Tödliche Enthüllungen - Adrian Renshaw - E-Book

Tödliche Enthüllungen E-Book

Adrian Renshaw

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Beschreibung

Nach einem überraschenden Lotteriegewinn zieht sich der erfolgreiche Leiter des Dezernats für Kapitalverbrechen in einer mittelgroßen Stadt an der Westküste der USA, Arturo Romero, in sein luxuriöses und amouröses Privatleben zurück. Nachdem er einige Monate zuvor überraschend zur Aufklärung zweier mysteriöser Mordfälle herangezogen worden war, hatte er geschworen, nach dem erfolgreichen Abschluss der Ermittlungen und der Überführung der Täter keinen beruflichen Verlockungen mehr zu folgen. Doch dann stößt er selbst auf eine Leiche, die, eingemauert in eine Säule, allen Anschein erweckt, dass ein Verbrechen zugrunde liegt. Dennoch hegt Romero keine Ambitionen, sich in die Aufklärung dieses Cold Cases hineinziehen zu lassen. Er hatte jedoch nicht die Rechnung mit seinem ehemaligen Captain gemacht, der ihn mit sanfter Gewalt zurück in den Dienst beordert. Es waren Morde an ranghohen Würdenträgern der Stadt begangen worden, die alle Kapazitäten des Dezernats verschlingen. Widerstrebend fügt sich Romero in seine neue Aufgabe. Er taucht in ein Gewirr von Lügen und Halbwahrheiten ein, die den Fall immer undurchsichtiger werden lassen. Darüber hinaus wird es wahrscheinlicher, dass die aktuellen Morde mit dem Leichenfund im Zusammenhang stehen könnten. Schlussendlich übernimmt Romero widerstrebend die Ermittlungen aller offenen Fälle und stößt die Türe auf zu Korruption, Intrigen und Gewaltverbrechen, die bis in die innersten Zirkel der Stadt reichen. Begleiten Sie den gutaussehenden Special Agent Arturo Romero bei seiner zweiten spannungsgeladenen, aber auch humorvollen Mörderjagd, bei der sein ausschweifendes, detailgetreu geschildertes Liebesleben mit aufregenden Frauen nie zu kurz kommt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Adrian Renshaw

Tödliche Enthüllungen

Ein Special-Agent Arturo Romero Krimi

Inhaltsverzeichnis

1 – Die Säule

2 – Der Auftrag

3 – Der Cold Case

4 – Der Herold

5 – Der Schlüssel

6 – Das Schließfach

7 – Der Überfall

8 – Lüge und Wahrheit

9 – Das Geheimtreffen

10 – Beim Bürgermeister

11 – Im Bunde die Dritte

12 – Puzzlesteine

13 – Der Dummy-Test

14 – Showdown

15 – Epilog

Impressum

1 – Die Säule

„Erdbeben!“ rief die junge Dame, die mir bis eben vorbildlich die Haare geschnitten hatte, erschrocken aus und ließ die Schere fallen, die mit einem Klirren auf dem gefliesten Boden aufprallte.

„Das Große?“, schrie eine ebenso junge Kollegin auf und tauchte unter den Schreibtisch, auf dem die Kassa stand.

„Kein Erdbeben“, antwortete ich, entfernte den Plastikumhang und betrachtete meine Frisur von allen Seiten in den allgegenwärtigen Spiegeln. „Gute Arbeit“, sagte ich zu meiner Friseurin, hob die Schere auf und reichte sie ihr. Ihre Hand zitterte.

„Erdbeben, vor allem große, machen sich schon Tage vorher durch Erschütterungen bemerkbar“, klärte ich die beiden Frauen auf. „Das, was wir eben erlebten, hatte definitiv eine andere Ursache. War aber auch kein kleiner Aktenschrank, der in einem Geschäft umgefallen wäre. Ich sehe nach, was passiert ist. Ihr bleibt vorerst hier, nur keine Panik.“

Damit holte ich 30 Dollar aus meiner Brieftasche und legte sie auf den Schreibtisch. „Stimmt so. Und Sie können wieder hervorkommen“, ließ ich dem verschreckten Mädchen in ihrer Kauerstellung wissen. „Heute wird Ihnen der Himmel nicht auf den Kopf fallen. Nicht einmal die Decke des Stockwerks.“

Ich verließ den Friseurladen. Das Geschäft befand sich im dritten Stock der größten Shopping Mall Glenrock Countys mitten im Zentrum. Der Komplex war sechs Stockwerke hoch und beherbergte eine Vielzahl unterschiedlichster Geschäfte. Elektronikshops, Kleidung- und Schuhgeschäfte, Läden, die der Entspannung und Verschönerung dienten, wie Massage- oder eben Frisiersalons, und eine Unmenge an Lokalen und Restaurants, die Speisen verschiedenster Herkunft anboten. Man hätte glauben können, die Einwohner Glenrocks wären am Verhungern, so voll waren diese Gaststätten.

Ich war an diesem warmen Montagnachmittag Mitte Juli auf der Suche nach einem weiteren sommerlichen Freizeit-Outfit gewesen und war gemütlich von einem Textilshop in den anderen spaziert, ohne fündig zu werden. Da hatte ich den Friseur entdeckt und kurzfristig beschlossen, dass meine Frisur eine Auffrischung benötigte. Und als meine Friseurin die letzten Haarspitzen wegschnipselte, da war es passiert. Ein krachendes und berstendes Geräusch in Kombination mit einer massiven Erschütterung des Gebäudes, das Gläser von den Tischen oder Ausstellungsstücke auf den Boden fallen ließ. Obwohl ich mich bemüht hatte, die Haarstylistinnen zu beruhigen, war ich innerlich nicht so entspannt. Es musste tatsächlich etwas Dramatischeres passiert sein, wenn es solch eine Auswirkung hatte. Eine Bombenexplosion oder ein anderes Sprengstoffattentat schloss ich aus, der Krach hätte bei weitem lauter sein müssen. Außerdem hätten die Sirenen des Feueralarms ertönen müssen samt Durchsagen, das Gebäude über die Notfall-Stiegenhäuser zu verlassen. Doch nichts davon war zu hören, was mich wieder etwas beruhigte.

Nachdem die Ursache der Geräusche und der Erdstöße meines Gefühls nach weiter unten zu finden war, machte ich mich auf den Weg ins Erdgeschoss. Diese Idee hatten allerdings auch die meisten der anderen Besucher des Einkaufszentrums, wodurch sich Menschenmassen über die Gänge, die Aufzüge und Rolltreppen nach unten bewegten. Ich nahm den Weg über ein Stiegenhaus und erreichte dadurch relativ flott die Ebene mit dem Hauptzugang.

Der Architekt des Gebäudes hatte sich wenig gestalterische Finessen einfallen lassen, im Großen und Ganzen handelte es sich um einen vierkantigen Komplex in Stahl, Beton und Glas. Die einzige Ausnahme bildete der Eingangsbereich. Hier bildete der Komplex, von außen betrachtet, einen etwa 30 mal 30 Meter großen Einschnitt, der bis zur dritten Etage reichte. Um das Gewicht der oberen Stockwerke abzufangen, befand sich genau am Schnittpunkt der beiden Gebäudefronten eine mächtige, runde Betonsäule mit geschätzten 150 Zentimetern Durchmesser. Damit die Stütze für die Augen der Besucher verträglicher wirkte, war sie mit den Farben der Betreibergesellschaft des Shopping-Centers, Rot und Gold, kunstvoll verziert. Auch war ein überdimensionierter, länglicher Monitor an der Säule angebracht, über den permanent Werbung der in der Mall befindlichen Shops lief. Jetzt aber nicht mehr, wie ich mit einem Blick erkennen konnte, sobald ich aus dem Inneren des Gebäudes ins Freie getreten war.

Obwohl sich schon eine Menschenmasse rund um die Betonsäule gebildet hatte, war der mit Stahlträgern beladene Tieflader unübersehbar, der mit seinem Heck im Bildschirm steckte. Aber nicht nur das, soweit ich es erkennen konnte, hatte er ebenfalls Teile der Säule aufgerissen. Er steckte dort fest.

Ich blickte mich um und versucht mir ein Bild über die Umstände dieser Kollision zu machen. Zu meiner rechten befand sich eine ausgedehnte Baustelle, an der, laut Beschilderung, eine Erweiterung des Einkaufskomplexes errichtet wurde. Für diese Bauarbeiten waren wohl die Stahlträger auf dem Tieflader gedacht gewesen. Aus irgendeinem Grund musste sich der Schwertransporter selbständig gemacht haben. Und da das Areal vom geplanten Neubau zum bestehenden Gebäude abschüssig war, folgte der LKW der Schwerkraft, bis die Säule ihn offenkundig stoppte. Ich gedachte herauszufinden, ob meine Theorie stimmte.

Ich zwängte mich durch die Schaulustigen, bis ich mich in unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs und der Säule befand. Auf der Fahrerseite standen ein wild gestikulierender Verkehrspolizist und offensichtlich der Fahrer des Tiefladers, ein schwergewichtiger Mann mit wallenden roten Haaren, zerrissener Jean und einem fleckigen T-Shirt, das über seinem Nabel endete und den Blick auf einen wenig ansehnlichen, ausladenden Bauch freigab.

Obwohl der Geräuschpegel der diskutierenden Leute erheblich war, konnte ich die lauten Stimmen der beiden Männer gut hören. „Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich nicht weiß, wie das passieren konnte.“ Der Fahrer hielt in einer ungläubigen Geste seinen Kopf, er war sichtlich der Verzweiflung nahe. „Ich habe den Wagen nur kurz abgestellt, um mit dem Vorarbeiter zu besprechen, wohin ich die Ware bringen sollte. Der Motor war abgestellt und der Gang eingelegt. Er muss rausgesprungen sein.“

„Und Handbremse hat das Gefährt nicht?“, höhnte der junge Polizist. „Und müssen Sie nicht Keile unter die Räder legen, wenn Sie den Transporter verlassen? Wie wäre es damit gewesen?“

Der Fahrer wedelte hilfesuchend mit den Armen durch die Luft. „Ich war doch nur eine Minute weg.“

Der Polizist ließ sich die Papiere des Fahrers geben und notierte dessen Daten. In der Zwischenzeit waren auch Arbeiter von der Baustelle zum Unfallort geeilt. Unter ihnen augenscheinlich auch der vorhin angesprochene Vorarbeiter, der nun leise und eindringlich auf den Polizisten einredet. Dieser bekam daraufhin einen roten Kopf und schrie ihn an. „Natürlich muss ich eine Anzeige machen, was glauben Sie denn? Nur mit einem Strafmandat kommen Sie nicht weg. Hier werden Sachverständige und das Gericht die Höhe des Schadens und der Entschädigung feststellen müssen!“

In diesem Moment hörte ich die Sirene einer Feuerwehr, die kurz darauf ihr Einsatzfahrzeug neben dem Schwerlaster parkte, nachdem die Passanten zurückgedrängt werden konnten. Die Feuerwehrleute schwärmten aus und schafften es, dass die Leute zumindest ein paar Meter rund um die Säule Platz machten. Ich wich auch ein paar Schritte zurück. Die Szenerie wurde fotografiert und vermessen, dann gab einer der Feuerwehrmänner das Kommando, dass der Laster wegfahren sollte, und zwar langsam.

Der Fahrer bestieg daraufhin seine Kabine, startete den Motor und setzte den Tieflader in Bewegung. Er dürfte allerdings die Anweisung nicht ganz verstanden haben, denn er entfernte das Schwerfahrzeug mit aufheulendem Motor und mit überraschendem Tempo. Die Auswirkung ließ nicht lange auf sich warten. Mit einem lauten und knirschenden Geräusch löste sich das Fahrzeug aus seiner Verkeilung mit dem Monitor und vor allem mit der Säule und riss beträchtliche Betonteile mit sich. Einige Betonbrocken lösten sich und krachten auf den Boden. Eine Staubwolke stieg auf und verhüllte den Vorplatz. Die meisten der Anwesenden wichen weiter zurück, um nicht in Gefahr zu geraten.

Ich bedeckte kurz meine Augen, wartete, bis sich der Staub etwas verzogen hatte und näherte mich anschließend der Betonsäule. Berufsbedingt packte mich bei ungewöhnlichen Ereignissen immer die Neugier. Also wollte ich mir ansehen, was die Kollision des Lasters mit dem Gebäude für Folgen hatte. Durch die herrschende Konfusion und die Sichtbehinderung hatte ich für ein paar Sekunden Zeit, mir den Schaden genauer anzusehen.

Die Beschädigungen, die das Heck des Tiefladers hinterlassen hatte, waren beträchtlich. Der langgezogene und großflächige Monitor war nur mehr Schrott. Ein paar Funken flogen durch die Gegend, mehr Lebenszeichen gab er nicht mehr von sich. Das war aber nichts gegen das Cut, das die Kollision und vor allem die Entfernung des Lasters an der Säule hinterlassen hatte. Die Betonstütze war etwa bis zu einem halben Meter eingebrochen, Stahldrähte ragten in alle Richtungen. Als Konstrukteur des Bauwerks müsste ich mir alle möglichen Gedanken machen, ob ich das korrekte Baumaterial verwendet hatte, überlegte ich. Nun gut, es war nicht meine Kompetenz, dies zu beurteilen. Ich fand es nur erstaunlich, wie rasch eine massive Konstruktion deformiert werden konnte.

Für mich gab es hier nichts weiter Sehenswertes. Außerdem näherte sich mir der Verkehrspolizist, und sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er von meiner Anwesenheit wenig begeistert war. Ich wollte mich schon umdrehen und den Schauplatz verlassen, als mir im Inneren der Säule etwas auffiel. Ich räumte ein paar kleinere Bruchstücke zur Seite und blies Staub von der Schadstelle weg. Dann blickte ich tiefer und genauer in die Öffnung, und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Aus der tiefsten Stelle der Einbuchtung ragten tatsächlich …

„Verschwinden Sie sofort von hier!“ schrie mich der Polizist an. „Was haben Sie hier überhaupt verloren?“

„Ich arbeite für das Dezernat für Kapitalverbrechen im Polizeirevier der Stadt“, antwortete ich mit fester Stimme, obwohl ich die Wahrheit damit ein wenig verbog. „Und ich habe hier etwas entdeckt, das ganz klar…“

„Weisen Sie sich einmal aus“, fuhr er mich an.

Ich holte aus der Brieftasche meine Führerscheinkarte und händigte sie ihm aus. Er tippte meinen Namen gleich in sein mobiles IT-Gerät, um meine Person zu kontrollieren.

„Arturo Romero“, las er vor. „Beschäftigungslos. Und zu Ihrem Glück liegt keine Fahndung zu Ihrer Person vor. Bei der Polizei arbeiten Sie demnach nicht, wie ich auch annahm. Los, und jetzt kommen Sie mit.“ Er ergriff meinen Oberarm und begann, mich mit ihm mitzuschleifen.

Ich hatte in der Vergangenheit Männer schon wegen geringerer Übergriffe ins Krankenhaus verfrachtet, versuchte es aber dennoch nochmals mit Vernunft. „Hören Sie, ich war über zehn Jahre Leiter des Dezernats für Kapitalverbrechen. Und …“ Doch weiter kam ich nicht.

„Ja, genau“, spottete er. „Und ich darf mich Ihnen auch vorstellen. Mein Name ist Abraham Lincoln. Und wenn Sie noch einen Muckser machen, lasse ich Sie ins Gefängnis werfen.“ Mit diesen Worten warf er mir den Ausweis entgegen, den ich mit Mühe fangen und einstecken konnte.

Ich wollte ihm auf seine letzte Bemerkung nicht antworten, dass er mir damit keinen größeren Gefallen tun könnte, da ihm meine ehemaligen Kollegen für diese Aktion auslachen würden. Ich ließ es aber vorsichtshalber bleiben. Er zerrte mich also, ohne einen weiteren Widerspruch von mir, hinter das gelb-schwarze Absperrband, das mittlerweile weitere Kollegen der Polizei beziehungsweise der Feuerwehr in Respektsabstand rund um die Säule gespannt hatten.

„Und wenn ich Sie noch einmal hier irgendwo sehe“, fuhr mich der Freund und Helfer nochmals giftig an, „dann lernen Sie mich mal von der unfreundlichen Seite kennen!“ Damit drehte er sich um und rannte einem anderen jugendlichen Passanten hinterher, der sich hinter die Absperrung gewagt hatte. Ich fragte mich, ob er den jungen Mann auf der Stelle standrechtlich erschießen würde oder erst etwas später.

Ich holte mein Smartphone hervor, suchte aus den Kontakten den Eintrag ‚Karen Walsh‘ heraus und drückte auf den Call-Button. Karen war die aktuelle Teamleiterin des Dezernats für Kapitalverbrechen in Glenrock Countys Polizeirevier und hatte vor etwa einem Jahr die Aufgabe von mir übernommen, als ich mich Hals über Kopf in mein Privatleben zurückgezogen hatte.

Nach dem dritten Läuten hob sie ab. „Arturo. Schön von dir zu hören. Wie geht es denn so?“ Sie klang tatsächlich erfreut.

„Hi, Karen. Soweit ganz gut“, antwortete ich. „Ich dachte mir gerade, dass euch ziemlich langweilig sein müsste und ihr euch über einen Mordfall freuen würdet.“

„Du warst schon einmal lustiger“, gab sie zurück. „Wir haben genug um die Ohren. Aber erzähl, was hast du für uns?“

„Spannende Sache. Ich stehe vor der Shopping Mall, da ist vor Kurzem ein Tieflader mit der riesigen Säule im Eingangsbereich kollidiert. Was soll ich dir sagen, die Beschädigungen sind beträchtlich. Und als ich mir danach das Innere der Säule genauer angesehen habe, ragt doch tatsächlich eine Hand aus dem Beton.“

Stille in der Leitung. Dann folgte, „Arturo Romero, bist du betrunken?“ Ihre Stimme klang um meinen Geisteszustand besorgt. Ich konnte es ihr nicht übelnehmen.

„Nein. Aber wenn du es schon ansprichst, gegen ein volles Glas guten Scotch hätte ich jetzt nichts einzuwenden.“

„Für deine Scherze habe ich momentan keine Zeit, tut mir leid.“

„Karen, höre mir zu. Es ist so, wie ich dir eben sagte. Der Laster hatte sich in die Betonummantelung verkeilt und riss, als er wegfuhr, große Teile heraus. Und aus dem Inneren schaut eine Hand hervor. Ehrenwort!“

Wieder eine Pause. „Du meinst es wirklich ernst, richtig? Aber wenn du mich an der Nase herumführst, dann hört der Spaß bei mir auf!“

„Keine Sorge“, versicherte ich ihr. „Ihr seid ohnedies ganz in der Nähe, das Revier ist nur zwei Häuserblöcke entfernt. Und nimm die Forensiker mit. Viel werden sie wohl nicht ausrichten können, aber die Spurensicherung benötigen wir in jedem Fall. Und beeilt euch, noch hat niemand sonst eine Ahnung davon.“

„Ist ok“, sagte sie. „Wir kommen sofort. Lauf nicht weg.“ Sie legte auf.

Wohin sollte ich wohl gehen, dachte ich, eingepfercht zwischen Dutzenden Schaulustigen, und beobachtete das Geschehen. In der Zwischenzeit waren mehrere Streifenpolizisten am Unfallort eingetroffen und hatten die Schaulustigen, mich inklusive, um weitere Meter zurückgedrängt. Einige Feuerwehrleute hatten sich auch den Schaden an der Säule aus der Nähe angesehen, offensichtlich ohne den grausigen Fund zu machen. Dann hatten sie beschlossen, sicherheitshalber das gesamte Gebäude zu räumen. Es eilten immer noch Leute ins Freie, der Strom wurde aber dünner.

Und dann trafen die unvermeidbaren Medienvertreter ein. Erst ein Van einer regionalen Fernsehanstalt, aus dem ein Mann mit schwerer Kamera und eine bildhübsche Kommentatorin ausstiegen und gleich mit einem Interview begannen. Dann sah ich auch Reporter der hiesigen Zeitung, des Glenrock Herold, mit ihren Fotoapparaten und den überdimensionalen Teleobjektiven, die sich sofort in Stellung brachten und losknipsten.

Ich kalkulierte, dass Karen samt Unterstützung mindestens zehn Minuten brauchen würden. Sie war wirklich die ideale Wahl meiner Nachfolge gewesen. Eine vife, ausdauernde Persönlichkeit, die sich selbst in die aussichtslosesten Fälle hartnäckig verbiss. Diese Eigenschaft hatte ich ihr über viele Jahre vorgelebt. Auch ich hatte nie einen der Fälle aufgegeben, auch wenn sie sich als herausfordernd erwiesen hatten. Dies hatte auch dazu geführt, dass ich während meiner Dienstzeit eine makellose Bilanz aufweisen konnte. Alle Mordfälle konnten aufgeklärt werden.

Und obwohl ich meinen Job mit Begeisterung und Engagement ausgeübt hatte, war urplötzlich damit Schluss gewesen. Dies hatte mit einem sehr überraschenden und sehr hohen Lotteriegewinn zu tun, der mir in den Schoß gefallen war. Und trotz meiner Freude an der Arbeit hatte ich mich entschlossen, ab sofort als wohlhabender Privatier zu leben. Das war vor circa einem Jahr gewesen.

In den darauffolgenden Monaten hatte ich meinen Entschluss nicht bereut. Ich erfüllte mir alle meine langgehegten Wünsche, etwa ein elegantes Haus mit großem Grundstück in einem vornehmen Vorort der Stadt oder einen sportlichen Flitzer, einen Ferrari Portofino Cabrio, im klassischen Rot gehalten. Darüber hinaus genoss ich mein Leben, indem ich zahlreiche Partys veranstaltete und mich mit aufregenden Frauen umgab. Was konnte man sich mehr wünschen?

Obwohl sich alles für mich so ergeben hatte, wie ich es mir nur erträumen konnte, hatte ich mich doch gefreut, als mich Karen vor wenigen Monaten anrief, um mich zu einem ungewöhnlichen Mordfall hinzuzuziehen. Ursprünglich hatte ich Karen nur unterstützen wollen, es endete doch damit, dass ich die Aufklärung leiten durfte. Und es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, daran konnte ich mich noch gut erinnern. Es hätte nicht viel gefehlt und meine perfekte Aufklärungsquote wäre Geschichte gewesen.

Ich hatte aber nicht vorgehabt, dass diese freiberufliche Mördersuche zu einer Gewohnheit ausartete, das hatte ich auch allen, inklusive dem Captain, klargemacht. Er hatte darüber nur geringschätzig gelächelt. Vielleicht war er im Besitz einer Kristallkugel, die ihm anderes verraten hatte? Wer weiß.

Es war bereits eine Viertelstunde vergangen, als ich auf einer Seite der Absperrung Bewegung wahrnahm und kurz darauf Karen, der bullige Daniel Moreno und ein weiß gekleideter Forensiker unter dem Absperrband durchschlüpften, nachdem sie sich bei einem der nachträglich eingetroffenen Polizisten ausgewiesen hatten. Kurz danach blickte Karen in die Runde, offensichtlich auf der Suche nach mir. Als ihr Blick in meine Richtung schwenkte, machte ich mich mit Winken aufmerksam.

„Was machst du denn dort?“, rief sie mir verwundert zu. „Wieso sicherst du nicht den Tatort?“

„Ich wurde von diesem netten Officer hier verjagt.“ Ich deutete auf meine linke Seite, wo er, nur wenige Meter von mir entfernt, dafür sorgte, dass sich niemand innerhalb der Absperrung befand. „Sein Name ist Abraham Lincoln.“ Ich lächelte Karen an.

Sie war nähergekommen und stand fast unmittelbar vor mir. Mit ihren 50 Jahren sah sie immer noch ausgezeichnet aus. Schlanke, sehr sportliche Figur, kurzgeschnittene blonde Haare, kaum eine Falte im Gesicht. Nun sah sie mich nachdenklich an.

„Bist du sicher, dass es dir gutgeht?“

„Doch, doch“, versicherte ich ihr. „Er wollte mir nicht zuhören, glaubte auch nicht, dass ich in Diensten des Reviers stand und führte mich dann ab. Und mit diesem Namen stellte er sich bei mir vor. Richtig, Abe?“

Der junge Polizist hatte mitbekommen, dass von ihm die Rede war und näherte sich mir mit finsterer Miene. „Was ist schon wieder, Unruhestifter? Ich habe Ihnen schon angedroht, als nächstes landen Sie im Kittchen.“

„So, so, haben Sie das?“ Karen baute sich vor ihm auf und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Und wer gab Ihnen das Recht, einen Dezernatsleiter in Ausübung seines Dienstes abzuführen?“

Der Officer hatte nun auch Karen registriert und war auf der Stelle von ihrem Tonfall eingeschüchtert. „Ich … er … nun, dieser Mann konnte sich nicht als Detective ausweisen“, verteidigte er sich.

„Das spielt keine Rolle. Sie sollten in Ihrer Ausbildung gelernt haben, dass man sich die Aussagen aller Zeugen anhört.“

Nun hatte sich auch Daniel Moreno zu uns gesellt. Ein muskulöser Schrank von einem Mann, der mich mit meinen einem Meter 80 noch locker um einen halben Kopf überragte. Er war von Natur aus friedfertig und zurückhaltend, man sollte aber auch nicht auf den Gedanken kommen, ihn zu reizen. Im Wesentlichen war er aber ein schweigsamer Zeitgenosse, der von Zeit zu Zeit dennoch überraschend amüsante Bemerkungen fallen lassen konnte.

Nun wendete sich Daniel auch dem Officer zu. „Und Sie haben sich als Abraham Lincoln vorgestellt? Können Sie sich dafür auch ausweisen?“ In Dannys Gesicht war keine Spur seiner beißenden Ironie zu erkennen.

„Ich … nein … ich wollte doch nur …“ Der Verkehrspolizist hatte einen roten Kopf bekommen und wollte sichtlich nichts wie weg.

„Junger Mann“, sagte nun Danny und legte ihm einen seiner gewichtigen Arme auf eine Schulter und blickte ihm dabei tief in die Augen. „Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Abraham Lincoln erschossen wurde?“

Der junge Officer riss die Augen weit auf und nickte. Dann drehte er sich wortlos um und flüchtete vor uns, bevor der nächste Lincoln auf der Strecke blieb.

„Grandios“, lachte ich. „Und vielen Dank für die Rettung.“ Ich stieg über die Absperrung und drückte Karen kurz, aber kräftig an mich. Mit Danny klatschte ich nur die Handflächen zusammen. Nach einer seiner Umarmungen wusste man nie, wie viele gesunde Rippen man anschließend noch besaß.

„Na los, Art“, drückte Karen aufs Tempo, „zeig uns, was du angeblich gefunden hast.“

„Was heißt angeblich?“, protestierte ich. „Du wirst mir gleich glauben müssen.“

Damit führte ich unsere kleine Karawane zur Säule, an der der Mann der Spurensicherung schon Aufnahmen machte.

„Was hast du, Joe?“, fragte ihn gleich Karen.

Ohne sich umzudrehen, antwortete der Forensiker. „Jetzt bin ich seit 20 Jahren im Geschäft, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Entweder hat hier jemand eine überzählige Hand bestattet oder es liegt hier tatsächlich eine komplette Leiche begraben.“ Er machte weiter Fotos. Obwohl es taghell war, verwendete er den Blitz seiner Kamera bei jeder Aufnahme.

„Eine Leiche in einer Betonsäule?“, fragte Karen ungläubig. „Ja, wo sind wir denn? Wir leben schließlich nicht im Chicago der 20er-Jahre. Lass mich mal sehen.“

Sie drängte sich an Joe vorbei und leuchtete mit ihrer Taschenlampe ins Innere. „Ist ja unfassbar“, sagte sie dann. „Alle fünf Finger einer mumifizierten Hand, man sieht auch das Handgelenk und ein Stück vom Unterarm. Hier scheint sich tatsächlich ein vollständiger Körper zu befinden.“ Und nach einem kurzen Moment. „Und auf einem Finger trägt er einen Ring, wenn ich es richtig erkennen kann, einen außergewöhnlichen mit sechs oder acht Kanten.“

Frauen hatten einfach eine bei weitem bessere Beobachtungsgabe, musste ich wieder einmal feststellen. „Die Hand oder der Rest dieses Körpers muss in einer Plastikplane eingewickelt gewesen sein“, ergänzte ich. „Als sich das Heck des Lasters losriss, muss auch das Plastik gerissen sein. Dadurch sieht man die Finger auch deutlich. Sonst hätte ich das Körperteil wahrscheinlich nicht entdeckt.“

„Wir brauchen rasch Leute mit Presslufthämmern, damit wir die Leiche freilegen können“, stellte Karen fest.

„Nicht so eilig“, hörten wir uns eine Männerstimme zurufen.

Ich drehte mich um und sah, wie aus der Richtung der Baustelle zwei Männer in das abgesperrte Areal gelassen worden waren und sich uns rasch genähert hatten. Ein untersetzter Mann um die 60 Jahre mit einem Haarkranz rund um seine ausgeprägte Glatze in Polo-Shirt und Jean gekleidet, sowie ein hochgewachsener, blasser, jüngerer Mann mit dicken Brillengläsern und blonden, fast weißen und dünnen Haaren.

„Sie sind von der Polizei?“, fragte der untersetzte Mann atemlos. „Und was wollen Sie hier machen?“

Karen drehte sich zu ihm um. „Fangen wir erst einmal damit an, dass Sie uns sagen, wer Sie überhaupt sind und was Sie hier wollen.“

„Ich“, schnaufte er, „heiße Mark Townsend und bin der Bauleiter des Shopping-Centers hier.“ Er deutete auf den Komplex. „Und auch des neuen dort drüben.“ Er zeigte in Richtung der Baustelle. „Und er hier“, er wies auf den blassen Kollegen neben sich, „ist Richard Crockett, der Statiker unseres Unternehmens. Wir wollten uns eben ansehen, welche Auswirkungen der heutige Unfall hatte. Und jetzt habe ich gehört, dass Sie das Wort Presslufthämmer verwendet haben. Was geht hier vor?“

Karen stellte uns vorerst kurz vor und sagte dann, „Wir haben es hier möglicherweise mit einem Verbrechen zu tun. Das können wir aber erst dann mit Gewissheit sagen, wenn wir unseren Fund freigelegt haben. Daher müssen wir hier aufbohren und aufstemmen lassen.“

„Was haben Sie denn gefunden?“, wollte Townsend gleich wissen.

„Ist aktuell unerheblich. Wichtig ist, dass wir das Fundstück ehestens freilegen.“

„Da muss ich Einspruch einlegen“, meldete sich Richard Crockett erstmals zu Wort. Nicht nur seine Haare waren dünn, seine Stimme war es ebenso.

„Weil?“, fragte Karen nach.

„Weil es sich hier um eine tragende Säule handelt, die aktuell noch das Gewicht des Gebäudes trägt, aber sicher nicht mehr, wenn wir sie mit schwerem Gerät bearbeiten.“

„Das heißt“, ergänzte Townsend, „dass Sie bis auf Weiteres die Gebäudesubstanz nicht angreifen dürfen.“

„Kann ich verstehen“, sagte ich nun. „Nur wie sieht dann die Lösung aus? Tatsache ist, dass wir raschestmöglich wissen müssen, was sich alles im Inneren der Säule befindet.“

„Warten Sie einen Moment.“ Damit drehte sich Townsend zu seinem Statiker um und sie begannen über Hochbau-Themen zu fachsimpeln. Verstehen konnte ich von diesem Fachgespräch nichts.

Schließlich wandte sich der Statiker wieder an uns. „Wir benötigen rechts und links der tragenden Säule zwei Hydraulikstützen im Abstand von fünf bis sieben Metern. Dann kann man die Säule gefahrlos abtragen.“

„Und wie rasch können Sie das organisieren?“, fragte Karen sofort nach.

Der Bauleiter runzelte die Stirn. „Wenn ich jemanden von der Fremdfirma, die wir für solche Zwecke heranziehen, erreiche, kann ich es Ihnen genauer sagen. Es kommt natürlich darauf an, ob die Geräte im Einsatz sind oder nicht. Falls ja, dann kann es schon ein paar Wochen dauern. Auch falls nicht müssen Sie sicher mit ein paar Tagen Wartezeit rechnen.“

Karen sah ihn finster an. „Ich sage Ihnen etwas, Mr. Townsend. Sie haben exakt bis morgen Abend Zeit, das Gebäude abzustützen. Danach brauche ich von Ihnen die Geräte und die Leute, die diese Säule auseinandernehmen. Wenn nicht, werde ich mit der zuständigen Behörde ein Wort wechseln, wie Ihre Bauaufsicht aussieht und wie es möglich sein kann, dass Sie immer noch dieses Gewerbe ausüben dürfen, obwohl hier schwerwiegende Missstände aufgetreten sein dürften.“

Nun war auch der Bauleiter blass geworden. „Nicht so vorschnell, Mrs. Walsh, ich meine Detective Walsh. Ich tue ja, was möglich ist. Wunder kann ich aber keine bewirken.“

„Doch“, widersprach sie ihm. „Bewirken Sie Wunder. Und zwar auf der Stelle!“

Townsend dachte eine Weile schwer atmend nach. Dann drehte er sich um und deutete Crockett, ihm zu folgen. Sie entfernten sich ein paar Meter, griffen beide zu ihren Smartphones und begannen, etliche Gespräche zu führen. Mit viel Engagement, wie man anhand ihrer Gestik erkennen konnte. Schließlich kehrten beide retour.

„Also“, begann der Bauleiter, „die gewünschten Hydraulik-Stützen sind nicht verfügbar. Wir haben aber eine Alternative. Mechanisch verstellbare Metallverstrebungen, die auch eine Menge Druck aushalten können. Von denen brauchen wir auf jeder Seite drei Stück, hat mein Kollege hier ausgerechnet. Das sollte reichen. Und diese Stützen haben wir zur Verfügung. Sie werden morgen im Laufe des Tages angeliefert und bis zum Abend aufgestellt sein. Danach kann man die Betonsäule anbohren.“

„Und das wird auch von Ihren Männern und mit Ihrem Equipment erledigt?“, fasste Karen energisch nach.

„Ja, auch das werden wir erledigen.“ Townsend schnaubte vernehmlich. „Sie lassen mir ja keine andere Wahl.“

„Genau“, strahlte Karen. „Sehen Sie, es lassen sich auch Wunder bewirken, wenn der Einsatz nur groß genug ist.“

Missmutig drehten sich die beiden Männer wortlos um und verschwanden aus unserem Blickfeld.

„Fein“, stellte Karen zufrieden fest. „Das hätten wir geregelt. Nur können wir mit unseren Ermittlungen solange nicht starten, bis wir sehen, was tatsächlich hier eingemauert ist.“

Ich dachte kurz nach. „Vielleicht doch. Ich habe da so eine Idee.“

„Wenn du sagst, dass du eine Idee hast, werde ich immer nervös.“ Karen wirkte nicht begeistert. „Und was genau?“

„Du wirst schon sehen“, antwortete ich grinsend. „Ich komme in Kürze wieder.“ Damit verließ ich das abgesperrte Gelände, drängte mich durch die dünner werdende Zuschauermenge und gelangte kurz darauf zur Baustelle. Dort holte ich den Bauleiter Mark Townsend ein.

Er sah mich finster an. „Was ist denn noch?“

Ich führte aus, was ich von ihm noch bräuchte.

„Und das ist dann alles?“

„In eine Tasche oder einen Rucksack gepackt, wäre nett. Ich möchte damit so wenig Aufsehen wie möglich erregen.“

Er seufzte, gab aber dann an seine Leute die Order, das zu beschaffen, was ich wollte. Nach wenigen Minuten hatte ich eine feste Stofftasche um die rechte Schulter gehängt. Sie war ein echtes Schwergewicht.

„Wenn Sie fertig sind, dann geben Sie die Sachen in der Baracke dort drüben ab.“

Ich bestätigte es ihm und machte mich auf den Weg retour. Als ich wieder bei der Säule ankam, war der Forensiker verschwunden, was mir gut in den Plan passte. Daniel und Karen sahen mich skeptisch an, was ich denn nun vorhatte.

Ich holte das erste Gerät aus der Tasche, einen batteriebetriebenen Meißel. „Danny, ich möchte, dass du genau hier die Säule aufstemmst.“ Ich zeigte ihm den Bereich, den er freilegen sollte.

Er sah Karen an, die nur mit den Schultern zuckte. Sie war unkonventionelle Ansätze von mir gewohnt. Sie wusste nur noch nicht, wie unkonventionell sie noch würden.

Daniel hatte genau die richtige Statur und Kraft, um die Aufgabe präzise und rasch durchzuführen. Nachdem er fertig war, sah ich mir das Innere der Säule wieder genauer an. Die Hand war nun auf einer Seite schön freigelegt, wodurch ich meinen Plan fortsetzen konnte.

Karen war kurz abgelenkt, da sich uns zwei Feuerwehrleute genähert hatten, die aufgrund des Lärms wissen wollten, was hier ablief. Besser konnte es nicht laufen.

„Danny“, sagte ich leise zu ihm. „Ich möchte nun, dass du dir Plastikhandschuhe anziehst und einen mittelgroßen Beweismittelbeutel bereithältst. Alles klar?“

Er sah mich mit blitzenden Augen und einem leichten Schmunzeln an. Er ahnte schon, worauf dies hinauslief. Kaum hatte er die Handschuhe übergestreift und das Säckchen in der Hand, als ich zum zweiten Mal in die Tasche griff. Ich holte eine, ebenfalls batteriebetriebene, Trennscheibe hervor und setzte sie in Betrieb.

„Was soll das…?“, rief Karen aus, die die Männer der Feuerwehr wieder losgeworden war und durch das geräuschvolle Starten des Werkzeugs wieder auf mich aufmerksam wurde. Doch weiter kam sie mit ihren Einwänden nicht. Mit einer raschen Bewegung setzte ich die Trennscheibe an, die perfekt in die von Daniel gemeißelte Öffnung passte, und schnitt mit einer fließenden Bewegung die Hand in Höhe des Handgelenks ab. Daniel fing sie geschickt auf und platzierte sie in den Plastiksack.

Karen sah entgeistert von einem zum anderen. „Ich bringe euch alle um“, rief sie wutentbrannt aus.

2 – Der Auftrag

„Rette mich“, rief ich in gespieltem Entsetzen aus und versteckte mich hinter Daniel.

„Idiot“, knurrte Karen. „Du weißt, dass ich bei normalen Einsätzen keine Waffe trage. Ich fange nur langsam an, das zu bereuen.“ Sie blickte mich giftig an. „Was hast du dir dabei eigentlich gedacht? Seit wann hantiert man an Opfern oder schneidet ihnen gar Teile ab, bevor der Tatort nicht vollständig vermessen und fotografiert wurde? Seit wann gehen wir bei Ermittlungen so vor?“

Ich war hinter Daniel wieder hervorgetreten. „Erst einmal, liebe Karen, handelt es sich hier nicht um den Tatort im eigentlichen Sinne“, entgegnete ich. „Sofern es sich um einen echten Körper handelt, wurde dieser aller Voraussicht nach hier nur deponiert. Und durch das Einbetonieren ist auch gewährleistet, dass etwaig vorhandenen Spuren nicht verschwinden können. Und zweitens können wir damit sofort mit unseren Nachforschungen beginnen. Wir können Woolve feststellen lassen, ob es sich tatsächlich um einen Menschen handelt und nicht um einen Crashtest-Dummy. Und wenn dem so ist, dann lassen sich vielleicht noch Fingerabdrücke nehmen, einen Gentest können wir anfordern, Blutgruppe bestimmen und vieles mehr. Andernfalls müssten wir Däumchen drehen und bis morgen in der Nacht warten.“ Ich blickte sie freundlich, aber bestimmt an.

„Er hat recht, Karen“, ließ Daniel seine tiefe Stimme vernehmen. „Wir können dadurch wirklich mehr als einen Tag gewinnen.“

Karen rollte die Augen. „Ihr macht mich wahnsinnig. Jetzt vergisst auch Danny sämtliche Polizeiregeln. Arturo, du hast eine zersetzende Wirkung auf mein Team.“

„Das weißt du doch schon länger“, grinste ich. „Außerdem bist du auf der sicheren Seite. Ich bin aktuell kein Mitglied des Reviers. Dementsprechend brauche ich mich auch nicht nach den Polizeiregeln richten.“

„Aber als Unbeteiligter darfst du solch einen Eingriff schon überhaupt nicht vornehmen. Laut Gesetz müsste ich dich auf der Stelle verhaften. Und Danny auch wegen Beihilfe.“

Ich streckte meine Arme aus und bot ihr meine Handgelenke an. „Ma’am, ich gestehe alles. Bitte verhaften Sie mich.“

Jetzt musste Karen lachen. „Du bist ja wirklich das Allerletzte. Los kommt, lasst uns von hier mit unserer Beute verschwinden.“

„Gleich“, antwortete ich. „Vorher müssen wir hier noch etwas erledigen. Abraham Lincoln“, rief ich laut in die Richtung, in der ich meinen speziellen Freund gesichtet hatte. Der junge Polizist zuckte sichtlich zusammen und drehte sich vorsichtig nach uns um. Ich deutete mit einer Handbewegung, dass er näherkommen sollte.

Zögerlich kam er auf uns zu und blieb in sicherer Entfernung stehen. „Ja?“

„Sagen Sie uns einmal, wie Sie heißen“, forderte ich ihn auf. „Wir können Sie doch nicht dauernd mit einem Präsidentennamen anreden.“

Der junge Officer schwieg ein paar Sekunden. „Carter“, sagte er schließlich.

„Und der Vorname?“

„Ji … Jim.“

„Jimmy Carter?“, prustete ich los. „Ehrlich?“

„Ja“, gab er störrisch zurück. „Was soll ich machen. Meine Eltern hielten es wohl für eine glänzende Idee, mich nach einem ehemaligen Präsidenten zu benennen. Ich kann mich auch ausweisen.“

„Brauchen Sie nicht, ist schon gut.“ Ich grinste immer noch, ebenso wie Karen und Danny.

Ich wurde wieder ernst. „Jim Carter, ich heiße Arturo Romero. Wir hatten einen schlechten Start, aber ab jetzt arbeiten wir Hand in Hand. Abgemacht?“

Carter entspannte sich etwas. Sogar ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Abgemacht.“

„Fein. Ich habe eine bedeutungsvolle Aufgabe für Sie.“ Ich kam ihm ein wenig näher, damit Umstehende unser Gespräch nicht mitverfolgen konnten. „Sehen Sie hinter mir die Öffnung in der Säule, Jim?“

Er nickte eifrig.

„Gut. Darin erkannten wir die Überreste eines menschlichen Körpers. Einen Teil haben wir mitgenommen, um ihn identifizieren zu können. Aber nichts verraten, ok?“ Ich zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

Er deutet mir mit einer Handbewegung an, dass seine Lippen versperrt seien.

„Wir begeben uns jetzt ins Revier, um mit unseren Nachforschungen zu beginnen. Es ist von größter Wichtigkeit, dass niemand, ich betone niemand, auch nur in die Nähe der Säule kommt. Sie, Jim Carter, sind uns dafür verantwortlich, dass Sie oder einer Ihrer Vertrauten dafür sorgen. Werden Sie das schaffen?“

Er nickte dienstbeflissen. „Selbstverständlich, Sir. Sie alle können sich völlig auf mich verlassen. Wann … wann werden Sie zurückkommen?“

„Morgen am Abend“, antwortete ich. „Untertags wird die Baufirma Stützen anbringen, danach werden die Arbeiten beginnen, um den Körper freizulegen. Bis dahin muss sichergestellt sein, dass kein Unbefugter, aber auch kein Kollege von Ihnen Informationen über die Hintergründe bekommt. Auch nicht Ihre Vorgesetzten. Sollte jemand nachfragen wollen, dann soll er sich an das Dezernat für Kapitalverbrechen wenden. Am besten gleich an Captain Thomas Ryker.“ Ich grinste innerlich bei dem Gedanken, wie unser cholerischer Captain mit diesen Anfragen umgehen würde.

„Ist klar. Ich kümmere mich mit höchstem Einsatz darum.“

„Danke. Noch etwas, die Reisetasche, die da drüben bei der Säule steht, sie enthält einige Werkzeuge. Sorgen Sie bitte auch dafür, dass sie dem Bauleiter Townsend drüben auf der Baustelle zurückgegeben wird.“

„Wird ebenfalls zuverlässig erledigt.“

„Vielen Dank“, sagte ich und klopfte ihm kumpelhaft auf den Oberarm.

„Äh, Sir?“

„Ja?“ Ich sah ihn fragend an.

„Sie werden mir doch mein Verhalten von vorhin nicht nachtragen, oder?“ Er sah mich hilfesuchend an.

„Kein Sorge“, beruhigte ich ihn. „Ich kann doch einem Präsidenten nicht vorschreiben, wie er sich zu verhalten hat.“ Ich grinste ihn an, er entspannte sich sichtlich.

„Danke. Ich halte also die Stellung bis morgen Abend.“

Ich zeigte ihm den nach oben gestreckten Daumen. Danach machten sich Karen, Daniel und ich gemeinsam mit unserem makabren Mitbringsel auf in Richtung des Reviers, das wir in wenigen Minuten erreichten.

Das Gebäude hatte in den letzten Wochen ein Facelifting erhalten, stellte ich erstaunt fest. Die hässlichen Graffiti waren verschwunden ebenso wie die schmutziggraue Fassadenfarbe. Stattdessen erstrahlte das alte Revier in weißem Glanz.

„Nicht übel“, sagte ich zu beiden. „Nur, seit wann ist die Behörde zu Geld gekommen? Habt ihr zusammengelegt oder hat auch einer von euch in der Lotterie gewonnen?“

„Weder noch“, antwortete Karen. „Sicher bin ich mir auch nicht, ich vermute aber, dass unser Captain dem Bürgermeister solange auf die Nerven gegangen ist, bis er ihm ein Sonderbudget bewilligt hat.“

Ich nickte. „Das kann ich mir auch vorstellen. Dem Captain kann man schwer etwas abschlagen. Wie sieht es innen aus? Wurde hier auch verschönert?“

Karen seufzte. „Leider alles beim Alten. Du wirst dich gleich selbst davon überzeugen können.“

Wir betraten das Gebäude und kamen anstandslos an den diensthabenden Officers vorbei. Alle kannten mich noch gut genug, sodass niemand von mir einen Ausweis verlangte. Wir steuerten gleich das Stiegenhaus an und erreichten rasch das zweite Tiefgeschoss, in dem sich nur zwei Räume befanden, die Obduktionsräume eins und zwei. Nach kurzem Klopfen öffnete Karen die Tür zum Raum eins, Daniel und ich folgten ihr auf dem Fuße.

Das Innere des Raumes hatte sich verständlicherweise nicht geändert. Weiße Fliesen, wohin das Auge reichte, ein Metalltisch für die Obduktionen, weitere Kästen und Regale, alle metallisch glänzend und nüchtern. Und dann waren noch auf der anderen Seite des Raumes der mächtige Schrank mit den sechs Kühlboxen für die Pathologie-Kandidaten.

An diesen Raum hatte ich noch sehr gute und sehr lebhafte Erinnerungen. Hier hatte vor wenigen Monaten eine Darbietung der besonderen Art stattgefunden, die zur Aufklärung des Woodford-Falles entscheidend beigetragen hatte.

An den Mann, der neben dem Obduktionstisch stand, hatte ich auch lebhafte, aber bei weitem weniger gute Erinnerungen. Theo Woolve, der Pathologe des Hauses, war von seiner Erscheinung und seinem Auftreten nie ein sonderlicher Sympathieträger gewesen. Seine ausgeprägte Abneigung mir gegenüber, die auch zu hundert Prozent auf Gegenseitigkeit beruhte, trug massiv zu unseren permanenten Sticheleien und Auseinandersetzungen bei.

Sobald wir eingetreten waren, starrte er mich mit entsetzten Augen an. Bei seiner Körpergröße von maximal einem Meter 60 und seinem üppigen und wuchernden, über seinem ganzen Körper verteilten Haarwuchs, vermittelte er mir immer den Eindruck einer misslungenen Kreuzung zwischen Danny de Vito und einem Werwolf.

„Romero, Sie schon wieder!“ rief er aus. „Was habe ich verbrochen, dass ich Sie schon wieder sehen muss?“

„Vielleicht haben Sie in der Vergangenheit ein paar Leute obduziert, die noch nicht ganz hinüber waren?“, gab ich gutgelaunt zurück.

„Passen Sie nur auf, dass Sie nicht einmal auf meinem Tisch hier landen“, knurrte er. „Tot oder lebendig.“

„Jungs, seid friedlich“, mischte sich Karen ein. „Theo, wir haben dich gebeten hierzubleiben, da es möglich war, dass wir heute noch deine Hilfe benötigen.“

„Und? Habt ihr jetzt was für mich?“

„Ja“, sagte Karen zögerlich. „Sozusagen.“

„Na, dann her mit dem Körper. Wo habt ihr ihn denn?“

Karen sah hilfesuchend zu Daniel, der unser Fundstück in einer Umhängetasche mit sich führte. Doch diesem war die Situation anscheinend auch nicht geheuer, also reichte er mir seine Tasche. „Arturo hat dir etwas mitgebracht.“ Danach machten Danny und Karen unwillkürlich einen Schritt nach hinten.

Also war ich wieder einmal der Übeltäter und der Sündenbock. Wenig verwunderlich, hatte ich doch die Idee mit dem Anschnitt des eingemauerten Körpers gehabt. Ich griff also ins Innere der Tasche und holte das Plastiksäckchen mit dem ungewöhnlichen Inhalt hervor.

„Hier, Woolve“, sagte ich und reichte ihm das Präsent. „Die Basis für Ihre Obduktion.

---ENDE DER LESEPROBE---