Reich & Schön - Best of Julia 2020 - Michelle Smart - E-Book

Reich & Schön - Best of Julia 2020 E-Book

Michelle Smart

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Beschreibung

Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Julia-Romane aus 2020 - romantisch, aufregend und extravagant. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

CINDERELLA UND DER GRIECHISCHE TYCOON von Michelle Smart

Hartherzig wird Tabitha, Tochter eines Barons, von ihrer Stiefmutter verbannt. Als Zimmermädchen arbeitet sie bis zur Erschöpfung in einem Hotel, das dem griechischen Tycoon Giannis Basinas gehört. Der unnahbare Milliardär übersieht sie völlig - bis er einen Maskenball veranstaltet, weil er nach einer passenden Braut sucht. In einem geschenkten Kleid wagt Tabitha sich auf den Ball. Und zieht sofort Giannis‘ begehrlichen Blick auf sich! Eine sinnliche Nacht verbringt sie in seinen Armen, doch in der Morgendämmerung flieht Tabitha …

DIE SCHÖNSTE SÜNDE DER WELT von MAYA BLAKE

Sadies Herz klopft wie verrückt, als sie den unverschämt attraktiven Tycoon Neo Xenakis in Athen aufsucht. Sie muss ihm ein schreckliches Geständnis machen! Neos Zorn ist maßlos, doch trotz seiner Wut knistert es heiß zwischen ihnen. Warum sieht er bloß wie ein griechischer Gott aus? Ist es eine Sünde, dass sie sich in seine starken Arme schmiegt und leise "Ja" flüstert, als er sie langsam zur Liebe verführt? Nur eine Nacht mit dem feurigen Griechen … Aber neun Wochen später muss Sadie ihm schon wieder etwas gestehen!

DIE IRISCHE KELLNERIN UND DER PLAYBOY-MILLIARDÄR von ABBY GREEN

"Ich bekomme ein Kind. Dein Kind!" Totenstille herrscht nach Skye O‘Haras Worten in dem opulent geschmückten Ballsaal. Selfmade-Milliardär Lazaro Sanchez schäumt vor Wut. Wie kann die unverschämte Irin es wagen, seine Verlobungsfeier mit dermaßen dreisten Beschuldigungen platzen zu lassen? Doch gleichzeitig überkommt ihn wieder eine heiße Welle der Lust, wie damals in Dublin. Die kämpferische Schönheit mit dem flammend roten Haar will ihn brüskieren? Da hat sie die Rechnung ohne seine Macht und sein Verlangen gemacht …

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Seitenzahl: 603

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Michelle Smart, Maya Blake, Abby Green

Reich & Schön - Best of Julia 2020

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Michelle Smart Originaltitel: „The Greek’s Pregnant Cinderella“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2429 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anike Pahl

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733713966

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Tabitha Brigstock schob ihren Rollwagen in den Waschraum und hievte den schweren Stoffsack mit schmutzigen Laken und Handtüchern heraus. Wäsche aus den Suiten, die sie an diesem Morgen schon geputzt hatte.

Sie verstaute alles in der großen Waschmaschine, dann verließ sie den Raum wieder und brachte ihren Wagen den Flur hinunter in die Abstellkammer, in der auch die anderen Wäschewagen eingeschlossen waren.

Ihre Hände waren gerötet und wund, aber ihr blieb keine Zeit, sie mit der Salbe einzureiben, die gegen die unangenehmen Risse in der Haut half. Die Mitarbeiterquartiere befanden sich am anderen Ende des Hotels, was einen Fußmarsch von wenigstens fünfzehn Minuten bedeuten würde.

Seufzend stieg sie stattdessen die Treppe hinauf und ging bis ans Ende des Flurs im ersten Stock, um dort an die Tür zu klopfen. Anschließend benutzte sie ihren Generalschlüssel, um die Suite zu betreten.

„Hi, Mrs. Coulter“, rief sie fröhlich und betrat die luxuriöse Suite. „Wie geht es Ihnen? Entschuldigen Sie bitte, dass ich nicht früher hier war, aber ich wurde vorhin als Aushilfe im zweiten Stock gebraucht.“

Mit ihren dreiundachtzig Jahren war Mrs. Coulter der älteste Gast im Wiener Basinas Palasthotel und wohnte hier seit drei Monaten. Die arme Frau hatte sich einen Virus eingefangen, der sie schon vierzehn Tage ans Bett fesselte.

Tabitha hatte sich große Sorgen gemacht und stattete der alten Dame regelmäßig einen Besuch ab, um nach ihr zu sehen. Zum Glück ging es Mrs. Coulter seit einigen Tagen etwas besser. Heute war sie sogar aufgestanden, hatte sich angezogen und aß ihr Mittagessen an einem Tisch, von dem aus man durchs Fenster in den riesigen Palastgarten hinunterschauen konnte.

Mrs. Coulter lächelte, und in ihre Augen war das lebendige Funkeln zurückgekehrt, das Tabitha in den vergangenen zwei Wochen vermisst hatte.

„Mir geht es bedeutend besser, vielen Dank. Auch dafür, dass du mir Melanie vorbeigeschickt hast, um nach dem Rechten zu sehen.“

„Kein Problem. Ich habe die Vitamine dabei, die Sie wollten.“ Sie nahm ein kleines Plastikdöschen aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch.

Die alte Frau sah sie dankbar an. „Du bist ein Engel. Setzt du dich auf eine Tasse Tee zu mir?“

Tabitha blieben noch zwanzig Minuten von ihrer Mittagspause, also setzte sie sich auf den ihr angebotenen Stuhl und schenkte sich eine Tasse aus der Kanne ein, die auf einem Tablett stand.

Es fühlte sich nach der anstrengenden Sechsstundenschicht wunderbar an, endlich zu sitzen. Im Hotel herrschte nämlich große Aufregung. Der griechische Besitzer, Giannis Basinas, veranstaltete am heutigen Abend einen Maskenball, zu dem Prominente aus der ganzen Welt geladen waren.

Vorhin hatte Tabitha einen flüchtigen Blick auf ihn werfen können. Sie war gerade mit der Reinigung eines Zimmers fertig gewesen und hatte den Putzwagen über den Flur geschoben, als er an ihr vorbeiging. Ihr Herz hatte vor Aufregung einen Schlag ausgesetzt, aber er hatte sie – wie üblich – keines Blickes gewürdigt.

In den fünf Monaten, seit sie in diesem Hotel arbeitete, war sie dem schwerreichen griechischen Witwer, in dessen Adern laut Gerüchten blaues Blut floss, nur wenige Male begegnet. Das Basinas Palasthotel stellte bloß einen kleinen Teil seines Imperiums dar. Wenn er sich überhaupt mal in Wien zeigte, war die Anspannung unter den Angestellten fast greifbar.

Früher einmal war dieses Gebäude ein königlicher Palast gewesen, doch durch aufwendige Renovierungsarbeiten war es zu einem der teuersten Hotels Europas avanciert. Allein schon dort zu arbeiten, bedeutete eine Ehre. Und sollte der hohe Standard nicht gehalten werden, bestand die Gefahr einer Kündigung.

Tabitha konnte es sich nicht leisten, ihren Job zu verlieren. Und sie wusste auch nicht genau, weshalb sie es nicht mehr aus dem Kopf bekam, wenn ihr Giannis mal zufällig über den Weg lief. Und wieso sie Schmetterlinge im Bauch hatte, sobald er in der Nähe war.

Eine Kündigung würde gleichzeitig bedeuten, dass sie obdachlos war. Und das Gehalt war höher als bei ihrem alten Job in dem englischen Hotel, ganz zu schweigen von den Trinkgeldern. Aber trotz all der Überstunden, die sie leistete, hatte sie nicht annähernd genug gespart, um die Kaution für eine neue Bleibe zu zahlen.

Dabei war das alles, was sie sich wünschte. Ein eigenes Zuhause. Eine Wohnung, in der sie sich sicher fühlte. Besser noch ein Haus, das ihr niemand wieder wegnehmen konnte.

„Ich hatte gehofft, du würdest mich noch besuchen“, sagte Mrs. Coulter.

Fragend hob Tabitha eine Augenbraue. „Haben Sie Lust, nachher Karten zu spielen?“ Die beiden Frauen hatten schon des Öfteren zusammen Rommé gespielt.

„Dafür ist mir noch zu schwindelig, Liebes. Nein, ich wollte mit dir über den Ball heute Abend sprechen.“

„Den Maskenball?“

„Findet denn noch ein anderer statt?“

„Na, ich hoffe nicht“, gab Tabitha lachend zurück. „Ich freue mich zwar über die Extraschichten, aber noch eine Großveranstaltung dieser Art, und ich muss Urlaub einreichen.“ Doch Urlaub konnte sie sich nicht leisten.

Wieder funkelten die Augen der älteren Dame. „Ich habe eine Eintrittskarte.“

„Im Ernst?“ Die Karten für den Ball kosteten vierzigtausend Euro pro Stück! Außerdem musste man zusätzlich zu dieser stolzen Summe persönlich eingeladen werden. Voraussetzung dafür war wiederum, der superreichen, globalen Elite anzugehören.

Es war ein offenes Geheimnis, dass alle anwesenden weiblichen Singles unter dreißig waren, da Giannis Basinas diese Veranstaltung inoffiziell für sich als Brautschau nutzen wollte.

Mrs. Coulter war zwar eine wohlhabende Witwe, aber sie gehörte weder zur globalen Elite, noch war sie im gewünschten, heiratsfähigen Alter!

„Wie sind Sie an diese Karte gekommen?“, fragte Tabitha neugierig.

„Eine Lady hat ihre Geheimnisse, Liebes“, antwortete die alte Frau mit einem Augenzwinkern.

Tabitha freute sich für sie. Auf diesen Ball zu gehen, war ein Traum. Sie selbst hatte die Vorbereitungen miterlebt. Es würde das Event des Jahrhunderts werden.

„Soll ich Ihnen beim Zurechtmachen helfen? Meine Nachmittagsschicht ist um vier zu Ende, und ich könnte …“

„Die Karte ist für dich, Liebes“, unterbrach Mrs. Coulter sie.

Für einen Moment war Tabitha sprachlos. Das musste ein Witz sein. Stumm betrachtete sie das verschmitzte Gesicht der alten Dame und konnte sich keinen Reim darauf machen, ob sie dieses unrealistische Angebot ernst nehmen sollte.

Mrs. Coulter beugte sich vor und drückte Tabithas Hand. „Mein liebes Kind“, begann sie in ernstem Ton. „Dich hat mir der Himmel geschickt. Seit ich in Wien bin, kümmerst du dich aufopferungsvoll um mich, sehr oft auch in deiner freien Zeit. Und die vergangene Woche hast du mich regelrecht gesund gepflegt, während meine eigenen selbstsüchtigen Kinder sich kaum die Mühe gemacht haben, einmal anzurufen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.“ Empört zog sie die schmalen Augenbrauen zusammen. „Du arbeitest dir hier für einen bescheidenen Lohn die Finger wund und beklagst dich trotzdem nie. Man darf dich mit Fug und Recht als Sonnenschein in einer düsteren Welt bezeichnen, und ich will mich mit Liebe im Herzen erkenntlich zeigen für alles, was du leistest.“

Vor Rührung musste Tabitha schlucken. Ein Sonnenschein? Ausgerechnet sie?

Die einzigen Menschen, die ihr jemals etwas Nettes gesagt hatten, waren ihr Vater und dessen Mutter gewesen. Und Mrs. Coulter erinnerte Tabitha an ihre geliebte Großmutter, die leider schon vor vielen Jahren verstorben war. Deswegen war Mrs. Coulter ihr sicherlich auch sofort sympathisch gewesen.

„Die Karte ist auf meinen Namen ausgestellt. Heute Abend bist du Amelia Coulter, und du wirst mit schönen Männern tanzen, Champagner trinken und eine Nacht lang nur das tun, was du willst … wofür du geboren bist.“

Heiße Tränen schossen Tabitha in die Augen. Wofür sie geboren war? Die letzten vier Jahre hatte sie verzweifelt versucht, ihr sogenanntes Geburtsrecht zu vergessen. Die Erinnerungen daran waren zu schmerzhaft. Ihr blieb nur, von einem Tag zum nächsten zu leben und in die Zukunft zu schauen.

Plötzlich klopfte ihr Herz schneller. Wusste Mrs. Coulter etwa …?

Die blitzgescheiten Augen der alten Dame waren fest auf sie gerichtet. Falls sie Tabithas wahre Identität kannte, schien sie es für sich behalten zu wollen.

Tabithas Name war das Einzige, was ihre Stiefmutter ihr nicht hatte wegnehmen können. Alles andere war aber verloren – ihr Zuhause, ihre Ausbildung, ihr Geld, ihre Zukunftsperspektive.

„Wirf bitte einen Blick in meinen Schrank, Liebes“, bat Mrs. Coulter und zeigte auf die Schlafzimmertür. „Ganz rechts.“

„Wonach soll ich suchen?“

„Du wirst schon sehen.“

Und das tat sie, als sie die rechte Schranktür öffnete. Da hing ein bodenlanges Ballkleid, das direkt aus einem Märchenbuch zu stammen schien. Fassungslos streckte Tabitha eine Hand aus und ließ ihre Finger über den zarten, pastellrosafarbenen Stoff gleiten, der mit goldenen Fäden, Edelsteinen und winzigen Blüten bestickt war. Eine Prinzessin aus dem achtzehnten Jahrhundert wäre hingerissen gewesen, eine solche Robe tragen zu dürfen.

In dem Regalfach darüber stand ein Paar Schuhe, weißgolden und hochhackig, gleich daneben lag eine weiße Augenmaske mit goldener Umrandung und rosafarbenem Federschmuck.

Mit zitternden Händen nahm sie die Sachen aus dem Schrank.

„Es ist meine Größe“, flüsterte sie, nachdem sie in den Wohnbereich der Suite zurückgekehrt war. „Woher …?“

„Eine Lady hat so ihre Tricks“, gab Mrs. Coulter lächelnd zurück.

„Aber ich kann nicht. Ich wünschte, ich könnte, aber es geht nicht.“ Tabitha versagte die Stimme, und sie räusperte sich. „Wenn man mich erwischt, verliere ich meinen Job. Wir sind alle ausdrücklich gewarnt worden, uns von den Gästen fernzuhalten, ansonsten droht die fristlose Kündigung.“

Davon ließ Mrs. Coulter sich nicht beeindrucken. „Niemand wird dich erkennen, außerdem rechnet auch niemand damit, dir dort zu begegnen. Die Leute sehen doch nur, was sie sehen wollen oder sowieso erwarten. Keiner von ihnen rechnet mit einem Zimmermädchen. Sei um fünf Uhr wieder hier, ich habe eine Stylistin bestellt, die dich in eine echte Prinzessin verwandeln wird. Und morgen kommst du zum Mittagessen vorbei und erzählst mir alles, was du erlebt hast, ja?“ Sie lachte vergnügt. „Ich gebe zu, mir wäre der Ball in meinem Alter ohnehin zu viel gewesen. Aber dank dir erlebe ich ihn aus zweiter Hand.“

Jetzt stahl sich doch eine Träne aus Tabithas Augenwinkel und lief ihr über die Wange. Etwas so Wunderbares hatte noch nie jemand für sie getan.

„Hab keine Angst, meine Kleine“, sagte die ältere Frau sanft. „Heute Abend gehst du auf dieses Fest, amüsierst dich und lässt die Sorgen mal Sorgen sein!“

Giannis Basinas verließ das Apartment, das er während seiner Aufenthalte in Wien nutzte, und schlenderte den von Rosenhecken umsäumten Weg entlang, der zu seinem Hotel führte. Er hätte genauso gut eine seiner Luxussuiten bewohnen können, zog es aber vor, sich zumindest etwas Privatsphäre zu sichern. Denn seine große, neugierige Familie nahm es damit leider nicht so genau.

Der Familie hatte er es auch zu verdanken, dass er sich in einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug auf dem Weg zum großen Maskenball befand. Seit seinem fünfunddreißigsten Geburtstag drängten seine Schwestern ihn unerbittlich dazu, sich eine neue Ehefrau zu suchen. Und er war widerwillig zu dem Schluss gekommen, dass sie damit recht hatten.

Als sein alter Schulfreund Alessio Palvetti dann einen Gefallen von ihm eingefordert hatte, den er ihm noch schuldig war, bot sich eine einmalige Gelegenheit, auf Brautschau zu gehen. Alessio bat seinen Freund darum, einen großen Ball zu organisieren und dafür eine ganz bestimmte Eventagentur zu beauftragen.

Das konnte eine Win-win-Situation werden: Giannis beglich eine alte Schuld und konnte seinen Schwestern gleichzeitig beweisen, dass er es mit der Suche nach einer Partnerin ernst meinte. Allerdings glaubte er selbst nicht wirklich daran, seiner Zukünftigen heute Abend zu begegnen, doch ein Versuch konnte nicht schaden.

Seine jüngste Schwester Niki hatte sogar die Erlaubnis bekommen, fünfzig der geladenen Gäste persönlich auszuwählen. Es waren allesamt unverheiratete Frauen, die aus wohlhabenden Verhältnissen stammten. Andernfalls hätten sie die vierzigtausend Euro pro Eintrittskarte auch kaum aufbringen können.

Ihm selbst waren bloß drei Kriterien wichtig, sollte er jemals wieder heiraten. Erstens musste seine zukünftige Frau über genügend eigenen Reichtum verfügen. Er würde nicht den Fehler wiederholen, den er in seiner ersten Ehe begangen hatte. Zweitens sollte seine Braut Kinder bekommen wollen. Und drittens wäre es ihm sehr recht, wenn sie dazu noch attraktiv war.

Kein Supermodel, aber auf ihre eigene Art hübsch. Wenn man den Rest des Lebens gemeinsam verbringen wollte, war es doch wichtig, dass man sich anziehend fand, oder?

Unbemerkt schlüpfte er durch eine Hintertür ins Hotel, das er vor gut zwei Jahren gekauft hatte. Er hatte Millionen in diesen ehemaligen Königspalast investiert, um ihn in ein Hotel von Weltruhm zu verwandeln. Ein absolutes Statussymbol für ihn als Geschäftsmann und gleichzeitig das erste touristische Projekt außerhalb seiner Heimat Griechenland. Allerdings besaß er noch zahlreiche Immobilien überall auf der Welt und konzentrierte einen großen Teil seiner Geschäfte auf die internationale Schifffahrt.

Gerade als er eine Seitentür zum großen Ballsaal öffnen wollte, entdeckte er einen weiblichen Gast oben auf der Freitreppe. Ihre Fingerspitzen tanzten über das Geländer, während sie die Stufen hinabschritt. In der anderen Hand hielt sie den goldenen Umschlag mit der Einladung, die jeder Anwesende beim Betreten des Saals vorzeigen musste.

Das leichte Zögern ihrer eleganten Schritte ließ ihn zweimal hinsehen. Und dann noch einmal.

Auch wenn ein Großteil ihres Gesichts hinter einer weißgoldenen Maske mit rosa Federschmuck verborgen war, hatte diese Frau etwas an sich, das seinen Puls zum Rasen brachte. Er konnte den Blick nicht mehr von ihr losreißen. Dieses extravagante Kleid mit den funkelnden Juwelen und aufwendigen Stickereien ließ sie wie eine Prinzessin aussehen.

Vielleicht war sie ja eine echte Prinzessin!

Wie hypnotisiert ließ er die Türklinke los und ging stattdessen langsam auf die Treppe zu. Die junge Frau war kleiner, als er zuerst gedacht hatte, aber aus der Nähe sah sie noch umwerfender aus als von Weitem. Das honigblonde Haar war zu einem eleganten Knoten in ihrem Nacken zusammengesteckt, und den schlanken Hals zierte ein funkelndes goldenes Collier. Dazu trug sie passende Ohrringe.

Sie war das zauberhafteste Wesen, das er jemals gesehen hatte.

„Sie wirken etwas verloren“, sagte er auf Englisch.

Kornblumenblaue Augen richteten sich auf ihn, umrahmt von der eleganten Maske. Und die vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Soll ich Ihnen zeigen, wo sich die Gäste treffen, oder warten Sie noch auf jemanden?“

An ihren Händen entdeckte er keinen verdächtigen Ring.

Schweigend schüttelte sie den Kopf.

„Sie brauchen meine Hilfe nicht, oder Sie warten auf niemanden sonst?“, hakte er nach. Vielleicht verstand sie ja auch gar kein Englisch?

Diese Vermutung schaffte sie mit ihrer Antwort aus der Welt. „Ich warte auf niemanden.“

Das wurde ja immer besser! Strahlend hielt er ihr seinen Arm hin. „Dann erlauben Sie mir, Sie in den Saal zu begleiten, Miss …“

„Tabitha.“ Ihre Wangen färbten sich rot. „Mein Name ist Tabitha.“

„Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Tabitha. Ich bin Giannis Basinas, und ich biete Ihnen gern mein Geleit an“, sagte er übertrieben höflich und grinste.

Tabitha hätte sich auf die Zunge beißen können. Wieso hatte sie ihm ihren echten Namen verraten? Nun war sie noch nicht einmal auf der eigentlichen Veranstaltung und hatte schon ihre Deckung aufgegeben. Und dann auch noch vor Giannis Basinas höchstpersönlich!

Heute war sie doch Amelia Coulter, wie es auf ihrer Einladung stand.

Sie hätte Mrs. Coulters unglaublich großzügiges Angebot ablehnen sollen, aber das schöne Kleid und die Aussicht auf all den Glamour hatten ihr irgendwie den Kopf verdreht. Nur für eine Nacht wollte sie nicht an die tägliche Plackerei in schmutzigen Badezimmern und Hotelsuiten erinnert werden.

Dies war die Art von Veranstaltung, zu der sie auf jeden Fall eingeladen worden wäre, wenn ihr Vater noch gelebt hätte. Und das mit voller Berechtigung, nicht aufgrund einer Lüge. Zum Glück ahnte Giannis nicht, dass sie bloß eine bescheidene Hotelangestellte war, andernfalls würde sie wohl sofort entlassen werden.

Er hatte sie zuvor nie richtig angeschaut. Und warum sollte er auch? Allein in diesem Hotel arbeiteten Hunderte von Menschen für ihn, und Zimmermädchen waren das Schlusslicht im Personalstamm. Eine gesichtslose Armee, die unauffällig durch die Korridore huschte und die Zimmer der reichen Gäste aufräumte.

Mit rasendem Herzen schob sie ihre Hand durch seinen Arm, den er ihr anbot, und spürte seine harten Muskeln.

Giannis war ziemlich groß und hatte dunkelbraunes Haar, das an den Seiten kürzer geschnitten war. Seine Nase wirkte einen Tick zu lang und sein Kinn zu kantig, als dass er als traditionell hübsch gelten könnte. Aber er hatte etwas Besonderes an sich … das gewisse Etwas. Ob es nun an den hohen Wangenknochen, den klaren blauen Augen oder den fein geformten Lippen lag, das konnte sie nicht sagen.

Auf den ersten Blick hatte sein Aussehen sie fasziniert. Man sah ihm an, dass er bisher ein interessantes Leben geführt hatte, das verrieten die Linien auf seiner Stirn und um die Augen herum. Und mit seinem schwarzen Anzug und der ledernen Augenmaske sah er aus wie ein sexy Pirat.

„Aus welchem Teil von England kommen Sie?“, fragte er, während sie gemeinsam weitergingen.

„Oxfordshire“, antwortete sie vorsichtig.

„Eine wunderschöne Grafschaft.“

Das stimmt, dachte sie wehmütig. Sie hatte die gesamte Gegend gemieden, seit sie aus ihrem Haus geworfen worden war. Es tat zu weh, das zu sehen, was sie verloren hatte.

Sie lächelte trotzdem zustimmend und hoffte, er würde schnell das Thema wechseln.

„Ich habe in Oxford studiert“, erklärte er. „Quilton House in Wiltshire. Kennen Sie es?“ Das erklärte auch sein akzentfreies Englisch.

„Ist mir ein Begriff.“ Quilton House gehörte zu den ältesten und renommiertesten Schulen der Welt. Mit Sicherheit war dieses Internat auch eines der teuersten, die es gab. Nur die Reichsten der Reichen konnten es sich leisten, ihre Kinder dorthin zu schicken. Einige Brüder ihrer Schulfreundinnen waren ebenfalls dort gewesen.

„Auf welche Schule sind Sie gegangen?“, wollte er wissen.

„Beddingdales.“

Er stieß ein tiefes, raues Lachen aus, das in ihren Ohren herrlich melodisch klang. „Meine erste Freundin ist auch nach Beddingdales gegangen. Ich würde Sie ja fragen, ob Sie sie kennen, aber ich vermute, Sie sind viel jünger als ich.“

„Wahrscheinlich.“

Er lachte noch lauter. „Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, oder?“

„Es tut mir leid, ich wollte nicht …“

Abrupt blieb er stehen und fixierte sie mit seinen klaren blauen Augen. „Entschuldigen Sie sich nicht. Ehrlichkeit ist eine seltene, erfrischende Eigenschaft in dieser oberflächlichen Welt, in der wir leben.“

Sie waren in dem Bereich angekommen, in dem die Gäste warten sollten, bis der eigentliche Ballsaal geöffnet wurde. Gleich würde Tabitha die Einladung abgeben müssen, damit ihr Name auf der Gästeliste überprüft werden konnte.

Ihr Herz pochte wie wild. Doch bevor sie sich eine Ausrede überlegen konnte, um zu fliehen, ergriff Giannis ihre Hand, die noch auf seinem Arm lag, und führte sie an seine Lippen. Seine Augen funkelten, während er einen leichten Kuss auf ihren Handrücken hauchte. „Ich muss ein paar Dinge regeln, ehe der Ball beginnt. Aber ich werde dich nachher finden.“

Sein vertraulicher Ton und die persönliche Anrede schickten ein heftiges Kribbeln über ihre Haut.

Dann neigte er zum Abschied den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt, wobei er nichts als den Duft seines würzigen Aftershaves zurückließ.

Tabitha ließ langsam den Atem heraus, den sie angehalten hatte, und schloss die Augen. Ihr Herz hämmerte immer noch, obwohl sie nicht wusste, ob es an dem Handkuss lag oder daran, dass sie gerade aufgerufen wurde.

„Kommen Sie herein, Miss?“ Eine uniformierte Wache hatte die Tür für sie geöffnet.

Sie schluckte. Es war noch nicht zu spät. Sie musste das nicht tun.

Aber dann sah sie am Ende des Ganges einen Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser vorbeieilen, und die Sehnsucht in ihrem Herzen siegte über die Angst.

Ein Gläschen Champagner konnte nicht schaden. Und wenn der Ball formell eröffnet wurde, würde sie sich davonschleichen und in die sichere Anonymität ihres Dienstlebens zurückkehren. Aber zuerst der Champagner!

Sie betrat einen kleinen Vorraum, und ein weiterer uniformierter Wachmann stand auf der anderen Seite der Tür mit einem großen Block in der Hand.

Tabithas Herz hörte fast auf zu schlagen. Sie erkannte ihn. Schon mehrmals hatte sie mit ihm gesprochen. Oh nein!

Er schien sie nicht zu erkennen und begrüßte sie mit einem höflichen Lächeln. „Darf ich bitte Ihre Einladung sehen, Miss?“

In der Hoffnung, dass er ihr Zittern nicht bemerkte, gab sie ihm den Umschlag.

Zuerst musterte er die Einladung genau und wandte sich dann seinem Block zu, bis er ihren Namen auf der Liste fand. Freundlich zeigte er auf die Doppeltür am anderen Ende des Raumes. „Die Gäste versammeln sich dort drüben. Genießen Sie den Abend, Miss Coulter.“

Erleichtert atmete Tabitha auf. Mrs. Coulter hatte recht behalten. Das Kleid und die Maske fungierten als perfekte Verkleidung.

„Danke“, murmelte sie.

Tabitha straffte ihren Rücken und hob den Kopf. Ein Portier öffnete die Doppeltür für sie, und die Geräusche, von denen sie im Empfangsraum begrüßt wurde, versetzten sie in Hochstimmung. Das Lachen der Gäste, das angeregte Summen ihrer Gespräche, das Gläserklirren … all das erfüllte die Luft und verschmolz mit der Musik eines Pianisten, der eine vertraute Melodie spielte.

Eine Kellnerin kam mit einem Tablett auf sie zu. Tabitha nahm eine Flöte mit einer perlenden Flüssigkeit entgegen und nippte vorsichtig daran. Unabhängig von den Umständen ihres momentanen Lebens war sie zur Dame erzogen worden, da war vornehme Zurückhaltung gefragt, obwohl sie am liebsten einen kräftigen Schluck zur Beruhigung genommen hätte.

Das kribbelige Gefühl in ihrem Mund reichte, um ihr die Tränen in die Augen zu treiben. Nur zweimal in ihrem Leben hatte sie Champagner getrunken. Das erste Mal auf der Hochzeit ihres Vaters, als sie zehn Jahre alt gewesen war. Danach noch einmal mit vierzehn. Ihre Stiefmutter hatte eine Feier für Fionas Geburtstag organisiert, die älteste von Tabithas Stiefschwestern. Es waren keine Kosten gescheut worden.

Ihr eigener achtzehnter Geburtstag war anders als gedacht verlaufen. An diesem Tag hatte ihre Stiefmutter sie nämlich aus dem Haus der Familie verbannt. Die große weite Welt, auf die Tabitha sich gefreut hatte, war über Nacht zum Horrortrip geworden.

Und seitdem hatte sie sich auch keinen Luxus mehr leisten können. Während sich ihre Schulfreunde auf verschiedenen Universitäten im ganzen Land in ihre aufregenden Studienjahre stürzten, hatte Tabitha sich bereits als Reinigungskraft in dem kleinen Familienhotel wunde Hände geholt. Die Bezahlung war schrecklich gewesen, aber der Job hatte ihr zumindest eine Unterkunft verschafft.

Eine Ansprache beendete ihre traurigen Erinnerungen. Der Zeremonienmeister begrüßte die vierhundert Gäste in aller Förmlichkeit und erklärte den Maskenball dann feierlich für eröffnet.

2. KAPITEL

Gemeinsam mit der riesigen Gästeschar betrat Tabitha den Ballsaal. Ihre Hand flog wie von selbst zu ihrer Kehle, als sie überrascht die unglaubliche Verwandlung in sich aufnahm, die der ohnehin sehr opulente Raum erfahren hatte.

An der hohen Decke hingen zahllose Luftballons aus Gold, Silber und Weiß, und die Wände waren mit schweren Vorhängen in den gleichen Farben behängt. In einer Ecke stand der Champagnerbrunnen, über den das Personal schon seit Tagen gesprochen hatte.

Alles glitzerte. Alles strahlte, besonders die exklusiv gekleideten Gäste. Es war, als würde man in ein magisches Wunderland eintauchen, und Tabithas Herz schmerzte angesichts all dieser Schönheit.

Sie trank ihren Champagner aus, stellte die leere Flöte auf das Tablett eines vorbeikommenden Kellners und gesellte sich zu den Damen, die links von der hölzernen Tanzfläche eine lange Schlange bildeten.

Die Herren reihten sich rechts auf, und dann spielte das Orchester die erste Melodie. Vier Balletttänzerinnen erschienen und führten einen kurzen, aber höchst kunstvollen Tanz auf. Kaum waren sie unter tosendem Applaus aus dem Ballsaal verschwunden, vollführten zwei Dutzend professionelle Tänzerinnen und Tänzer den ersten Walzer des Abends.

Es war lange her, seit Tabitha Gesellschaftstanzunterricht in der Schule gehabt hatte. Die einzige Stunde, auf die sich alle Schüler gefreut hatten. Wer hätte gedacht, dass sie so lange warten musste, um das Gelernte in die Praxis umzusetzen?

Automatisch wanderte ihr Blick über die Reihe der Herren auf der anderen Seite des Raumes. Sie sollte nicht nach ihm suchen, das war ein ziemlich gefährlicher Wunsch. Wenn Giannis entdeckte, dass sie nur eine Angestellte war, würde sie alles verlieren. Außerdem waren hier ja wohl genügend andere Frauen, die ihn interessieren könnten, und die meisten von ihnen waren weitaus attraktiver als sie.

Wahrscheinlich hatte er sie sowieso schon vergessen.

Die professionellen Tänzer beendeten ihren Walzer, und dann kam endlich der Teil, auf den Tabitha sich am meisten freute. Der Teil, bei dem alle tanzten!

Die Herren machten sich auf den Weg zu den Damen. Aufregung stieg in ihr auf. So viele Jahre lang hatte sie genau von diesem Moment geträumt und schon nicht mehr daran geglaubt, dass dieser Traum wirklich wahr werden könnte.

Es kümmerte sie nicht einmal, dass der Gentleman, der auf sie zusteuerte, alt genug war, um ihr Vater zu sein. Doch als er nur ein paar Schritte von ihr entfernt war, wurde sein Weg plötzlich von einer viel größeren und breiteren Gestalt blockiert, die wie aus dem Nichts erschien.

Nach einer atemlosen Pause klopfte ihr Herz mit doppelter Geschwindigkeit weiter.

Giannis stand direkt vor ihr, und seine Augen strahlten so hell wie die Kronleuchter, die zwischen den Luftballons über ihnen hingen.

„Darf ich bitten?“

Der traditionelle Satz, um eine Dame zum Wiener Walzer aufzufordern. Die Worte, von denen Tabitha immer geträumt hatte.

Sie starrte in diese klaren blauen Augen, und es regte sich ein seltsames Gefühl in ihrer Magengegend. Ihre Knie sanken wie von selbst in einen Knicks, während Giannis eine Hand an seinen Bauch legte und sich leicht verbeugte.

Dann ergriff er ihre rechte Hand mit seiner linken und legte seine andere Hand um ihre Taille. Sofort reagierte Tabitha und nahm geübt die perfekte Haltung ein, wobei sie heimlich mit dem Daumen Giannis imposanten Bizeps streichelte.

Das Orchester spielte die erste Note, und schon wurde sie in seinen Armen durch den großen Ballsaal gelenkt. In den Armen von Giannis Basinas.

Ihr erster Tanz mit einem Mann.

Mühelos lenkte er sie um die anderen Paare herum, ohne seinen Blick von ihr zu lösen.

Doch selbst mit dem Gefühl, dass sie in einen magischen Traum eingetreten war, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, dass dieser eine Tanz alles war, was sie mit Giannis haben konnte. Es war einfach zu gefährlich, mit ihm zusammen zu sein. Außerdem hielten sich die Gerüchte, dass er an diesem Abend Ausschau nach einer neuen Ehefrau halten wollte.

Viel zu früh war der Tanz zu Ende, und die Paare um sie herum trennten sich.

Tabitha atmete durch und nahm enttäuscht die Hand von seinem Arm. Der Traum war vorüber.

Giannis sah dagegen keinen Grund, sie loszulassen. Sein Griff um ihre Taille festigte sich sogar, und er brachte seinen Mund dicht an ihr Ohr. „Sie glauben doch nicht, dass ich Sie jetzt gehen lasse, oder?“

Hitze breitete sich auf ihren Wangen aus. Fieberhaft suchte sie nach einer Entschuldigung, um möglichst schnell zu verschwinden, aber ihr Gehirn weigerte sich zu kooperieren. Genau wie ihr Körper. Wie von selbst legte sich ihre Hand wieder auf seinen Bizeps.

Um sie herum bildeten sich neue Paare, und das Orchester begann, den nächsten Tanz zu begleiten. Sekunden später wurde Tabitha wieder über den Boden gewirbelt, als wäre sie schwerelos.

Alle Gründe, die sie sich für die Flucht zurechtgelegt hatte, lösten sich in Luft auf, als die Musik durch ihren Körper und in ihre tanzenden Füße drang. Maskierte Gesichter schwebten um sie herum, bunte Kleider, herrliche Klänge …

All das in den starken Armen von Giannis Basinas.

Erst nach drei weiteren Tänzen – darunter ein Gruppentanz, den sie ebenfalls dank ihrer klassischen Ausbildung perfekt beherrschte – lenkte er sie von der Tanzfläche weg zu einem der runden Tische am Rand des Ballsaals. „Zeit für einen Drink“, murmelte er.

Giannis gab ein Zeichen, dass Champagner zu ihnen gebracht werden sollte. Er hatte das Gefühl, dass diese hinreißende Kreatur verschwinden würde, sobald er ihr den Rücken kehrte.

Sie hatte während ihrer Zeit auf der Tanzfläche kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Auch als der Champagner gebracht wurde, nippte sie schweigend an ihrem Glas.

„Haben Sie Hunger?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Sie sprechen nicht viel, richtig?“, bemerkte er. Seiner Erfahrung nach füllten die meisten Frauen regelrecht zwanghaft jede Gesprächspause mit irgendwelchem Geschwätz. Seine Schwestern waren dabei die Schlimmsten.

Ihre Mutter sagte immer, Niki sei mit einer unendlich aufgeladenen Batterie in der Zunge geboren worden. Gerade vorhin hatte er Niki noch in den Armen eines verwirrten jungen Mannes gesehen, der vergeblich versucht hatte, sich über ihr unablässiges Gerede hinwegzusetzen, um sie auf die Tanzfläche zu lotsen.

Ganz leicht zuckte Tabitha mit den schmalen Schultern. „Ich tue es, wenn ich etwas zu sagen habe.“

Er lachte. „Ich dachte, Beddingdales hätte seinen Mädchen beigebracht, wie man auf dem gesellschaftlichen Parkett Smalltalk hält.“

Jetzt tauchte ein Funken der Belustigung in ihren schönen Augen auf. „Diese Klasse habe ich leider nicht bestanden.“

Daraufhin grinste er. „Aber offensichtlich hat Ihnen der Gesellschaftstanz gefallen.“

„Allerdings.“

„Gehen Sie zu vielen Bällen?“

Noch ein Kopfschütteln.

„Erzählen Sie mir etwas über sich“, forderte er sie auf.

Die schwache Belustigung, die er in ihrem Blick entdeckt hatte, verschwand. Sie sah von ihm weg und zog ihre Lippen zu einem Strich zusammen. „Was möchten Sie denn wissen?“

Alles. „Fangen wir doch mit Ihrem Alter an.“

„Zweiundzwanzig.“

Das überraschte ihn. Die Gesichtszüge, die er unter der Maske erahnen konnte, wirkten zwar jung, aber ihre ganze Art ließ auf jemanden schließen, der schon älter war.

„Haben Sie Ihr Studium schon abgeschlossen oder ein Auszeitjahr genommen?“

„Ich bin nicht zur Universität gegangen.“

Das überraschte ihn ebenfalls. Das Hochschulstudium war ein Übergangsritus in seinen Kreisen, unabhängig davon, ob man eine akademische Laufbahn einschlagen wollte oder nicht.

„Was machen Sie stattdessen?“ Er wartete auf die Standardantwort: Wohltätigkeitsarbeit.

Nach kurzem Zögern wurde ihr Gesicht plötzlich eine Nuance roter. „Ich bin im Hotelgewerbe.“

Das war ein genauso typisches Betätigungsfeld für Mitglieder der Upperclass, die sich irgendwie nützlich machen wollten. Was sollte sie dort schon leisten? Offenbar eine Hotelerbin, wie es sie häufiger gab … Trotzdem sah Tabitha für ihn irgendwie anders aus als die üblichen Prominenten, die seine Welt erfüllten.

Was für eine Verschwendung von Geist und Intellekt war es, sich tagtäglich nur mit Reisen und Shoppen zu beschäftigen? Diese Lebenseinstellung würde er niemals verstehen. Er selbst hatte das Privileg genossen, in einer von Europas reichsten Familien aufzuwachsen. Und genau wie seine Schwestern hatte er an seinem einundzwanzigsten Geburtstag dreißig Millionen Euro geerbt.

Aber es lag nicht in der Natur der Basinas, untätig zu bleiben. Wohlstand durfte man zweifellos auch genießen, gleichzeitig war er aber ein Werkzeug, um noch mehr zu erwirtschaften. Nicht bloß für einen selbst, sondern auch für andere.

Giannis nutzte sein Vermögen, um ein vielfältiges Portfolio von Unternehmen aufzubauen, in denen insgesamt mehr als fünftausend Menschen beschäftigt waren. Er hatte strenge Maßstäbe und verlangte von jeder Person, die er einstellte, Höchstleistung – unabhängig von ihrer Position. Aber er entlohnte seine Angestellten auch entsprechend dafür. Das Personal hier in seinem Palasthotel beispielsweise galt als das bestbezahlte Hotelpersonal in ganz Europa.

Er verstand nicht, wie Leute ruhig schlafen konnten, die ihren Reichtum durch Ausbeutung anderer Menschen verdienten. Wer selbst nicht arbeitete, war in seinen Augen schlicht ein Schmarotzer.

Seine Frau war eine solche Person gewesen. Ein Lügnerin, Betrügerin und Abstauberin. Selbst jetzt – fünf Jahre, nachdem sie und ihr ungeborenes Kind gestorben waren – verspürte er noch fast so viel Zorn und Bitterkeit wie damals.

Er hatte sie und ihr Kind zu Grabe getragen, und während die anderen Gäste auf der Beerdigung getrauert hatten, war es ihm schwergefallen, seine Wut nicht in die Welt hinauszuschreien. Und er hielt dieses Gefühl bewusst wach, um denselben Fehler nicht noch einmal zu machen. Giannis machte nie den gleichen Fehler zweimal.

Ein einziges Mal hatte er sich von der schönen Fassade einer Frau blenden und in die Irre führen lassen. Und heute? Was verbarg sich hinter der Maske dieser Frau, die in diesem Moment vor ihm stand?

Sie hob ihre Champagnerflöte an die vollen Lippen, und ein winziger Tropfen goldener Flüssigkeit stahl sich aus ihrem Mundwinkel. Mit einer rosa Zungenspitze fing sie den Tropfen auf, und Giannis hätte beinahe laut gestöhnt.

Diese winzige Geste hatte eine unbeschreiblich erotisierende Wirkung auf ihn. Sofort nahm er einen großen Schluck von seinem eigenen Champagner. Theos, er konnte sich nicht erinnern, ob ihn jemals eine Frau derart in ihren Bann gezogen hatte.

Ganz egal, was sich hinter ihrer Fassade wirklich verbarg. Heute Abend konnte er ihre gemeinsame Zeit und die berauschenden Gefühle genießen, die sie in ihm weckte, wenn er sie in seinen Armen hielt.

Lächelnd streckte er ihr eine Hand entgegen. „Bereit für den nächsten Tanz?“

Kornblumenblaue Augen trafen seine. Und auf ihren schönen Lippen zeigte sich ein schüchternes Lächeln.

Als ihre Finger sich um seine legten, spürte er eine elektrisierende Wärme, die sich langsam in seinem ganzen Körper ausbreitete. Und die Zeit schien stillzustehen.

Tabitha wusste, dass sie sein Angebot lieber ablehnen sollte. Sie hätte sich längst von ihm verabschieden oder einfach verschwinden sollen. Aber die schlichte Wahrheit war, dass sie bleiben wollte. Sie wollte, dass dieses wunderbar magische Gefühl möglichst lange anhielt, weil sie es nie wieder haben würde.

Eine Nacht wie heute würde sie niemals wieder erleben.

Sobald der Ball vorbei war, verschwand auch Giannis für immer aus ihrem Leben.

Am nächsten Morgen war sie wieder das namenlose Zimmermädchen, und ihr blieb nur die Erinnerung an einen schönen Traum, aus dem man nicht mehr aufwachen wollte.

Sie tanzten. Sie tranken mehr Champagner. Sie tanzten wieder.

Allmählich kamen sie sich auf dem Parkett immer näher: Giannis bewegte seine Hand, die sachte an ihrem Rücken gelegen hatte, weiter nach oben, sodass er ihre nackte Haut berührte.

Dieser unschuldige Hautkontakt war unfassbar erregend, und Tabitha hielt ihre Augen geschlossen, während der Nervenkitzel durch ihre Adern raste. Die Gäste, die sie umgaben, nahm sie kaum noch wahr.

Als der nächste Gruppentanz begann, verließen sie in stummer Einigkeit die Tanzfläche. Es wurde noch mehr Champagner gereicht.

Die Zeit verging wieder schneller. Tabitha bemühte sich, jede Sekunde auszukosten, aber die große Uhr an der Wand tickte unerbittlich weiter.

Als sich Mitternacht näherte, wurden die Tänze langsamer, und Tabitha fühlte sich etwas schwindelig. Der Champagner, die berauschende Umgebung, die starken Arme um ihren Körper, diese klaren blauen Augen … all das war ihr zu Kopf gestiegen.

Tabitha nahm ihre Umgebung viel stärker wahr, als jemals zuvor. Sie spürte ihr Herz schlagen. Und wie empfindlich ihre Haut war! Alle Sinne schienen anders zu funktionieren als sonst. Geschärft oder benebelt, das konnte sie nicht genau sagen.

Und noch nie war sie sich eines anderen Menschen so bewusst gewesen: Giannis. Die gebräunte Haut, der kräftige Hals, der kantige Kiefer, das Auf und Ab seiner breiten Brust und sein überaus sinnlicher Mund.

Es kümmerte sie nicht länger, dass er die Macht hatte, sie fristlos zu feuern. Das Morgen existierte in diesem Augenblick nicht.

„Das Feuerwerk fängt bald an“, flüsterte er in ihr Ohr. „Schauen wir es uns gemeinsam an!“

Längst waren sie zum Du übergegangen, obwohl sie gar nicht viele Worte wechselten.

Sein Atem auf ihrer Haut ließ sie erzittern, und sie waren so eng aneinandergepresst, dass ihre Brüste durch den Stoff ihres Kleides gegen seinen Oberkörper gedrückt wurden.

Lächelnd verschränkte sie ihre Finger mit seinen.

Das Orchester erreichte das Ende des Stückes.

Giannis legte die Nase dicht an ihr Ohr und atmete den blumigen Duft ein. Er wollte dieses hinreißende Wesen irgendwohin mitnehmen und diese herzförmigen Lippen endlich an seinen eigenen spüren.

Noch vor wenigen Stunden hatte er befürchtet, mit einer Parade von Frauen tanzen und langweiligen Smalltalk führen zu müssen. Und nun hatte er jemanden gefunden, den er die ganze Nacht in seinen Armen halten wollte.

Doch zuerst fand das Feuerwerk statt, und er kannte den besten Ort, um es mit ihr zu beobachten.

Zärtlich fuhr er mit seiner Hand über ihren Rücken und staunte über die Weichheit ihrer Haut. Ein letzter Kontakt mit ihrem Körper, bevor er sich zurückzog und seine Tanzpartnerin aus dem Ballsaal führte.

Die Hände fest ineinander verschränkt, gingen sie am Champagnerbrunnen vorbei. Er nahm ein Glas für sie und eines für sich mit, danach betraten sie einen menschenleeren Korridor. Aber die Räume, an denen sie vorbeikamen, waren voller Nachtschwärmer, die eine Pause vom Tanzen einlegen wollten, um etwas zu essen oder ihre Füße auszuruhen.

Draußen in den Gärten erfüllte der Duft blühender Rosen die warme Luft. Giannis liebte die Gärten des Palasthotels bei Nacht. Schon tagsüber waren sie eine Pracht, aber nachts entfalteten sie einen ganz besonderen Zauber. Dann wurden die Statuen, Wasserfontänen und weiter hinten die dichten Hecken, die das berühmte Labyrinth bildeten, erst wirklich zum Leben erweckt.

Der Platz, zu dem er Tabitha brachte, befand sich in einem weißen Pavillon im abgelegenen Teil des Gartens. Mit ihren Champagnerflöten in der Hand standen sie eng zusammen an der Balustrade und sahen dabei zu, wie die anderen Gäste auf die riesigen Rasenflächen hinausströmten.

„Wie lange bist du in Wien?“, fragte er beiläufig.

Kalt erwischt! Ihr drehte sich vor Aufregung der Magen um. Bevor sie sich eine Antwort überlegen konnte, fing das Mondlicht eine der Gestalten auf dem Rasen ein, die ihre Maske abgenommen hatte.

Tabithas Blut gefror ihr in den Adern, als sie die Person erkannte. Es war ihre Stiefschwester Fiona, mit der sie seit mehr als vier Jahren keinen Kontakt mehr hatte.

Genauer gesagt, seit Tabitha gezwungen worden war, das Haus der Familie zu verlassen.

So viele Emotionen strömten durch sie hindurch, während sie Fiona beobachtete. In ihrem wunderschönen Kleid, das zweifellos mit Geld aus Tabithas Erbe bezahlt worden war. Und sofort bekam Tabitha es mit der Angst zu tun. Fiona hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht.

Ihre Finger schlossen sich wie von selbst um das leere Champagnerglas, das unter dem Druck in ihrer Hand zersplitterte. Erschrocken machte sie einen Satz zur Seite und ließ die Scherben zu Boden fallen. Der Schock, ihre Stiefschwester zu sehen, saß so tief, dass sie erst gar nicht bemerkte, wie ihre Hand blutete.

Giannis nahm ihre Hand in seine und betrachtete sie gründlich. „Du bist ja verletzt. Geht es dir gut?“

Sie atmete panisch ein und schaffte es, hastig zu nicken.

„Wir sollten einen Arzt bitten, sich das anzuschauen. Ich frage mal nach, ob wir einen hier haben.“ Mit seiner freien Hand löste er seine schwarze Krawatte vom Hals.

„Ich brauche keinen Arzt.“ Ein Blutstropfen rollte von ihrer Handfläche. Sie holte noch einmal tief Luft. „Es ist bloß ein kleiner Schnitt.“

Sie hätte sich auch gegen einen Arzt gewehrt, wenn ihr ein ganzer Finger abgetrennt worden wäre. Das Letzte, was sie wollte, war, auf sich aufmerksam zu machen. Die Maske und das Kleid gaben ihr genügend Anonymität unter ihren Kollegen. Aber wenn ihre Stiefschwester sie erkannte, wäre das Spiel vorbei.

Jetzt wusste sie, dass Fiona hier war – und vielleicht auch Safron. Tabitha durfte kein weiteres Risiko mehr eingehen. Nicht nur ihre Identität wäre dann enttarnt, sie war auch auf kein Treffen mit diesen speziellen Personen vorbereitet. Der Gedanke, ihnen gegenübertreten zu müssen, war unerträglich.

Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie die beiden kennengelernt hatte. Und wie aufgeregt sie gewesen war, zwei große Schwestern und eine neue Mutter zu bekommen. Die vertrauensvolle Unschuld einer hoffnungsvollen Zehnjährigen.

Behutsam wickelte Giannis seine Krawatte um ihre verletzte Hand. „Das ist viel Blut für einen kleinen Schnitt.“

„Halb so schlimm. Ich finde ein Badezimmer und wasche es ab.“

„Meine Wohnung liegt direkt hinter uns. Wir können dich dort verarzten und die Wunde genauer untersuchen.“

In ihrem Bauch kribbelte es bei dem Gedanken, mit ihm in sein Apartment zu flüchten. Andererseits war sie dort geschützt und musste nicht durch den Garten huschen, wo sie Gefahr lief, ihren Stiefschwestern in die Arme zu laufen.

Und um ganz ehrlich zu sein, fühlte sie sich bei Giannis sicher und geborgen, auch wenn er praktisch ein Fremder für sie war.

3. KAPITEL

Tabitha hatte zwar ein fürchterlich schlechtes Gewissen wegen ihrer unvernünftigen Entscheidung, trotzdem folgte sie Giannis in seine Wohnung. Als er die Haustür hinter sich schloss, zuckte sie zusammen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Wie leichtsinnig war es eigentlich, mit einem Mann allein zu sein, den sie kaum kannte, während am Himmel über ihnen Feuerwerkskörper explodierten? Die wilde Romantik dieser Situation löste die verrücktesten Gefühle in ihr aus.

Von dem Moment an, als sie Mrs. Coulters großzügiges Geschenk angenommen hatte, war jede ihrer Handlungen in dieser Nacht absolut tollkühn gewesen.

Sie drückte Giannis’ Krawatte fest gegen ihre schmerzende, verletzte Hand und versuchte, ihre Umgebung in sich aufzunehmen.

Sie wusste, dass er dieses alte Personalquartier jeweils für ein paar Tage pro Monat nutzte. Es strahlte das kultivierte Flair des ursprünglichen Palasts aus, und ihr kam es fast wie eine Zeitreise vor.

Doch als sie Giannis durch einen breiten Flur und das riesige Wohnzimmer folgte, wurde ihre Aufmerksamkeit vollständig von dem Mann vor ihr gefesselt. Er stieß eine Tür zu seiner Rechten auf und trat über die Schwelle.

Sie folgte ihm und blieb sofort stehen. Dies war Giannis’ Schlafzimmer.

Verwundert drehte er sich zu ihr um. Seine Gesichtszüge blieben vollkommen ernst, als er sagte: „Das Licht in meinem Bad ist das hellste hier, aber wenn du dich dabei nicht wohlfühlst, können wir den Schnitt auch in der Küche versorgen.“

Wie viele Dummheiten konnte man eigentlich an einem einzigen Abend begehen? Natürlich durchquerte Tabitha in der nächsten Sekunde den Raum.

Ihre Beine fühlten sich an, als ob sie auf einer Wolke spazierte. Vorbei an dem größten Bett, das sie jemals im Leben gesehen hatte. Sie bemerkte vage die unpersönliche Note des Raumes, es fehlten einfach ein paar Bilder oder persönliche Fotos.

Ihr Herz hämmerte, und ihr Atem ging schneller. Sie war noch nie im Schlafzimmer eines Mannes gewesen. Vergeblich versuchte sie, lässig zu wirken, und kam sich dabei bloß unbeholfen vor.

Im luxuriösen Badezimmer steuerte sie direkt auf das Doppelwaschbecken zu. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Giannis eine hohe Schranktür öffnete und einen schwarzen Kulturbeutel hervorholte.

Vorsichtig wickelte sie die Krawatte von ihrer Hand ab, legte sie in das rechte Waschbecken und drehte dann den Hahn des linken Beckens auf.

„Die Krawatte ist ruiniert“, sagte sie in einem Tonfall, der selbst für ihre Ohren wackelig klang.

„Das ist egal.“ Er stellte den Waschbeutel neben ihr auf eine Kommode. „Tut es noch weh?“, fragte er.

„Nur ein bisschen“, log sie, obwohl das kalte Wasser ordentlich in der Wunde brannte. Außerdem stand Giannis nahe genug bei ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte, was sie unheimlich nervös machte.

Beim Tanzen waren sie sich stundenlang noch näher gewesen, aber mit ihm ganz allein zu sein, machte diese Situation wesentlich intimer.

Jede Zelle in ihrem Körper war zum Leben erweckt worden und reagierte auf ihn.

„Kann ich bitte ein Handtuch haben?“, bat sie, als die Wunde sauber war.

„Lass mich das mal machen“, murmelte er und nahm ihre verletzte Hand wieder in seine.

Tabitha hielt den Atem an und bemerkte plötzlich, dass ihr Herz so heftig pochte, dass sie es in ihrer trockenen Kehle spürte.

Er hatte seine Maske abgelegt. Die Gesichtszüge waren unverborgen direkt vor ihr, so nah wie noch nie, umwerfend attraktiv.

Konzentriert senkte er den Kopf, und eine Strähne seines dunkelbraunen Haares fiel über sein Auge. Er warf sie mit einem schnellen Kopfnicken beiseite. „Kannst du deine Hand problemlos bewegen?“

Sie räusperte sich und flüsterte ein heiseres: „Ja.“

Er bewegte sich ohne Eile und trocknete die Wunde sorgfältig, wobei wieder ein paar frische Blutstropfen aus dem Schnitt hervortraten. „Das sollten wir gründlich verbinden.“ Er legte ein weißes Tuch in ihre Handfläche. „Hier, fest drücken!“

Dann öffnete er die vermeintliche Kulturtasche, in der sich aber statt Zahnbürste und Rasierwasser Bandagen und anderes Erste-Hilfe-Material befanden.

„Bist du etwa nebenberuflich Arzt?“, erkundigte sie sich amüsiert, konnte das Zittern in ihrer Stimme jedoch nicht ganz verbergen.

Seine blauen Augen richteten sich auf sie, und er zwinkerte ihr zu. Anschließend hielt er ein gepolstertes Großpflaster hoch. „Angewohnheit aus meiner Studentenzeit. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich immer bestens versorgt bin.“

Mit den Zähnen riss er die Verpackung auf, und dabei spannten sich die Sehnen an seinem Hals an.

Fasziniert starrte Tabitha ihn an. „War deine Mutter eine Art Glucke?“

Er lachte trocken. „Sie war bloß vernünftig. Ich habe mich in meinen jüngeren Jahren ziemlich wild und rücksichtslos benommen, musst du wissen. Streck bitte die Hand flach aus, aber mit leicht gekrümmten Fingern.“

Sie hielt den Atem an, als er das Pflaster vorsichtig befestigte und es an den Seiten glättete.

„Bitte schön“, sagte er feierlich, hob ihre Hand zu seinem Mund und gab dem Pflaster einen Kuss. „Alles erledigt.“

Die Schmetterlinge jagten mit einer solchen Geschwindigkeit durch ihren Bauch, dass ihr davon schwindelig wurde.

„Danke.“ Mehr bekam sie nicht über die Lippen.

Giannis betrachtete ihre Finger etwas genauer, und ihm fiel auf, dass die Kuppen ziemlich fest und sogar etwas gerötet waren. Definitiv nicht die Hände von jemandem, der keiner körperlichen Arbeit nachging …

Als er sie danach fragen wollte, begegnete er ihrem starren kornblumenblauen Blick, und er blieb stumm. Immerhin hatte er Tabitha mit den besten Absichten verarztet und von Anfang an vorgehabt, gleich anschließend wieder nach draußen zu gehen, um gemeinsam das Feuerwerk zu sehen.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Anziehungskraft zwischen ihnen noch heller brennen würde, sobald sie allein in der Enge seiner Wohnung waren. Oder dass er jede ihrer Bewegungen und jeden einzelnen Atemzug so bewusst wahrnehmen würde. Dass er sich danach sehnen würde, sie zu küssen.

Seit Anastasias Tod hatte er nicht gerade wie ein Mönch gelebt. Er war sogar mit einer beträchtlichen Anzahl von Frauen zusammen gewesen, sowohl vor seiner Ehe als auch danach.

Aber keiner von ihnen war es gelungen, ihn nur mit einem schüchternen Lächeln mitten in die Brust zu treffen und seine Lenden zum Beben zu bringen. Keine von ihnen hatte ihn so sehr gefesselt wie dieses hübsche Wesen in seinem Badezimmer. Dabei hatte er ihr Gesicht immer noch nicht gesehen …

Das konnte nicht länger warten. Er musste das ganze Gesicht dieser Schönheit bewundern, die ihn im Handumdrehen verzaubert hatte. Ganz langsam streckte er seine Finger aus und schob ihre weißgoldene Maske über das honigblonde Haar nach hinten.

Mit klopfendem Herzen starrte er in ein makelloses Gesicht, das viel hübscher war, als er vermutet hatte. Anmutig und ätherisch schön.

Ihr zartes, blumiges Parfum berauschte ihn regelrecht. Irgendwie war alles an dieser Frau zart und makellos. Ihre warme, weiche Haut sah unendlich verlockend aus, wie teures Porzellan.

Vorsichtig fuhr er mit den Fingern über ihre Wangen, ihren Hals und ihren eleganten Nacken. Er verweilte kurz an der Stelle, wo er ihren rasenden Puls spürte, bevor er sich dem Schlüsselbein näherte. Endlich tat er, wonach er sich schon den ganzen Abend sehnte.

Er neigte den Kopf und eroberte ihre herzförmigen Lippen in einem innigen Kuss.

Die Lust durchfuhr ihn wie ein Stromschlag, schoss heiß durch seine Adern und schickte ein helles Summen durch seinen Verstand.

Völlig überwältigt zog er sich nach einer Weile leicht zurück, sodass sich ihre Lippen fast noch berührten, und stellte fest, dass ihre Augen auf ihn gerichtet waren. Ein benommener Ausdruck lag in ihnen.

Ging er gerade zu weit? Die Wände um ihn herum begannen sich zu drehen, und die Hitze strömte so schnell durch ihn hindurch, dass er sich fragte, ob er etwas zu viel getrunken hatte.

Gleichzeitig stellte er fest, dass es ihm egal war.

Champagner, Begehren oder eine Kombination aus beidem, in diesem Moment wollte er diese Frau jedenfalls mehr als jemals zuvor irgendjemanden oder irgendetwas.

Er legte einen Arm um ihre Taille, zog Tabitha enger an sich und teilte beim nächsten Kuss ihre weichen Lippen mit seiner Zunge, um die heißen Tiefen zu erkunden.

Tabitha erlag dieser Berührung sofort. Der ganze Abend war schon ein Traum gewesen. Aber dies hier … war absolut faszinierend.

Zuerst erwiderte sie zögernd die Liebkosung, aber ihre Lust nahm rasend schnell zu und unterdrückte alle Hemmungen, die sie hätte haben sollen. Sie krallte sich in seine Anzugjacke, weil ihre Knie plötzlich nachgaben, und schmiegte sich an die harten Konturen seines Körpers.

Sie fühlte sich berauscht und spürte, wie er mit seinen festen Händen über ihren Rücken wanderte. Wann er ihr Haar gelöst hatte, konnte sie beim besten Willen nicht beantworten.

Er unterbrach den Kuss, und ihr fiel auf, wie stark sich seine Augen verdunkelt hatten. Niemals hätte sie gedacht, dass dieser umwerfende Mann sie einmal mit solch einem Verlangen im Blick ansehen würde.

Als sein Mund wieder auf ihren traf, war sein Kuss härter und hungriger als zuvor. Mühelos hob er sie in seine Arme, und für Tabitha fühlte es sich an, als würde sie in der wildesten Achterbahn der Welt sitzen. Verwegen und berauschend. Ihre Welt, ihr persönliches Universum, war zusammengeschrumpft und bestand nur noch aus Giannis.

Er trug sie ins Schlafzimmer und setzte sie neben dem großen Bett sanft auf die Füße.

Im Vorbeigehen hatte er die Schlafzimmerlampe ausgeschaltet, sodass der Raum nur durch das Licht erhellt wurde, das aus dem halbgeöffneten Bad kam – und durch das Feuerwerk, das den Himmel draußen erleuchtete.

„Eisai omorfi“, hauchte er, als er sie wieder an sich zog.

Sie hatte keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten, aber sie klangen einfach sinnlich und verführerisch.

Sie schlang beide Arme um ihn und signalisierte ihm eindeutig, wie groß ihr Verlangen nach ihm war.

Giannis kam es vor, als hätte der Wahnsinn Besitz von ihm ergriffen. Er wusste, dass es ein Fehler war, mit einer Frau zu schlafen, die er nur mit Vornamen kannte. Tabitha hätte genauso gut aus einem der Märchenbücher stammen können, die seine Schwestern als Kinder gelesen hatten. Eine Zauberin, die Männer in ihren magischen Bann zog.

Aber wenn dies ein Zauber war, wollte er kein Heilmittel dafür finden. Noch nicht. Er wollte verhext bleiben und sich von ihr in eine Fantasiewelt führen lassen.

Mit dem Mund fuhr er an ihrer empfindlichen Kehle hinunter, wo ihr Puls heftig pochte, während sie ihre Finger in sein Haar schob. Ungeduldig suchte er auf der Rückseite ihres Kleids nach versteckten Knöpfen und fand stattdessen einen schmalen Reißverschluss. In einer fließenden Bewegung zog er ihn auf.

Mit beiden Händen streichelte er über ihren Rücken und holte tief Luft, als er keinen BH fand. Nach einem weiteren heißen, harten Kuss zog er seine Jacke aus und trat dann zurück, um auch sein Hemd loszuwerden. Achtlos warf er es zu Boden.

Seine Finger zitterten, als er an ihrem kostbaren Kleid zog. Ein kleiner Ruck an der Taille reichte, um es abzustreifen. Es fiel mit einem Rauschen auf ihre Füße, und sie stand fast nackt vor ihm – nur mit einem weißen Spitzenhöschen bekleidet.

Thee mou!

Wohlgeformte Brüste, eine schlanke Taille und gerundete Hüften – für sie musste die Definition von Fraulichkeit neu erfunden werden.

Sie war atemberaubend sexy.

Ohne zu zögern, umfasste er eine der Brüste und fuhr mit dem Daumen über die aufgerichtete Spitze.

Tabitha schwankte leicht, und ein kleines Keuchen kam ihr über die Lippen. Er packte sie fester an den Hüften und ging leicht in die Hocke, um die Brust mit seinem Mund zu verwöhnen.

Das Blut sammelte sich in seiner Leiste, und seine Härte erinnerte ihn daran, dass er noch seine Hosen trug. Hastig öffnete er sie und schob sie nach unten.

Tabitha starrte auf die erste Erektion, die sie jemals gesehen hatte, und etwas in ihrem Schoß zog sich erwartungsvoll zusammen. Ihr Herz schlug schmerzhaft schnell, und ihr Blick wanderte rastlos über seinen maskulinen Körper.

Giannis war wunderschön.

Er war wesentlich breiter und viel muskulöser, als sie es sich vorgestellt hatte. Und sie konnte es nicht abwarten, ihm endlich noch näher zu kommen. Es gab etwas an ihm, das sie auf einer ganz ursprünglichen Ebene anzog – einer Ebene, die sie nicht verstand. Also ließ sie sich instinktiv auf dieses Phänomen ein, gegen das sie ohnehin machtlos war.

Ihren Slip zog sie sich selbst aus und bemerkte, wie Giannis’ Augen dabei immer größer wurden. Es gefiel ihr, ihn zu erregen, auch wenn sie keine wirkliche Erfahrung darin hatte.

Sie legten sich auf das Bett, ohne mit dem Küssen aufzuhören. Giannis schenkte ihren Brüsten viel Aufmerksamkeit, und Tabitha schmolz unter seinen geschickten Liebkosungen dahin. Er küsste ihren Bauchnabel, ihre Hüften und sogar …

Bei der ersten intimen Berührung schrie sie kurz auf.

Lieber Himmel!

Sie krallte sich in die Kissen. Automatisch hob sie ihre Hüften und bog sich ihm entgegen. Ihr Gehirn hatte aufgehört, zuverlässig zu funktionieren. Ihre Reaktionen fanden nur noch auf einer primitiven Ebene statt.

Erst als er sich wieder nach oben stemmte und sich seine Erregung hart gegen ihren Oberschenkel drängte, kam sie etwas zu Sinnen. Zumindest so weit, um zu keuchen: „Bitte sei vorsichtig.“

Eine fragende Falte bildete sich auf seiner Stirn, und plötzlich befürchtete sie, die Wahrheit könnte diesen magischen Moment abrupt beenden. Also legte sie ihm schnell einen Arm um den Hals und zog ihn nach unten zu sich.

Er küsste sie hungrig und bewegte seine Hüften so, dass seine Männlichkeit genau dort war, wo sie sein musste.

Und dann glitt er in ihre feuchte Hitze. Langsam, absichtlich langsam, um ihr Zeit zu geben, sich anzupassen.

Ihre Lider flogen auf, als ein scharfer Schmerz sie erfasste, sich aber gleich darauf wieder verflüchtigte. Und dann löste sie sich auf, buchstäblich …

Das Vergnügen war so unbeschreiblich intensiv, bei jedem seiner Stöße, bei jeder Bewegung tief in ihr, und sie stöhnte vor Lust dicht an seinem Gesicht.

Er füllte sie vollständig aus. Perfekt.

Schneller und härter stieß er in sie, und in ihr breitete sich eine Empfindung aus, die sich immer weiterentwickelte und irgendwann ohne Vorwarnung explodierte. Es war, als würden alle Farben um sie herum in tausend Teile zerspringen, heller und schöner als das Feuerwerk im Palastgarten.

Auch Giannis erlebte einen ekstatischen Höhepunkt, denn sein durchtrainierter Körper spannte sich an und erbebte.

Es dauerte eine Weile, bis Tabithas Welt wieder eine normale Form annahm und ihr Herz zu einem normalen Rhythmus zurückfand.

Eine angenehme Müdigkeit überkam sie. Ihre Augen schlossen sich von selbst, und ihr Bewusstsein trieb davon.

Das Geräusch einer sich schließenden Tür weckte Tabitha, und sie fuhr mit einem Schrecken hoch. Wie angewurzelt saß sie da und starrte entsetzt auf die Uhr neben sich. Es war schon sechs Uhr morgens.

Nein, nein, nein!

In einer Stunde musste sie mit der Arbeit beginnen.

Durch die geschlossene Tür hörte sie das Geräusch einer laufenden Kaffeemaschine. Giannis musste demnach in der Küche sein.

Wie sollte sie aus diesem Apartment fliehen?

Innerlich verfluchte sie ihre eigene Dummheit und bemühte sich, ruhig zu atmen, aber die Panik hatte sie schon voll im Griff.

Sie fasste sich an den schmerzenden Kopf und sah sich hektisch im Raum um. Ihr Kleid lag ordentlich auf einem Sessel in der Ecke. Giannis musste es dort drapiert haben.

Tabitha schluckte einen Anflug von Übelkeit herunter und verfluchte sich erneut. Wie verrückt und leichtsinnig hatte sie sich benommen? Total idiotisch!

Schlimm genug, dass sie sich von der Romantik des Abends und der unbestreitbaren, fatalen Anziehungskraft zwischen ihr und Giannis hatte hinreißen lassen. Aber mit ihm zu schlafen? Und die ganze Nacht bei ihm zu bleiben?

Das war der absolute Wahnsinn.

Ihre Wangen brannten, als sie sich daran erinnerte, wie sie sich ein zweites Mal geliebt hatten …

Sie taumelte vom Bett und bedeckte instinktiv ihre Nacktheit. So schnell sie konnte, schlüpfte sie in ihr Kleid und steckte sich ihren Slip in den Ausschnitt, während sie darüber nachdachte, wie sie am besten entkommen konnte. Um sich wenigstens etwas zu verhüllen, zog sie noch sein achtlos weggeworfenes Hemd vom Vorabend über.

Leider hatte sie der Aufteilung der Wohnung gestern kaum Aufmerksamkeit geschenkt, und nun war sie nicht sicher, wie sie unbemerkt zur Eingangstür kommen sollte.

Rasch betrachtete sie ihre Umgebung vom Fenster aus. Das Gelände war leer, aber es würde nicht lange dauern, bis es zum Leben erwachte. Schon bald würde eine Armee von Arbeitern da draußen die Unordnung beseitigen, die die Nachtschwärmer während der Feier angerichtet hatten.

Sie öffnete das Fenster, warf ihre Schuhe raus und kletterte hinterher. Mit nackten Füßen landete sie auf dem kalten Boden, hob ihre High Heels auf und machte, dass sie fortkam.

Giannis pfiff vor sich hin, als er den frisch aufgebrühten Kaffee in zwei Tassen goss und sie zusammen mit Milch und Zucker auf ein Tablett stellte. Anschließend machte er sich auf den Weg zurück in sein Schlafzimmer, wo seine Zauberin schlief.

Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so gut gelaunt aufgewacht war. Das musste Jahre her sein.

Wäre es möglich, dass diese süße Fee genau diejenige war, nach der er auf Drängen seiner Schwestern suchen sollte? Hatte er seine Traumfrau gefunden? Er wusste so gut wie nichts über sie, aber wenn sie sich eine Karte für seinen Ball und dieses außerordentlich kostbare Kleid leisten konnte, dann schwamm sie offensichtlich in Geld.

Und zwischen ihnen herrschte eine Chemie, die einzigartig war. Er hatte noch nie eine Nacht wie diese erlebt.

Ob sie nun die zukünftige Frau Basinas war oder nicht, in diesem Moment wollte er ihr erst einmal Kaffee ans Bett bringen und wieder zu ihr unter die Decke schlüpfen. Er hoffte inständig, dass sie für heute noch keine Pläne gemacht hatte. Seiner eigenen Assistentin hatte er schon eine Nachricht gesendet und sie angewiesen, seine Termine abzusagen oder zu verlegen.

Er würde an diesem Tag nicht nach Santorin zurückkehren.

Immer noch pfeifend, trug er das Tablett zu seinem Schlafzimmer und öffnete die Tür.

Das Bett war leer.

„Tabitha?“, rief er. Sie musste im Badezimmer sein … Doch die Badezimmertür stand weit offen.

Er stellte das Tablett auf der Kommode ab und bemerkte dabei noch etwas anderes, das verschwunden war. Ihr Ballkleid.

Zwei Minuten später, nachdem er jedes Zimmer in der Wohnung durchsucht hatte, kehrte Giannis verwundert und auch ziemlich verärgert in sein Schlafzimmer zurück.

Sie war ihm einfach davongelaufen.

Aus dem Augenwinkel sah er etwas auf dem Kopfkissen aufblitzen. Neugierig ging er näher zum Bett und hob den funkelnden Gegenstand auf.

Es war einer ihrer kostbaren Ohrringe.

4. KAPITEL

„Die Akte ist unvollständig.“ Giannis tippte mit seinen langen Fingern auf den dicken Ordner, der angeblich die persönlichen Daten und Fotos aller Gäste enthielt, die vor zwei Wochen am Maskenball teilgenommen hatten.

Doch nun stellte sich heraus, dass es auf der Liste keinen Gast mit dem Namen Tabitha gab. Er hatte den ganzen Morgen damit verbracht, die Dossiers gründlich zu studieren. Inzwischen konnte er mühelos jeden einzelnen Menschen benennen und beschreiben, der an jenem Abend dort gewesen war.

Aber das eine Gesicht, das er finden wollte, fehlte.

Seine Assistentin seufzte. „Das ist aber die gesamte Teilnehmerliste. Es wurde dreifach überprüft.“

„Dann muss sich jemand heimlich auf den Ball geschlichen haben.“

An dieser Stelle schaltete sich Giannis’ Sicherheitschef ein. „Jeder Gast wurde im System ordnungsgemäß eingetragen.“

„Dann muss das System fehlerhaft gewesen sein – oder jemand hat eine Einladung gefälscht.“

„Jede Einladung wurde geprüft, und die Namen wurden später elektronisch abgehakt. Die einzige Möglichkeit wäre, dass jemand eine Einladung gestohlen hat.“

„Aha!“

„Aber es wurden keine Diebstähle gemeldet. Jeder, der hätte dort sein sollen, war auch dort und hat sich mit der Einladung ausgewiesen. Es gab nur ein Nichterscheinen: ein älterer Herr aus der Schweiz, der an diesem Tag nach einem üblen Sturz ins Krankenhaus eingeliefert wurde.“

Giannis trommelte kräftiger mit den Fingern auf dem Ordner herum und dachte fieberhaft nach.

Tabitha war spurlos verschwunden. Wäre nicht der Ohrring auf seinem Kissen gewesen, hätte man fast glauben können, dass diese ganze Nacht wirklich bloß ein Zauber gewesen war. Reine Fantasie.