Reindl segelt - Horst Reindl - E-Book

Reindl segelt E-Book

Horst Reindl

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer segelt, wird nicht seekrank – und wer seekrank wird, segelt nicht. So einfach ist es aber nicht, wie jeder weiß, der schon einmal seinen Fuß auf ein Segelboot gesetzt hat. Manche – wie Horst Reindl – begleitet die Seekrankheit ein ganzes Seglerleben. Kann man Seekrankheit und Segelleidenschaft vereinbaren? Man kann – und das über Tausende Seemeilen. Horst Reindl beschreibt in diesem Buch selbstironisch seinen Weg durch das Dickicht der Segelscheine zum Skipper. Immer geplagt von den Begleiterscheinungen des Lebens auf dem Wasser entwickelt er eine nicht ganz ernst zu nehmende Theorie über den Zusammenhang zwischen Seekrankheit und Charakter, die erklärt, warum etwa Odysseus von ihr verschont blieb. So entsteht ein humorvolles Portrait des Fahrtensegelns mit all seinen liebenswert schrulligen Gestalten von den Anfängen in den 70er-Jahren bis heute. Sie alle erkennt der Leser im Heimathafen, dem Club, auf Chartertörns oder an Bord der eigenen Yacht wieder. Bei seinen Törns durch das Mittelmeer, den Atlantik und die Karibik nimmt Horst Reindl den Leser mit zu den kleinen und großen Abenteuern an Bord. Seine Geschichten aus Kajüte & Kombüse verkürzen jeden Winterabend bis zum nächsten Törn. Zahlreiche Karten der Segelgebiete erleichtern die Orientierung. Eine Erläuterung der seemännischen Begriffe lässt das Buch auch für „Landratten“ verständlich werden. Der bekennend seekranke Skipper Horst Reindl fasst seine Abenteuer frei nach Loriot zusammen: „Ein Leben ohne Segeln ist möglich, aber sinnlos.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 440

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Reindl segelt.

Vom Glück, seekrank und Segler zu sein

In des Lebens Stürmen

braucht der Mensch nicht viel:

Immer eine Handbreit

Wasser unterm Kiel.

Kapitel 1

Wer wird denn gleich sterben? – Seekrankheit und Charakter – Salzwasser als Medizin – Lackel und Rabauken – Odysseus war nie seekrank – Heldenhafter Kampf im Taifun – Naturheilmittel gegen Seekrankheit

Da lag ich also in der engen Hundekoje, mir war hundeelend und ich wollte eigentlich nur noch sterben. Aber für einen darin ungeübten Anfänger ist das gar nicht so leicht. Auf alle Fälle wusste ich jetzt, woher die Hundekoje ihren Namen hat.

Das Wasser rauschte mit einem Höllenlärm an der Bordwand entlang und verstärkte dadurch die angsterregende Vorstellung, nur durch ein paar Zentimeter Kunststoff von einer fürchterlichen Wassertiefe getrennt zu sein. Die Koje taumelte in nicht vorhersehbaren Kurven in alle Richtungen. Es war stickig unter Deck, alle anderen saßen im Cockpit, und nur wenn ich mich dazu aufraffte, den Kopf zu heben, sah ich aus meiner Backbord-Hundekoje ein Stückchen bewölkten Himmels durch den Niedergang. Ab und zu beugte sich auch ein Kopf eines Mitseglers mit einem Gesichtsausdruck aus einer Mischung von Schadenfreude, Mitleid und Stolz auf die eigene Seefestigkeit herein, um das Häufchen Elend zu betrachten. Wollte doch da tatsächlich einer über den Atlantik und warf sich gleich auf den ersten Meilen der Seekrankheit zum Fraß vor!

Seekrankheit! Was ist darüber schon alles geschrieben worden! Keiner, der sie nicht am eigenen Leib erfahren hat, kann sich eine Vorstellung davon machen!

Die Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien die Natur die Gabe der Resistenz gegen und umgekehrt Disposition zur Kinetose verteilt oder – banal ausgedrückt – wem sie Seefestigkeit schenkt und wen sie mit Seekrankeitsanfälligkeit straft, hat sie bislang hartnäckig für sich behalten. Für mich allerdings steht fest, dass nur sensible, empfindsame und intelligente Naturen von der Seekrankheit befallen werden und dass alle, die schon mit Seebeinen auf die Welt kommen, grobe Lackel sind oder noch schlimmere Charakterfehler haben. Oft genug bringen Letztere nur Spott und Hohn, aber nichts Hilfreiches für ihre seekrankheitsgeplagten Mitsegler zuwege. Dann erzählen sie in solchen Krisen auch noch lustvoll von fettem, lauwarmem Speck und ähnlichen Delikatessen oder schlagen andere Heilmittel wie Salzwassertrinken und einen ordentlichen Schluck Rum vor. In solchen Augenblicken wünsche ich mir, ich hätte noch genügend Kraft, um diese Burschen zu erwürgen. Aber das ist ja das Heimtückische an der Bewegungskrankheit, dass man nicht einmal mehr dazu in der Lage ist.

Als Beweis für meine These kann ich eine ganze Reihe von Seefahrern anführen: zum Beispiel Noah. In der Bibel steht nichts von Seekrankheit, obwohl er damals zum ersten Mal auf See war, und das bei diesem Wetter: 40 Tage und Nächte nichts als Regen und Sturm! Jedoch keine Seekrankheit! Aber man weiß ja, was Noah für ein Charakter war. Nach der Sintflut kaum wieder an Land, lässt er sich mit Wein so volllaufen, dass er nachher völlig weggetreten und nackt zum Gaudium beziehungsweise Ärger seiner Söhne im Zelt herumliegt. Dass so einer nicht seekrank wird, ist doch klar. Darin gleicht er vielen Seglern, die dazu allerdings keinen Anlass wie die Sintflut brauchen. Die werden nämlich auch nicht seekrank.

Oder nehmen Sie die Griechen, die wegen der schönen Helena nach Troja segelten und unterwegs auch noch ihren Mitsegler Philoktetes auf der einsamen Insel Lemnos aussetzten, nur weil er ein bisschen streng roch. Auch heute noch erfüllen viele Segler diese Bedingung für ein Aussetzen ohne jede Mühe, werden von ihren Kameraden aber trotzdem klaglos an Bord behalten. Nicht so die Griechen! Lassen den Armen, allein und schwer krank, rücksichtslos auf der unwirtlichen Insel zurück. Neun Jahre später mussten sie ihn reumütig von dort wieder abholen, allerdings nicht, ohne ihm dabei falsche Tatsachen vorzugaukeln. Wenn das keine groben und wenig feinfühligen Rabauken waren! Aber dass irgendein Grieche seekrank geworden wäre, dafür findet der edle Homer kein einziges Wörtchen.

Oder gar Odysseus, der maßgeblich an der miesen Behandlung des Philoktetes beteiligt war. Er erfindet das trickreiche Trojanische Pferd, um endlich in Troja morden und brennen zu können, schippert danach zehn Jahre lang mit den fadenscheinigsten Ausreden, wie viele Segler heute noch, auf dem Mittelmeer herum, poussiert überall mit allen möglichen Zauberinnen und Königstöchtern, brennt armen Zyklopen ihr einziges Auge aus und erschlägt beim Nachhausekommen Hunderte von Gästen auf einer von seiner Frau veranstalteten Party. Wer so etwas macht, zu dem passt auch, dass er nicht seekrank wird. Homer hätte sicher einen schönen Hexameter gedrechselt, wenn Odysseus auch nur einen Anflug jener verfluchten Qual verspürt hätte: Da fällt aus Odysseus’ ergrüntem Gesichte und offenem Mund, das Schicksal verfluchend, gelehnt an des Schiffes gezimmert Geländer, gleich all das Tsatsiki, zudem die Souvlaki, erst gestern genossen. – Oder so ähnlich.

Oder die Wikinger! Nicht ein einziger Hinweis auf Seekrankheit! Terrorisieren jahrzehntelang halb Europa, saufen fässerweise Met, gründen Russland, verdingen sich als Söldner oder veranstalten Berserkerläufe, aber werden nie seekrank, obwohl sie mehr Zeit auf See als an Land verbringen. Alles grobe Lackel! Man muss ihnen jedoch zugutehalten, dass sie Amerika entdeckten und es links liegen ließen. Als ob sie gewusst hätten, was einmal aus Amerika werden sollte.

Wie habe ich all die Seefesten beneidet, trotz all ihrer charakterlichen Nachteile! Was habe ich nicht schon alles ausprobiert gegen diese Plage! Medikamente und Pflaster oder gar Akupunktur. Nichts hat geholfen. Bei der Akupunktur habe ich mich gewundert, dass der Medizinmann mir die Nadeln ins Ohr stach, wo mir doch immer im Magen übel wurde! Aber ich bin sicher, er hätte mich am ganzen Leib mit Nadeln spicken können wie ein Fakirbrett – es hätte doch nichts gebracht.

Dann hatte ich vor einem Törn eine andere glänzende Idee. Es ist ja in Segler- und Medizinerkreisen allgemein bekannt, dass nach zwei, drei Tagen auf See der Spuk oft vorbei ist. Das hatte ich selbst so am eigenen Leib bereits erfahren, sonst hätte ich das Segeln schon längst aufgegeben. Aus dieser Tatsache heraus hatte ich auf einen Gewöhnungseffekt geschlossen. Das musste man doch zu Hause trainieren können! Mir wird auf jeder Schaukel nach kurzer Zeit übel, vor allem – nomen est omen – auf einer Schiffschaukel. Also sagte ich zu mir: „Bursche, du musst als Vorbereitung jeden Tag nur ein wenig schaukeln, bis die ersten Anzeichen der Übelkeit auftreten. Mit der Zeit werden dann die Zeitintervalle immer länger und eines Tages macht dir das Schaukeln gar nichts mehr aus und du kannst mit Zuversicht deinen Törn antreten.“ Ich ließ mich von mir selbst überzeugen und befestigte an der Kellerdecke zwei Augbolzen, riggte eine einfache Kinderschaukel auf und begann mein Training. Eigenartigerweise bemerkte ich nach einer halben Stunde noch keine Wirkung, wo mir doch sonst schon beim Zusehen schwindelig wird. Ich schob es auf die fehlende innere Einstellung, holte mir das Buch Taifun von Joseph Conrad, um die Vorstellung der Zustände an Bord bei schwerstem Wetter und schwerster See anzuregen, und begann bei meinem Training zu lesen. Nach einer Stunde spürte ich immer noch nichts. Hatte ich etwa eine Schnellmethode zur Heilung der Seekrankheit entdeckt? Da würden die Fachleute aber Augen machen! Ich sah mich schon auf dem Titelblatt des Journal of Medicine oder zumindest der Yacht. Schnell fand ich mich aber wieder auf dem Boden der Tatsachen – im wahrsten Sinn des Wortes –, als einer der Augbolzen wegen mangelnder Biegewechselfestigkeit brach und ich nach Grundberührung mit geprelltem Steißbein mein Training aufgeben musste. Trotzdem war ich sehr stolz, einen Taifun ohne Seekrankheit überstanden zu haben! Das sollte mir erst einmal einer nachmachen!

Nach wie vor kennt die Welt kein Mittel gegen die Seekrankheit. Auf die Pharmaindustrie ist kein Verlass, die Mediziner müssten schamvoll ihre Häupter verhüllen und auch moderne Trainingsmethoden scheitern an Materialschwächen!

Ein unfehlbares Heilmittel gegen diese Seuche gibt es allerdings. Keine Medikamente oder Pflaster oder gar Akupunktur. Nein, ein Naturheilmittel: Zehn Minuten auf einer grünen Sommerwiese liegen und das Übel ist wie weggeblasen. Leider sind nur die wenigsten Boote mit so etwas ausgerüstet. Darüber sollten sich die Bootshersteller doch einmal Gedanken machen oder die Seeberufsgenossenschaft!

Doch nach all dem zurück zur harten Wirklichkeit in meiner Koje. Da lag ich also und litt unter dem Unvermögen der Wissenschaft, ein so dringendes Problem zu lösen. Ich fragte mich, wie ich überhaupt in diese Lage gekommen war: „Horst, wie bist du überhaupt in diese Lage gekommen?“ Natürlich konnte ich in diesem Augenblick und in diesem Zustand von mir keine vernünftige Antwort erwarten und so beendete ich diese interessante, aber ergebnislose Unterhaltung und versuchte, die nächste Welle der Seekrankheit zu überstehen. Mit deren Abebben fand ich erneut ins Grübeln und erinnerte mich nach und nach daran, wie ich in dieses masochistische Vergnügen geraten war.

Kapitel 2

Wege zum Segeln – Immer in Lee! – Segeln oder schwimmen – Physik oder Bootsverleih – Die Marx Brothers als Crew

Zum Segeln kam ich als Student in München. Ich war an der Technischen Hochschule, heute heißt sie Technische Universität, eingeschrieben und studierte Physik. Mancher hätte meine Haupttätigkeit vielleicht anders bezeichnet, aber allen Nörglern zum Trotz hatte ich nach angemessener Zeit doch mein Diplom in der Tasche. Indes, das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls gab es von den Münchener Universitäten ein breit gefächertes Angebot an Sportmöglichkeiten für die Studenten. Unter anderem wurden Segelkurse auf dem Starnberger See angeboten, die mich bald als eifrigen Segelschüler sahen.

Meine seemännische Karriere hatte allerdings schon früher – während meiner Schulzeit – mit aufgeblasenen LKW-Schläuchen auf der Donau und auf selbst gebauten Flößen auf den sieben Baggermeeren der Neuburger Umgebung begonnen mit einer Paddelbootfahrt auf der Donau als Höhepunkt.

Bis zu diesem Punkt meiner Seglerlaufbahn hatte ich keine Ahnung von der Seekrankheit, hätte jedoch gewarnt sein müssen, weil mir beim Autofahren auf dem Rücksitz jedes Mal übel wurde. Wie hätte ich aber das mit der mir unbekannten Seekrankheit in Verbindung bringen sollen? Heute braucht mich keiner mehr darüber zu belehren, dass das dasselbe ist.

Bei diesen idealen Voraussetzungen wäre es keine Kunst gewesen, mir eine Neigung zum Segeln vorauszusagen. Als Bayer hat man sowieso eine romantische Vorstellung von der Seefahrt. Deswegen waren und sind in der Marine mehr Matrosen aus Süddeutschland als von der Waterkant. Letztere wissen nämlich Bescheid über die Seefahrt.

Wie dem auch sei, ich wollte das Segeln richtig lernen, wofür ich auch meine Freunde und Kommilitonen Robi und Bumsti begeistern konnte.

Die Kurse fanden im sogenannten Studentenbad in Starnberg statt, wo die Universitäten einen Badestrand mit einem Matratzenlager als Übernachtungsmöglichkeit unterhielten und wo die Flotte von Piratenjollen für die Ausbildung stationiert war. Die Ausbildung war gründlich, mit einem Segellehrer und zwei Schülern auf jedem Boot, und wir wurden ordentlich mit Manövern gedrillt. Auch der Wind war zeitweise ganz frisch, was zu einem peinlichen Zwischenfall führte. Vor lauter Anstrengung, bei einem Manöver die Fockschot dichtzuholen und gleichzeitig auf der hohen Kante auszureiten, passierte Bumsti etwas allzu Menschliches, wobei das unangenehme Geräusch durch den hölzernen Resonanzkörper des Piraten noch verstärkt wurde. Der Segellehrer erklärte uns auch hierzu das seemännische Verhalten, dass so etwas nämlich immer in Lee zu erledigen sei, ebenso wie das Überbordspucken. Später hatte ich genügend Gelegenheit, das Gelernte anzuwenden.

Die vier Wochenenden waren schnell vorüber. In der Zeit hatte ich meine Nase auch mehr in dem schmalen blauen Buch Führerschein A für Segler (Segelschein für Binnenreviere) von Overschmidt als in meinen Physikbüchern und hatte öfter Leinenenden zum Knotenüben in der Hand als den Rechenschieber. Zur A-Schein-Prüfung reichte es indessen nicht, weil dazu von den für das Segeln im Hochschulsport Verantwortlichen ein Theoriekurs sowie ein weiterer Praxiskurs von zwei zusammenhängenden Wochen gefordert waren. Das wäre dem Studium doch zu abträglich gewesen. Also verschob ich den A-Schein auf später. Wie als Hohn des Schicksals kam es allerdings nie mehr dazu, dass ich diese erste Seglerweihe empfangen durfte. Doch das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls hatten wir, auch Robi und Bumsti, Blut geleckt. So legten wir immer wieder unsere sauer zusammengejobbten Groschen bei Bootsverleihern an den bayrischen Seen auf den Tisch, um auf Piraten, Schratzen und manchen Werfteigenbau den Chiemsee oder den Starnberger See unsicher zu machen. Jeder fühlte sich dabei als Skipper. Ich wusste natürlich, dass ich der wahre Schiffsführer war, doch ich sagte davon nichts, denn das hätte zu längeren fruchtlosen Diskussionen mit Robi und Bumsti geführt, glaubten die doch unverständlicherweise, auch sie hätten die nötigen Führungsqualitäten.

Unser bevorzugtes Revier war wegen der kurzen Anreise der Starnberger See. Einer der Bootsverleiher hatte sein Bootshaus in Possenhofen auf dem Gelände der dortigen Bootswerft, ein echter Bayer, grob und geschäftstüchtig. Seine Piratenjollen charterten wir öfters. Ich erinnere mich an einen sehr kurzen Törn zu Beginn unserer Seglerlaufbahn, der bereits im Hafen endete. Wir waren zu dritt auf einem Piraten. Es herrschte eine nette Brise, gegen die wir im Hafen schon kaum mit den Paddeln ankamen. Deshalb wollten wir das Großsegel setzen, während zwei den Piraten mit den Stechpaddeln im Wind hielten. Irgendjemand musste die Großschot mit Absicht so geschickt über den Baum mit dem aufgetuchten Großsegel gelegt haben, dass sich, unterstützt vom Killen des Segels beim versuchten Hieven am Fall, Segel, Segellatten, Großbaumdirk, Schotwagen und Baum mit der Schot in ein kunstvolles Fancywork verwandelten. Wir bekamen jedenfalls das Groß nicht schnell genug hoch. Der Bootsverleiher, der unsere Versuche beobachtet hatte, beorderte uns lautstark und mit hochrotem Kopf wieder an den Steg zurück, wo er uns mit allerlei guten Ratschlägen empfing, die ich hier mit Rücksicht auf die Jugendfreiheit dieses Buches nicht alle wiederholen kann. „Wennz ned segln kennz, na schwimmz!“ war noch der mildeste (für Nichtbayern: „Wenn ihr nicht segeln könnt, dann wäre es besser, ihr gingt zum Schwimmen!“). Er verweigerte uns einen weiteren Versuch wegen erwiesener Unfähigkeit. Gegen den, wie gesagt, geschäftstüchtigen Menschen hatten wir auch keine Chance, die Chartergebühr zurückzubekommen. Wir buchten den ganzen Vorgang auf das Konto Erfahrung. Zu seiner und unserer Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden, dass wir uns beim nächsten Mal auf eine verringerte Chartergebühr einigen konnten.

Die Bootshütte des Bootsverleihs war für mich ein Anziehungspunkt. Im Erdgeschoss, knapp über dem Wasser, stand auf einem Bretterboden der Schreibtisch mit dem Buch für die Bootsreservierungen. Von da gab es einen Zugang zum Wasser in der Hütte, wo Ruder- und Motorboote lagen. Darüber war der Segelboden, auf dem nasse Segel getrocknet wurden und Reserveausrüstung lagerte. Der Geruch nach Wasser, Seegras, feuchten Segeln, nach Booten und Ausrüstung, ganz leicht modrig und doch frisch und unverwechselbar, erweckten in mir romantische Vorstellungen und ist auch wohl vielen Seglern vertraut.

Während der manchmal harten Zeiten, in denen das Studium vollen Einsatz erforderte, gingen mir Gedanken durch den Kopf, ob es nicht besser wäre, statt Physiker werden zu wollen, eine Karriere wie der Bootsverleiher anzustreben: den ganzen Tag sich mit einem leichten Job am Wasser aufhalten, segeln wann immer man will und angehenden Seglern das Fürchten lehren. Dazu hätte man den ganzen Winter Zeit zum Skifahren oder Faulenzen. Zum Glück nahm ich diese Hirngespinste selbst nicht ernst.

Gegen Ende des Studiums kam ich zum ersten Mal auf ein Kajütboot. Günther, ein Studienkollege, war Mitglied im Akademischen Seglerverein am Ammersee und hatte uns Institutsangehörige zu einem Segeltörn mit dem damaligen Flaggschiff, einem alten Gaffel-Zweimaster namens WIKING eingeladen. Es war ein erhebendes Gefühl, als ich auch an das Ruder durfte, natürlich unter Günthers Aufsicht. Als der Wind nachließ und schließlich einer bleiernen Flaute wich, lief der Törn etwas aus dem Ruder. Einige fühlten sich berufen, den Segelclown zu spielen, indem sie alle möglichen echten und erfundenen Kommandos brüllten. Nachdem auch noch einer anfing die Kollegen ins Wasser zu schubsen, artete das so lange aus, bis einer sich dabei eine böse Risswunde zuzog, als er mit dem Zeh an einem Wantenspanner hängen blieb. Da reichte es Günther. Er ließ alle das Deck schruppen und die Blutspuren beseitigen. Auch beim Rücktransport von der WIKING an Land ging der Unsinn weiter, als das Beiboot, eine große Holzzille, absichtlich zum Kentern gebracht wurde. Damit nicht genug: Beim Hieven des Arbeitsboots mit dem Kran aus dem Wasser riss auch noch ein Stück des Schandecks aus, an dem eines der Augen zum Hieven befestigt war. Günther konnte nur noch seufzen: „Da wären mir ja die Marx Brothers als Crew noch lieber.“

Immerhin lernte ich auf diesem Ausflug die bayerischen Kommandos für die Wende und die Halse. Statt „Klar zum Wenden“ heißt das „Gemma umi?“ (auf Deutsch: Gehen wir hinüber? – Natürlich ist hier nicht ins Jenseits gemeint, sondern auf den anderen Bug). Korrekt wäre auch „Jetzad kannt ma umi geh'“ (Jetzt könnten wir auf den anderen Bug gehen). Das ist eigentlich kein Kommando, sondern ein Vorschlag, da der Bayer keine direkten Befehle liebt. Das „Ree“ wird dann mit „umi“ übersetzt. Entsprechend lauten die Halsenkommandos auf Bayerisch „Umi“ und dann „Obacht“ für „Rund achtern“. Die restlichen Detailkommandos empfindet der Bayer als überflüssig beziehungsweise als selbstverständlich.

Kapitel 3

Ein Käptn ohne Uniform und Segelschein – Seekrank? Ich doch nicht! – Einstand ein Seemannsbrauch? – Neapel sehen und nicht sterben – Vulkanausbruch inklusive

Mit dem Ende der Diplomarbeit wurde die Zeit für das Segeln immer knapper, denn es drohte die Diplomprüfung, die doch eine andere Vorbereitung verlangte, als auf dem Wasser möglich war. Aber auch diese Klippe wurde glücklich umschifft und schon bald war ich in Amt und Würden eines frischgebackenen Diplomingenieurs bei einer Raumfahrtfirma in München. Da meine Segel- und Studienfreunde nach Abschluss ihres Studiums beruflich in alle Winde zerstreut waren, dauerte es einige Zeit, bis ich einige meiner neuen Arbeitskollegen zum Segeln animiert hatte, mit denen ich mich auf den bayerischen Seen herumtreiben und die Segelpraxis ausweiten konnte.

Als sich meine Segelleidenschaft langsam herumsprach, erfuhr ich von einem Kollegen, dass sein Freund einen Segeltörn plane und noch Mitsegler suche. Nachdem ich meine mir angeborene Schüchternheit und meine Skepsis gegenüber einem Törn mit Fremden überwunden hatte, stellte mein Kollege den Kontakt her.

Bei einem Abendessen in einem Restaurant lernten wir uns näher kennen. Beim ersten Blick war ich etwas irritiert. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, vielleicht, dass der Kapitän, als solchen sah ich einen Skipper an, bei einer so feierlichen Zeremonie wie der Begrüßung der Crew in Uniform mit Kolbenringen an den Ärmeln und ankergeschmückten Achselklappen oder zumindest im Blazer auftauchen würde. Dieser gilt ja in bestimmten Seglerkreisen auch als eine Art Uniform. Auf Kreuzfahrtschiffen begrüßt der Kapitän seine Gäste jedenfalls immer in Uniform. Jan, unser zukünftiger Skipper war jedoch eher leger gekleidet. Ich ging ohne Aufhebens vornehm über diesen Fauxpas hinweg.

Mit von der Partie sollten seine Frau Michaela, eine Beamtin, Frankie, der Geografie und Sport fürs Lehramt studierte, sowie meine damalige Freundin und nachmalige Ehefrau Edeltraud sein. Beim Essen diskutierten wir alle möglichen Einzelheiten und Jan erklärte uns auch die in Aussicht genommenen Boote, deren Ausrüstung und die zugehörigen Reviere. Damals waren die Charterangebote nicht so üppig wie heute und man musste schon zusehen, dass man ein vernünftig ausgerüstetes Boot fand. Als Initiator und Skipper wollte Jan das Boot chartern. Er hatte auch schon zwei oder drei Boote in die engere Wahl gezogen.

Jan hatte keinen Segelschein, tat das aber mit der Bemerkung ab, dass ein Scheinbesitzer noch lange nicht zwangsläufig segeln könne und sich als Skipper eigne. Er blieb aber den Beweis für den Umkehrschluss schuldig, dass jeder Führerscheinlose ein hervorragender Segler sei, der jederzeit als Bootsführer antreten könne. Er legitimierte seine Seemannschaft damit, dass er auf seinen bisherigen Törns bei guten Seglern eine hervorragende Ausbildung genossen habe und demnach für den Skipperposten prädestiniert sei.

Ich ließ mich von diesen Argumenten überzeugen, da ich von der christlichen Seefahrt keine Ahnung hatte. Später musste ich auf meinen Törns erkennen, dass sich das mit der Ahnung nur sehr langsam bessert und dass man auf See nie auslernt, dass allerdings Jan recht damit hatte, dass nicht der Führerschein den Segler mache. Jan hatte also schon mehrere Törns hinter sich, aber dieser sollte sein erster als Skipper sein.

Natürlich kam auch die Seekrankheit zur Sprache. Jan brüstete sich: „Seekrankheit? Ich doch nicht. Das ist kein Problem für mich.“ Das hätte mir zu denken geben sollen. Aber damals wusste ich solche Typen noch nicht richtig einzuschätzen. Seine Seefestigkeit betrachtete ich damals als nichts Besonderes. Ich hielt mich selbstverständlich für mindestens genauso seefest, ich war ja noch nie seekrank! Wie ein Kind glaubt, unsichtbar zu sein, wenn es sich die Augen zuhält, glaubte ich mich – mangels Kenntnis – gefeit gegen so etwas Lächerlichem wie Seekrankheit.

Frankie erzählte, dass er nur ein einziges Mal einen ganz leichten Anflug von Seekrankheit verspürt habe, und zwar auf einer Fähre auf der Ostsee, wo praktisch alle Passagiere und auch die gesamte Besatzung, mit Ausnahme des Kapitäns, Neptun geopfert hätten. Aber mit eiserner Willensanstrengung habe er dann doch den Sieg über dieses Übel davongetragen, das sowieso nur Schwächlinge befalle.

Das erinnerte mich an das Buch Drei Mann in einem Boot von Jerome K. Jerome und ich schilderte gleich, dass Jerome dort von einer Bootsfahrt auf der Themse erzählt und auch auf das Thema Seefestigkeit kommt. Er macht sich lustig über Leute, die von ihren Seebeinen erzählen und von Stürmen auf See, wo auch immer alle seekrank waren außer dem jeweiligen Erzähler und noch jemandem. Meistens war das dann der Kapitän. Mein Gesprächsbeitrag stieß seltsamerweise nicht auf ungeteilten Beifall. Das Abendessen verlief trotzdem in Harmonie und guter Stimmung. Am Ende war der gemeinsame Törn verabredet.

Eines hätte mich allerdings etwas stutzig machen sollen: als nämlich Michaela verkündete, dass ich die Rechnung für alle übernehmen sollte. „Warum?“, wollte ich wissen. Wie gut einstudiert, antwortete Jan sofort: „Das ist bei Seglern immer so, dass die neu dazu Gekommenen ihren Einstand geben müssen.“ Ein Seitenblick auf Frankie half mir nicht viel. Der hatte eine Pokermiene aufgesetzt und tat ganz unbeteiligt. Um meine Unerfahrenheit in alten Seglerbräuchen nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, blieb mir nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen.

Wir trafen uns noch öfter, um alle Einzelheiten abzusprechen, und ich kam dabei zu der Überzeugung, dass ich es wohl zwei Wochen mit den anderen auf einem Boot aushalten würde. Mich wunderte zwar, dass auch Jan, Michaela und Frankie umgekehrt zu dem Schluss kamen, es mit Edeltraud und besonders mir aushalten zu können, aber bitte, des Menschen Wille ist sein Himmelreich!

Bei einem dieser Treffen im Mai verkündete Jan, er habe ein Boot gefunden, eine Super Najade, ein gut ausgerüstetes Eignerschiff, das nur gelegentlich zur Kostendämpfung verchartert würde. Als Termin schlug er wegen Michaelas Behördenurlaub Mitte bis Ende August vor. Wie sich herausstellte, lag das Boot im Hafen von Ischia und die Anreise dorthin sollte mit zwei Autos bis Neapel und dann per Fähre stattfinden; ein bisschen weit zum Fahren, aber immer noch günstiger als Fliegen. Das Fahrtgebiet sollte der Golf von Neapel und die Pontinischen Inseln sein. Unbeleckt von jeglicher Kenntnis und Erfahrung über Segelreviere und dass die Ostsee und die Adria eigentlich viel leichter zu erreichen gewesen wären, war ich ganz einverstanden mit Jans Auswahl. Ich hatte zwar nicht die Absicht, Neapel zu sehen und zu sterben, vielmehr klangen „Golf“ und „Inseln“ für mich schon sehr nach Abenteuer und Seefahrtromantik, verstärkt durch die Aussicht, im Bannkreis des Vesuv zu segeln und in Ischia und Capri anzulegen. Vielleicht konnten wir sogar einen Vulkanausbruch aus der Nähe erleben. Ich sah mich schon in der Rolle von Plinius, dem Jüngeren, der den Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 nach unserer Zeitrechnung miterlebt und dokumentiert hat. Dass wir uns richtig verstehen, ich wollte keine Katastrophe wie die von Pompeji und Herculaneum, aber so ein bisschen ungefährlichen Rauch und eine kleine, harmlose Feuersäule hätte ich schon gern gesehen.

Wir lernten uns bei verschiedenen Restaurantbesuchen und anderen gemeinsamen Unternehmungen besser kennen. Allerdings bewirkten meine Anspielungen bezüglich einer Revanche für die Großzügigkeit beim ersten Treffen nichts, mit der ich die Rechnung für alle übernommen hatte. Jedes Mal, wenn ich die Sprache darauf brachte, wechselten Jan oder Michaela schnell und geschickt das Thema. Frankie tat dabei wieder ganz unbeteiligt. Später erzählte er, er hätte ja auch gern mal die Zeche beglichen, aber niemand habe etwas davon gesagt und er habe sich nicht aufdrängen wollen. Heute kommen mir Zweifel, ob das alles wirklich aus vornehmer Zurückhaltung geschah.

Immerhin brachte Jan es fertig, dass wir auf dem Kajütboot eines seiner Bekannten auf dem Starnberger See einen Sonntag lang mitsegeln durften. Jan wollte wohl unauffällig meine Segelkenntnisse und Bordtauglichkeit prüfen und auch ich war auf diese Eigenschaften bei Jan neugierig. Keiner ließ das natürlich den anderen merken. Anscheinend verlief das Ganze zur beiderseitigen Zufriedenheit, denn es gab keine Reklamationen. Auch Edeltraud und Michaela vertrugen sich ganz gut.

Kapitel 4

Packen ist eine Kunst – Nur ein Bart macht den Seemann – Mi bruci un poco i baffi – Costa hundert Marke – Ischia – Im Päckchen, innen und außen – Der Kassenwart setzt sich durch

Edeltraud und ich klärten unsere Urlaubsangelegenheiten und ich konnte es kaum erwarten, bis es losging. Wir besorgten uns Ölzeug und ließen uns von Jan beraten, was alles mitzunehmen sei. Literatur à la „Mein erster Törn“ gab es noch nicht und auf eigene Erfahrung konnte ich nicht zurückgreifen. Wer sich an seinen eigenen ersten Törn erinnert, kann das Gefühl der Unsicherheit nachempfinden. Man macht Listen, verwirft sie, fängt neu an, nur um dann festzustellen, dass man viel zu viel mitnehmen will nach dem Motto: Vielleicht brauche ich das doch! Als ich merkte, dass wir für die geplante Gepäckmenge einen kleineren Möbelwagen gebraucht hätten, beschloss ich: So geht’s nicht. Alles, was nicht unbedingt nötig ist, wird gestrichen! Trotzdem, je näher der Abreisetermin kam, desto länger wurde die Liste mit dem unbedingt Notwendigen. Damals kannte ich das Prinzip für Segler noch nicht: Man macht drei Listen. Eine für die unabdingbare Ausrüstung, eine mit den Sachen, die man vielleicht braucht, und eine mit dem, was man auf keinen Fall braucht. Die beiden letzten Listen wirft man gleich weg und von der ersten nimmt man nur die Hälfte oder nur das mit, was in die Reisetasche passt. Je nachdem, was weniger ist. Reisetaschen in passender Größe hatten wir nicht, also besorgte ich für Edeltraud und mich Seesäcke aus Bundesmarinebeständen, was mir auch viel seemännischer vorkam als profane Reisetaschen oder gar Koffer. Ich überlegte, ob ich mir einen Bart stehen lassen sollte, verzichtete aber darauf, nachdem weder Jan, der Kapitän, noch Frankie solch eine Manneszier trugen. Ich wollte mich ja nicht als Oberseebär aufspielen.

Der Abfahrtstermin rückte näher und näher. Letzte Hand wurde bei der Ausrüstung angelegt und alles zum Einpacken hergerichtet. Wahrscheinlich hatte ich die verkehrten der drei Packlisten weggeworfen, denn es passte, wie nicht anders zu erwarten, nicht alles in unsere Seesäcke. Also nochmalige Revision des Gepäcks. Wer zum Teufel hatte mir drei Paar Straßenschuhe zum Einpacken hingestellt? Und was sollte ich mit einem Jackett? Ein Haarföhn? Für meinen nicht vorhandenen Seemannsbart brauchte ich keinen. Fernglas? Der Skipper trug die Verantwortung für das Boot und nicht ich! Kleiderbürste? Unsinn! Auf See staubt es nicht! Wozu taugt ein Wecker an Bord? Wenn die anderen wollten, dass ich aufstehe, mussten sie mich eben wecken. Auch Unterwäsche hatte ich zu viel. Ich würde sowieso die meiste Zeit in Badehosen rumlaufen. Sprachführer? Soviel ich wusste, hatte sich Frankie angeboten, einen zu besorgen.

Schließlich gelang es mir mit äußerster Disziplin, das Gepäck so weit zu reduzieren, dass der Seesack nicht platzte. Edeltraud war von vornherein weniger ausschweifend mit ihrer Ausrüstung. Sie hatte die richtige Liste verwendet.

Es war Mitte August. Noch bei Dunkelheit waren wir pünktlich in aller Frühe am vereinbarten Treffpunkt zur Abfahrt. Selbstverständlich trugen Jan und Frankie prachtvolle Seemannsbärte. Die beiden mussten die letzte Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten, schamlos ausgenützt haben, denn vorher waren sie noch glatt rasiert. Der Geleimte aber war ich! Selbst wenn ich sofort mit der Bartzucht anfing, würde ich es in den zwei Törnwochen nie zu etwas bringen, das sich mit der Bartpracht der beiden anderen messen konnte. Das fing ja schon gut an! Also bemerkte ich nur ganz nebenbei: „Habt ihr die Veröffentlichung im Journal of Psychological Sciences auch mitgekriegt, nach der Männer mit Bart etwas damit kompensieren wollen?“ Aber niemand ging auf meine Bemerkung ein. Wahrscheinlich waren sie zu verblüfft über meine Allgemeinbildung.

Die Fahrt mit einer Zwischenübernachtung verlief ohne Zwischenfälle. Michaela, Jan und Frankie verbrachten die Nacht auf einem Autostradaparkplatz. Wir beiden anderen suchten uns ein kleines Gasthaus etwas abseits der Autobahn. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag in Pozzuoli an der Autofähre nach Ischia.

Das Treffen klappte, aber wir standen am Ende einer langen Autoschlange, weil Jan nicht reserviert hatte, und es ging nur sehr zögerlich vorwärts. So konnte es nicht weitergehen. Wir würden einen ganzen Segeltag verlieren! Ich hatte als Student schon einmal auf Fehmarn 12 Stunden an der Fähre nach Dänemark warten müssen, weil ich leichtsinnigerweise keinen Platz vorbestellt hatte. Das sollte nicht noch einmal passieren. Ich forderte Jan auf: „Du bist der Skipper, tu doch was!“ Diesen Satz muss der Teufel erfunden haben, denn ich musste ihn später in meinem Seglerleben noch oft hören. Jan blockte elegant ab: „Ich kann nicht italienisch und außerdem sind wir noch nicht an Bord.“ Meinen Einwand „Frankie hat doch einen Italienisch-Sprachführer dabei“ griff er sofort auf: „Eben, das ist Frankies Sprachführer. Los Frankie, kümmere dich darum.“ Frankie behauptete, im Auto schlecht geschlafen zu haben. Auch Jan behauptete, im Auto schlecht geschlafen zu haben, und warf mir vor: „Du hast doch im weichen Bett gepennt, du bist fit.“ Sie drückten mir Frankies Italienischbuch in die Hand. Ich suchte darin nach dem Stichwort „Fähre“, konnte aber nichts Entsprechendes finden. Dafür stieß ich auf folgenden Satz: „Mi bruci un poco i baffi, per favore.“ Für alle, die in eine ähnliche Situation geraten, hier die Übersetzung: „Brennen sie mir bitte den Schnurrbart ein wenig.“ Natürlich war hier das Brennen mit der Brennschere gemeint, um den Schnurrbart in eine elegante, modische Form zu bringen, und nicht ein Abfackeln der Manneszier, was uns allerdings auch nicht weiterhalf. Ich wunderte mich zunächst etwas über diesen Satz. Als ich aber im Buch weitersuchte, fand ich heraus, dass es 1878 gedruckt worden war. Und ich hatte mich schon über die Frakturschrift gewundert! Also machte ich mich mit dem Buch in der Hand auf, um jemanden zu finden, der uns helfen konnte. Immerhin begleitete mich Edeltraud. Von den anderen wollte niemand mitgehen, da sie angeblich auf die Autos aufpassen mussten.

Wir begaben uns an den Kopf der Schlange und rekognoszierten die Lage, wie ich es von Old Shatterhand und Winnetou in meiner Jugend gelernt hatte. Nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass manche Autos von den Platzanweisern der Fähre vorn in die Schlange eingewiesen wurden. Ich beobachtete weiter, dass jedes Mal ein intensiver Handschlag zwischen dem Fahrer und dem Anweiser stattfand. Aha! Ich schlängelte mich an so einen gerade nicht beschäftigten Burschen heran. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jungen Vico Torriani: schwarze Schmalzlocken, lange Koteletten, weiße Zähne. Er sah aus, wie der kleine Max und ich sich einen Italiener vorstellten. Allerdings nicht ganz – er sang nämlich nicht! Gut, Torriani war auch kein Italiener, sondern Schweizer, wenn auch Welschschweizer. Wie dem auch sei, ich nahm meinen ganzen Italienisch-Wortschatz sowie allen meinen Mut zusammen und sprach ihn unter pantomimischen Gesten an: „Scusi Signore, aiuto, per favore, due macchine, isola.“ Ich wusste nicht, wie ich „Können sie mir bitte helfen? Wir stehen mit zwei Autos ganz hinten in der Schlange und wollen so schnell wie möglich auf die Insel“ anders übersetzen sollte. Ich hatte im Sprachführer unter dem Stichwort Hilfe nur „Aiuto, aiuto! Briganti, ladroni!“ gefunden, wobei besonders auf die gefährlichen Abruzzenbanditen hingewiesen wurde. Der Ruf „Zu Hilfe, zu Hilfe! Banditen! Räuber!“ mag ja im 19. Jahrhundert manchmal hilfreich gewesen sein, war aber jetzt beim Versuch, einen Platz auf der Fähre zu ergattern, wenig passend. Aber der Platzanweiser verstand mich auch so. Er streifte mich nur mit einem Blick: „Du Deutsch? Costa hundert Marke!“ Jetzt hätte die Räuber-Redewendung aus dem Sprachführer aber genau gepasst! Mit meinen ungenügenden Italienischkenntnissen und seinen viel besseren Deutschkenntnissen traten wir in Verhandlungen ein. Der Erfolg war garantiert: der meines Verhandlungsgegners natürlich. Allerdings erzielte auch ich einen Erfolg, als ich endlich verstand, dass das der Preis für zwei Autos sein sollte. Hatte ich doch zunächst angenommen, das wäre das Bakschisch für eins! Ich fand noch „d’accordo“ im Reiseführer und die Sache war geregelt. Genau betrachtet hatte ich meinen Verhandlungspartner doch auf die Hälfte heruntergehandelt! Stolz lief ich zu unseren Autos zurück, erklärte die Angelegenheit und kurze Zeit darauf waren wir auf der Fähre, die auch bald Richtung Ischia auslief. Frankie versuchte, den Erfolg an seine Fahnen zu heften, und prahlte, wie hilfreich offensichtlich sein Sprachführer gewesen sei. Ich konnte nur noch müde den Kopf schütteln.

Die Fähre fand ihren Weg zwischen dem Festland und der Insel Procida. Der Geruch des Salzwassers, den ich von der Ostsee in romantischer Erinnerung hatte, wurde leider vom Dieselgeruch der Maschinen überdeckt. Das wurde erst besser, als wir frei vom Festland waren, weil sich da die Windrichtung etwas änderte und der Qualm vom Schiff weggeweht wurde. Nach gut einer Stunde legte die Fähre im Hafen von Ischia an.

Der Hafen Ischia Porto ist fast kreisrund und liegt in einem sehr gut erhaltenen Vulkankrater von circa zwei Kabellängen Durchmesser. Er hat eine enge Einfahrt, die durch den Molo Soprafiutto, einem nach Nordosten gebogenen Wellenbrecher, geschützt ist. Der Hafen bietet bei jeder Windrichtung besten Schutz – vorausgesetzt, man findet einen Platz. Beim Anlegen der Fähre konnten wir schon erkennen, dass die Boote zum Teil in drei Reihen vor Bug- oder Heckanker an der für Sportboote vorgesehenen Pier lagen. Wie sollten wir da unser Boot finden?

Wir rollten erst einmal von der Fähre und suchten uns in der Nähe des Hafens einen Parkplatz. Nachdem ein Inselbewohner die unvermeidliche Gebühr kassiert hatte, durften wir unsere Autos abstellen. Endlich wurde Jan seiner Führungsrolle als Skipper gerecht, allerdings erst, als wir einstimmig darauf bestanden, dass er den Bootsbetreuer suchen sollte, er hatte ja Telefonnummer und Anschrift vom Vercharterer erhalten. Nur Michaela machte eine Ausnahme und plädierte mit Jan in dieser Angelegenheit für mich, da ich die Sache mit der Fähre schon so gut gedeichselt habe. Frankie schlug sich diesmal auf meine Seite und so trabte Jan zum nächsten Telefon. Enzo, so hieß der Bootsmann, war zu Hause und wir verabredeten uns in einem Straßencafé am Hafen, wo er kurz darauf eintraf. Glücklicherweise sprach er gut deutsch und erklärte uns bei einem kühlen Bier auch die Überfüllung von Fähre und Hafen. Es war Sonntag, der 15. August. Ferragosta! Kein Wunder, dass halb Italien auf Achse war. Kein vernünftiger Nord- oder Mitteleuropäer wagt sich um diese Zeit nach Italien. Nur wir.

Enzo besorgte uns auch sichere Parkplätze für die Dauer des Törns. Anschließend ging es zum Boot. Die Bootsübergabe verlief reibungslos. Es lag direkt innen an der Pier, aber davor lagen außen noch zwei Reihen anderer Boote.

Damals machte ich mir noch keine Gedanken über Ankersalat oder darüber, was es heißt, im Päckchen zu liegen. Heute weiß ich es besser. Liegt man an der Pier, kommt man zwar gut an Land, muss aber darauf gefasst sein, dass ganze Horden rücksichtsloser Außenlieger jederzeit über das Deck trampeln. Die lassen einen aber dann freundlicherweise bei der Rückkehr vom Landgang, bevorzugt nachts, an ihrer guten Stimmung und ihren Gesprächen teilhaben, obwohl einem doch die eigene Diskretion empfiehlt, keine fremden Gespräche zu belauschen, sondern weiterzuschlafen. Dazu kommt noch, dass man als Innenlieger oft seine Auslaufwünsche zurückstellen muss, weil die Crews der blockierenden Yachten nicht aufzufinden sind. In solchen Fällen bietet sich Selbsthilfe an. Als Ausgleich für die Mühe mit den Achter- und Brustleinen sowie den meist schlammigen Ankerketten darf man sich dann sicher ein wenig Vergnügen gönnen und seinen künstlerischen Gestaltungsfähigkeiten freien Lauf lassen, indem man die Ankerleinen oder -ketten sorgfältig als Fancywork wieder ablegt.

Aber auch als Außenlieger ist man nicht viel besser dran. Man ist ja gezwungen, über andere Decks zu steigen, wenn die Innenlieger die besten Plätze an der Pier für sich in Anspruch nehmen, nur weil man etwas später in den Hafen eingelaufen ist. Da kann man sich noch so sehr bemühen, ganz leise zu sein. Aus einem der Kähne, die man überqueren muss, verlangt garantiert eine schlaftrunkene Stimme Ruhe. Sollen sie sich doch Boote mit besserer Schallisolierung anschaffen!

Dann das Auslaufen! Kaum hat man sich landfein gemacht oder sitzt sogar schon gemütlich in einer Kneipe, kommt so ein Bursche daher und will von einem, dass man seine mühsam vertäute Fregatte verholt, nur weil er angeblich auslaufen muss. Ist man schon länger an Land, geben sich viele Innenlieger oft genug wenig Mühe, einen zu finden, sondern vergreifen sich eigenmächtig an den sorgsam verlegten Leinen und hinterlassen sie und die Ankerketten als Wuhling. Aber was soll man machen? Es gibt immer solche und solche. Segeln ist eben kein reines Vergnügen.

Nach der Einweisung durch Enzo, der Kojenverteilung und dem Auspacken begannen wir, uns mit dem Boot vertraut zu machen. Dieser Prozess beginnt auf jedem Törn von Neuem. Bei der Einweisung wird einem alles gezeigt, doch schon kurze Zeit darauf ist alles Mögliche unauffindbar und auch die eigenen Siebensachen haben sich in die verborgensten Ecken verkrümelt, obwohl man sie doch nach einem genau durchdachten System verstaut hat. Aber nach und nach findet man sich immer besser zurecht und bald fühlt man sich wie zu Hause.

Kaum war das Gepäck aufgeräumt, kehrten wir in die Hafenkneipe zurück, um unseren Durst zu löschen. Nach dem ersten Schluck wurde der Kassenwart bestimmt. Es traf mich. Heute hege ich den Verdacht, dass Jan mich vorschlug, weil er mich für harmlos, wenn auch ehrlich hielt.

Beim Abendessen aß Michaela sehr wenig, da sie sehr müde war, und auch Jan hielt sich bei Speisen und Getränken deutlich zurück, weil er kurz zuvor die Reste seines Proviants für die Autofahrt vertilgt hatte. Wir anderen legten aber einen guten Appetit an den Tag. Als es ans Zahlen ging, versuchte Jan, den Skipper hervorzukehren und zu bestimmen, dass die Bordkasse für gemeinsame Restaurantbesuche erst morgen in Betrieb zu nehmen sei, weil der Törn frühestens am darauffolgenden Tag anfinge. Heute sollte jeder für sich abrechnen. Frankie war dagegen und sagte, dass Jans Skipperamt erst morgen begänne, was Edeltraud und ich voll unterstützten, und somit war das geregelt. Wir bestellten dann doch noch eine Bottiglia des lokalen Weins, stießen auf gutes Gelingen an und begaben uns nach dem ereignisreichen Tag schließlich zur Ruhe.

Kapitel 5

Die MOZZO – Noah ohne Steuerrad – Robinson auf Ischia – Schaumgeboren – Leben ohne Mops und Segeln – Caprifischer – Molti soldi – Tauchen bis aufs Blut

Das Boot war eine Super Najade 930, ein Halbtonner und hieß MOZZO. Das ist italienisch und heißt Schiffsjunge oder Moses. So stand es zumindest in Frankies Sprachführer unter dem Kapitel Schiffsreise. Der genaue Wortlaut ist mir entfallen, aber in dem entsprechenden Kapitel schickte der Reisende den Schiffsjungen zum Kapitän, damit dieser das Schwanken des Schiffes abstellen sollte. Diesen Satz hätte ich mir besser merken sollen, denn bei so manchem Törn hätte ich ihn gut gebrauchen können. Die Najade war in gutem Zustand und auch die Ausrüstung schien in Ordnung zu sein. Ein wenig enttäuscht war ich nur über die Pinne. Hatte ich mir doch vorgestellt, wie ich als genialster Steuermann seit Noah bei Wind und Wellen das Schiff unbeirrt auf Kurs hielt und mit nerviger Faust das hölzerne Steuerrad mit den überstehenden Speichen wie auf einem Rahsegler herumwirbelte. In meinem späteren Seglerleben musste ich feststellen, dass bei mir das mit dem genialsten Steuermann seit Noah wohl nichts war, dafür aber die Welt voll von genialsten Steuerleuten seit Noah ist. Für mich jedenfalls machte damals erst ein Steuerrad ein Wasserfahrzeug zur Yacht! Mit Pinne war so etwas in meinen Augen nicht mehr als eine bessere Piratenjolle. Sei’s drum!

Am nächsten Morgen vervollständigten wir unseren Proviant und vor allem unser Getränkelager und besorgten Eis. Heute ist eine Charteryacht ohne elektrische Kühlbox undenkbar. Damals musste man in jedem Hafen bei Fischern oder Fischgeschäften nach Eisstangen für den Eiskasten suchen, denn das Eis schmolz schneller, als einem lieb war. Dafür ist man heute immer auf der Suche nach einem Landanschluss für das Stromkabel. Einen guten Anteil der Verpflegung hatten wir aus Deutschland mitgebracht. Wasser hatte Enzo schon gebunkert. Mit dem vom Eigner eingebauten Zusatztank zum Umschalten hatten wir 250 Liter zur Verfügung. Für fünf Leute nicht allzu üppig, aber wir würden in den meisten Häfen nachfüllen können. Der Treibstofftank fasste 80 Liter, das war für zwei Wochen ausreichend, wir wollten ja segeln und nicht motoren.

Wir liefen aus Richtung Procida und übten erst einmal Manöver, bis wir eine Badepause einlegten. Danach waren wieder Manöver angesagt, die bald auf Anfängerniveau, aber ohne Eleganz klappten. Abends waren wir wieder im Hafen von Ischia.

Am Tag darauf stand „Rund Ischia“ auf dem Plan. Unser Skipper quälte uns wieder mit Manöverüben, wobei unser Kurs mal näher an der Küste und mal weiter entfernt verlief. Als dann aber die Crew begann, Bemerkungen über Galeeren, Sklavenschiffe und Zwangsarbeit auszutauschen, stellte Jan das Manöverexerzieren ein und wir hatten Zeit, die abwechslungsreiche Landschaft zu betrachten. Dabei kam mir plötzlich die Szenerie bekannt vor und ich teilte dies auch den anderen mit: „He, schaut doch mal. Die Hafeneinfahrt da sieht so ähnlich aus wie die von Ischia Porto!“ Alle stimmten mir lachend zu und man sah dem Skipper seine Selbstzufriedenheit an, als er ganz lässig sagte: „Ist ja kein Wunder, das ist ja auch die Hafeneinfahrt von Ischia.“ Gemeinerweise hatte die ganze Bande mich im Unklaren darüber gelassen, dass wir die Insel bereits umrundet hatten, und ich musste mir darüber auch noch witzige Anzüglichkeiten anhören. Mir ging es wie Robinson Crusoe, der auch nicht erkannt hatte, dass er seine Insel umrundet hatte, als er auf seine eigenen Fußspuren traf. Unglücklicherweise fiel mir auch keine gute Ausrede für meine mangelnde Hafenkenntnis ein. Der Spott ließ mich kalt und ich sagte nur: „Das ist schön, dass man euch auch mit Kleinigkeiten eine Freude machen kann.“ Nach dieser schlagfertigen Erwiderung fiel ihnen offenbar nichts mehr ein, zumindest interpretierte ich ihr Verhalten so, als sie auf Jans Kommando „Klarmachen zum Anlegen“ eine betonte Geschäftigkeit mit Fendern und Leinen an den Tag legten. Da hatte ich es denen aber gegeben!

Kurz darauf machten wir wieder im Hafen fest und ergatterten sogar einen Platz an der Pier.

Jan schickte mich zum „Wetterholen“ zur Capitaneria, da wir am nächsten Tag nach Capri segeln wollten, ein kurzer Schlag von circa 20 Meilen. Die Wettervorhersage versprach das gleiche Wetter wie die letzten Tage, warm, trocken und leichte Winde aus West, das typische Augustwetter.

Vor dem Auslaufen gingen Frankie und Michaela zum Einkaufen. Brot, frisches Obst waren ausgegangen oder standen kurz davor und auch das Eis wurde zusehends weniger. Edeltraud und ich sollten Reinschiff machen und dann mit Jan das Boot zum Auslaufen klarmachen, das heißt, Jan bereitete unter Deck die Navigation vor und wir verstauten alles nicht Benötigte. Es ist unglaublich, was sich alles nach einem Segeltag und einer Nacht im Hafen mit Frühstück an Bord selbstständig gemacht hat und an den unmöglichsten Stellen herumtreibt, anstatt nach Gebrauch unauffällig an seinen angestammten Platz zurückzukehren. Aber das ist eben im Leben so. Das Leben ist eine sich selbst organisierende Unordnung. Wer schon auf Törn war, kann das bestätigen.

Wir liefen ohne Probleme aus und konnten, nachdem wir frei von der Hafeneinfahrt waren, Kurs auf Capri nehmen. Der Wind stand günstig und frischte auch noch ein wenig auf, als wir aus der Abdeckung der Insel kamen. So segelten wir Männer mit halbem Wind und jeder durfte abwechselnd an die Pinne. Länger als eine halbe Stunde konnte sich keiner richtig konzentrieren, da die Aufmerksamkeit immer wieder von der landschaftlichen Szenerie gefangen wurde. Voraus löste sich Capri langsam aus dem Dunst und auch der Golf von Neapel mit dem Vesuv zeichnete sich deutlicher ab, als die Sonne etwas den Dunst aufzehrte, ohne ihn allerdings ganz beseitigen zu können. Edeltraud und Michaela wollten sich schön machen und die Haare waschen, vermutlich um die Capresen zu beeindrucken, denn wir hatten natürlich die Absicht, uns unter die Prominenten zu mischen, die dort den Gerüchten nach scharenweise vorkamen. Edeltraud saß nach einiger Zeit bereits wieder im Cockpit, um die Haare zu trocknen, als ein merkwürdiges Geschöpf aus den Tiefen des Salons auftauchte, ein Haupt mit einer gewissen Ähnlichkeit mit der Gorgo, statt der Schlangenhaare thronte darauf ein weißes Schaumgebilde, von dem dünne Streifen herunterliefen. Das Wesen deutete anklagend auf Edeltraud und stieß eine wütende Beschuldigung hervor: „Die hat das ganze Wasser verbraucht!“ Erst an der Stimme erkannte ich Michaela. Pflichteifrig fiel Jan verbal über Edeltraud her und beschuldigte sie der Rücksichtslosigkeit. Männer müssen ja an Bord immer Partei für ihre Frauen ergreifen. Sie stehen vor der Wahl: kurzer Stress an Bord mit den Mitseglern oder langer Stress zu Hause mit der Gattin. Anschließend bezogen Michaela und Jan, der dazu noch die Autorität des Skippers in die Waagschale warf, auch mich in ihre Anklagen mit ein, als ob außer uns beiden nie jemand den Wasserhahn aufgedreht hätte. Meine Bemerkung über Aphrodite Anadyomene, die Schaumgeborene, wurde unverständlicherweise nicht mit dem nötigen Humor aufgenommen. Da ergriff Frankie die Initiative und sagte nur: „Augenblick mal“. Dann ging er unter Deck, um den Wasserstand zu peilen. Tatsächlich, die Anzeige stand auf leer und auch der Hahn lieferte nur ein paar Tropfen. Anscheinend hatte Enzo den Tank doch nicht ganz aufgefüllt oder die Anzeige war nicht zuverlässig. Aber da war ja gottlob der Reservetank. Da stand die Anzeige auf voll. Frankie betätigte den Umschalter und siehe da, die Pumpe gab die üblichen Geräusche von sich und nach ein paar Mal Blubbern lief das Wasser wieder normal. Offensichtlich hatte außer Frankie bei der Einweisung niemand vom Reservetank und der Umschaltmöglichkeit Notiz genommen oder im ersten Ärger daran gedacht. Unser Hilfsinstallateur stieg wieder nach oben und ich sagte unvorsichtigerweise, ohne mich an jemand bestimmten zu wenden, dass es Leute gibt, die zum Wasserzapfen und vermutlich auch zum Wasserlassen zu ungeschickt sind. Zugegeben, statt Wasserlassen und ungeschickt verwendete ich andere Ausdrücke, aber ist das ein Grund, einem böse zu sein? Vermutlich waren Jan und seine ihm vom Schicksal Auferlegte etwas beschämt über ihre Überreaktion und verdrängten das durch Schmollen. Sie nehmen mir sicher heute noch übel, dass sie im Unrecht waren. Man nimmt ja häufig dem zu Unrecht Beschuldigten übel, dass er unschuldig ist, denn zuzutrauen wäre es ihm ja, es hätte ja sein können und man weiß ja nie! Wo Rauch ist, ist auch Feuer … Es war wie im richtigen Leben. Wobei ich nicht sagen will, dass Segeln nicht das richtige Leben ist, ganz im Gegenteil. Was Vico von Bülow, alias Loriot, über seine Hunde sagte – „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ –, gilt entsprechend für das Segeln: Ein Leben ohne Segeln ist möglich, aber sinnlos.

Frankie blieb auffallend stumm in der Wasseraffäre, er schätzte die Situation wohl ähnlich wie ich ein, wollte aber seinen Freunden nicht in den Rücken fallen. Und so dauerte die getrübte Stimmung bis in die Nähe der Hafeneinfahrt von Capri, als Michaela strahlend schön wie der junge Morgen mit gepflegtester Frisur wieder im Cockpit auftauchte. Ich machte ihr ein diesbezügliches Kompliment, das sie gnädig mit einem etwas gequälten Lächeln akzeptierte. Dafür handelte ich mir aber böse Blicke von Edeltraud ein und ich hatte alle Mühe, sie zu besänftigen. Zum Thema Stress siehe oben.

Langsam verzogen sich die stimmungstötenden Gewitterwolken, da die Bordroutine für die Vorbereitung des Anlegemanövers unsere Aufmerksamkeit glücklicherweise voll in Anspruch nahm.

Wir fanden nicht weit von der Einfahrt einen Liegeplatz im Ostteil des Hafens, der Marina Grande. Das Anlegemanöver klappte reibungslos und wir lagen schließlich römisch-katholisch korrekt vor Buganker mit dem Heck an der Pier. Der Anker lag auf etwa acht Meter Wassertiefe. Als Alternative wären noch Liegeplätze an der Uferpromenade frei gewesen, aber laut Hafenhandbuch sollten dort Abwasserleitungen im Hafenbecken enden und die festgemachten Boote samt Mannschaft mit entsprechenden Geruchssymphonien beglücken.

Nach der Besichtigung von Capri einschließlich der Fahrt mit der Standseilbahn namens Funicolare, aber aufgrund des übermäßigen Touristenandrangs ohne Besuch der Blauen Grotte, fanden wir ein kleines Restaurant zum Abendessen, wegen der Schönheit unserer Damen muss man wohl Souper sagen, das diesmal ohne Diskussion aus der Bordkasse finanziert wurde. Eine Beschreibung des vielbesungenen Capri will ich dem geschätzten Leser nicht zumuten, da ich mit Reiseführern, Romanen und Filmen nicht konkurrieren möchte.

Es war schon dunkel, als wir zum Hafen zurückkehrten. Das gute Essen und der Rotwein hatten uns in eine lockere Stimmung gebracht. Wir trällerten den Schlager von den Caprifischern aus den 50-er Jahren:

Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt, Und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt, Zieh’n die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus, Und sie legen in weitem Bogen die Netze aus.

Die dadurch geweckten romantischen Erwartungen erfüllten sich nicht. Zwar konnten wir nicht mehr sehen, wie die rote Sonne bei Capri im Meer versinkt, da sie das, von uns im Restaurant nicht beobachtbar, schon getan hatte. Stattdessen hatte unsere Najade ein Fischerboot als Nachbarn bekommen, von der Besatzung war nichts zu sehen. Auch hörten wir nicht, wie im Schlager versprochen, wie „fern von Boot zu Boot das alte Lied erklingt: Bella, bella, bella Marie, bleib mir treu, ich komm’ zurück morgen früh“. Weiß Gott, was diese Fischer gerade trieben, anstatt aufs Meer hinauszuziehen und singend ihren Pflichten nachzugehen. Aber das sollten wir noch früh genug erfahren.

Am nächsten Morgen stand die Strecke nach Salerno auf dem Programm. Wir hatten die Achterleinen losgemacht und ich holte die Ankerkette von Hand ein, die immer schwerer wurde. MOZZO war bedauerlicherweise nicht mit einer Ankerwinsch ausgerüstet. Trotz heftigster Anstrengung konnte ich sie nicht weiter einholen, obwohl nach der Lage des Ankers noch eine ordentliche Länge draußen sein musste. Ich gab dem Skipper ein Zeichen, der Frankie zu mir nach vorn schickte. Mit einem „Lass mich mal!“ versuchte er sein Glück, vergebens. Selbst seine durch die Sportausbildung gestärkten Muskeln brachten keinen Erfolg, außer dass sich die Ankerkette des neben uns liegenden Fischerbootes leicht bewegte. Ich rief: „Der hat seine Kette über unseren Anker geschmissen!“ Jetzt war guter Rat teuer. Die feindliche Kette war schwer und ließ ein Anheben und Unterfassen nicht zu, weil wir sie gar nicht so weit nach oben brachten. Mit Mühe hangelten wir uns an unseren Liegeplatz zurück. Ich wurde losgeschickt, den Fischer ausfindig zu machen.

Frankie erklärte sich bereit, mich zur Capitaneria zu begleiten. Zu unserer Erleichterung sprach der Beamte ausreichend Deutsch. Nachdem wir unsere Situation dargestellt hatten, griff er zum Telefon und ließ mit ungeheurer Geschwindigkeit einen Redeschwall vom Stapel, von dem wir kein Wort außer „Pronto“ und einige Male „si, si, si“ verstanden. Er bedeutete uns, zum Boot zurückzugehen, es käme gleich jemand.

Wir waren kaum zurück, als auch schon jemand zielsicher auf unser Boot zuschritt. Ich traute meinen Augen nicht. Nicht nur, dass der Helfer in einer für Italien ungewöhnlichen Eile erschienen war, ich glaubte in ihm auch den Geschäftspartner von der Fähre zu erkennen, unseren Vico-Torriani-Imitator. Er kam auch Edeltraud bekannt vor. Dennoch zweifelte ich noch leicht. Wie sollte er so schnell hierherkommen? Schließlich hatte er ja einen Job auf der Fährpier in Pozzuoli. Jedenfalls erklärte er uns, der Fischer sei auf einem anderen Boot auf dem Meer, aber er könne uns einen Taucher besorgen, der unseren Anker befreien würde. Seine Ausführungen endeten in dem Satz: „Costa hundert Marke!“ Jetzt wusste ich es mit Sicherheit: Das war der Platzanweiser aus Pozzuoli oder zumindest sein Zwillingsbruder. Vermutlich war er uns gefolgt, nachdem wir uns bei der Fähre als so leichte Opfer und sprudelnde Geldquelle erwiesen hatten. Steckte er oder vielleicht doch sein Zwillingsbruder mit dem Fischer und dem Taucher unter einer Decke? Wir konnten uns über die Effizienz der Organisation zum Ausnehmen der Touristen und Segler nur wundern. Und das alles ohne bürokratischen Aufwand! Davon sollten sich die deutschen Behörden mal eine Scheibe abschneiden!

Ich teilte meine Erkenntnisse den anderen mit. Obschon der Skipper und Michaela über den Preis zu verhandeln suchten, bissen sie auf Granit, unser Widersacher blieb bei seinem „Costa hundert Marke“. Unser Freund erzählte uns außerdem, dass der Taucher der einzige auf der Insel sei und sieben unmündige Kinder sowie Großväter, Großmütter und verschiedene Onkel und Tanten ernähren müsse. Obendrein verlange der Besitzer des Kompressors, der die Tauchflaschen fülle, viel Geld, „molti soldi“, weil er den einzigen Kompressor auf der Insel besäße und man mit ihm deshalb nicht streiten könne, sondern bezahlen müsse, was er fordere.

Trotz der dezenten Hinweise waren wir nach kurzer interner Diskussion alle der Meinung, dass wir die „hundert Marke“ behalten wollten, zumal sich auch Frankie bereit erklärte, es selbst mit Tauchen, allerdings ohne Gerät, zu versuchen, das Wasser sei ja nur 6 bis 8 Meter tief. Wir teilten unserem italienischen Freund diesen Entschluss mit, ließen uns aber zur Sicherheit seine Telefonnummer geben, woraufhin er sich kopfschüttelnd entfernte.