten hatte.

»Natürlich bin ich gerade erst aufgestanden. Aber jetzt erzähl mir doch mal bitte, warum ich jetzt so dringend ins Bat kommen soll? Ist irgendetwas passiert?« Stirnrunzelnd wartete Saya die Antwort ihrer Leopardenfreundin ab.

»Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht so genau. Shania will irgendetwas mit uns besprechen. Ani hatte mich gerade angerufen.« Saya knirschte mit den Zähnen. Shania wollte ihnen was mitteilen und sie erfuhr das über drei Ecken? Sie war doch ihre beste Freundin. Und Aniola, oder Ani, wie Shina sie so schön nannte, kannte sie erst seit einem Jahr.

»Warum hat sie mir denn nichts erzählt?« Erneut war ein herzhaftes Lachen am anderen Ende zu hören.

»Eifersüchtig?« Saya schnaubte nur. »Aber im Ernst, Saya, das wird schon einen Grund haben.« Erneut war ein verächtliches Schnauben zu hören. »Pah!« Shina seufzte verzweifelt über die Sturheit ihrer Freundin. »Du hättest sie doch wahrscheinlich nicht in Ruhe gelassen, bis sie dir alles erzählt. Wahrscheinlich wollte sie das vermeiden und es uns allen zusammen mitteilen.« Nun seufzte auch Saya und ließ sich auf den Stuhl im Esszimmer nieder. »Du hast ja Recht.«

Sie lehnte sich zurück. »Ok, dann komm ich gleich vorbei.

Bis dann!« Noch bevor Shina antworten konnte, hatte Saya auch schon aufgelegt. Mit einem Schwung war sie wieder auf den Beinen, stellte das Telefon zurück in die Ladestation, nahm ihre Handtasche von der Couch, ihren Schlüssel aus dem Schlüsselkasten und schon war sie aus der Tür verschwunden. Schnurstracks lief sie auf die Bushaltestelle zu, um nach Harrow on the Hill zu fahren. Von ihr aus war es ein Katzensprung dort hin, aber dennoch zog sie es vor den Bus zu nehmen und nicht zu laufen. Manchmal wünschte sie, Vampire hätten wie im Fernsehen die Fähigkeit, sich in Fledermäuse zu verwandeln. Deprimiert darüber stieß sie einen lauten Seufzer aus, woraufhin sie alle umstehenden Leute ansahen. In London waren die Menschen wirklich an einiges gewohnt, aber wenn man Geräusche von sich gab oder Selbstgespräche führte, wurde man meist dennoch schief angeguckt. Saya war daran gewohnt, da sie öfters einfach mal laut loslachte, wenn Shania oder Aniola ihr eine lustige Nachricht schickten.

*

Einige Minuten später stand sie vor einem kleinen alten Gebäude, das aussah, als wäre es ein leerstehendes Wohnhaus. Die Fassade blätterte ab, die Fenster waren dunkel, kein Schild, nichts. Allerdings konnte man, wenn man genauer hinsah, eine kleine Fledermaus erkennen, die in die alte dunkle Holztür geritzt war. Saya drückte die Türklinke hinunter, stieß die Tür auf und trat ein. Es war ziemlich voll, "Temple of Love" von Sisters of Mercy schallte aus der Anlage, im ganzen Raum waren überall runde Tische verteilt, an denen sich bleiche schwarzgekleidete Leute -

besser gesagt Vampire - tummelten und am Ende des Raums befand sich die Bar. Alle Möbel in diesem Club waren aus dunklem Holz, so dunkel, dass es fast schwarz war. An einigen Tischen standen anstelle von Holzstühlen, schwarze Cocktailsessel. Saya ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte ihre Freunde an einem Tisch neben der Bar sitzen. Schnurstracks eilte sie auf die drei zu und streifte dabei die Bedienung. Diese schwankte kurz, bevor sie wieder Halt fand und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. Das hätte im wahrsten Sinne des Wortes ein Blutbad gegeben. Zornig funkelte sie Saya an. »Sorry«, murmelte sie ihr zu und ging dann weiter zum Tisch ihrer Freunde. Diese hatten den kurzen Aufschrei der Bedienung gehört und als sie aufsahen, bemerkten sie Saya, die sie nun herzlich begrüßten. Shania fiel ihr sofort um den Hals und wäre Saya kein Vampir, hätte Shania sie zerquetscht. Aniola knuffte ihr erstmal in die Seite und knuddelte sie dann auch. Shina, die ausnahmsweise einmal vor Saya da war, drückte sie auch freundschaftlich. Nachdem sich alle umarmt hatten, setzten sie sich an den Tisch. Shania, Aniola und Shina hatten bereits Getränke vor sich stehen. Aniola, die wie Saya ein Vampir war, nahm natürlich Blut zu sich. Saya konnte riechen, dass es noch relativ frisch war - The Bat in theMoon war bekannt dafür, dass sie ihre Blutkonserven immer frisch bezogen und es gab auch öfters Spenden von Menschen - und es sich hierbei um AB positiv handelte.

Dies war nicht gerade ihr Favorit, aber schlecht roch es trotz allem nicht und es machte sie ziemlich durstig. Shania und Shina hatten beide Cocktailgläser mit Orangen verziert vor sich. Es roch nach Sahne, Ananas und Kokosnuss. »Ihr mit eurer Piña Colada« Sie lachte laut. Die Hexe und die Werleopardin grinsten ihre Freundin an. »Kennst uns doch«, erwiderte Shania und sog dann an ihrem Strohhalm. Saya warf ihr einen sarkastischen Das-Ist-Ja-Das-Schlimme Blick zu und winkte dann der Bedienung, die sie zuvor angerempelt hatte. Diese kam sofort angelaufen, aber als sie Saya bemerkte verfinsterte sich ihr Gesicht schlagartig und sie sah aus, als würde sie einfach auf dem Absatz kehrt machen wollen. Bevor sie das jedoch konnte, ergriff Saya das Wort. »Entschuldigung nochmals wegen vorhin. Ich hoffe, es ist nichts passiert.« Die Gesichtszüge der Bedienung entspannten sich ein wenig und sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, wobei ein kurzes Lächeln über ihre Lippen huschte. »Schon ok, es ist zum Glück nichts passiert.« Sie zückte ihren Block und ihren Stift und sah die junge Vampirin fragend an. »Was darf ich denn bringen?« Sayas spitze Eckzähne blitzten hervor.

»Einmal A positiv, bitte!« Die blonde großgewachsene Kellnerin schrieb es auf ihren Zettel und sah dann Saya wieder an, ihre Mundwinkel hatten sich zu einem leichten Lächeln verzogen. »Eine gute Wahl. Es wurde gerade frisch gezapft.« Dann schlenderte sie in Richtung Bar davon.

Frisch gezapft bedeutete in diesem Fall, dass sich ein Spender gerade das Blut auspumpen hat lassen. Es war schon wirklich eigenartig, wie manche Menschen freiwillig ein paar Liter ihres Blutes abzapfen ließen, damit sich Vampire nähren konnten. In den letzten Jahren hatte es einen ziemlich großen Hype gegeben, was die Geschöpfe der Nacht mit Reißzähnen anbelangte. Früher wurde Dracula gefürchtet und seit Twilight, True Blood und Vampire Diaries wollten die jungen Mädchen alle am liebsten von einem Vampir gebissen werden. Nachdenklich starrte Saya auf den Tisch. Wenn die Mädchen wüssten, was für eine Hölle das wirklich war, würden sie das garantiert nicht wollen, aber so wie die Vampire in den Filmen dargestellt wurden, waren sie die neuen Traumprinzen, nur, dass sie nicht auf einen Schimmel ritten und Drachen töteten.

Vampire lebten eigentlich, wie alle anderen übernatürlichen Wesen versteckt und Menschen wussten von ihrer Existenz nichts. Dennoch gab es wenige, die durch ihre Vorliebe zu Vampiren auf welche getroffen waren und seitdem wussten, dass diese real sind. Die meisten davon boten sich dann als Mahlzeit an, nur um Zeit mit ihnen verbringen zu können.

Saya fand das Ganze ziemlich krank, aber trotz allem schmeckte das frische Blut einfach noch am besten.

»Was bist du denn so nachdenklich?« Aniola legte ihr eine Hand um die Schulter und sah sie verwundert an.

Schlagartig war Saya aus ihrer Gedankenwelt aufgewacht und sah ihre Freundinnen nacheinander an. Diese hatten ihre Augenbrauen nach oben gezogen und schauten sie fragend an. »Ach, ich versteh nur die Menschen nicht.« Shania und Shina sahen immer noch ziemlich verwirrt aus. Aniola hingegen schien verstanden zu haben und nickte zustimmend. »Da gebe ich dir vollkommen Recht. Ich würde mir auch kein Blut abzapfen lassen.« Nun schienen auch die anderen zwei verstanden zu haben, um was es ging.

Angewidert über diese Vorstellung verzogen sie ihre Gesichter und schoben ihre Cocktailgläser ein Stück von sich weg. »Ich möcht gar nicht wissen, was die alles mit sich machen lassen.« Shania sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Saya musste über diesen Anblick laut loslachen und auch Aniola fiel in das Gelächter mit ein. Die Kellnerin sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, als sie Saya das Blut brachte. Sie stellte es vor ihr auf den Tisch. Dabei schwappte ein wenig Blut hinaus und tropfte auf den dunklen Holztisch, der es sofort aufsaugte. Dann war die Bedienung auch schon wieder verschwunden. Die jungen Frauen sahen sich an und nun lachten alle herzhaft los.

Nach einer Weile, die sie nur dasaßen, an ihren Getränken schlürften und lachten, stellte Saya ihr mit roter Flüssigkeit gefülltes Glas zur Seite, verschränkte ihre Arme und sah ihre langjährige Freundin fragend an. Sie hatte es sofort bemerkt und das Lachen verstummte. Mit ernstem Blick stellte nun auch sie ihr Glas zur Seite und erwiderte Sayas Blick.

Verwundert sahen Aniola und Shina ihre Freundinnen an.

Hatten sie irgendetwas verpasst? Ein leises Räuspern drang aus Sayas Kehle. »Nun, es ist ja wirklich lustig und alles, aber jetzt möchte ich doch schon gern wissen, weswegen wir eigentlich hier sind.« Ihre Augenbrauen waren neugierig nach oben gezogen und sie kaute mit den Zähnen an ihrer Unterlippe, bis sie einen rostigen Geschmack auf der Zunge spürte. Sie hatte sich die Lippe blutig gebissen. Sie fuhr sich mit der Zunge darüber, leckte das Blut ab und die Wunde heilte sofort. Shania seufzte laut und lehnte sich im Cocktailsessel zurück. Diese Sessel waren wirklich sehr bequem. Saya und Shania waren oft kurz davor gewesen, einfach für zuhause welche mitzunehmen. »Du kannst auch nichts abwarten, Mädel!« Shania verdrehte die Augen, auf ihren Lippen zeichnete sich aber ein Grinsen ab. Sayas Augenbrauen wanderten noch weiter nach oben und sie schnaubte leicht, wobei sie durch die Nase ein wenig Luft ausstieß. Die rotbraunen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren, wurden davon ein Stück weit weggeblasen.

Shanias Grinsen wurde breiter. »Genau deswegen hatte ich vorher noch nichts erwähnt. Du hättest es doch nicht abwarten können.« Sie kratzte sich an der Nase. »Aber gut.

Jetzt, da wir schon einmal hier sind, kann ich es euch ja auch gleich erzählen.« Von der Neugier gepackt, stellten nun auch Aniola und Shina ihre Gläser beiseite und rückten ihre Sessel ein wenig vor. Mit erwartungsvollen Blicken starrten sie ihre Freundin an. »Es geht um Raven und mich.«

Entsetzt riss Saya ihre Augen auf. »Du bist schwanger!«

Shania fing an loszulachen. Es erfüllte den ganzen Raum.

Einige Gäste starrten zu ihnen hinüber, so stark schallte ihr Lachen durch den Club. »Nein nein!« Sie rieb sich belustigt das Kinn. »Da lassen wir uns noch Zeit, keine Sorge.«

Förmlich erleichtert, stieß Saya einen lauten Seufzer aus.

Ihre Gesichtsmuskeln entspannten sich und ihre Schultern hingen auch wieder locker herunter. Eine Fledermaus huschte über ihre Köpfe hinweg. Passend zum Logo und dem Namen des Clubs, hatten die Besitzer ein paar Fledermäuse angeschafft, die sich frei im Raum bewegten.

Da sie daran gewöhnt waren, ließen sie sich davon nicht ablenken. Die drei Freundinnen sahen Shania nach wie vor neugierig an und Saya wusste, dass ihre Freundinnen genauso wenig locker lassen würde, wie auch sie. Shania holte tief Luft. Die Zeit schien still zu stehen. Doch anstatt etwas zu sagen, hob sie ihre rechte Hand. Verwirrt sah Saya von Aniola zu Shina und starrte dann wieder stirnrunzelnd auf Shanias Hand. Dann funkelte plötzlich etwas auf und Saya bemerkte einen Ring an Shanias Finger. Erstaunen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, ihr Mund weit aufgerissen. Aniola und Shina saßen genauso da. Keiner sagte ein Ton. Stille. Fassungslosigkeit umgab sie alle. Saya fand als erstes ihre Stimme wieder. »Er hat dir einen Antrag gemacht?« Verschmitzt grinsend, aber immer noch erstaunt, sah sie ihre beste Freundin an. Diese nickte, ein breites glückliches Lächeln auf den Lippen. »Ernsthaft?« Aniola sah fassungslos von dem Ring zu Shania, deren Grinsen immer breiter wurde, dass man das Gefühl hatte, es würde ihr aus dem Gesicht springen. »Hör auf so zu Grinsen, Kleine! Das ist gruselig.« Sayas Stirn warf sich in Falten bei dem Anblick. Aniola kicherte. »Wo sie Recht hat. Das erinnert irgendwie an die Grinsekatze.« Saya und Shina nickten zustimmend. »Oder an einen Clown.« Saya erschauerte leicht. Bei den Gedanken an Clowns, lief ihr ein leichter eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sie mochte diese übertrieben geschminkten dauergrinsenden Wesen mit den viel zu großen Schuhen und Pappnasen nicht sonderlich. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken aus dem Kopf zu kriegen und dann lächelte sie ihre Freundin an und drückte sie. »Ich freu mich für dich!« Dann löste sie die Umarmung und ihr Gesicht wurde ernst. »Aber wehe, er tut dir weh, dann kriegt er es mit mir zu tun!« Ein einstimmiges Gelächter hallte durch den Club.

Nachdem auch Aniola und Shina der frisch Verlobten gratuliert hatten, bestellten sie neue Getränke und lagen sich kichernd in den Armen.

*

Es war bereits vier Uhr morgens und sie saßen immer noch zusammen. Das Bat würde bald zu machen, da die Sonne in wenigen Stunden aufgehen würde und da musste Saya schon wieder zurück sein. Auch Aniola konnte nicht länger bleiben, da sie, genau wie Saya, zu Staub zerfallen würde, wenn sie Sonnenlicht ausgesetzt wäre.

Im ganzen Club herrschte Aufbruchsstimmung. Die Mädchen zahlten ihre Rechnung und machten sich auf den Weg. Als sie sich draußen verabschiedeten, kam Saya plötzlich etwas in den Sinn. »Was ist denn dann eigentlich mit dem Rabenclan?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sahen die anderen sie an. Keiner schien zu verstehen, worauf sie hinauswollte. »Raven ist doch der neue Anführer, oder nicht? Ich dachte, er müsste dann ein Rabenmädchen heiraten, oder so.« Shanias Gesicht verfinsterte sich ein wenig. »Eigentlich schon!« Die jungen Frauen fuhren herum. Hinter ihnen stand plötzlich ein großer, in eine Lederjacke gehüllter Mann mit dunklem Haar, das ihm leicht ins Gesicht hing. Schwarze Federn fielen von seinen breiten Schultern hinab.

2

Sein plötzliches Auftauchen hatte die Frauen erstarren lassen. Mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen sahen sie den majestätisch aussehenden Mann an. Er verdrehte leicht genervt die Augen und fuhr sich mit seiner rechten Hand durch sein seidig glänzendes Haar. Langsam sollten sie daran gewöhnt sein, dass Wesen aus dem Nichts auftauchten. Shania war die Erste, die sich aus der Erstarrung löste. Ihr Mund verzog sich zu einem freudigen Lächeln und sie ging einige Schritte auf den dunkel gekleideten Mann zu und fiel ihm in die Arme. Er umschloss sie in einer zärtlichen Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Raven!« Der Klang in ihrer Stimme war voller Liebe und Fröhlichkeit. Er drückte ihren Kopf an seine starke Brust, so dass sie jeden einzelnen seiner Muskeln spüren konnte. Saya musste kichern. Es war schön, ihre Freundin so glücklich zu sehen. Sie lächelte die beiden zufrieden an und wünschte sich insgeheim, dass sie auch so viel Glück hatte. In letzter Zeit hatte sie Kris nicht oft gesehen. Er und sein Bruder Raven hatten nach dem Tod ihres Vaters, der zudem das Oberhaupt des Rabenclans war, einiges zu regeln. Saya wunderte es, dass Raven und Shania überhaupt noch Zeit füreinander fanden, vor allem da Raven, der Nachfolger werden sollte. Bei dem Gedanken fiel ihr ein, worüber sie geredet hatten, bevor Raven plötzlich aufgetaucht war. »Also, ihr heiratet, obwohl du als Anführer eine Frau von Rabenclan hättest heiraten müssen. Gibt es denn keinen Ärger?« ihr Blick war dem großen gut gebauten Mann gewidmet, der ihrem Liebsten sehr ähnlich sah.

Ravens Augen verdunkelten sich und seine ganze Mimik wurde angespannt, als er den Mund öffnete, um ihr zu antworten. »Ja.« Er fuhr seiner Verlobten durchs Haar. »Es ist einem Anführer nicht gestattet, eine Frau zu haben, die dem Clan nicht angehört.« Er hielt inne. Saya musste sich an das erinnern, was sie vor einiger Zeit über Ravens Vater und Shanias Mutter herausgefunden hatten. Die beiden hatten ein Verhältnis. Wahrscheinlich hatte Ian die Mutter von Raven und Kris auch nur geheiratet, weil er musste. Er hatte neben Shanias Mutter noch andere Geliebte. Es konnte schließlich nicht gut gehen, wenn man jemanden nicht liebte und mit der Person sein Leben verbringen musste. Sie fragte sich, was das jetzt für Raven bedeutete. Sie wollte gerade ihren Mund öffnen, um ihn danach zu fragen, als er erneut zu sprechen begann. »Ich habe auf mein Amt als Anführer verzichtet.« Erstaunte Blicke wurden ausgetauscht.

Fassungslos sahen die jungen Frauen sich an. Saya konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Der Kiefer klappte ihr nach unten und sie musste lächerlich aussehen, so wie sie da stand und Raven ansah. Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. »Du hast was?« Raven zuckte nur belanglos mit den Achseln, als ob das keine große Sache wäre. Dann ging er einen Schritt auf Saya zu, Shania immer noch fest im Arm. »Wie würdest du dich denn entscheiden? Ich hatte keine andere Wahl. Entweder Shania oder der Posten als Oberhaupt. Ich sage nicht, dass es mir leichtgefallen ist, aber ich hätte meine Liebe aufgeben müssen und das hätte ich nicht verkraftet.« Er lächelte seine zukünftige Braut liebevoll an und streichelte sie zärtlich, wobei er seine Fingerspitzen sanft über ihre Haut gleiten ließ. Saya nickte verständnisvoll. Was Raven für ihre Freundin getan hatte, war das schönste Geschenk, was sich eine Frau nur wünschen konnte. Er hatte seine Liebe über seine Verpflichtungen gestellt. Das bewies eindeutig, wie sehr er sie liebte und Saya hatte absolut keine Bedenken, was die Beziehung der beiden anging. Nun bekam sie ein kleines bisschen Sehnsucht und wünschte sich, Kris wäre hier. Sie vermisste seinen warmen starken Körper, sein Hände, die zärtlich über ihre Haut strichen. Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen, bevor sie noch gänzlich in Selbstmitleid versinken würde. Sie wollte ihrer Freundin schließlich nicht die Freude auf ihre bevorstehende Hochzeit nehmen. »Wer nimmt dann eigentlich deinen Platz im Clan ein?« Aniolas Stimme erklang neugierig hinter Saya. Sie drehte sich um zu ihr und sah sie fragend an. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Der Clan brauchte einen Anführer und wenn Raven ausschied, dann musste jemand Neues ernannt werden. Raven räusperte sich und alle wandten sich wieder ihm zu. Mitleidig sah er zu Saya hinüber und sie bekam es ein wenig mit der Angst zu tun.

Was hatte dieser Blick zu bedeuten? »Kris!« Es war nur dieses eine Wort, dieser eine Name. Stille. Es waren nur die Herzen zu hören, die laut pochend in ihren Brüsten schlugen. Ein Wort, das alles veränderte. Ein Name, der all die Freude in Sayas Blick schwinden ließ und sie schnurstracks in die Hölle zu verfrachten drohte. Alle sahen sie an und auch auf den Gesichtern ihrer Freundinnen zeichnete sich nun Mitgefühl ab. »Kris?« Ungläubig wiederholte Saya diesen Namen. Den Namen des Mannes, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Raven nickte und sah sie zähneknirschend an. »Ja, Saya, Kris wird der neue Anführer und - « Er hielt kurz inne und holte tief Luft, bevor er fortfuhr. » - so leid es mir wirklich tut. Wirklich, glaub mir, ich wünschte ich könnte dir bessere Nachrichten bringen.«

Sayas Herz pochte schmerzend und drückte so fest gegen ihren Brustkorb, dass sie kaum atmen konnte. »Er wird ebenfalls heiraten. Die Kandidatin steht noch nicht fest, aber sobald sie erwählt ist, wird er diese ehelichen und dann zum Oberhaupt ernannt werden. So ist das Brauch.« Alles in Saya zerbrach. Ihre Brust brannte, Tränen stiegen ihr ins Gesicht und rannten, wie kleine Wasserfälle ihre Wangen hinunter.

Ihre Knie gaben nach und sie sackte auf dem schmutzigen Asphalt zusammen. Sie bekam nichts mehr um sich herum mit. Es war, als wäre sie in eine andere grausame Welt eingetaucht. Die Stimmen ihrer Freunde hörte sie nur ganz dumpf, wie durch eine Wand und spürte auch nicht deren Berührungen, als sie angelaufen kamen und sie in den Arm nahmen. Die Zeit schien still zu stehen. All ihre Freude, all ihre Hoffnung war verschwunden. Alles was blieb, war qualvolle Leere und das Wissen, dass sie niemals glücklich werden konnte.

*

Einige Minuten später saß sie bei Shania daheim im Wohnzimmer. Sie hatte gar nicht richtig mitbekommen, wie sie hier hergekommen war. Sie hatte den ganzen Weg in einer Art Trance verbracht. Sie war noch immer nicht ganz bei Sinnen. Es war einfach unfassbar, wie schnell einem der Boden unter den Füßen weggerissen werden konnte. Alles, was sie je gewollt hatte, war nun außer Reichweite und würde es für immer sein.

»Hier, ich glaub den kannst du jetzt richtig gut gebrauchen!«

Shania stellte ein Glas vor ihr auf den Tisch und sie nahm den starken Geruch von Whiskey war. Normalerweise trank sie nichts außer Blut, aber davon konnte man leider keinen Rausch kriegen und den konnte sie, wie Shania schon richtig bemerkte, jetzt wirklich gut gebrauchen. Natürlich war es kein reiner Whiskey, denn das würde Vampire nichts ausmachen, außer eventuell einen Brechreiz verursachen, aber sie vertrug so einiges, was andere Vampire nicht bei sich behielten. Allerdings auch nicht alles. Der Whiskey war mit Blut gemischt. B Negativ, um genau zu sein. Sie bevorzugte zwar A, aber zum Mischen, war B eindeutig besser geeignet. Es klumpte nicht so leicht. Sie streckte ihre Hand nach dem Glas aus. Es fiel ihr gar nicht so leicht, es zu greifen, da ihre Hand ziemlich stark zitterte und noch schwach von dem ganzen Schock war. Als sie es dann endlich in den Händen hielt, nahm sie einen kräftigen Schluck und das Gesöff rannte ihr warm die Kehle hinunter und sie spürte wie eine Hitze sie von innen durchflutete und wie sie langsam wieder zu sich kam.

»Ich fasse es nicht.« Mehr konnte sie nicht sagen. Selbst die Worte presste sie mit Mühe hervor. Shania legte ihren Arm um Sayas Schulter und auch Aniola und Shina kamen mit besorgten Gesichtern auf sie zu und standen ihr zur Seite.

Saya schätzte es wirklich, dass sie für sie da waren, nur leider konnten sie im Moment nicht viel ausrichten und sie fühlte sich eher ein wenig bedrängt dadurch, aber das wollte sie ihnen nicht sagen. Raven, der am anderen Ende des Wohnzimmers an der Wand lehnte, spürte, dass es ihr zu viel war, warf ihr einen verständnisvollen Blick zu und verließ leise das Wohnzimmer. Schwarze Feder flogen durch die Luft und sie konnte noch ein Krächzen hören, bevor er durch das Fenster fort flog. Shania sah ihrem Verlobten nach. In ihrem Blick lag so viel Reinheit, wie sie es schon lange bei keinem mehr gesehen hatte. Der Gedanke an ihre Hochzeit ließ den Schmerz nur noch umso größer erscheinen. Vor allem, wenn man bedachte, dass er als Ravens Bruder dort auch zugegen war und vielleicht würde es sogar eine Doppelhochzeit geben. Sie wusste zwar noch gar nicht, wen vom Rabenclan Kris heiraten würde, aber das wollte sie um ehrlich zu sein auch nicht wissen. Es war schwer genug und sie war sich nicht sicher, ob sie jemals darüber hinwegkommen würde. Sie nahm noch einen großen Schluck von dem Whiskey-Blut-Gemisch und leerte das Glas somit. Als Shania ansetzte, ihr nachzuschenken, winkte sie ab. Mehr wollte sie von dem Höllengesöff wirklich nicht trinken. Sie spürte, wie sie langsam müde wurde. Der Tag war angebrochen. Zum Glück waren alle Jalousien in Shanias Haus heruntergelassen, aber das konnte man auch erwarten, da sich zwei Vampire im Haus befanden.

Immerhin wollte Shania sicherlich keine zwei Staubhäufchen anstelle ihrer Freundinnen im Wohnzimmer haben.

»Say, Ani, kommt mal mit. Ich habe im Keller ein Gästezimmer für euch eingerichtet. Ihr solltet euch jetzt am besten etwas hinlegen.« Saya hatte eigentlich nur den Drang, hinaus in die Sonne zu laufen und ihren Qualen ein Ende zu bereiten, aber das würde Shania sicher nicht zulassen und sie wollte ihr das auch nicht antun. Also trottete sie geistesabwesend hinter Aniola her in den dunklen Keller, wo alle Ritzen abgedichtet waren, dass kein einziger Sonnenstrahl hindurchgelangen konnte. Shania hatte sich große Mühe gegeben, alles passend für einen Vampir einzurichten. In einem Eck von dem Raum stand sogar ein Kühlschrank voll mit Blut. Was wollte man mehr. Sie würden zwar tief und fest schlafen und sicher keine Nahrung zu sich nehmen, aber sobald sie wach würden, könnte eine kleine Mahlzeit sicher nicht schaden. »Du hast wohl Angst, dass wir unschuldige Menschen anfallen, wenn wir nicht ausreichend genährt sind.« Aniola hatte den Kühlschrank ebenfalls entdeckt und warf Shania einen belustigten Blick zu. »Oder dich!«, ergänzte Saya Aniolas Kommentar. Dabei zog sie ihre linke Augenbraue leicht nach oben und ihr Mund verzog sich zu einem frechen Grinsen. Stirnrunzelnd wanderten Shanias Augen zwischen den zwei Vampirfrauen hin und her und blieben dann auf Saya haften. »Soll das heißen, ich bin kein unschuldiger Mensch?« Sie verschränkte ihre Arme. Aniola und Saya sahen sich belustigt an und fingen an, laut loszulachen. »Also, erstens bist du ja wohl kein Mensch, oder haben Menschen die Fähigkeit, über den Wind zu herrschen?« Aniola lehnte lässig an der feuchten Kellerwand, ihre langen dunklen Haare fielen ihr über die Schulter und ihre Augen leuchteten amüsiert. Saya ging auf ihre beste Freundin zu, der gleiche Gesichtsausdruck, wie auch Aniola ihn hatte. »Außerdem, Kleines, würde ich dich garantiert nicht als unschuldig bezeichnen. Du wirkst manchmal vielleicht so, aber du bist ein durchtriebenes Luder.« Entsetzt über diese Worte, starrte Shania ihre Freundin an. Ihr Mund stand leicht offen. »Ich möchte nicht wissen, was Raven und du oft so anstellen.«

Sie fuhr ohne weiteres fort. Shanias Mund schloss sich langsam wieder und verzog sich zu einem schuldbewussten, aber dennoch zufriedenem Grinsen. Ihre Augen fingen an zu funkeln, als Saya Raven erwähnte und es kam ihrer besten Freundin so vor, als ob sie sich im Kopf gerade vorstellte, was sie öfters miteinander trieben. Saya schüttelte diesen Gedanken ab. Sie wollte es, um genauer zu sein, gar nicht wissen. Wenn es nur halb so wild war, wie das, was sie und Kris so anstellten... Dann kam ihr plötzlich wieder das mit Kris bevorstehender Hochzeit in den Sinn und ihr Gesicht erstarrte. Der Schmerz durchfuhr sie aufs Neue und sie war wie gelähmt. Shania und Aniola bemerkten diese Wandlung sofort und wussten was los war. »Du solltest ihn zur Rede stellen.« Shania hatte den Arm um ihre beste Freundin gelegt und diese war in diesem Moment sichtlich froh, solche Freundinnen zu haben. Sie sah sie betrübt an und dann drehte sie sich zu Aniola um, die ihr aufmunternd zunickte.

»Mach den Mistkerl fertig!« Sie klopfte ihr auf den Schenkel und wäre sie kein Vampir, hätte sie sicher einen Bluterguss davongetragen. »Er hätte es dir zumindest sagen müssen.« Shania verschränkte die Arme. Sie war sichtlich sauer auf ihren zukünftigen Schwager. »Feigling!« Sayas Mundwinkel verzog sich wieder zu einem leichten Grinsen, als der schwarze Engel neben ihr empört dieses Wort hervorpresste. Sie hatten ja beide Recht. Die Tatsache allein war schon schlimm, aber er hätte mit ihr reden können.

Wieso erfuhr sie es durch Raven? Wahrscheinlich stimmte es, was Aniola sagte und er war zu feige, es ihr direkt zu sagen. Deswegen hatte sie in letzter Zeit fast nichts mehr von ihm gehört. Und sie hatte gedacht, er hätte viel zu erledigen. Das war vermutlich nicht gelogen, da er seine Hochzeit planen musste. Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt und ihre Trauer wandelte sich zu Zorn. Sie war wütend, stinkwütend. Auf Kris, der kein Ton erwähnt hatte, aber auch auf sich selbst, da sie es nicht gespürt hatte. Sie hätte an seinem Verhalten merken müssen, dass etwas nicht stimmte, doch sie war zu enthusiastisch und geblendet, um es zu sehen. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können, für diese Naivität. »Ich werde morgen sofort zu ihm fahren und mit ihm reden.« Sie schenkte ihren Freundinnen noch ein dankbares Lächeln und legte sich dann schlafen. Aniola tat es ihr gleich.

*

Es war Nacht, ein eiskalter Wind heulte durch die Bäumeund sie konnte nichts sehen, dennoch spürte sie dieAnwesenheit einer weiteren Person. Sie blinzelte und dannvernahm sie im Schatten der Häuser eine Gestalt. Sie wargroß und gut gebaut. Ein schwarzer Mantel wehte im Windumher. Sie ging auf die Gestalt zu und als sie näher kam,erblickte sie ein ihr bekanntes Gesicht. Es war das Gesichtdesjenigen, mit dem sie einige Nächte verbracht hatte. Siewollte gerade noch weiter auf ihn zugehen, da näherte sichvon hinten eine weitere Person. Eine Frau mit langenbraunen Haaren stürmte auf Kris zu und fiel ihm um denHals. Sie küssten sich. Plötzlich veränderte sich alles. Siewaren nicht mehr in der Wohnsiedlung, sondern standen vorWestminster Abbey, wo auch schon die Königsfamiliengeheiratet hatten. Kris kam herausstolziert, in einemschicken dunkelgrauen Anzug, Hand in Hand mit derBrünetten von eben. Sie trug ein langes weißes Kleid mitSchleppe und Schleier. Das Kleid war oben sehr figurbetontund fiel ab der Taille weit geschnitten nach unten. Es warein Traumkleid, doch trug es die falsche Frau. Kris lächelteseine frisch angetraute Frau verliebt an und sie küssten sicherneut. Es lag so viel Leidenschaft in der Luft. Dieumstehenden Leute applaudierten, Reis flog durch die Luftund hüllte den Platz in Weiß. Auf einmal tauchte vor ihr einein Licht gehüllte Gestalt auf. Die Gestalt war schwarzgekleidet, hatte langes welliges Haar, das von einemHaargummi zusammen gehalten wurde. SchokobrauneAugen glänzten im Sonnenlicht. Er war groß und muskulärgebaut. Das schwarze enge Muskelshirt betonte seine Figurperfekt und Tattoos zierten seine Arme. Sie fragte sichgerade, wer dieser mysteriöse Mann war, doch dannverschwamm die Situation erneut und sie war plötzlich ineinem dunklen feuchten Kellerraum. Ein kalter Schauer liefihr den Rücken hinunter, als sie sich in dem Raum umsah,der ihr nur zu gut bekannt war und den sie in ihrenGedanken zu verdrängen versucht hatte. Die Tür gingquietschend auf und herein kamen zwei Männer, ungepflegtund schmutzig. Angst kroch in ihr hoch und sie schrie, alsdie Männer über sie herfielen und sie schändeten.

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