radar love - Vittai Danhoff - E-Book

radar love E-Book

Vittai Danhoff

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Beschreibung

"radar love" ist die fiktive Geschichte einer ungewöhnlichen Beziehung zweier Menschen, die nur über elektronische Medien kommunizieren, gelegentlich sexuell miteinander verkehren und in ihren Nachrichten fern jeder Realität jene Phantasien und erotischen Träumereien ausleben, zu denen sie nicht den Mut haben, sie real zu leben.

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Seitenzahl: 90

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhaltsverzeichnis

Flügelrauschen

radar love

Schneeschmelze

Zeitdiebe

Zuckerschnute mit Frikassee

Valentinsnacht

Dich zu beschreiben

Erwachen

Penthesilea

Buridans Tochter

Undine

Feenwunsch

Osterspaziergang

November

cryonic garden

Ophelia

Bildnachweis:

Flügelrauschen

Verstummt sind all die Worte nun, da Ohren sie nicht hören können. Herz fließt über noch und noch. Mit geschlossenen Augen sitzen, um nicht zu sehen, wo flackernder Kerzenschein Chimären an Wände wirft. Im Raum liegt Musik, schwerer noch, das Herz zu stillen: Tangerine Dream. Lebendig sind die Bilder noch in diesen Wänden, Lachen klingt noch wahr aus einer schattenlosen Zeit. Hände weich und warm, der schöne Mund noch schön, schön die Worte. Schön wie die Augen und das endlos warme Weich der Haut.

Das alte Spulentonbandgerät brummt leise, nur das Rascheln und leichte Schleifen des sich drehenden Bandes mischt sich unter das Dröhnen der Musik. Der Geruch von Räucherstäbchen und altem Paraffin füllt den Raum.

Auf einer kleinen Kiste, die als Tisch dient, steht das Stövchen mit starkem schwarzem Tee. Das Hochbett wie ein Dach, über der Sitzecke aus alten Matratzen, gebaut aus alten Kanthölzern und Dielenbrettern. Die Bretter auf den schmalen Schultern durch S- und Straßenbahn balancierend durch halb Berlin getragen und die Treppen ganz nach oben in die eigenen vier Wände geschafft.

Oben war genug Platz, genug für vier. Lag man oben, fiel der Blick hinunter auf die Straße, die Straßenbahnhaltestelle und die eiligen Menschen, die da warten auf einen andren Ort und der da wartet auf sie. Die keine Zeit zu haben schienen, Zeit für ein Hallo, die nicht hinaufkamen, fremd blieben und manchmal schön. Der nahe Kirchturm teilte die Zeit mit seinen Glocken in immer halbe Stunden. Hier floß sie nicht, kam in Portionen, unbarmherzig laut, daß man das Fenster schließen mußte, oder die Lippen, bis die Wächter der Zeit verstummen und wieder vergessen wurden.

Es gab keine Leiter hinauf ins Bett, man mußte zuerst auf einen Stuhl, dann aufs Klavier, um nach oben zu kommen. Dieses eine Zimmer nur, in dem man steht, wenn man die Tür öffnet und durch einen Vorhang in die kleine Küche gelangt, in der das Geschirr leise klirrt, wenn die Straßenbahn fährt. Eine alte Zinkbadewanne dient zum Wäschewaschen und Baden. Wasser aus einem großen Kochtopf, das auf dem Gasherd warm gemacht wird.

Als sie zu viert das alte Klavier in den obersten Stock wuchteten, hatten die Hausbewohner vorsorglich die Polizei gerufen: es habe eine Anzeige wegen Ruhestörung durch lautes Klavierspiel gegeben. Sie gingen wieder, als sie sahen, daß das Klavier noch nicht einmal in der Wohnung war. Die Türen neugieriger Hausbewohner schlossen sich, als die Polizei wieder abzog.

Es ist die mittlere Wohnung von dreien auf der obersten Etage. Die Toilette eine halbe Treppe tiefer. Die Tür die einzige im Haus, die auch außen eine Klinke hat. Meist nicht verschlossen, so daß man einfach eintreten kann, willkommen war man immer. An der Tür eine schmale Rolle Papier für Mitteilungen. Daneben an einer Schnur ein Bleistift. Fast immer hinterlassen Leute ein paar Krakel, manches unleserlich und kaum zu erkennen, von wem. Andere malten etwas oder schrieben kleine Gedichte.

Oft war Besuch da, zum einen kamen die Leute, weil sie unter sich sein wollten und noch keine eigene Wohnung hatten, andere wollten reden oder einfach nur hören, wenn er Klavier spielte. Manche blieb, schlief ein in einer Umarmung, einem Streicheln. Die Hände so behutsam, Küsse zaghaft nur, mit großen Augen voller Träume. Strahlende Blicke, die die Dunkelheit erhellten mit ihren Fragen, ihrer Sehnsucht, ihrer Wärme.

Es war seine erste eigene Wohnung. Mit 17 war er eingezogen, hatte sein altes Leben hinter sich gelassen, das Heim, in dem er aufgewachsen war, die Eltern, die ihn nicht liebten und ihm einst den Namen gaben, den er haßte. Er wollte ein neues Leben, einen neuen Namen, einen neuen Anfang. Jetzt war er Teufel! Jemand hatte ihn zum Spaß so genannt, nun nannten ihn alle so.

Abends ging er zur Jungen Gemeinde in die Kirche, spielte Tischtennis oder hörte Musik. Meist saßen sie bis früh und diskutierten bei billigem Rotwein oder schwarzem Tee und Schmalzstullen über Gott und die Welt. Auf einem dieser Diskussionsabende lernte er Charly kennen. Sie hatte von ihm gehört und sprach ihn an.

Sie saßen noch lange an diesem Abend. Er war fasziniert von ihr, hatte er doch noch nie vorher ein Mädchen getroffen, mit der man so über alles reden konnte. Gleichzeitig hatte sie so ungeheuer viele Probleme, sie schien den ganzen Schmerz der Welt auf ihren schmalen Schultern zu tragen. Schweigend hörte er zu, was hatte er ihr auch zu sagen, sein Leben hatte doch eben erst angefangen.

Er fühlte sich wohl, in diesem neuen Leben! Er war aus seinem alten herausgetreten und hatte es hinter sich gelassen, wie ein Schmetterling, der nicht mehr Raupe war. Auch Charly war für ihn ein neues Leben, ein Neuanfang! Eine Welt voller Lachen, voller Schönheit, voller Farben und Musik. Ihre Sorgen und Nöte wirkten so klein gegen das, was er in seinem Herzen trug.

Ich mag ihre viel zu großen Augen, ihr lautes Lachen. Die Art, wie sie Zigaretten dreht. Wenn sie spricht, spricht alles an ihr, ihre Hände, ihre Haare. Ihre Haare sind überhaupt das wundervollste an ihr: eine Pracht schwarzer, unbändiger Locken, die ihr bis über die Schultern fallen. Selbst der Regen schien ihnen nichts anhaben zu können. Meist hatte sie ihre Haare mit einem Gummi hinten zusammen gebunden, was ihr das Aussehen einer Pastorin verlieh. Wenn sie dann noch beim Sprechen mit dem Zeigefinger wippte, war der Vergleich perfekt.

Öffnet sie jedoch ihre Haare und bewegt dabei den Kopf um ihnen Raum zu geben, springen tausende von winzigen Girlanden in alle Richtungen und streckten ihre winzigen Fühler in die Welt und werden zum Teppich, auf den der Himmel sich legen konnte und die Sonne darin ihre müden Strahlen in Gold verwandelt. Ihre Haare sind wie ein Strauß voller Blüten. Ihr Duft war warm.

Ihre Leichtigkeit war es, die die Schwingen in mir hervorlockte, Schwingen, von denen ich bisher nichts gewußt, seit meiner Kindheit immer nur geahnt hatte. Mächtige Flügel, die hinauf zu den Sternen trugen. Schon als Kind hatte ich die Gewissheit, daß es das geben mußte – noch namenlos, wurde die Säure in meinen Adern zu Blut - warm, pulsierend. Ich war geboren, zum ersten Mal! Zum ersten Mal schien die Welt mich willkommen zu heißen! Meine Augen, noch ungewohnt ans Licht – öffneten sich langsam, blinzelnd, sehend - folgten ihrer Bestimmung, wurden zu strahlenden Sonnen.

Meine Hände wurden zart, begannen zu fühlen, wo vorher nur fassen war. Die Haut weich und strahlend – eine Raupe hatte ihren Kokon verlassen... Ich war Drache, war Schmetterling, war Engel, wollte bei ihr sein, fühlen, streicheln, eintauchen, erwachen, sie in den Armen halten, ihre Augen, ihr Haar spüren, riechen. Wir sahen uns immer öfter, wurden in immer länger werdenden Gesprächen vertrauter. Konnten nicht mehr ohneeinander und kamen, in unseren Berührungen noch immer sanft und vorsichtig, einander näher.

Sie blieb bei mir. Ich streichelte – oft stundenlang ihre Haare, ihr Gesicht, atmete ihren Duft, wenn wir nebeneinander lagen. Sie wollte nicht mit mir schlafen, sie hatte ihre Gründe, ihre Erfahrungen. Ich zwang mich, sie nicht zu bedrängen, versuchte ihr Zeit zu lassen, versuchte zu verstehen. Verstehen gab es nicht! Nur warten, harren. Manchmal betrank ich mich, litt unter ihrer Zurückweisung. Heulte wie ein Hund den Mond an, wenn sie nicht dabei war. So wurde er zu meinem Verbündetem, meinem bleichen Bruder. Ihm klagte ich meine Sehnsucht, flehte ihn an.

Charly nahm ihn mit zu ihren Eltern, stellte ihn vor. Ihre Eltern waren unglaublich freundlich, es gab Kuchen und Kaffee. Sie wollten wissen, was er tat, fragten dies und das. Diese freundliche Atmosphäre war ihm unbehaglich, er fühlte sich nicht wohl in dieser Welt, in der alles willkommen schien, alles gut zu sein schien. Beim Tischgebet mußte er an seine Großmutter denken. Sie war der einzige Mensch, der für ihn Kindheit bedeutete, der einzige Ort, wo er zu hause war, sich geliebt fühlte. Auch sie war Christin, betete jeden Tag und vor jedem Essen. Sie dankte ihrem Gott für all die Gaben, versuchte in allem nur das Gute zu sehen – dabei war sie so krank, lief an Krücken, hatte Schmerzen und quälte sich, wurde schließlich blind, bekam Krebs und Diabetes. Es schien ihm falsch und verlogen, an einen solchen Gott zu glauben und dankbar für ein solches Leben zu sein. Er dachte an seinen Vater, der stets unzufrieden mit allem war und ständig schimpfte, der wollte, daß die Dinge besser werden und überall Ungerechtigkeit und Falschheit sah. Um wie viel ehrlicher erschien ihm doch eine solche Haltung.

Nein, im Heim hätten sie nicht gebetet, antwortete er höflich. Sie hatten Verständnis und waren voller schweigendem Mitgefühl. Er haßte sie dafür.

Mehr als zwei Monate hatte es gedauert, bis sie endlich mit mir schlafen wollte, ich hatte sie lange im Arm gehalten und gestreichelt, bis sie es sagte und sich auszog. Voller Erstaunen und ungläubig schaute ich ihr zu, sah und spürte ihren Körper, ihre Brüste, ihren Bauch. Ich sog ihren Duft, ihre Wärme ein und überdeckte ihren Körper mit mit unzähligen Küssen. Sie war unglaublich schön. Meine Sehnsucht, mein Warten war verloren im Rausch, im Atmen, in einer einzigen unendlichen Berührung. Meine Nase in ihrem Haar, meine Lippen auf ihrer Haut, mein Herz in ihrer Hand, verloren im Mond, irgendwo hinter den Sternen. Als sie mit geschlossenen Augen lag, alle Sehnsucht ein Ende hatte, nur ein Lächeln noch auf ihren Lippen spielte, streichelte ich noch lange ihren Rücken und malte mit dem Finger, schrieb Sinniges und Schönes auf ihre warme Haut. Manchmal erriet sie etwas, bis sie mit großen Buchstaben ICH LIEBE DICH auf meinen Rücken schrieb. Ihre Lippen flüsterten, daß sie mich nie verlassen würde und immer mit mir zusammenbleiben würde.

Sie waren ein Paar, waren unzertrennlich. Sie besuchten gemeinsam Konzerte, Lesungen und Gottesdienste. Wo sie auftauchten, wurden sie herzlich begrüßt: Charly und Teufel sind da! Wer sie nicht kannte, hatte von ihnen gehört und wollte sie kennenlernen. Adressen und Einladungen wurden getauscht. Andere Städte, Verabredungen auf Campingplätzen auf Rügen und Hiddensee ebenso wie in Prag und Budapest. Sie trampten, schliefen bei Fremden, die ihnen ein Bett für die Nacht und manchmal ein Frühstück gaben. Sogar Geld steckte man ihnen gelegentlich zu. Mit dem Tandem zur Ostsee, zelten. Überall wurden sie mit offenen Armen und Herzen empfangen, es wurde getanzt, gelacht, Geschichten erzählt. Wenn Charly und Teufel tanzten, schauten andere manchmal einfach nur zu.

Die Augen schließen und tanzen. Verloren sein in Musik und Bewegung. Vergessen und Sein, den Körper spüren, seine Kraft, seine Energie. Für Stunden diesen Körper, diese Liebe. Charly ist da, mit geschlossen Augen wiegt sie sich in der Musik,