Radsportberge und wie ich sie sah - Geraint Thomas - E-Book

Radsportberge und wie ich sie sah E-Book

Geraint Thomas

4,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Faszination der Berge Die meisten Radsportfans und Rennradfahrer sind besessen von Anstiegen und großen Bergen. Sie verpassen keine Minute, wenn es bei der Tour de France und den Klassikern bergauf geht. Sie lieben es, über die Prüfungen zu lesen, die diese Passstraßen und Kopfsteinpflasterhügel bedeuten. Und für sie gibt es nichts Größeres, als diese Berge selbst einmal zu fahren – ein Tennis-Liebhaber wird niemals auf dem Center-Court in Wimbledon aufschlagen und kein Fußballfan darf darauf hoffen, jemals im Wembley-Stadion kicken zu dürfen, aber jeder Radfahrer kann sich der Herausforderung stellen, die legendären Anstiege der Tour de France oder des Giro d'Italia unter die eigenen Reifen zu nehmen. Es gab schon einige gute Bücher über die berühmten Radsportberge, aber noch keines aus der Sicht eines absoluten Topfahrers, der bei den großen Landesrundfahrten vorne mitfährt. Ein Buch, das Radsportfreunde mit hinein ins Rennen nimmt und ihnen zeigt, wie sich diese Anstiege wirklich anfühlen, wo die Attacken kommen und wo der Schmerz einsetzt. Geraint Thomas, der Tour-de-France-Sieger von 2018, hat es nun geschrieben. Von den allseits bekannten Dauerbrennern im Parcours der großen Rennen über die Lieblinge des Profi-Pelotons bis hin zu absoluten Geheimtipps: Geraint Thomas' Kletter-Handbuch für Radfahrer vermittelt spannend und humorvoll unverzichtbares Insiderwissen zu 25 besonderen Radsportbergen in aller Welt. • Ein Tour-de-France-Sieger und sein Insider-Kletterführer zu 25 der berühmtesten Radsportberge der Welt. • Das perfekte Buch für Fans des Profiradsports und alle kletterfreudigen Hobbyradsportler. • Sehnsuchtsorte und Scharfrichter: Trainingsberge auf Mallorca und Teneriffa, Klassiker-Schlüsselstellen wie Koppenberg und Poggio, exotische Herausforderungen in Australien und den USA, Grand-Tour-Dauerbrenner wie Stelvio, Alpe d'Huez und Tourmalet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 288

Bewertungen
4,0 (1 Bewertung)
0
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



GERAINT THOMAS

mit Tom Fordyce

RADSPORTBERGEUND WIE ICH SIE SAH

Aus dem Englischen

von Olaf Bentkämper

Die Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel

»Mountains According to G« bei Quercus Editions Ltd, London, einem Unternehmen von Hachette UK.

© Geraint Thomas 2020

Gemäß UK Copyright, Designs and Patents Act 1988

ist Geraint Thomas der Urheber dieses Werkes.

Geraint Thomas (mit Tom Fordyce):

Radsportberge und wie ich sie sah

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

© der deutschsprachigen Übersetzung: Covadonga Verlag, 2021

Covadonga Verlag, Spindelstr. 58, D-33604 Bielefeld

ISBN (Print): 978-3-95726-060-4

ISBN (E-Book): 978-3-95726-063-5

Coverillustration und Illustrationen im Innenteil: © Bruce Doscher, 2020

Druck und Bindung: Lensing Druck GmbH & Co. KG, Dortmund

1. Auflage, 2021

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise,

nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Covadonga ist der Verlag für Radsportliteratur.

Besuchen Sie uns im Internet: www.covadonga.de

Für Macsen, mein bisher größtes Abenteuer.

Diese Berge hinaufzufahren ist nicht annähernd so hart wie manche der langen Nächte, die wir durchgemacht haben, aber ich würde alles wieder genauso machen. Vielleicht fahren wir sie eines Tages ja gemeinsam hinauf oder vielleicht werde ich dich auch nur mit meinen Geschichten über sie langweilen. Auf jeden Fall aber sollten wir auf Skiern zusammen Alpe d’Huez hinabfahren.

I Macsen,

Fy antur fwyaf hyd yn hyn.

Mae reidio’r dringfeydd hyn dipyn yn haws na rhai o’r nosweithiau hir ry’n ni wedi’u cael gyda’n gilydd ond byddwn i’n newid dim byd. Efallai y cawn ni eu reidio nhw gyda’n gilydd ryw ddydd neu efallai y gwna i dy ddiflasu di gyda straeon amdanyn nhw yn lle.Ond yn bendant, gad i ni sgïo lawr Alpe d’Huez gyda’n gilydd.

Inhalt

Vorwort

GROSSBRITANNIEN

Rhigos

Tumble

Cat and Fiddle

BELGIEN

Oude Kwaremont

Koppenberg

NIEDERLANDE

Cauberg

MALLORCA

Sa Calobra

Puig Major

PORTUGAL

Malhão

AUSTRALIEN

Willunga

TENERIFFA

Bumpy

Vilaflor

Chirche

ÖSTERREICH

Sölden

ITALIEN

Cipressa und Poggio

Stelvio

Mortirolo

MONACO

Col de la Madone

Col d’Èze

USA

Saddle Peak: Las Flores

FRANKREICH

Planche des Belles Filles

Col du Portet

Col du Tourmalet

Col du Galibier

Alpe d’Huez

Meine Top Ten der Kletterer

Glossar

Danksagung

Der Autor

Vorwort

Berge sind etwas Besonderes. Fährst du Rad, möchtest du Berge hinauffahren. Sei es im Rennen, sei es im Training, aber immer, um oben anzukommen – um dir zu beweisen, dass du es kannst, dass du es mit dem Asphalt und den Elementen aufnehmen und sie alle bezwingen kannst.

Deshalb klettern wir mit dem Rad ewig lange Anstiege hinauf. Wegen der Herausforderung, wegen der Befriedigung. Wegen der großartigen Aussichten, wegen der Geschichten, die wir hinterher zu erzählen haben. Wegen der Chance, die Erfahrungen unserer Helden am eigenen Leib nachzuvollziehen und vielleicht selbst das eine oder andere Epos zu schreiben.

Die Berge sind es, wo die meisten großen Radrennen gewonnen oder verloren werden. Dort ist es, wo die Atmosphäre am besten ist, wo die Fans umsonst zuschauen können und mehr von den Fahrern zu sehen bekommen als irgendwo sonst. Die Berge sind es, wo die Tour de France und der Giro d’Italia entschieden werden, wo Rennfahrer sich einen Namen machen und Männer und Frauen an der Herausforderung zerbrechen können. Denn sie können auch grausam und furchteinflößend sein, diese Anstiege. Es kann sich wie ein Ding der Unmöglichkeit anfühlen, sie jemals hinaufzukommen, und es kann einem wie purer Wahnsinn erscheinen, sie hinabzurasen. Am Berg kannst du eine so intensive Hitze erleben, dass du dir literweise Wasser über den Kopf kippst. Du kannst in so heftigen Hagel und Schnee geraten, dass dir jegliches Gefühl in Fingern und Füßen abhandenkommt. Du siehst Täler unter dir und Gipfel über dir. Du spürst den Wind und siehst die Abgründe und fühlst dich lebendiger als irgendwo sonst auf dem Rad.

Doch alles, was die Radsportberge schwer macht, macht sie auch so reizvoll. Je schwerer sie sind, desto länger bleiben die Erinnerungen. Und desto größer sind auch die Namen, an die man sich erinnert: Anquetil, Merckx, Induráin. Am Berg kannst du dich nicht verstecken, und die Wahrheiten, die er zutage fördert, sind unausweichlich. Ein großer Anstieg lässt dir keine Möglichkeit, dich irgendwie durchzumogeln: Du musst es packen, du musst es bringen. Es geht nur um dich und die Straße und was du im Herzen und in den Beinen hast. Berge im Radsport bedeuten Schmerz und Magie. Sie bestrafen dich, aber sie geben dir auch viel zurück.

Du kannst Fußball über alles lieben, und doch wirst du wahrscheinlich niemals die Chance bekommen, in Wembley ein Tor zu schießen. Du kannst Rugby lieben und wirst wohl nie die Möglichkeit erhalten, im Principality Stadium über die Torlinie zu hechten. Du kannst dein Leben lang Tennis schauen, kannst aber nur davon träumen, jemals auf dem Center-Court in Wimbledon einen Volley über das Netz zu schmettern. Im Radsport aber kannst du genau die gleichen Anstiege fahren wie die größten Legenden des Sports. Du kannst durchmachen, was sie durchgemacht haben. Du kannst Alpe d’Huez und den Koppenberg hinauffahren und alle möglichen anderen berühmten und weniger berühmten Radsportberge dazwischen.

Und das hier ist also mein Buch über sie. Wie ich sie hinaufkomme, was sie mit uns im Profi-Peloton anstellen. Wie auch du sie hinaufkommst, wo die Attacken erfolgen, wo die Gefahren lauern. Was wir essen und trinken, welche mentalen und körperlichen Nöte wir durchleben. Die tollen Tage, die ich erleben durfte, die schrecklichen, die mir ebenfalls nicht erspart geblieben sind. Die geheimen Daten, die geheimen Namen, der Grund, warum sie uns noch lange begleiten, wenn wir längst wieder im Flachen unterwegs sind und sich die Aufregung gelegt hat.

Die Berge, um die es in diesem Buch geht, sind eine sehr persönliche Auswahl. Es sind die Anstiege, die mir als Kind, als ehrgeiziger Junior und als erfolgreicher Profi etwas bedeutet haben. Sie sind über die ganze Welt verstreut, und die Bandbreite reicht von kleinen Klumpen Lehm bis hin zu riesigen, brutalen Monstern. Aber sie alle sind besonders und sie alle sind magisch. Und sie alle sind da draußen: Es kostet nichts, sie zu fahren, und sie warten nur darauf, dass auch du dich an ihnen versuchst.

Genieße und leide und genieße noch ein bisschen mehr. Meine Berge sind deine Berge. Lass uns klettern.

GROSSBRITANNIEN

Rhigos

Ein Insider-Tipp vorweg: Die korrekte Aussprache des Rhigos, eines Anstiegs in den südwalisischen Valleys, ist nicht etwa »Regoss«, wie man es in den eher kosmopolitisch geprägten Küstengegenden von Wales häufig zu hören bekommt, sondern »Rick-oss«. Und die Valleys haben die Namensrechte, merk dir das also, wenn du vorhast, herzukommen und den Berg in Angriff zu nehmen.

Der Rhigos gilt etwas in Südwales. Er und der Bwlch, weiter Richtung Nordosten gelegen, sind deine Feuertaufen. Der Tumble? Der kommt später. Deine ersten Erfahrungen sammelst du am Rhigos. Einen Namen machst du dir am Bwlch. Am Tumble musst du ihn bestätigen.

Deswegen wusste ich um den Rhigos und seine Bedeutung, als ich mit 14 meine ersten sonntäglichen Ausfahrten mit dem Maindy Flyers Club unternahm. Allerdings hatte ich nicht erwartet, ihn zu sehen zu bekommen. Ich war noch nie so weit auf einem Rad gefahren und wurde bereits von heftiger Panik befallen, als ich das Storey Arms erkannte, ein Naturfreundehaus, das in meiner Erinnerung eine sehr lange Busfahrt von meiner Schule in Cardiff entfernt war. Eine so große Strecke mit dem Rad zurückgelegt zu haben, war natürlich etwas, worauf man stolz sein konnte, aber auch eine potenzielle Katastrophe. Würde ich mich so weit von zu Hause abhängen lassen, hätte ich ein ernsthaftes Problem. Wie sollte ich das überleben? Als wäre das alles nicht genug, reifte in mir die Erkenntnis, dass ich an diesem Tag auch über den Rhigos fahren müsste, wollte ich Cardiff und meine Familie je wiedersehen.

Wahrlich kein leichtes Unterfangen. Das war es damals nie, auch später nicht. Das erste Mal, dass ich es ohne erwachsene Begleitung versuchte, war bei einem Ausflug mit ein paar Kumpels. Wir waren losgezogen, um den großen Jungs beim Five Valleys zuzuschauen, einem der Höhepunkte im britischen Radsportkalender. Das Five Valleys war eines der schwersten und reizvollsten Radrennen im Königreich und umfasste alle großen Anstiege, die Südwales zu bieten hatte, und war damit ein alljährlicher Pflichttermin für alle bei uns aus der Gegend, die Radsport und Berge liebten.

Wir zogen mit den eigenen Rädern los, um uns das Rennen an den wichtigen Anstiegen anzuschauen, ganz nach Art der Tour de France. Ein schöner Tag, blauer Himmel, die Sonne schien, wir hatten weder genug zu trinken noch Sonnencreme dabei. Und so waren wir ziemlich erledigt, nachdem der Rhigos und der Bwlch uns in die Mangel genommen hatten, und wir mussten ja anschließend auch noch irgendwie zurück nach Cardiff kommen. Als kleiner Vorgeschmack auf meine Anfangstage als Profi litt ich zwar entsetzlich, platzte aber etwas später als einer der anderen Jungs, so dass ich anschließend in gehobener Stimmung von unseren Eskapaden berichten konnte. Schon erstaunlich, wie gut es sich anfühlen kann, nicht Letzter geworden zu sein.

Und wie es mit Radsport-Obsessionen nun einmal so ist, stand ich ein paar Jahre später als blasser Junior selbst beim Five Valleys am Start. Wir würden den Rhigos von Hirwaun aus hinauffahren, also von Norden her. Für mich als 18-Jährigen konnte das Ziel nur lauten, irgendwie durchzukommen. Unser Trainer Darren Tudor sah es realistisch: »Jungs, seht einfach zu, dass ihr bis Kilometer 160 dabeibleibt. Das bringt euch auf die Schlussrunde in Port Talbot. Wenn ihr das hinkriegt, hattet ihr einen erfolgreichen Tag.«

Mir flatterten die Nerven, zum Teil weil es der Rhigos war, zum Teil weil es das Five Valleys war, und zum Teil wegen der Fahrer, mit denen ich den Rhigos im Five Valleys hinauffuhr. Da waren die Lokalmatadore der walisischen Radsportszene, harte Hunde, gegen die man nur selten antrat. Kleine Männer mit sehnigen Beinen und der Fähigkeit, still zu leiden. »Hui, XY ist heute bei der Vereinsausfahrt aufgeschlagen. Puh, das wird ein harter Tag. Gut, dass ich mir heute Morgen eine Extrascheibe Toast gegönnt habe…«

Da waren jüngere U23-Fahrer, die sich in der britischen Szene einen Namen gemacht hatten, so wie zum Beispiel Dan Fleeman. Und da war Magnus Bäckstedt, ein leibhaftiger Etappensieger bei der Tour de France, ein Fahrer, der wenig später Paris–Roubaix gewinnen würde, was mir damals als Karriereausbeute gewiss vollauf gereicht hätte. Und doch war ich mit all diesen Männern in der Spitzengruppe, als es den Rhigos hinaufging. Okay, nicht ganz an der Spitze – ich war erst 18, fuhr noch mit Übersetzungsbeschränkung und sollte ja nur bis Port Talbot durchhalten –, aber ich fuhr an dritter oder vierter Stelle, hielt mit den Besten mit, lebte den Traum.

Es gibt am Rhigos ganz zum Schluss eine lange Haarnadelkurve, über die später noch zu reden sein wird. Als wir um sie herumfuhren, blickte ich zu meiner Linken hinab und sah Bäckstedt – den leibhaftigen Magnus Bäckstedt, einen absoluten Weltklasseprofi, einen Superstar zu Hause in Schweden (und noch dazu schlau genug, ein Mädchen aus Wales zu heiraten) – 15 Meter hinter mir.

Hoppla. Das ist jetzt aber wirklich unglaublich, dachte ich bei mir. Zu schön, um wahr zu sein. Vergiss die hellen Lichter und den heimeligen, pittoresken Charme von Port Talbot. Nichts, was heute noch passiert, könnte dies je toppen. Bereits als wir über die Passhöhe fuhren und in die Abfahrt gingen und mir klar wurde, dass ich mir mit meiner Übersetzungsbeschränkung einen Ast abstrampeln müsste, um etwas von meinem sagenhaften Vorsprung zu behaupten, wusste ich, dass der Rhigos für immer einen Platz in meinem Herzen haben würde.

Zu den Details. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Rhigos hinaufzufahren, die gängigere ist die schon erwähnte von Hirwaun aus: Auf der A4059 geht es aus dem Dorf heraus und dann weiter auf der A4061. Sechs Kilometer Klettern, die Steigung beträgt im Schnitt knapp über 5 % und geht nie über 7 % hinaus. Durchaus ein Fehdehandschuh, der dir hingeworfen wird, aber kein Schlag ins Gesicht. Du und der Rhigos, ihr werdet schon miteinander klarkommen.

Die übliche Anfahrt nach Hirwaun führt dich über Penderyn Moor, dann hinab ins Dorf, vorbei an der Brennerei. Okay, jetzt ist natürlich nicht der rechte Moment für gute walisische Single Malts, aber vielleicht gönnst du dir einen zur Belohnung, wenn der Tag im Sattel vorbei ist.

Du kommst durch ein Gewerbegebiet. Du siehst die alten Bergwerke, die Täler, die sie ernährten, eine sehr walisische Aussicht für einen sehr walisischen Anstieg. Am Kreisverkehr links ab und dann geht es los – eine lange Gerade, die sich zieht, eine Schinderei, die du im Sitzen absolvierst, dem Wind preisgegeben, der hier meist aus Westen weht. Manchmal kommt er von der Seite, was ziemlich ungemütlich ist. Meistens aber kommt er frontal von vorne, was, wenn es bergauf geht, einfach nur unfair ist.

Das ist das erste Drittel des Anstiegs. Hier heißt es, die Zähne zusammenzubeißen und es hinter sich zu bringen. Allmählich siehst du die Straße sich nach links wenden, und rechts oberhalb von dir siehst du, wie sie sich wieder nach rechts dreht, es folgt eine weitere lange Gerade und dann eine lange Kehre wiederum nach links. Die Straße schlängelt sich kreuz und quer durch dein Blickfeld, und alles sehen zu können, was da noch auf dich zukommt, kann ein ziemlicher Schlag sein. Vor allem wenn du 14 bist, eh schon auf dem Zahnfleisch kriechst und der Gegenwind auch noch eine Ladung Schnee mit sich bringt.

Wenn du die Bäume erreichst, wird es steiler, trotzdem ist es einfacher zu fahren – du bist raus aus dem Wind und es gibt mehr, um dich abzulenken, statt dass sich die Straße endlos vor dir hinzieht. Zwischen den Kiefern und den Wiesen zu deiner Rechten sind die Pisten zu erkennen, auf denen früher im Oktober die Rallye Großbritannien ausgetragen wurde, und es fällt schwer, sich nicht danach zu sehnen, in einem PS-starken Auto zu sitzen und sich mit sanftem Druck aufs Gaspedal diese Rampen hinauftragen zu lassen, statt sich ohne Ende abstrampeln zu müssen. Und es liegt noch so viel Straße vor dir.

Wieder geht es rechtsherum und es beginnt flacher zu werden. Du wirst dich möglicherweise fragen, wo genau die Passhöhe sein soll, denn du siehst nichts als offenes Gelände vor dir, daher an dieser Stelle der zweite wichtige Insider-Tipp zum Rhigos: Halte Ausschau nach dem Eiswagen, der in einer Parkbucht zu deiner Rechten abgestellt ist. Er hat mich schon ein paar Mal gerettet, dieser Wagen – eine Dose Cola für die Trikottasche, wenn die Kraft nachlässt, ab und zu ein Eis, wenn die Saison vorbei ist und ich mir nicht wie sonst alles versagen muss.

Mein Freund Andy Hoskins versuchte einmal, uns dort während des Five Valleys ein paar Eis anzureichen, was ein reizender, aber ganz und gar törichter Gedanke war. Aber am Rhigos setzt der Verstand eh gerne mal aus. So wie damals, als wir als Jungspunde nach der Abfahrt völlig fertig an einem Laden in Treorchy hielten, um zuckerhaltige Getränke zu kaufen, die wir dringend für den Heimweg brauchten, und mein Kumpel unsere gesamten drei Pfund für Diätlimonade ausgab. Oder damals, als wir an einem anderen Tag die andere Seite hinabfuhren und an einer Tankstelle in Hirwaun hielten, wo wir am Ende Burger aus der Mikrowelle kauften.

Als ich in der sechsten Klasse war, fuhren wir regelmäßig von Cardiff aus zum Rhigos und wieder zurück, und immer kehrten wir erst im Dunkeln heim und nie hatten wir mehr als ein Rücklicht dabei – für alle zusammen. Wir fuhren über den Gipfel und auf der anderen Seite wieder runter, machten kehrt, kletterten wieder rauf, sausten erneut runter, und dann das ganze Spiel noch mal von vorne. Wir verloren auf dem Rhigos den Verstand, aber auf die denkbar schönste Art und Weise.

Ein guter Hobbyfahrer braucht um die 20 Minuten für den Anstieg, ich vielleicht 12 oder 13, wenn ich in Form bin. Ich fahre ihn meist nicht mit letztem Einsatz, denn für mich ist es eher ein nostalgischer Trip, wenn ich im November oder Dezember zu Besuch daheim in Cardiff bin. Mit der Zeit habe ich eine Vorliebe für die Auffahrt von der anderen Seite entwickelt, auf der Straße ab Treorchy. Mir ist klar, dass dies für manche ein Sakrileg ist, aber dafür, dass er Treorchy heißt, besitzt der Ort ein unerwartet europäisches Flair: eine geschäftige kleine Stadt, der Anstieg geht direkt von der Hauptstraße ab, über zwei lange Kehren führt er auf erstklassigem Asphalt durch den Wald hinauf.

Wenn man Rennen in Frankreich bestreitet, gewöhnt man sich daran, um eine gute Position zu kämpfen, wenn man am Fuße eines Anstiegs durch eine Stadt oder ein Dorf kommt. Das Peloton windet sich durch enge, kurvenreiche Straßen, du gehst aus dem Sattel, um die Tempoverschärfung mitzugehen, die sich unweigerlich vollzieht, während du die geschlossene Ortschaft hinter dir lässt und in den Wald hineinfährst. So ungefähr fühlt es sich auch in Treorchy an, und der Anstieg ist auf dieser Seite zwar steiler und fieser als von Hirwaun aus, aber dafür ist er auch nicht so öde und es gibt mehr zu sehen – das macht es für mich wieder wett.

Auf halber Strecke hinauf gibt es sogar ein kleines Mysterium, ein kleines, weißes Haus, so klein, als wäre es für Heinzelmännchen gebaut worden – fast wie eine Art seltsamer Schrein. Häufig waren dort Blumen niedergelegt, manchmal auch ein Kranz, als wäre dort jemandem etwas Grausiges widerfahren. Das Haus gab mir so lange Rätsel auf, dass ich es irgendwann nachgeschlagen habe: Wie sich herausstellte, war es die Hütte eines Wächters, bewohnt von einem reizenden alten Kauz, der früher im Auftrag der Gemeinde die Straße von Schafen und Geröll freihielt und in seiner Freizeit kleine Skulpturen aus altem Plastik und Kupferdraht fertigte, um die Landschaft zu verschönern.

Und während du dir all das durch den Kopf gehen lässt – die Szenerie, die Menge der Blumensträuße, die Geschichte dahinter –, hast du wieder einen Kilometer geschafft und es geht dir blendend. Auf der Hirwaun-Seite passiert dir so was nicht. Nach einem Drittel der Strecke hinauf lässt du die Eichen hinter dir. Ein paar flüchtige Momente lang kannst du dir einreden, schon die Passhöhe zu sehen, aber das ist eine grausame optische Täuschung. Du blickst zurück hinab ins Tal und siehst die dunklen Schieferdächer der Häuser, an denen du vor ein paar Minuten vorbeigekommen bist, und es kommt dir vor wie eine walisische Version des Col du Portet in den Pyrenäen: kahle Felswände zur Rechten, frische Luft zur Linken, ein weiter Blick über das Tal, falls du dir die Zeit dafür nimmst und deinen Fokus nicht voll und ganz aufs Klettern richtest.

Wenn das Wetter schön ist, ist es oben auf dem Rhigos die reine Freude. Da sich der Berg in Südwales befindet, ist es das meistens allerdings nicht. Als ich ihn mal als Junior mit drei Kumpels von der Hirwaun-Seite aus fuhr, war das Wetter sogar rundheraus fürchterlich. Waagerechter Regen, der uns vom Wind direkt ins Gesicht gepeitscht wurde. Aber wir waren jung und euphorisch, und wir dachten: »Hey, genau wie im Profi-Peloton, wenn das Wetter schlecht ist – richtig geil!«

Und das war es auch, bis wir die Abfahrt erreichten und Rob einen Platten hatte. Niemand dachte daran, ihm zu helfen. Dafür war es zu kalt. Stattdessen kauerten wir uns hinter einen Felsen und versuchten, uns vor den Elementen zu schützen, während wir ihn sich selbst überließen. Nicht, dass wir ihm eine große Hilfe gewesen wären, selbst wenn wir gewollt hätten. Keiner von uns hatte auch nur noch einen Hauch von Gefühl in den Händen, geschweige denn die Kraft, einen Reifen abzuziehen. Stattdessen warfen wir ihm von unserem Felsen aus unflätige Sachen an den Kopf, was Jungs in dem Alter halt so machen, wenn sie mit ihren Kumpels unterwegs sind. Als ich dann in Treorchy selbst einen Platten hatte, half mir ausgerechnet Rob bei der Reparatur, was so überhaupt nicht das ist, was Jungs in dem Alter für ihre Kumpels tun.

Du kommst ganz schön ins Schwitzen, wenn du dich am Rhigos reinhängst, aber du ziehst nur selten viele Kleidungsschichten für die Kletterpartie aus, denn die Chancen auf Regen sind da oben recht hoch. Aus dem gleichen Grund lädt er auch nicht zum Verweilen ein. Ein Eis gefällig? Gut möglich, dass dir die Lust darauf bald vergeht, wenn die Kälte einsetzt. Vielleicht doch lieber die Notfalldose Cola? Es kann passieren, dass du sie dir zu schnell in den Rachen kippst und die nächsten 20 Minuten damit verbringst, dezent zu rülpsen wie früher dein Opa, wenn er sich in der Kneipe ein paar Pints zu viel genehmigt hatte.

Im Peloton gibt es einen Begriff für einen Fahrer, der als stark, aber auch etwas begriffsstutzig gilt: Domestos. Ähnlich würde ich die Hirwaun-Seite des Rhigos beschreiben. Meistens ist er kein besonders amüsanter Geselle und die Zeit in seiner Gesellschaft kann einem lang werden, Gespräche sind ein zähes Unterfangen. Hast du ihn aber erst näher kennengelernt, wird er umgänglicher und du weißt seinen Charme zu schätzen. Trotzdem ist dir sein Bruder drüben auf der anderen Seite in Treorchy ein bisschen lieber – auch er ist ein harter Bursche, hat aber mehr zu erzählen. Treorchy ist der Typ, der an der Theke sitzt und Schwänke zum Besten gibt, wenn du in die Kneipe kommst. Er gibt dir einen Klaps auf den Rücken, der ziemlich fest ist, aber gut gemeint. Unterdessen hockt Hirwaun für sich allein in der Ecke und trinkt literweise Alte-Männer-Bier.

Das ist der Rhigos.

Wenn du Profi wirst, neigst du dazu, eine Checkliste all der großen Rennen im Kopf zu haben, die du bestreiten möchtest, bevor du wieder in die Welt der Normalsterblichen zurückkehrst. Die Tour de France, klar. Die beiden anderen großen dreiwöchigen Landesrundfahrten, wenigstens einmal. Die Monumente, eins nach dem anderen. Die Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix vor allem.

Genauso ist es als Hobby- und Amateurfahrer in Südwales. Zuerst musst du den Rhigos abhaken, dann den Bwlch, dann den Tumble. Jeder Radsportverein, dem du dich anschließt, wird dir erst seine Geschichten über den Rhigos erzählen und dich dann mit hinaufnehmen, damit du deine eigenen Geschichten mit ihm erlebst. Umso schlimmer, dass mein Schwiegervater ihn noch immer nicht in Angriff genommen hat. Er hat mich immer gern damit getriezt, dass ich kein richtiger Kletterer bin, aber nun, da er selbst Rennrad fährt – wenn auch nur bei schönstem Wetter –, hat er immer noch Schiss vorm Rhigos. Und kann sich somit nicht als richtiger Radsportler bezeichnen. Aber das muss ja jeder selbst wissen…

Tumble

Der Tumble hat etwas an sich, das dich packt. Bevor du ihn überhaupt gefahren bist, hast du bereits die Geschichten über ihn gehört. Du kennst die Legenden. Die alten Burschen in deinem Radverein erzählen euch Jüngeren im Flüsterton von ihm. »Jungs, das Teil ist brutal. Der härteste Anstieg in ganz Südwales, dieser Brocken. Etwas Längeres und Steileres wird euch nirgends unterkommen, Jungs.«

Du hast viel über ihn gehört, aber er ist auch geheimnisvoll. Der Rhigos, der ist dir ein Begriff, wenn du in Cardiff oder an der Küste groß geworden bist. Er war dir schon von klein auf vertraut. Der Tumble liegt viel weiter entfernt, tiefer im Landesinneren, eine viel längere Fahrt, eher ein Tagesziel als etwas, das du auf dem Weg nach woanders mitnehmen könntest. Der Tumble? Er ist da draußen. Und wartet.

Er hat Historie, der Tumble. Und er hieß auch nicht immer Tumble. Früher war er unter dem Namen Keepers bekannt. Erst als er Mitte der 1980er Jahre ins Programm der Kellogg’s Tour of Britain aufgenommen wurde und die Veranstalter ihn sich auf einer Karte der nationalen Landesvermessungsbehörde anschauten und auf halbem Weg das Wort »Tumble« entdeckten, erhielt er seinen heutigen Namen.

Früher gab es dort mal ein Gasthaus namens Tumble Inn, daher vielleicht der Name. Aber da es die Schenke schon lange nicht mehr gibt, gibt es auch keine Stammgäste, die man fragen könnte. Es gibt nur die Legenden.

Nun denn. Die groben Details: Ganz oben befindet man sich auf 512 Metern Höhe. Der Anstieg ist um die fünf Kilometer lang, je nachdem, von wo genau man misst. Und er zieht sich hin – eine durchschnittliche Steigung von knapp über 8 %, in der Spitze bis zu 13 %, kaum mal eine Atempause.

Wegen dieser Zahlen ist er seit etwa 1987 fester Bestandteil des Grand Prix of Wales, und auch bei der Tour of Wales der Junioren wird er gern als Bergankunft am letzten Tag der Rundfahrt genutzt. Zu der Zeit, als ich bei den Junioren fuhr, war das eins der besten Rennen, die du dir wünschen konntest. Es war das Rennen, in dem du dich am ehesten wie ein Profi bei einer Grand Tour fühlen durftest. Mehrere Etappen, verschiedene Tage, an denen unterschiedliche Fahrertypen sich auszeichnen konnten – die großen Kaliber mit den sprintschnellen Beinen; die Kraftpakete, die auch als Centre beim örtlichen Rugby-Club eine gute Figur abgeben würden; die Jungs irgendwo in der Mitte, die beides drauf hatten; und schließlich die dürren Burschen, die Bergziegen, die das große Finale den Tumble hinauf herbeisehnten. Die ganze Woche sprachen wir von nichts anderem. Die Lokalmatadore der walisischen Amateurszene – in unseren Augen so etwas wie Profis, die zufällig noch einen Brotberuf hatten – wurden mit Fragen bombardiert. Man konsultierte die Experten und gab was auf ihre Meinung. »Oh, kennst du Pete?« – »Was, den alten Pete?« – »Jau, ist gestern noch den Tumble rauf.« – »Nee, oder? Sag bloß! Der Typ ist irre.«

Los geht es in der Ortschaft Govilon, direkt westlich von Abergavenny in Monmoutshire gelegen. Wenn du nach dem Weg fragst, achte darauf, es »G’vylon« und nicht »Gov-vy-lon« auszusprechen, sonst schicken dich die Einheimischen sonst wohin. Aus dieser Richtung ist es außerdem eine technisch anspruchsvolle Anfahrt, mit ein paar mehr Bremsschwellen, als dir auf dem Rad lieb sind, vor allem wenn du dich in einem hektischen Peloton befindest, das zum Fuß des Anstiegs rast. An manchen Stellen wird es außerdem ganz schön eng. Es geht durch den steinernen Bogen einer Eisenbahnbrücke, dann links ab und über eine kleine Buckelbrücke.

Egal, wie viele Male du ihn fährst, der Anstieg hinauf zum Tumble scheint immer völlig unvermittelt zu beginnen. Gerade bist du noch im Flachen auf der B4246 unterwegs, dann nimmst du eine Linkskurve und es geht bergauf. Links eine große Hecke, rechts ein weißes Haus und zack – los geht’s, die Straße bäumt sich finster und bedrohlich mit jetzt schon 10 % Steigung vor dir auf.

Deine Position im Feld oder in einer kleinen Gruppe spielt zu diesem Zeitpunkt keine große Rolle – dir steht noch so viel Kletterei bevor. Aber du solltest dich auch nicht allzu weit zurückfallen lassen, denn je weiter hinten du dich befindest, desto mehr kleine Antritte sind nötig, um deine Position zu halten, ansonsten verlierst du noch mehr an Boden. Außerdem kannst du dann nicht deine Linie in der ersten richtigen Kehre frei wählen, einer engen Haarnadelkurve nach rechts. Dort ist es besser, den langen Weg zu nehmen, statt die Innenkurve, die zu steil ist und dich zu viele Körner kostet. Vielleicht sparst du ein paar Meter, aber die werden dir von der Steigung gleich wieder abgenommen. Bleibe auf der linken Seite der Fahrbahn, vertraue deiner Taktik und deinem Wissen über das, was vor dir liegt. Bist du zu weit hinten, bleibt dir keine Wahl. Du musst sprinten, um den Anschluss zu halten, und niemand möchte zu diesem Zeitpunkt am Tumble sprinten müssen.

Nun bist du im Wald. Die Straße wird schlagartig schlechter, holpriger und langsamer, und falls es die falsche Zeit im Jahr ist, kann es durch das Laub unter deinen Reifen ziemlich rutschig und tückisch sein. Zum ersten Mal hast du nicht das Gefühl, in Südwales zu sein. Es ist nicht nur die Steilheit und die Länge des Anstiegs. Es sind die bewaldeten Hänge, in einer Gegend, in der die Erhebungen sanfter und meist ziemlich kahl sind. Das ist es, was den Tumble ausmacht: Nichts an ihm ergibt einen Sinn, nicht mal, wo er sich befindet. In dieser Hinsicht ist er wie der Mont Ventoux, eine ominöse Erscheinung, die sich einfach aus der Landschaft erhebt, wenn man sich ihr nähert. Er ist nicht zu übersehen. Und wenn er auftaucht, geht jedes Mal aufs Neue ein Raunen durch die Gruppe. »Boah. Da isser. Da ist der Tumble.«

Durch die Bäume, dann dünnt das Laubwerk allmählich aus. Das Viehgitter auf halbem Weg ist dein nächstes Ziel. Es ist immer noch eine ziemliche Schinderei von hier, noch ein langer Weg, und falls es ein Rennen ist, ist das Letzte, was du gebrauchen kannst, jetzt zu überdrehen und oben dann der Strapaze und dem Gegenwind nichts mehr entgegensetzen zu können. Mental kann es sich hier sogar wie der Tiefpunkt anfühlen, weil du schon so viel Kletterei in den Beinen hast und dir noch so viel bevorsteht. Die Steigung nimmt etwas ab, aber der Asphalt wird klebriger und stumpfer, und falls es Wind und Regen gibt, nehmen dich jetzt beide in die Mangel. Auf beiden Seiten keinerlei Schutz durch Bäume, Hecken oder Felsformationen. Nur das gleiche Gefühl, das du auch am Ventoux hast, wenn du aus dem Wald kommst und die Mondlandschaft unterhalb des Gipfels erreichst: Okay, sei nett zu mir, ich bin wehrlos, falls du es böse mit mir meinst.

Für die nächsten paar Kilometer gibt es keinen magischen Trick. Du musst sie einfach durchstehen. Sie werden ein Ende nehmen, auch wenn sie sich an schlechten Tagen endlos anfühlen. Schau nur auf die nächste Kurve, die du vor dir erkennen kannst, auf irgendetwas, das dich ablenkt von der langen Straße, die sich vor dir in die Höhe zieht.

Es ist ziemlich eigenartig hier oben. Keine Bäume, keine Vegetation außer struppigem Gras und feuchtem, dunkelgrünem Moos. Wenn sich die Landschaft dann weiter öffnet, kannst du zu deiner Rechten hinabschauen und das Tal unter dir sehen. Aber wenn du nach links blickst, ist dort keine massive Felswand, sondern nur das nasse Gras, das sich die schwindelerregend steilen Hänge hinaufzieht. Im Winter ist es ein grausamer Ort. Es ist immer windig. Die Frage ist nur, wie stark der Wind ist, wie heftig er es dir besorgen will und wie viel Regen er mit sich führt. Ich habe Tage dort oben erlebt, an denen der Wind sich mit dem Regen verbündet hat und genau den richtigen Winkel erwischte, um ihn mir unter dem Helm hindurch direkt ins Gesicht zu peitschen. Er scheuert dir das Gesicht auf, friert dir die Nase ein, tropft dir Kinn und Nacken hinunter und versucht, in Trikot und Jacke zu sickern.

Es ist auch nie vollkommen trocken da oben, selbst mitten im Sommer nicht. Es liegt immer eine gewisse Feuchte in der Luft. Die Straße sieht gar nicht so besonders nass aus – große Pfützen sieht man selten –, aber das liegt zum Teil daran, dass der Asphalt so stumpf ist. Ich weiß sehr wenig über die ideale Mischung, wenn man Asphalt auf einen feindseligen Berg klatschen möchte, aber bei diesem hier scheint man der Rezeptur zusätzlich Sand hinzugefügt zu haben. Es ist das Gegenteil einer italienischen Straße, die in der Regel schön glatt, ja, beinahe poliert ist und Regen ungefähr so effektiv absorbiert wie eine Marmorplatte. Oben am Tumble könnte es den ganzen Tag regnen und die Straße würde einfach alles aufsaugen. Und der Fahrbahnbelag ist dazu noch entsetzlich rau und holprig, als wäre es ein solcher Alptraum gewesen, ihn zum Trocknen zu bringen, dass die große Dampfwalze gar nicht erst herangeschafft wurde. Dies ist eine Straße, auf der man auf keinen Fall stürzen möchte. Sie würde dich in Fetzen reißen.

Der Tumble ist also durchaus eine Gemeinheit. Aber er ist immer machbar. Dies ist kein Berg, der dich zum Absteigen zwingen sollte. Und auf seine Weise ist er auch eine echte Schönheit. Der Gipfel beeindruckt dich jedes Mal wieder aufs Neue – so drastisch unterscheidet sich der Charakter dieser Landschaft von deiner normalen, alltäglichen Umgebung. Es gibt Anstiege, die du hinauffährst und sofort wieder vergisst. Den Tumble vergisst du nie. Du wachst nicht am nächsten Tag auf und überlegst: Was habe ich gestern noch gleich gemacht?

Ich habe gesagt, es gebe keine magischen Tricks. Aber es gibt etwas, das du machen kannst. Etwas, das mir unlängst auch durch drei aufeinanderfolgende Tage mit endlos scheinenden Zwölf-Stunden-Ausfahrten geholfen hat, die ich während des Coronavirus-Ausbruchs als Benefiz-Touren für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS absolviert habe: Du brichst alles auf überschaubare Abschnitte herunter. Du denkst nicht daran, was noch vor dir liegt, sondern nur daran, was du schon geschafft hast. Vier Kilometer bis zum Gipfel? Alles klar. Konzentriere dich nur auf den ersten Kilometer. Das sind 1.000 Meter. Das sind wahrscheinlich deutlich weniger als 500 Pedaltritte. Schau mal, in der Zeit, in der wir uns unterhalten haben, hast du schon 20 geschafft. Und das, ohne es überhaupt zu merken. Du wirst es schaffen.

Bald kannst du den Gipfel sehen. Du bist zwar noch nicht da, aber du weißt, dass du es fast überstanden hast. Er hat auch einen richtigen Gipfel, der Tumble. Der Rhigos – der flacht oben einfach ab. Du weißt gar nicht so genau, ob du den höchsten Punkt schon erreicht hast. Auf dem Tumble gibt es keinen Zweifel. Das kalte Blau des Keepers Pond zu deiner Linken, eine kleine Abzweigung ebenfalls linker Hand und du hast es hinter dir.

Schaue dich um, wenn du es geschafft hast. Du wirst die Höhe spüren. Und spitze die Ohren: An den großen Anstiegen in den Alpen wirst du ganz oben vom drolligen Fiepen und Pfeifen der Murmeltiere begrüßt. Auf dem Tumble ist es das Blöken und Mähen von Schafen. Luke Rowe hat hier oben, am Beginn der Abfahrt, einmal einen haarigen Moment erlebt, als ihm ein verirrtes Lamm vom Straßenrand aus direkt vors Rad lief. Der arme Bursche war damals erst 13 (Luke meine ich, Schafe erreichen selten dieses Alter), und einen Moment lang befürchtete er das Schlimmste, doch das Lamm kullerte in Sicherheit, getroffen vom Kettenblatt, aber gerettet durch den Umstand, dass Luke nach überstandener Kletterpartie die Kette soeben vom kleinen aufs große Blatt geschaltet hatte. Keinem Radfahrer behagt die Vorstellung einer Kollision bei hohem Tempo, erst recht nicht mit einem Tier auf einer Straße, die so rau ist wie Schmirgelpapier. Dementsprechend erleichtert waren wir, als wir unversehrt auf der anderen Seite hinabsausten, Mensch und Tier wohlauf.

Ich habe ein bisschen das Gefühl, mit dem Tumble noch eine Rechnung offen zu haben. Ich kann mich nicht erinnern, an diesem Anstieg jemals einen herausragend guten Tag erwischt zu haben. Als ich mit 18 die Tour of Wales bestritt, wurde ich, an zweiter Stelle im Gesamtklassement liegend, dort oben von Dan Martin besiegt. Das hat mich lange gewurmt. Ein Ire aus Birmingham, der auf dem Tumble einen Jungen aus Wales schlägt. Das geht mir heute noch gegen den Strich.