Recht und Sprache in der Praxis -  - E-Book

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Juristischer Sprachgebrauch leicht gemacht - so schreiben Sie adressatengerecht Das Buch soll Leserinnen und Lesern sprachliches Problembewusstsein vermitteln und sie für ihren alltäglichen Sprachgebrauch sensibilisieren. Neben vielen allgemeinen Ratschlägen geben ausgewiesene Experten Einblick in die "richtige" Sprache unterschiedlicher juristischer Anwendungsgebiete (Wissenschaft, Gesetzgebung, Vertragsgestaltung, Rechtsberatung, Journalismus). Zahlreiche Übungsbeispiele, ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Register runden dieses Lehrbuch ab. Das Buch macht bewusst, dass Sprache das zentrale Werkzeug jeder Juristin und jedes Juristen ist. Ein sorgsamer, reflektierter Sprachgebrauch ist Schlüssel zum Erfolg in Studium und Praxis.

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Seitenzahl: 354

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Facultas Wien

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagbild: Pieter Bruegel d. Ä, (✝ 1569), Der Turmbau zu

Babel (1563), Kunsthistorisches Museum Wien

© KHM Museumsverband

Satz: Hannes Strobl, Satz·Grafik·Design, Neunkirchen

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

UTB-Band-Nr.: 5560

ISBN 978-3-8252-5560-2

e-ISBN 978-3-8385-5560-7

epub 978-3-8463-5560-2

Inhalt

Vorwort

I.21 Vorschläge für bessere Sprache und verständlichere Texte

II. Allgemeiner Teil: Grundlagen und Problemfelder

A. Sprache im Kontext

1. Kommunikation und Sprache

2. Sprache als zeitgebundenes Phänomen

3. Sprache als regionales Phänomen

4. Sprache als soziales Phänomen

B. Problemfelder

1. Allgemeines: Mut zur Überarbeitung

2. Text

a) Textgliederung

b) Absatzgliederung

c) Verweise

3. Satz

a) Allgemeines zum Satzbau – geschriebene und gesprochene Sprache

b) Satzlänge

c) Satzverbindungen

d) Interpunktion

4. Wortgruppen

a) Allgemeines: Satzglieder und ihre Abfolge

b) Zitate und Paraphrasen – Konjunktiv

5. Zeit (Tempus)

6. Ausdruck

a) Grundlegende Überlegungen

b) Zur Wortwahl im Allgemeinen

c) Einzelprobleme der Wortwahl

d) Fremdwörter

e) Abkürzungen

f) Rechtschreibung – Rechtschreibkontrolle und ihre (geografischen) Grenzen

g) Wortwahl im Kontext: grammatikalische Aspekte

h) Wortwahl im Kontext: stilistische Aspekte

C. Formale Textgestaltung

1. Warum die Form wichtig ist

2. Die Wahl der Schriftart

3. Die Wahl der Schriftgröße (Schriftgrad)

4. Textausrichtung – Blocksatz oder linksbündig?

5. Hervorhebungen

6. Die Einheitlichkeit der Form

7. Die richtige Gliederung

8. Ergebnis

III. Besonderer Teil: Anwendungsgebiete

A. Recht und Sprache in der Gesetzgebung(Robert Fucik)

1. Einleitung

a) Begriffe und Grundsätze

i. Gemeinsamkeit mit anderer juristischer Textarbeit

ii. Einflüsse auf den Normtext

iii. Wer sind die Adressaten?

b) Besonderheiten der legistischen Arbeit

i. Generell-abstrakte Sprache

ii. Formale Hilfen: Handbuch der Rechtsförmlichkeiten und legistische Richtlinien

2. Wege der Gesetzgebung

a) Nationale Gesetzgebung in Deutschland

i. Entwürfe

ii. Besondere Sprachdienste

iii. Verteilung der Drucksache

iv. Erste Lesung im Plenum

v. Arbeit in den Ausschüssen

vi. Aussprache in der zweiten Lesung

vii. Abstimmung in der dritten Lesung

viii. Zustimmung des Bundesrats

ix. Inkrafttreten des Gesetzes

b) Nationale Gesetzgebung in Österreich

i. Regierungsvorlagen

ii. Initiativantrag

iii. Sonstige Wege

c) Unionsrechtliche Normengebung

i. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in der EU

ii. Besondere Gesetzgebungsverfahren

d) Internationale Normgebung (Völkervertragsrecht)

e) Traditore tradutore

3. Einige praktische Beispiele

a) Ein (freier) Mann, ein Wort (§ 16 ABGB)

b) Eichelsammeln im Zivilrecht (§ 477 ABGB)

c) Erwachsenenschutz leicht (?) gemacht (§ 246 ABGB)

d) Risikopotenzial beim Annahmeverzug (§ 1419 ABGB)

e) Anleitungspflicht (§ 182 öZPO) oder: genialer Inhalt, schwache Form

f) Ist „von … bis“ etwas anderes als „zwischen“ (§ 222 Abs. 1 öZPO)?

g) Schnellreparatur in COVID-19-Zeiten

h) Klares Strafrecht: Mord (§ 75 öStGB)

i) Auslegungsbedürftiges Strafrecht oder sexuelle Belästigung (§ 218 öStGB)

j) Übergangsrecht ins Chaos (§ 707a öASVG) – Abschaffung des Pflegeregresses

k) Warum man taxative Listen auch „erschöpfend“ nennt (§ 6 öUStG)

l) Offenlegung der Stellvertretung

m) Unmittelbarkeit und Rechtshilfe

n) Vertretung der Aktiengesellschaft

o) Haftungsprivileg der Arbeitgeber

B. Recht und Sprache in der Vertragsgestaltung (Paul Nimmerfall)

1. Einleitung

a) Welche Rolle spielt Sprache in der Vertragsgestaltung?

b) Welche Unterschiede gibt es zu anderen Gebieten?

2. Der Weg der Vertragserrichtung

a) Eine klare Vorstellung haben

b) Eine klare Struktur überlegen

c) Einen Vertrag zu schreiben heißt Probleme zu antizipieren

d) Die Funktionalität überprüfen

e) Das Recht kennen

3. Sprachliche Besonderheiten der Vertragsgestaltung

a) Technische Vertragssprache und rechtliche Folgen

i. Aufzählungen

ii. Klare Regelung der Rechte und Pflichten

iii. Eine Frage des Niveaus

iv. Die Verwendung gesetzlicher Begriffe

v. Definitionen

b) Verwendung einzelner Wörter und Begriffe

i. Präzision ist das oberste Gebot

ii. Übertriebener Ausdruck und „überflüssige“ Wörter

iii. Fachbegriffe: Ja, aber …

c) Formale Aspekte der Vertragsgestaltung

C. Recht und Sprache in der Rechtsberatung (Klaus J. Müller)

1. Einleitung

2. Adressaten

a) Bedeutung

b) Juristen

c) Fach- und Führungskräfte in Unternehmen

d) Privatpersonen

3. Art des Textes

a) Bedeutung

b) Beratungsschreiben

c) Gutachten

d) Vorbereitende Korrespondenz

e) Korrespondenz mit anderen Anwälten

4. Sprachliche Besonderheiten der Rechtsberatung

a) Individualität

b) Freiheit

c) Verständlichkeit

i. Grundlagen

ii. Ausrichtung am Empfängerhorizont

iii. Kurz und bündig

iv. Klar und übersichtlich

v. Deutsch

d) Verbindlichkeit

i. Der Ton macht die Musik

ii. Positiver Aufbau

D. Recht und Sprache im Gerichtsprozess (Reinhard Hinger)

1. Allgemeines

a) Es gibt Regeln

b) Eine gedrängte Darstellung

c) Mit Schwung und Elan

d) Erfordernisse des Fachs

e) Rechtliche Notwendigkeiten

f) Tradierte Zwänge

g) Mikado – eine Fehlentwicklung

h) Es ist schon fast alles gesagt und geschrieben

2. Besonderer Teil – die Entscheidung

a) Das Vorbringen

b) Die Feststellungen der Tatsachen

c) Die Beweiswürdigung

d) Die rechtliche Beurteilung

3. Wofür die Ewigkeit gut ist

E. Recht und Sprache im Journalismus (Benedikt Kommenda)

1. Einleitung

a) Welche Rolle spielt Sprache im Journalismus?

b) Was verbindet, was unterscheidet journalistische Texte von juristischen?

2. Der Weg eines journalistischen Artikels

a) Die journalistischen Darstellungsformen

i. Nachricht

ii. Bericht

iii. Reportage

iv. Interview

v. Kommentar

b) Wie ein Artikel entsteht

3. Sprachliche Besonderheiten im Journalismus

a) Das Wichtigste steht am Beginn

b) Ansprechend schreiben, ohne falsch zu werden

c) Konkret statt abstrakt schreiben

d) Vorgaben des Medienrechts beachten

e) Reine Rechtslehre, Unreine Rechtschreiblehre

IV. Übungsbeispiele

1. Übungsbeispiel

2. Übungsbeispiel

3. Übungsbeispiel

4. Übungsbeispiel

5. Übungsbeispiel

6. Übungsbeispiel

7. Übungsbeispiel

8. Übungsbeispiel

9. Übungsbeispiel

10.  Übungsbeispiel

11.  Übungsbeispiel

12.  Übungsbeispiel

13.  Übungsbeispiel

14.  Übungsbeispiel

15.  Übungsbeispiel

Quellen- und Literaturverzeichnis

Autorenverzeichnis

Register

Vorwort

„Und der Herr sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.“ Diese Verse aus der biblischen Überlieferung (1. Mose 11, 6–7) schildern das Ende des „Turmbaus zu Babel“, dessen berühmteste Darstellung durch Pieter Bruegel den Älteren den Umschlag dieses Buches schmückt. Die Legende ist ein Versuch, die Sprachenvielfalt auf der Erde zu erklären. Sie zeigt aber auch drastisch, wie Projekte scheitern, wenn die gemeinsame Sprache fehlt. Das ist eine durchaus zeitlose und praktische Mahnung.

Dieses Buch ist aus einer Lehrveranstaltung hervorgegangen. Seit mehreren Semestern bieten wir mit Unterstützung der Kanzlei Schönherr Rechtsanwälte an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien einen Kurs „Recht und Sprache in der Praxis“ an, in dem auch einige der Co-Autoren als Vortragende tätig waren. Die Rückmeldungen der Studierenden waren durchwegs erfreulich, wohl auch, weil es zuvor kein vergleichbares Angebot gegeben hatte. Mit der Lehrveranstaltung und diesem Buch verfolgen wir ein und dasselbe Ziel: Wir wollen ein Bewusstsein für sprachliche Probleme im juristischen Alltag schaffen. Denn die Sprache ist unser gemeinsames Werkzeug.

Zum Thema „Recht und Sprache“ wurden bereits viele Bücher geschrieben. Auch wenn die meisten dieser Bücher interessant und lehrreich sind, so hat für uns doch keines davon so richtig gepasst. Für unseren Kurs suchten wir nach einem Praxishandbuch, das möglichst viel Inhalt auf möglichst wenig Seiten verpackt und zugleich die Perspektiven unterschiedlicher Berufsgruppen abdeckt. Außerdem sollte es viele praktische Beispiele enthalten, denn Sprache kann unseres Erachtens nicht abstrakt vermittelt werden.

Mit unserem Buch versuchen wir diesen Anforderungen gerecht zu werden. Wir wollen Recht und Sprache aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und Ihnen, liebe Leser*innen, zeigen, welche sprachlichen Tücken und Fallstricke in der Praxis lauern. In vielen Fällen gibt es nicht einfach „richtig“ oder „falsch“, sondern verschiedene Möglichkeiten. Um auf das Bild vom Werkzeug zurückzukommen: Nach der Lektüre dieses Buches sollten Sie wissen, welche sprachlichen Werkzeuge Ihnen zur Anwendung in der juristischen Praxis zur Verfügung stehen. Ob Sie zum Öffnen einer verschlossenen Tür dann einen Dietrich oder den Vorschlaghammer verwenden, das liegt ganz bei Ihnen. Mündige Leserinnen und Leser können in solchen Fällen selbst entscheiden, welchen unserer Ratschläge sie folgen möchten, was sie gut finden und was nicht. Weil wir gerade bei den LeserInnen sind: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, in diesem Buch verschiedene Formen des Genderns (oder Nichtgenderns) zu verwenden, diese Frage also nicht von einem doktrinären, sondern von einem praktischen Standpunkt zu betrachten.

Die Autoren kommen aus verschiedenen juristischen Berufsfeldern; ihrer Ausbildung nach sind sie ausschließlich Juristen, keine Linguisten oder Germanisten. Daher ist auch dieses Buch keine wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung der deutschen Grammatik. Selbst germanistische Fachbegriffe kommen nur vereinzelt vor. Trotz ihrer juristischen Ausbildung liefern die Autoren aber auch keine juristisch-dogmatischen Erörterungen. Beispiele sind teils dem deutschen, teils dem österreichischen Recht entnommen, doch die Probleme, um die es geht, sind überall gleich, die Erkenntnisse allgemein gültig. Vor diesem Hintergrund verblassen regionale Unterschiede – sie werden aber auch nicht verschwiegen, denn sie können das Problembewusstsein schärfen.

Keines der in diesem Buch verwendeten Beispiele ist erfunden. Viele stammen jedoch aus studentischen Qualifikationsarbeiten, und gerade da schien uns bei einer Interessenabwägung die Nennung der (für Außenstehende ohnehin kaum beschaffbaren) Quelle weniger wichtig als die Wahrung von Anonymität.

Als Herausgeber danken wir vor allem den Autoren für ihre Beteiligung an diesem Projekt. Sie haben uns durch zeitgerechte Lieferung ihrer Beiträge, durch ihre Bereitschaft zur Diskussion und zur Überarbeitung sowie durch Anmerkungen zu den von uns verfassten Abschnitten die Zusammenarbeit zu einem Vergnügen gemacht! Zum Teil lag das auch am unterschiedlichen Zugang der Autoren. Deren Stil und deren persönliche Note haben wir daher erhalten.

Neben den Autoren waren auch noch andere Menschen aus unserem beruflichen oder privaten Umfeld am Entstehen dieses Buches beteiligt. Für Unterstützung bei der Recherche und bei redaktionellen Arbeiten danken wir Mag. phil. Hanna Palmanshofer, BA, und Simela Papatheophilou, Studienassistentinnen am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien. Ihnen sowie Stud.-Ass. Katharina Oliva, Mag. phil. Gabriele Nimmerfall und Amalia Kohl, B.Ed, ist für die kritische Lektüre des Manuskripts zu danken.

Schließlich haben wir auch dem Verlag zu danken, zunächst für die positive Aufnahme unseres Projekts, dann für dessen sorgfältige Betreuung und die angenehme Zusammenarbeit.

Trotz mehrfacher Korrekturlesungen ist natürlich auch dieses Buch, wie jedes Menschenwerk, nicht frei von Fehlern. Wir könnten nun behaupten, solche Fehler wären absichtlich belassen worden, um die Aufmerksamkeit unserer Leserinnen und Leser zu schärfen – es wäre eine Schutzbehauptung. Doch immerhin können die verbliebenen Fehler uns allen als Mahnung gegen allzu große Selbstsicherheit dienen.

In diesem Sinne freuen sich Herausgeber und Autoren über Leserreaktionen (an: [email protected], [email protected]).

Wien 2021 Gerald Kohl / Paul Nimmerfall

I. 21 Vorschläge für bessere Sprache und verständlichere Texte

Die folgenden Vorschläge sollen dabei helfen, Texte sprachlich zu verbessern und verständlicher zu machen.1 Ein Allheilmittel sind sie nicht. Guter sprachlicher Stil lässt sich nicht auf wenigen Seiten vermitteln – das wäre zwar wünschenswert, geht an der Realität aber vorbei.

Der Versuch, besser zu schreiben, ist ein ständiger Kampf mit sich selbst. Unsere Vorschläge sollen Sie bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sprachgebrauch unterstützen und an sprachliche Grundsätze und häufige Fehlerquellen erinnern. Eine vertiefte Betrachtung der Problemfelder wird in Teil II angeboten.

Auch wenn unsere Vorschläge keine Garantie für stilistisch gelungene Texte sind, so wird doch, wer ihnen folgt, besser und verständlicher schreiben. Davon sind wir überzeugt.

***

Phase 1: Vor dem Schreiben

1.Denken Sie serviceorientiert und leserfreundlich!

Ein bekannter Satz lautet sinngemäß: „Einer wird sich plagen, Schreiber oder Leser.“2 Je mehr Zeit und Mühe Sie in einen Text investieren, desto weniger plagen sich die Lesenden bei der Lektüre. Ganz egal, in welchem beruflichen Umfeld Sie tätig sind, verständliche Texte werden positiv auf Sie zurückfallen. Vergessen Sie nicht, dass Sie für Ihre Leser schreiben.

Einer muss sich plagen – der Schreiber …

… oder der Leser

2.Behalten Sie den Adressaten im Blick: Für wen schreiben Sie?

Bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, sollten Sie kurz innehalten und darüber nachdenken, an welche Person oder welchen Personenkreis sich Ihr Text eigentlich richtet. Es wird einen fundamentalen Unterschied machen, ob Sie einen Artikel für eine juristische Fachzeitschrift oder eine Boulevardzeitung verfassen. Versuchen Sie sich in Ihre Leser hineinzuversetzen. Was sind deren Erwartungen an den Text? Den technischen Vorstand eines Unternehmens müssen Sie nicht mit juristischen Abhandlungen und fachlichen Kontroversen langweilen. Vielleicht interessieren diese Details aber gerade die Rechtsabteilungsleiterin oder den Rechtsabteilungsleiter. Apropos: Manchen Personen fällt es extrem negativ auf, wenn Sie nicht gendern. Andere wiederum meinen, dass gendergerechte Sprache den Lesefluss stört. Wir haben uns in diesem Werk bewusst inkonsequent für Einzelfalllösungen entschieden.

3.Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern

Bevor Sie den Stift ansetzen oder Ihren Computer einschalten, sollten Sie eine Vorstellung davon haben, was Sie inhaltlich zu Papier bringen wollen. Nur wer einen klaren Gedanken hat, kann diesen auch klar und verständlich niederschreiben. Das hat schon Nietzsche gesagt.3 Glauben Sie uns: Fünf Minuten in der Konzeption ersparen Ihnen 20 Minuten in der Überarbeitung.

4.Ein guter Text hat eine sinnvolle Gliederung

Die Gliederung soll einen Text verständlicher machen. Ohne sie haben es die Leser oft schwer, dem Inhalt zu folgen. Als Grundregel gilt: Je länger der Text, desto wichtiger die Gliederung. Wir hoffen, dass Sie zustimmen: Eine Diplomarbeit ohne Gliederung wäre völlig undenkbar. Für einen verständlichen Text müssen Überschriften, Absätze und Sätze in ein sinnvolles System gebracht werden.

→Siehe auch Teil II, Seite 45 (Textgliederung).

→Siehe auch Teil II, Seite 101 f. (Formale Textgestaltung).

5.Trennen Sie sich von der „Juristensprache“

Ein letzter allgemeiner Hinweis, bevor der Schreibprozess im engeren Sinn beginnt: Sie müssen nicht hochtrabend und ausschweifend formulieren, um als Jurist oder Juristin ernst genommen zu werden. Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube.4 In den meisten Fällen haben derartige Versuche nur den gegenteiligen Effekt. Verzichten Sie daher auf Wörter wie „behufs“, „hinkünftig“ oder „ausweislich“. Dies gilt auch für Wendungen wie „eindeutig unzweideutig“ (= eindeutig, oder?) oder „unwahr und unrichtig“ (= falsch). Schreiben Sie einfach und verständlich, das reicht. Es folgt ein Abschreckungsbeispiel (aktuell und stellvertretend für viele):

Beispiel:

Damit orientiert [die Fragenrüge] sich allerdings nicht an der gleichlautenden (anklagekonformen) Benennung des maßgeblichen Sachverhaltssubstrats in der unmittelbar vorher gestellten Hauptfrage 1 und legt nicht dar, inwiefern der von der Hauptfrage 2 solcherart – fallbezogen unzweideutig durch Verweis auf eine andere Frage und nicht (bloß) auf Aktenbestandteile – umschriebene Sachverhalt nicht nach den konkreten Tatumständen hinreichend individualisiert und subsumtionstauglich umschrieben sein soll und der Wahrspruch insoweit nicht dem wahren Willen der Geschworenen entsprechen sollte.5

****

Phase 2: Während des Schreibens: Satzstruktur, Wortwahl, Stil

Einige Gedanken zur Satzstruktur:

6.Subjekt, Prädikat, Objekt

Behalten Sie im Hinterkopf: Die für Leser einfachste Satzstruktur folgt der Grundregel „Subjekt vor Prädikat vor Objekt (und anderen Satzgliedern)“. Ein kurzes Beispiel: Die Studentin liest das Buch. Nicht: Das Buch liest die Studentin. Auch die Alternative „Das Buch wird von der Studentin gelesen“ ist suboptimal (siehe zu Passivkonstruktionen gleich unter Vorschlag 14).

Auf Dauer werden Sie diese Abfolge jedoch nicht durchhalten. Komplexere Texte vertragen eine komplexere Satzstruktur. Eine stets gleiche Abfolge langweilt die Leser. Gerade bei verwirrenden Satzkonstruktionen hilft es aber manchmal, sich vor Augen zu führen, wo Subjekt und Prädikat stehen – denn diese transportieren meist die zentrale Aussage und sollten daher die Spitzenpositionen im Satz einnehmen.

→Siehe auch Teil II, Seite 49 f. (Satzbau).

7.Kurze oder lange Sätze?

Kurze Sätze sind in der Regel einfacher zu verstehen als lange Sätze.6 Das muss jedoch nicht zwangsläufig heißen, dass lange Sätze immer schlecht sind. Die Verständlichkeit eines Satzes hängt nicht nur von der Wortanzahl ab, sondern auch von der Stellung der einzelnen Satzglieder zueinander. Um es frei nach dem österreichischen Kartellgesetz auszudrücken: „Es wird vermutet, dass lange Sätze für den Leser unverständlich sind. Diese Vermutung kann widerlegt werden.“ (§ 37c KartG) Ob ein langer Satz den sprachlichen Anforderungen genügt, muss letztendlich jeder für sich selbst entscheiden. Im Zweifelsfall lässt sich das Problem rasch lösen: Verteilen Sie den Inhalt auf mehrere Sätze.

→Siehe auch Teil II, Seite 51 ff.(Satzlänge).

8.Variation in der Satzstruktur stärkt den Lesefluss

Die immer gleiche Satzstruktur wirkt monoton (siehe Vorschlag 6). Dies gilt auch für die Satzlänge. Die Variation zwischen langen und kurzen Sätzen macht den Text interessanter.7

9.Stellen Sie die Hauptaussage an den Beginn

Die Aufmerksamkeitsspanne der Lesenden ist begrenzt. Daher sollte die Hauptaussage am Beginn des Satzes stehen. Hilfe bietet dabei das Verb, in dem oft die eigentliche Handlung versteckt ist (Aktionsverb).

Ausdruck und Wortwahl:

10.Überflüssiges streichen

Oft werden Wortpaare verwendet, die streng genommen überflüssig sind. Dies trifft beispielsweise auf Wörter zu, deren Inhalt sich bereits aus einem anderen Wort ergibt. Ein kurzes Beispiel: „Die am 1. 1. 2020 durchgeführte Verhandlung verlief wie geplant.“ Der Hinweis, dass es sich um eine „durchgeführte“ Verhandlung handelt, ist meistens nicht notwendig.8 Das ergibt sich bereits aus dem Wesen einer Verhandlung in Verbindung mit der Zeitangabe. Besser wäre daher: „Die Verhandlung am 1. 1. 2020 verlief wie geplant.“

→Siehe auch Teil II, Seite 88 ff. (Wortwahl im Kontext).

11.Zusammen, was zusammengehört

Gewisse Wörter der deutschen Sprache verlangen einander. Andere Wörter passen wiederum nicht zusammen: Ein Vertrag wird geschlossen, er wird nicht beschlossen.9 Eine Vereinbarung kann dagegen auch getroffen werden (noch besser wäre es natürlich, einfach etwas zu „vereinbaren“). Diese Regeln sind logisch nur zum Teil erklärbar. Nichtsdestotrotz10 ist es notwendig, sich daran zu halten. Einen Vertrag zu „treffen“ – das passt einfach nicht.

Dass wir Wörter verwenden, die einfach nicht so richtig passen, geschieht entweder aus Unwissenheit oder – in den meisten Fällen – aus Unachtsamkeit.11 Es folgt ein „schönes“ Beispiel aus einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (mit Deutungsversuchen des Senats in Klammern).12

Beispiel:

Der Beschwerdeführer fühlte sich in seinem Recht auf Gleichheit verletzt, weil

„ihn die belangte Behörde aus unsachlichen Gründen benachteiligt habe bzw. der angefochtene Bescheid wegen gehäuftem Erkennen (gemeint wohl: Verkennen) der Rechtslage in einem besonderen Maß mit den heranzuziehenden Rechtsschriften (gemeint: Rechtsvorschriften) in Widerstand (gemeint: Widerspruch) stehe.“13

→Siehe allgemein auch Teil II, Seite 64 ff. (Ausdruck).

12.Aufgeblähte Wörter und Formulierungen vermeiden

Manchmal scheint es so, als ob wir Angst davor hätten, uns durch einfache Sprache zu blamieren. Dafür gibt es aber keinen Grund (siehe bereits Vorschlag 4). Urteilen Sie selbst:

Beispiel 1:

Hiermit bringe ich Ihnen zur Kenntnis, dass ich mich vom Kurs abmelden möchte.14

Vorschlag 1: (absenderbezogen)

Ich möchte mich vom Kurs abmelden.

Vorschlag 2: (adressatenbezogen)

Bitte melden Sie mich vom Kurs ab.15

Beispiel 2:

Die Behauptung der beklagten Partei stellt eine Unrichtigkeit dar.16

Vorschlag:

Die Behauptung der Beklagten ist falsch.

→Siehe allgemein auch Teil II, Seite 64 ff. (Ausdruck).

Eine Frage des Stils:

13.Den Nominalstil einschränken

Handlungen werden meistens durch Verben ausgedrückt (Aktionsverben). Man kann diese Handlung aber auch in eine „Nomen-Verb-Konstruktion“ verpacken (Nominalstil).17 Der Nominalstil wirkt behäbig und sollte – soweit möglich – eingeschränkt werden.

Beispiel 1:

Die Gesellschafter fassen den Beschluss zur Gewinnausschüttung.

Vorschlag:

Die Gesellschafter beschließen Gewinne auszuschütten.

Der Nominalstil funktioniert übrigens auch mit Adjektiven:

Beispiel 2:

Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Vorschlag:

Das Urteil ist rechtskräftig.

→Siehe auch Teil II, Seite 67 ff.(Ausdruck).

14.Aktiv und Passiv

Juristen formulieren gerne im Passiv. Das führt oft zu längeren Sätzen und komplizierteren Konstruktionen.18 Das Passiv hat aber auch gewisse Vorteile. Es hilft, den Lesern gegenüber Distanz zu wahren, und sorgt – in der richtigen Dosis verwendet – auch für Abwechslung im Text. Wir formulieren unseren Vorschlag daher etwas vorsichtiger: Versuchen Sie grundsätzlich19 im Aktiv zu schreiben. Hinterfragen Sie, ob Ihre Passivkonstruktionen gerechtfertigt sind (so wie bei langen Sätzen; siehe Vorschlag 7).

15.Vermeiden Sie die Inversion

Weniger Verständnis haben wir für die Sprachsünde der Inversion.20 Dabei handelt es sich um eine grammatikalische Konstruktion, in der die Normalabfolge in einem Satz verändert ist (oft wird z. B. das Prädikat im Aussagesatz vor das Subjekt gestellt). Mittlerweile begegnet einem die Inversion in zahlreichen, nicht nur juristischen Texten:

Beispiel 1:

„Bei einer Gebrauchsabgabeprüfung im Frühjahr 1993 hat sich herausgestellt, daß diese Vorgangsweise nicht korrekt ist und haben wir die Gebrauchsabgabe zurückerstattet bekommen.“21

Es liegt die Vermutung nahe, dass nicht die so zitierte Zeugin, sondern der Schriftführer diesen Satz zu verantworten hat. Das Phänomen der Inversion ist oft bei (zu) langen Sätzen zu finden, längst auch abseits von Verhandlungsprotokollen:

Beispiel 2:

„Trotz ihrer Bemühungen seien die Unzufriedenheit und Enttäuschung im Kulturbereich nicht geringer geworden und habe sie keine positive Wirkung mehr erzielen können.“22

16. Formulieren Sie sachlich und frei von Emotionen

In den meisten juristischen Texten ist eine emotionale Ausdrucksweise fehl am Platz. Sie sollten in der Sache überzeugen und nicht durch Kraftausdrücke, polternde Formulierungen oder blumige Ausführungen.

****

Phase 3: Nach dem Schreiben

17.Nachträgliche Kontrolle und Mut zur Überarbeitung

Es wäre ein schwerer Fehler, den ersten Entwurf eines Textes als ein fertiges Produkt anzusehen. Damit ist – wenn überhaupt – nur die Hälfte geschafft. Die andere Hälfte des Schreibprozesses beginnt erst. Dann schlägt die Stunde der Selbstkritik, es wird umgruppiert und umformuliert. Vom ersten Entwurf bleibt oft nicht mehr viel übrig.

Als Grundregel empfehlen wir, für jede Stunde des Schreibens mindestens eine Stunde des Überarbeitens einzuplanen (Verhältnis 1:1). Ideal wäre ein zeitlicher Abstand zwischen Erstentwurf und Überarbeitung.

→Siehe auch Teil II, Seite 42 ff. (Überarbeitung).

18.Arbeiten Sie präzise

Präzision ist wichtig, nicht nur für Chirurgen und Piloten, sondern auch für Juristen. Manchmal dreht sich alles um die Auslegung eines Wortes oder Rechtsbegriffs. Es klingt zwar ganz nach Paragrafen- und „i-Tüpfelreiterei“, doch gelegentlich entscheidet sogar ein einzelner Beistrich über Sieg oder Niederlage.23

Natürlich endet nicht jede Ungenauigkeit vor einem Höchstgericht. Sie zeigt jedoch, dass Sie sich mit dem Text nicht ausreichend lang auseinandergesetzt haben. Achten Sie bei der Überarbeitung Ihres Textes darauf, ob alle Wörter richtig verwendet und die Grammatik- und Rechtschreibregeln eingehalten wurden.

19.Einheitlichkeit

Einheitlichkeit hilft dem Verständnis. Deutlicher wird dieser Gedanke bei negativer Formulierung: Uneinheitlichkeit fällt dem Leser unangenehm auf und verwirrt ihn. An dieser Stelle sollen nur zwei Beispiele für viele genannt werden:

Beispiel 1:

Wurde ein Vertrag einmal als „Kaufvertrag“ definiert, sollten Sie nicht von der „Vereinbarung“ oder vom „Agreement“ sprechen.

Beispiel 2:

Wenn Sie im Text ständig zwischen „des Rechts“ und „des Rechtes“ wechseln, ist das zwar eine juristisch harmlose Uneinheitlichkeit, doch als Indiz für mangelnde redaktionelle Sorgfalt eventuell schädlich für Ihr „Image“.

Vermeiden Sie Uneinheitlichkeit, sofern es dafür keinen guten Grund gibt. In der Regel gilt: Achten Sie bei der Überarbeitung auf die Einheitlichkeit.

→Siehe auch Teil II, Seite 95 ff.(Formale Textgestaltung).

→Siehe auch Teil III, Seite 137 (Vertragsgestaltung).

20.Den Text in Form bringen

Das Design eines Produkts beeinflusst unsere Kaufentscheidung, das Aussehen einer Speise unseren Geschmack – das Auge isst bekanntlich mit. So ähnlich verhält es sich auch mit der Sprache in Texten. Leser werden von der formalen Gestaltung des Textes beeinflusst. Gliederung, Formatierung und Schriftart beeinflussen, wie wir einen Text wahrnehmen. Zudem hilft eine ansprechende Form dabei, den Text besser zu verstehen.

→Siehe auch Teil II, Seite 95 ff.(Formale Textgestaltung).

****

In allen Phasen:

21.Seien Sie kritisch und brechen Sie die Regeln

Sprache ist keine exakte Wissenschaft, vieles ist Geschmacks- und Gefühlssache. So sind auch unsere Vorschläge eben nur Vorschläge und keine starren Gebote. Wir wollen Sie dazu ermutigen, sprachliche Regeln kritisch zu hinterfragen und diese, wenn Sie das für sinnvoll halten, auch zu brechen.24 Sprache verändert sich auch mit der Zeit.25 Was heute kritisiert wird, kann in fünf Jahren schon dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen. Ein Beispiel gefällig? In einem vor gut 35 Jahren erschienenen Aufsatz wird das Wort „Situation“ noch als „zungenbrecherisch“ beschrieben („Lage“ hätte es damals lauten sollen).26 Das sieht man heute wohl anders.

Wie gesagt: Hinterfragen Sie kritisch und trauen Sie sich, Regeln zu brechen. Dieser letzte Vorschlag steht allerdings unter einer Bedingung: Um eine Regel brechen zu können, ist es notwendig, sie vorher zu kennen.

1 Zahlreiche Hinweise für bessere Sprache finden sich auch in Schönherr, Sprache und Recht 10 ff. und Schimmel, Juristendeutsch 126. Eine ausgezeichnete Auswahl an Sprachregeln haben am Beginn einiger neuer KODEX-Ausgaben auch Werner Doralt und Reinhard Hinger zusammengestellt. – Die Kategorie der „Verständlichkeit“ kann prinzipiell infrage gestellt werden: Sie wird niemals in einem Maß erreicht, das die kernjuristische Aufgabe der Auslegung überflüssig macht: Vgl. Thiel, Recht und Sprache 250 ff. Umfassend zur Verständlichkeit Lerch, Sprache des Rechts I.

2 So ähnlich z. B. Walter, Kleine Stilkunde 1.

3Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches 131: „Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern.“

4 Auf den Punkt gebracht: Rami, Jesus und die Juristen 30; Rami, Ja, wir sind in der Lage 74; Rami, Leitfaden 65.

5 OGH 23. 4. 2020, 11 Os 9/20p.

6 Siehe Richtlinien für „Leichte Sprache“ des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

7Nordman, Rhythmus im Fachtext 293.

8 Siehe auch Fucik, Die eingebrachte Klage 697.

9 Auch „abgeschlossen“ ist verbreitet, ein inhaltlicher Unterschied jedoch nicht ersichtlich (vgl. dagegen „eine Tür schließen“ und „eine Tür abschließen“).

10 Das Wort „nichtsdestotrotz“ – nicht besonders schön, aber doch durchaus gebräuchlich – war ursprünglich nur ein Scherzwort unter Studenten (nichtsdestoweniger + trotzdem). Daher kommt es in diesem Buch nur an dieser Stelle vor.

11 Genau deshalb ist die Überarbeitung des Textes so wichtig (siehe Vorschlag 17).

12 Siehe auch Lehofer, Höchstgerichtliche Wohlmeinung 114.

13 VwGH 26. 2. 2010, 2010/02/0001. Auch gerne verwechselt werden „Anfrage“ und „Nachfrage“, „Rücksicht nehmen“ und „berücksichtigen“ oder – wie schon Schönherr festgestellt hat – „zahlen“ und „bezahlen“ (Schönherr, Sprache und Recht 17).

14 Aus dem E-Mail einer Studentin. Beim Wort „E-Mail“ ist im deutschsprachigen Raum ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten: Je südlicher der Ort (also Bayern, Österreich und die Schweiz), desto geläufiger scheint „das“ E-Mail statt „die“ E-Mail zu sein (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Mail; 16. 11. 2020).

15 Wer es höflicher findet, auch gerne: „Ich würde Sie bitten, mich vom Kurs abzumelden“.

16 Aus einer Klagebeantwortung.

17 Zum Nominalstil auch Rami, Wortgestöber 67.

18 Siehe auch Hinger, Zu hoch und zu lang 102.

19 Siehe zu diesem Wort unten Teil III, Seite 145 (Vertragsgestaltung).

20 Vgl. Vorschlag 6 zur Satzstruktur. Siehe auch Fidler, Invasion der Inversion 105.

21 Aus einem Verhandlungsprotokoll (UVS Wien 31. 7. 1995, 05/F/28/39/95).

22 Es ging um den Rücktritt der ehemaligen Staatssekretärin Ulrike Lunacek: ORF.at: „Kogler hat Favoritin für Lunacek-Nachfolge“ abrufbar unter https://orf.at/stories/3165908 (18. 5. 2020).

23 Der OGH legte beispielsweise den Satz „[Ein] Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht aber als Unfallfolge versichert“ zugunsten eines Versicherungsnehmers aus, weil mangels Beistrichsetzung nicht eindeutig klar war, ob ein Herzinfarkt als Unfallsfolge versichert sei (vgl. OGH 29. 4. 2002, 7 Ob 73/02i). Hätte das Versicherungsunternehmen einen Beistrich gesetzt, wäre die Sache wohl anders ausgegangen.

24 Mit ähnlichem Ansatz auch Leitner, Anything goes 23.

25 Siehe sehr detailliert Maas, Was ist deutsch?.

26Edlbacher, Erfahrungen 2.

II. Allgemeiner Teil: Grundlagen und Problemfelder

A. Sprache im Kontext

1.Kommunikation und Sprache

Beginnen27 wir mit einem Gedanken, der selbstverständlich erscheint: Sprache dient der menschlichen Kommunikation. Bis vor wenigen Jahren galt sie überhaupt als Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier; heute weiß man zwar, dass auch manche Tiere sprachlich kommunizieren, doch um solche Sprachen soll es in diesem Buch nicht gehen. Selbstverständlich ist Sprache auch nicht das einzige Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation, auch Körperhaltung, Gestik und Mimik sind von Bedeutung. Doch lange war nur Sprache imstande, Raum und Zeit zu überwinden, also eine Brücke über räumliche und zeitliche Distanz zu schlagen. Dies gilt besonders für Sprache in verschriftlichter Form. Bildtelefonie, Videobotschaften, Zoom-Konferenzen und ähnliche Instrumente, die neben dem gesprochenen Wort auch Mimik und Gestik transportieren können, haben dieses Monopol zwar beseitigt, doch beschränkt sich ihre Bedeutung auf die Überwindung der räumlichen Entfernung. Kommunikation über zeitliche Distanz kann weiterhin auf Sprache in Form von geschriebenem Text nicht verzichten: Selbst eine heute auf dem Dachboden gefundene Videobotschaft auf Super8-Film ist sowohl im Hinblick auf den Erhaltungszustand als auch wegen der technischen Voraussetzungen für das Abspielen eine Herausforderung. Schriftliche Texte bedürfen hingegen nur eines haltbaren Trägermediums und entsprechender Lese- und Sprachfähigkeit des Empfängers, um Informationen über Jahrhunderte transportieren zu können. Aufgrund des gleichen oder verwandten Trägermediums gilt das zwar auch für Bilder, die ebenfalls Informationen liefern, doch ist die „Bildsprache“ oft nicht eindeutig und erschließt sich nur Experten. Man denke etwa an das bekannte Gemälde „Die niederländischen Sprichwörter“ von Pieter Bruegel dem Älteren, das über hundert Redewendungen veranschaulicht. Im modernen Alltag begegnet das Problem der Mehrdeutigkeit von Bildern in den „Emojis“, die auf dem Weg zu einer eigenen Sprache zu sein scheinen. Es gab schon Menschen, die für Schokoladeeis hielten, was offiziell als … naja, Sie wissen schon … bezeichnet wird.28

Bei aller Wertschätzung der Sprache gilt aber doch auch: „Sprache ist eine große Quelle für Missverständnisse.“29 Als Kommunikationsmittel ist Sprache vielschichtig. Der deutsche Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun entwickelte dazu das sogenannte „Vier-Seiten-Modell“.30 Jede Aussage/Nachricht hat demnach vier „Seiten“ bzw. Aspekte: Sie liefert Informationen über einen Gegenstand oder ein Thema (Sachaspekt) sowie über den Sprecher (Selbstkundgabe) und dessen Beziehung zum Empfänger (Beziehungsaspekt), woran sich schließlich Erwartungen an den Empfänger knüpfen (Appell). Sender und Empfänger einer Nachricht nehmen diese verschiedenen Seiten unterschiedlich wahr, woraus Missverständnisse resultieren können. Wie auf diese Weise die Kommunikation gestört wird, zeigte Schulz von Thun am Beispiel eines Ehepaars beim Abendessen: Der Ehemann, der dabei Kapern in der Soße sieht, fragt: „Was ist das Grüne in der Soße?“ Die Ehefrau antwortet darauf: „Wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen!“

Diese auf den ersten Blick vielleicht unverständliche Reaktion erschließt sich, wenn man den Fragesatz des Mannes in seine Teilaspekte zerlegt, also die verschiedenen Seiten seiner Nachricht getrennt voneinander betrachtet (siehe Tabelle 1). Auf den vier Ebenen (Spalte 1) bringt die eine Frage des Ehemannes jeweils etwas anderes zum Ausdruck (Spalte 2); es lassen sich also vier Sätze unterscheiden. Sender und Empfänger einer Nachricht zerlegen dieselbe Frage jedoch nicht in gleicher Weise in dieselben vier Teile, sondern bringen dabei jeweils ihre Person ein. So werden die einzelnen Teilaussagen von der Ehefrau anders verstanden werden (Spalte 3), als sie vom Ehemann gemeint waren. Trotz Einigkeit auf der Sachebene kommt es zu einer Auseinandersetzung:

Spalte 1EBENE

Spalte 2MANN SAGT:

Spalte 3FRAU VERSTEHT als Aussage des Mannes:

„Da ist etwas Grünes in der Soße.“

Sachebene:

Da ist etwas Grünes.

Da ist etwas Grünes.

Selbstoffenbarung:

Ich weiß nicht, was es ist.

Mir schmeckt das Essen nicht.

Beziehung:

Du wirst es wissen.

Du bist eine miserable Köchin.

Appell:

Sag mir, was es ist!

Lass das nächste Mal das Grüne weg!

FRAU SAGT:

„Wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen!“

Tabelle 1: Ein Beispiel Schulz von Thuns für sein Vier-Seiten-Modell

„Da ist etwas Grünes in der Soße…“

An dieses Vier-Seiten-Modell sollten wir uns erinnern, wenn wir juristische Texte schreiben oder lesen. Auch dabei geht es nicht nur um sachliche Informationen. Nehmen wir als Beispiel den folgenden Satz:

„Gemäß § 123 XYZ-Gesetz ist die Rechtslage so und so.“

Diese Aussage enthält durchaus eine sachliche Information; sie informiert (hoffentlich zutreffend) über ein juristisches Faktum, nämlich über den Norminhalt des angegebenen Paragrafen. Zugleich transportiert dieser Satz, gerade durch den an den Anfang gestellten Paragrafenverweis, eine Botschaft über das Selbstverständnis des Senders: ich bin klug; ich bin ein Kenner des Gesetzes, ein guter Jurist; ich habe recht. Welcher dieser Aspekte akzentuiert wird, ist vom Zusammenhang, d.h. auch von der Beziehung zwischen Sender und Empfänger, abhängig: Richtet sich der Satz an einen Juristen, so kann die Beziehungsebene wohl am besten durch den Satz Wir gehören zusammen – wir verstehen einander charakterisiert werden; gegenüber einem juristischen Laien wird hingegen transportiert: Ich bin der Wissende, du der Unwissende; ich belehre dich. Auch der Appell ist vom Kontext abhängig: So soll der genannte Satz in einer Diplomarbeit gegenüber den Beurteilenden Glaubt, dass ich klug bin; glaubt, dass ich ein guter Jurist bin, dass ich qualifiziert bin, dazugehöre ausdrücken, im Anwaltsbrief an den Gegner des eigenen Mandanten hingegen Glaub, dass ich recht habe; sei beeindruckt; fürchte dich vor mir.

Abb. 1: Das Vier-Seiten-Modell nach Friedemann Schulz von Thun31

Ein schönes Beispiel für zumindest zwei der „Vier Seiten“ lieferte die Journalistin und Politikerin Sibylle Hamann in einer Kolumne über die sogenannte „Leichte Sprache“:32

[…] Anders als Tiere, die sich aufgrund von Zufall oder Abstammung zu Rudeln zusammenschließen, erzeugt der Mensch sein Zusammengehörigkeitsgefühl durch Sprache: Wer versteht, gehört dazu. Wer dazugehören will, muss mitreden können. Wer mitbestimmen will, erst recht.

Das weiß jeder, der Macht hat. Absolute Monarchen hielten ihre Untertanen deswegen stets sprachlich auf Distanz. Am Hof unterhielt man sich auf Französisch oder in aristokratischen Geheimcodes, derer das gemeine Volk nicht mächtig war. Reste dieses obrigkeitsstaatlichen Denkens haben sich bis in unsere Gegenwart erhalten: Man denke nur an jene unverständliche Amtssprache, mit der Behörden Bittsteller abwimmeln. Oder an die Juristensprache, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn jemand eingeschüchtert, verwirrt oder zum Schweigen gebracht werden soll. Der Trick ist eigentlich einfach: Menschen haben eine beschränkte Aufmerksamkeitsspanne; wenn sie sich überfordert fühlen, schämen sie sich. Viele verzichten dann darauf, auf Mitsprache zu bestehen, klinken sich einfach aus und gehen. […]

Dieser Text veranschaulicht mit dem durch Sprache erzeugten „Zusammengehörigkeitsgefühl“ den Beziehungsaspekt, mit dem Vorwurf, Juristensprache käme immer dann zum Einsatz, „wenn jemand eingeschüchtert, verwirrt oder zum Schweigen gebracht werden soll“, den Appell.33 Hamann unterstellt nahezu, dass es einen Sachaspekt gar nicht gebe.

Das „Vier-Seiten-Modell“ ist gut geeignet, eigene ebenso wie fremde Texte auf den Prüfstand zu stellen: Warum schreibe ich so und nicht anders? Will ich irgendwo „dazugehören“, jemanden beeindrucken, will ich drohen oder Kompromissbereitschaft signalisieren? Sind diese Aspekte der gerade aktuellen Textgattung angemessen, unpassend oder gar karikaturhaft übertrieben? Diese Selbstreflexion kann und sollte Grundlage für die Überarbeitung eigener Texte sein. Als Empfänger werden mir derartige Fragen dabei helfen, die Absichten des Senders zu verstehen: Will der Sender mich offensichtlich beeindrucken, so ist er sich seiner Sache vielleicht gar nicht so sicher – „wer droht, hat immer Angst“, „wer sich fürchtet, pfeift nachts besonders laut im Wald“, so oder ähnlich lauten bekannte Sprichwörter.

In einem wissenschaftlichen Text soll von den vier Seiten einer Nachricht die Sachebene besonders ausgeprägt sein. „Versachlichung“ bedeutet möglichste Zurückdrängung der anderen Ebenen. Abqualifizierende Adjektive sind dabei also ebenso verfehlt wie intellektuelles Imponiergehabe. Primärer Zweck eines wissenschaftlichen Textes ist die nachvollziehbare Vermittlung eigener Gedanken samt deren Begründung. Nachvollziehbarkeit durch andere erfordert sprachliche Verständlichkeit bei der Präsentation der eigenen Forschungsergebnisse und Überlegungen. Es genügt nicht, ein Problem selbst verstanden zu haben, es ist auch sprachlich so aufzubereiten, dass Dritte es verstehen. Die wiederholte sprachliche Überarbeitung eigener Texte ist also weder Fleißaufgabe noch Luxus, sondern Voraussetzung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Umgekehrt indiziert Unverständlichkeit oft, dass der Verfasser selbst ein Problem nicht restlos verstanden hat. Albert Einstein wird das Zitat zugeschrieben: „If you can’t explain it simply, you don’t understand it well enough.“

In diesem Sinne empfiehlt es sich, die eigenen Textentwürfe mit zeitlichem Abstand selbst wiederholt zu lesen und zugleich freiwillige Leser aus dem Familien- oder Freundeskreis zu gewinnen (die nicht fachkundig sein müssen). Bei akademischen Qualifikationsarbeiten wird sich vielleicht auch der Betreuer entsprechend einbringen. Auf Grundlage der Rückmeldungen kann dann schrittweise die Verständlichkeit verbessert werden. Oft braucht man in dieser Phase auch den Mut, sich nicht mit oberflächlicher Textkosmetik zu begnügen, sondern grundlegende Überarbeitungen (Umstellungen etc.) vorzunehmen. Bei der kritischen Lektüre eigener und fremder Texte lassen sich zahlreiche Problemfelder identifizieren, denen der Abschnitt II. B gewidmet ist.

2.Sprache als zeitgebundenes Phänomen

Bevor wir uns den Problemfeldern im Detail zuwenden, sind aber noch weitere Grundsatzüberlegungen zweckmäßig. Sprache ist nicht unabhängig von Zeit, Raum und gesellschaftlichen Bedingungen, sondern ein durch diese Elemente vielfach gebundenes und geprägtes Phänomen. Schon Hamanns oben zitierte Zeitungskolumne deutet die historische Dimension des Sprachgebrauchs an, und sowohl beim Verfassen von Texten als auch bei der Lektüre sollte man sich dieses Aspekts stets bewusst sein.

Deutsche Rechtstexte existieren seit dem 13. Jahrhundert. Dabei steht das Recht an einem Wendepunkt der sprachlichen Entwicklung von der gebundenen Sprache (Lyrik) zur freien Sprache (Prosa) an prominenter Stelle: Der Sachsenspiegel, ein Rechtsbuch, in dem um 1225 das zeitgenössische Gewohnheitsrecht aufgeschrieben wurde, war das erste bedeutende Prosawerk in deutscher Sprache.34

Ist also schon die Form der Sprache nicht zeitlos, so trifft dies auch auf die Rechtschreibung zu. Bis zum 17. Jahrhundert gab es überhaupt keine Rechtschreibnormen, dann informelle Regeln; im 20. Jahrhundert erfolgte eine Institutionalisierung der Rechtschreibregelung (1977 „Kommission für Rechtschreibreform“ oder „Kommission für Rechtschreibfragen“; 1998 „Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung“; seit 2004 „Rat für deutsche Rechtschreibung“).35 Die Akzeptanz derartiger Regulierungen bleibt lückenhaft; besonders umstritten war etwa die Rechtschreibreform 1996, in deren Rahmen u.a. das „ß“ zurückgedrängt und durch „ss“ ersetzt wurde (insbesondere „dass“ statt „daß“).

Zeitgebunden36 ist auch die Wortwahl, man denke nur an das heute verpönte „Weib“, das sich zur „Frau“ oder zur „Dame“ entwickelte, wobei Letzteres heute schon wieder kritisch gesehen wird (problematisch auch das dazugehörige Adjektiv „dämlich“). Die „Dirne“ wandelte sich vom jungen Mädchen über die Bauernmagd (teils noch als „Dirn“) zur Prostituierten; in dieser Bedeutung ist sie inzwischen durch andere Worte ersetzt. Heute geläufig ist nur mehr die Verkleinerungsform „Dirndl“ für ein weibliches Kleidungsstück alpiner Tracht. Die Anrede „Herr“ oder „Frau“, seit dem 20. Jahrhundert gegenüber Adressaten fast allgemein gebraucht, war einst ein Privileg: „Den Professoren und immatrikuli[e]rten Doktoren und deren Ehegattinnen und Wittwen soll bei gerichtlichen Erscheinungen (!) von den Magistraten der Sitz, und in den Expedizionen die Beisetzung des Ehrenwortes (!) Herr oder Frau gegeben werden.“37 Aktuell wird das Begriffspaar „Herr/Frau“ insgesamt als Ausdrucksform von Zweigeschlechtlichkeit infrage gestellt.

Abb. 2: Häufigkeit von Herr/Frau und Mann/Weib

Abb. 3: Die „Dirne“ wurde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert durch die „Prostituierte“ verdrängt.

Verfolgt man das heute kaum mehr gebräuchliche „Schelm“ in die Vergangenheit zurück, so begegnet man diesem Wort im 19./20. Jahrhundert in der Bedeutung eines heiter-harmlosen Spaßvogels. So prägte der deutsche Komiker Heinz Erhardt den Satz: „Was bin ich heute wieder für ein Schelm.“ Wer hingegen in der frühen Neuzeit einen anderen als Schelm bezeichnete, beging eine schwere Beleidigung, denn er erhob den Vorwurf unehrlicher, verbrecherischer Lebensführung: Im Mittelalter hatte das Wort eine seuchenhafte Viehkrankheit bezeichnet, dann die Kadaver sowie den damit befassten Beruf, den Abdecker (Schinder), der eine „ehrlose“ Beschäftigung ausübte. Über die Tätigkeit als Scharfrichter, die von vielen Abdeckern als „Nebenberuf“ ausgeübt werden musste, verschob sich der Begriff zu dessen „Kunden“. Erst das Genre der Schelmenromane betonte den schlitzohriggewitzten Charakter, aus dem sich wiederum die Kennzeichnung als Spaßvogel entwickelte. Nur im Sprichwort „ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, hat sich der kriminelle Aspekt deutlicher erhalten.38

Besonders stark zeitgebunden ist der Fremdwortgebrauch, der regelrechten Moden unterworfen ist. Die etwa um 1900 geborene Generation sprach mit Selbstverständlichkeit von Lavoir (für Waschschüssel) und Trottoir (für Gehsteig) oder von Tramway (für Straßenbahn), heute sind diese Worte aus dem Wortschatz der jungen Generation(en) weitestgehend verschwunden. Vokabel aus dem Verkehrswesen waren tendenziell nicht deutsch, solange sich die Mobilität auf höhere Schichten beschränkte. Das „Billet“ wurde im Deutschen Reich seit den späten 1880er-Jahren durch eine staatlich propagierte „antifranzösische“ Sprachreinigung zurückgedrängt, teilweise zum „Billett“ eingedeutscht; der stattdessen empfohlene „Fahrschein“ konnte sich auf lange Sicht aber nicht gegen das englische „Ticket“ durchsetzen. Erfolgreich war hingegen der „Bahnsteig“, der den „Perron“ ablöste.39

Abb. 4: Der im 19. Jahrhundert nahezu unbekannte „Gehsteig“ hat das „Trottoir“ längst überflügelt.

Abb. 5a: Gut zu erkennen ist der Siegeszug des „Bahnsteigs“ über den „Perron“.

Abb. 5b: Die Häufigkeit des deutschen „Fahrschein“ blieb ein temporäres Phänomen. Wie in

Abb. 5a werden die Folgen gezielter Sprachpolitik ab den späten 1880er-Jahren erkennbar.

Abb. 6: Selbst die Eindeutschung des Wortes „Billet“ zu „Billett“ bewahrte es nicht vor der Verdrängung.

Auch in der Mode bildet der Fremdwortgebrauch gesellschaftsgeschichtliche Entwicklungen ab, etwa die Umorientierung vom französischen zum angloamerikanischen Vorbild: Wurde ein Kleidungsstil einst als „leger“ bezeichnet, so ist heute zu dessen Beschreibung das Wort „casual“ vorherrschend.

Die Bindung der Sprache an die zeitgenössische Entwicklung wird gelegentlich durch Lektüregewohnheiten oder berufliche Umstände gelockert, sodass sich der Wortschatz weiter in die Vergangenheit erstreckt: Daher gibt es „sogar Leute, die heute fast noch so reden und schreiben wie ein Literat des 19. Jahrhunderts.“40

Von der Zeitgebundenheit sind auch Fachbegriffe nicht ausgenommen. Der Gebrauch eines unpassenden Begriffs führt dann leicht zu einer verfehlten wissenschaftlichen Fragestellung oder zu verzerrten Ergebnissen. Wer etwa die Begriffe „Staat“ oder „Umweltrecht“ für das Mittelalter oder die Frühe Neuzeit verwendet oder den historischen Gemeindebegriff mit der heutigen politischen (Orts-)Gemeinde gleichsetzt, unterlegt historischen Phänomenen ein modernes Begriffsverständnis und wird sich damit auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen selbst im Wege stehen.41

3.Sprache als regionales Phänomen

In einer Wechselwirkung zur historischen Dimension des Sprachgebrauchs stehen auch regionale Unterschiede. Mit anderen Worten: Die Geschichte überschattet den deutschen Sprachraum bis heute. In Österreich und Bayern, wo das Bildungswesen vom 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vom Jesuitenorden dominiert wurde, galt Latein als Bildungs- und Schreibsprache. Infolgedessen nahm der süddeutsche Sprachraum in dieser Zeit kaum Einfluss auf die Weiterentwicklung der deutschen Schriftsprache. Erst mit der Aufklärung ab Mitte des 18. Jahrhunderts weitete sich der mitteldeutsche Standard nach Süden aus. So setzte sich beispielsweise erst dann das sogenannte „lutherische e“ („ketzerische e“) an den Wortenden durch (z. B.: „Ende“ statt „End“, „Dirne“ statt „Dirn“). Die „süddeutsche“ Sprache galt seither als provinziell.42 Teilweise hat man den Eindruck, dass diese Vorstellung noch immer das Bewusstsein prägt. Verstärkt wird dies heute durch den Medienkonsum, wobei für Film (Synchronisierung!) und TV die Konsumentenzahlen maßgeblich sind. Daher wird vielfach der Rückgang des „österreichischen Deutsch“ beklagt, erkennbar etwa an Wortwahl (z. B.: „Junge“ statt „Bub“, „Januar“/„Februar“ vs. „Jänner“/„Feber“) oder Artikel („die Cola“ statt „das Cola“, „der Joghurt“ statt „das Joghurt“).43 Auch Verlage müssen an die Käuferzahlen denken, und so werden österreichische Autoren gebeten, süddeutsch-österreichische Formulierungen, sofern sie nicht überhaupt als Fehler (dis-)qualifiziert werden, im Interesse „genereller Lesbarkeit“ umzuschreiben (z. B.: „etwas spießt sich“44). Wenig Toleranz wird auch regional unterschiedlichen Präpositionen entgegengebracht – mit der Frage, ob es „zu Weihnachten“ oder „an Weihnachten“ heißt, lassen sich heftige Diskussionen provozieren.45

Abb. 7: Trotz gegenteiligen Eindrucks ist „zu Weihnachten“ immer noch vorherrschend.