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Schon als Kind lernte Goethe das alte Tierepos um den mit allen Wassern gewaschenen Reinecke Fuchs kennen: Anfang der 1790er Jahre zog er sich dann zeitweilig »von der Betrachtung der Welthändel ab«, um sich seiner eigenen überarbeitenden Übertragung des Epos zu widmen – und schuf einen hinreißend kurzweiligen Text, der schnell zum Klassiker avancierte. Die Studienausgabe gibt die 57 Kupferstiche von Allart van Everdingen wieder und folgt ansonsten dem Erstdruck von 1794; ein ausführlicher Kommentar und ein Nachwort geben Verständnishilfen.
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Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsjahr: 2025
Johann Wolfgang Goethe
Reclam
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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962345
2025 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2025
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962345-0
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014192-2
reclam.de | [email protected]
Frontispiz
Erster Gesang.
Zweyter Gesang.
Dritter Gesang.
Vierter Gesang.
Fünfter Gesang.
Sechster Gesang.
Siebenter Gesang.
Achter Gesang.
Neunter Gesang.
Zehnter Gesang.
Eilfter Gesang.
Zwölfter Gesang.
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort
Entstehung: Goethe und der Fuchs
Stoff und Vorformen
Deutungsaspekte
Das Versmaß
Der mit allen Wassern gewaschene Fuchs
Die Fabel in der Fabel
Adelskritik an anderer Stelle
Die Kupferstiche
»Nobel, der König, versammelt den Hof«
[5] Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken
Uebten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;
Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen,
Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.
[6]Nobel, der König, versammelt den Hof; und seine Vasallen
Eilen gerufen herbey mit großem Gepränge; da kommen
[8]Viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden,
Lütke, der Kranich und Markart der Häher und alle die Besten.
Denn der König gedenkt mit allen seinen Baronen
Hof zu halten in Feyer und Pracht; er läßt sie berufen
Alle mit einander, so gut die großen als kleinen.
Niemand sollte fehlen! und dennoch fehlte der eine,
»Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage«
Reinecke Fuchs, der Schelm! der viel begangenen Frevels
Halben des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen
[7] Licht und Tag, es scheute der Fuchs die versammleten Herren.
Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt,
Und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont er.
Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage, von allen
Seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet
Trat er vor den König und sprach die gerichtlichen Worte:
Gnädigster König und Herr! vernehmet meine Beschwerden.
Edel seyd ihr und groß und ehrenvoll, jedem erzeigt ihr
Recht und Gnade: so laßt euch denn auch des Schadens erbarmen,
[8] Den ich von Reinecke Fuchs mit großer Schande gelitten.
Aber vor allen Dingen erbarmt euch, daß er mein Weib so
Freventlich öfters verhönt, und meine Kinder verletzt hat.
Ach! er hat sie mit Unrath besudelt, mit ätzenden Unflath,
Daß mir zu Hause noch drey in bittrer Blindheit sich quälen.
Zwar ist alle der Frevel schon lange zur Sprache gekommen,
Ja ein Tag war gesetzt zu schlichten solche Beschwerden;
Er erbot sich zum Eyde, doch bald besann er sich anders
Und entwischte behende nach seiner Veste. Das wissen
Alle Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen.
[9][9] Herr! ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet,
Nicht mit eilenden Worten in vielen Wochen erzählen.
Würde die Leinwand von Gent, so viel auch ihrer gemacht wird,
Alle zu Pergament; sie faßte die Streiche nicht alle,
Und ich schweige davon. Doch meines Weibes Entehrung
Frißt mir das Herz, ich räche sie auch, es werde was wolle.
Als nun Isegrim so mit traurigem Muthe gesprochen,
Trat ein Hündchen hervor, hieß Wackerlos, redtefranzösisch
Vor dem König: wie arm es gewesen und nichts ihm geblieben
[10] Als ein Stückchen Wurst in einem Wintergebüsche;
Reinecke hab’ auch das ihm genommen! Jetzt sprang auch der Kater
Hinze zornig hervor und sprach: Erhabner Gebieter,
Niemand beschwere sich mehr, daß ihm der Bösewicht schade,
Denn der König allein! Ich sag’ euch, in dieser Gesellschaft
Ist hier niemand, jung oder alt, er fürchtet den Frevler
Mehr als euch! Doch Wackerlos Klage will wenig bedeuten,
Schon sind Jahre vorbey, seit diese Händel geschehen;
Mir gehörte die Wurst! Ich sollte mich damals beschweren.
Jagen war ich gegangen; auf meinem Wege durchsucht’ ich
[11] Eine Mühle zu Nacht; es schlief die Müllerin; sachte
Nahm ich ein Würstchen, ich will es gestehn; doch hatte zu dieser
Wackerlos irgend ein Recht, so dankt’ er’s meiner Bemühung.
Und der Panther begann: was helfen Klagen und Worte!
Wenig richten sie aus, genug das Uebel ist ruchtbar.
[10]Er ist ein Dieb, ein Mörder! Ich darf es kühnlich behaupten,
Ja, es wissens die Herren, er übet jeglichen Frevel.
Möchten doch alle die Edlen, ja selbst der erhabene König
Gut und Ehre verlieren; er lachte, gewänn’ er nur etwa
[12] Einen Bissen dabey von einem fetten Kapaune.
Laßt euch erzählen, wie er so übel an Lampen dem Hasen
Gestern that; hier steht er, der Mann, der keinen verletzte.
Reinecke stellte sich fromm und wollt ihn allerley Weisen
Kürzlich lehren und was zum Kaplan noch weiter gehöret,
Und sie setzten sich gegen einander, begannen das Credo.
Aber Reinecke konnte die alten Tücken nicht lassen;
Innerhalb unsers Königes Fried’ und freyem Geleite
[11]Hielt er Lampen gefaßt mit seinen Klauen und zerrte
Tückisch den redlichen Mann. Ich kam die Straße gegangen,
[13] Hörte beyder Gesang, der, kaum begonnen, schon wieder
Endete. Horchend wundert ich mich, doch als ich hinzukam,
Kannt’ ich Reinecken stracks, er hatte Lampen beym Kragen.
Ja er hätt’ ihm gewiß das Leben genommen, wofern ich
Nicht zum Glücke des Wegs gekommen wäre. Da steht er,
Seht die Wunden an ihm, dem frommen Manne, den keiner
Zu beleidigen denkt. Und will es unser Gebieter,
»Eilig sucht er Isegrim auf und klagt ihm sein Leiden«
Wollt ihr Herren es leiden, daß so des Königes Friede
Sein Geleit und Brief von einem Diebe verhönt wird;
O so wird der König und seine Kinder noch späte
[14] Vorwurf hören von Leuten, die Recht und Gerechtigkeit lieben.
Isegrim sagte darauf: so wird es bleiben, und leider
Wird uns Reinecke nie was gutes erzeigen. O! läg’ er
Lange todt; das wäre das beste für friedliche Leute;
Aber wird ihm dießmal verziehn; so wird er in kurzem
Etliche kühnlich berücken, die nun es am wenigsten glauben.
Reineckens Neffe, der Dachs, nahm jetzt die Rede und muthig
Sprach er zu Reineckens Besten, so falsch auch dieser bekannt war.
[15] Alt und wahr, Herr Isegrim! sagt’ er, beweißt sich das Sprichwort:
Feindes Mund frommt selten. So hat auch wahrlich mein Oheim
Eurer Worte sich nicht zu getrösten. Doch ist es ein Leichtes.
Wär er hier am Hofe so gut als ihr, und erfreut er
Sich des Königes Gnade, so möcht’ es euch sicher gereuen,
[12]Daß ihr so hämisch gesprochen und alte Geschichten erneuert.
Aber was ihr Uebels an Reinecken selber verübet,
Uebergeht ihr; und doch, es wissen es manche der Herren,
Wie ihr zusammen ein Bündniß geschlossen und beyde versprochen
Als zwey gleiche Gesellen zu leben. Das muß ich erzählen;
[16] Denn im Winter einmahl erduldet er große Gefahren
Euretwegen. Ein Fuhrmann, er hatte Fische geladen,
Fuhr die Straße; ihr spürtet ihn aus und hättet um alles
Gern von der Waare gegessen; doch fehlt es euch leider am Gelde,
Da beredetet ihr den Oheim, er legte sich listig
Grade für todt in den Weg. Es war beym Himmel ein kühnes
Abenteuer! Doch merket, was ihm für Fische geworden.
Und der Fuhrmann kam und sah im Gleise den Oheim,
Hastig zog er sein Schwerdt, ihm eins zu versetzen; der Kluge
Rührt’ und regte sich nicht, als wär er gestorben; der Fuhrmann
[17] Wirft ihn auf seinen Karrn, und freut sich des Balges im voraus.
Ja, das wagte mein Oheim für Isegrim; aber der Fuhrmann
Fuhr dahin und Reinecke warf von den Fischen herunter.
Isegrim kam von ferne geschlichen, verzehrte die Fische.
Reinecken mochte nicht länger zu fahren belieben; er hub sich,
Sprang vom Karren und wünschte nun auch von der Beute zu speisen.
Aber Isegrim hatte sie alle verschlungen; er hatte
Ueber Noth sich beladen, er wollte bersten. Die Gräten
Ließ er allein zurück, und bot dem Freunde den Rest an.
[13]Noch ein anderes Stückchen will ich euch wahrhaft erzählen.
[18] Reinecken war es bewußt, bey einem Bauer am Nagel
Hing ein gemästetes Schwein, erst heute geschlachtet; das sagt er
Treu dem Wolfe: sie gingen dahin, Gewinn und Gefahren
Redlich zu theilen. Doch Müh und Gefahr trug jener alleine.
Denn er kroch zum Fenster hinein und warf mit Bemühen
Die gemeinsame Beute dem Wolf herunter; zum Unglück
Waren Hunde nicht fern, die ihn im Hause verspürten,
Und ihm wacker das Fell zerzaußten. Verwundet entkam er,
Eilig sucht er Isegrim auf und klagt ihm sein Leiden,
Und verlangte sein Theil. Da sagte jener: ich habe
[19] Dir ein köstliches Stück verwahrt; nun mache dich drüber,
Und benage mirs wohl; wie wird das Fette dir schmecken!
Und er brachte das Stück; das Krummholz war es, der Schlächter
Hatte daran das Schwein gehängt; der köstliche Braten
War vom gierigen Wolfe, dem Ungerechten, verschlungen.
Reinecke konnte vor Zorn nicht reden, doch was er sich dachte,
Denket euch selbst. Herr König, gewiß, daß hundert und drüber
Solcher Stückchen der Wolf an meinem Oheim verschuldet.
Aber ich schweige davon. Wird Reinecke selber gefordert;
Wird er sich besser vertheid’gen. Indessen, gnädigster König,
[20] Edler Gebieter, ich darf es bemerken. Ihr habet, es haben
Diese Herren gehört, wie thörigt Isegrimms Rede
Seinem eignen Weibe und ihrer Ehre zu nah tritt,
Die er mit Leib und Leben beschützen sollte. Denn freylich
Sieben Jahre sinds her und drüber, da schenkte mein Oheim
Seine Lieb’ und Treue zum guten Theile der schönen
[14]Frau Gieremund; solches geschah beym nächtlichen Tanze;
Isegrim war verreist, ich sag’ es wie mirs bekannt ist.
Freundlich und höflich ist sie ihm oft zu Willen geworden,
Und was ist es denn mehr? Sie bracht’ es niemals zur Klage,
[21] Ja sie lebt und befindet sich wohl, was macht er für Wesen?
Wär’ er klug, so schwieg er davon; es bringt ihm nur Schande.
Weiter, sagte der Dachs: nun kommt das Mährchen vom Hasen!
Eitel leeres Gewäsche. Den Schüler sollte der Meister
Etwa nicht züchtigen, wenn er nicht merkt und übel bestehet?
Sollte man nicht die Knaben bestrafen und ginge der Leichtsinn,
Ginge die Unart so hin, wie sollte die Jugend erwachsen?
Nun klagt Wackerlos, wie er ein Würstchen im Winter verlohren
Hinter der Hecke; das sollt er nun lieber im stillen verschmerzen;
Denn wir hören es ja, sie war gestohlen, zerronnen
[22] Wie gewonnen; und wer kann meinem Oheim verargen,
Daß er gestohlenes Gut dem Diebe genommen? Es sollen
Edle Männer von hoher Geburt sich gehässig den Dieben
Und gefährlich erzeigen. Ja, hätt’ er ihn damals gehangen,
War es verzeihlich. Doch ließ er ihn los den König zu ehren;
Denn am Leben zu strafen gehört dem König alleine.
Aber wenigen Danks kann sich mein Oheim getrösten,
So gerecht er auch sey und Uebelthaten verwehret.
Denn seitdem des Königes Friede verkündiget worden,
Hält sich niemand wie er. Er hat sein Leben verändert,
[23] Speiset nur einmahl des Tags, lebt wie ein Klausner, kasteyt sich,
[15]Trägt ein härenes Kleid auf bloßem Leibe und hat schon
Lange von Wildpret und zahmen Fleische sich gänzlich enthalten,
Wie mir noch gestern einer erzählte, der bey ihm gewesen.
Malepartus, sein Schloß, hat er verlassen, und baut sich
Eine Klause zur Wohnung. Wie er so mager geworden,
Bleich von Hunger und Durst und andern strengeren Bußen,
Die er reuig erträgt, das werdet ihr selber erfahren.
Denn was kann es ihm schaden, daß hier ihn jeder verklaget?
Kommt er hieher, so führt er sein Recht aus und macht sie zu Schanden.
[24] Als nun Grimbart geendigt, erschien zu großem Erstaunen
Henning, der Hahn, mit seinem Geschlecht. Auf trauriger Baare,
Ohne Hals und Kopf ward eine Henne getragen,
Kratzefuß war es, die beste der eyerlegenden Hennen.
Ach, es floß ihr Blut und Reinecke hatt’ es vergossen!
Jetzo sollt es der König erfahren. Als Henning, der wackre,
Vor dem König erschien, mit höchstbetrübter Geberde
Kamen mit ihm zwey Hähne, die gleichfalls trauerten, Kreyant
Hieß der eine, kein besserer Hahn war irgend zu finden
Zwischen Holland und Frankreich; der andere durft ihm zur Seite
[25] Stehen, Kantart genannt, ein stracker kühner Geselle,
Beyde trugen ein brennendes Licht; sie waren die Brüder
»Es trugen die Baar’ zwey jüngere Hähne«
Der ermordeten Frau. Sie riefen über den Mörder
Ach und Weh! Es trugen die Baar’ zwey jüngere Hähne,
Und man konnte von fern die Jammer-Klage vernehmen.
Henning sprach: wir klagen den unersetzlichen Schaden,
[16]Gnädigster Herr und König! Erbarmt euch, wie ich verletzt bin,
Meine Kinder und ich. Hier seht ihr Reineckens Werke!
Als der Winter vorbey war und Laub und Blumen und Blüthen
Uns zur Fröhlichkeit riefen, erfreut ich mich meines Geschlechtes,
[26] Das so munter mit mir die schönen Tage verlebte!
Zehen junge Söhne, mit vierzehn Töchtern, sie waren
Voller Lust zu leben, mein Weib, die treffliche Henne,
Hatte sie alle zusammen in Einem Sommer erzogen.
Alle waren stark und wohl zufrieden; sie fanden
[17]Ihre tägliche Nahrung an wohl gesicherter Stätte,
Reichen Mönchen gehörte der Hof, uns schirmte die Mauer,
Und sechs große Hunde, die wackern Genossen des Hauses,
Liebten meine Kinder und wachten über ihr Leben.
Reinecken aber, den Dieb, verdroß es, daß wir in Frieden
[27] Glückliche Tage verlebten und seine Ränke vermieden.
Immer schlich er bey Nacht um die Mauer und lauschte beym Thore;
»Und er zeigte mir an: er sey ein Klausner geworden«
Aber die Hunde bemerktens; da mocht er laufen! sie faßten
Wacker ihn endlich einmal und ruckten das Fell ihm zusammen,
Doch er rettete sich und ließ uns ein Weilchen in Ruhe.
Aber nun höret mich an! Es währte nicht lange, so kam er
[18]Als ein Klausner, und brachte mir Brief und Siegel. Ich kannt es;
Euer Siegel sah ich am Briefe; da fand ich geschrieben:
Daß ihr festen Frieden so Thieren als Vögeln verkündigt.
Und er zeigte mir an: er sey ein Klausner geworden,
[28] Habe strenge Gelübde gethan, die Sünden zu büßen,
Deren Schuld er leider bekenne. Da habe nun keiner
Mehr vor ihm sich zu fürchten. Er habe heilig gelobet,
Nimmermehr Fleisch zu genießen. Er ließ mich die Kutte beschauen,
Zeigte sein Scapulier. Daneben wieß er ein Zeugniß,
Das ihm der Prior gestellt, und, um mich sicher zu machen,
[19]Unter der Kutte ein härenes Kleid. Dann ging er und sagte:
Gott dem Herren seyd mir befohlen! ich habe noch vieles
Heute zu thun! ich habe die Sept und die None zu lesen
Und die Vesper dazu. Er las im Gehen und dachte
[29] Vieles Böse sich aus, er sann auf unser Verderben.
Ich mit erheitertem Herzen erzählte geschwinde den Kindern
Eures Briefes fröhliche Botschaft, es freuten sich alle.
»Und der König begann: kommt näher, Grimbart«
Da nun Reinecke Klausner geworden, so hatten wir weiter
Keine Sorge, noch Furcht. Ich ging mit ihnen zusammen
Vor die Mauer hinaus, wir freuten uns alle der Freyheit.
Aber leider bekam es uns übel. Er lag im Gebüsche
Hinterlistig; da sprang er hervor und verrannt uns die Pforte;
Meiner Söhne schönsten ergriff er und schleppt ihn von dannen,
Und nun war kein Rath, nachdem er sie einmal gekostet;
[30] Immer versucht er es wieder; und weder Jäger noch Hunde
Konnten vor seinen Ränken bey Tag und Nacht uns bewahren.
So entriß er mir nun fast alle Kinder, von Zwanzig
Bin ich auf fünfe gebracht, die andern raubt er mir alle.
O, erbarmt euch des bittern Schmerzes! er tödtete gestern
Meine Tochter, es haben die Hunde den Leichnam gerettet.
Seht, hier liegt sie! Er hat es gethan, o! nehmt es zu Herzen!
Und der König begann: kommt näher, Grimbart, und sehet,
Also fastet der Klausner, und so beweißt er die Buße,
[31] Leb ich noch aber ein Jahr, so soll es ihn wahrlich gereuen!
Doch, was helfen diese Worte! Vernehmet, trauriger Henning:
[20]Eurer Tochter ermangl’ es an nichts, was irgend den Todten
Nur zu Rechte geschieht. Ich laß ihr Vigilie singen,
Sie mit großer Ehre zur Erde bestatten; dann wollen
Wir mit diesen Herren des Mordes Strafe bedenken.
Da gebot der König, man solle Vigilie singen.
Domino placebo begann die Gemeine, sie sangen
Alle Verse davon. Ich könnte ferner erzählen,
[32] Wer die Lection gesungen und wer die Responsen,
Aber es währte zu lang’, ich laß es lieber bewenden.
In ein Grab ward die Leiche gelegt und drüber ein schöner
Marmorstein, polirt wie ein Glas, gehauen im Viereck,
Groß und dick und oben drauf war deutlich zu lesen:
»Kratzefuß, Tochter Henning des Hahns, die beste der Hennen,
Legte viel Eyer ins Nest und wußte klüglich zu scharren,
Ach, hier liegt sie! durch Reineckens Mord den Ihren genommen.
Alle Welt soll erfahren, wie bös und falsch er gehandelt,
Und die Todte beklagen.« So lautete, was man geschrieben.
[33] Und es ließ der König darauf die Klügsten berufen,
Rath mit ihnen zu halten, wie er den Frevel bestrafte,
Der so klärlich vor ihn und seine Herren gebracht war.
Und sie riethen zuletzt: man habe dem listigen Frevler
Einen Boten zu senden: daß er um Liebes und Leides
Nicht sich entzöge, er solle sich stellen am Hofe des Königs
An dem Tage der Herrn, wenn sie zunächst sich versammlen;
Braun, den Bären, ernannte man aber zum Boten. Der König
Sprach zu Braun dem Bären: Ich sag es, euer Gebieter,
[21]Daß ihr mit Fleiß die Botschaft verrichtet! Doch rath ich zur Vorsicht,
[34] Denn es ist Reinecke falsch und boshaft, allerley Listen
Wird er gebrauchen, er wird euch schmeicheln, er wird euch belügen,
Hintergehen, wie er nur kann. Mit nichten, versetzte
Zuversichtlich der Bär, bleibt ruhig! sollt er sich irgend
Nur vermessen und mir zum Hohne das mindeste wagen,
Seht, ich schwör’ es bey Gott, der möge mich strafen, wofern ich
Ihm nicht grimmig vergölte, daß er zu bleiben nicht wüßte.
[37] Also wandelte Braun, auf seinem Weg zum Gebirge,
Stolzen Muthes dahin, durch eine Wüste, die groß war,
Lang und sandig und breit, und als er sie endlich durchzogen,
Kam er gegen die Berge, wo Reinecke pflegte zu jagen,
Selbst noch Tages zuvor hatt’ er sich dorten erlustigt;
»Aber der Bär ging weiter nach Malepartus«
[38] Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte
Reinecke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen,
Deren ihm viele gehörten, war Malepartus die beste.
Reinecke wohnte daselbst, sobald er Uebels besorgte.
Braun erreichte das Schloß und fand die gewöhnliche Pforte
[23]Fest verschlossen. Da trat er davor und besann sich ein wenig;
Endlich rief er und sprach: Herr Oheim, seyd ihr zu Hause?
Braun der Bär ist gekommen, des Königs gerichtlicher Bote.
Denn es hat der König geschworen, ihr sollet bey Hofe
Vor Gericht euch stellen, ich soll euch holen, damit ihr
[39] Recht zu nehmen und Recht zu geben keinem verweigert,
Oder es soll euch das Leben kosten; denn bleibt ihr dahinten,
Ist mit Galgen und Rad euch gedroht, drum wählet das Beste,
Kommt und folget mir nach, sonst möcht es euch übel bekommen.
Reinecke hörte genau vom Anfang zum Ende die Rede,
Lag und lauerte still und dachte: wenn es gelänge,
Daß ich dem plumpen Compan die stolzen Worte bezahlte?
Laßt uns die Sache bedenken. Er ging in die Tiefe der Wohnung,
In die Winkel des Schlosses, denn künstlich war es gebauet.
[40] Löcher fanden sich hier und Höhlen mit vielerley Gängen,
Eng und lang und mancherley Thüren zum öffnen und schließen,
Wie es Zeit war und Noth. Erfuhr er, daß man ihn suchte
Wegen schelmischer That, da fand er die beßte Beschirmung.
Auch aus Einfalt hatten sich oft in diesen Mäandern
Arme Thiere gefangen, willkommene Beute dem Räuber.
Reinecke hatte die Worte gehört, doch fürchtet’ er klüglich,
Andre möchten noch neben dem Boten im Hinterhalt liegen.
Als er sich aber versichert, der Bär sey einzeln gekommen,
Ging er listig hinaus und sagte: werthester Oheim,
[41] Seyd willkommen! verzeiht mir! Ich habe Vesper gelesen,
Darum ließ ich euch warten. Ich dank euch, daß ihr gekommen,
[24]Denn es nutzt mir gewiß bey Hofe, so darf ich es hoffen.
Seyd zu jeglicher Stunde, mein Oheim, willkommen! Indessen
Bleibt der Tadel für den, der euch die Reise befohlen,
Denn sie ist weit und beschwerlich. O Himmel! wie ihr erhitzt seyd!
Eure Haare sind naß und euer Odem beklommen.
Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden,
Als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet?
Aber so sollt es wohl seyn zu meinem Vortheil; ich bitte,
[42] Helft mir am Hofe des Königs, wo man mich übel verläumdet.
Morgen setzt’ ich mir vor, trotz meiner mißlichen Lage,
Frey nach Hofe zu gehen, und so gedenk ich noch immer,
Nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen.
Leider hab ich zu viel von einer Speise gegessen,
Die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe.
Braun versetzte darauf: was war es, Oheim? Der andre
Sagte dagegen: was könnt es euch helfen, und wenn ichs erzählte.
Kümmerlich frist’ ich mein Leben; ich leid es aber geduldig,
Ist ein armer Mann doch kein Graf! und findet zuweilen
[43] Sich für uns und die unsern nichts besseres; müssen wir freylich
Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben.
Doch ich esse sie nur aus Noth; nun bin ich geschwollen.
Wider Willen schluckt ich das Zeug, wie sollt es gedeihen?
Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir’s ferne vom Gaumen.
[25]Ey! was hab’ ich gehört! versetzte der Braune, Herr Oheim!
Ey! verschmähet ihr so den Honig, den mancher begehret?
Honig, muß ich euch sagen, geht über alle Gerichte,
Wenigstens mir; o schafft mir davon, es soll euch nicht reuen!
[44] Dienen werd’ ich euch wieder. – Ihr spottet, sagte der andre.
Nein wahrhaftig! verschwur sich der Bär, es ist ernstlich gesprochen.
Ist dem also, versetzte der Rothe: da kann ich euch dienen,
Denn der Bauer Rüsteviel wohnt am Fuße des Berges.
Honig hat er! Gewiß mit allem eurem Geschlechte
Saht ihr niemahl so viel beysammen. Da lüstet es Braunen
[26]Uebermäßig nach dieser geliebten Speise: O führt mich,
Rief er: eilig dahin, Herr Oheim, ich will es gedenken.
»Schafft mir Honig und wenn ich auch nicht gesättiget werde«
Schafft mir Honig und wenn ich auch nicht gesättiget werde.
Gehen wir, sagte der Fuchs: es soll an Honig nicht fehlen,
[45] Heute bin ich zwar schlecht zu Fuße; doch soll mir die Liebe,
Die ich euch lange gewidmet, die sauren Tritte versüßen.
Denn ich kenne niemand von allen meinen Verwandten,
Den ich verehrte wie euch! doch kommt! Ihr werdet dagegen
An des Königes Hof am Herren-Tage mir dienen,
Daß ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme.
[27]Honigsatt mach ich euch heute, so viel ihr immer nur tragen
Möget. – Es meynte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern.
Reinecke lief ihm zuvor und blindlings folgte der Braune.
[46] Will mirs gelingen, so dachte der Fuchs: ich bringe dich heute
Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zu theil wird.
Und sie kamen zu Rüsteviels Hofe; das freute den Bären.
Aber vergebens, wie Thoren sich oft mit Hoffnung betrügen.
Abend war es geworden und Reinecke wußte: gewöhnlich
Liege Rüsteviel nun in seiner Kammer zu Bette,
Der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe
Lag ein eichener Stamm; er hatte diesen zu trennen,
»nun war der Braune gefangen, / Haupt und Füße geklemmt«
Schon zwey tüchtige Keile hineingetrieben, und oben
[47] Klaffte gespalten der Baum fast ellenweit, Reinecke merkt’ es,
Und er sagte: mein Oheim, in diesem Baume befindet
Sich des Honiges mehr, als ihr vermuthet, nun stecket
Eure Schnauze hinein, so tief ihr möget. Nur rath ich,
Nehmt nicht gierig zu viel, es mögt euch übel bekommen.
Meynt ihr, sagte der Bär: ich sey ein Vielfras? mit nichten!
Maas ist überall gut, bey allen Dingen, und also
Ließ der Bär sich bethören und steckte den Kopf in die Spalte
Bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füße.
Reinecke machte sich dran, mit vielem Ziehen und Zerren
[48] Bracht er die Keile heraus; nun war der Braune gefangen,
Haupt und Füße geklemmt; es half kein Schelten noch Schmeicheln.
Vollauf hatte der Braune zu thun, so stark er und kühn war,
[28]Und so hielt der Neffe mit List den Oheim gefangen.
Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füßen
Scharrt’ er grimmig und lärmte so sehr, daß Rüsteviel aufsprang.
Was es wäre? Dachte der Meister, und brachte sein Beil mit,
Daß man bewaffnet ihn fände, wenn jemand zu schaden gedächte.
»es kamen andre mit Schaufeln, / Andre mit Spaten«
Braun befand sich indeß in großen Aengsten; die Spalte
[49] Klemmt ihn gewaltig, er zog und zerrte brüllend vor Schmerzen.
Aber mit aller der Pein war nichts gewonnen; er glaubte
[29]Nimmer von dannen zu kommen; so meynt’ auch Reinecke freudig.
Als er Rüsteviel sah von ferne schreiten, da rief er:
Braun, wie steht es? Mäßiget euch und schonet das Honig!
Sagt, wie schmeckt es? Rüsteviel kommt und will euch bewirthen,
Nach der Mahlzeit bringt er ein Schlückchen, es mag euch bekommen!
Da ging Reinecke wieder nach Malepartus, der Veste.
Aber Rüsteviel kam und als er den Bären erblickte,
Lief er, die Bauern zu rufen, die noch in der Schenke beysammen
[50] Schmauseten. Kommt, so rief er: in meinem Hofe gefangen
Hat sich ein Bär, ich sage die Wahrheit. Sie folgten und liefen,
Jeder bewehrte sich eilig und so gut er konnte. Der Eine
Nahm die Gabel zur Hand, und seinen Rechen der andre,
Und der Dritte, der Vierte mit Spieß und Hacke bewaffnet
Kamen gesprungen, der fünfte mit einem Pfahle gerüstet.
Ja der Pfarrer und Küster, sie kamen mit ihrem Geräthe.
Auch die Köchin des Pfaffen, sie hieß Frau Jutte, sie konnte
Grütze bereiten und kochen wie keine, blieb nicht dahinten,
Kam mit dem Rocken gelaufen, bey dem sie am Tage gesessen,
[51] Dem unglücklichen Bären den Pelz zu waschen. Der Braune
Hörte den wachsenden Lärmen in seinen schrecklichen Nöthen
Und er riß mit Gewalt das Haupt aus der Spalte; da blieb ihm
Haut und Haar des Gesichts bis zu den Ohren im Baume.
Nein! kein kläglicher Thier hat jemand gesehen! es rieselt
[30]Ueber die Ohren das Blut. Was half ihm das Haupt zu befreyen?
Denn es bleiben die Pfoten im Baume stecken; da riß er
Hastig sie ruckend heraus; er ras’te sinnlos, die Klauen,
Und von den Füßen das Fell blieb in der klemmenden Spalte.
Leider schmeckte dies nicht nach süßem Honig, wozu ihm
[52] Reinecke Hoffnung gemacht; die Reise war übel gerathen,
Eine sorgliche Fahrt war Braunen geworden. Es blutet
Ihm der Bart und die Füße dazu, er konnte nicht stehen,
Konnte nicht kriechen, noch gehn. Und Rüsteviel eilte zu schlagen,
Alle fielen ihn an, die mit dem Meister gekommen;
Ihn zu tödten war ihr Begehren. Es führte der Pater
Einen langen Stab in der Hand und schlug ihn von ferne.
Kümmerlich wandt’ er sich hin und her, es drängt ihn der Haufen,
Einige hier mit Spießen, dort andre mit Beilen, es brachte
Hammer und Zange der Schmidt, es kamen andre mit Schaufeln,
[53] Andre mit Spaten, sie schlugen drauf los und riefen und schlugen,
Daß er für schmerzlicher Angst in eignem Unflath sich wälzte.
Alle setzten ihm zu, es blieb auch keiner dahinten,
Der krummbeinige Schloppe, mit dem breitnasigen Ludolf,
Waren die schlimmsten, und Gerold bewegte den hölzernen Flegel
Zwischen den krummen Fingern, ihm stand sein Schwager zur Seite,
Kükelrey war es, der Dicke, die beyden schlugen am meisten.
Abel Quack und Frau Jutte dazu, sie ließen’s nicht fehlen,
[31]Talke Lorden Quacks traf mit der Butte den Armen.
Und nicht diese genannten allein, denn Männer und Weiber,
[54] Alle liefen herzu und wollten das Leben des Bären.
Kückelrey machte das meiste Geschrey, er dünkte sich vornehm:
Denn Frau Willigetrud, am hinteren Thore (man wußt es)
War die Mutter, bekannt war nie sein Vater geworden.
Doch es meynten die Bauern, der Stoppelmäher, der schwarze
Sander, sagten sie, mögt es wohl seyn, ein stolzer Geselle,
Wenn er allein war. Es kamen auch Steine gewaltig geflogen,
Die den verzweifelten Braunen von allen Seiten bedrängten.
Nun sprang Rüsteviels Bruder hervor und schlug mit dem langen,
Dicken Knüttel dem Bären aufs Haupt, daß Hören und Sehen
[55] Ihm verging, doch fuhr er empor vom mächtigen Schlage.
Rasend fuhr er unter die Weiber, die unter einander
Taumelten, fielen und schrien und einige stürzten ins Wasser.
Und das Wasser war tief. Da rief der Pater und sagte:
Sehet, da unten schwimmet Frau Jutte, die Köchin, im Pelze,
Und der Rocken ist hier, o! helft ihr Männer! Ich gebe
Bier zwey Tonnen zum Lohn und großen Ablaß und Gnade.
Alle ließen für todt den Bären liegen und eilten
Nach den Weibern an’s Wasser, man zog auf’s Trockne die Fünfe.
Da indessen die Männer am Ufer beschäftiget waren,
[56] Kroch der Bär in’s Wasser vor großem Elend und brummte
Vor entsetzlichem Weh. Er wollte sich lieber ersäufen,
Als die Schläge so schändlich erdulden. Er hatte zu schwimmen
Nie versucht und hofte sogleich das Leben zu enden.
[32]Wider Vermuthen fühlt er sich schwimmen, und glücklich getragen
Ward er vom Wasser hinab, es sahen ihn alle die Bauern,
Riefen: das wird uns gewiß zur ewigen Schande gereichen!
Und sie waren verdrieslich, und schalten über die Weiber:
Besser blieben sie doch zu Hause, da seht nun, er schwimmet
Seiner Wege. Sie traten herzu, den Block zu besehen,
[57] Und sie fanden darinn noch Haut und Haare vom Kopfe,
Und von den Füßen, und lachten darob und riefen: du kommst uns
Sicher wieder, behalten wir doch die Ohren zum Pfande.
So verhöhnten sie ihn noch über den Schaden, doch war er
Froh, daß er nur dem Uebel entging. Er fluchte den Bauern,
Die ihn geschlagen, und klagte den Schmerz der Ohren und Füße;
Fluchte Reinecken, der ihn verrathen. Mit solchen Gebeten,
Schwamm er weiter, es trieb ihn der Strom, der reissend und groß war,
Binnen weniger Zeit fast eine Meile hinunter,
Und da kroch er ans Land am selbigen Ufer und keichte.
[58] Kein bedrängteres Thier hat je die Sonne gesehen!
Und er dachte den Morgen nicht zu erleben, er glaubte
Plötzlich zu sterben und rief: o Reinecke, falscher Verräther!
Loses Geschöpf! er dachte dabey der schlagenden Bauern,
Und er dachte des Baums und fluchte Reineckens Listen.
Aber Reinecke Fuchs, nachdem er mit gutem Bedachte
Seinen Oheim zu Markte geführt, ihm Honig zu schaffen,
Lief er nach Hühnern, er wußte den Ort, und schnappte sich eines,
Lief und schleppte die Beute behend am Flusse hinunter.
[33][59] Dann verzehrt er sie gleich und eilte nach andern Geschäften
Immer am Flusse dahin und trank des Wassers und dachte:
O wie bin ich so froh, daß ich den tölpischen Bären
So zu Hofe gebracht! Ich wette, Rüsteviel hat ihm
Wohl das Beil zu kosten gegeben. Es zeigte der Bär sich
Stets mir feindlich gesinnt, ich hab’ es ihm wieder vergolten.
Oheim hab ich ihn immer genannt, nun ist er am Baume
Todt geblieben, deß will ich mich freun, so lang ich nur lebe.
Klagen und schaden wird er nicht mehr! – Und wie er so wandelt,
Schaut er am Ufer hinab und sieht den Bären sich wälzen.
[34][60] Das verdroß ihn im Herzen, daß Braun lebendig entkommen.
Rüsteviel, rief er: du läßiger Wicht! du grober Geselle!
Solche Speise verschmähst du? die fett und guten Geschmacks ist;
Die manch ehrlicher Mann sich wünscht und die so gemächlich
Dir zu Handen gekommen. Doch hat für deine Bewirthung
Dir der redliche Braun ein Pfand gelassen! so dacht er,
»Als er Braunen betrübt, ermattet und blutig erblickte«
Als er Braunen betrübt, ermattet und blutig erblickte.
Endlich, rief er ihn an: Herr Oheim, find’ ich euch wieder?
Habt ihr etwas vergessen bey Rüsteviel? sagt mir, ich laß ihm
Wissen, wo ihr geblieben. Doch soll ich sagen, ich glaube,
[61] Vieles Honig habt ihr gewiß dem Manne gestohlen,
Oder habt ihr ihn redlich bezahlt? wie ist es geschehen,
Ey! wie seyd ihr gemahlt? das ist ein schmähliges Wesen!
War der Honig nicht guten Geschmacks? zu selbigem Preise
Steht noch manches zu Kauf! Doch Oheim, saget mir eilig,
Welchem Orden habt ihr euch wohl so kürzlich gewidmet,
Daß ihr ein rothes Baret auf eurem Haupte zu tragen
Anfangt? Seyd ihr ein Abt? Es hat der Bader gewißlich,
Der die Platte euch schor, nach euren Ohren geschnappet,
Ihr verlohret den Schopf, wie ich sehe, das Fell von den Wangen
[62] Und die Handschuh dabey. Wo habt ihr sie hängen gelassen?
Und so mußte der Braune die vielen spöttischen Worte
Hinter einander vernehmen und konnte vor Schmerzen nicht reden,
Sich nicht rathen, noch helfen. Und um nicht weiterzu hören,
[35]Kroch er in’s Wasser zurück und trieb mit dem reissenden Strome
Nieder und landete drauf am flachen Ufer. Da lag er
»Als der König den Bären in seinem Elend erblickte«
Krank und elend, und jammerte laut und sprach zu sich selber:
Schlüge nur einer mich todt! Ich kann nicht gehen und sollte
Nach des Königes Hof die Reise vollenden, und bleibe
So geschändet zurück von Reineckens bösem Verrathe.
[63] Bring’ ich mein Leben davon, gewiß dich soll es gereuen!
Doch er raffte sich auf und schleppte mit gräßlichen Schmerzen,
Durch vier Tage sich fort und endlich kam er zu Hofe.
[36]Als der König den Bären in seinem Elend erblickte,
Rief er: Gnädiger Gott! erkenn ich Braunen? Wie kommt er
So geschändet? Und Braun versetzte: leider erbärmlich
Ist das Ungemach, das ihr erblickt; so hat mich der Frevler
Reinecke schändlich verrathen! Da sprach der König entrüstet:
Rächen will ich gewiß ohn’ alle Gnade den Frevel.
[64] Solch einen Herrn wie Braun, den sollte Reinecke schänden?
Ja bey meiner Ehre, bey meiner Krone, das schwör ich,
Alles soll Reinecke büßen, was Braun zu Rechte begehret.
Halt ich mein Wort nicht, so trag’ ich kein Schwerdt mehr, ich will es geloben!
Und der König gebot, es solle der Rath sich versammeln,
Ueberlegen und gleich der Frevel Strafe bestimmen.
Alle riethen darauf, wofern es dem König beliebte,
Solle man Reinecken abermals fordern, er solle sich stellen,
Gegen Anspruch und Klage sein Recht zu wahren. Es könne
[65] Hinze der Kater sogleich die Botschaft Reinecken bringen,
Weil er so klug und gewandt sey. So riethen sie alle zusammen.
Und es vereinigte sich der König mit seinen Genossen,
Sprach zu Hinzen: merket mir recht die Meynung der Herren!
Ließ er sich aber zum drittenmal fordern, so soll es ihm selbst und
Seinem ganzen Geschlechte zum ewigen Schaden gereichen,
Ist er klug, so komm er in Zeiten. Ihr schärft ihm die Lehre;
Andre verachtet er nur, doch eurem Rathe gehorcht er.
[37][66] Aber Hinze versetzte: zum Schaden oder zum Frommen
Mag es gereichen, komm ich zu ihm, wie soll ichs beginnen?
Meinetwegen thut oder laßt es, aber ich dächte,
Jeden andern zu schicken ist besser, da ich so klein bin.
Braun der Bär ist so groß und stark, und konnt ihn nicht zwingen,
Welcher Weise soll ich es enden? O! habt mich entschuldigt.
Du beredest mich nicht, versetzte der König, man findet
Manchen kleinen Mann voll List und Weisheit, die manchem
Großen fremd ist. Seyd ihr auch gleich kein Riese gewachsen,
[67] Seyd ihr doch gelehrt und weise. Da sagte der Kater,
Euer Wille geschehe! und kann ich ein Zeichen erblicken
Rechter Hand am Wege, so wird die Reise gelingen.
[71] Nun war Hinze der Kater ein Stückchen Weges gegangen,
Einen Martins-Vogel erblickt er von weiten, da rief er:
Edler Vogel! Glück auf! o wende die Flügel und fliege
Her zu meiner Rechten! Es flog der Vogel und setzte
Sich zur Linken des Katers auf einem Baume zu singen.
[72] Hinze betrübte sich sehr, er glaubte sein Unglück zu hören,
Doch er machte nun selber sich Muth, wie mehrere pflegen.