Rebekkas Erbe (2) - Bernhard Kürzl - E-Book

Rebekkas Erbe (2) E-Book

Bernhard Kürzl

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Beschreibung

Zwei Jahre sind seit der Rückkehr von Ildrovan vergangen. Während sich die neuen Technologien nur langsam durchsetzen können, wird der Grat zwischen Paradies und Untergang immer schmaler. In dieser Situation startet Maria Lichtenberg einen Blitzkrieg gegen die gesamte Menschheit. Rebekka, Benny und ihre Freunde versuchen sie mit einer Flotte von weltraumtauglichen Hightech-Flugzeugen aufzuhalten, doch der Feind ist bereits mitten unter ihnen. Lichtenbergs oberstes Ziel ist es, an den leistungsfähigsten Mikroprozessor der Welt zu gelangen, um eine alles vernichtende Waffe zu bauen. Dieser Kugelprozessor sitzt in einem Roboter mit Eigenleben: Benny! Rebekka will mit den verbliebenen 25.000 Menschen die sterbende Erde verlassen. Das alte Ildrovan-Raumschiff, das vor zwei Millionen Jahren auf der Erde gelandet war, soll die letzte Arche werden. Doch es fehlt an Treibstoff, Wasser, Nahrung und Sauerstoff.

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Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Das Buch

Zwei Jahre nach der Rückkehr von Ildrovan startet Maria Lichtenberg einen Blitzkrieg gegen die gesamte Menschheit. Ihr oberstes Ziel ist es, den leistungsfähigsten Mikroprozessor der Welt in ihren Besitz zu bringen, um eine alles vernichtende Waffe zu bauen. Doch dieser Kugelprozessor sitzt in einem Roboter mit Eigenleben: Benny!

Der Untergang der Menschheit auf der Erde ist besiegelt. Lichtenbergs Aufmerksamkeit gilt nun Ildrovan. Rebekka will mit den verbliebenen 25.000 Menschen die sterbende Erde verlassen. Das alte Ildrovan-Raumschiff, das vor zwei Millionen Jahren auf der Erde gelandet war, soll die letzte Arche werden. Doch es fehlt an Treibstoff, Wasser, Nahrung und Sauerstoff.

Der Autor

Bernhard Kürzl wurde in Frankfurt am Main geboren und veröffentlichte sein erstes Buch 1997, das Pferde-Fantasy-Abenteuer Mac Mountain. Als Hochzeitsgeschenk für seine Frau erschien 2007 die Fantasy-Geschichte Prinzessin Sina. 2010 folgte das spirituelle Abenteuer Der Lichtgarten von Helgoland, das nach einer kompletten Überarbeitung 2016 in einer neuen Version herauskam. Mit der Kurzgeschichte Mein zweites Leben beteiligte Bernhard Kürzl sich 2018 an der Weihnachtsanthologie der Rosenheimer Autoren. 2019 erschien der 1. Teil der Science-Fiction-Reihe Rebekkas Erbe mit dem Untertitel Das Luftschiff.

www.kuerzl.de

www.rebekkas-erbe.de

Bernhard Kürzl

Rebekkas Erbe

2. Teil

Verlorener Planet

Science-Fiction

© 2021 Bernhard Kürzl

Umschlaggestaltung: Bernhard Kürzl

- Covermodel: © Fotoatelier G. Nebl

- Familienwappen: © Pro Heraldica

- Eichhörnchen: shutterstock 124829491 photomaster

- Ruinen: shutterstock 1173100816 SugaBom86

Shutterstock 1199101213 Nadezhda79

Lektorat: Johanna Furch

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback      978-3-347-24161-9

Hardcover      978-3-347-24162-6

E-Book            978-3-347-24163-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Effie

Prolog

Gemächlich schob der Wind die Wolkendecke über den Arlington-Friedhof. Ein einsamer Pickup fuhr durch die milde Winternacht auf einer nahegelegenen Straße, kurz darauf ein Polizeiwagen, dann war es wieder still. Völlig unbemerkt tauchten drei riesige Gebilde, wie fliegende Wagenräder, unterhalb der Wolkendecke auf und formierten sich zu einem Dreieck um das Pentagon. Die unbeleuchteten Flugobjekte standen kaum erkennbar ruhig am nächtlichen Himmel, als würden sie auf etwas warten, dabei drehten sie sich ganz langsam um die eigenen Achsen.

»In Position und feuerbereit!«, meldete sich der Captain des ersten Flugobjekts auf dem Bildschirm in Lichtenbergs Büro. Kurz danach bestätigten auch die anderen beiden die Bereitschaft.

Maria Lichtenberg lehnte sich zufrieden zurück. »Es ist Zeit, mit dem Versteckspielen aufzuhören. Machen Sie es platt!«

Der erste Offizier zögerte zwei Sekunden, dann drückte er die Taste zum Abfeuern. In dem Moment ertönte ein lautes Warnsignal auf der Brücke. In großer Aufregung schrie und rannte die Besatzung durcheinander. Lichtenberg sah auf ihrem Monitor, wie Rauch in die Brücke eindrang. »Abbruch! Sofort alle Schiffe zurück!«

Die Stimmung im abgedunkelten Besprechungsraum war gedrückt. Maria Lichtenberg saß am Kopfende des großen ovalen Tisches und beobachtete mit unterdrückter Wut die Gesichter ihrer drei Flugkapitäne und fünf Techniker. »Haben Sie herausgefunden, warum der Angriff gescheitert ist? Und ich warne Sie, falls mich Ihre Antwort nicht überzeugen sollte!«

»Es … es ist die hohe Rechenleistung«, begann einer der Techniker. »Wir können die freie Energie nicht modulieren. Die neuen Kugelprozessoren in den kleinen Bordcomputern wurden viel heißer als erwartet und sind zusammengeschmolzen. Es sind auch keine echten dreidimensionale Prozessoren. Sie haben nur mehrere Ebenen übereinander. Wir müssten unsere Flugschiffe mit ganzen Rechenzentren ausrüsten, solange die andere Technik noch nicht ausgereift ist.«

Lichtenbergs Faust knallte so heftig auf den Tisch, dass nicht nur die acht Männer zusammenzuckten, sondern auch einige Wassergläser sich für den Bruchteil einer Sekunde minimal von der Tischplatte hoben. »Nicht ausgereift? Meine Spione haben herausgefunden, dass schon vor Jahren ein funktionsfähiger Kugelprozessor gebaut wurde, der ein heutiges Rechenzentrum auf Taschenrechnergröße gebracht hat. Warum können wir das nicht? Wir schaffen es ja noch nicht einmal, unsere Schiffe mit der freien Energie anzutreiben, sondern müssen auf Magnetturbinen zurückgreifen.« Lichtenberg atmete tief durch, während den Herren der Angstschweiß von der Stirn tropfte.

»Ähm«, meldete sich ein anderer Techniker. »Es gibt weltweit kein Flugzeug, nicht mal ein militärisches, das einen Antrieb mit freier Energie hat. Die Entwicklung ist noch nicht soweit.«

Lichtenberg ging nicht darauf ein. Sie dachte einen Moment nach und fuhr wesentlich ruhiger fort: »Haben Sie inzwischen in Erfahrung bringen können, ob es den Prototyp des Kugelprozessors noch gibt und wo er sich aufhält?«

Niemand antwortete, bis ein Techniker Lichtenbergs zornigen Blick auf sich zog. Er schluckte. »Der Prozessor scheint noch zu existieren, aber sein Aufenthaltsort ist nicht bestimmbar. Er wurde in einem Roboter eingebaut.«

Lichtenberg zog verwundert die Augenbrauen hoch. »In einem Roboter? Der muss doch zu finden sein. Wem gehört er?«

»Äh, niemandem!«

»Bitte?«

»Dieser Roboter führt anscheinend ein Eigenleben!«

Lichtenberg erhob sich von ihrem Stuhl, drehte sich zum Fenster und ließ ihren Blick ziellos über die Skyline schweifen, hinter der langsam die Sonne aufging. Ihre Frage stellte sie ganz leise: »Dieser Roboter ist nicht zufällig ein Eichhörnchen?« Als kein Wort fiel, drehte sie sich um und sah das ängstliche Nicken von zwei der Techniker. Sie ließ einen Wutschrei los, der jeden Therapeuten hätte blass werden lassen. Dann traf erneut ihre Faust die Tischplatte. »Benny! Schon wieder dieses verdammte Mistvieh! Irgendwann bekomme ich von diesem Kinderspielzeug Alpträume. Aber ich kriege dich. Ich werde den Prozessor persönlich aus deinem Inneren pulen und den Rest genüsslich zertreten!«

© Fotoatelier G. Nebl (Model), shutterstock 124829491, photomaster (Eichhörnchen) shutterstock 791707792, nazarovsergey (Roulettetisch) Pixabay (Casino)

1. Der Nightbird

Sebastian Felder nahm einen Schluck seines Warsteiners und genoss, wie das kühle Bier wohltuend seine Kehle hinunterrann. Er stellte das Bierglas wieder ab und wischte sich den Schaum von den Lippen, ohne dabei seinen Blick von den beiden blonden jungen Frauen zu nehmen. Wie jeden Freitagabend suchte er mit seinem Freund die Spielbank auf. Allerdings nicht nur zum Spielen.

»Und, welche ist deine Favoritin?«, fragte Lucas Drescher, der neben ihm auf dem Barhocker saß.

»Na, die Blonde.«

»Scherzkeks!«

»Die Hellere. Die junge ist mir noch zu grün.«

»Vergiss es! Die beiden sind Lesben.«

Sebastian drehte sich erschrocken zu seinem Freund. »Meinst du wirklich?«

»Die halten doch dauernd Händchen. Und wie die sich in die Augen sehen, da hast du keine Chance!«

»Wenn Frauen Händchen halten, sind es gute Freundinnen, wenn das Männer machen, sind sie schwul. Also werde ich mal meinen Charme spielen lassen.« Damit rutschte Sebastian vom Barhocker, machte einen Schritt und blieb erschrocken stehen.

Lucas hinter ihm kicherte. »Dem Kuss nach sind es nicht nur gute Freundinnen!«

»Rien ne va plus«, rief der Croupier, trotzdem legte ein älterer Herr gelassen weiter seine Jetons. Als die Kugel gegen die Rhomben im Roulettekessel stieß, wies der Croupier den Mann darauf hin, dass die Einsätze nicht mehr gezählt werden.

»Ganz schön frech«, flüsterte Rebekka zu Daniela, die neben ihr am Roulettetisch stand.

»Schon interessant, was man hier für Menschen trifft. Und ich wette, mit der Hälfte meiner Einschätzungen würde ich falsch liegen.«

»Wie meinst du das?«

»Die Frau da hinten, zum Beispiel.« Daniela deutete unauffällig auf eine Mitdreißigerin in einem gepunkteten, schürzenähnlichen Kleid.

»Die Putzfrau?«

Daniela schmunzelte. »Ja, sie hat was von einer einfachen Hausfrau, die ein bisschen ihr Haushaltsgeld aufbessern will. Jedenfalls dachte ich das, bis ich sie an der Kasse gesehen habe. Und der Typ da mit seinen dicken Ringen sieht aus wie ein Mafia-Boss. Das ist der Bauunternehmer Willinger.«

»Der ist doch pleite!«

»Genau!« Daniela setzte zehn Euro auf schwarz. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum du unbedingt nach Bad Homburg fahren wolltest? Die Spielbank in Hannover wäre doch wesentlich näher gewesen.«

Rebekka setzte zwei Jetons zu je zehn Euro auf die ersten beiden Reihen. »Weil sie eine besondere Geschichte hat und sozusagen die Mutter von Monte Carlo ist. Mein Vater hatte von der gemütlichen Clubatmosphäre geschwärmt, aber seit dem Umbau vor einigen Jahren ist davon leider nichts mehr zu spüren. Finde ich schade.«

»Also, ich mag die helle Einrichtung. Und ich habe gewonnen!«

Gerade als Daniela ihren Gewinn aufnahm, hörte Rebekka von einem anderen Spieltisch einen Tumult. Was war da los? Sie löste sich von ihrem Tisch und wurde unweigerlich mit einigen anderen Spielern in die Nähe eines belagerten Spieltisches geschoben. Zwischen vielen anderen Gästen eingezwängt, drängte sich Daniela zu ihr. »Du hast deinen Gewinn vergessen!«

»Oh, hast du ihn mitgenommen?«

»Ja! Was ist passiert?«

»So wie ich das verstanden habe, ist die Roulettekugel verschwunden.« Rebekka beobachtete, wie der Zylindercroupier sichtlich angespannt die Videoaufzeichnung prüfte und mehrmals leicht seinen Kopf schüttelte. Er flüsterte mit seinem Kollegen. Rebekka vernahm etwas wie »unmöglich« und »hat es noch nie gegeben«. Nachdem es dort nicht weiterging, suchte sie sich mit Daniela eine ruhigere Ecke. »Wenn ich nicht wüsste, dass Benny im Kurpark nach Eichhörnchen Ausschau hält …«

»Hast du mich gerufen?« Benny war mit einem Satz auf Rebekkas Schulter gelandet.

»Benny!«, flüsterte Rebekka scharf. »Du darfst dich doch hier nicht blicken lassen!«

»Es stand kein Schild an der Tür, dass ich draußen warten muss.«

»Noch nicht«, antwortete Daniela schmunzelnd. »Wenn sich die Haustierroboter von Klaus und Jan weiter so gut verkaufen, dürfte das nur eine Frage der Zeit sein.«

»Aber guck mal, was ich Tolles gefunden habe.« Benny hielt die Roulettekugel hoch. »Ist sie nicht wunderschön?«

»Oh nein!« Rebekka wurde blass. »Du hast die Kugel geklaut? Das gibt bestimmt Ärger.«

»Ich habe sie mir nur ausgeliehen, weil ich sie mir in Ruhe ansehen wollte. Auf dem Spieltisch hätte man mir das bestimmt nicht erlaubt. Wie ich festgestellt habe, ist sie nicht aus Elfenbein, sondern aus einem schweren Kunststoff.«

»Ja, Benny«, sagte Daniela. »Dafür wird schon lange kein Elfenbein mehr verwendet. Aber du solltest sie schnellstens ganz unauffällig zurückbringen.«

»Von hier aus?«

»Ja, sicher, wie sonst?«

Benny holte aus. Als Rebekka erkannte, was er vorhatte, schrie sie leise auf: »Nein!« Aber da flog die Kugel bereits im hohen Bogen zielgenau Richtung Roulettetisch und knallte lautstark in den Kessel.

Benny grinste. »Toll, getroffen!« Dann bemerkte er die entsetzten Gesichter der beiden Frauen. »Habe ich was falsch gemacht?«

Rebekka und Daniela kamen aus dem Lachen nicht mehr raus. Sie eilten zur Garderobe und verließen mit Benny die Spielbank wesentlich früher als geplant.

Als Rebekka die Augen aufschlug, blickte sie geradewegs auf die schwach beleuchtete LCD-Anzeige ihres Weckers: 6.52 Uhr. Heute war Sonntag, es stand nichts auf dem Plan. Sie rollte sich auf die andere Seite. Daniela war nicht da. Erstaunt setzte sie sich auf, versuchte durch die Schlitze des Rollladens etwas zu erkennen, aber es war noch stockfinster. Was war das für ein Geruch? Rebekka sog die Luft tief ein und strahlte. Trotz ihrer Müdigkeit gelang es ihr, relativ zügig aus dem Bett zu klettern. Ihre nackten Füße ertasteten den naturfarbenen Wollteppich. Barfuß im Pyjama folgte sie dem Duft des Kaffees bis in die Küche. Nur mit einem karierten Hemd bedeckt, das ihr knapp über das Gesäß reichte, goss Daniela noch einmal heißes Wasser auf das schon feuchte Kaffeepulver im Porzellanfilter. Als sie Rebekka bemerkte, funkelten ihre Augen. »Handgebrühter Kaffee?«

Dieser Blick ging Rebekka durch den ganzen Körper und machte sich besonders stark im Unterleib bemerkbar. Sie schmiegte sich von hinten an ihre etwas kleinere Freundin und ließ ihre Hände von Danielas Schultern langsam über ihre Brüste gleiten.

»Vorsicht!«, warnte Daniela und lachte. »Das Wasser ist sehr heiß.«

»Nicht nur das Wasser.« Rebekka ließ ihre Hände auf Danielas Brüsten ruhen, wartete, bis sie den Wasserkocher abgestellt hatte und wanderte mit ihren Händen weiter bis zum Saum des Hemds und ein Stück weiter nach unten …

Daniela drehte sich um, sodass Rebekkas Hände nun ihren Hintern umfassten. »Vor oder nach dem Kaffee?« Sie gab Rebekka einen sanften Kuss.

»Das ist doch eine Thermoskanne, oder?«

»Sicher.« Daniela zog grinsend ihre Augenbrauen hoch.

»Und wo ist Benny?«

»Der wollte Schnee räumen.«

Verwundert ließ Rebekka ihre Hände sinken. »Schnee?«

»Ja, es hat heute Nacht geschneit. Nicht viel, aber zwei Zentimeter dürften es sein.«

»Und Benny räumt Schnee? Womit? Mit einem Esslöffel?«

Daniela zuckte mit den Schultern. »Also, das Wasser braucht noch dreißig Sekunden, bis es durchgelaufen ist.« Sie löste sich von Rebekka und sprang mit einem Satz auf eine freie Stelle der Arbeitsplatte. Ihr kariertes Hemd rutschte vollends hoch. Sie schlang ihre Beine um Rebekkas Hüften und zog sie zu sich heran. Dass das Wasser bereits durchgelaufen war, interessierte nicht mehr.

Das weitere Frühstück verlief im Bett, zunächst nur krümelreich, bis die Lust auf Zärtlichkeit und Fleisch größer wurde als die auf Marmelade und Honig.

»Ich glaube, es wird höchste Zeit, die Bettwäsche zu wechseln«, sagte Rebekka und betrachtete die verteilten Lebensmittelreste.

»Das habe ich gestern erst gemacht.« Daniela lachte und küsste Rebekkas Brüste.

»Vielleicht sollten wir vom Frühstück im Bett erst mal eine Weile Abschied nehmen.«

»Oder wir nehmen Bettwäsche aus Plastik, die wir danach mit dem Schlauch abspritzen.«

Rebekka kämpfte sich nach oben und lag auf Daniela. »Die Idee könnte auch von Benny stammen.« Sie überlegte drei Sekunden. »Normalerweise hätte er längst stören oder wenigstens Lust auf Frühstück bekommen müssen. Ich glaube, ich sehe mal besser nach ihm.«

Als sich Rebekka aufsetzen wollte, zog Daniela sie noch einmal zurück, küsste sie so auf die Lippen, dass Rebekka versucht war, wieder zurückzukriechen.

»Schluss, Ende, aus!«, rief sie mit gespielter Empörung, lachte los und kletterte aus dem Bett.

Hand in Hand gingen die beiden jungen Frauen zur Garage und trauten ihren Augen nicht. Eine einzige Gehwegplatte vor dem Garagentor war schneefrei. Daneben lagen eine winzige Schaufel und Benny, alle Viere von sich gestreckt.

»Benny!«, rief Rebekka besorgt. »Was ist passiert?«

»Oh, ich bin so erschöpft. Schneeschieben ist ganz schön anstrengend. Aber die erste Platte habe ich ja schon.«

Daniela lachte sich kaputt, während Rebekka versuchte ernst zu bleiben. »Was denkst du, wann du mit der Einfahrt fertig bist?«

Benny setzte sich auf und sah sich um. »Also bei meinem beeindruckenden Tempo in etwa zwei Stunden.«

»So lange hast du ja schon für die erste Platte gebraucht.«

»Ja, und es taut. In zwei Stunden ist kein Schnee mehr da.«

»Und woher hast du die kleine Schaufel?«

»Von einem Gartenzwerg in der Nachbarschaft geliehen.«

»Wieso bist du überhaupt erschöpft?«, fragte Daniela.

»So ein Eichhörnchenleben ist nicht einfach.« Benny lachte laut los und rollte sich kichernd über die hauchdünne Schneedecke. »Was meint ihr, wie lange ich für diese Show geübt habe? Das erschöpfte Eichhörnchen. War ich überzeugend?«

Rebekka ging in die Hocke und streckte ihm ihre Hand entgegen. »Wenn ich dich nicht kennen würde, würde ich dir alles glauben. Komm rein, frühstücken. Nachher kommt Papa und will einen Ausflug mit uns machen.«

»Oh ja, ich weiß. Der wird eigentlich wegen mir gemacht, aber da du die Einzige bist, die keine Ahnung hat, wird es Zeit, dass du eingeweiht wirst.«

Rebekkas Augen wurden größer. Benny sprang auf ihre Hand und weiter auf ihre Schulter.

»Jetzt verratet mir doch endlich, wo es hingeht«, drängte Rebekka mit gespieltem Protest. »Das ist doch Norden? Also doch nach Norwegen?«

»Nicht ganz, aber nah dran«, sagte Daniela und steuerte den Learjet 75 ein kurzes Stück über die Ostsee.

»Der Vogel der Nacht kann auch ins All!«, sagte Klaus.

»Das Weltraumflugzeug?« Rebekka strahlte wie ein kleines Kind.

»Genau. Du wirst den Nightbird kennenlernen.«

Wenige Minuten später flogen sie bereits über Schweden und nach knapp zwei Stunden erblickte Klaus den winzigen Flughafen und schluckte. »Ist die Landebahn für unsere Maschine nicht ein bisschen zu kurz? Vielleicht hätten wir doch wieder den Landweg nehmen sollen, wie bei den ersten Malen.«

»Solange sie nicht vereist ist, reicht sie für die Landung allemal«, antwortete Daniela, »nur für den Start wäre sie etwas knapp, aber der Jet wurde ja frisiert. Die Strahltriebwerke wurden durch Magnetturbinen ausgetauscht und die Tanks durch Wasserstoffbehälter. Jetzt ist der Schub so stark, dass wir deutlich vor dem Ende abheben. Ich habe es schon ausprobiert.« Sie steuerte den Jet aus der Kurve und setzte zur Landung auf dem South Lapland Airport Vilhelmina an.

Mit einem Mietwagen fuhren die vier und Benny durch die verschneite Landschaft zum Norrsjön, einem großen See nordöstlich des Flughafens.

»Warum wundere ich mich eigentlich noch darüber, dass ihr alles, was fliegen kann, versenken müsst?«, scherzte Rebekka.

»Manche Dinge sollten eben nicht für alle Augen sichtbar sein«, antwortete Daniela und schmiegte sich an ihre Freundin.

»Aber, dass es hier auch ein paar Touristen gibt, wisst ihr schon, oder?«

»Wir haben hier ein Ferienhaus«, sagte Klaus. »Wir werden dort bis zur Dunkelheit warten. Es dämmert ja sowieso schon.«

Das gefrorene Gras knirschte unter Rebekkas Sohlen. In der Dunkelheit hatte sie allein die Hütte verlassen und war ein paar Meter Richtung See gegangen. Sie brauchte frische Luft und ein paar Minuten für sich. Wie ein ziehender Schmerz spürte sie das Heimweh in ihrer Brust, als hätte sie schon immer auf Ildrovan gelebt. Sie fühlte sich einsam. Warum erfuhr sie als Letzte alle Pläne? Vertraute ihr denn niemand? Sie zog die fellbesetzte Kapuze ihre Parkas über den Kopf und wurde durch ein Licht abgelenkt. Sie blieb stehen, lächelte in das grünliche Polarlicht und schlang ihre Arme um den Oberkörper. In welcher Richtung lag Ildrovan? Wie erging es ihrem Volk? Sie streckte die Arme in Richtung des Polarlichtes, als wollte sie es greifen. Für einen Moment schienen ihre Handflächen blau zu leuchten. Erschrocken zog Rebekka ihre Hände zurück und betrachtete die Innenflächen.

»Wie hast du das gemacht?« Benny saß neben ihren Füßen.

»Du hast es auch gesehen? Ich dachte, es wäre Einbildung gewesen.«

»Sah aus, als wolltest du auch so eine schöne blaue Kugel bauen, wie ich es auf Ildrovan als Schutz gegen den Pilz gemacht hatte. Mach‘s nochmal!«

Rebekka streckte die Hände wieder aus, doch nichts geschah. »Ich habe keine Ahnung, was das eben war. Was machst du eigentlich hier? Verfolgst du mich?«

»Ich bin ein Wachhörnchen!« Mit einem kräftigen Sprung saß er auf Rebekkas Schulter. »Ich pass auf dich auf.«

Rebekka strich ihm über den Rücken. »Na, dann bin ich ja beruhigt.« Sie ging einige Schritte weiter.

»Piep!«

»Was ist los?«, fragte Rebekka und ging weiter.

»Piep-piep!«

»Benny, warum piepst du?«

»Noch zwei Schritte und du stehst im Eiswasser.«

»Ich dachte, das Ufer wäre erst dort hinten.«

»Du bist schon auf dem Eis, aber hier ist es noch dick genug. Oh, da kommen die anderen!«

»Was machst du hier draußen allein, Rebekka?«, fragte Daniela. »Alles in Ordnung?«

Rebekka nickte. »Ich wollte den Himmel sehen und brauchte frische Luft. Und Benny ist ja bei mir.«

»Jetzt ist es schon so früh hier dunkel und dann haben wir so helles Polarlicht«, sagte Klaus.

»Ist das so ein, wie ist das Wetter heute?«, fragte Rebekka und sah ihren Vater mit verschränkten Armen vorwurfsvoll an.

»Was ist los mit dir?«, fragte der.

»Entschuldige, ich war gerade etwas sauer, weil ich wieder mal als Einzige über nichts Bescheid weiß.«

»Aber das hatte ich dir doch schon in Norwegen erklärt«, sagte Daniela und legte ihren Arm um sie. »Je weniger davon wussten, desto besser. Lichtenberg kann jeden zum Reden bringen, und vielleicht hat sie auch Spione.«

Rebekka nickte und sah auf den Boden. »Wir sind eine Familie.«

»Äh ja«, lenkte Klaus ab, »übrigens, links ist unsere Bootsgarage.«

Rebekka versuchte, etwas zu erkennen, doch trotz des Nordlichts blieb für ihre Augen die Garage unsichtbar. »Ich sehe nichts. Wie wollt ihr mit einem Boot übers Eis? Ein Schlauchboot schieben?«

»Rebekka«, sagte Jan, »vor zwei Jahren begann ein neues Zeitalter. Wir haben so etwas wie ein lautloses Luftkissenboot.«

»Ein schwimmfähiger Gleiter?«

Jan nickte und grinste. »Genau. Die Technik der Ildrovan-Gleiter in einer modernen Bootsform. Wenn schon die Autoindustrie es auch nach zwei Jahren nicht fertiggebracht hat, Autos mit diesem Energiekissen zu bauen, dann nutzen wir es eben für unsere Zwecke.«

»Das lag vermutlich am Widerstand der Reifenindustrie«, sagte Klaus. »Ein räderloses Fahrzeug muss das absolute Grauen für die sein.«

Erst kurz vor der Bootsgarage konnte Rebekka das niedrige, fast unsichtbar in die Landschaft eingepasste Bauwerk sehen. Jan öffnete mit einem Schlüssel die Tür und zog das leichte Boot mühelos auf die Eisfläche.

»Bitte einsteigen.«

Während der geräuscharmen Fahrt kontrollierte Klaus mit einem Tablet die Richtung. Nach einer kurzen Strecke knirschte das Eis, das Boot rutschte ein kleines Stückchen in die Tiefe und glitt auf der Wasseroberfläche weiter. »Und jetzt ganz langsam, wir sind fast da.«

»Kann der See ganz zu frieren?«, fragte Rebekka.

»Früher ja«, antwortete Jan, »heute nur noch selten und jetzt wird er auch noch von unserer Anlage in der Mitte beheizt, sodass wir immer an das Flugzeug herankönnen.« Er schaltete den Motor ab und ließ das Boot noch ein paar Meter treiben. Mit der Infrarot-Optik des Tablets scannte Klaus die gesamte Umgebung, dann nickte er zufrieden und tippte ein paarmal auf das Display.

Angespannt blickte Rebekka von ihrem Vater zu der Schwärze des Sees vor sich. Eine ganze Weile schien nichts zu passieren. »Wann kommt es denn hoch?«

»Es ist schon da«, sagte ihr Vater beinahe beiläufig. »Gerade eben aufgetaucht.«

»Aber ich sehe überhaupt nichts.«

»Es soll ja auch unauffällig sein. Du suchst etwas Großes und siehst das Kleine nicht.« In dem Moment stieß das Boot gegen etwas.

Rebekka erschrak, aber jetzt erkannte sie endlich schemenhaft einen aufrechten Glaszylinder, etwa so groß wie eine Aufzugskabine. »Und wo ist das Flugzeug?«

»Das besuchen wir jetzt. Wir wollen ja heute noch nicht damit fliegen, sondern nur die Ildrovan-Koordinaten von Benny übertragen.«

Im Gegensatz zum Boot stand der Zylinder fest, wie ein Löffel in Bennys Grießbrei. Klaus öffnete eine kaum sichtbare Tür und trat als erster hindurch. Rebekka mit Benny und Daniela folgten dicht. Nachdem Jan hinter ihnen die Tür wieder schloss, versank die Röhre augenblicklich wieder im Wasser.

»Alles in Ordnung?«, fragte Klaus seine Tochter.

»Ja, ja, nur etwas ungewohnt. Glaub mir, nach dem Abenteuer in der Pilzhöhle bringt mich so eine Tauchfahrt im Dunkeln nicht mehr aus dem Konzept. Ich habe etwas gelernt: Wenn mich die Angst nicht vor einer realen Gefahr schützt, behindert sie mich und ist überflüssig. Und wenn Benny dabei ist, kann ja sowieso nichts passieren.«

Dabei grinste sie das Eichhörnchen auf ihrer Schulter an. Benny streckte sich erst, dann duckte er sich etwas verlegen. »Na ja, vielleicht bin ich ja jetzt auch ein Schutzhörnchen, so wie ein Schutzengel. Müsste nicht jedes Eichhörnchen sowieso ein Schutzhörnchen haben? Und jede Eule hat dann sicher eine Schutzeule und –«

»Benny!«, bremste Jan unsanft seinen Wortschwall.

Benny sah Jan empört an. »Wieso unterbrichst du mich?«

»Weil wir da sind!«

»Oh, aber dann kann ich ja gleich weiterquatschen. Ich habe ja noch nicht alle Tiere aufgezählt.« Er begegnete Jans strengem Blick mit einem schelmischen Grinsen und klimperte mit den Augenlidern.

Durch das Glas der Röhre leuchtete ein schwaches gelbliches Licht und ließ einen kleinen Raum mit Computern und zahlreichen ausgeschalteten Monitoren erkennen. Die Tür öffnete sich.

»Ich hatte jetzt eine große Glaskuppel, pardon, Grundavankuppel erwartet, aber keine Besenkammer für Computer«, sagte Rebekka verwundert und drehte sich einmal um dreihundertsechzig Grad.

»Eine Glaskuppel könnten Taucher sehen«, erklärte Klaus. »Über uns ist ein künstlicher Boden, der dem Grund des Sees täuschend ähnlichsieht. Solange hier niemand nach Schätzen graben will …«

Jan drückte einige Tasten neben einer kleinen, aber massiven Schleusentür, die sich augenblicklich öffnete und den Weg zu einem viel größeren, vollkommen im Dunkeln liegenden Raum freigab. Als sie hindurchgingen, glommen nicht sichtbare Lichtquellen auf. In wenigen Sekunden verwandelte sich die romantische Kuschelbeleuchtung in einen hellen Tag.

Rebekka schloss für einen Moment ihre Augen. »Von Sonnenbrille in der Nacht hat niemand etwas gesagt!« Als sie blinzelnd die Augen wieder öffnete, trennten sie nur wenige Meter vom neuen Flugzeug. Allerdings ließ sie der Anblick nicht sprachlos, wie es ihr Vater erwartet hatte. »Viel kleiner, als ich dachte. Habt ihr das von den Klingonen gekapert?«

Klaus sah seine Tochter irritiert an. »Das ist ein Flugzeug, kein Zeppelin. Das darf ruhig kleiner sein. Es ist so groß wie nötig, aber so klein wie möglich. Dadurch ist es wendig und bietet für feindliche Raketen kaum ein Ziel. Immerhin ist es so lang wie ein A320, also doppelt so groß wie der Learjet. Wieso Klingonen?«

»Wir haben es von den Romulanern«, scherzte Jan.

Klaus sah von seiner Tochter zu Jan und zog fragend die Augenbrauen hoch. »Klärt mich mal jemand auf?«

Benny räusperte sich künstlich, streckte sich und brachte sich rhetorisch geschickt in Position. »Ähem, Klingonen und Romulaner sind außerirdische Völker der Serie Star Treck. Sie bekriegen sich recht häufig. Während die Romulaner zivilisiert wirken, verhalten sich die Klingonen –«

»Danke Benny, wir haben heute noch mehr vor«, bremste ihn Jan aus. Gerade wollte Benny protestieren, doch Jan war schneller. »Wir sind ja heute wegen deiner wichtigen Funktion hier.« Benny ließ die Luft raus und nickte zufrieden.

»Hier müssen wir die kleine Gangway hoch«, übernahm Daniela die Führung und stieg die Stufen hinauf. »Die anderen Maschinen stehen in einem größeren Hangar und können ebenerdig bestiegen werden.«

»Die anderen Maschinen?«, frage Rebekka. »Wie viele gibt es denn?«

»Fünf Kampfmaschinen und diesen Prototyp hier. Die anderen stehen im Mittelmeer und sind ständig besetzt. Ein großer Teil unserer neuen Gemeinschaft hält sich dort auf und versucht, Lichtenbergs Aktivitäten aufzuspüren. Nightbird zwei bis sechs sind nahezu baugleich, aber schwerer bewaffnet. Sie haben konventionelle Waffen, Lenkraketen und Maschinenkanonen. Wir haben hier nur einen Nachbau der Strahlenkanone des Riesenroboters. Londas hat sie konstruiert. Nightbird zwei bis sechs fliegen nur mit Magnetturbinen, während dieser Prototyp hier – als einziges Flugobjekt der Welt – mit freier Energie fliegt.«

Rebekka blieb mitten auf der Gangway stehen. »Wollt ihr einen Krieg? Lichtenberg operiert doch unterschwellig und infiltriert, was auch immer sie möchte.«

Daniela bestieg den Rumpf und drehte sich zu ihrer Freundin. »Wir wollen keinen Krieg. Aber die Welt ist vorgewarnt und gerüstet. Lichtenberg hat nicht mehr die Möglichkeiten, unerkannt einen Staat zu unterwandern. Und auch online kämpft sie tagtäglich gegen unsere hellsten Computercracks und wird meist ausgebremst. Wenn sie ihre alte Macht wiedererlangen möchte, braucht sie einen offenen Krieg. Ich bin nur sehr froh, dass die Kviletten keine Waffentechnik hatten. Und die Strahlenkanone haben nur wir.«

Sprachlos nahm Rebekka die letzten Stufen und stand staunend im Rumpf. »Das hat schon ein bisschen was Außerirdisches.«

Klaus lachte. »Ja, Londas‘ Einfluss, auch auf das Design, ist unverkennbar.« Er führte seine Tochter durch das Flugzeug, während Jan, Daniela und Benny sich im Cockpit einrichteten.

»Keine Kriege mehr, keine Armut, kein Leiden, sollten uns das nicht die neuen Techniken bringen?«, fragte Rebekka fast schon vorwurfsvoll.

Klaus legte seinen Arm um sie. »Wir haben das alle gehofft und tun dies noch immer, aber die Weisheit ist auf diesem Planeten noch nicht so weit verbreitet.«

»Könnte jemand die blaue Energie als Waffe verwenden?«

»Unwahrscheinlich. Um sie zu modulieren, benötigt man in der heutigen Zeit noch große Rechenzentren, die träge und immobil sind. Allerdings haben wir einen Computer, der das tatsächlich könnte, aber nur wenn er wollte.«

»Benny?«

Klaus nickte. »Ja, aufgrund seines Kugelprozessors und Londas‘ Optimierungen hat er eine Rechenleistung, die kein anderer Computer auf der Welt erbringt – und das fast ohne Wärmeentwicklung. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand einen vergleichbaren oder noch leistungsfähigeren Prozessor entwickelt. Leider weiß Benny noch nicht, wie er die Energie modulieren kann, aber trotzdem ist momentan die stärkste Waffe der Menschheit nur in unserem Besitz.«

»In einem Spielzeugeichhörnchen!«

»Das habe ich gehört!«, brüllte Benny aus dem Cockpit.

Das Cockpit erinnerte Rebekka noch mehr an ein Raumschiff als an ein irdisches Flugzeug. Beeindruckt glitt ihr Blick über die unzähligen Monitore, Tastaturen und Steuerelemente. Als sie Benny mit einem Helm mit Kabel auf dem Kopf wie beim EEG in einem winzigen Sessel sitzen sah, musste sie laut loslachen.

»Was? Steht mir der Hut nicht?«

Rebekka ging vor ihm in die Hocke. »Doch, doch, ich lache über den Puppensessel. Du hast hier einen eigenen Sitz?«

»Klar, bei Flügen dieser Art muss ich mich doch anschnallen. Seit meinem unfreiwilligen Versuch als Flughörnchen in der Pilzhöhle bin ich vorsichtiger geworden.«

»Das sind ja ganz neue Töne. Du und vorsichtig?«

»Auf jeden Fall sieht ein angeschnalltes Hörnchen megacool aus.« Er zog mit seinem rechten Pfötchen den Gurt ein Stück von seinem Körper weg und ließ ihn zurückschnurren.

»Das glaube ich schon eher.« Rebekka schmunzelte. »Und wieso der Helm? Hast Du keinen USB- oder Thunderbolt-Anschluss?«

»Ja, Jan hatte so etwas einmal eingebaut. Aber als freies Hörnchen lasse ich mir nicht so einfach Daten aufspielen oder abziehen. Also habe ich die Schnittstellen dauerhaft deaktiviert. Jan war erst nicht begeistert, aber inzwischen teilt er meine Sicherheitsbedenken und hat diese kontaktlose Schnittstelle entwickelt.«

Jan hörte gar nicht zu, sondern überwachte konzentriert die Zahlenkolonnen auf dem Monitor vor sich. Daniela saß auf dem Pilotensitz, berührte vorsichtig verschiedene Tasten, ohne sie wirklich zu drücken, und bewegte hin und wieder das Steuer.

»Okay Benny, fertig«, sagte Jan erleichtert und nahm Benny den kleinen Helm ab. »Die Koordinaten laufen jetzt auch im Bordcomputer kontinuierlich weiter. Das System ist nicht vernetzt, kann also auch nicht gehackt werden. Wir können wieder nach Hause.«

Wie in tiefster Nacht ging es am nächsten Morgen mit dem Learjet wieder zurück nach Hamburg. »Kommst du mit nach Hause?«, fragte Klaus seine Tochter. »Jan und Daniela werden mit einer Linienmaschine weiter nach Frankfurt fliegen, um bei der Präsentation des ersten Airbus mit Magnetturbinen dabei zu sein.«

Rebekka sah ihren Vater erst erstaunt an und schüttelte dann den Kopf. »Hätte man mich früher informiert, hätte ich mir die Präsentation gerne angesehen. Aber so habe ich leider einen Bürotermin.«

»Ach ja, die Siegerin des Architektenwettbewerbs von Hannover. Dass du dich überhaupt noch mit uns abgibst?«

»Papa, ich bin eine Königin und gebe mich trotzdem mit euch ab.«

»Stimmt, das hatte ich schon wieder vergessen. Ist der Vater einer Königin nicht eigentlich ein König?«

Rebekka lachte laut auf. Die Vorstellung, ihren ständig bastelnden Vater auf einem Thron mit Krone und Robe zu sehen, war zu komisch. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah sie aus dem Fenster und dachte über ihre Freundin nach. »Dabei sein heißt, sie fliegt den Airbus nicht selbst? Sie hat doch die meiste Erfahrung mit Magnetturbinen.«

»Ja, diesen lautlosen Senkrechtstarter hätte sie schon gerne selbst gesteuert. Habt ihr nicht darüber gesprochen?« Verlegen sah er aus dem Fenster. »Ach so, nein, das war ja ein absolutes Geheimprojekt.«

»Stimmt, die Königin von Ildrovan ist nicht sonderlich vertrauenswürdig.«

»Rebekka, du weißt, dass wir dich schützen mussten. Keine Person mehr als unbedingt notwendig durfte eingeweiht sein. Genau deswegen darf Daniela den Airbus nicht fliegen. Sie darf auf keinen Fall ins Rampenlicht. Die neue internationale Friedenstruppe muss so lange wie möglich unsichtbar bleiben, auch für Regierungen, sonst läuft sie Gefahr, als terroristische Organisation abgestempelt und gejagt zu werden.«

»Muss Benny auch bescheiden im Hintergrund bleiben?«

In diesem Moment kam das Eichhörnchen auch schon nach hinten zu ihnen stolziert. »Geht’s um mich? Werden meine besonderen Fähigkeiten benötigt?«

2. Unheimliche Begegnung

Rebekka fuhr in ihr neues Büro nach Celle. Unterdessen leistete Benny ihrer Mutter Gesellschaft. Trotz des bevorstehenden Ausflugs nach Ildrovan ging für die Königin im Exil das normale Leben auf der Erde weiter. Sie liebte ihren Beruf als Architektin. In Celle hatte sie ein kleines Büro angemietet und kurze Zeit später einen Architektenwettbewerb über die Umgestaltung des Geländes der Hannover Messe gewonnen. Da parallel auch kleinere Aufträge eintrudelten, hatte sie kurzerhand eine Sekretärin, einen Zeichner und eine Hilfskraft eingestellt.

»Hallo Marianne«, begrüßte sie ihre Sekretärin. »Gibt’s was Neues?«

Die Mittvierzigerin rollte mit den Augen. »Der Vermesser hat sich schon wieder über Herrn Huber beschwert.«

»Was hat er denn diesmal angestellt?« Es war nicht das erste Mal, dass der übereifrige Frührentner dem freiberuflichen Vermesser zur Hand – und auf die Nerven – ging.

»Er sollte die Grenzsteine suchen.«

»Und? Hat er sie gefunden?«

»Ja, und alle ausgegraben und auf einen Haufen geworfen.«

»Oh!« Rebekka grinste bei der Vorstellung an das Gesicht des Vermessers. Huber war schon sehr speziell. Als er erstmals bei ausgedruckten Plänen die Ränder abschneiden sollte, hatte er die Häuschen ausgeschnitten und fing an, sie zusammenzukleben. Er war nett, arbeitseifrig und brauchte das Geld, aber eine große Hilfe war er nicht.

Rebekka schloss die Tür hinter sich, warf einen Blick auf die Skizzen an den Wänden und setzte sich auf ihren cremefarbenen, leicht schwingenden Ledersessel. Der leere Schreibtisch schien sie aufzufordern, etwas zu tun, aber es gelang ihr nicht, sich zu konzentrieren. Sie lehnte sich zurück, ließ ihren Blick durch den Raum gleiten, setzte sich wieder aufrecht hin und legte ihre Hände flach nebeneinander auf die massive Buchenholzplatte. Was machte sie so unruhig? Sie fuhr sich mit der Zunge über die dezent geschminkten Lippen. Gerade noch hatte sie eine Idee für eines der neuen Gebäude auf dem Messegelände, da war sie auch schon wieder weg. Sie stand auf, vergrub ihre Hände in die Taschen der schwarzen Nubuklederjacke und ging einmal um den Schreibtisch herum. Sie spürte einen Druck im Magen, Nervosität, als stünde ihr eine unangenehme Begegnung bevor. Nein, nicht unangenehm, eher ungewiss, nicht kontrollierbar, vielleicht entscheidend. Das Gefühl hatte eher etwas von einem Blind Date.

»Du willst schon wieder gehen?«, fragte Marianne, als Rebekka an ihrem Tisch vorbeiging.

»Ja, mir geht irgendetwas durch den Kopf. Ich brauche nochmal frische Luft.«

»Aber du bist zum Mittag mit dem Statiker verabredet.«

»Oh, stimmt. Bis dahin bin ich längst wieder da. Ich gehe nur zu Fuß kurz in die Stadt.«

Ihr Fußweg dauerte länger als geplant. Nach einer guten halben Stunde erreichte sie die Pfennig-Brücke und blieb mitten auf dem Bauwerk stehen. Sie stützte sich auf das Geländer, richtete ihren Blick auf die gemächlich dahinfließende Aller und versuchte, ihren Kopf leer zu bekommen. Eine Weile registrierte sie die vielen Menschen, die durch den Schneematsch an ihr vorbeistapften, dann schien es ganz still zu sein. Sie fror. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie sich eine junge Frau neben sie stellte und sich ebenfalls auf das Geländer stützte. Rebekka sah sie kurz an und zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte eine erschreckend große Ähnlichkeit mit ihr selbst. Rebekkas ganzer Körper kribbelte.

Die Frau drehte ihren Kopf und blickte sie an. Mit einer Handbewegung wischte sie einige Strähnen ihrer kurzen dunkelblonden Haare zur Seite. Rebekka erkannte Tränen in den blauen Augen, die ihr beängstigend vertraut vorkamen. Die Frau streckte Rebekka die andere Hand als Faust hin, drehte und öffnete sie. In der offenen Hand lag eine Kette mit einem Anhänger. »Das Auge des Universums. Geboren aus dem blauen Feuer im Zentrum des Universums, gefasst in der geschmiedeten Kette der ersten Galaxie. Es ist unzerstörbar. Trage es, bevor der Teufel dir den Todesstoß versetzt!«

Rebekkas Blick wechselte zwischen dem Gesicht der Frau zu dem geheimnisvollen Anhänger hin und her. »Wer sind Sie?«

»Alicia.«

Rebekka wusste nicht, was sie mehr faszinierte: die Frau oder die Kette. Der Anhänger bestand aus einer daumennagelgroßen klaren Glaskugel, die in ihrem Inneren schwarz war. Dieses schwarze Etwas schien zu leuchten, sich zu bewegen.

»Was ist das Schwarze?«

»Es ist nicht wirklich schwarz!«

Erschrocken starrte Rebekka die Frau an, die jetzt etwas lächelte.

»Nein, auch nicht tiefdunkelgrauviolett. Ein Abbild des Universums, zu jeder Zeit. Was in der Kugel passiert, geschieht in Wirklichkeit und umgekehrt. Ich muss gehen.« Sie ergriff mit ihrer anderen Hand Rebekkas und legte ihr den Anhänger hinein. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, drehte sich um und eilte Richtung Altstadt davon.

Plötzlich waren auch wieder jede Menge Menschen auf der Brücke. Waren sie die ganze Zeit hier gewesen? Rebekka beobachtete die Fremde, bis sie von den anderen Fußgängern verdeckt wurde. Sie sah kurz auf den Anhänger in ihrer Hand, dann noch einmal zurück. Für eine Sekunde konnte sie die Frau in einer Lücke erkennen, wie sie sich mit einer anderen unterhielt. Plötzlich sahen beide zu ihr. Rebekka erschrak. Ein Schauer packte sie und ließ sie frösteln. Sie starrte geradewegs in ihr eigenes Gesicht! Ihr lebendig gewordenes Spiegelbild konnte ihren Blick ebenfalls nicht von Rebekka lösen. Wieder liefen Menschen dicht vorbei, dann waren die beiden verschwunden. Jetzt erst bemerkte sie ihren rasenden Puls.

Ihre Aufmerksamkeit galt wieder der Kette. Ein glattes flexibles Metallband, ähnlich einem dicken titanfarbenen Draht, aber ohne Gewebe, hielt den Anhänger. Eine feine Struktur zeichnete sich auf dem Metallband ab. Vorsichtig bewegte sie es. Es war so flexibel wie ein Stück Schnur, aber gleichzeitig wirkte es wie ein einziges massives Stück Metall. So etwas hatte sie selbst auf Ildrovan nicht gesehen. Plötzlich erkannte sie im Schwarz der Glaskugel feine Punkte. Was war das? Sie hielt die Kugel ganz dicht vor ihr rechtes Auge und zog sie erschrocken wieder zurück. Was hatte sie da gesehen? Die Faszination war zu groß. Erneut hielt sie die Kugel dicht vor das Auge und hatte in diesem Moment das Gefühl, durch das Universum zu schweben. Sie konnte unzählige Galaxien erkennen, zwischen denen sie sich mit hoher Geschwindigkeit hindurchzubewegen schien. Plötzlich wurde es ganz hell. Rebekka nahm die Kugel wieder ein Stück vom Gesicht weg und sah, dass sie ihre Farbe geändert hatte. Jetzt schimmerte sie wie ein Aquamarin, ein helles klares Blau. Aber dieses Blau bewegte sich, wie eine lebendige gelartige Masse.

Sie hatte einen Termin mit dem Statiker. Rasch steckte sie die Kette in ihre Jackentasche und eilte zurück.

Als Rebekka das Wohnzimmer ihrer Eltern betrat, staunte sie nicht schlecht über den großen Blumenstrauß auf dem Couchtisch. »Oh, die sind ja schön. Hast du einen Verehrer?«

»Wieso Verehrer?«, fragte Sandra.

»Na, Papa kann sie ja schlecht mitgebracht haben. Oder selbstgekauft?«

»Die Blumen sind eigentlich für dich, von unserem Gast.«

»Gast?«

»Im Wintergarten.«

»Ich würde sie auch nehmen«, sagte Benny und sprang von Sandras Schulter auf den Tisch. »Oh ja, sie sind wirklich ganz reizend.« Andächtig faltete er seine Pfötchen auf dem Bauch. Rebekka sah ihre Mutter fragend an und ging dabei zügig zur Glastür, Benny hinterher. Vor der geschlossenen Tür blieb sie verwundert stehen und erblickte einen großen schlanken Mann in einem dunklen Anzug, der durch die Verglasung in den Garten sah. Fast lautlos öffnete sie die Tür und machte einen Schritt hinein. Die Glatze … sie passte nicht zu dem Anzug, jedenfalls nicht die, die sie kannte. Bevor sie weiter spekulieren konnte, drehte der Mann sich um. Sofort beschleunigte sich Rebekkas Puls.

»Londas«, rief Rebekka begeistert, eilte ihm entgegen und umarmte ihn. »Wie schön, dich wiederzusehen!«

»Meine Königin«, scherzte Londas.

»Im Exil bin ich nur Rebekka. Ich habe dich in dem Outfit kaum wiedererkannt. Sieht toll aus. Was machst du hier und warum hast du mir Blumen mitgebracht?«

Sie setzten sich in die Rattansessel an einen Glastisch. Benny sprang auf Londas‘ Unterarm und grinste.

»Hallo Benny!« Er strich über sein Köpfchen und sah etwas verlegen zu Rebekka. »Ist es hier nicht üblich, Blumen mitzubringen?«

»Es ist eine sehr schöne Geste, aber leider nicht mehr so weit verbreitet. Von einem Kulturfremden hätte ich das am allerwenigsten erwartet.«

»Ist das jetzt gut oder schlecht?«

»Die Blumen?«

»Ja!«

Rebekka grinste und sah auf den mit Natursteinen gefliesten Boden. »Es ist gut.«

Londas atmete tief durch und wirkte erleichtert. »Gut. Also, ich habe die letzten Einstellungen für die Nightbirds vorgenommen und nun habe ich Zeit. Jan und Daniela werden morgen nach Malta fliegen und von dort fahren sie mit einem Boot weiter zu unseren Vögeln. Ein letzter Test der Waffensysteme und dann Lagebesprechung mit dem neuen Rat.«

Rebekka sah zu Benny. »Müsstest du dann nicht auch dabei sein?«

Benny schüttelte sein Köpfchen und ließ sich von Londas kraulen. »Die Kampfflugzeuge haben kein WDS. Sie sollen ja die Erde und nicht Ildrovan verteidigen.« Benny sah zu Londas. »Wir sollten uns mal einen neuen Namen überlegen. Wind Defense System passt ja nicht mehr.«

»Ein neuer Name und eine neue Abkürzung stiften nur Verwirrung«.

Rebekka lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. »Wäre es nicht ein strategischer Vorteil, mit dem WDS überall hinspringen zu können?«

»Nach internationalen Vereinbarungen, die alle unterzeichnet haben, darf das WDS auch in Kriegszeiten auf der Erde nicht eingesetzt werden«, antwortete Londas.

Rebekka atmete hörbar aus. »Hoffentlich weiß das Lichtenberg.«

Sandra kam mit einem Tablett herein und brachte eine Kanne Ostfriesentee mit zwei Tassen, Sahne und Kluntje. Nachdem sich Rebekka Tee genommen hatte, beobachtete sie, wie Londas einen Zuckerklumpen in die Tasse fallen ließ, das heiße Getränk darüber goss und schließlich gekonnt die Sahne dazu träufelte, sodass sich kleine Wölkchen bildeten.

»Ich bin beeindruckt. Schon fast wie ein Ostfriese.«

Londas stellte das Sahnekännchen wieder ab und lächelte Rebekka zu. Sie schluckte. Sie hatte das Gefühl, dieser Blick würde tief in sie eindringen, aber nicht bedrohlich, sondern ganz liebevoll. Bisher hatte sie Londas nicht wirklich als Mann wahrgenommen, nur als Freund. Für eine Sekunde war sie unsicher, ob sie wirklich Frauen als Partner Männern vorzog.

»Ich lerne«, sagte er. »Auch wenn Ostfriesland doch noch ein Stückchen nördlicher liegt. Alles in Ordnung?«

»Äh, ja doch, warum?«

»Du starrst mich an, als würdest du mich zum ersten Mal sehen.«

Rebekka löste kurz den Blickkontakt und sah durch die Fensterfront in die Ferne. »Vielleicht bin ich gerade dabei, eine andere Seite von dir zu entdecken.«

»Oh!« Londas lachte kurz. »Ich bin gespannt, was da zum Vorschein kommt.«

Rebekka lächelte, senkte verlegen den Blick. »Und wie lange bleibst du?«

»Deine Mutter hatte mir zwar ein Zimmer angeboten, aber da ich noch nicht weiß, wie es weitergeht, könnte mein Aufenthalt länger dauern. Ich habe mich daher im Nachbarort, in Meisendorf, auf dem Gut Sunder einquartiert. Sehr idyllisch. In den vergangenen zwei Jahren war ich ständig für die Friedenstruppe unterwegs und hatte keinen festen Wohnsitz. Jetzt kann ich mich langsam mal danach umsehen.«

Bei der Vorstellung, Londas würde bei ihren Eltern wohnen, spürte sie eine leichte Nervosität. Sie steckte ihre Hände in die Taschen ihrer Lederjacke. Gedankenversunken ließ sie ihre Finger mit der Kette spielen. Erst, als sie einen starken Temperaturanstieg des Anhängers wahrnahm, erinnerte sie sich wieder an die merkwürdige Begegnung. Sie zog die Kette hervor und betrachtete den Anhänger. Das klare aquamarinblau war einem orangeleuchtenden Feuerball gewichen, der sich wie Lava immer wieder veränderte, ohne die Kugelform zu verlassen. Nur wenige Sekunden später verwandelte sich das Innenleben der Glaskugel in den lebenden Aquamarin zurück.

»Was hast du da?«, fragte Londas. Kommentarlos reichte Rebekka ihm die Kette. Sie beobachtete seine Mimik. Er schien nicht weniger erstaunt als sie selbst.

»Und? Schonmal gesehen?«

Londas schüttelte den Kopf. »Nein. Ein faszinierendes Kunstwerk. Was mit LED-Technik alles möglich ist, sogar hier auf der Erde.« Er lachte über seinen Witz, bis er über das Metallband strich. »Aber was ist das für ein Material? Titanflex? Nein, in dieser Stärke wäre es nicht so flexibel. Aber es ist kein Gewebe. Woher hast du die Kette?«

»Ich habe sie …«, irritiert sah Rebekka zu Benny, der auf Londas‘ Oberschenkel saß und wie versteinert auf den Anhänger starrte. »Benny?«

»Ja?«, flüsterte der kleine Roboter ehrfürchtig, ohne seinen Blick von der Kette abzuwenden.

»Was ist los mit dir? Hast du die Kette schon einmal gesehen?«

Benny drehte sein Köpfchen zu Rebekka und nickte zaghaft, als wäre er high. »Das ist das Auge des Universums!«

Rebekka schluckte. Tief durchatmen, was geht hier gerade ab? »Ja, das hat mir die junge Frau auch gesagt, als sie ihn mir gegeben hat. Aber was bedeutet das? Was soll ich damit?«

»Junge Frau?«, fragte Londas. »Welche junge Frau?«

»Ich kenne sie nicht. In Celle hatte sie mich angesprochen und mir diese Kette gegeben. Ich solle sie tragen, bevor der Teufel mir den Todesstoß versetzt, oder so ähnlich.« Jetzt erst wurden ihr die Worte allmählich bewusst. Ihre Unterlippe begann zu zittern. »Ich verstehe es nicht, wer sollte mich umbringen wollen? Ist das eine Prophezeiung über meinen Tod?« Bevor sie die Wandmalereien in der Höhle auf Ildrovan gesehen hatte, waren Weissagungen für sie nur esoterischer Unsinn, aber jetzt? Sie blickte fragend zu Benny.

Sein Köpfchen drehte sich zum Anhänger und wieder zu Rebekka zurück. »Das weiß ich auch nicht. Der Anhänger ist ein Spiegelbild des gesamten Universums mit allem Leben in ihm. Also eher ein exaktes Abbild. Was sich im Universum verändert, ändert sich in der Kugel – und umgekehrt.«

»Und umgekehrt?« Rebekkas Augen weiteten sich.

Benny nickte. »Wenn man weiß wie, könnte man damit ganze Galaxien verschieben oder auslöschen. Er hat auch noch irgendeinen Nebeneffekt, aber mehr weiß ich nicht. Ich habe auch keine Ahnung, woher er eigentlich kommt.«

»Aber woher weißt du, dass es ihn überhaupt gibt?«

Benny zuckte mit den Schultern. »Es gibt keinen Datenbankeintrag. Aber ich habe das Gefühl, ihn schon mal gesehen zu haben, vor sehr langer Zeit. Oder in sehr langer Zeit?«

»Benny, du verwirrst mich noch mehr!«

»Pack ihn erst einmal weg«, sagte Londas ruhig. »Vielleicht erfahren wir irgendwann mehr darüber.«

Rebekka nahm die Kette aus Londas‘ Hand und streifte dabei unbeabsichtigt sein Finger. Oder hatte er nachgeholfen? Das leichte Kribbeln wühlte sie kurz auf. Sie spürte seinen Blick, wich ihm aber aus und konzentrierte sich ganz auf die Kette. Beinahe hastig steckte sie sie wieder in ihre Jackentasche.

»Willst du sie nicht tragen?«, fragte Londas.

»Ja«, sagte Benny, »sie ist doch sehr hübsch.«

Rebekka schüttelte den Kopf. »So schön und einzigartig sie auch ist, momentan macht sie mir etwas Angst. Ich habe das Gefühl, dann eine Verantwortung tragen zu müssen, der ich nicht gewachsen bin.«

»Ich mach jetzt mal ´ne Runde Extremrelaxing«, sagte Benny, »bis später.«

»Was machst du?«, fragte Londas.

»Ich gehe Schaukeln.«

Rebekka zog die Augenbrauen hoch. »Kriegst du die überhaupt in Bewegung?«

»Vielleicht finde ich ja ein anderes Hörnchen, das mich anschubst.« Kichernd stürmte er davon.

3. Der Krieg beginnt

Fast gleichzeitig schossen die fünf Kampfflugzeuge senkrecht aus dem Meer. Die Warnung über einen bevorstehenden Angriff kam zu spät, das Pentagon war bereits zerstört. Wie aus dem Nichts tauchten Lichtenbergs Flugschiffe auf und feuerten ganze Salven von Lenkraketen auf die Nightbirds. In Sekundenschnelle trafen die Raketen ihre Ziele und zerstörten die wichtigste Waffe der neuen Friedenstruppe. Brennend stürzten die Wracks ins Meer. Aus Luken an der Unterseite der Flugschiffe fielen unzählige Wasserbomben, folgten den Trümmern und verschwanden unter der Wasseroberfläche.

Das kleine Militär-U-Boot hatte fast die Küste von Malta erreicht, als der Funkspruch den Kapitän blass werden ließ. Jan und Daniela hörten mit. »… es sah aus, als hätte man unsere Maschinen erwartet. Die feindlichen Objekte sind einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Ich weiß nicht, ob es Flugzeuge oder irgendetwas anderes sind. Sie sehen aus, wie man sich im letzten Jahrtausend Raumstationen vorgestellt hatte, wie riesige Räder. Sie sind noch immer über uns.«

»Sie sollen sofort die Basis evakuieren!«, rief Jan dem Kapitän zu.

Sekundenlang lag das Meer unter den langsam rotierenden Flugschiffen ruhig da. Nur die kleinen Flammen der Flugzeugtrümmer auf der Wasseroberfläche erinnerten noch an den Angriff. Plötzlich hob sich die ganze Wasseroberfläche, als würde Poseidon in seinem Zorn die Flugschiffe vom Himmel spülen wollen. Wie eine gigantische Fontaine schossen die Wassermassen in die Höhe, erreichten die Flugschiffe aber nicht.

Die Funkverbindung brach ab. »Sie hat die Basis zerstört«, sagte Jan resigniert.

Daniela sah ihn fragend an. »Aber dann muss sie von uns gewusst haben.«

Jan ballte die Fäuste. »Wie naiv von uns anzunehmen, Lichtenberg könne die neue Friedenstruppe nicht infiltrieren. Und sie verbaut das WDS in ihre Kampfmaschinen für Tarnangriffe, während wir darauf verzichten. Wieso waren wir so dumm?« Er schrie seine Wut heraus.

Daniela legte ihre Hand auf seinen Arm. »Das liegt nicht in deiner Verantwortung. Du hast technisch alles gemacht, was möglich und gewünscht war. Und du hattest sie gut beraten. Aber du bist kein Militärangehöriger.«

»Die ganze neue Friedenstruppe gehört keinem Militär an. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Lichtenberg hat mit der Basis hunderte von Menschen getötet. Jetzt haben wir nur noch ein paar kleine Teams, wild über den Globus verstreut. Ohne Führung. Mit den konventionellen Waffen haben selbst die USA und Russland keine Chance. Die Fluggeräte tauchen auf, zerstören und verschwinden wieder.«

»Wir sind da«, informierte sie der Kapitän und ließ das kleine Kampf-U-Boot auftauchen.

Auf dem Rollfeld wartete schon der frisierte Learjet 75 mit dem Ersatzpiloten Mike Thomson und brachte sie schnellstens nach Hamburg. Hier holte Klaus sie mit dem Tesla ab.

»Es kam gerade im Radio«, begann Klaus auf der Rückfahrt nach Winsen. »Lichtenberg fordert die Kapitulation aller Staaten und die Übergabe sämtlicher Waffen weltweit. Bisher hat sie nur große militärische Einrichtungen, darunter auch Flugzeugträger und U-Boote, zerstört. Wird dem nicht Folge geleistet oder gar eins ihrer Flugobjekte – sie nennt sie Flugschiffe – angegriffen, wird sie alles zerstören und die überlebende Bevölkerung versklaven.«

»Klingt ein bisschen nach geisteskrank«, sagte Daniela.

»Im dritten Reich konnten die Alliierten Hitler stoppen, aber heute?«, überlegte Jan auf dem Rücksitz hinter Daniela. »Die einzige Waffe, die ihr in Wendigkeit und Feuerkraft gewachsen war, hat sie nach dem Pentagon als allererstes zerstört. Auch ohne WDS hätten die Nightbirds eine Chance gehabt.«

»Einen haben wir ja noch«, versuchte Daniela, ihn zu beruhigen.

»Nein!«, widersprach Klaus vehement.

Daniela und Jan warfen sich irritiert einen Blick zu. »Hat sie etwa …«, begann Jan zögerlich.

Klaus unterbrach ihn sofort, lauter als unbedingt nötig. »Wir hatten den Prototyp zerlegt ebenfalls in die Basis gebracht, er war aber zum Zeitpunkt des Angriffs noch nicht wieder flugfähig. Er wurde mit der Basis zerstört.« Daniela sah ihn entsetzt an. Die letzte Hoffnung der Menschheit war gerade zerplatzt. Als Klaus merkte, dass Jan zum Protest ansetzen wollte, ließ er ihn nicht zu Wort kommen. »Das ist etwa so, wie Benny keine Erdbeeren mag.«

Jan erstarrte mit offenem Mund. Er schloss ihn langsam wieder und nickte. »Früher fand er sie ja mal toll, aber da er sie nicht essen kann, hasst er sie inzwischen.«

Daniela blickte völlig verwirrt von Klaus zu Jan und wieder zurück. »Was ist denn mit euch los?« Gerade wollte sie Bennys Vorliebe für Erdbeeren verteidigen, als sie schmerzhaft Jans Finger in ihrer rechten Seite spürte. Dann endlich verstand sie. »Ihr quatscht hier über einen Spielzeugroboter, während die Welt am Abgrund steht.«

Klaus entspannte sich und nickte. »Du hast recht, auch wenn die Welt, solange ich sie kenne, eigentlich immer am Abgrund gestanden hat. Wir sollten mal das Thema wechseln, es gibt etwas ganz Tolles zu Essen.«

Als sich das Garagentor geschlossen hatte, atmete Klaus noch einmal tief durch und sah in Danielas fragendes Gesicht. »Vernetztes Fahren. Jedes moderne Auto kann abgehört werden und ich bin nicht sicher, ob nicht irgendwo auch eine Kamera im Inneren montiert ist. Ich glaube nicht mal, dass Lichtenberg einen Informanten bei uns hat oder hatte. Unser internes Netzwerk hatte zwar keine Verbindung zum Internet, aber es gab sicher Hinweise außerhalb, die sie über irgendwelche Onlinekanäle hat aufspüren lassen.«

Daniela wollte gerade etwas sagen, als sich die Haustür öffnete und Rebekka ihr entgegeneilte. »Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren!«

»Ich auch«, entgegnete Daniela und drückte ihre Freundin fest an sich. »Hätte Lichtenberg gleich mit der Basis und nicht mit dem Pentagon angefangen, wären wir jetzt nicht hier.«

Am Abend saßen sie alle gemeinsam vor dem Fernseher bei Sandra und Klaus und verfolgten die Nachrichten. Benny schwieg ausnahmsweise einmal. Er wirkte betroffen. Klaus hielt sich das Kinn fest und schüttelte leicht den Kopf, als könnte er nicht glauben, was sich da auf dem Bildschirm abzeichnete. »Das gibt’s einfach nicht. Eine einzelne Person zwingt die ganze Menschheit in die Knie. Entweder wir unterwerfen uns oder wir werden vernichtet.«

»Die Menschheit unterworfen hat sie früher ja auch schon«, sagte Jan, »nur hat es keiner gemerkt. Jetzt ist es ein offener Kampf, ein Krieg.«

Plötzlich wurde die Sendung unterbrochen. Für ein paar Sekunden war der Bildschirm schwarz. Rebekka rechnete mit dem Schlimmsten und schluckte. Als würde Benny dasselbe denken, sprang er wie ein verschrecktes Kind auf ihren Schoß. Rebekka legte instinktiv ihre Hände um ihn. Dann erschien das freundliche Lächeln Maria Lichtenbergs!

»Liebe besorgte Bürger dieser Welt.«

Rebekka spürte, wie sich Danielas Hand suchend zwischen ihre Hand und Benny schob.

»Ich hatte Sie gewarnt«, fuhr Lichtenberg noch ruhig, aber bedeutend schärfer fort. »Unterwerfung und Frieden oder Krieg. Ihr habt den Krieg gewählt! Vor einer Stunde haben amerikanische Kampfflugzeuge meine Flugschiffe angegriffen. Aufgrund der Schutzschilde wurde aber keins beschädigt.«

Auf dem Fernseher erschien das Video einer Nachrichtenagentur. Die drei riesigen Flugschiffe hatten sich um die Eglin Air Force Base im Süden Floridas formiert. Plötzlich tauchten fünf Kampfflugzeuge auf und eröffneten sofort das Feuer auf die Flugschiffe. Die Lenkraketen explodierten bereits wenige Meter vor den Schiffen und schienen ihnen nichts anhaben zu können. Die Flugzeuge formierten sich neu und starteten ihren zweiten Angriff, doch keine Rakete konnte sich noch von ihnen trennen. Wie ein Bienenschwarm schossen zahlreiche Geschosse aus den Flugschiffen, zerstörten die Kampflugzeuge und verwandelten anschließend die größte amerikanische Militärflugbasis in ein Trümmerfeld. Dann erschien wieder Lichtenberg. »Sie haben angefangen, ich bringe es zu Ende. Ich werde die Zivilisation vernichten, die es in ihrer Arroganz wagt, mich herauszufordern. Ein Häufchen Sklaven und Bauern werde ich übriglassen, um mir zu dienen. Es war Ihre Entscheidung!«

Das Bild wechselte schlagartig auf zwei verdutzte Moderatoren im Nachrichtenstudio, die sekundenlang nach Worten rangen.

»Die hat nicht mal böse gelacht«, bemerkte Benny. »Sie ist zwar machtgeil, aber ich glaube, die will gar keinen Krieg, nur Marionetten. Erst haben wir Rechtsradikale, dann Linksradikale und jetzt haben wir eine radikale Mitte. Erinnert mich irgendwie an linksdrehende Milchsäure und freie Radikale.«

»Benny, das ist nicht witzig!«, ermahnte Rebekka ihn und erntete sofort einen empörten Blick. Sie spürte einen stärker werden Druck im Magen. Die Ungewissheit über Lichtenberg und machtgierige Regierungschefs aufgrund der frei zugänglichen Unterlagen der Kviletten beunruhigten sie schon die vergangenen zwei Jahre. Seit ihrem Erlebnis mit dem Riesenpilz auf Ildrovan war ihr nicht mehr so übel gewesen. Nach der Zerstörung des Pilzes war Angst für sie zu einem Fremdwort geworden, aber nun war sie so präsent wie damals. Alles erschien genauso unwirklich. Nur stand diesmal die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Nein, die Angst über ihren unmittelbar bevorstehenden schmerzhaften und einsamen Tod war stärker gewesen. Der nun drohende Krieg war zu abstrakt, um das Ausmaß wirklich zu begreifen. Wahrscheinlich würde sie erst in Panik ausbrechen, wenn die ersten Raketen in ihrem Haus einschlagen würden. Aber brauchte Lichtenberg überhaupt Raketen? »Der Pilz!«, schrie sie plötzlich heraus.

»Rebekka?«, fragte Daniela verwundert.

Rebekka sah ihre Freundin an. »Lichtenberg hat noch die Pilzsporen.«

Für einen Moment sahen sich alle sprachlos an, bis Londas das Wort ergriff. »Es ist fraglich, ob die Sporen nach dieser Zeit noch aktiv sind. Außerdem war der Pilz lichtscheu. Er könnte nicht wirklich zu einer Gefahr werden.«

»Ich fasse es nicht«, begann Jan, »dass die Amerikaner Kampflugzeuge mit WDS und Magnetturbinen haben. Nur wir waren so blöd, kein WDS in die Nightbirds einzubauen.«

»Es spielt keine Rolle mehr«, sagte Klaus. »Sie wären auch mit WDS zerstört worden. Und ihre Waffen haben den Flugschiffen nichts ausgemacht.«

»Ja, die haben ein Schutzschild, wie ich damals in der Pilzhöhle«, ergänzte Benny. »Allerdings nutzen sie dazu keine freie Energie, es scheint anders zu funktionieren. Auch der Antrieb sieht mir sehr nach Magnetturbinen aus.«

»Kann die Strahlenkanone den Schild durchbrechen?«, fragte Daniela Londas.

Er sah sie nachdenklich an und zuckte dann mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wie ihrer arbeitet. Wir hatten nie ein Schutzschild. Benny war der erste und bisher einzige, bei dem so etwas funktioniert hat. Und das ohne jegliche Technik. Ich vermute, dass ihr Schild auf dichte Materie reagiert, damit hätten wir mit der Strahlenkanone tatsächlich eine Chance.«

Klaus wechselte einen fragenden Blick von Jan zu Londas. »Meint ihr, wir bekommen so einen Schild auch hin? Für unseren letzten Nightbird?«

Londas zog die Augenbrauen hoch, dann sah er zu Benny. »Schaffen wir das?«

Benny betrachtete seine Vorderpfötchen. »Ich habe ja schon lange keine blauen Kugeln mehr geformt, aber falls es mit der Technik nicht so schnell klappen sollte, könnte ich vielleicht aushelfen. Wenn ihr da irgendetwas Elektronisches basteln könntet, wäre mir das lieber, ist nicht so anstrengend.«

Londas nickte. »Mir auch. Aber ich weiß nicht, wer von unserer Truppe überhaupt noch da ist. Bei allen Fähigkeiten von Klaus, Jan und mir, ein paar geniale Techniker und Wissenschaftler könnten wir schon noch gebrauchen.«

»Da!« rief Sandra und riss die Gruppe aus ihrer Unterhaltung. Auf dem Fernseher sahen sie ein zerstörtes Kernkraftwerk.

»Mit so leichten Zielen kann man sehr effektiv riesige Schäden an der Bevölkerung anrichten«, sagte Jan entsetzt. »Jetzt hat sie mit Marschflugkörpern zwei Kernkraftwerke in den USA zerstört. Bei der Menge an Kraftwerken, die es auf der ganzen Welt gibt, kann sie leicht den ganzen Planeten verseuchen.«

Klaus schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das will. Dann kann sie selbst und ihre Untergebenen hier nicht mehr leben. Ich vermute, sie will ein bisschen Angst und Chaos verbreiten, damit die Staaten schneller kapitulieren.«

Während bei normalen Katastrophen, die Journalisten immer wieder dieselben Geschehnisse zusammenfassten, kamen sie mit der Aktualisierung der Schreckensnachrichten nicht mehr hinterher. Völlig sprachlos starrten die sieben auf den Fernseher und verfolgten die Meldungen.

»Ich kann nicht mehr. Ich muss mal an die frische Luft«, sagte Sandra, griff sich an die Stirn und stand auf.

Rebekka erkannte in ihren Augen mehr als nur Besorgnis. Als sich kurz ihre Blicke trafen, sah sie pure Angst. Sie folgte ihrer Mutter in den Garten. »Mama, es ist furchtbar, ich weiß.« Sie legte ihren Arm um sie und sah die Tränen. »Ich habe das Gefühl, da ist noch mehr.«

Sandra schluckte und suchte nach Worten. Dabei blickte sie in den Himmel, als könnte sie dort fündig werden. »Kurz nach deiner Geburt bin ich einer Frau begegnet.« Sandra sah Rebekka wieder direkt an. »Ich war gerade mit dir unterwegs, du hast ständig geschrien und ich konnte dich nicht beruhigen. Ich weiß nicht, warum ich dieser Frau auf Anhieb vertraut habe, aber ich habe ihr erlaubt, dich zu nehmen. Sofort hast du mit dem Schreien aufgehört, sie mit großen Augen angesehen und sogar gelächelt. Sie hat gesagt, dass ich eine besondere Tochter habe, eine Königin!«

Rebekka holte tief Luft. Konnte das Zufall sein? Ein Mädchen nannte man sicher auch mal Prinzessin, aber Königin? »Und was macht dich so traurig?«

»Sie sagte, du würdest eines Tages die Menschheit retten …« Sandra brach ab, schluckte erneut und wischte sich die Tränen weg. »Sie hatte mir einen Umschlag gegeben, den ich erst heute Morgen öffnen durfte, nach siebenundzwanzig Jahren.«

»Und was war in dem Umschlag?«

Sie griff in ihre Hosentasche, holte einen abgegriffenen gefalteten Zettel hervor und reichte ihn ihrer Tochter. Rebekkas Hände begannen zu zittern. Sie nahm den Zettel und faltete ihn auseinander.