Reise ins Ungewisse - James Cooper - E-Book

Reise ins Ungewisse E-Book

James Cooper

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Hannahs geordnete Verhältnisse geraten plötzlich komplett aus den Fugen. Die schicksalshafte Begegnung mit einem äußerst attraktiven Mann und eine schreckliche Nachricht, die sie so völlig und unerwartet mitten ins Herz trifft, stellt ihr Leben komplett auf den Kopf. Es bleibt für sie nur eines - mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben. Eine aufregende Reise führt sie nach Paris. - Eine Reise ins Ungewisse..

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James Cooper

Reise ins Ungewisse

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Kapitel 1

 

Gelbrötlich schimmernde Blätter wehten vom Wind getrieben über den Bürgersteig. Die noch vor wenigen Monaten blühenden Bäume hatten ihr saftiges Grün verloren. Dicke Nebelschwaden bedeckten den Lauf des Flusses. Krähen zogen krächzend auf der Suche nach Futter ihre Runden über der Stadt. Es war Herbst geworden im wunderschönen Wien.

Hannah, ledig und eine zielstrebige Karrierefrau, lebte in einem der jüdisch geprägten Bezirke. Als Vorstand einer Großhandelsfirma war sie überaus erfolgreich in ihrem Metier und das als Frau in einem von ausschließlich Männern dominierten Betrieb. Privat lebte sie eher zurückgezogen und sehnte sich nach der großen Liebe, nach einem Mann, der nur sie sah und sie so akzeptierte, wie sie war.

Wie jeden Tag schlenderte sie schon früh morgens gemächlichen Schrittes den Donaukanal entlang zu ihrem Büro. Plötzlich vernahm sie aus der Ferne eine ihr vertraute, männliche Stimme. Vom tiefen Klang her war sie sofort davon überzeugt, dass die Stimme nur zu einem bestimmten Mann gehören konnte.

Keinen Meter von ihr entfernt tauchte nun eine Gestalt aus der Suppenküche auf. Im feinsten Zwirn gekleidet und eine dicke, lederne Aktentasche unterm Arm geklemmt, stand er plötzlich vor ihr. Sie sah erstaunt in seine meerblauen Augen, die wie Edelsteine funkelten. Mit seinem unverwechselbaren Lächeln auf den Lippen begrüßte er sie und ganz gentlemanlike drückte er ihr auch noch einen zärtlichen Kuss auf den Handrücken.

„Hi Georg, bin erstaunt, Dich hier zu treffen“, antwortete sie ihm jedoch kühl, obwohl ihr Herz etwas gesagt hätte.

„Du scheinst Dich ja nicht gerade darüber zu freuen“, ging er ironisch auf ihre Zurückhaltung ein.

„Und darüber wunderst Du dich? Wenn ich mich recht erinnere, warst Du es, der damals so Hals über Kopf die Firma plötzlich verlies“, entgegnete Hannah frustriert.

Sie hat bis heute noch keine plausible Antwort darauf gefunden, warum er sich damals einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Am Vorabend war noch alles gut gewesen, sie haben sich mit einem fröhlichen Gruß und einem Lächeln verabschiedet, so wie immer und am nächsten Morgen erschien er dann nicht mehr auf der Arbeit und blieb verschollen. Schlagartig kehrten in ihr die alten Erinnerungen zurück und damit auch der Schmerz in ihrem Herzen.

Georg sah in ihren Augen, dass Hannah mit ihren Gedanken in der Vergangenheit verweilte und bevor das unverhoffte Wiedersehen noch in einem Streit ausartete, schlug er ihr vor, sich am nächsten Tag in ihrem früheren Stammcafé zu treffen.

„Bitte sei pünktlich“, kam es noch kurz über seine vollen Lippen und dann lief er auch schon in Richtung Innenstadt davon.

 

Am nächsten Tag, pünktlich zur vereinbarten Zeit, wartete Georg bereits ziemlich nervös an ihrem damaligen Stammtisch, als sie noch gemeinsam zusammengearbeitet hatten.

Gehetzt, jedoch noch zur rechten Zeit erschien Hannah im Café. Sie begrüßte ihn flüchtig. In ihrem Gesicht war immer noch eine gewisse Wut zu erkennen, dass er sich die ganzen letzten Monate nicht bei ihr gemeldet hatte.

„Ich bin sehr erfreut und zugleich auch komplett überrascht, dich nach so langer Zeit mal wieder zu treffen. Das Kostüm gefällt mir richtig gut, du bist wirklich sehr hübsch und erst dein bezaubernder Blick …“, versuchte er mit charmanten Worten, ihre aufgestaute Wut in Zaum zu halten. Er schmunzelnde über das ganze Gesicht und erzählte ihr danach über seine damalige ungerechtfertigte Entlassung, jedoch, ohne näher auf den tatsächlichen Grund dafür einzugehen.

„Ich kam schnell wieder auf die Beine und habe eine Import/Export Firma gegründet“, fuhr er mit vollem Stolz über das Erreichte fort. „Die Geschäfte laufen blendend, ich bin sehr zufrieden, nur privat lief es bei mir leider nicht so gut.“

Hannahs Wut legte sich ein wenig und sie lauschte nun gespannt seinen Worten. Ihr Herz pochte, ihre rehbraunen Augen waren voller Emotionen und ihre geschmeidigen Wangen waren mittlerweile knallrot angelaufen. Insgeheim machte sie sich schon Hoffnungen, dass da mehr als nur ein leichtes Knistern zwischen ihnen noch immer wäre.

„Durch den Rauswurf bei Coopers scheiterte meine damalige Beziehung. Seitdem konzentrierte ich mich intensiver auf mein zukünftiges Geschäftsfeld“, fuhr er weiter fort und zog Hannah mit seinen meerblauen Augen in seinen Bann.

Sekundenlang blieb es still am Tisch. Sie wollten die Zeit nicht mit flüchtigen Worten verschenken, sondern sich lieber gegenseitig in die Augen schauen, um den magischen Bann von einst wieder zu festigen. Dabei dachte jeder für sich über die vergangenen Zeiten nach.

„Unsere wunderschönen Begegnungen und Späße, die wir beide immer gemacht haben, sind mir bis heute unvergessen geblieben“, fand Hannah als Erste ihre Sprache wieder und schmolz mit jeder Sekunde seiner bloßen Anwesenheit nur so dahin, als wäre sie noch ein junges, unschuldiges Mädchen. Noch nie zuvor hatte sie einen so herzerwärmenden und redegewandten Mann wie ihn getroffen.

Ihre Worte schmeichelten ihm, er wollte es sich aber nicht anmerken lassen und wippte nervös mit dem Stuhl. Allerdings rutschte ihm durch seine feuchte Handfläche immer wieder die zum Nippen angesetzte Kaffeetasse vom Mund. Was Hannah natürlich bemerkte und es gefiel ihr sehr.

„Mir geht es genauso“, erwiderte er endlich stotternd. „Meine Gefühle und Sympathien gelten gleichermaßen für dich.“ Er stellte Hannah ein baldiges Treffen an einem außergewöhnlichen Ort in Aussicht und verließ anschließend vollkommen konfus das Café.

Nach diesem Treffen fühlte sich Hannah wie von Wolken getragen und so leichtfüßig durchlebte sie auch diesen Tag. Selbst in der Nacht fand sie keine Ruhe, denn ihre Gedanken kreisten nur noch um diesen faszinierenden Mann, der ihr geordnetes Leben so plötzlich auf den Kopf stellte. Hannah blieb lange schlaflos liegen, bis sie endlich mit einem breiten Lächeln im Gesicht in einen sehnsuchtsvollen Traum fiel.

 

 

 

Kapitel 2

 

Wie es sich üblicherweise für eine verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit gehörte, war sie schon sehr früh auf dem Weg ins Büro. Gedankenversunken schlenderte sie wieder am Donaukanal entlang, überquerte die Schwedenbrücke und erreichte nach einer weiteren Gasse ihre Arbeitsstelle in einem riesigen gläsernen Bürokomplex. Kaum war sie in den Paternoster gestiegen und hatte fünf Stockwerke höher ihr Büro erreicht, läutete plötzlich auch das Telefon. Völlig irritiert, weil sie zu dieser frühen Stunde kaum Anrufe erhielt, griff sie zum Hörer und lauschte einer fremden, männlichen Stimme.

„Guten Morgen Madame, mein Name ist Monsieur Chopoix aus Paris“, erklang krächzend die raue Stimme am anderen Ende der Leitung, „Spreche ich mit Frau Hannah Goldstein?“

„Ja, ich bin Hannah Goldstein. Aber warum wollen Sie das wissen?“, antwortete sie sehr verwundert.

„Madame, bitte regen Sie sich nicht auf. Leider muss ich Ihnen das Ableben Ihrer Eltern mitteilen. Ich wurde vor längerer Zeit als Vermögens- und Nachlassverwalter Ihrer Eltern bestimmt und muss Sie dringend bitten, sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Paris zu machen.“

Hannah stockte der Atem, sie setzte sich an die Kante des Schreibtischs und rief entsetzt in den Hörer: „Tod, meine Eltern, beide? Das kann ich nicht glauben, ich habe doch noch letzte Woche mit ihnen telefoniert …“ Hannahs Stimme klang verzweifelt. „Was, um Gottes Willen, ist denn passiert?“

„Madame, leider sind mir die genauen Todesumstände nicht bekannt, da müssen sie sich bei der ortsansässigen Polizei erkundigen. Ich muss leider meine Bitte noch einmal wiederholen: Bitte kommen Sie, so schnell wie möglich, nach Paris. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen, Madame.“

Hannahs Stimme zitterte, als sie ein leises „Danke“ flüsterte. „Natürlich werde ich nach Paris kommen. Noch heute werde ich alles in die Wege leiten und Ihnen mitteilen, ich welchem Hotel ich übernachten werde“, fügte sie noch hinzu.

Nach einer Verabschiedungsfloskel beendete sie das Gespräch. Völlig schockiert ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen. Hannahs Körper begann zu zittern, verzweifelnd brach sie in Tränen aus.

Mit vielem hätte sie heute gerechnet, aber nicht mit dieser unheilvollen Nachricht. Gerade jetzt, wo ihr Herz anfing, wieder mal nach einem wunderbaren Mann zu schlagen. Jetzt durfte sie aber diese Gefühle nicht zulassen, jetzt musste sie sich um ihre Eltern kümmern. Was war nur mit ihnen passiert und warum konnte dieser Monsieur Chopoix es ihr nicht sagen? Sind sie bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen? Oder sind sie eines natürlichen Todes gestorben? Hannahs Gedanken kreisten wie auf einer Achterbahn und immer wieder tauchten neue Fragen auf.

Nach einer Weile des Erstarrens und der unendlichen Trauer bewahrte sie wieder einen kühlen Kopf, so wie sie es als Geschäftsfrau gewohnt war. Keine Schwäche nach außen zeigen, egal, wie schlecht sie sich fühlte. Sie hatte hier das Sagen und das durften ihre Mitarbeiter nicht anzweifeln. So langsam fand sie zu ihrer Fassung zurück. Sie legte den Hörer, den sie immer noch verkrampft in der Hand hielt, auf die Gabel zurück, stand auf und starrte mit einem bleichen und eingefallenen Gesicht aus dem Fenster ziellos in die Ferne. Als Hannah sich nach einiger Zeit wieder beruhigt hatte, informierte sie Georg von ihrem tragischen Verlust. Seine tröstenden Worte waren wie Balsam auf ihrer verletzten Seele. Sofort bot er Hannah an, ihr unterstützend zur Seite zu stehen und sie auf dem schwierigen Weg nach Paris zu begleiten. Sie dankte ihm dafür und freute sich auch ein wenig über ihr morgiges Wiedersehen.

Erleichtert schaltete sie ihren PC an und suchte im Internet nach einer schnellen Bahnverbindung und nach Hotels in Paris. Mit verschwommen Augen überflog sie die vielen Seiten. Nach längerem Stöbern fand sie endlich ein passendes Hotel und buchte für sich und für Georg ein Doppelzimmer. Anschließend wählte sie noch die Nummer der Reservierungszentrale des Bahnhofs und buchte die Bahntickets. Zu guter Letzt meldete sie sich nochmals bei Monsieur Chopoix und informierte ihn, wann sie in Paris ankommen würde und wie das Hotel hieß. Dann holte sie ihren wichtigsten Abteilungsleiter und ihre Assistentin ins Büro und besprach mit ihnen die wichtigsten Details, Aufgaben und Termine, die während ihrer Abwesenheit zu berücksichtigen waren. Schließlich musste ja das tägliche Geschäft anstandslos weiterlaufen.

 

 

 

Kapitel 3

 

Noch am Abend packte Hannah ihren Koffer mit den nötigsten Dingen. Am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit traf sie sich mit Georg am Wiener Westbahnhof. Hannah wurde von Georg wirklich rührend und einfühlsam empfangen. Er schloss sie fest in seine Arme und strich ihr tröstend über ihr blond gewelltes Haar. Sie war froh und überglücklich, dass ihr das Schicksal genau zur rechten Zeit einen so guten Freund beschert hatte.

„Gleis eins“, tönte es aus den Lautsprechern, „der Zug steht zur Abfahrt bereit.“

Hastig hetzten beide die Treppen hinauf und stiegen in den Zug. Nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten, half ihr Georg ganz gentlemanlike aus ihrem beigefarbenen Trenchcoat. Hannah kippte vor lauter Müdigkeit wie ein Streichholz in den gepolsterten Sitz. Georg begab sich nun in Richtung Speisewagen, um Kaffee zu holen. Kaum war er mit zwei Bechern Mokka zurückgekehrt, pfiff schon der Zugbegleiter mit seiner silbernen Pfeife und gab die Strecke frei. Behäbig setzte sich das schwere Ungetüm, welches schon viele Jahre auf den Gleisen verbracht hatte, in Bewegung und hüllte den Bahnsteig in einen weißen Schleier.

„Jetzt komme ich endlich mal zur Ruhe“, seufzte Hannah und lehnte sich in den weich gepolsterten Sitz zurück.

Während sich Georg der Tagespresse widmete, nippte Hannah kurz an ihrem Mokka. Vor lauter Müdigkeit fiel es ihr sogar schwer, den Pappbecher zu halten, deshalb stellte sie ihn lieber beiseite. Kurz bevor ihr die Augenlider zufielen, bat sie Georg noch, den Vorhang des Abteils zu schließen. Ihr Kopf fiel dann schwer zur Seite und sie schlummerte kurze Zeit darauf friedlich und seelenruhig ein.

Georg nutzte die Chance, sie endlich mal in Ruhe von Kopf bis Fuß betrachten zu können. Sanft bewegten sich seine Finger durch ihr langes blondes Haar. Vorsichtig berührte er ihre wohlgeformten Lippen. Für einen kurzen Moment hielt er inne und genoss das Gefühl, ihr so nahe zu sein. Alles an ihr gefiel ihm so gut, ihre Augen, ihre Lippen, ihre leicht gebräunte Haut, ja sogar von ihrem zauberhaften Dekolleté konnte er nicht genug bekommen. Wenn die Situation eine andere wäre, dann könnte er schon ins laszive Schwärmen geraten und sich eine traumhafte Nacht mit ihr sehr gut vorstellen. Eine Nacht, in der er ihr ganz nahe war und wo er mit seinen Fingern über ihren Körper, angefangen von ihren zarten Lippen, ihren vollen Brüsten und weiter hinab bis zu ihren Zehenspitzen, wanderte. Oh, wie hatte er sie vermisst! … Aber leider sitzen sie zurzeit nicht auf einem gemütlichen Bett in einem romantischen Hotel, sondern in diesem Zug, und müssen sich um Hannahs plötzlich verstorbene Eltern kümmern. Er musste nun für Hannah da sein, als ein guter Freund, der ihr seine starken Arme reichen würde, damit sie nicht ihren Halt verliert.

Gerade, als er wieder in seine laszive Schwärmerei abdriftete, klopfte der Schaffner an die Tür des Abteils. „Die Fahrkarten bitte“, tönte es mit lauter, tiefer Stimme von draußen. Als beim zweiten Mal immer noch keine Reaktion aus dem Abteil gekommen war, öffnete der Zugbegleiter die Tür.

Georg zuckte ertappt zusammen, weil er gerade noch einmal mit seinem Finger über Hannahs Lippen glitt, und versteckte schnell seine Hand in die Sakkotasche. Mit verschämtem Blick sah er aus dem Fenster und tat so, als würde er die vorbeiziehende Landschaft beobachten.

„Zum letzten Mal, mein Herr, wiederhole ich es ... Die Fahrkarten bitte“, rief der schlohweiße und bärtige Schaffner schon sehr ungehalten, wegen dieses äußerst renitenten Fahrgastes.

Hannah wurde wach, schreckte hoch und kramte völlig orientierungslos in ihrer Tasche, dann herrschte sie Georg in einem rauen Tonfall zutiefst verzweifelt an, da dieser weiterhin völlig unbeteiligt seinen Blick in die Ferne schweifen ließ.

„Was ist jetzt mit den Tickets?“, erkundigte sich der Schaffner.

„Ich habe sie nicht!“, gab Hannah völlig verwirrt von sich.

Der Schaffner war schon kurz davor, seinen Block zu zücken und die beiden wegen Schwarzfahrens zu belangen, als Georg plötzlich ganz beiläufig die Fahrkarten aus seinem Sakko fischte. Mit einem tiefen Seufzer nahm der bärtige Mann die Tickets entgegen, entwertete sie und zog mürrisch davon.

Der Peinlichkeit, als Schwarzfahrer ertappt zu werden, gerade noch knapp entronnen, atmete Hannah erst einmal tief durch und war heidenfroh, dass sich alles doch noch zum Guten gewendet hatte. Wie hatte das nur passieren können? Sie war immer noch vollkommen perplex.

„Ich hatte doch die Tickets am Bahnhofsschalter in das Seitenfach meiner Tasche gesteckt.“

„Nein, hast du nicht“, erwiderte Georg in einem sanften Tonfall. „Du hast sie in all dem Trubel und der Hektik liegen gelassen. Nur meiner Aufmerksamkeit hast du es zu verdanken, dass wir dieser peinlichen Situation gerade noch mal so entronnen sind.“

„Es wundert mich nicht, dass ich so kopflos war, die schlechten Nachrichten des gestrigen Tages haben meine Gehirnzellen komplett gelähmt und meine Konzentration gegen Null schwinden lassen“, versuchte sie ihre Vergesslichkeit zu entschuldigen.

Georg konnte ihr Gefühlschaos nachempfinden, da ihm selbst, schon einmal eine ähnliche Situation fast an den Rand des Wahnsinns getrieben hätte.

„Bleib ruhig Hannah, es ist ja schließlich nichts passiert. Es wird sich schon alles aufklären und du wirst wieder zu deiner inneren Ruhe finden“, erwiderte er fürsorglich, blickte sie noch einem Moment beruhigend an, dann widmete er sich wieder dem Wirtschaftsteil seiner Tagespresse.

An einen erholsamen Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken und Hannah grübelte noch eine Weile über das vorangegangene peinliche Erlebnis nach. Nicht auszudenken, wenn der Schaffner sie des Zuges verwiesen hätte, und beide die ganze Nacht über in der Kälte an einem einsamen Bahnsteig im Nirgendwo auf den Anschluss hätten warten müssen … Die verrücktesten Gedanken gingen ihr durch den Kopf und fügten sich zu denen des gestrigen Tages hinzu. Nachdem sie sich wieder halbwegs gefasst hatte, kippte sie den halb vollen Pappbecher Mokka in einem Zug hinunter und versuchte abermals Schlaf zu finden, doch die entstandene Ruhe hielt nur kurz.

Plötzlich ertönte ein schreckliches Geschrei aus dem Nebenabteil und fuhr Hannah sofort durch Mark und Bein, dass sie entsetzt und verstört auf den Gang hinausging. Aber das, was sie dort sah, brachte sie komplett auf die Palme. Eine Mutter schlug gerade ihren kleinen Jungen. Sie war ungefähr Mitte zwanzig, hatte schwarzes gekräuseltes Haar und eine äußerst ungepflegte Erscheinung. Ihr fettiger Schopf war komplett verfilzt und einige Strähnen hingen ihr quer über das Gesicht. Eitrige Pickel übersäten ihre hohe Stirn und die Bluse, die sie trug, hatte offensichtlich schon lange keine Waschmaschine mehr gesehen. Komplett in Rage zog sie den kleinen Knirps an den Ohren und schlug ihm kräftig auf den Po. Der Junge brüllte wie am Spieß und versuchte verzweifelt, sich aus den fest zupackenden Händen seiner Mutter zu winden. Als sich die äußerst rabiate Frau langsam wieder beruhigte, lehnte sich der kleine Junge mit tränenüberströmtem Gesicht an das Fenster. Seine runden Pausbacken waren kirschrot und er strampelte wütend mit seinen kleinen Beinen. Entsetzt ging Hannah wieder ins Abteil zurück …

„Wegen dieser äußerst zweifelhaften Erziehungsmethode könnte ich diesem Ungeheuer sofort an die Gurgel springen“, gab Hannah Georg wütend zu verstehen. „Das wäre noch das gelindeste Mittel, welches ich anwenden würde“, fuhr sie weiter in ihren unglaublichen Zorn fort. Georg nickte zustimmend, versuchte aber trotzdem, sie zu beruhigen. Doch Hannah machte ihrem Ärger weiterhin Luft und wollte sich nun ins Nebenabteil begeben, um dieser Rabenmutter mal ordentlich die Leviten zu lesen. Georg konnte sie gerade noch daran hindern und zog sie am Ärmel zurück. „Respekt den Eltern gegenüber, steht an erster Stelle“, fuhr sie weiter völlig außer sich fort, „doch Gewalt hat in der Erziehung absolut keinen Platz und verursacht nur unheilbare Wunden in so einer kleinen Kinderseele.“

Georg hörte ihr immer noch gespannt zu und dachte sich, dass sie bestimmt eine gute Mutter wäre, auf jeden Fall eine gute Erziehungstherapeutin. Schmunzelnd wegen ihrer kompetenten Worte lehnte er sich zurück und ließ sie einfach weiter über Pädagogik philosophieren. Doch plötzlich geriet ihr Redefluss ins Stocken, da der Zug unerwartet und dermaßen heftig bremste, dass glitzernde Funken am Fenster vorbeizischten. Hannah konnte sich gerade noch in den Armlehnen festkrallen, während Georg sich der geballten Krafteinwirkung nicht widersetzen konnte und nach vorne kippte. Es entstand ein mächtiges Durcheinander, schnell wurden die Türen der Abteile aufgerissen und die Fahrgäste versammelten sich blitzschnell auf dem Gang. Einige dieser Leute brüllten Hilfe suchend nach dem Schaffner.

„Um Gottes Willen“, schrie Hannah voller Panik und sprang erneut erregt auf. Sie streckte Georg ihre Hände hin, um ihn aufzuhelfen. Dankbar ergriff er sie und war sehr erstaunt darüber, was sie für einen kräftigen Druck besaß. „Alles in Ordnung mit Dir?“, fragte sie besorgt und musterte ihn genau, ob er ein schmerzverzerrtes Gesicht verzieht, aber das war zum Glück nicht der Fall.

„Ich danke Dir. Du kannst Dich wieder beruhigen, mir geht es gut. Die Bremsaktion kam so unerwartet, dass ich mich nicht so schnell halten konnte, außerdem habe ich mich sehr erschrocken. Ich möchte wissen, was nun wieder passiert ist?“, erwiderte er genervt.

„Ja, das möchte ich auch gerne wissen. Ich werde gleich mal nachsehen, ob der Schaffner schon was bekannt gegeben hat.“ Neugierig erhob sie sich und ging zügig aus dem Abteil, nicht ohne noch einen Blick auf Georg zu werfen, ob er sich wirklich nicht verletzt hatte.

Erstaunt musste sie feststellen, dass bereits viele verzweifelte Menschen den Gang säumten. Die meisten hatten bereits die Fenster geöffnet und starrten ungläubig in die Ferne. Andere Fahrgäste hingen förmlich mit offenen Mündern an den Scheiben. Mittlerweile kam der Schaffner aus dem vordersten Waggon und versuchte, das Chaos ein wenig zu ordnen. Er fuchtelte wild mit seinen Händen herum und fing an, so gut es ging, den Fahrgästen zu erklären, dass sie sich wieder beruhigen und in ihre Abteile zurückgehen sollten. Ursache für diese überraschende Bremsaktion wäre wohl eine Fehlfunktion der Noteinrichtung gewesen und dieser Umstand hatte das abrupte Bremsen des Zuges herbeigeführt. Dann erkundigte er sich noch, ob jemand verletzt wäre und einen Arzt benötigte, aber dies war wohl zum Glück nicht der Fall. Ungläubig schüttelten die Leute den Kopf und begaben sich verwunderten Blickes wieder zurück ins Abteil.

Hannah hatte das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie glaubte nicht daran, dass es eine Fehlfunktion war und sie sollte recht behalten.

Denn kurz bevor sie sich wieder auf ihren Platz begab, verließ eine ältere Dame die Zugtoilette. Ihre Kleidung war völlig mit Wasser durchtränkt. Sie war fürchterlich verzweifelt und wimmerte untröstlich. Mit ihrem jämmerlichen Gehabe zog sie die Aufmerksamkeit des Schaffners auf sich, der sie wütend zur Rede stellte.

„Es tut mir so leid, aber ich habe die Klospülung mit der Notbremse verwechselt.“