Re(VE)al: My Truth - Andrea Zimmermann - E-Book

Re(VE)al: My Truth E-Book

Andrea Zimmermann

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Beschreibung

(Achtung Spoiler zu Band 1) Nachdem Nico das schreckliche Geheimnis von Malcot Industries aufgedeckt hat und in letzter Sekunde aus den Fängen des Firmenchefs fliehen konnte, muss Re(VE)al die Informationen schnellstmöglich an die Öffentlichkeit bringen. Zacharias Malcot verhindert dies jedoch mit aller Macht, und hat längst seinen skrupellosen Auftragskiller auf das Reporterteam angesetzt. Schon bald muss Nico feststellen, dass man für ihn in diesem makabren Spiel eine viel größere Rolle vorgesehen hat, als er ahnen konnte. Ein erbitterter Kampf um Leben und Tod beginnt, und bis zuletzt bleibt diese eine, große Frage offen: Auf welcher Seite steht Zayden?

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PROLOG
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EPILOG
DIE AUTORIN
DANKSAGUNG

 

 

WELTENBAUM VERLAG

Vollständige Taschenbuchausgabe

09/2023 1. Auflage

 

RE(VE)AL My Truth

 

© by Andrea Zimmermann

© by Weltenbaum Verlag

Egerten Straße 42

79400 Kandern

 

Umschlaggestaltung: © 2022 by Magicalcover

Lektorat: Julia Schoch-Daub / Feder und Flamme Lektorat

Korrektorat: Daniel Greifer

Buchsatz: Giusy Amé

Autorenfoto: Privat

 

 

ISBN 978-3-949640-52-0

 

www.weltenbaumverlag.com

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

 

Andrea Zimmermann

 

 

 

 

Re(Ve)al

MY TRUTH

Band 2

 

 

 

 

 

 

Thriller-Romance

 

 

 

 

 

 

 

 

PROLOG

 

 

Ruhe. Sie umgab ihn wie einen Schleier, wie eine schützende Decke, die ihn vor der Außenwelt verbarg. Lediglich die Wölkchen, in denen sich seine Atemzüge verloren, irrten hektisch umher, bis sie ins Nichts entschwanden.

In der Finsternis fühlte er sich wohl. Zugehörig. In Sicherheit. Er mochte es, mit der Dunkelheit zu verschmelzen und unsichtbar zu werden. Er mochte die Stille.

Gelassen lehnte er sich an die kühle Mauer. Die Gebäude in dieser Seitenstraße waren verfallen und zeugten von hohem Alter, eigneten sich jedoch wunderbar als Deckung. Er wartete auf die Ankunft der Zielperson. Der junge Mann, der ihnen seit Wochen Probleme bereitete, dürfte nicht zu übersehen sein. Nicht mit seinen leuchtend blonden Haaren und diesen weißen Schuhen, die er immer trug.

Entspannt zückte er eine Zigarette. Er hatte alle Zeit der Welt.

Motorengeräusche wurden laut. Das allein reichte ihm, um den Wagen zu identifizieren. Lange genug arbeitete er für die Malcots, oft genug hatte er das Geräusch von Zayden Malcots Wagen schon zu Ohren bekommen.

Er wusste auch, dass es sich nicht um Zayden Malcot selbst handelte, der in dieser Sekunde hinter dem Steuer saß.

Nein. Er war es.

Seine Zielperson.

Gemächlich nahm er einen weiteren Zug von seiner Zigarette, ließ sich wieder an die Mauer zurücksinken, lauschte nur mit halbem Ohr auf die zuschlagende Autotür und die schnellen Schritte.

Nach wie vor galt: Alle Zeit der Welt.

Nicholas Howard wusste ja nicht, dass er sich eben freiwillig in die Falle begeben hatte, mit ihm jegliches Mitwissen, das es zu zerstören galt.

Und es würde zerstört werden.

Alles davon.

Unwiderruflich.

 

1

 

ZAYDEN

 

In Zacharias‘ Arbeitszimmer herrschte grimmige Stimmung als ich eintrat. Meine Atmung war noch beschleunigt von dem kurzen Lauf, den ich von meiner Wohnung aus zurückgelegt hatte. Ich hoffte inständig, dieses Gespräch innerhalb weniger Minuten beenden zu können.

Was auch immer Nico mir verschwieg, es schien gewaltig an seinen Kräften und seinen Nerven zu zehren. Gefährlich war es offenbar auch noch. Er lief mit einer Schusswunde an der Schulter herum. Jemand hatte auf ihn geschossen. Der Gedanke, dass bewaffnete Leute ihn verfolgten und sein Leben bedrohten, schnürte mir die Luft ab. Die nackte Angst, die ich eben in seinen Augen gesehen hatte, saß mir noch immer in den Knochen. Ich wollte alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn aus jeglicher Gefahr herauszuhalten, ganz gleich, in welche Sache er sich verstrickt hatte.

Aber dazu musste ich erst einmal diese spontane Besprechung hinter mich bringen.

»Zayden«, begrüßte Dr. Susan Carroll mich breit lächelnd. Sie stand mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen hinter Zacharias‘ Arbeitstisch, ihr Gewicht entspannt auf beide Beine verteilt. Zu dem eleganten, dunkelblauen Hosenanzug trug sie wie immer ihre weinroten Pumps. Zacharias selbst saß neben ihr in seinem Chefsessel, konzentriert auf der Tastatur seines Notebooks herumtippend.

»Guten Abend.« Sorgfältig schloss ich die Tür hinter mir. »Dr. Carroll, Zacharias.«

Carroll zwinkerte mir zu. »Welch Freude, dich nach so langer Zeit mal wieder persönlich anzutreffen.«

Innerlich verdrehte ich die Augen, rang mir aber ein Lächeln ab. Diese Frau war schon immer eine Schleimscheißerin der Extraklasse gewesen. Offenbar hatte sie in den Augen meines Onkels irgendeinen Nutzen fürs Geschäft, sonst würde er den Kontakt mit ihr nicht so intensiv pflegen. Oder besser gesagt, überhaupt welchen pflegen. Mein Onkel hielt nicht viel von Frauen in Führungspositionen der wissenschaftlich-technologischen Branche.

»Die Freude ist ganz meinerseits.« Nur wenig motiviert trat ich näher. »Was gibt es zu so später Stunde noch Wichtiges zu besprechen?«

Endlich löste Zacharias seinen Blick von seinem Laptop, um mich kritisch von oben bis unten zu mustern. »Du bist immer noch in der Bürokleidung vom Arbeitstag unterwegs?«

Natürlich galt es zunächst einmal, etwas an mir zu finden, das ihm nicht passte.

»Wäre es dir lieber, ich würde in Unterwäsche auftauchen?«

Carroll lachte keckernd, während mein Onkel mir nur einen vernichtenden Blick zuwarf. Garantiert hätte er mich gern hier und jetzt enterbt. Stattdessen räusperte er sich nachdrücklich. »Mein lieber Neffe. Es gibt Erkenntnisse im Falle des Einbruchs und zu der Katastrophe mit den Medien. Zu den Tätern, um genau zu sein. Erkenntnisse, die vor allem für dich von Interesse sein dürften.«

»Ist das so?« Mit verschränkten Armen trat ich näher an den Schreibtisch heran und versuchte, mir mein Interesse nicht anmerken zu lassen. »Ich würde allerdings um Eile bitten. Es ist schon sehr spät.« Und Nico wartete auf mich. Aber das konnte ich diesen beiden Geiern hier schlecht auf die Nase binden.

Carroll deutete auf den freien Stuhl zu meiner Seite des Tisches. »Setz dich doch.«

Ich verweilte auf der Stelle. »Ich verschwinde ohnehin gleich wieder.«

Carroll presste die Lippen aufeinander, doch Zacharias zuckte nur mit den Schultern. »Wie du willst.« Ohne Umschweife drehte er den Bildschirm seines Rechners in meine Richtung. »Was siehst du hier?«

Widerstrebend beugte ich mich vor, um dem unscharfen Foto näherzukommen. Ein unscharfes, nichtssagendes Foto, um genau zu sein. Fast hätte ich aufgestöhnt. Es hätte mir klar sein müssen, dass er mich nur wieder mit einer seiner Verschwörungstheorien zuschwallen würde.

»Ein Bild einer Überwachungskamera mit drei verpixelten Leuten«, kommentierte ich schließlich nach einem weiteren, betont flüchtigen Blick. »Was hat das mit dem Einbruch zu tun? Dieses Bild wurde eindeutig tagsüber aufgenommen und man erkennt ohnehin niemanden.«

»Wirklich nicht?« Mein Onkel griff nach der Maus und bearbeitete das Bild mit wenigen Klicks, woraufhin sich das Foto deutlich schärfte. »Und jetzt?«

Seufzend stemmte ich mich auf die Lehne des mir zuvor angebotenen Stuhls. Reflexartig wollte ich erneut verneinen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken.

Das Bearbeitungstool des Fotoprogramms hatte ganze Arbeit geleistet, sodass nun klare Konturen und Gesichter zu erkennen waren. Zwei Männer und eine Frau, die an einem abgelegenen Stehtisch im Außenbereich eines Cafés zusammenstanden. Die Frau mit frontaler Position zur Kamera, deren flammend rotes krauses Haar ungebändigt in alle Richtungen abstand, schätzte ich auf etwa Anfang vierzig. Ihr braunhaariger, auffallend kleiner Tischgenosse links neben ihr war deutlich jünger, vielleicht Ende zwanzig. Er kam mir merkwürdig bekannt vor. Nur ganz vage und sehr verschwommen, aber definitiv bekannt.

Beide hielten ihre Augen aufmerksam auf die dritte Person gerichtet, ebenfalls ein junger Mann. Dieser deutete auf eine aufgeschlagene Mappe, die vor ihm auf dem Tisch lag, er schien etwas zu erklären. An der dritten Person blieb mein Blick schließlich hängen.

Obwohl sein Gesicht aus dieser Perspektive nur im Profil zu sehen war, reichte das völlig aus, um alle Alarmglocken in mir schellen zu lassen. Dickes blondes Haar, gekonnt zu einem Quiff frisiert, weiche Gesichtszüge, leicht untersetzte Körperstatur, in Kombination mit weißen Sneakers.

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Nico.

Was zur Hölle?

Möglichst um eine ungerührte Haltung bemüht, hob ich den Kopf und begegnete prompt Zacharias‘ lauerndem Blick.

»Das ist Nico Howard mit zwei anderen Leuten in einem Café.« Meine Stimme klang viel zu gepresst. »Und?«

Schweigen trat ein.

Lässig streckte sich mein Onkel nach der Maus und ließ den Cursor über das Display sausen, woraufhin sich ein PDF-Reader öffnete. Einige offiziell wirkende, dicht beschriftete Scanseiten poppten auf. Lebensläufe, Kopien von Personalausweisen, Geburtsurkunden und noch einige weitere streng vertrauliche, persönliche Dokumente.

»Das sind nicht nur irgendwelche Leute, mein lieber Neffe«, entgegnete er gedehnt. Er lehnte sich entspannt zurück, die Maus fest in der Hand. »Das in der Mitte ist eine Reporterin namens Cameron McTaggart. Angeblich momentan nirgendwo fest angestellt, aber dieser Status ist stark zu bezweifeln. Der Knirps neben ihr ist ein ausgebildeter Spitzeninformatiker. Levi Anderson. Hat schon ein paar Anzeigen wegen Datenklaus und unbefugten Zugriffs auf private Server in seiner Akte. Der Junge ist wohl ein begnadeter Hacker, der sich gern in rechtlichen Grauzonen herumtreibt. Ein kriminelles Genie sozusagen.«

Levi Anderson.

Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Hieß so nicht Nicos Kumpel, der bei unserer durchbecherten Clubnacht mit von der Partie gewesen war?

Zacharias ließ von der Maus ab und faltete die Hände auf dem Tisch. Meine Reaktion auf Levi Andersons Namen war ihm glücklicherweise entgangen.

»Das sind nicht die einzigen Fotos dieser Art, die in den Aufzeichnungen diverser Überwachungskameras aufzufinden sind«, fuhr er fort. »Zayden, dein Assistent verfügt über enge Kontakte zu einer offiziell nicht berufstätigen Reporterin und einem Hacker der Spitzenklasse. Welch ein merkwürdiger Zufall, dass nur kurze Zeit nach seinem Dienstantritt ohne Einbruchsspuren in ein softwaregesichertes Büro eingebrochen wird, sämtliche Codes meines gesicherten Rechners geknackt werden und eine Woche danach streng vertrauliches Material auf dieser gottverdammten RE(VE)AL-Website landet. Und danach binnen Minuten in allen Medien weltweit. Seltsam, findest du nicht auch?«

Eine kurze Pause entstand, in der lediglich meine Ohren rauschten. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich, doch ich schaffte es nicht, einen von ihnen zu fassen. »Dein geschätzter Nico Howard ist ein Reporter, mein lieber Neffe.« Zacharias‘ Tonfall triefte nur so vor geheucheltem Bedauern. »Ein Spion, den sie hier eingeschleust haben, um Firmengeheimnisse zusammenzukratzen und diese ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu schleifen.«

Er hielt erneut inne. Tat so, als müsste er sich seine nächsten Worte sorgsam zurechtlegen, um mir die Neuigkeiten möglichst schonend beizubringen. Als läge ihm tatsächlich etwas an meinen Gefühlen.

Doch er konnte mich nicht täuschen. Ich sah das schelmische Glänzen in seinen Augen. Ich spürte, wie sehr ihm diese kleine Präsentation gefiel, immerhin hatte er Nico von Anfang an verabscheut.

Nico.

Er saß noch immer oben in meiner Küche.

»Ich weiß, dass du ein sehr ... enges Verhältnis zu ihm pflegst.« Zach kannte kein Erbarmen. »Euer kleines Zusammentreffen auf der Straße heute Abend, von dem mir berichtet wurde, war nur eine zusätzliche Bestätigung meines bereits bestehenden Verdachts.«

Unüberhörbarer Spott schwang in seiner Stimme mit, bei dem ich mich innerlich wand.

»Der Junge hat dich an der Nase herumgeführt, Zayden. Er hat dich getäuscht. Dich ausgenutzt, um das zu bekommen, was er braucht: Geheimnisse über mein, über unser Projekt.« Er wies auf Carroll hinter ihm, die zustimmend nickte.

»Ein paar nichtssagende Fotos sind kein Beweis für derartige Unterstellungen.« Meine Stimme bebte unter der Last mühsam unterdrückter Gefühle. Gefühle, die in so unterschiedliche Richtungen schossen, dass sie einander in einem chaotischen Gemisch wieder neutralisierten und mich hilflos zwischen allen Fronten zurückließen.

Mein Onkel lächelte ungerührt. »Deshalb habe ich weitere Nachforschungen anstellen lassen. Dass ich ihm von Beginn an nicht zu hundert Prozent vertraut habe, ist dir ja bekannt. Ich habe dich davor gewarnt, jemanden ohne meine ausdrückliche Zustimmung einzustellen. Sieh, wie weit du damit gekommen bist.« Zacharias‘ Stimme war so ruhig, dass ich ihn am liebsten mit seiner Krawatte grün und blau gewürgt hätte. »Aber die Lage ist unter Kontrolle, keine Sorge. Ich habe die Ortung seines Chip-Implantats aktivieren lassen.«

Mit einem Ruck schoss mein Kopf empor, und als ich daraufhin Zacharias‘ eindringlichem Blick begegnete, wurde mir die Tragweite dieses Gesprächs bewusst. Mein Onkel schien überzeugt von dem zu sein, was er mir hier erzählte. Davon, dass Nico als Maulwurf eingeschleust worden war, um die Firma auszuspionieren. Und Zacharias wollte ihn nun orten, um zu ... Übelkeit stieg in mir auf. Was hatte er dann vor? Wollte er ihn verhören? Ihm drohen?

Sorge erfasste mich. Ich musste Nico warnen. Was auch immer mein Onkel geplant haben mochte, es konnte nichts Gutes sein.

»Ortung des Chip-Implantats?« Meine Stimme bebte. Es juckte mich in den Fingern, das Gespräch zu beenden, aus dem Büro zu stürzen und Nico dazu anzuweisen, sofort zu verschwinden. Wenn mein Onkel erfuhr, dass er Nico gar nicht orten musste, weil dieser nur ein Stockwerk höher in meiner Küche saß ... das würde nicht gut enden. »Das ist unmöglich. Die Chips verfügen über keinen integrierten Tracker. Das wäre illegal.«

Amüsiert lachte Zacharias auf. »Illegal? Mein lieber Neffe, es gibt wahrhaftig wichtigere Dinge im Leben, als sich darüber Gedanken zu machen, was legal ist und was nicht. Lass es mich so formulieren: Seit dieser Idiot von Freeley seine Schnauze in Dinge gesteckt hat, die ihn nichts angingen, habe ich beschlossen, die zukünftig eingesetzten Chips ein wenig zu optimieren.«

»Freeley«, wiederholte ich langsam, mein Auffassungsvermögen vom Schock weiterhin hoffnungslos abgestumpft. »Was willst du damit sagen? Soll das heißen, dass du ...«

Ich verstummte, unfähig, meinen Verdacht zu Ende zu verbalisieren. Der Boden unter meinen Füßen begann zu schwanken. Das war doch unmöglich. Zacharias mochte ein menschlicher Kotzbrocken sein, klar, aber er würde doch niemals jemanden töten?

Nein, natürlich nicht! Warum auch? Weit und breit gab es nichts in der Firma, für das man jemanden verletzen oder gar umbringen müsste.

Mein Onkel schenkte mir ein breites Grinsen. Meine begonnene Frage ignorierte er geflissentlich. »Nico Howards Implantat ist eines der neueren Modelle und ganz nebenbei auch noch ein, nun ja, wirklich spezieller Prototyp. Dazu erfährst du später noch mehr. Der Chip speichert die GPS-Daten, in die danach mithilfe der Security-Software 120 Stunden lang eingesehen werden kann.« Verschmitzt pausierte er, um mich erwartungsvoll anzusehen.

Ich ahnte schon, worauf diese Rede hinauslief.

»Nico Howard befand sich zu der Zeit des Einbruchs auf dem Gelände«, bestätigte Zacharias meine Befürchtung. Ein spitzfindiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Zwar war im Protokoll nichts davon zu sehen, dass er mithilfe seines Chips Türen geöffnet hat, aber ich schätze, sein Hackerkumpel Anderson hat sich darum gekümmert. Was für ein Glück, dass er die GPS-Rubrik übersehen hat. Und was du noch wissen solltest ...« Er bückte sich nach etwas in einer der Schreibtischschubladen. »Heute nach Feierabend hat sich Tiberius ein bisschen in seinem Büro umgesehen. Und dashier gefunden.«

Er hielt ein kleines schwarzes Objekt empor. Es war ungefähr so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers und erinnerte mich an einen gewöhnlichen Hemdknopf.

»Die liebe Susan war so frei, einen Blick darauf zu werfen, und ist zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Art Abhörwanze handelt. Ein Modell, wie man es nirgendwo sonst findet. Ich gehe schwer davon aus, dass es sich um eine Eigenkreation Andersons handelt.«

Bereitwillig hielt er mir den Knopf hin, und ich nahm ihn schweigend entgegen, viel zu überwältigt, auch nur ein einziges Wort von mir zu geben. Dafür überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf umso mehr. Zittrig drehte ich den Kopf zwischen meinen Fingern, dieses unscheinbare, schwarze Objekt, das ein Beweis für Nicos Verrat sein sollte. Einer von vielen. Aber das konnte nicht sein. Nico war der herzlichste Mensch, den ich kannte, das Beste, was mir seit Langem passiert war. Niemals würde er mich derartig hintergehen, richtig?

Richtig?

»Zayden.« Verschwörerisch beugte Zacharias sich vor. »Dein Assistent hat uns abgehört. Vermutlich hat er das Gerät irgendwo an deiner Kleidung versteckt und sämtliche deiner Gespräche an seine Reporterfreunde weitergeleitet. Wie er es schaffen konnte, es an deine Kleidung zu heften und es danach wieder abzunehmen, möchte ich gar nicht wissen. Und lass mich raten: Die E-Mail, deren automatische Lesebestätigung ich heute am späten Nachmittag erhalten habe, hast du nie zu Gesicht bekommen, nicht wahr?«

Ruckartig kehrte Leben in meine Denkprozesse zurück.

Welche E-Mail?

Ich sprach den Gedanken nicht laut aus, doch das musste ich auch nicht. Mein Onkel hatte mir die Antwort auf seine Frage längst an der Nasenspitze abgelesen, und im nächsten Moment schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

Er war frustriert. Offensichtlich hatte er sich eine weitaus heftigere Reaktion von mir erwartet.

»Dein Assistent hat eine streng vertrauliche Nachricht in deinem privaten E-Mail-Postfach abgefangen, sie vermutlich weitergeleitet und danach gelöscht, Zayden!« Seine Miene verhärtete sich. »Er hat intimen Kontakt mit dir gesucht, um dir ein Abhörgerätunterzujubeln. Reicht dir das Beweismaterial nicht langsam? Sollte es ihm oder Anderson gelingen, den Anhang zu entschlüsseln, sind wir geliefert. Wir müssen handeln. Jetzt.«

Alles in mir war leer, wie betäubt. Und gleichzeitig tobten Gedankenstürme durch mein völlig überfordertes Gehirn, von denen ich keinen einzigen wirklich fassen konnte.

Wortlos und mit steifen Bewegungen zog ich den Stuhl unter dem Tisch hervor, um mich schwer hineinsinken zu lassen. Meine Hände kribbelten merkwürdig, vermittelten mir ein Gefühl der Fremde. War das der klischeehafte Zustand der Fassungslosigkeit, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde? Mein Herz fühlte sich an wie ein kläglich zerknautschter Schwamm, dem jegliche Energie entwichen war. Als wäre jemand darauf herumgetrampelt.

War Nico auf meinem Herzen herumgetrampelt? Hatte er meine Gefühle für ihn absichtlich für seine Zwecke benutzt? Hatte er sich bewusst einen Weg in mein Herz erschlichen, um an Projektgeheimnisse der Firma heranzukommen?

Nein!

Ich kannte Nico. Er würde niemals leichtfertig mit meinen Gefühlen spielen. Mit ihm hatte sich alles echt, vollkommen real angefühlt. Nicht wie eine zusammengesponnene Lügengeschichte.

Es gibt Dinge, die du nicht über mich weißt, wisperte Nicos Stimme in meinem Kopf. Gequält presste ich mir die Fingerkuppen an die Schläfen.

Dinge, für die du mich hassen wirst.

Wenn in Zacharias‘ Geschichte auch nur ein Funken Wahrheit zu finden war, hatte Nico mir es eben womöglich selbst sagen wollen? Bevor der Anruf meines Onkels gekommen war? Verzweifelt klammerte ich mich an jeden Strohhalm. Ich liebte ihn. Und seine Gefühle wiederum für mich war garantiert ehrlich. Sie musste es sein.

Dass er sich mir hatte anvertrauen wollen, das bestätigte diese Hoffnung doch, oder? Immerhin war ich ihm verfallen, trotz der Distanz, um die ich mich so bemüht hatte. Wenn es ihm genauso ergangen war? Wenn ja, würde das auch erklären, warum er in letzter Zeit ein psychisches Wrack gewesen war.

Oder machte mir mein verzweifeltes Herz etwas vor und Nico war einfach von Natur aus ein fantastischer Schauspieler?

Situationen der vergangenen Wochen jagten mir plötzlich durch den Kopf. Die unzähligen Augenblicke, in denen ich mich über seine plötzliche Nervosität gewundert hatte. Unser Zusammenstoß direkt vor Zacharias‘ Büro. Sein rückblickend auffälliges Interesse an dem geheimen Projekt meines Onkels. Seine ständige gedankliche Abwesenheit. Sein entsetztes Erstaunen darüber, als ich ihn heute so bereitwillig an meinem PC hatte arbeiten lassen. Die Verletzung an seiner Schulter, die Schussverletzung, mit der er am nächsten Morgen der Einbruchsnacht aufgetaucht war.

Zacharias hatte Recht.

Zittrig sog ich Luft in meine Lungen. Meine Ellbogen fanden Halt auf meinen Knien, stabilisierten mich gerade so, dass ich keinen Komplettzusammenbruch erlitt. Es war zu viel.

»Tiberius sagte am Morgen nach dem Einbruch, dass er auf die Täter geschossen hätte.« Die Worte verließen meinen Mund nur schleppend. »Aber ohne Erfolg.«

Ich formulierte es bewusst nicht als Frage und nahm wahr, wie Zacharias und Dr. Carroll einen Blick stiller Übereinkunft tauschten.

»Nun.« Carroll schürzte ihre blutroten Lippen. Der Absatz ihrer Pumps scharrte leise über den Parkettboden. »Das war nicht die ganze Wahrheit. Hätte Tiberius vor dem Chef des Sicherheitsdienstes zugegeben, einen der Flüchtigen getroffen zu haben, hätte dieser seine Waffe konfiszieren und den Zwischenfall melden müssen.«

Ihre Stimme klang arglos, unbedarft. Als wäre es völlig normal für sie, darüber zu sprechen, dass ein Mensch angeschossen worden war

Trotz allem, was mir gerade über Nicos Person und seine wahren Intentionen offenbart worden war, spürte ich Wut in mir aufwallen.

»Ihr wusstet, dass jemand vielleicht tödlich verletzt wurde, und habt euch nicht darum gekümmert?«

Zacharias starrte mich milde überrascht an. »Diese Leute arbeiten gegen uns, Zayden. Sie wollen uns zerstören.«

»Sie arbeiten gegen dich«, berichtigte ich ihn heftiger als beabsichtigt. »Es ist dein Geheimprojekt, hinter dem sie her sind. Was auch immer du treibst, es kann nicht wichtig genug sein, um einen Mord zu rechtfertigen! Nichts ist wichtig genug, um dafür einen Menschen zu töten!«

»Doch, das ist es!«, dröhnte mein Onkel. Seine Faust sauste ungebremst auf die Tischplatte nieder. »Es könnte eine Veränderung für die gesamte Menschheit sein! Für die Medizin, die Genetik, für die Kriegsführung, für die Kultur! Susans Konzept ist bahnbrechend, die speziell dafür entwickelte Technik hier in Malcot Industries ist absolut einzigartig. Es fehlen nur noch wenige Experimente, dann sind wir am Ziel und können ein Zeichen setzen!«

Entgeistert erwiderte ich den irren Blick seiner vor Erregung glänzenden Augen und vergaß dabei für einen Moment sogar meinen unerträglichen Herzschmerz.

»Ein Zeichen setzen?« Furcht zupfte an meinem Innersten. »Experimente? Wovon zur Hölle sprichst du?«

»Zayden, hör mir zu!« Zacharias schnellte von seinem Stuhl empor, überbrückte innerhalb von einer halben Sekunde Distanz zwischen uns und umklammerte mit beiden Händen von hinten meine Schultern. »Vergiss diese lächerliche Emotionsscheiße. Achte auf das große Ganze. Und vergiss endlich dieses kleine Biest. Er hat deine emotionale Angreifbarkeit erkannt und schamlos für seine Spionage ausgenutzt. Er liebt dich nicht.« Zacharias‘ Blick war starr und kalt, als er den Stuhl umrundete, um mich frontal ansehen zu können. Seine Hand schloss sich fest um meinen Oberarm. »Hörst du, Zayden? Er hat dich benutzt. Er. Liebt. Dich. Nicht.«

Wie Gift sickerten seine Worte in meinen Kopf, bis die einzelnen Buchstaben förmlich vor meinem inneren Auge zu flimmern schienen. Ich wollte es mir nicht eingestehen. Dafür schmerzte es viel zu sehr. Aber er hatte Recht.

Nico hatte mich nur belogen. Mir etwas vorgespielt. Mich benutzt. Waren sogar seine Tränen vorhin Teil seiner wohleinstudierten Show gewesen?

Er liebt dich nicht. Das hat er nie.

Das Pochen hinter meinen Schläfen verstärkte sich zu einem stetigen Hämmern.

Natürlich hat er das nicht. Warum sollte er auch?

Während mein Gehirn zunehmend vor Wut tobte, hielt mein Herz tränentriefend dagegen.

Ich brauchte Distanz.

Ich musste mich irgendwie abgrenzen, mich schützen.

»Zayden!«, drang die unbarmherzige Stimme meines Onkels an meine Ohren. »Hilf uns, das Projekt zu vollenden. Hilf uns, ein Zeichen zu setzen. Zeige diesem Bastard, der dich so hintergangen hat, der dich so schamlos ausgenutzt hat, was du zusammen mit Malcot Industries leisten kannst. Vergiss nicht, wer du bist, Neffe. Woher du kommst. Du kannst so viel leisten, wenn du es nur zulässt.«

Seine Worte waren Gift.

Und ich war es leid, dagegen anzukämpfen.

Schlaff und kraftlos fielen mir die Hände in den Schoß, bevor ich wie mechanisch nickte, alle Zweifel sorgfältig in das hinterste Kämmerchen meines Geistes zurückgetrieben.

»Wunderbar!« Strahlend tätschelte Zacharias meine Wange. Etwas, das er noch nie getan hatte. Meine Kooperation zugesichert zu bekommen, musste für ihn eine riesige Errungenschaft bedeuten. »Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann, Zayden. Du bist ein echter Malcot.«

Er gab Susan Carroll, mit einem wohlwollenden Lächeln auf den Lippen verfolgt hatte, ein Zeichen.

»Wir fahren noch heute Nacht zur Firma. Zayden hat eine Menge Nachholbedarf. Und ...« Seine Augen flackerten, als er sein Handy vom Tisch nahm und die Wahlwiederholung betätigte. »Schnappen wir uns dieses Reporterpack endlich, bevor sie den Anhang der Mail knacken – die übrigens ein ausgezeichneter Köder gewesen ist, wenn ich mich an dieser Stelle selbst loben darf. Dein gerissener Kollege ist noch immer auf freiem Fuß, nachdem Tiberius vor ein paar Stunden ja von einem Zugriff abgehalten worden ist. Von dir, Zayden,. Du hast dir den Spion nicht nur in deine Firma geholt, sondern auch in deine eigenen vier Wände. Ich hoffe, das ist dir eine Lehre.«

Ich zog es vor zu schweigen.

»Aber wie gesagt, es besteht kein Grund zur Sorge. Mithilfe des Trackers in seinem Chip ist es eine Kleinigkeit, ihn immer und überall aufzuspüren.« Ein süffisantes Lächeln kräuselte seine Lippen, als er sich zu Carroll umdrehte, die inzwischen ungeduldig in ihren weinroten Pumps auf und ab lief. »Außerdem brauchen wir ihn ja sowieso. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die abschließende Phase des Projektes gekommen, Susan.«

Ich starrte nur vor mich hin. Nur langsam registrierte ich, was um mich herum passierte, was gesagt wurde. Wie ein traumatisierter Zombie folgte ich meinem Onkel und Dr. Susan Carroll aus dem Büro.

Wir brauchen ihnsowieso.

Wozu brauchten sie Nico? Vermutlich würde ich das schon bald erfahren. Immerhin war ich nun Teil ihres Plans.

2

 

ZAYDEN

 

Als ich wenige Minuten später wieder meine Wohnung betrat, lag diese still und verlassen vor mir. Nico war verschwunden, zusammen mit meinem Autoschlüssel.

Es überraschte mich nicht. Wenn Nico auch nur halb so gerissen war, wie Zacharias es mir erörtert hatte, hatte er sicherlich sofort begriffen, worum es in dem spätabendlichen Meeting ging. Und dass er türmen musste, wenn er an seinem Wohlergehen hing.

Langsam ließ ich mich auf einen der Hocker sinken. Zufälligerweise der, auf dem er schweigend gesessen und zugelassen hatte, dass ich seine Schulter versorgte.

Ich sah die Szene noch immer vor mir. Wie ich ihn angefleht hatte, mir doch zu vertrauen und mir zu sagen, woher die Schusswunde stammte. Wie ich ihn zum Abschied noch geküsst hatte.

Der Verbandskasten und das Desinfektionsspray standen noch immer genauso in der Mitte des Tischs, wie ich sie zurückgelassen hatte. Als hätte sich nichts verändert.

Aber das war nur eine Illusion.

Alles hatte sich verändert. Alles.

Es war, als hätte ich Nico nie gekannt. Der Nico, den ich kannte, würde mir niemals ein Abhörgerät unterjubeln, würde mir nie absichtlich Schaden zufügen oder meine Firma, mein Lebenswerk, zugrunde richten wollen.

Gab es den Nico, in den ich mich Hals über Kopf verliebt hatte, überhaupt? Oder war es von Anfang an sein Plan gewesen, mich um den kleinen Finger zu wickeln, meine emotionale Labilität auszunutzen und dann gezielt für seine Zwecke zu verwenden? Dieser Gedanke ließ mein Herz mit einer Intensität schmerzen, wie es zuletzt beim Tod meiner Eltern der Fall gewesen war.

Und trotzdem flutete mich ein Gefühl der Erleichterung. Die Erleichterung darüber, dass Nico geistesgegenwärtig das Weite gesucht und sich in Sicherheit gebracht hatte.

Einen Moment später schlenderte Tiberius Crowfield mit gezogener Waffe und kaugummikauend in die Küche und erkundigte sich fast gelangweilt nach seinem Verbleib.

Achselzuckend deutete ich durch das Fenster auf den Platz, an dem normalerweise mein Auto geparkt stand. Daraufhin verschwand Crowfield ohne ein weiteres Wort, vermutlich, um die GPS-Funktion des Microchips in Anspruch zu nehmen, von deren Existenz ich nichts gewusst hatte.

Offensichtlich gab es eine ganze Menge wichtiger Dinge, von denen ich als zweiter Chef der Firma nichts wusste. Nachdem ich immer geglaubt hatte, den vollen Überblick über alle Geschäfte, jeden Vertrag und jeden einzelnen Kooperationspartner zu haben.

Die Tatsache war geradezu erniedrigend.

Nicht einmal Nicos Scharade hatte ich durchschauen können, trotz unserer wochenlangen Zusammenarbeit, unserer vertrauten, enorm engen Beziehung.

Eine geheuchelte Beziehung.

Mit einem zittrigen Atemzug presste ich meine Stirn gegen die kühle Oberfläche des Tischs. Ich konnte nichts tun. Nicht, solange ich nicht endgültig wusste, woran ich bei Nico war.

Wo auch immer Nicos wahre Absichten lagen und wie er zu mir stand, er war und blieb er nun erst einmal auf sich allein gestellt.

 

3

 

NICO

 

Durch die halb geschlossenen Jalousien hinter den Fenstern schimmerte dumpf das bläuliche Licht eines Bildschirms hindurch, als ich Zaydens Sportwagen vor unserem Büro parkte.

Meine Beine zitterten, als ich die Füße von den Pedalen nahm. Nie wieder würde ich mich hinter das Steuer einer solchen Horrorkiste setzen und mich mit den katastrophalen Armaturen herumschlagen. Zum Glück waren um diese Uhrzeit nicht mehr allzu viele Leute unterwegs gewesen, die man über den Haufen hätte fahren können. Es grenzte an ein Wunder, dass es keine Verletzten gab und ich den Wagen nicht zu einem Wrack verarbeitet hatte.

Als letzte Hürde kämpfte ich eine Weile mit dem merkwürdigen Autoschlüssel, bis endlich das Klicken der Zentralverriegelung erklang. Unter elektronischem Summen klappten sich die Seitenspiegel ein.

Ich atmete auf und ließ den Schlüssel mit spitzen Fingern in meine Hosentasche gleiten, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte.

Gott sei Dank.

Immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend erklomm ich die Steintreppe hinauf zur Eingangstür. Ich betete, dass Levi schon von seinem Alleingang zurückgekehrt war, hoffentlich ohne eine Abreibung von Carrolls Security erhalten zu haben.

Allerdings musste ich gar nicht lange beten. Ich kam nicht einmal dazu, nach meinem Schlüssel für die hässliche Tür zu suchen, denn kaum angekommen, wurde diese schon von innen aufgerissen und ich grob ins Innere des Gebäudes gezerrt.

Im nächsten Moment stürzte sich auch schon jemand auf mich, und ich ließ überrumpelt zu, dass Levi mich in eine kurze, kräftige Umarmung zog.

»Hey, Lev.« Unbeholfen tätschelte ich seinen Rücken und musste ächzend seinen Arm von meiner verletzten Schulter schieben. Meine Schulter, die Zayden zuvor noch so professionell versorgt hatte. Schnell verdrängte ich den Gedanken daran. An ihn. »Lev, ist alles klar?«

Ruckartig stieß Levi mich von sich, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. Mit glänzenden Augen stierte er mich an. »Howard, lass dir eine Sache sagen: Tu das nie wieder. Ich war drauf und dran, diese Scheißfirma zu stürmen! Ich dachte schon, Crowfield hat dich erwischt und abgem...«

Er verstummte abrupt und schüttelte den Kopf. Unsanft bugsierte er mich in unser schmuddeliges Büro, in dem sich außer ihm selbst um diese Uhrzeit niemand mehr aufhielt. »Was zur Hölle hast du auf dem Malcot-Anwesen überhaupt getrieben?«

Eine winzige Pause folgte, in der er offenbar im Kopf überschlug, was Zayden und ich wohl so lange getan haben könnten, und prompt machte er einen Rückzieher.

»Halt. Eigentlich will ich das gar nicht so genau wissen. Sei dir aber sicher, dass ich dich dafür früher oder später töten werde.«

Ich holte Luft, um mich zu verteidigen, doch er ließ mir keine Zeit dafür.

»Zurück zum Thema. Ich habe alles aus Carrolls Bude mitgehen lassen, was auch nur ansatzweise interessant ausgesehen hat.« Er zeigte auf den Berg aus Akten, Ordnern, Papieren und ganzen Schachteln an USB-Sticks, Festplatten und Speicherkarten, den Levi auf seinem Arbeitsplatz errichtet hatte. »Mein Kofferraum war bis oben hin voll.«

»Oh.« Beeindruckt musterte ich das Chaos. »Das sehe ich.«

Levi überging meinen Einwurf geflissentlich. »Ich hatte mit allem Recht. Was ich dir vorhin schon am Handy gesagt habe, meine ich. Carroll möchte die Nanobot-Technologie am Menschen ausfeilen. Malcot Industries, genau genommen Zacharias Malcot, stellt ihr die nötigen materiellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung. Und offenbar auch die Räumlichkeiten, aber leider ist der Ort nirgendwo genauer beschrieben.«

Als Levi dann aufsah und meinen Blick auffing, schrak ich unwillkürlich zusammen. Wir beide hatten schon die hässlichsten Geheimnisse aufgedeckt, die blutigsten Tatbestände zu Gesicht bekommen. Aber noch nie hatte ich bei meinem besten Freund derartige Bestürzung erlebt. Was auch immer er mir als Nächstes mitteilen wollte, es schien nichts für schwache Nerven zu sein.

»Ich habe die Personalakten der Versuchspersonen durchgearbeitet.« Sein Kiefer bebte kaum merklich. »Es handelt sich teilweise um Freiwillige, oft auch um Todkranke, denen eine Wunderheilung versprochen wird. Oft sind es allerdings Leute, deren rätselhaftes Verschwinden monatelang durch die Medien gegangen ist.«

Voller Abscheu wies er auf einen dicken Ordner, der aufgeklappt auf dem Drucker neben seinem Tisch lag. »Sie mussten alles Mögliche ausprobieren. Am Anfang die Verträglichkeit des Materials mit dem Organismus und die potenzielle Gefahr, dass Blutgefäße verstopft werden könnten. Tests, auf welche Weise sich die Bots im Blutkreislauf fortbewegen können. Die Auswirkungen, wenn das Material mit dem Blut ins Gehirn gelangt, ob die Technologie an den Stellen im Körper bleibt, wo sie sein soll. Tests, ob eine nachträgliche Programmierung der Bots funktionieren kann, wenn sie schon im Organismus sind. Ob man sie danach wieder vollständig deaktivieren kann, ob sie Folgeschäden hinterlassen, bla-bla-bla ...«

Seine Stimme verlor sich, bis sie ihm ganz versagte, und ein Teil von mir war froh darüber, nicht noch mehr zu hören zu bekommen.

Angestrengt kniff ich die Augen zusammen. Mit Daumen und Zeigefinger massierte ich mir die Nasenwurzel, bis ich mein Entsetzen wieder unter Kontrolle hatte.

»Was ...« Ich schluckte. »Was ist mit den ganzen Leuten am Ende passiert?«

Levi hielt den Blick starr auf die leuchtende Tastatur seines Laptops gerichtet. »Einige haben die Versuche nicht überlebt. Allergische Reaktionen auf die Fremdkörper, Infarkte aufgrund verstopfter Blutgefäße oder einer Fehlfunktion der Bots. Andere haben irreversible Schäden am Gehirn erlitten und konnten aufgrund geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen die Versuche nicht fortführen. Scheiße, Nico!«

Ich zuckte zusammen, als Levi einen bis oben hin mit Mappen gefüllten Karton quer über den Gang kickte. Eine Sintflut an flatternden Papieren verteilte sich auf dem Boden, hinterließ ein unheilvolles Chaos.

»Die Attentäter, die uns damals auf der Straße angegriffen haben«, begann ich unsicher. »Von denen Cameron danach herausgefunden hat, dass sie in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung lebten. Waren das dann also Opfer der Forschung, die sich aus irgendeinem Grund wieder erinnern konnten?«

Mein Kollege antwortete nicht, aber das musste er auch gar nicht. Im Prinzip ahnten wir beide, wie richtig ich mit dieser Vermutung lag.

Levi sog einen tiefen Atemzug ein. »Diese Dr. Carroll hat ihre Forschung bereits vor zwanzig Jahren unter dem Arbeitstitel SCR als Kürzel für Susan Carroll Robotics begonnen. Ursprünglich als Auftrag für die Medizin. Aber nach all dem, was hier so alles an Entwürfen herumflattert ... Nico, diese Freaks möchten diese Technologie nicht für medizinische Zwecke einsetzen. Vergiss es. Sie möchten Menschen zu willenlosen Robotern machen, sie fremden Zwecken entsprechend programmieren, ihnen Gedankengut und fremde Absichten aufzwingen. Weißt du, was es bedeutet, wenn Zacharias Malcot und sein Team Erfolg haben und diese Technologie in die falschen Hände gerät? Sie kann durchaus die Welt verändern, das ist richtig. Aber nicht zum Positiven. Garantiert nicht. Mit einer solchen Forschung werden Grenzen der Natur aufgehoben, die es niemals überschritten werden dürfen.«

Mit der flachen Hand schlug er auf einen hohen Stapel aus Mappen. »Ich habe die gröbsten Informationen mit einigen Scans als Beweismaterial schon zusammengestellt und per Mail an Cameron gesendet. Zusammen mit ungefähr hundert Nachrichten, dass sie ihren schottisch karierten Hintern sofort hierher bewegen soll. Am Telefon ist sie wie üblich nicht zu erreichen. Ich hoffe, die Diva ist überhaupt noch wach. Zum Teufel nochmal! Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten es wirklich ‚nur‘ mit illegalem Waffenhandel zu tun gehabt. Das hier ist einfach unfassbar unmenschlich. Ich kann nicht glauben, dass so etwas tatsächlich möglich ist. Dass es Leute gibt, die zu solchen Methoden greifen.«

Seine Worte verklangen und Schweigen senkte sich über uns.

Wie betäubt blätterte ich mich durch Levis Sammlung aus Versuchsdokumentationen. Handfeste Beweise mit technischen Eckdaten, Protokollen, Fotos und sogar Videos, alles mit Inhalten, die ich lieber nicht gesehen hätte. Jeder Idiot konnte auf den ersten Blick erkennen, wie unmoralisch die Scheiße war, die Malcot und Carroll hinter verschlossenen Türen trieben.

Mein Magen rumorte vor Ekel, doch ich zwang mich zur Konzentration. »Konntest du etwas über Tiberius Crowfield herausfinden?«

Levi zuckte mit den Schultern. »Nicht viel. Er ist scheinbar tatsächlich dieser klischeehafte, skrupellose Handlanger, der die dreckige Arbeit erledigt. Testpersonen ausfindig machen und aufsammeln. Neugierige Schnüffler vom Projekt abhalten. Wer weiß, wer oder was er ist. Oder was Malcot ihm für seine Dienste bezahlt. Ich meine, dieser alte Sack hat Geld wie Heu. Eine Million mehr oder weniger pro Jahr kratzt ihn nicht im Geringsten.« Er zögerte. »Zu Martin Freeley konnte ich auch noch ein paar Sachen ausfindig machen. Offenbar haben sie versucht, ihn auch mit ins Boot zu holen, nachdem er irgendwann Wind von der Sache bekommen hat. Aber der Typ verfügte über ein Gewissen und wollte den ganzen Kram auffliegen lassen. Deshalb hat er heimlich Kontakt zur Presse gesucht, wurde dabei jedoch erwischt. Das Resultat dieser Geschichte kennst du ja. Und als ich dich dann nicht erreichen konnte ...«

Ein Laut, der irgendwo zwischen einem Schnauben und einem Ächzen anzusiedeln war, entschlüpfte ihm. »Scheiße, Nico. Ich dachte allen Ernstes, sie hätten dich erwischt. Diese Leute gehen über Leichen. Wortwörtlich. Als Arbeitsmethode.«

Eisige Kälte kroch mein Rückgrat hinab, als mir die Erinnerungen an meinen Heimweg mit dem Fahrrad in den Kopf schossen. Das Gefühl, verfolgt zu werden, das ich nach Zaydens unerwartetem Auftauchen jedoch als reine Paranoia abgetan hatte. Das war eine begründete Angst gewesen? Und der Platten meines Fahrrads kein Zufall? Aber wozu der ganze Aufwand? Wenn sie mich aus dem Weg haben wollten, wieso hatten sie mich dann heute nach der Arbeit nicht einfach aus ausreichender Distanz erschossen? Auf der Straße war keine Menschenseele unterwegs gewesen, das nächste Wohngebiet fernab. Tiberius, oder wer auch immer, hätte freie Bahn gehabt. Oder wollten sie auch bei mir zuerst versuchen, mich für ihr Projekt zu begeistern?

Vollkommener Schwachsinn. Garantiert wussten sie schon von meiner Rolle als Maulwurf.

Frustriert lehnte ich mich zurück. Zwecklos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, diese Sache überstieg sämtliche Dimensionen meines Auffassungsvermögens.

Schweigend beobachtete ich Levi dabei, wie er in irgendeinem Ordner wühlte, bis das Geräusch einer zuschlagenden Autotür erklang und uns hochfahren ließ.

Hoffnungsfroh spähte Levi zum Fenster. Den Ordner warf er mit einem lauten Knall auf den Schreibtisch. »Das ist Cameron. Endlich. Sie soll sofort entscheiden, was wir mit diesem Wahnsinnsplot hier anfangen. Ich mache ihr auf.«

Während Levi eilig über das am Boden verstreute Papierchaos hinweg zur Tür stakste, schlug ich zögerlich den Ordner mit den persönlichen Daten der Versuchspersonen auf, in dem Levi bis eben noch geblättert hatte.

Wie das Verzeichnis auf der ersten Seite verriet, handelte es sich um fünfzig Menschen jeden Geschlechts, aus allen Altersstufen und von jeglicher Herkunft. Hinter jedem Namen war noch handschriftlich eine Nummer hinzugefügt worden, zusammen mit einem Datum des Versuchsbeginns – und bei einer erschreckend hohen Anzahl auch das Todesdatum.

Mit jedem Blatt, das ich umblätterte, schien sich mein Magen ein Stück mehr auf Rebellionskurs zu begeben. Irgendwann brachte ich es nicht mehr über mich, die viel zu zahlreichen Fotos anzublicken. Fotos, von denen mir ahnungslose Gesichter entgegenlächelten. Menschen, die Träume und Pläne für ihr Leben verfolgt hatten. Wie zur Hölle konnte man in der Lage sein, all diese Leben zu zerstören? Und wer konnte es tatenlos beobachten und zulassen?

Das hier war krank. Einfach nur krank.

Ich wollte den Ordner von mir schieben, doch im allerletzten Moment stach mir auf einer Seite ein Name ins Auge. Der Name Malcot.

Stirnrunzelnd hielt ich inne, überflog das dicht beschriebene und zerknitterte Dokument, bis ich die entsprechende Stelle wiedergefunden hatte.

Joanne Malcot.

Der Name allein hätte mich noch nicht allzu stutzig gemacht, immerhin war Malcot Industries der Rahmen, in dem die Forschung stattfand. Natürlich stieß man bei einer Durchsicht der Unterlagen auf den Familiennamen. Doch in diesem Fall, in Kombination mit dem Foto, das in der oberen Ecke prangte, ließ er mir den Atem stocken.

Ich kannte diese Frau.

Ich kannte sie aus Zaydens Büro. Das eingerahmte Foto seiner Eltern, auf dessen Rückseite sich der Code für die Aktenschränke befunden hatte.

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Seine Eltern.

Dieser Name gehörte zu Zaydens Mutter.

Mit schweißnassen Fingern blätterte ich eine Seite weiter und fand mich Angesicht zu Angesicht mit Reginald Malcot wieder. Auch ihn kannte ich von demselben Foto.

Wie betäubt ließ ich mich in meinem Stuhl zurücksacken. Meine Finger lösten sich von dem Papier, rutschten über die Kante des Schreibtischs hinweg und fielen mir schließlich kraftlos auf die Oberschenkel.

Zaydens Eltern waren nicht infolge eines Autounfalls gestorben, wie Zayden es mir erzählt hatte und wovon er selbst ebenso überzeugt war. Sie waren Versuchspersonen der Nanobot-Experimente gewesen und dabei verstorben. Ich bezweifelte, dass Zacharias Malcot jemals vorgehabt hatte, seinen Neffen in diese Tatsache einzuweihen. Abartig.

»Levi.« Ohne mich nach meinem Kollegen umzusehen, scannte ich die beiden Protokolle nach dem Versuchsausgang. Bei Zaydens Vater Reginald stieß ich sofort auf ein Sterbedatum, während jemand am Ende von Joanne Malcots Bericht per Hand Versuchsabbruch aufgrund irreparabler mentaler Schäden notiert hatte.

Wie von selbst ballten sich meine Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte ich meiner Frustration, meiner Wut, meiner Fassungslosigkeit Luft gemacht.

Wie konnte so etwas nur passieren? Wie war es möglich, dass Menschen auf diese Weise starben, ohne dass jemand etwas davon mitbekam? Wie?

Niemand würde mir eine Antwort auf diese Frage liefern können.

»Levi!«, rief ich erneut, nun eine Spur gereizter als zuvor, und hob den Kopf, als ich wieder keine Antwort erhielt. Wie lange brauchte er denn bitte, um Cameron in Empfang zu nehmen? Veranstalteten die zwei draußen ein Kaffeekränzchen?

Und dann befiel mich schlagartig das mittlerweile nur zu vertraute, schlechte Gefühl einer finsteren Vorahnung. Niemals würden Cameron und Levi sich in einer derartigen Situation so lange draußen auf der nächtlichen Straße unterhalten.

Irgendetwas stimmte nicht.

Alarmiert erhob ich mich. Der Raum wurde nur in spärliches Licht getaucht, ausgehend von Levis Laptop sowie der LED-Lampe auf seinem Schreibtisch, aber das reichte aus, um meine Silhouette als tanzenden Schatten an die gegenüberliegende Wand zu werfen.

Beide Türen, sowohl die innere zum Sammelbüro als auch die offizielle Außentür zur Straße hinaus standen offen und ließen dem kalten Herbstwind freien Durchzug.

Unschlüssig verlagerte ich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, beäugte abschätzend den dunkel vor mir liegenden Flur. Jeder Faser meines Seins widerstrebte es, ihn zu betreten. Sollte ich nicht doch lieber aus dem Fenster klettern und aus einer unerwarteten Richtung zur Szene hinzustoßen?

Nein, das dauerte viel zu lange und würde außerdem genug Lärm produzieren, um jedes Lebewesen im Umkreis von zwei Kilometern auf mich aufmerksam machen. Und der andere Ausgang führte lediglich auf das Raucherareal im winzigen Hinterhof hinaus. Dort säße ich einwandfrei in der Falle. Wie hier drin auch.

Meine Gedanken rasten. Spielte mir mein Bauchgefühl lediglich einen Streich? Angesichts dessen, dass keine Stimmen zu hören waren, verwarf ich diese wahnwitzig naive Theorie sofort wieder.

Verdammt.

Entschlossen aktivierte ich die Taschenlampe meines Smartphones. Jetzt oder nie.

Mein Handy fest umklammert trat ich in den Flur hinaus. In mir tobte die surreale Angst, die Finsternis könnte mich jede Sekunde verschlucken.

Nichts geschah. Niemand war zu sehen, niemand stürzte sich auf mich und niemand hielt mir eine Waffe vor die Nase.

Erneut übermannten mich Zweifel.

Vielleicht täuschte ich mich doch und es drohte gar keine Gefahr? Mein Herz schlug wie verrückt gegen meinen Brustkorb, als ich die massive, holzvertäfelte Tür aufschwingen ließ und über die Eingangstreppe hinab auf die Straße blickte. Kälte strömte mir entgegen, fuhr mir binnen Sekunden unter den dünnen Stoff meines Hemds. Das Licht meiner Taschenlampe spiegelte sich grell in den Pfützen, die der Regen hinterlassen hatte.

Angespannt leuchtete ich in beide Richtungen, doch auch hier war keine Menschenseele auszumachen. Straße und Gehweg lagen still und verlassen vor mir, Zaydens Wagen, mit dem ich hergekommen war, stand einsam am Straßenrand.

Alles schien normal zu sein.

Aber wo war dann das Fahrzeug, dessen zuschlagende Tür vorhin zu hören gewesen war? Cameron würde auf keinen Fall so weit weg parken, dass man ihr Auto von hier aus nicht sehen konnte. Sie mochte ja eine Diva sein, aber noch viel mehr eine bildschirmliebhabende und vor allem faule Diva, die Bewegung jeglicher Art verabscheute.

Die Erkenntnis, dass Cameron gar nicht erst hier angekommen war, traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Und doch einen winzigen, verhängnisvollen Moment zu spät.

Ich spürte es noch.

Eine Millisekunde im Vorfeld spürte ich noch, wie aus dem Nichts eine Präsenz hinter mir auftauchte – und dann schlang sich auch schon blitzschnell ein muskulöser Arm um meinen Oberkörper, umschloss meine eigenen Arme in einer stählernen Umklammerung. Bevor ich reflexartig wie am Spieß zu schreien beginnen konnte, wurde eine behandschuhte Hand auf meinen Mund gepresst, erstickte jeglichen Laut zu einem kläglichen Keuchen.

Mein Handy krachte splitternd zu Boden, das Licht der Taschenlampe erlosch sofort.

Blut rauschte in meinen Ohren, während sich meine übrigen Sinne von einem Moment auf den anderen unnatürlich schnell schärften. Meine Nase registrierte den Geruch eines teuren Männerparfüms, der mir von irgendwoher bekannt vorkam. Meine Augen flitzten von einer Ecke zur anderen, verzweifelt nach einer potenziellen Waffe Ausschau haltend. Auf der Zunge schmeckte ich den metallischen Geschmack von Blut, scheinbar hatte ich mir vor Schreck auf die Innenseite meiner Wange gebissen.

Hartnäckig wand ich mich im Klammergriff meines Angreifers, stemmte meine Fersen in den Boden, als der Typ damit begann, mich die Treppe hinab in Richtung Straße zu zerren. Sein Griff war eisern und ließ mir keine Chance, mich zu befreien. Unsanft riss er mich auf die Stufen hinab, nachdem er einem weiteren meiner wütenden Tritte geschickt ausgewichen war. Bei der Kollision mit dem harten Stein zuckte Schmerz durch meinen Arm, und doch gelang es mir, aus den Augenwinkeln ein Stück weiter vorne einen unbekannten, unscheinbaren Transporter zu entdecken. Garantiert das Fluchtfahrzeug von diesem Dreckskerl hier.

Endgültig erfasste mich Panik, als mir die Aussichtslosigkeit meiner Lage bewusstwurde. Zwar sollte der Typ mich offenbar nicht töten, sonst hätte er es längst getan. Stattdessen schien er den Auftrag zu haben, meine Person lebend zu konfiszieren und an irgendeinen Ort zu bringen, und das war schlimm genug.

Irgendeinen Ort.

Eine dunkle Vorahnung dessen, was das bedeuten könnte, keimte in mir auf. Wollten sie ... wollten sie mich ebenfalls in ihr Versuchslabor stecken?

---ENDE DER LESEPROBE---