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Nach einem überraschenden Lotteriegewinn zieht sich der erfolgreiche Leiter des Dezernats für Kapitalverbrechen in einer mittelgroßen Stadt an der Westküste der USA, Arturo Romero, in sein luxuriöses und amouröses Privatleben zurück. Doch lange dauert seine Entspannung nicht an und er wird zu Hilfe gerufen. Es geschahen zwei Morde, die durch ihre raffinierte und durchdachte Planung und Ausführung sein früheres Team vor ein Rätsel stellen. Doch auch Romero wird mit seiner bislang größten Herausforderung konfrontiert, die seine makellose Aufklärungsquote ins Wanken bringt. Noch nie war er im Laufe seiner Karriere mit Mordfällen konfrontiert worden, bei denen auch nach intensiver Nachforschung kein Motiv erkennbar war, keine Beweise vorlagen und der Täter bei Ausübung der Verbrechen nicht in der Nähe gewesen sein konnte. Romero enthüllt bei seinen Ermittlungen ein lang zurückliegendes, schreckliches Verbrechen, das ausschlaggebend für die Morde gewesen sein musste. Doch Beweise dafür zu finden, scheint fast unmöglich. Nur mehr unkonventionelle Maßnahmen knapp an der Grenze zur Legalität können unter Umständen zur Aufklärung des Falles führen. Begleiten Sie den gutaussehenden Special Agent Arturo Romero bei seiner spannungsgeladenen, aber auch humorvollen Mörderjagd, bei der sein ausschweifendes, detailgetreu geschildertes Liebesleben mit aufregenden Frauen nie zu kurz kommt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
1 – Der Anruf
2 – Der Doppelmord
3 - Corinne
4 – Die Klinik
5 – Eagle-Eye
6 – Die Anzeige
7 – Die Beichte
8 – Noch ein Verdächtiger
9 – Maggy
10 – Die Zeugin
11 – Die Eingebung
12 – Der Überraschungsbesuch
13 – Die Krise
14 – Plan C
15 – Epilog
Impressum
Die Glocken der Hölle läuteten. Unbarmherzig und lautstark dröhnte jeder einzelne Schlag und schickte stechende Schmerzen durch meinen Kopf. Ich stöhnte und versuchte, mich zu orientieren.
Ich erinnerte mich an viele ausgelassene Leute, amüsante Unterhaltungen, laute Musik und viel, viel Alkohol. Also, eine meiner regelmäßigen Samstagabend-Partys eben. Und da sich alle so gut unterhalten hatten, wurde es früher Morgen, als ich schließlich gleich im Wohnraum auf das Sofa fiel. Ins Schlafzimmer in den oberen Stock hätte ich es nicht mehr geschafft.
Während die Glocken weiterläuteten, hatten mittlerweile die Angus-Brüder mit ihren E-Gitarren eingesetzt. Dies hatte auch keine bessere Wirkung auf meine Kopfschmerzen. Welcher Teufel hatte mich geritten, Hells Bells als Klingelton für diesen Kontakt zu hinterlegen, fragte ich mich. Noch dazu auf höchster Lautstärke. Wahrscheinlich, da ich nicht im Geringsten daran dachte, dass sie mich irgendwann anrufen würde.
Ich tastete nach meinem Smartphone, das ich am Boden liegend vermutete. Unter dem Sofa wurde ich schließlich fündig und ich setzte mich mühsam auf. Nachdem ich keine Sprachnachricht aktiviert hatte, waren AC/DC schon halb durch die Nummer, als ich den Anruf annahm. Zu meinem Erstaunen hatte sie noch immer nicht aufgelegt, obwohl ich mich nur in Zeitlupe bewegen konnte.
„Ja?“, meldete ich mich. Korrigiere, krächzte ich ins Telefon.
Ein Kichern drang an mein Ohr. „Wie klingst denn du? Muss wohl eine harte Nacht gewesen sein.“
„Es geht“, antworte ich, redegewandt und ausschweifend wie immer. „Warum weckst du mich mitten in der Nacht?“
„In der Nacht? Neun Uhr in der Früh ist es, mein lieber Arturo. Aber lass mich gleich zum Punkt kommen. Viel Zeit habe ich nicht. Und du auch nicht, falls du Interesse hast.“
„Erzähl, was gibt’s?“
„Du wolltest doch informiert werden, falls ein ungewöhnlicher Mordfall geschieht, oder? Jetzt habe ich einen an der Hand, der dich sicher interessieren würde. Aber in deinem Zustand kommt das wohl nicht in Frage.“
„Warte, warte“, erwiderte ich sofort, „nicht so schnell. Ich kann blitzartig bei dir sein. Wo soll ich hinkommen, Karen?“
Sie zögerte etwas. „Nun, wenn du glaubst, dass du in längstens 15 Minuten hier sein kannst, kann ich solange die Spurensicherung hinhalten. Hoffe ich zumindest.“ Sie gab mir die Adresse.
„Bin schon unterwegs“, sagte ich und beendete gleich darauf das Telefonat, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
Ich sprang auf und zuckte kurz zusammen, als mein Kopf meinen Enthusiasmus nicht teilte und mit einem durchdringenden Schmerz reagierte. Ich ignorierte ihn, raste in die Küche, um einen doppelten Espresso durch die Maschine zu jagen. Dann sprintete ich, so gut es ging, ins Badezimmer unter die Dusche und ließ heißes Wasser über meinen Kopf und Körper rinnen. Wenn man nackt schlief, hatte es den Vorteil, dass man sich wegen der Kleidung keine Gedanken machen musste.
Während das Wasser nach und nach die Müdigkeit aus meinem Körper drängte, grübelte ich über den Anruf nach. Dass mich Karen Walsh anruft, hätte ich nie angenommen. Mehr als sechs Monate waren es jetzt her, dass ich die Leitung des Teams Kapitalverbrechen im hiesigen Polizeirevier aufgegeben und mich ins Privatleben zurückgezogen hatte. Nicht wegen mangelnden Erfolges allerdings. Knapp zehn Jahre hatte ich die Leitung inne, in denen ich eine Vielzahl schwerer und schwerster Verbrechen zu bearbeiten hatte. Unter anderem konnte ich alle 12 Mordfälle aufklären und die Täter in Verwahrung nehmen. Nicht alle 12, musste ich zugeben. Einer zog es vor, vor der Verhaftung zu fliehen und aus dem Fenster zu springen. Was er nicht bedacht hatte, war, dass er im sechsten Stock eines Wohnsilos lebte. Was nach dem Sprung von ihm übrig war, machte es mir unmöglich, vor Gericht zu stellen.
Mein plötzlicher Abgang war für alle eine große Überraschung, schließlich hatte ich mit Mitte 40 noch etliche Dienstjahre vor mir. So dachten alle. Auch ich. Doch dann kam alles anders.
Ich konnte aber auch deswegen guten Gewissens Hals über Kopf den Job quittieren, da ich seit Jahren schon darauf geachtet hatte, dass ich eine hochqualifizierte Vertretung hatte, wenn ich nicht im Büro war. Karen war ständig meine rechte Hand gewesen, war eine Frau mit Durchschlagskraft und rascher Auffassungsgabe, sehr engagiert und ambitioniert. Ich konnte mich jederzeit zu hundert Prozent auf sie verlassen. Sie war die logische Wahl für meine Nachfolge und wurde auch sofort von allen Kollegen widerspruchslos angenommen.
Am Tag meines Abschieds hatte sie scherzhaft gemeint, dass ich es ohne die tägliche Herausforderung, Verbrecher aufzuspüren, ohnedies nicht aushielte. Ich beruhigte sie, dass sie sich darauf verlassen könnte, dass ich mein Leben, auch ohne Gewaltverbrechen aufzuklären, sehr genießen würde. Was auch der Fall war. Am Ende fragte sie mich dann noch, ob sie mich kontaktieren sollte, käme ihr ein spektakulärer Mordfall unter. Oder ein rätselhafter. Ich willigte schlussendlich ein, ohne je an solch ein Ereignis zu denken. Doch heute war es offensichtlich soweit. Und obwohl ich es nur ungern zugebe, ich spürte Neugier und Spannung in mir hochsteigen.
Ich reduzierte die Wassertemperatur meiner Dusche von heiß zu lauwarm bis hin zu eiskalt. Wenige Sekunden später flüchtete ich vor diesen arktischen Bedingungen, am ganzen Körper zitternd. Auf der anderen Seite war ich putzmunter und fast wieder nüchtern.
In kürzester Zeit trocknete ich mich ab, schlüpfte in eine leichte Sommerhose und ein einfärbiges Kurzarmhemd, trank im Vorbeigehen den Espresso in einem Zug aus, und verbrannte mir dabei natürlich die Zunge, fand in einer Vorzimmerlade Aspirin, von denen ich zwei Stück mit einem großen Schluck Wasser hinunterspülte, schnappte mir die Autoschlüssel vom Haken an der Eingangstür und stürmte aus dem Haus. Strahlender Sonnenschein und ein leichter Sommerwind empfingen mich. Es war der erste warme Tag des Jahres und ich fühlte, wie meine Energien nach und nach zurückkehrten.
In der Garage stand mein nur wenige Monate alter Ferrari Portofino Cabrio in klassischem Rot des italienischen Kultautomobils und ich musste beim Anblick des Wagens wie immer lächeln. Der Schlitten war von solch einer unglaublichen Eleganz und Schönheit, dass kaum etwas diesen Eindruck übertreffen konnte. Gut, die eine oder andere Frau in meinem Leben hatte auch so ein Lächeln auf mein Gesicht zaubern können, es waren aber nicht viele.
Noch während ich mich in den Ledersitz fallen ließ, hatte ich den Motor gestartet und fuhr los. Kaum war ich auf der Zufahrtsstraße zu meinem Haus, gab ich dem Ferrari-Hengst die Sporen. Die 600 PS unter der Motorhaube drückten mich gnadenlos in den Sitz. Das Feeling war aber einzigartig.
Nachdenken über die Fahrtrichtung musste ich nicht, zu gut war mir die Gegend bekannt, in der sich die Adresse, die ich von Karen erhalten hatte, befand. Nur wenn ich sie in wenigen Minuten erreichen wollte, konnte ich auf Geschwindigkeitsbeschränkungen keine Rücksicht nehmen. Ich drückte gedanklich alle Daumen, dass an diesem Sonntagvormittag die Verkehrspolizisten Besseres zu tun hatten, als den Verkehr zu überwachen.
Der Ferrari war ein langgehegter Bubentraum von mir, den ich mir verwirklichen konnte. Möglich wurde es durch einen einzigartigen Glücksfall. Ganz gegen meine Gewohnheiten hatte ich vor circa einem Jahr in einem Supermarkt ein Lotterielos gekauft. Ich hatte es in meine Brieftasche gesteckt und sofort wieder darauf vergessen. Erst als mir einige Wochen später durch eine Unachtsamkeit meine Brieftasche auf den Boden fiel und der gesamte Inhalt verstreut auf dem Boden lag, fiel mir das Los wieder ein. Ziemlich entspannt klopfte ich die Zahlen in das passende Feld auf der Homepage der Lotteriegesellschaft ein, nur um gleich nicht mehr ganz so entspannt auf den Bildschirm zu starren. Die Zahlen des Ziehungstags waren ident mit jenen auf meinem Los.
Ich suchte nach einem Fehler in meinen Überlegungen, konnte aber keinen finden. Schließlich wählte ich mit zitternden Fingern die Nummer der Gesellschaft, um nachzufragen, ob ich mich nicht doch irrte. Es stellte sich heraus, dass es keine Täuschung war, ich hatte tatsächlich den Haupttreffer gemacht. Und wie es das Schicksal wollte, war ich der einzige Glückspilz dieser Ziehung. Mehr als 70 Millionen Dollar waren das Resultat der Eingebung dieses Loskaufs.
Die Auszahlung des ersten Teilbetrags nahm einige Wochen in Anspruch, doch dann standen mir plötzlich reichlich Geldmittel zur Verfügung, durch die ich all meine sehnlichsten Wünsche erfüllen konnte. Das Cabrio war nur einer davon. Ich kündigte auch umgehend die Miete meiner Wohnung in der inneren City, um mir ein Haus in einem Vorort zu suchen. Der Makler, den ich kontaktiert hatte, war sehr engagiert, mir ein passendes Anwesen zu finden, die Aussicht auf eine hübsche Provision wirkte Wunder. Bald hatte ich einige Adressen zu besichtigen. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Die Liegenschaft, die ich schließlich erwarb, lag in einem ruhigen und vornehmen Vorort der Stadt, umfasste ein architektonisch stylisches Gebäude mit 200 Quadratmetern Wohnfläche auf zwei Ebenen mit großen Räumen und ausgedehnten Fensterfronten, einer ausladenden Terrasse in den Garten, der mit einer etwa 5.000 Quadratmeter großen Rasenfläche, mit Bäumen und Büschen durchsetzt, und einem 25 Meter Sportpool all meine Wünsche erfüllte.
Insgeheim hatte ich mit einer der Luxusbleiben auf the hill spekuliert. Einem langgestreckten, bis zu 500 Meter hohem baumbewachsenen Hügel im Norden von meiner Heimatstadt, Glenrock-County, gelegen, auf dem jede der Immobilien einen grandiosen Meeresblick ermöglichte. Doch keines der Häuser stand zum Verkauf, der Makler war untröstlich. Ich auch. Aber dadurch kannte ich die Gegend samt der meisten der Anwesen sehr gut, hatte ich die Straße doch einige Male befahren, immer auf der Suche nach einem „Zu verkaufen“-Schild. Vergebens. Aber nun war ich wieder auf dem Weg zum hill, Karen hatte mir bei unserem kurzen Telefonat eine Adresse eben auf dieser Panoramastraße genannt.
Nachdem mir bewusst geworden war, dass ich in meinem Leben nie wieder Geldsorgen haben würde, solange ich keine unsinnigen Handlungen setzte, etwas, das ich nicht vorhatte, tauchte natürlich die Frage auf, ob ich weiterhin in meinem Job bleiben wollte. Ich wog alle Argumente Pro und Contra gründlich ab, sich also 60 bis 70 Stunden pro Woche auf Verbrecherjagd zu befinden gegenüber viel Freizeit zu haben, im Luxus zu leben und das Leben zu genießen, nahm mir für meine Entscheidung ausreichend Zeit und reichte 15 Sekunden später meine Kündigung ein.
In der Zwischenzeit hatte ich die Abzweigung zur Panoramastraße erreicht und bog mit quietschenden Reifen um die Kurve. Die Straße führte in zwei großen Schleifen etwa hundert Höhenmeter getrennt rund um den Hügel, wobei jeweils nur auf der Westseite die Grundstücke lagen, von denen aus also der Meeresblick gegeben war. Ich hatte mir auch einmal das Schauspiel der untergehenden Sonne im Meer gegönnt, der Anblick war unbeschreiblich. Verständlich, dass ich hier meine Unterkunft hätte haben wollen.
Ich machte mir nicht die Mühe, die Grundstücksnummern mit jener von Karen genannten zu vergleichen, als die Gartentore an mir vorüberzogen. Ich war nämlich fest davon überzeugt, dass ich sofort erkennen würde, wo das Verbrechen begangen worden war. Ich wurde nicht enttäuscht.
Ungefähr auf halbem Weg des unten gelegenen Straßenabschnitts sah ich schon von weitem am Straßenrand die Polizeifahrzeuge stehen. Der Ferrari kam zu einem geräuschvollen und rauchenden Stopp am Fahrbahnrand. Ich sprang aus dem Auto und eilte auf die Gartentür zu. Ein junger Polizist mit rotblonden Haaren und Sommersprossen stand davor und sah mich misstrauisch an.
„Sorry, hier ist kein Zutritt. Bitte verlassen Sie…“
„Ist schon in Ordnung, Bob“, rief eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund. Kurz darauf stand Karen Walsh auf der anderen Seite des schmiedeeisernen Gartenzauns und winkte mich zu sich.
„Hi, Art“, sagte sie zu mir. „Dieser junge Kollege kam erst nach deiner Zeit zu uns, Robert Tompkins. Er kann dich nicht kennen.“
Der junge Mann entschuldigte sich und gab mir den Weg frei. Ich betrat den Garten und begrüßte Karen mit einer flüchtigen Umarmung.
„Schön, dich zu sehen“, sagte ich. „Siehst noch immer gut aus. Der Stress der Teamleitung scheint spurlos an dir vorüberzugehen.
„Lügner“, antwortete sie grinsend. „Ich freue mich aber auch, dass du hergekommen bist.“
Sie sah mit ihren knapp 50 Jahren aber tatsächlich noch blendend aus. Mit einem Meter 80 hatte sie fast meine Körpergröße, war aber gertenschlank und durchtrainiert, die kurz geschnittenen blonden Haare passten gut zu ihrem gebräunten Gesicht. Das hiesige Sonnenstudio musste in der kühleren Jahreszeit gut an ihr verdient haben.
Sie wurde wieder sachlich. „Komm mit. Ich kann die Forensiker bald nicht mehr zurückhalten. Du solltest dir aber wirklich ansehen, was wir hier haben.“
Sie ging auf dem mit Fliesen belegten Weg über die Rasenfläche voran zum Bungalow. In einer Ecke des Grundstücks standen drei Männer in weißen Gewändern, die finster zu uns herüberschauten. Offensichtlich die in der Warteposition befindlichen Spurensicherer.
Auf halben Weg zum Gebäude stand ein ehemaliger Kollege, dessen Anwesenheit mich nicht überraschte, aber umso mehr freute. Daniel Moreno, ein Schrank von einem Mann und einen halben Kopf größer als ich. Auf Grund seiner mexikanischen Abstammung hatte er eine gewellte schwarze Haarpracht, auch sein kantiges und markantes Gesicht war von dunkelbrauner Färbung. Nur hatte er dafür keine Sonnenbank benötigt. Er war in meinem Team der Mann für alle Fälle gewesen, seien es Nachforschungen, Beschattungen oder durch seine imposante Erscheinung ein Einschüchterungsfaktor bei meinen Befragungen. Trotz seines beeindruckenden Äußeren hatte er ein gutmütiges Naturell, hielt sich oft im Hintergrund und sprach wenig. Nur wenn er etwas sagte, dann konnte er auch überraschend amüsant sein.
„Hi, Danny“, begrüßte ich ihn. „Alles ok bei dir?
„Klar, Boss“, antwortete er, ohne eine Miene zu verziehen.
Ich unterbrach seinen Redeschwall und marschierte weiter, als ich eine Stimme vernahm, auf die ich gut und gerne hätte verzichten können.“
„Romero“, tönte es hinter mir in unverkennbar feindseligem Tonfall. „Gibt sich Eure Heiligkeit doch wieder die Ehre, sich unter uns gewöhnlich Sterblichen zu mischen?“
Ich seufzte und drehte mich langsam um. Hinter mir stand Theo Woolve, seines Zeichens Pathologe des Reviers und unsympathisch wie eh und je. Nur knapp über 160 Zentimeter klein, hager, mit eingefallenen Gesichtszügen hatte er ohnedies wenig Liebenswertes an sich. Dann kam noch der permanente Körpergeruch nach Desinfektionsmitteln hinzu. Nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigte, dass er in seinen Kellerlabors des Polizeireviers für die Obduktionen und das Feststellen der Todesursache aller eingelieferten Opfer zuständig war. Sein charakteristischstes Merkmal war aber seine Körperbehaarung. Auf seinem Kopf wucherte ein undurchdringliches Geflecht grauer Haare, aus seinen Ohren ragte ebenso dichtes Gestrüpp wie aus seinem Kragen oder aus den Ärmeln seines ausgewaschenen, grünlichen Arbeitskittels.
All dies war vielleicht nicht die Ursache, aber doch ein Mitgrund, warum ich ihm gegenüber seit jeher eine ausgesprochene Abneigung entgegengebracht hatte. Und er erwiderte dieses Gefühl vollinhaltlich. Die Wortgefechte, die wir uns über die letzten Jahre während meiner Dienstzeit geliefert hatten, waren zahllos.
„Woolve, Sie schon wieder“, warf ich ihm entgegen. „Wussten Sie eigentlich, dass Sie Ihrem Namensvetter immer ähnlicher werden? Klettern Sie auch schon in der Nacht auf die Dächer und heulen den Mond an?“
Sein Gesicht rötete sich und er setzte zu einer gehässigen Replik an, auf die ich allerdings kein Interesse hatte. Darum drehte ich mich rasch um und beeilte mich, Karen einzuholen, die schon ungeduldig auf mich wartete.
„Art, lass die Spielchen und schau dir endlich an, weswegen ich dich geholt habe. Die Zeit drängt.“
Ich widersprach ihr nicht und wandte mich dem Haus und vor allem der Eingangstür zu, die schlagartig mein gesamtes Interesse beanspruchte.
„Das hier ist der Schauplatz, wie wir ihn heute vorgefunden haben“, setzte Karen fort. „Es wurde nichts verändert, alles ist noch originalgetreu. Die Kollegen von der Spurensicherung haben alles schon fotografiert. Ich habe mich klarerweise bereits auch drinnen umgesehen, aber nichts angefasst. Ich wollte, dass du dir selbst ein Bild machen kannst. Du wirst bald wissen, warum.“
Ich antwortete ihr nicht. Meine Aufmerksamkeit war bereits auf die Szenerie gerichtet, die sich mir darbot. Die Eingangstür zum weißgestrichenen Bungalow stand weit offen. Davor auf dem Gehweg lag, auf dem Rücken liegend, ein Mann mittleren Alters, seine Beine auf die Tür zeigend, Arme ausgebreitet. Neben ihm lag ein brauner Einkaufssack, der noch halb-gefüllt war. Ausgestreut neben dem Körper des Mannes lagen allerlei Lebensmittel, Äpfel, Konservendosen, Brot, eine Packung Milch. Der Mann hatte einen sportlichen, hellbraunen Sommeranzug an, das Hemd musste eine ähnliche Färbung gehabt haben. Genau konnte man es nicht mehr erkennen, über seine Brust hatte sich ein gewaltiger Blutfleck ausgebreitet. Das Geschoss, das ihn getroffen hatte, musste ein beträchtliches Kaliber gehabt haben. Mein Interesse war in jedem Fall geweckt.
Als nächstes sah ich mir die Eingangstür genauer an. Stabiles Holz, Eiche würde ich sagen, aber das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit sofort auf sich zog. Auf der Innenseite der Tür, sehr weit oben, waren links und rechts zwei metallene Ösen angebracht. Schrauben, an denen sich oben kein Kopf befand, sondern ein Metallring, mit dessen Hilfe man die Schrauben ins Holz drehen konnte. Am äußeren der beiden Ringe war eine dünne Schnur befestigt, die durch den inneren Ring gefädelt war und ins Wohnungsinnere führte.
Aus einer neben dem Eingang befindlichen Kiste schnappte ich mir die Standardausrüstung, um Schauplätze von Verbrechen betreten zu können. Weißer Kittel, Überschuhe, Handschuhe und Haube aus dünnem Kunststoff, eine Mund-Nasen-Schutzmaske. Man wollte Tatorte schließlich nicht kontaminieren.
Ich betrat das Gebäude. Karen hatte sich ebenso ausgestattet und folgte mir schweigend. Sie gab mir die Gelegenheit, unvoreingenommen den Tatort zu beurteilen. Ich betrat einen Vorraum, in dem rechts und links je eine geschlossene Tür zu sehen war. Danach öffnete sich der Gang in einen geräumigen Wohnsalon, auf der linken Seite unterbrochen von einer gut ausgestatteten und überraschend tiefen Kochnische. Fenster auf allen Seiten erhellten die beiden Räume ausreichend.
Ich konnte die Schnur, die an der Tür befestigt war, durch den Vorraum weiterverfolgen. An der linken Wand, knapp unter der Decke, waren in Abständen von circa einem Meter weitere Ösen angebracht, durch die die Schnur gefädelt war. Es wurde immer interessanter. Über den Durchgang, der zur Kochecke führte, war sie gespannt, um auf der anderen Seite weitergeführt zu werden. In der linken, hinteren Ecke des Wohnraums bog sie dann nach unten ab und war offenbar an einer Waffe befestigt. Ich kam rasch näher, um mir das im Detail anzusehen.
Zu Dekorationszwecken hing dort, neben Devotionalien des Sezessionskrieges wie Fahnen und verblichene Photographien von Soldaten in antiquierten Uniformen, eine historische Flinte. Ich kannte mich mit alten Waffen nicht besonders gut aus, erkannte aber, dass es sich um eine Winchester-Büchse handeln musste, die in etwa um das Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt worden war. Die Schnur führte über weitere Ösen an den Abzugshahn, an dem sie fest verknotet war.
Ich begann das Konzept zu verstehen. Sobald die Eingangstür geöffnet war, wurde die Schnur gestrafft und betätigte am anderen Ende den Abzug. Sofern das Gewehr geladen und entsichert war, musste sich daraufhin ein Schuss lösen.
Ich quetschte mich vorsichtig hinter das Polstermöbel, das in der Ecke unter dem Gewehr stand und kniete mich hinter die Winchester, um die Richtung des Laufes zu überprüfen. Ich stutzte und wandte mich an Karen, die ein paar Schritte hinter mir meine Analyse verfolgte.
„Das verstehe ich nicht ganz. Wenn aus dieser Position ein Schuss abgegeben worden war, dann konnte die Kugel unmöglich eine Person treffen. Die Kugel wäre an einer Wand des Vorraums abgeprallt.“
„Schau einmal unter dem Fauteuil nach“, antwortete sie ruhig.
Ich sah nach und sah dort einen Gegenstand liegen. „Kann ich?“, fragte ich Karen.
Sie wusste, was ich meinte. „Geht in Ordnung“, antwortete sie. „Wir haben alles schon abgebildet und vermessen.“
Ich holte den Gegenstand hervor, er war überraschend leicht. Es handelte sich um ein handtellergroßes Stück Styropor in Würfelform, in das auf einer Seite eine Rundung hineingeschnitten worden war. Der Sinn dahinter war mir sofort klar. Vorsichtig nahm ich das Styropor und platzierte es an der Wand hinter der Waffe und ließ den Gewehrlauf in die Einkerbung hineingleiten. Er passte exakt. Danach kontrollierte ich neuerlich die Richtung des Gewehrlaufs.
„Perfekt“, sagte ich und blickte Karen an. Sie nickte. „Ja, so muss es gewesen sein. Ein raffinierter Plan, jemanden zu ermorden.“
Ich brachte alles wieder in den Originalzustand und richtete mich auf. „Das ist aber eine Präzisionsarbeit. Da muss sich jemand sehr viel Mühe gegeben und sehr viel Zeit gehabt haben.“
Sie nickte. „Die Arbeit war aber erfolgreich. Weißt du jetzt, warum ich dir das alles zeigen wollte?“
„Danke. Ja, das war aufmerksam von dir. Und richtig.“
Wir gingen langsam wieder den Gang zur Eingangstür retour, entledigten uns des Schutzgewandes und blieben neben dem Opfer stehen.
„Wer ist der Mann?“, fragte ich sie.
„Brian Woodford. Schönheitschirurg in der Privatklinik hier in Glenrock-County. Anscheinend war er einige Tage nicht zu Hause, wir haben in seinem Postkasten eine Menge Sendungen aus der vergangenen Woche gefunden. Mehr wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.“
Ich ging ein paar Schritte weiter, drehte mich um und betrachtete die Szenerie. Das prächtige Haus stand etwa 20 Meter vom Eingang zum Garten entfernt, dazwischen ein englischer Rasen mit ein paar blühenden Büschen. Die Fenster rechts und links von der Eingangstür waren mit filigran und dekorativ wirkenden, aber nichtsdestotrotz einstiegsverhindernden Metallteilen versehen.
So eben der obere Teil des Grundstücks war, so abschüssig wurde es danach. Auf beiden Seiten des Bungalows führten schmale Wege mit Rosenbeeten nach unten. Die Fenster auf den anderen Hausseiten waren nur dann einbruchsgeschützt, bei denen es noch möglich gewesen wäre, ins Haus zu gelangen. Auf der dem Meer zugewandten Seite, erklärte mir Karen, befand sich eine weitläufige Terrasse, mehr als zehn Meter über dem Boden.
„Der Mörder konnte nur durch die Tür ins Innere des Hauses gelangt sein“, stellte ich fest.
„Oder die Mörderin“, ergänzte sie mich.
„Korrekt. Hast du dir das Schloss angesehen? Alarmanlage?“
„Alarmanlage gibt es keine. Das Türschloss muss eine echte Herausforderung gewesen sein. Wir können aber nicht ausschließen, dass der Schlüssel durch eine Nachlässigkeit des Besitzers dupliziert worden ist. Dem müssen wir noch nachgehen.“
Nachdenklich schlenderten wir in Richtung der parkenden Autos.
„Unfall oder Selbstmord schließe ich aus“, hielt Karen fest.
„So ist es. Wenn man sich umbringen will, gibt es einfachere Wege. Außerdem geht man dann vorher nicht Lebensmittel einkaufen. Und dass er eine Selbstschussanlage installiert hätte, um seine Habe zu schützen, so was vergisst man nicht.“
„Außerdem, wie wäre er dann wieder rausgekommen, nachdem er sie aktiviert hat?“, sinnierte Karen weiter.
Schlagartig blieben wir beide stehen und sahen uns mit aufgerissenen Augen entgeistert an. „Wie ist dann der Mörder aus dem Haus gekommen?“, sagten wir fast gleichzeitig und machten auf der Stelle kehrt und näherten uns wieder eilig dem Haus. Sobald die Falle scharf gestellt worden war, konnte man das Gebäude durch die Tür nicht mehr verlassen. Zumindest nicht gefahrlos.
„Durch die Fenster auf der Gartenseite ist es nicht möglich, die sind vergittert“, grenzte ich die Möglichkeiten ein.
Karen setzte fort mit, „Und auf der Meeresseite ebenfalls nicht, der Abstand zum Erdboden ist viel zu hoch.“
An der Nordseite überzeugten wir uns anschließend, befand sich das erste ungeschützte Fenster bereits vier Meter über der Erde. Also blieb nur mehr die Südseite. Wir marschierten den Weg aus 50 Zentimeter breiten Betonplatten zwischen Fassade und Rosenbeet ab. Das erste Fenster, etwa in meiner Kopfhöhe, war vergittert. Das nächste nicht.
„Das muss das Küchenfester sein“, rief ich Karen, die sich knapp hinter mir befand, zu.
„Und es ist einen Spalt offen“, erwiderte sie aufgeregt.
Ich blickte auch nach oben. Das Fensterbrett befand sich ungefähr drei Meter über den Betonplatten und das Schiebefenster war nicht ganz geschlossen. Dies war bis jetzt niemandem aufgefallen. Oder hatte noch niemand für bedeutsam gehalten.
Wenn hier jemand ausgestiegen sein sollte, musste dieser Jemand sich am Fensterbrett festgehalten haben, bevor er sich nach unten hatte fallen lassen. Kleider- oder Schürfspuren am Verputz waren eine Möglichkeit, doch wir konnten nichts davon entdecken.
Dann überlegte ich, dass ein Fall aus dieser Höhe auf einer Breite von 50 Zentimeter nicht so einfach zu stehen gewesen wäre. Ich warf einen prüfenden Blick auf die Rosen. Das Beet war eine echte Pracht. Dicht stehende, blühende Pflanzen in unterschiedlichen Farbschattierungen von Orange bis Dunkelrot. Der Gärtner war sein Geld wert.
Ich hielt inne. Einer der Zweige, genau unter dem Fenster, war abgeknickt. Ich nahm auch einige Vertiefungen in der lockeren Erde rund um die Rose wahr, als ob sich dort jemand abgestützt hatte. Ich beugte mich vor und sah noch genauer hin.
„Karen, hol bitte schnell einen der Forensiker her. Er soll von der Stelle hier Aufnahmen machen. Fenster, Rosen, Erde, alles halt. Und dann bring mir Handschuhe, eine Schere und ein Säckchen für Beweismittel“, sagte ich zu ihr aufgeregt. „Ich glaube, ich habe da was.“
Sie beeilte sich, den Fotografen aufzutreiben und die gewünschten Sachen zu holen. Sie fragte mich nicht, um was es sich denn handeln könnte, dafür kannte sie mich zu gut. Ich nahm die Sachen entgegen und wartete, bis der Kollege seine Beweisaufnahme abgeschlossen hatte.
Dann beugte ich mich vorsichtig vor, darauf bedacht, nur keinen weiteren Abdruck in der Erde zu verursachen. Dann schnitt ich den geknickten Zweig ab und besah ihn mir aus nächster Nähe. Dann zeigte ich ihn triumphieren Karen.
„Schau dir mal den zweiten Stachel von oben an. Klebt da nicht etwas Haut dran? Und ist da nicht vielleicht auch eine winzige Blutspur?“
Karen warf ebenfalls einen genauen Blick auf den Zweig. „Ich denke, du hast recht. Super. Schnell in den Beutel damit.“
Nach einem letzten kontrollierenden Blick gingen wir wieder nach oben.
„Ich denke, wir können hier nichts weiter tun, und überlassen das Feld den Forensikern. Was sagst Du?“
Ich stimmte ihr zu. „Einer Frage noch. Hast du sein Smartphone gefunden? Und seine Brieftasche?“
„Ja, hatte er beides bei sich, als er das letzte Mal seine Haustür öffnete. Nehme ich beides mit ins Revier, ich fahre gleich hin. Kommst du mit?“
Ich diskutierte innerlich ein paar Sekunden mit mir. „Ja, mach ich. Ist auch schön, die alte Bude wieder mal zu sehen.“
Auf dem Weg zum Wagen schloss sich uns Moreno an. Bevor wir den Zaun erreichten, stellte sich mir ein weiteres Hindernis in den Weg.
„Romero“, giftete mich mein Lieblingspathologe aus sicherer Entfernung an. „Haben Sie nun endgültig alle Spuren verwischt, die wir für die Aufklärung hätten brauchen können?“
Ich entgegnete ruhig. „Keine Sorge, alles ist so wie vorher. Aber eine andere Frage. Haben Sie in der Zwischenzeit schon die Todesursache des Opfers eingrenzen können? Ertrunken? Vergiftet? Bei Ihrem Anblick vor Schreck gestorben?“
Ich ließ Woolve nach Luft schnappend stehen und ging zu meinem Wagen. Hinter Karen und Moreno in einem der städtischen Polizeifahrzeugen fuhr ich in die Stadt. Bei weitem langsamer, als ich auf the hill angekommen war.
Mein ehemaliges Hauptquartier war in einer Seitengasse nahe dem Stadtzentrum gelegen. Glücklicherweise gab es einen überwachten Parkplatz, den ich dank Karen auch nutzen konnte. Abgesehen davon, dass es in dieser Gegend kaum öffentliche Parkplätze gab, hätte ich mein Wahnsinnsgefährt hier ungern ungesichert stehen lassen. Polizeirevier hin oder her, ein Auto konnte schnell gestohlen werden, vor allem wenn es ein auffälliges 250.000 Dollar-Gefährt war.
Über einen Seiteneingang betraten wir das schmucklose Betongebäude, das schon bei seiner Errichtung vor 40 Jahren kein Hingucker war. Nun aber glich es eher einem Schandfleck der Stadt. Sogar Graffiti-Sprayer hatten nicht davor zurückgeschreckt, auf der grauen Fassade ihre Farbspuren zu hinterlassen. Eventuell hatten sie dem Gebäude sogar etwas Gutes getan.
Im quietschenden Aufzug erreichten wir den zweiten Stock. Ich war schon seinerzeit immer froh gewesen, als sich die Aufzugstüren wieder geöffnet hatten. Dies hatte sich bis heute nicht geändert.
Wir verließen den Aufzug und sofort schien es mir, als wäre die Zeit stillgestanden. Vor mir lag das Großraumbüro mit dem Kunststofffußboden undefinierbarer Farbe, die schmutzig-weißen Wände, die Holzschreibtische, die schon vor Jahrzehnten nicht ansehnlich gewesen waren, die ausgeleierten Drehsessel. Nur die PCs und die Flachbildschirme schienen erneuert worden zu sein. War aber auch schon höchste Zeit gewesen.
Hinter dem weitläufigen Raum befanden sich auf der rechten Seite einige Vernehmungsräume, ganz klassisch mit zwei getrennten Eingängen und einer Spiegelfront, um Verhöre ungesehen beobachten und belauschen zu können.
Direkt gegenüber befanden sich einige verglaste Besprechungsräume, in denen man sich mit heruntergelassenen Jalousien von der Außenwelt abschirmen konnte und natürlich ganz hinten das Büro unseres Captains. Ich drückte mir alle Daumen, dass Captain Thomas Ryker nicht im Haus war.
„Romero“, dröhnte es in diesem Moment durch den ganzen Raum und ich wusste, dass das Daumendrücken nicht geholfen hatte. Außerdem fragte ich mich, warum mich alle nur mit Nachnamen ansprachen. Ein Mister davor wäre doch nicht verkehrt gewesen. Außerdem, einen Vornamen hatte ich doch auch.
„Willkommen zurück!“ Obwohl Ryker noch viele Meter entfernt war, machte die Lautstärke seiner Stimme den Eindruck, als stünde er direkt vor mir. Der Captain war auch sonst eine beeindruckende Erscheinung. Extrem dunkle, ins Schwarze gehende Hautfarbe, Glatze und bei gleicher Körpergröße mit geschätzten 150 Kilogramm hatte er in etwa das doppelte Gewicht von mir. Dieses Klangvolumen erklärte auch seine über weite Distanzen hörbare Stimme. Und eines vergaß ich noch zu erwähnen, Geduld und gezügeltes Temperament gehörten definitiv nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften.
Schließlich stand er direkt vor mir. „Sie haben sich lange nicht blicken lassen“, sagte er tadelnd. „Umso besser, dass Sie jetzt wieder an Bord sind.“
„Ich…“, begann ich, da ich definitiv nicht an Bord war, doch er setzte ungerührt fort.
„Ich sorge dafür, dass Sie als Agent mit Spezialaufgaben für diesen Fall aufgenommen werden. Einen Ausweis habe ich schon in Auftrag gegeben.“
Das konnte er sich sparen. Ich versuchte es erneut. „Ich…“, doch vergeblich.
„Der Mord an diesem Woodford ist eine schlimme Sache, da brauchen wir jeden Mann.“ Frauen brauchte er also nicht, dachte ich, und setzte nochmals an.
„Ich…“
„Wenn ich euch in irgendeiner Form unterstützen kann, wenn Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden müssen, wenn andere Dienststellen nicht so mitspielen, wie wir es wollen, dann regle ich das.“
„Da wäre schon etwas, wobei Sie uns helfen könnten“, warf Karen ein und holte den eingetüteten Rosenzweig hervor. „Darauf befindet sich ein Hautfetzen, für den wir dringend eine Gen-Analyse bräuchten.“
Ryker nahm das Säckchen entgegen. „Von einem Verdächtigen? Ausgezeichnet! Der Leiter vom Labor schuldet mir ohnedies noch einen Gefallen. Seine Leute müssen heute noch in die Gänge kommen.“
Im Hintergrund hörte ich ein Telefon läuten, das von Moreno entgegengenommen wurde.
„Denn wir müssen ehestens Resultate liefern!“, betonte er deutlich und klopfte dabei mit einer Faust auf eine Schreibtischplatte. Rykers Stimme war sicher noch drei Räume weiter zu hören, dachte ich. „Dieser Woodford ist ein großes Tier in der Stadt, sitzt im Stadtrat, geht regelmäßig mit dem Gouverneur essen, und so weiter. Genauso wie sein Zwillingsbruder. Der wird mir die Hölle heiß machen.“ Ryker wischte sich über seine Stirn, auf der sich einige Schweißperlen gebildet hatten.“
„Captain, Sir?“, hörte ich Morenos Stimme aus dem Hintergrund. Wir drehten uns alle nach ihm um.
„Was gibt es?“, knurrte Ryker.
„Sir, ich hatte eben einen Anruf. Es gibt eine gute und eine schlechte Neuigkeit.“
„Mann, machen Sie nicht so ein Theater. Reden Sie schon!“
„Die gute Nachricht ist“, setzte Moreno ungerührt in seiner tiefen ruhigen Stimme fort, „dass Ihnen der Woodford Bruder keine Schwierigkeiten machen wird.“
„Und wieso das?“
„Nun, Sir, das ist die schlechte Nachricht. Er ist auch tot.“
Die Fahrt zurück auf the hill verlief um einiges zügiger als die Fahrt ins Revier. Ich fuhr wieder mit dem Portofino hinter dem Fahrzeug mit Karen und Danny her. Ich musste mich sehr zurückhalten, nicht die Spitze zu übernehmen, um rascher am neuen Tatort zu sein.
Der Anruf, den Danny im Revier angenommen hatte, stammte vom jungen Polizisten Tompkins. Er hatte noch vor Brian Woodfords Anwesen gewartet, dass die Forensiker mit ihren Arbeiten fertig wurden, als ein Anrainer vorbeigekommen war, der ihm erzählte, dass man von seiner Terrasse aus eine leblose Person am Fuße der Klippen liegen sah. Der Nachbar hatte gewusst, dass eine polizeiliche Untersuchung auf der Panoramastraße stattfand und wollte persönlich informieren.
Wir fuhren im Konvoi die kurvige Hügelstraße entlang, am Grundstück des unglücklichen Brian Woodford vorbei, vor dem nun keine Fahrzeuge mehr standen, sondern lediglich ein gespanntes, gelb-schwarzes Kunststoffband, das auf ein Verbrechen hindeutete, einige hundert Meter weiter bis zum Grundstück seines Zwillingsbruders Ryan. Dieselben Fahrzeuge wie zuvor, inklusive jenes des geschätzten Pathologen, fanden sich nun vor diesem neuen Schauplatz. Wir verließen unsere Wagen und beeilten uns, das Grundstück zu erreichen.
Zuerst dachte ich, ein Déjà-vu zu erleben. Ein Holzzaun fasste das Grundstück ein, am Gartentor stand Tompkins, der uns eintreten ließ, dahinter fand sich ein gepflegter Rasen mit halbhohen Bäumen und Büschen. Das ebenerdige Gebäude war ebenso weiß gestrichen, die Fenster mit dekorativen, aber doch massiven, metallenen Ornamenten geschützt. Damit endeten aber die Gemeinsamkeiten. Dies hatte hauptsächlich mit der Lage des Grundstücks zu tun.