Rache der Adler - Ben Kane - E-Book
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Rache der Adler E-Book

Ben Kane

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Beschreibung

Blut fordert Blut

14 nach Christus. Fünf lange Jahre sind seit dem Gemetzel in den Wäldern Germanias vergangen, doch die überlebenden Legionäre haben die Schmach der Niederlage noch immer nicht verwunden. Vor allem der Centurio Tullus ist nur von einem Gedanken beseelt: Rache. Rache an Arminius, dem verräterischen Cherusker. Unter dem Kommando des Feldherrn Germanicus dringen Tullus und seine Kampfesbrüder tief in Feindesland vor und verwüsten zahlreiche Dörfer, um Arminius aus der Reserve zu locken. Doch Arminius ist gerissen, und so beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Kriegern Germanias und den Legionären Roms.

"Meisterhaft erzählt." The Times

Die spektakuläre Trilogie des SPIEGEL-Bestsellerautors Ben Kane um die Varusschlacht im Teutoburger Wald:

Teil 1 - Kampf der Adler
Teil 2 - Rache der Adler
Teil 3 - Sturm der Adler

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

DRAMATIS PERSONAE

PROLOG

TEIL I

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

TEIL II

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

38. KAPITEL

39. KAPITEL

40. KAPITEL

41. KAPITEL

42. KAPITEL

43. KAPITEL

44. KAPITEL

ANMERKUNGEN DES AUTORS

GLOSSAR

Weitere Titel des Autors

Kampf der Adler

Sturm der Adler

Der blutige Weg

Die vergessene Legion

Der silberne Adler

Lionheart – Im Dienste des Löwen

Lionheart – Der Kreuzritter

Das letzte Schwert

Kampf der Imperien

Über dieses Buch

Blut fordert Blut

14 nach Christus. Fünf lange Jahre sind seit dem Gemetzel in den Wäldern Germanias vergangen, doch die überlebenden Legionäre haben die Schmach der Niederlage noch immer nicht verwunden. Vor allem der Centurio Tullus ist nur von einem Gedanken beseelt: Rache. Rache an Arminius, dem verräterischen Cherusker. Unter dem Kommando des Feldherrn Germanicus dringen Tullus und seine Kampfesbrüder tief in Feindesland vor und verwüsten zahlreiche Dörfer, um Arminius aus der Reserve zu locken. Doch Arminius ist gerissen, und so beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Kriegern Germanias und den Legionären Roms.

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Über den Autor

Ben Kane wurde in Kenia geboren und wuchs in Irland auf, im Heimatland seiner Eltern. Bevor er sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete er als Tierarzt. Schon als Kind übte die Geschichte Roms eine große Faszination auf ihn aus, weshalb mit der Veröffentlichung seines Debüts »Die Vergessene Legion« ein lang gehegter Traum in Erfüllung ging. Mittlerweile ist Ben Kane Bestsellerautor und lebt mit seiner Familie in North Somerset, England.

Ben Kane

Rache der Adler

Aus dem Englischen von Dr. Holger Hanowell

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2016 by Ben KaneFirst published as Hunting the Eagles by Preface. Preface is an imprint of Cornerstone, part of the Penguin Random House group of companies.

Für diese Ausgabe:Copyright © 2018/2022 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Rainer Delfs, ScheeßelLektorat: Judith MandtIllustration Karte: Markus Weber, Agentur Guter Punkt, MünchenTitelillustration: © Arndt Drechsler, Regensburg; © standby/Thinkstock; Tassel/ThinkstockUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.deeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2690-0

be-thrilled.delesejury.de

Für Selina Walker, eine der besten Lektorinnen, die es gibt.Danke!

DRAMATIS PERSONAE

Es folgt eine Aufstellung der wichtigsten Figuren, wobei die historischen Personen mit einem * gekennzeichnet sind.

RÖMER UND VERBÜNDETE

Herrscher in Rom nach 9n. Chr.:

* Augustus (»der Erhabene«; eigentlich Gaius Octavius), Princeps, Imperator Caesar Augustus. Erster röm. »Kaiser« (starb 14 n. Chr.); herrschte über mehr als vierzig Jahre.

* Tiberius Claudius Nero, röm. Kaiser (von 14 n. Chr. bis 37 n. Chr.); von Augustus adoptiert, ab 4 n. Chr. Feldzüge u. a. gegen Germanen, Langobarden und Pannonier.

* Nero Claudius Germanicus (vermutlich ab 4 n. Chr. Gaius Iulius Caesar Germanicus); Großneffe des Augustus, Neffe und Adoptivsohn des Tiberius, röm. Feldherr, kämpfte an der Seite des Tiberius während des Pannonischen Aufstands, hatte das Imperium Proconsulare über beide Rheinarmeen inne; starb 19 n. Chr. Verheiratet mit Agrippina (der Älteren); u. a. Vater des Caligula (»Soldatenstiefelchen«).

Lucius Cominius Tullus, Centurio, früher 18. Legion, jetzt 5. Legion.

* Marcus Crassus Fenestela, Tullus’ Optio.

Marcus Piso, einer von Tullus’ Legionären.

Vitellius, einer von Tullus’ Legionären, Freund von Piso.

Degmar, Stammeskrieger der Marser, Tullus’ Diener.

* Lucius Seius Tubero, römischer Adliger, ehemaliger Militärtribun, inzwischen im Rang eines Legaten, Tullus’ erklärter Widersacher.

Saxa, Soldat des Tullus, Pisos Freund.

Metilius, Soldat des Tullus, Pisos Freund.

Ambiorix, Gallier, Tullus’ Diener.

Septimius, Centurio der 7. Kohorte, 5. Legion, im Rang über Tullus.

Flavoleius Cordus, Centurio, 2. Kohorte, 5. Legion.

Castricius Victor, Centurio, 3. Kohorte, 5. Legion.

Proculinus, Centurio, 6. Kohorte, 5. Legion.

* Publius Quinctilius Varus, Statthalter der Provinz Germania (Legatus augusti pro praetore), ehemaliger Befehlshaber der Legionen am Rhein. Starb 9 n. Chr. in den Wirren des Hinterhalts.

* Lucius Caedicius, ehemaliger Lagerpräfekt in Aliso.

* Aulus Caecina Severus, Legat des Heeres von Niedergermanien (Germania inferior).

* Lucius Stertinius, einer von Germanicus’ Heerführern.

* Calusidius, gemeiner Legionär, der sich gegen Germanicus stellt.

Bassius, Primus Pilus der 5. Legion.

Gaius und Marcus, meuternde Legionäre.

Aemilius, Benignus, Gaius, Legionäre, die mit Piso Glücksspiele spielen.

GERMANEN

* Arminius, ein Stammesführer der Cherusker, Drahtzieher des Hinterhalts, in den Varus’ Legionen gerieten.

* Thusnelda, Arminius’ Frau.

Osbert, einer von Arminius’ besten Kriegern.

* Flavus, Arminius’ Bruder, in römischen Diensten.

* Inguiomerus (Inguiomer, auch Ingomar), mächtiger Anführer der Cherusker, Onkel des Arminius.

* Segestes, Thusneldas Vater, Verbündeter Roms, ein Stammesführer der Cherusker.

* Segimundus, Sohn des Segestes, Bruder der Thusnelda, Priester im Römerlager »apud aram Ubiorum« (»beim Altar der Ubier«).

Artio, Mädchen, das von Tullus in Kampf der Adler gerettet wurde.

Sirona, Gallierin, die sich um Artio kümmert.

Scylax, Artios Hund.

PROLOG

HERBST 12 N. CHR. · ROM

Centurio Lucius Cominius Tullus unterdrückte einen Fluch. Seit dem Gemetzel in den Wäldern vor nunmehr drei Jahren war sein Leben vollkommen anders verlaufen – erbarmungslos und härter als sonst. Ein geringer Anlass genügte, und schon war er in Gedanken wieder in dem versengenden Chaos jener blutigen Tage, als Tausende germanische Stammeskrieger aus dem Hinterhalt angegriffen und drei Legionen ausgelöscht hatten, darunter auch Tullus’ Legion. Diesmal riss ein heftiger Regenschauer in Rom die alten Wunden wieder auf. Der eben noch festgestampfte Boden der nicht gepflasterten Straße verwandelte sich in einen schlammigen Brei, der an Tullus’ Waden spritzte und ihm in die Sandalen lief.

Tullus schloss die Augen und vernahm erneut den dröhnenden, volltönenden Barritus der germanischen Krieger, jenen Schlachtruf, der den römischen Legionären bis ins Mark gegangen war. HUUUUMMMMMMMM! HUUUUMMMMMMMM! Bei dem Klang dieser tief anschwellenden Töne, die die Krieger im Schutz der Bäume angestimmt hatten, hatte die Legionäre jeglicher Mut verlassen. Die Stimmung kippte – wie Milch, die in der Mittagssonne sauer wird.

Wäre es nur dieser Barritus gewesen, den Tullus aufs Neue in Gedanken durchleben musste, so hätte er es ertragen, aber im Ohr hatte er immer noch die Schmerzensschreie der Männer, die in ihrer Todesangst nach ihren Müttern riefen, ehe sie den letzten Atemzug taten. Speere gingen wie Hagel auf die Soldaten nieder, durchschlugen Schilde, bohrten sich ins Fleisch und hinterließen verstümmelte und sterbende Legionäre. Das charakteristische Knacken der Schleudern drang aus den Tiefen der Wälder, die Steine prallten gegen Helme, zertrümmerten Schädel. Die Maultiere brüllten vor Angst. Mit heiserer Stimme hatte Tullus inmitten des Tumults versucht, Ordnung in die Reihen zu bringen.

Tullus blinzelte und sah nicht das geschäftige Treiben auf der Straße, sondern nur den matschigen, aufgeweichten Pfad. Schier endlos schlängelte sich der Weg über Meilen durch Wälder, vorbei an sumpfigem Gelände, in dem man bis zu den Knien versank. Der Weg war übersät von Ausrüstungsgegenständen und Leichen. Überall tote Legionäre. Seine Männer.

Vor dem überraschenden Angriff hätte Tullus jedem Mann vehement widersprochen, der die Ansicht vertrat, eine römische Kohorte – mehr als vierhundert kampferprobte Männer – könne von einem Gegner ausgelöscht werden, der größtenteils mit Speeren angriff. Außerdem hätte er jeden für verrückt erklärt, der behauptete, drei Legionen könnten im Verlauf eines Hinterhalts der Germanen vom Erdboden hinweggefegt werden.

Inzwischen war er klüger und weitaus demütiger.

Die brutalen Erlebnisse – und das Nachspiel – hatten aus Tullus einen verbitterten Mann gemacht. Seine Legion hatte ihren Legionsadler verloren, und deshalb hatte man die Legio XXI aufgelöst. Der 17. und 19. Legion war es nicht anders ergangen. Tullus und alle anderen Überlebenden waren auf die übrigen am Rhenus stationierten Legionen verteilt worden. Die endgültige Demütigung für Tullus war seine Degradierung gewesen: Zuvor hatte er in der 1. Centurie der 2. Kohorte den Rang eines Pilus Prior bekleidet. Nach der schmachvollen Niederlage in den germanischen Wäldern hatte man ihn zu einem rangniederen Centurio herabgestuft. Da er durchaus schon mit dem Ruhestand geliebäugelt hatte, war die Degradierung wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Von da an konnte er seine Karriere vergessen.

Zu allem Unglück war ihm auch noch Lucius Seius Tubero in den Rücken gefallen, jener junge, aufstrebende Tribun, der ihm von Anfang an feindlich gesinnt gewesen war. Einem Emporkömmling wie Tubero hatte Tullus es zu verdanken, dass seine zuvor makellosen Dienstjahre in ein schmachvolles Licht gerückt wurden. Wäre Tubero nicht gewesen, wie Tullus sich in diesem Augenblick vergegenwärtigte, so hätte er womöglich immer noch seine alte Kohorte befehligen können.

»TULLUS!«

Er zuckte zusammen und fragte sich, wer ihn hier in dem Gedränge auf den Straßen erkannt haben mochte, Hunderte von Meilen von den Lagern am Rhenus entfernt.

»TULLUS!«

Obwohl die Straße belebt und die Luft von den alltäglichen Geräuschen erfüllt war – von den miteinander wetteifernden Stimmen der Händler, von dem Knurren zweier Hunde, die sich um einen Bissen balgten, von den Gesprächen der vorübergehenden Menschen – war die schrille Stimme der Frau weithin zu hören.

»TULLUS!«

Er hatte alle Mühe, darauf nicht zu reagieren. Keine Seele in ganz Rom kennt mich, redete er sich zum wiederholten Mal ein. Das stimmte nicht ganz, denn einige wenige wussten, dass er sich hier aufhielt, aber es war unwahrscheinlich, dass ihm ausgerechnet diese Leute über den Weg liefen. Ich bin nichts weiter als ein einfacher Bürger Roms in einem Meer aus Leuten und gehe meinen Geschäften nach. Weder Offiziere noch Magistrate wissen, wer ich bin, und geben einen Dreck darauf, was ich hier in der Stadt zu suchen habe. Selbst wenn mich jemand anspräche, könnte ich mich mit Lügen aus der Sache herauswinden. Ich bin ein Veteran, der Händler geworden ist, und halte mich gemeinsam mit einem alten Kameraden in Rom auf, um den Triumphzug des Tiberius zu verfolgen, mehr nicht.

Tullus war ein gestandener Mann mittleren Alters, und auch wenn die Geschmeidigkeit der Jugend längst verflogen war, hätte man ihn immer noch als gut aussehend bezeichnet. Er hatte eine kräftige Statur und ein markantes Gesicht, das einige Narben aufwies. Das Haar trug er, wie beim Militär üblich, ganz kurz. Gekleidet war er in eine helle Tunika, die bessere Tage gesehen hatte. Der beschlagene Gürtel wies ihn als Soldat aus – als ehemaligen Soldaten, wie er es sich einredete.

Marcus Crassus Fenestela, sein rothaariger Gefährte, bot einen weitaus hässlicheren Anblick, war dünner, aber durchaus drahtig. Auch Fenestelas Cingulum deutete darauf hin, dass er eine militärische Ausbildung durchlaufen hatte.

»Da bist du ja, Tullus!«, rief die Frau. »Wo, beim Hades, hast du bloß gesteckt?«

Tullus schaute sich beiläufig um und nahm die Gesichter der Leute in unmittelbarer Nähe wahr. Der Tullus, dem das Rufen gegolten hatte – vermutlich hatte seine Frau ihn gesucht –, mochte zwar halb so alt wie Tullus sein, war aber viel kleiner und ziemlich beleibt. Seine bessere Hälfte, eine kräftige, rotwangige Frau mit gehöriger Oberweite, stand neben der Theke einer zur Straße hin offenen Taverne.

Tullus entspannte sich und hörte dicht an seinem Ohr Fenestela flüstern: »Schade, dass sie nicht dich gerufen hat, was? Sieh nur, du hättest was zu essen bekommen, und wer weiß, was für Freuden dir dieses Weib noch bereitet hätte.«

»Ach, verpiss dich, du Hund.« Tullus schob seinen Optio fort, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Der Rangunterschied der beiden Männer war in all den Dienstjahren, die sie gemeinsam Seite an Seite gekämpft hatten, nahezu bedeutungslos geworden – die Schrecken, die sie überlebt hatten und die sich nur wenige Menschen überhaupt vorstellen konnten, hatten diese beiden so ungleichen Männer noch enger zusammengeschweißt. Fenestela sagte nur dann »Herr« zu Tullus, sobald andere Legionäre in der Nähe waren oder wenn er wieder mal richtig wütend auf seinen alten Gefährten war.

Die beiden Männer setzten ihren Weg ins Zentrum der Stadt fort. Es war zwar noch früh, aber in den schmalen Straßen herrschte bereits großer Andrang. Rom kannte keine Ruhe. Ob Tag oder Nacht, es war immer etwas los auf den Foren und in den Gassen, wie Tullus inzwischen wusste, doch die Aussicht auf einen Triumphzug zu Ehren des erklärten Nachfolgers des Princeps lockte die Menschen aus ihren Häusern – ob man gehen konnte oder humpeln musste. Junge wie Alte, Reiche wie Arme, Gesunde wie Gebrechliche, Lahme und Kranke, sie alle waren erpicht darauf, Zeuge der mit großem Pomp zelebrierten Militärparade zu werden. Zumal die Machthaber und Veranstalter an einem Festtag wie diesem Speisen und reichlich Wein auf eigene Kosten unters Volk brachten.

Tullus und Fenestela kamen an der Gasse der Bäcker vorbei, in der es nach frisch gebackenem Brot duftete. Dann folgte das Viertel der Handwerker, vor allem der Zimmerleute, die schon zu dieser Stunde sägten und hämmerten.

Tullus blieb einen Augenblick an der Abzweigung zur Schmiedegasse stehen und nahm mit wachen und neidischen Blicken die edlen Schwerter wahr, die dort vor den Essen ausgestellt waren. Den Schreibern, die ganz in der Nähe auf einem kleinen Forum ihre Dienste anboten, mit Stilus und Wachstafeln in der Hand, schenkten die beiden keine Aufmerksamkeit. Denn unweigerlich waren ihre Blicke zu jenen wohlgestalteten Frauen in den besseren Etablissements der Dirnengasse gewandert, aber Tullus und Fenestela gingen weiter.

»Es war Irrsinn, hierherzukommen«, raunte ihm Fenestela zu und schüttelte verwundert und staunend den Kopf, als der imposante Eingang zu den prächtigen öffentlichen Bädern in Sichtweite kam. Vor dem Gebäude ragte die riesige, bemalte Statue des Augustus auf. »Aber wenn ich das hier sehe, bin ich doch froh, dass wir uns auf den Weg gemacht haben. Das ist ja unglaublich!«

»Zum Hades mit dem offiziellen Bann, sage ich«, meinte Tullus und zwinkerte seinem Freund zu. »Wenigstens einmal im Leben muss ein Mann die Stadt aus Marmor gesehen haben – und einen großen Triumphzug. Nach allem, was wir beide durchmachen mussten, haben wir ein Recht darauf, die Stadt mit all ihren Vorzügen zu sehen.«

Er sprach in leicht gedämpftem Ton. Seit Tagen waren sie auf der Hut, genauer gesagt, seitdem sie ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigt hatten, Hunderte Meilen nördlich von hier in der Provinz Gallia Narbonensis Rekruten für ihre neue Legion, die Legio V Alaudae, zu finden. Nachdem sie sich einige Tage in den kleineren Siedlungen heiser geschrien hatten, hatte Tullus vorgeschlagen, nach Rom zu reisen, um den Triumphzug zu sehen. Tiberius wurde für seine Siege in Illyricum geehrt, die bereits einige Jahre zurücklagen.

Doch mit der Reise nach Rom vernachlässigten die Freunde nicht nur ihre Pflicht, sondern handelten dem offiziellen Beschluss zuwider, der alle Überlebenden der furchtbaren Niederlage betraf: Ihr ganzes Leben lang durften sie keinen Fuß mehr auf italischen Boden setzen. Aber wie Tullus bereits angemerkt hatte, wer würde je darüber Buch führen, was sie wann in Gallia Narbonensis gemacht hatten? Noch im selben Monat könnten sie in der Provinz wieder Tag und Nacht auf den Beinen sein, um Rekruten zu finden. Solange sie mit der erforderlichen Anzahl junger Männer zum Lager Vetera am Rhenus zurückkehrten, würden sie keine Rechenschaft ablegen müssen.

Es war nicht schwer gewesen, Fenestela dazu zu überreden, Rom einen Besuch abzustatten. Genau wie Tullus hatte auch der Optio weder die Hauptstadt des Reichs noch einen Triumphzug gesehen.

»Kostet von diesem ausgezeichneten Wein!«, rief jemand linker Hand. »Kommt und trinkt auf Tiberius, den Helden und Eroberer!«

Tullus schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam. Der Besitzer der Taverne – vielleicht auch einer der Angestellten – stand auf einem Fass unmittelbar neben dem Eingang und lud die Leute mit ausladenden Gesten ein.

»Auf die Schnelle einen Becher Wein?«, fragte Fenestela und strich über seinen von grauen Haaren durchzogenen Kinnbart.

»Nein«, erwiderte Tullus mit Nachdruck. »Der wird nicht viel besser als Acetum schmecken, das weißt du doch. Außerdem, wenn wir hier herumlungern, bekommen wir keinen guten Platz mehr und sehen nichts vom Triumphzug.«

Fenestela setzte eine reumütige Miene auf. »Und wir müssten alle Nase lang pissen.«

Der Wirt ihrer kleinen Herberge, einer schlichten, drittklassigen Unterkunft am Fuße des Aventin, hatte ihnen den Weg zum Circus Maximus beschrieben. Dort, so hatte der Wirt gesagt, müssten sie sich entscheiden, von wo aus sie die Parade verfolgten. Auf dem Campus Martius, außerhalb der eigentlichen Stadtbebauung, hatte man einen freien Blick auf die triumphale Prozession, die sich dort formierte, aber im Freien bekam man nichts von der aufgeheizten Atmosphäre innerhalb der Stadtmauern mit. Auf dem großen Viehmarkt, dem Forum Boarium, gab es etliche Möglichkeiten, einen guten Platz zu ergattern, aber dafür musste man mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen, wenn man noch einen Sitzplatz haben wollte. Weitaus mehr Sitzplätze bot der Circus Maximus, aber die Arena lag weit entfernt von der Stelle, wo der eigentliche Höhepunkt der Parade stattfand. Außerdem kam es auf den Tribünen immer wieder zu Unruhen.

Die beste Aussicht boten sicherlich das Forum Romanum oder der kapitolinische Hügel, andererseits herrschte auf dem Forum oft ein solches Gedränge, dass man um Leib und Leben fürchten musste. Und auf dem kapitolinischen Hügel waren nur geladene Gäste zugelassen.

»Damit will ich nicht sagen, dass ihr keine guten Leute seid«, hatte der Wirt rasch hinzugefügt, »oder dass ihr euch von den Massen und den Taschendieben abschrecken lassen würdet.«

Sowohl Tullus als auch Fenestela wollten den Triumphzug von einem guten Platz aus verfolgen, daher beschlossen sie, zum Forum Romanum zu gehen, zu jenem großen Platz, den sie bereits einen Tag zuvor bei einem Stadtrundgang bewundert hatten.

Es dauerte nicht lange, und sie begriffen, dass die Menge und die Magistrate, die den Streckenverlauf der Parade sicherten, sie daran hinderten, näher an das Geschehen heranzukommen. Womöglich zog Tiberius auf seinem prachtvollen Wagen vorüber, ohne dass die Freunde überhaupt einen Blick auf den Triumphator erhaschen konnten. Tullus war klar, dass sie jemanden brauchten, der sich in den Gassen Roms auskannte.

Kurz darauf sah er einen der Straßenbengel, die sich überall an den Kreuzungen der Innenstadt herumdrückten, immer auf der Suche nach einem kleinen Zubrot. Tullus sicherte sich die Aufmerksamkeit des Burschen mit einem Fingerschnippen.

»Du da! Willst du dir eine Münze verdienen?«

Früher, als junger Mann, war Tullus stets Optimist gewesen, hatte immer das Beste in anderen Menschen gesehen. Von dieser Einstellung war er weit entfernt. Die erschreckende Gewissheit, dass Arminius ein Verräter war, hatte seinen Glauben an das Gute im Menschen erschüttert. Sein ganzes Weltbild war ins Wanken geraten, nicht zuletzt durch den brutalen Hinterhalt, in den Varus’ Legionen geraten waren.

Auch die schmachvolle Behandlung, die Tullus und die überlebenden Kameraden seither über sich ergehen lassen mussten, war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Nach wie vor war es ihm unbegreiflich, dass tapfere, gestandene Soldaten von Legionären anderer Einheiten geschnitten oder gar verhöhnt wurden. Tullus traute niemandem mehr über den Weg, es sei denn, die Person erwies sich durch ihre Taten als zuverlässig.

Daher war er auf der Hut, als er dem Straßenbengel durch das Gewirr aus Gassen folgte, rechnete er doch jeden Augenblick damit, in eine Falle gelockt zu werden. Betrüger oder Halsabschneider könnten in den Schatten dunkler Hauseingänge lauern und nur darauf warten, über Ortsunkundige herzufallen.

Letzten Endes erwies sich ihr kleiner Begleiter als zuverlässig. Der Junge führte sie schnell und sicher durch ein wahres Labyrinth aus Gassen, bis sie eine Straße erreichten, die geradewegs auf die östliche Seite des Forums zulief.

Der Geräuschpegel einige Längen voraus verriet den Gefährten, dass der Junge sie tatsächlich zum richtigen Ort geführt hatte – Menschen jubelten, Trompetenstöße hallten über die Menge hinweg, und aus einiger Entfernung kündigte sich das charakteristische Knarren von großen Wagenrädern an, begleitet vom Stapfen zahlloser Schritte.

Der Bengel warf Tullus einen triumphierenden Blick zu und streckte seine kleine, schmutzige Hand aus. »Mein Geld!«

Tullus reichte dem Jungen die vereinbarte Anzahl Münzen und bedankte sich, doch da war der Bursche schon wieder fort, untergetaucht in jenem Viertel, in dem er sich so gut auskannte.

»Na, der kennt sich aus, was?«, meinte Fenestela.

»Dieser Denarius war gut angelegt.« Tullus ging voraus. »Schauen wir mal, wo der Triumphzug gerade ist, ehe wir uns für einen Stehplatz entscheiden.«

Das Gedränge nahm zu, als sie das Forum betraten. Die beiden Gefährten, die den Platzmangel des Nahkampfs gewohnt waren, bahnten sich ungerührt ihren Weg durch die Menge und scheuten nicht davor zurück, hier und da Schultern und Ellbogen einzusetzen. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, den Leuten auf die Füße zu treten, falls es sich nicht verhindern ließ. Nur wenige begehrten gegen diese ruppige Art des Drängelns auf. Und diejenigen, die sich lautstark beschwerten, verstummten im selben Moment, sobald sie Tullus’ bohrenden Blick zu spüren bekamen.

Kurze Zeit später hatten sich die beiden so weit vorgedrängt, dass sie linker Hand einen freien Blick auf den Streckenverlauf hatten. In diesem Moment erreichte die Spitze des Triumphzuges das Forum. Rechter Hand führte der Paradeweg über den großen Platz bis zum kapitolinischen Hügel, auf dessen Spitze sich der herrliche Tempel des Jupiter erhob. An diesem Heiligtum sollte Tiberius’ Triumphzug mit einer Opferzeremonie enden.

Überall sah man Magistrate, Liktoren und andere Amtsdiener, die für den reibungslosen Ablauf der Prozession sorgen sollten. Entlang der Strecke wurden die Massen mit Stöcken daran gehindert, den Weg des Triumphators zu blockieren. Immer wieder sah man Straßenbengel, die sich unerlaubterweise an den Amtsdienern vorbeizwängten, über den Platz hüpften und »Tiberius! Tiberius!« anstimmten. Lachen schwoll an, während sich die entrüsteten Amtsdiener abmühten, die in Lumpen gekleideten, frechen Bengel zurückzupfeifen. Doch letzten Endes wurden die Jungen eingekesselt und mussten ein paar Hiebe mit den Stöcken über sich ergehen lassen, obwohl erzieherische Maßnahmen wie diese nur für kurze Zeit Wirkung erzielten.

Unaufhaltsam wälzte sich der Triumphzug heran und nahm die Aufmerksamkeit der Massen in Beschlag. Auch Tullus und Fenestela hatten nur Augen für die prachtvolle Prozession. Der allgemeine Jubel wurde immer wieder von schrillen Rufen und euphorischem Eifer, aber auch wütenden Kommentaren überlagert. Tullus schnappte Bemerkungen wie diese auf: »Mein ganzes Leben lang wollte ich einen Triumphzug sehen!« – »Du raubst mir die Sicht!« – »Dann such dir doch einen anderen Platz, du elender Drängler! Ich war schließlich vor dir hier!« – »Was ist das da im ersten Wagen?« – »Waffen und Rüstungen!« – »Wo bleibt das Gold und Silber? Deswegen bin ich doch gekommen!« – »Und die Gefangenen – wo bleiben die? Bekommen wir denn gar nichts geboten?« – »Tiberius! Wir wollen Tiberius sehen!«

Tullus war erstaunt, wie aufgeregt er war, aber im Grunde überraschte es ihn nicht. Nach mehr als einem halben Leben in der Armee wäre es für ihn der krönende Abschluss seiner Karriere gewesen, bei einem solchen Triumphzug mitzumarschieren. Es war gar nicht so abwegig, dass er und Fenestela hätten teilnehmen können. Denn zwischenzeitlich hatten sie unter dem Befehl des Germanicus gestanden, des Großneffen des Augustus – damals hatten sie in Illyricum gekämpft.

Tullus’ alte Verbitterung angesichts seiner Situation kam wieder hoch. Nach der Degradierung und dem verordneten Wechsel in eine andere Legion würde sich für ihn keine Gelegenheit mehr auftun, an einem Triumphzug teilzunehmen. Wie tief er doch gesunken war nach jener Schlacht vor drei Jahren in den Wäldern Germanias! Doch er unterdrückte sein Selbstmitleid, fest entschlossen, nach vorne zu schauen. Vergiss, was geschehen ist, redete er sich ein. Genieß das Spektakel.

Seit Hunderten von Jahren waren Triumphzüge die Sensation für das römische Volk gewesen. Den siegreich aus dem Krieg zurückkehrenden Feldherren hatte man auf den Straßen Roms zugejubelt, doch unter dem Prinzipat des Augustus waren die Triumphzüge in Ungnade gefallen. Seit nunmehr gut dreißig Jahren hatte es keinen Triumphzug dieser Größenordnung mehr gegeben. Tullus hätte demnach nie ein solches Spektakel erleben können, selbst wenn er mehrmals nach Rom gereist wäre. Der Grund dafür lag auf der Hand: Jeder wusste, dass allein der Princeps in seiner Machtfülle alle anderen in der Stadt überstrahlen wollte. Nachdem sich Augustus schlussendlich dazu durchgerungen hatte, einen Triumphzug zu gestatten, war es kein Zufall, dass das Spektakel zu Ehren seines erklärten Nachfolgers Tiberius abgehalten werden sollte.

Tullus hatte nichts gegen einen tüchtigen Mann wie Tiberius einzuwenden. Vor fast zehn Jahren hatte er unter diesem Feldherrn in Germania gedient. Tiberius hatte sich als guter Anführer erwiesen, hatte sich um seine Legionäre gekümmert. Mehr konnte man als Soldat nicht verlangen, überlegte Tullus und dachte mit finsterem Herzen an Augustus’ harschen Befehl, allen Überlebenden der Katastrophe des Varus zu verbieten, je wieder einen Fuß auf italischen Grund und Boden zu setzen.

Lautes, metallenes Scheppern kündigte die von Ochsengespannen gezogenen Fuhrwerke an, auf denen die Waffen und die Rüstungen der unterlegenen illyrischen Stammeskrieger lagen. Zu erahnen waren Speere, Äxte, unzählige Schwerter und Messer, hexagonale Schilde und jede Menge Helme. Zuerst brandete Jubel auf, der dann rasch abebbte. Eine Wagenladung war wie die andere. Doch bei den nächsten Fuhrwerken schwoll der Applaus erneut an: Auf großen Tafeln waren die entscheidenden Szenen des Sieges dargestellt. Sklaven hielten überdimensionale Karten hoch, auf dass jeder sehen konnte, welche Gebiete Tiberius in Illyricum erobert hatte. Bildhauer hatten die auf Anhöhen gelegenen Lager des Feindes in kleinerem Maßstab nachgebaut, sodass sich jeder davon überzeugen konnte, wie tapfer die römischen Legionäre gekämpft hatten.

Kaum überraschend, dass die Fuhrwerke, auf denen das Gold, die Silbermünzen und das Geschmeide gehortet wurden, beim Publikum am beliebtesten waren. Dahinter folgten Priester mit den Opfertieren, die ebenfalls gut aufgenommen wurden. Segenswünsche gingen auf die Priester nieder, denn viele ersuchten die Götter, Tiberius zu segnen. Tullus amüsierte sich über manch einen Kommentar der gewitzteren Zuschauer – denn einige Leute überlegten hinter vorgehaltener Hand, welches Stück Fleisch wohl am besten munden würde, wenn die Tiere erst einmal am Altar geopfert worden waren.

Die Aufregung innerhalb der Menge erreichte den Siedepunkt, als die ersten Gefangenen in Sichtweite kamen. Nach und nach holten die Zuschauer verdorbenes Gemüse, Stücke von Dachschindeln und Scherben irdenen Geschirrs, selbst angetrockneten Hundekot aus den Falten ihrer Gewänder, um schließlich einen wahren Hagel aus Wurfgeschossen auf die Gefangenen niedergehen zu lassen, die unweigerlich an den Massen vorbeikommen mussten. Tullus empfand diese Darbietung als abstoßend.

»Das sind Männer, Krieger, keine Tiere«, raunte er Fenestela zu. »Tapfere Männer.«

»Würde ich das je vergessen?« Fenestela zog den Kragen seiner Tunika so weit herunter, dass eine rote, aufliegende Schwiele auf der Brust sichtbar wurde.

»Bei den Göttern, den Tag werde ich nie vergessen. Ein Speer war’s, oder?«

»Genau.« Fenestela warf den Kriegern auf dem Wagen einen mürrischen Blick zu. Trotz des Hagels aus Gegenständen verzogen diese Männer keine Miene, blieben stolz und aufrecht stehen, straften ihre Peiniger gar mit Verachtung. »Aber diese Hurensöhne können trotzdem eine Abreibung vertragen«, setzte er grummelnd hinzu.

Der Eifer der Massen, die Gefangenen zu malträtieren, ebbte allmählich ab, als auf den nächsten Fuhrwerken hilflose Frauen und Kinder zur Schau gestellt wurden. Etliche Zuschauer senkten die Blicke, baten um eine nachsichtigere Behandlung der armen Gefangenen oder murmelten Gebete. Tullus spürte, dass er die Bürger Roms, die in seiner Nähe standen, immer mehr verachtete. Diese Menschen sind Gefangene, dank eines Krieges, der in eurem Namen geführt wurde, dachte er. Wann stellt ihr euch endlich den Tatsachen?

Er vergaß seine Bedenken, als die hochrangigen Gefangenen in Sichtweite kamen, darunter Bato vom Stamm der Desidiaten, einer der Anführer der drei Jahre andauernden Rebellion. Bato, ein breitschultriger, hochgewachsener Mann, stand in voller Kampfmontur auf dem Wagen und reckte die Fäuste empor, sodass die Kettenglieder an seinen Handgelenken rasselten. Die Menge reagierte auf dieses stolze und trotzige Gebaren eines gestandenen Kriegers mit einer Mischung aus Spott und Re spekt.

»Soll er hingerichtet werden?«, wandte sich Tullus an den Mann, der unmittelbar neben ihm stand, einen wohlhabenden Kaufmann, der Kleidung nach zu urteilen.

»Tiberius hat Bato das Leben geschenkt, da er unseren Truppen bei Andretium die Flucht ermöglicht hatte. Er hat sich ehrenvoll ergeben.«

Tullus verbarg sein Erstaunen. »Tiberius ist ein großzügiger Mann.«

»Die Götter segnen ihn und beschützen ihn. Er hat angeordnet, dass Bato fortan bei Ravenna leben wird, mit allen Annehmlichkeiten eines hochrangigen Gefangenen.«

»Hast du das gehört?«, raunte Tullus Fenestela zu, als der Kaufmann längst wieder aufmerksam das Geschehen verfolgte. »Ein verfluchter Barbar wird besser behandelt als wir!«

»Also, mich überrascht langsam nichts mehr«, erwiderte Fenestela und zog eine Grimasse.

Trotz dieser wenig erbaulichen Neuigkeit jubelte auch Tullus wenig später lautstark, als Tiberius in seinem von vier weißen Hengsten gezogenen Wagen vorüberzog. Die allgemeine Begeisterung kannte keine Grenzen mehr. Selbst die Stöße der Hornbläser vermochten das Schreien und Rufen aus abertausend Kehlen nicht mehr zu übertönen.

Der Triumphator, dessen Gesicht rot gefärbt war, trug die purpurne Toga und die bestickte Tunika eines siegreichen Feldherrn. In einer Hand hielt Tiberius ein elfenbeinernes Zepter, in der anderen einen Lorbeerzweig. Als gut aussehend hätten ihn wohl nur die wenigsten beschrieben, denn dafür war seine Nase zu lang, und aufgrund des Doppelkinns schien er keinen Hals zu haben. Trotzdem sah Tiberius an diesem Tag, der ganz allein ihm gehörte, wie ein Herrscher aus. Unmittelbar hinter ihm auf dem Wagen stand ein Sklave, der Tiberius für die Dauer der Prozession die goldene Eichenlaubkrone über das Haupt hielt.

»TI-BE-RI-US! TI-BE-RI-US! TI-BE-RI-US!«, skandierte die Menge.

Es war mehr als unwahrscheinlich, dass Tiberius Tullus vom Wagen aus erkannte, und selbst wenn der Feldherr ihn sähe, würde er Tullus’ Erscheinung in diesem Zusammenhang nicht mit den alten Legionstruppen in Verbindung bringen. Allerdings war Tullus einst dem Feldherrn vorgestellt worden. Dennoch, vorsichtshalber senkte Tullus den Blick, als der Erbe des Princeps in dem Prachtwagen vorbeifuhr.

Als Tullus wieder aufschaute, war er einen Moment überrascht, da Tiberius’ Neffe Germanicus unmittelbar im nächsten Wagen folgte – auch diesem Mann war Tullus einmal persönlich begegnet. Germanicus war groß und stämmig, hatte ansprechende Gesichtszüge und ein markantes Kinn. Schon unter gewöhnlichen Umständen bot der Mann mit dem vollen, braunen Haar einen eindrucksvollen Anblick, doch an diesem Tag wirkte er in seinem golden schillernden Brustpanzer wie ein Gott, der zu den Sterblichen herabgestiegen war.

Ehe sich Tullus richtig bewusst machte, dass er Germanicus anstarrte, veränderte sich die Miene des langsam vorübergleitenden Mannes. Germanicus blinzelte mehrmals und zog die Stirn in Falten. Einen Herzschlag später suchte Germanicus regelrecht Tullus’ Blick und rief: »Dich kenne ich doch!«

Tullus war wie erstarrt und kam sich wie ein Rekrut vor, der von einem Centurio angeschnauzt wird. Zu allem Überfluss geriet ausgerechnet in diesem Moment die ganze Prozession ins Stocken. Germanicus’ Wagen glitt nicht langsam vorüber, sondern blieb ungefähr auf Tullus’ Höhe stehen. Tullus versuchte, sich wegzuducken, wollte weglaufen, aber dazu fehlte ihm die Kraft.

Germanicus war auch Fenestela aufgefallen. Rasch wendete der Optio den Blick zur Seite und zog Tullus am Ärmel der Tunika. »Komm, machen wir, dass wir hier wegkommen!«

Die Berührung am Ärmel holte Tullus in die Gegenwart zurück. Er hatte wieder einen klaren Kopf, doch Germanicus rief ihn erneut an: »Du! Centurio!«

Tullus wirbelten einige Gedanken durch den Kopf. Germanicus hatte ihn direkt angesprochen, da gab es kein Vertun. Tullus konnte nicht vorgeben, nichts gehört zu haben, ebenso wenig durfte er einfach wegschauen und hoffen, dass sich der Triumphzug wieder in Gang setzte. Jeden Augenblick nämlich könnte Germanicus einem der Amtsdiener befehlen, ihn, Tullus, festzuhalten.

Gewiss, er hätte die Flucht ergreifen können wie eine Ratte, die beim Anheben einer Abdeckplatte in einem der Abwasserkanäle dem Sonnenlicht ausgesetzt war. Aber er musste damit rechnen, verfolgt zu werden. Außerdem standen die Zuschauer zu dicht gedrängt, er wäre ohnehin nicht weit gekommen oder sogar von jemandem am Weggehen gehindert worden. Nein, er musste sich der neuen Situation wie ein Mann stellen und Germanicus Rede und Antwort stehen.

Daher achtete er nicht weiter darauf, dass Fenestela ihn mit gedämpfter Stimme zu äußerster Eile anhielt, straffte die Schultern und stellte sich Germanicus’ strengem Blick.

»Meintet Ihr mich, Herr?«, fragte er so beiläufig und unbefangen wie möglich.

»Ganz recht. Du dienst bei den Legionen am Rhenus, richtig?«

»Ihr habt ein ausgezeichnetes Gedächtnis, Herr«, erwiderte Tullus und wünschte, die Erde würde sich vor ihm auftun und ihn auf der Stelle verschlucken. Falls Germanicus noch wusste, worüber sie einst gesprochen hatten – nämlich über den Hinterhalt des Arminius und die Vernichtung von Varus’ Armeen –, wäre er ein toter Mann. Sich dem Erlass des Herrschers zu widersetzen, kam einem Schwerbrechen gleich.

»Komm, noch können wir verschwinden!«, zischte Fenestela aufgeregt.

»Wir sind uns vergangenes Jahr am Rhenus begegnet«, stellte Germanicus kühl und nüchtern fest.

»Ja, Herr. Ich fühle mich geehrt, dass Ihr Euch meiner erinnert.« Aus den Augenwinkeln sah Tullus, wie sich Tiberius’ prachtvoller Wagen wieder in Bewegung setzte. Lass mich in Frieden, betete er. Ich gehe dich nichts an.

»Ich erwarte, dass du dich bei mir meldest, wenn die Opferhandlungen beendet sind. Vor der Curia.«

»Gewiss, Herr.«

Anfangs glaubte Tullus, er habe vielleicht noch eine Chance, sich vor diesem Treffen zu drücken, aber dieser Gedanke verflüchtigte sich, als Germanicus mit energischer Kopfbewegung zwei Prätorianern den Befehl gab, sich durch die Menge hindurch bis zu Tullus zu begeben. Mist, dachte er. Er weiß also doch, dass ich mich nicht in Italia aufhalten darf, geschweige denn in Rom.

»Lauf!«, raunte er Fenestela zu. »Dich hat er nicht gesehen.«

»Ich lauf doch nicht vor diesen aufgeblasenen Pfauen weg«, gab Fenestela zurück und beäugte die dekorierten Brustpanzer und die Helme der Prätorianer.

»Fenestela …«

Trotzig reckte der Optio das Kinn vor. »Ich bleibe an Eurer Seite, Herr!«, rief er, als hörte die ganze Kohorte zu.

Ich bin ein Narr, dachte Tullus. Ein stolzer, törichter Narr. Und Fenestela ist auch nicht anders. Wir haben alles überlebt, was uns Arminius und dessen Helfershelfer entgegengeschleudert haben, nur um jetzt in Rom von der Garde festgenommen zu werden!

Er malte sich bereits aus, wo man ihr Todesurteil offiziell verlesen würde.

Das Warten außerhalb der Mauern der Curia Iulia zog sich für Tullus’ Empfinden schier endlos in die Länge, dabei waren nicht mehr als zwei Stunden vergangen. Den Triumphzug mit all seinen Facetten hatte er nur noch wie durch einen Schleier wahrgenommen. Man hatte ausgesuchte Gefangene von den Fuhrwerken gezerrt und dann am Fuße des kapitolinischen Hügels hingerichtet. Kurz darauf war Tiberius die Stufen bis zum Heiligtum des Jupiter hinaufgestiegen, gleichsam getragen von den Rufen der Menge. Nach würdevoller Vollendung der Opferzeremonien im Angesicht der Gottheit waren Wein und Brot unters Volk gebracht worden. Tullus hatte zwar die Soldaten wahrgenommen, die hinter Tiberius und Germanicus über das Forum marschiert waren – auf eben jenen Teil des Triumphzuges hatte er sich am meisten gefreut –, aber selbst der Anblick der Parade trug nicht mehr dazu bei, dass sich Tullus’ Laune aufhellte. Im Gegenteil, er war zutiefst betrübt und verfiel in bittere Vorwürfe gegen sich selbst, da er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seines treuen Freundes aufs Spiel gesetzt hatte. Rastlos schritt er vor der Curia auf und ab und spürte die unnachgiebigen Blicke der Prätorianer, die zu seiner Bewachung abgestellt waren.

Es kam der Moment, da zog er ernsthaft in Erwägung, die Wachen zu töten und die Flucht zu ergreifen. Glücklicherweise hörte er auf seinen Optio, der ihn rasch von diesem Vorhaben abbrachte.

»Du bist nicht mehr ganz bei Verstand. Selbst wenn wir die beiden überrumpelten, was unwahrscheinlich ist, da wir keine Waffen bei uns tragen, hätten wir kurz danach die gesamte Garde am Hals. Glaub mir, dann hätten wir vollkommen ausgespielt. Wir müssen uns gedulden und beten. Das ist unsere einzige Hoffnung.«

Fenestela hatte nie viel aufs Beten gegeben, und genau das führte Tullus vor Augen, wie sehr sich sein Optio vor Germanicus’ Strafen fürchtete.

Letzten Endes fügte sich Tullus in sein Schicksal, hörte auf Fenestelas Rat und schritt weiterhin aufgewühlt auf und ab. Er kam sich vor wie ein Mörder, der auf seine öffentliche Hinrichtung wartete.

Als Germanicus wie aus dem Nichts auftauchte, schreckte Tullus regelrecht zusammen. Der Feldherr hatte lediglich einen berittenen Prätorianer als Eskorte an seiner Seite und musterte Tullus vom Rücken seines stattlichen Pferdes.

Da Tullus nur wenige Schritte von den Reitern entfernt stand, musste er zu Germanicus aufschauen und spürte, dass er sich dem Blick dieses charismatischen Mannes nicht entziehen konnte. Tullus salutierte vorschriftsmäßig, drückte den Rücken durch und zog die Schultern so weit zurück, wie es ging. »Herr!«

»Herr!«, kam es fast zeitgleich von Fenestela, der ebenfalls strammstand.

»Dein Name?«, forderte Germanicus.

»Centurio Lucius Cominius Tullus, Herr. Siebte Kohorte der Fünften Legion.«

»Und wer ist das?« Germanicus musterte Fenestela, ehe er sich mit geschmeidigen Bewegungen vom Rücken des Pferds gleiten ließ.

Der berittene Prätorianer, der ebenfalls abgestiegen war, führte derweil das stattliche Tier an den Zügeln zu einer der Pferdetränken unweit der Curia.

»Mein Optio, Herr. Fenestela.«

Germanicus warf dem Optio einen flüchtigen Blick zu. »Ein hässlicher Hurensohn, möchte man meinen.«

Wenn ich ihn so nenne, ist das in Ordnung, aber Euch steht das nicht zu!, dachte Tullus voller Groll. »Mag sein, Herr, aber er ist treu und tapfer. Ich kenne keinen besseren Soldaten.«

»Oh, ein großes Lob aus dem Munde eines Offiziers, der – wie viele Dienstjahre auf dem Buckel hat?«

»Dreißig an der Zahl, Herr.« Und all die Jahre habe ich vergeudet, an einem einzigen Tag, dachte Tullus voller Reue.

Germanicus zog eine Braue fragend hoch. »Und wieso hast du dann nicht deine Entlassung beantragt?«

»Ihr wisst ja, wie das ist, Herr«, begann er und sprach ein wenig befreiter. »Die Armee ist mein Leben.« Allmählich schöpfte er ein wenig Hoffnung, da Germanicus bislang nicht in strengem Tonfall sprach. Womöglich konnte sich der Mann doch nicht mehr an alle Einzelheiten jener Unterredung vor einem Jahr erinnern. Bestimmt hatte er längst vergessen, dass Tullus an jener Schlacht beteiligt gewesen war, in deren Verlauf Varus drei Legionen verloren hatte.

»In der Tat, das ist mir nicht unbekannt.« Germanicus begann, vor Tullus auf- und abzugehen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Tullus’ innere Unruhe regte sich erneut.

»Meines Wissens ist es allen überlebenden Soldaten der Siebzehnten, Achtzehnten und Neunzehnten Legion untersagt, italischen Boden zu betreten«, fasste er dann nüchtern zusammen, die Hände hinterm Rücken verschränkt.

Kein vorwurfsvoller Ton, und dennoch hatte Tullus das Gefühl, vor ihm habe sich eine Spalte im Erdboden aufgetan. Obwohl er betont hatte, der Fünften Legion anzugehören, wusste Germanicus, in welcher Legion er einst gedient hatte. »Ich – nun, ja, ganz recht, Herr.«

»Und dennoch steht ihr beide hier leibhaftig vor mir.« Germanicus war stehen geblieben und wandte sich Tullus und Fenestela mit eisigem Blick zu. Er überragte Tullus um einen halben Kopf.

»Ja, Herr.« Es fiel ihm schwer, aber Tullus hielt dem bohrenden Blick seines Gegenübers stand.

»Ihr habt euer Leben verwirkt.«

»Ja, Herr«, brachte Tullus mühsam hervor und merkte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte.

»Wieso seid ihr dann in Rom?«

»Wir wollten wenigstens einmal die Hauptstadt sehen, Herr, aber eigentlich wollten wir den Triumphzug des Tiberius sehen. Wir haben in Illyricum gedient, Herr – zwar nur ein Jahr lang, aber wir waren dort, genau wie die tapferen Legionäre, die vorhin über das Forum marschiert sind.«

»Aha, und da dachtet ihr, die Pracht seines Triumphzuges würde euch von der Schmach reinwaschen, die euch auf germanischem Boden ereilt hat.«

»So ungefähr, Herr, ja«, gab Tullus leise zurück und machte sich erst im Nachgedanken bewusst, dass er tatsächlich gehofft hatte, sich mit der Fahrt nach Rom von einer Schuld reinwaschen zu können.

»Erzähl mir noch einmal, wie sich dieser Hinterhalt für dich und deine Männer ereignet hat.«

Es war nicht lange her, dass Tullus die Schrecken des Gemetzels erneut in Gedanken durchlebt hatte, daher standen ihm das Grauen und die damit verbundenen Ängste noch deutlich vor Augen.

Tiefer Kummer überkam ihn, wann immer er an die Kameraden dachte, die er verloren hatte. Nur wenige hatten sie notdürftig am Wegesrand bestatten können, und die Gewissheit, dass etliche der toten Legionäre geschändet und ausgeraubt worden waren und den Aasvögeln zum Fraß gedient hatten, riss die alten Wunden wieder auf. Dass seine Legion ihren Adler verloren hatte, war eine Schande, die ihm wie eine Klinge ins Fleisch schnitt – und nun musste er all diese schmachvollen Dinge zur Sprache bringen. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Germanicus zählte zu den einflussreichsten Personen im Reich.

Also beschrieb Tullus ihm ausführlich, dass ihm Arminius im Sommer jenes Jahres sehr bald verdächtig vorgekommen war. Er erzählte auch von seinem Diener Degmar, der unfreiwillig eine Unterredung mehrerer Stammeskrieger belauscht hatte. Der Ablauf der Ereignisse in jenem schicksalsreichen Jahr kam Tullus an diesem Tag wie eine antike Tragödie vor: Varus weigerte sich, Tullus Gehör zu schenken – gleich mehrfach. Arminius behauptete, die Angrivarier hätten sich gegen Rom erhoben – eine dreiste Lüge, um Varus vom Weg abzubringen –, Varus’ Entscheidung, den vermeintlichen Aufstand niederzuwerfen, weshalb der ehemalige Statthalter angeordnet hatte, dass die Armee von der gut befestigten Straße in Richtung Vetera auf jenen schmalen Waldpfad schwenkte. Was folgte, waren erste, kleinere Scharmützel, die anfangs wie Nadelstiche ausfielen. Erst später, in den nachfolgenden Tagen, entfaltete sich das Grauen in einem nie für möglich gehaltenen Ausmaß.

Tullus beschrieb die Vorgehensweise der germanischen Stammeskrieger, die Angriffe aus dem Hinterhalt, die immer nur kurz währten, ehe sich die Krieger wieder zurückzogen, um mit der nächsten Angriffswelle noch größeren Schaden anzurichten. In den Reihen der Legionen hatte man immer mehr Opfer zu beklagen. Und ständig dröhnte der Furcht einflößende Barritus aus den Tiefen des Waldes und ging den Soldaten bis ins Mark. Es goss wie aus Eimern, sämtliche Wege waren aufgeweicht und zu matschigen Pfuhlen verkommen. Stück für Stück hatte die Moral der Truppe abgenommen. Zunächst hatten sie einen Legionsadler eingebüßt, dann den zweiten – den der Legio XVIII, Tullus’ alter Legion. Und stets hatten sich die Legionäre vor Augen führen müssen, dass es kein Entrinnen mehr gab.

In diesem Moment war er so überwältigt von den alten Gefühlen, dass ihm die Stimme versagte. Doch er zwang sich, den Bericht fortzusetzen, und beschrieb, wie er am Ende des letzten, verlustreichen Tages noch fünfzehn Legionäre aus dem sumpfigen Gelände gerettet hatte.

Mit Degmars Hilfe gelang ihnen die Flucht bis nach Aliso, dem nächsten römischen Lager an der Lupia. Mit der Besatzung dort hatten sie sich bis nach Vetera durchgeschlagen, dem Lager ihrer Legion am Rhenus, gnadenlos verfolgt von Tausenden Stammeskriegern.

Als Tullus mit seinem Bericht fertig war, atmete er schwer. Jene Tage, die schlimmsten seines ganzen Lebens, hatten sich gleichsam in sein Gedächtnis gebrannt wie der in Marmor gemeißelte Nachruf auf dem Grabmal eines Adligen.

Die ganze Zeit hatte Germanicus kein einziges Wort gesagt. Schließlich fragte er: »Wie viele haben überlebt?«

Tullus kratzte sich am Kopf. »Meines Wissens weniger als zweihundert, Herr. Etliche gerieten in germanische Gefangenschaft, ihr Schicksal ist ungewiss.«

Der Blick des Feldherrn glitt zu Fenestela, der Tullus’ Worten mit grimmiger Miene gelauscht hatte. »Nun, Optio? Hat es sich so zugetragen, wie es dein Centurio dargestellt hat?«

»Ja, Herr, aber es war noch viel schlimmer«, sagte Fenestela und nickte mehrmals. »Weitaus schlimmer.«

Schweigen senkte sich herab, das weder Tullus noch Fenestela zu brechen wagten.

Tullus bedachte seinen Optio mit einem dankbaren Blick und wünschte erneut, Fenestela hätte auf ihn gehört und wäre geflohen. Doch tief in seinem Herzen war er froh, einen Mann wie Fenestela an seiner Seite zu wissen. Sein Optio war ein wahrer Freund, der mit ihm durch dick und dünn ging. Bald würden sie vor ihren Henkern stehen – ihr letzter gemeinsamer Kampf.

Aber die Befragung war, wie es schien, noch nicht vorüber. »Wenn ich mich recht entsinne, warst du Pilus Prior?«, fragte Germanicus.

»Ja, Herr. Erste Centurie, Zweite Kohorte der Legio XVIII.«

»Aber diesen Rang bekleidest du nicht mehr?«

»Nein, Herr. Nach dem Hinterhalt wurde ich degradiert.« Tullus erwähnte Tubero mit keinem Wort, dabei war es der Tribun gewesen, der die Degradierung vorangetrieben hatte. Doch es tat nichts mehr zur Sache, an einen elenden Emporkömmling wie Tubero zu erinnern.

Zu seiner Erleichterung ging Germanicus nicht weiter auf diesen Punkt ein. »Wie viele Phalerae hast du errungen?«

Bei der Erwähnung der militärischen Auszeichnungen wurde Tullus stets ein wenig unbehaglich zumute. »Neun, Herr – oder zehn? Ich …«

»Es sind elf, Herr«, schaltete sich Fenestela ein. »Und er hat jede einzelne davon verdient.«

»Danke, Optio«, merkte der Feldherr trocken an.

Fenestela errötete und senkte den Blick. Als Germanicus dann Tullus eingehend musterte, spürte Tullus, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Auch er wich dem prüfenden Blick des Feldherrn aus. Nennt mir mein Strafmaß, bringen wir es hinter uns, ging es Tullus durch den Kopf.

»Mir will scheinen …«, begann Germanicus umständlich und verstummte.

Tullus’ Herzschlag beschleunigte sich. Er starrte weiterhin zu Boden.

»Mir will scheinen, dass du Dinge erreicht hast, zu denen manch ein anderer nicht in der Lage wäre.«

Tullus schaute verwirrt auf und suchte zögerlich Germanicus’ Blick. »Herr?«, fragte er nach.

»Ich mache mir gern ein Bild von den Leuten, mit denen ich zu tun habe«, erklärte Germanicus. »Und du bist ein einfacher Mann aus dem Volk. Ein sehr tapferer Mann und ein ausgezeichneter Offizier. Ich nehme dir deine Geschichte ab. Einen Mann wie dich hinrichten zu lassen wäre Vergeudung eines Lebens. Dadurch würde das Reich einen guten Sohn verlieren.«

»Ich …« Tullus wusste nicht, was er sagen sollte.

Germanicus gab ein leises Lachen von sich. »Du wirst nicht hingerichtet und auch nicht dafür bestraft, dass du dich dem Bann widersetzt hast, Centurio. Auch deinem Optio schenke ich das Leben. Wäre ich an deiner Stelle, dann wäre ich wahrscheinlich auch nach Rom gekommen, um ein solches Spektakel wie Tiberius’ Triumphzug zu sehen. Immerhin, der erste Triumphzug nach nunmehr dreißig Jahren. Wer kann dazu schon Nein sagen?«

»Ja, Herr, ganz recht – habt Dank, Herr«, stammelte Tullus. Ihm schwirrte der Kopf.

»Aber meine Nachsicht ist nicht ganz uneigennützig. Der Princeps, mögen die Götter ihn schützen, wird mir bald die Amtsgewalt eines Statthalters über die Provinzen Tres Galliae und Germania verleihen. Dafür brauche ich gute Soldaten. Und erfahrene Offiziere wie dich.«

Während Tullus noch versuchte, seine Überraschung und seine Freude unter Kontrolle zu halten, fuhr Germanicus fort.

»Die Demütigungen, die uns Arminius zugefügt hat, sind nicht vergessen, Centurio. Ganz gewiss nicht. Ich hege die Absicht, mit meinen Legionen den Rhenus zu überqueren und all die Gebiete wieder unter römische Herrschaft zu bringen, die verloren gingen. Aber damit meine ich nicht nur das Territorium und all das, was auf germanischem Boden steuerpflichtig ist, sondern auch die drei Legionsadler. Willst du mir bei diesem Vorhaben helfen? Willst du deinen Teil dazu beitragen, dass Rom Vergeltung üben kann?«

»Es wäre mir eine große Ehre, Herr.« Tullus hörte, wie Fenestela ebenfalls seine Zustimmung gab.

»Sehr gut.« Germanicus klopfte ihm auf die Schulter. »Ich suche dich auf, sobald ich im Grenzgebiet am Rhenus eintreffe. Daher solltest du vielleicht besser rasch deinen Pflichten nachkommen, die du für die Legio V zu erledigen hast, wie?«

»Gewiss, Herr.« Verblüfft schaute Tullus dem Feldherrn nach, der nach seinem Pferd verlangt hatte und in Begleitung der Prätorianer fortgeritten war.

Tullus hatte ganz weiche Knie. Daher setzte er sich auf eine der Treppenstufen vor der Curia, während Fenestela vor Freude gar nicht wusste, was er als Erstes tun sollte.

»Wer hätte das gedacht?«, frohlockte er und schenkte Tullus ein schiefes, strahlendes Lächeln.

»Du sagst es«, meinte Tullus und fragte sich, wie es möglich war, dass man einen Moment lang einen schmachvollen Tod vor Augen hatte und wenige Herzschläge später vom Großneffen des Princeps über den grünen Klee gelobt wurde. Auf einmal tat sich für Tullus eine Gelegenheit auf, nicht nur seine eigene Ehre, sondern die Ehre der Legio XVIII wiederzuerlangen.

Fürwahr, an diesem Tag blickten die Götter mit einem wohlmeinenden Lächeln auf ihn herab. Tullus hatte das Gefühl, dass ihn die Götter auch im Verlauf der kommenden Monate gut gesinnt waren – denn endlich konnte er Vergeltung üben. Die Suche nach dem Legionsadler konnte beginnen.

TEIL I

SPÄTSOMMER DES JAHRES 14 N. CHR.

In der Nähe der Siedlung Ara Ubiorum, an der Grenze zu den germanischen Stammesgebieten.

1. KAPITEL

Der Spätsommer hielt Einzug entlang der Grenze zu den germanischen Siedlungsgebieten am Rhenus. Vier der dort stationierten Legionen – die Erste, die Fünfte, die Zwanzigste und die Einundzwanzigste – waren vorübergehend in einem weitläufigen Areal unweit der Siedlung Ara Ubiorum untergebracht.

Nachdem Tullus am Nachmittag mit seinen Männern einige Stunden auf dem windigen Übungsgelände außerhalb des Lagers zugebracht hatte, machte er sich auf den Weg zur Schänke »Zum Netz und Dreizack«, einer Taverne im nahe gelegenen Dorf, das bislang nur aus Zelten bestand.

Große Truppenmanöver und strategische Überlegungen für das bevorstehende Jahr hatten beinahe die Hälfte der Legionen der Provinz an diesen Ort geführt, ganz in der Nähe des Altars der Ubier und der dazugehörigen Siedlung. Wie nicht anders zu erwarten, hatten sich bald darauf auch Händler, Schankwirte, Verkäufer von Lebensmitteln, Dirnen, Wahrsager und viele andere Leute an Ort und Stelle eingefunden – ein jeder von ihnen erhoffte sich ein einträgliches Geschäft angesichts von bis zu sechzehntausend Legionären.

Als Tullus die Schänke mit ausgedörrter Kehle und erschöpft betrat, sah er, dass sein Lieblingsplatz besetzt war. Aber er regte sich nicht auf, zumal der kleine Ecktisch im hinteren Bereich nicht sein Eigentum war. Stattdessen ließ er sich auf einen freien Platz unmittelbar daneben sinken.

Er mochte diese »Schänke«, die eigentlich keine Taverne im herkömmlichen Sinne war, sondern eben nur ein kleines Zelt, das nur wenige kannten. Außerdem befand sich gleich nebenan ein gutes Bordell. Der Schankwirt war früher selbst Soldat gewesen, ein ehemaliger Optio. Auf das unsinnige Gerede der betrunkenen Kunden gab der Mann nichts, dennoch legte er mitunter einen Sinn für durchtriebenen Humor an den Tag. Die Qualität des Weins konnte man als durchschnittlich bezeichnen, das Essen war gar nicht so übel.

Da die Preise für Speisen und Wein für den einfachen Legionär zu hoch waren, handelte es sich bei den meisten Gästen um Offiziere. Tullus, der sein halbes Leben bei der Armee verbracht hatte, behagte das. Zwar mochte er seine Männer, selbst die schwierigen Fälle, die er seit nunmehr fünf Jahren befehligte, aber wenn er seine Pflicht getan hatte, wollte er sich entspannen – und vielleicht Dinge sagen, die er nicht sagen durfte, solange Legionäre in der Nähe waren.

Da er zunächst allein an einem kleinen, behelfsmäßigen Tisch saß, verfiel er ins Grübeln. Die Dinge waren nicht mehr so, wie er sie aus der Legio XVIII her kannte. Was nicht anders zu erwarten war. Fast fünfzehn Jahre lang hatte Tullus in der Achtzehnten gedient, war zuletzt sogar zum Pilus Prior der Zweiten Kohorte der 1. Centurie ernannt worden. Der Pilus Prior zählte zu den ranghöchsten Centurionen der gesamten Legion.

Verflucht, er hatte jeden Centurio und die meisten der rangniederen Offiziere innerhalb der Legio XVIII mit Namen gekannt. Ich war ein Mann, dem man mit Respekt begegnete, dachte er, und jetzt bin ich nur einer von vielen Centurionen in der Siebten Kohorte einer Legion, die ich kaum kenne. Die verfluchte Siebte Kohorte! Die meisten der Centurionen der Legion waren zehn Jahre jünger als er. Umso mehr ärgerte es Tullus, dass einige von diesen jungen Offizieren in der Rangfolge innerhalb der Centurionen noch über ihm standen.

Gleichwohl, ein Großteil dieser Offiziere begegnete Tullus höflich und respektvoll, aber es gab eine Gruppe von etwa sechs Offizieren, die es Tullus vom ersten Tag an nicht leicht gemacht hatten. Ihre überheblichen Blicke und hämischen Bemerkungen waren ihm nicht entgangen. Das ging ihm gegen den Strich, aber er hatte sich vorgenommen, einer direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen, falls möglich. Tullus wollte sich seine Kraft für diejenigen aufbewahren, an denen er sich rächen wollte – für den wahren Feind: Arminius und die germanischen Stämme.

In dieser Hinsicht sah die Zukunft rosig aus. Germanicus hatte, wie angekündigt, den Oberbefehl über die Armeen am Rhenus inne, das Imperium proconsulare. In den Gebieten links des Rhenus wurde die Steuerlast neu berechnet, ein Unterfangen, das Germanicus eine Weile beschäftigen würde. Daher gab es für dieses Jahr keinen Vorstoß nach Germania rechts des Grenzflusses, aber das sollte sich im Frühjahr ändern. Im Lager machten einige Gerüchte die Runde, und soweit Tullus es mitbekommen hatte, würde die Streitmacht, die den Rhenus überquerte, bis zu acht Legionen umfassen. Die Feinde des Reichs durften nicht mit Gnade rechnen.

Tullus leerte seinen Becher mit einem Schluck und spürte, wie sich der Wein warm in seinem Magen verteilte. Der Krug, den er bezahlt hatte, war leer, daher schaute er sich nach einer Schankmagd um.

Sein Blick fiel auf die hagere Bedienung, an deren Namen er sich einfach nicht erinnern konnte, die ihm aber allein wegen der schlechten Zähne in Erinnerung geblieben war.

»Mehr von dem Wein!«, rief er ihr zu.

»Ja, Herr.« Sie eilte an seinem Platz vorüber und griff nach dem Krug.

Ich sollte es langsam angehen lassen, dachte er, während die Frau in Richtung der Theke verschwand. Es könnte noch eine lange Nacht werden.

»Gib Wasser hinzu, vier zu eins«, rief er hinter ihr her.

Sie drehte sich halb zu ihm um, zog verdutzt eine Braue hoch, brachte ihm aber schließlich den verdünnten Wein an den kleinen Tisch.

Die Zeit verstrich. Mehrere Centurionen und Optios der Sechsten Kohorte kamen herein und luden Tullus zu sich an ihren Tisch. Nach einer Stunde angenehmer Plauderei hatte Tullus seinen Vorsatz vergessen, sich mit dem Weintrinken ein wenig zurückzuhalten. Er hatte inzwischen noch einen Krug geleert, beschloss jedoch, einen weiteren zu bestellen. Dass Fenestela in diesem Augenblick die Schänke betrat, kam Tullus daher gelegen.

»Meine Runde«, sagte der Optio.

Tullus machte eine einladende Geste. »Sei mein Gast.«

Fenestela kehrte mit drei vollen Krügen von der Theke zurück. »Wird allmählich voll hier«, meinte er. »Ehe ich anstehen muss, bringe ich lieber gleich mehrere mit.« Er zwinkerte Tullus zu. Dann schob er den anderen Offizieren einen der Krüge zu und stellte die beiden anderen zwischen sich und Tullus.

Die beiden Gefährten prosteten einander zu.

»Möge Germanicus uns zum Sieg führen, auf dass wir einen Weg finden, die verlorenen Adler wiederzufinden«, sprach Tullus und stieß seinen Becher gegen Fenestelas. »Mögen es uns die Götter gewähren, dass wir Arminius töten oder zumindest gefangen nehmen.«

»Ja, auf den Feldzug im Frühjahr.«

Sie tranken erneut.

»Und, zufrieden mit den Männern?«, fragte Tullus. Er hatte Fenestela damit beauftragt, die Männer nach der Übung zurück zum Lager zu führen und bei ihren letzten Pflichten zu beaufsichtigen.

»Doch, bin ich. Sie haben sich wegen der langen Übung beschwert und meinten, sie wollten in heißen Bädern ausspannen, anstatt im kalten Fluss zu baden. Da sind alle Legionäre gleich, du kennst das ja. Die Rekruten haben am lautesten gejammert.«

»In der Armee wird sich wohl so schnell nichts ändern«, sagte Tullus und lachte.

»Piso hat sich erneut für den Wachdienst gemeldet.«

»Den Göttern sei Dank, dass wir ihn immer noch bei uns haben, und auch Vitellius.« Die beiden Legionäre sind ein bisschen so wie ich und Fenestela, dachte Tullus. Schon rein äußerlich hätten sie unterschiedlicher nicht aussehen können. Piso war hoch aufgeschossen und schlaksig und stets gut gelaunt, Vitellius hingegen war eher klein und gedrungen, dafür aber bissig. Dennoch waren die beiden beste Freunde und ausgezeichnete Soldaten.

»Beides gute Männer.«

»So viel steht fest.«

Nach der Niederlage des Varus hätte Tullus gern alle Legionäre aus der alten Einheit behalten, aber so lief es nun mal nicht in der Armee. Wäre Caedicius nicht gewesen, der ehemalige Befehlshaber in Aliso und inzwischen ein guter Freund, hätte Tullus keinen der Kameraden behalten dürfen, die einst seinem Befehl unterstanden. Nicht einmal Fenestela. Diesen Gedanken schob Tullus beiseite. Denn Fenestela war ja an seiner Seite, ebenso Piso und Vitellius. Allein das zählte, und zwar mehr als die Degradierung.

Die restlichen Männer seiner Truppe waren keine üblen Burschen, auch wenn einige von ihnen – insbesondere die Rekruten – eigentlich nicht fürs Militär taugten. Unmittelbar nach Arminius’ Hinterhalt hatte sich Panik in den Gebieten links des Rhenus breitgemacht, aber da der Wunsch des Princeps nach Freiwilligen nahezu ungehört verhallt war, hatte man in den nachfolgenden Monaten viele junge Männer im waffenfähigen Alter in den Dienst gepresst. Augustus’ Erlass, unverzüglich Truppen auszuheben, hatte dazu geführt, dass sich Tausende unwillige Bürger den Legionen am Rhenus anschließen mussten. In jeder Einheit gab es einige dieser lustlosen Burschen. Tullus war froh, dass es in seiner Centurie nur etwa fünfundzwanzig dieser Sorte gab.

Seine Blase meldete sich. »Bin gleich zurück«, sagte er zu Fenestela. »Halt mir den Platz frei.«

Als er von dem Latrinengraben zurückkehrte, sah er zu seinem Verdruss, dass sich zwei Tische entfernt vier Centurionen der Zweiten Kohorte und einige der Ersten breitgemacht hatten, in Begleitung einiger rangniederen Offiziere ihrer Einheit. Es wäre nicht korrekt, diese Männer als meine Feinde zu bezeichnen, dachte Tullus. So schlecht war das Verhältnis der Centurionen untereinander nicht. Aber als Gegner hätte er sie bezeichnet.

Er nahm gegenüber von Fenestela Platz, der mit dem Rücken zu den anderen Offizieren saß. »Hast du schon gesehen …?«, fragte er.

»Klar.« Fenestelas Miene hatte sich verdüstert. »Aber diese Schwanzlutscher haben mich nicht mal begrüßt.«

»Mich auch nicht.« Aber so war es sicher am besten, beschloss er für sich. Immer schön unauffällig bleiben. Er und Fenestela konnten es schließlich nicht mit zehn Mann gleichzeitig aufnehmen. Außerdem waren Raufereien in Tavernen mit dem Ehrgefühl eines Centurios nicht vereinbar. Er verspürte wahrlich nicht den Wunsch, in eine der hinteren Kohorten versetzt zu werden, geschweige denn das Ende seiner Karriere als einfacher Legionär zu erleben.

»Hör mal, was die sich erzählen.«

Tullus spitzte die Ohren, aber bei dem allgemeinen Stimmengewirr, dem gelegentlichen Gejohle und Lachen war es natürlich schwierig, einzelne Unterhaltungen zu verfolgen. Die beiden rangniederen Offiziere, die unmittelbar hinter Fenestela saßen, unterhielten sich zum Glück leise. Tullus vermutete, dass die beiden jungen Männer überlegten, welches Bordell sie gleich besuchten.

Die Centurionen unterhielten sich offenbar über den Feldzug, der für das kommende Jahr geplant war. »Endlich kommen wir aus dem Lager raus. Dann können wir den Germanen eine Lektion erteilen. Diesen Bastarden hat schon lange keiner mehr Einhalt geboten«, sagte Flavoleius Cordus, ein Mann mit breitem Gesicht und tief liegenden Augen. Cordus war der ranghöchste Centurio der Zweiten Kohorte und hatte somit genau die Position, die Tullus einst in der 18. Legion innegehabt hatte. Das allein wurmte Tullus. Cordus war allerdings ein guter Offizier und beliebt bei den Männern, aber er rieb Tullus gern unter die Nase, dass er es nie zugelassen hätte, einige der in Ungnade gefallenen Soldaten des Varus in die Legio Alaudae aufzunehmen.

»Ich sage euch, wir räumen dort besser auf als Varus«, meinte Castricius Victor, ranghöchster Centurio der Dritten Kohorte und Cordus’ rechte Hand. Victor, stark wie ein Ochse und aufbrausend wie ein wilder Stier, war bei seinen Soldaten und rangniederen Offizieren gefürchtet. Außerdem war er ein angeberischer Rüpel, der immer und überall sein Maul aufreißen musste. Tullus vermutete, dass der Mann allein wegen seiner körper lichen Vorzüge und Tapferkeit in den Rang eines Centurio aufgestiegen war – an seinen geistigen Fähigkeiten jedenfalls konnte es nicht liegen. »Aber das ist ja ohnehin nicht schwer«, fügte Victor hinzu und ließ ein verächtliches Schnauben folgen.

Einige der Männer am Tisch gaben grummelnd ihre Zustimmung, insbesondere die Optios, der Signifer und der Tesserarius der Einheit.

»Ich möchte gern erleben, wie diese Stämme uns überraschen wollen«, ließ sich Cordus wieder vernehmen. »Die Männer der XVII, XVIII und IXX müssen wohl Schlafwandler gewesen sein, wenn sie sich so von diesen Wilden übertölpeln ließen.«

Bemerkungen wie diese verrieten Tullus, wie wenig diese Männer von dem Massaker in den Wäldern wussten. Mühsam rang er seinen aufsteigenden Zorn nieder. Es brachte nichts, diesen Leuten die Meinung zu sagen. »Als wäre es denen anders ergangen«, raunte er seinem Optio zu.

»Ich weiß«, grummelte Fenestela.

Tullus lauschte weiter auf das, was sich seine Widersacher zu sagen hatten. Es dauerte nicht lange, und die Unterhaltung schwenkte auf die jüngsten Unruhen in den Reihen der Legionäre. Einige der anwesenden Offiziere hatten offenbar Bedenken, die Sache könne aus dem Ruder laufen, doch Cordus und Victor taten dies als unbedeutend ab.

Tullus hatte schon einmal mitbekommen, dass einige der hochrangigen Offiziere über wachsenden Unmut innerhalb der Legion gesprochen hatten. Aber bislang glaubte er, dass die Männer in seiner eigenen Einheit nicht unzufriedener waren als sonst.

»Hast du da was gehört?«, fragte er Fenestela.

Etwas in Fenestelas Mienenspiel beunruhigte Tullus.

Daher schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Sprich, Mann!«

»Beruhige dich.«

Bei jedem anderen hätte Tullus mit der Faust zum Schlag ausgeholt, aber er und Fenestela hatten zu viel durchgemacht.

»Erzähl mir, was du weißt«, forderte er ihn auf.

»Es hat offenbar heimliche Versammlungen gegeben. Daran haben auch einige unserer Leute teilgenommen. Ich nicht, keine Sorge«, betonte Fenestela rasch.

»Was denn für Versammlungen?«