Reise Know-How KulturSchock Italien - Frank Schwarz - E-Book

Reise Know-How KulturSchock Italien E-Book

Frank Schwarz

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Beschreibung

KulturSchock Italien ist der informative Begleiter, um Italien und seine Bewohner besser zu verstehen. Er erklärt die kulturellen Besonderheiten, die Denk- und Verhaltensweisen der Menschen und ermöglicht so die Orientierung im fremden Reisealltag. Unterhaltsam und leicht verständlich werden kulturelle Stolpersteine aus dem Weg geräumt und wird fundiertes Hintergrundwissen zu Geschichte, Gesellschaft, Religion und Traditionen vermittelt. Dolce vita, Sonne, gute Laune, Pizza, Pasta und eine große Kinderschar - soweit das weit verbreitete Bild von Italien und den Italienern hierzulande. Schließlich ist beinahe jeder Deutsche schon einmal dort gewesen. Doch so einfach dieses Bild zu zeichnen ist, so unwirklich ist es doch, wenn man sich dem ungeahnt vielfältigen Land und seinen Bewohnern nähert. Die weltweite Sympathie, derer sich die Italiener jahrzehntelang sicher sein konnten, hat unter dem Medienmogul Berlusconi deutlich gelitten und die Wirtschaftskrise des Landes trägt zu einem sich verändernden Bild bei. Wie es aktuell um Italien bestellt ist, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern entwickelt und was die Italiener unternehmen, um nicht an den Klischees über ihr Land zu ersticken, beleuchtet dieser Band aus der Buchreihe KulturSchock. Aus dem Inhalt: - Don Camillo und Peppone: Katholizismus, Laizismus und Aberglaube - Feste, Feiertage und kollektive Erlebnisse - Die Familie zwischen Tradition und Moderne - Bella figura und bella moda: Italiener wollen immer eine "gute Figur" machen - Italienische Handzeichen: die nonverbale Kommunikation - Wirtschaft: Krise war schon immer - Politik: die Ära Berlusconi wirkt bis heute - Italienischer Alltag - Das Machtgeflecht von politischen Parteien, Gewerkschaften, Mediokratie und Familienclans - Organisiertes Verbrechen und politischer Terror: Mafia, Camorra und 'Ndrangheta - Minderheiten in Italien - Ist die Ampel rot oder voll rot? Verkehr in Italien - Deutsche und Italiener: eine wechselvolle Beziehung

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Seitenzahl: 359

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Vorwort

In den Köpfen vieler Deutscher geistert eine Vorstellung von Italien als „Insel der Glückseligen“ herum. Die Menschen dort, so das Vorurteil, genießen das dolce vita unter südlicher Sonne und sind immer gut gelaunt. Sie essen gern Pizza und Pasta, lieben Rotwein und sind immer für einen Flirt zu haben. Natürlich sehen sie gut aus, fahren gern Vespa und sind eher arbeitsscheu. Dieses Bild von Italien ist ein sehr eingeschränktes: In Wirklichkeit handelt es sich um ein vielfältiges, von großen regionalen Unterschieden geprägtes Land, dessen nationale Identität während der letzten hundert Jahren erst mühsam geschaffen werden musste. Drei Faktoren spielten dabei eine wichtige Rolle: der Krieg, der Faschismus und das Fernsehen.

Das „echte“ Italien, das unverfälschte, nicht von der unsäglichen Medienmaschine kaputtgemachte, in dem sich noch das Abbild einer längst vergangenen Zeit wiederspiegelt, ist schwer zu finden, aber es existiert. Es gibt in allen Regionen Italiens Menschen, die auf der Suche sind nach dem, was langsam verloren zu gehen droht. Es sind Menschen, die ihre eigentümlichen Regionalsprachen pflegen oder versuchen, alte Kochrezepte zu bewahren. Sie alle eint der Gedanke, dass es notwendig ist, etwas gegen die drohende kulturelle Verflachung des Landes zu unternehmen, da es sonst Gefahr läuft, in seinem eigenen Klischee zu ersticken.

Seit den zurückliegenden Wahlsiegen des Medienmoguls Silvio Berlusconi ist die weltweite Sympathie, derer sich die Italiener jahrzehntelang sicher sein konnten, in eine gewisse Antipathie umgeschlagen. Auf der ganzen Welt fragten sich viele Menschen, wie es möglich sein konnte, dass ein zwielichtiger Milliardär mehrfach Ministerpräsident des Landes wurde. Die unter seiner Regierung angezettelte Diskussion über Fingerabdrücke, die alle Sinti und Roma in Italien abgeben sollten, unterstellte dem ganzen Land zudem eine ausländerfeindliche Stimmung. Auch das Wiedererstarken der kriminellen Organisationen (Mafia, Camorra und ’Ndrangheta) rief weltweites Aufsehen hervor. Das politische System ist geprägt von Polarisierung und hoher Instabilität und gerät immer wieder in Bedrängnis. Daran kann auch der Generationenwechsel mit Matteo Renzi nicht so schnell etwas ändern. Was ist los in diesem Land, dass zwar schon immer problembeladen war, aber stets aus jeder Krise einen Ausweg wusste?

In dem vorliegenden KulturSchock-Band soll der Versuch unternommen werden, auf diese Frage einige Antworten zu geben.

Frank Schwarz

Inhalt

Vorwort

Zur Einstimmung: eine Zugfahrt von Mailand nach Palermo

∎Verhaltenstipps von A bis Z

∎Eine kurze Geschichte Italiens

(bis zur Epoche des Risorgimento, ca. 1000 v. Chr.–1848)

Vorgeschichte (ca. 1000 v. Chr.–750 v. Chr.)

Aufstieg und Fall Roms (753 v. Chr.–395 n. Chr.)

Kampf um Italien (ca. 400–1200 n. Chr.)

Die Päpste – der Kirchenstaat (14. Jh.)

Die Städte – der Norden Italiens (15.–19. Jh.)

Der Süden Italiens (13.–19. Jh.)

∎Kollektive Erinnerung

(vom Risorgimento bis heute)

Die italienische Einigung (1848–1861)

Das Königreich Italien (1861–1900)

Das Zeitalter des Faschismus (1910–1944)

Terror von links und rechts: die bleiernen Jahre (1968–1980)

Die Politik des Bettino Craxi und die Folgen (1982–1987)

Die Ära Berlusconi bis heute (1994–2015)

∎Was Italien zusammenhält

Mentalität

Bühne frei: das Leben in der Stadt

Auf dem Land, in der Provinz

Feste, Feiertage und kollektive Erlebnisse

Fußball: tifosi – die „Typhuskranken“

Die Familie – zwischen Tradition und Moderne

Don Camillo und Peppone: Katholizismus, Laizismus und Aberglaube

∎Politik und Gesellschaft

Das politische System

Wirtschaft

Parallelwelten: Mafia, Camorra und ’Ndrangheta

∎Minderheiten in Italien

Südtiroler

Deutsche Sprachinseln in Venetien und Trient

Ladiner

Frankophone in Italien

Slowenen

Griechen

Albaner

∎Italienischer Alltag

Bürokratie

Essen und Trinken

Die Fernsehlandschaft

Kultur im italienischen Alltag

Ist die Ampel rot oder voll rot?

Hinter Gittern – Wohnen in Italien

Bella Moda Italia

Umgang mit dem Tod

Ausländer in Italien

Ragazzi italiani: Kinder und Jugendliche

Männer und Frauen

Der schwierige Weg zur Gleichstellung: Schwule und Lesben

Spiegelbild der Gegenwart – das italienische Kino

∎Deutsche und Italiener – eine wechselvolle Beziehung

Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?

Malochen für Deutschland – italienische Gastarbeiter

Mythos und Krise

∎Anhang

Glossar

Die wichtigsten Parteien Italiens

Lesetipps

Internettipps

Register

Kleine Sprachhilfe Italienisch

Übersichtskarte Italien

Der Autor

Exkurse zwischendurch

Archäologie und Politik

Rothaarige Süditaliener

Die eiskalte Schönheit: Turin

Die chaotische Schönheit: Neapel

Die Bourbonenherrschaft

Piccola America – Norditaliener in Süditalien

Die rationalistische Architektur

Der Mord an Aldo Moro

Italienische Handzeichen

Reichtum und Geiz

Die Schweizergarde

Antonella und die Lega Nord

Rom: „caput mundi“ – oder eher „kaputte Stadt“?

Von den Mafiamassakern zu einer Kultur der Legalität

Ein Eierwurf und seine Folgen – die Morde von Duisburg

Zweimal Südtirol im Gespräch

Sonderfall Sardinien

Slow food

Ein italienisches Menü

Kaffee umsonst

Telefonitis auf Italienisch

Massagen am Strand – ein Tag in Ostia

Verwöhnte Kinder – Erica und Omar

Zwei italienische Frauenschicksale: Mariella und Concetta

Fosse Ardeatine (von Marie Luise Kaschnitz)

Das Dorf der bemalten Türen

Respektlos, anarchisch und ohne Moral – der italienische Humor

Zweisamkeit: deutsch-italienische Beziehungen

 

 

Extrainfos im Buch

ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die vom Autor aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/italien15 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z B „#1“) aufgerufen werden

Zur Einstimmung: eine Zugfahrt von Mailand nach Palermo

Mailand Hauptbahnhof. Eine lange Reise nach Palermo stand bevor. Mit mir stieg ein Mann in seinen besten Jahren ins Abteil. Mit einem großen Schwung warf er sein Laptop und einen Koffer in das Gepäcknetz und setzte sich mir gegenüber. „Fahren Sie auch bis nach Palermo oder steigen Sie schon vorher aus?“, fragte ich, während wir durch die endlos scheinende Poebene zuckelten. „Ich bin Ingenieur. Sie haben ja bestimmt von den Problemen mit dem Müll in Neapel gehört. Meine Firma hat jetzt den Auftrag erhalten, eine große Müllverbrennungsanlage an der Peripherie von Neapel zu bauen. Mich schicken sie nun dorthin, um einen geeigneten Standort für die Anlage zu finden.“ „Eine interessante Aufgabe“, erwiderte ich. Der Mann zog die Augenbrauen hoch. „Sie glauben wirklich, es sei eine interessante Aufgabe, in Süditalien eine Müllverbrennungsanlage zu bauen? Sie glauben, es sei interessant, mit Neapolitanern zu verhandeln? Es ist überhaupt nicht interessant, sondern einfach nur schrecklich.“

Ich verstummte sofort. Da ist er wieder, dachte ich mir, der bornierte Norditaliener, für den der ganze Süden Italiens, inklusive Rom, ausschließlich von Faulenzern bewohnt wird. Ich habe es satt, die meridionali (Süditaliener) gegen ihre eigenen Landsleute zu verteidigen. Zu oft schon habe ich auf die Vorzüge des Südens hingewiesen, auf die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen und auf die historischen Gründe, warum die Süditaliener nun mal so sind, wie sie sind.

„Sie kommen aus Deutschland, seien Sie froh. Ich würde unsere Müllverbrennungsanlage auch lieber in München bauen lassen, das können Sie mir glauben.“ Mein Gegenüber versuchte, auf seine Art und Weise seine Sympathie für die Deutschen zum Ausdruck zu bringen …

Hinter Siena glitt langsam die wellige Hügellandschaft der Toskana an uns vorbei. Der Ingenieur hatte sich hinter dem Corriere della Sera (dt. „Abendkurier“, eine Mailänder Tageszeitung) versteckt und nahm erst in der südlichen Toskana, etwa auf der Höhe von Grosseto, das Gespräch wieder auf. „Wussten Sie, dass in der Toskana die wenigsten Kinder in ganz Europa geboren werden?“ Ich wusste es nicht, fragte aber den Mann, der Anfang 30 sein mochte, ob er denn selbst eine Familie habe. Er errötete leicht und verneinte die Frage. Nach einer kurzen Pause erklärte er: „Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben, meine Geschwister leben alle im Ausland und einer musste sich ja um die mamma kümmern. Wir leben jetzt zusammen in einer 3-Zimmer-Wohnung in Mailand. Heiraten will ich sowieso nicht, die Frauen heutzutage sind mir zu eigensinnig. Unsere Nachbarin in Mailand beispielsweise: Der Mann arbeitet bis spätabends und was macht seine Frau? Sie hat einen Liebhaber, der kommt jeden Nachmittag. Das sind keine Frauen mehr wie die aus der Generation meiner Mutter, die sich ihr Leben lang für die Familie aufgeopfert haben. Da bleibe ich lieber allein – und außerdem kann niemand so gut Risotto kochen wie meine Mutter.“ Der Ingenieur grinste zufrieden.

Bald danach erreichten wir Rom. Am Bahnhof RomaTermini stieg ein Ehepaar mit zwei Kindern zu, einem Jungen und einem Mädchen. Der Dialekt, den sie sprachen, wies eindeutig auf ihre sizilianische Herkunft hin. Der Ingenieur verdrehte die Augen. Mit viel Lärm stürmten die redseligen Kinder, die, wie wir bald erfuhren, Concetta und Tancredi hießen, das Abteil. Die beiden sieben und acht Jahre alten Geschwister waren anscheinend kleine Anarchisten. Schon beim Einsteigen stritten sie sich um die besten Plätze. Alle Anweisungen der Eltern blieben unbeachtet und der kleine Tancredi begann schon bald, wie am Spieß zu schreien. Um was es ging, verstand ich nicht, weil der sizilianische Dialekt, den die Familie sprach, nahezu unverständlich war. Zwischendurch verfiel die Mutter aber immer wieder ins Italienische, sodass ich zumindest den einen Satz mitbekam, der für einen kurzen Moment zu absoluter Ruhe im Zugabteil führte: „Wenn du nicht gleich still bist, reiße ich dir beide Arme aus und verprügele dich mit deinen eigenen gottverdammten Händen.“ Der so angesprochene Tancredi verstummte augenblicklich und verzog sein zierliches lockenumrahmtes Gesicht, als wolle er gleich wieder anfangen loszubrüllen. Der Vater kam dem Geschrei zuvor. „Aber Tancredi, du weißt doch, dass deine Mutter es nicht so gemeint hat. Wenn wir am Bahnhof von Neapel ankommen, kaufe ich dir ein paar sfogliatelle“. Dabei handelt es sich um kleine, mit Creme gefüllte Blätterteigtörtchen.

Am Bahnhof von Neapel stieg der Mailänder Ingenieur aus. „Kinder brauchen Regeln“, sagte er, während er umständlich sein Laptop aus dem Gepäcknetz nahm, „fragen Sie den Deutschen da, die wissen, wie man so etwas macht.“ Der Vater schüttelte den Kopf und wandte sich zu mir, als der Ingenieur das Abteil verlassen hatte: „Diese Norditaliener mögen uns einfach nicht. Sie wissen immer alles besser und versuchen uns hier im Süden Ratschläge zu geben. Einfach lächerlich. In Sizilien gab es schon eine Hochkultur, als die in Mailand noch auf den Bäumen lebten.“

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Eine Reise mit dem Zug gewährt tiefe Einblicke in die italienische Mentalität

In diesem Moment passierte ein mit aufgeschnittenen Kokosnüssen, belegten Schinkenbrötchen und eben jenen sfogliatelle bestückter, in der Sonne leuchtender Imbisswagen unser Abteilfenster. Der Vater kaufte für den Schreihals das Blätterteigtörtchen und für seine Schwester eine Limonade. Als der Vater Tancredi die Süßigkeit reichte, verzog der Junge das Gesicht und schrie: „Ich will aber einen cannolo und nicht diesen komischen Kuchen!“ „Aber wo um Gottes Willen soll ich am Bahnhof von Neapel einen cannolo herbekommen. Du weißt doch ganz genau, dass es cannoli nur auf Sizilien gibt!“, entgegnete der Vater. Blitzartig rutschte Tancredi von seinem Platz, stürzte sich auf seine Schwester und biss ihr ins Knie. Die Eltern trennten die beiden, indem sie Tancredi die Nase zuhielten, damit er den Biss lockern musste, und indem sie Concetta einen Finger nach dem anderen aufbogen, die sich in Tancredis Haaren verkrallt hatten.

Um mir Luft zu verschaffen, bat ich um Entschuldigung und verließ das Abteil in Richtung Toilette. Das war zu viel des Kulturschocks. Ich fragte mich, wie es diese Familie miteinander aushielt und welche Schäden die Kinder von den eigentümlichen Erziehungsmethoden der Eltern davontragen würden. Als ich wieder in das Abteil zurückkehrte, erwartete mich ein Bild, das ich nach all den Streitereien nicht erwartet hätte: Der kleine Tancredi, der eben noch von seiner Mutter mit dem Ausreißen seiner Arme bedroht worden war, saß auf ihrem Schoß und wurde von ihr mit den liebevollsten Koseworten bedacht, die das Sizilianische zu bieten hat. Das Bild, das sich mir darbot, erinnerte mich in seiner hingebungsvollen Liebe an die Pietà von Michelangelo. Das muss das Geheimnis sein, dachte ich mir. Bei allen Streitereien sind die Beteiligten nie unversöhnlich und die Kinder wissen ganz genau, dass die Liebe ihrer Mutter bedingungslos ist.

Nachdem der kleine Tancredi eingeschlafen war, entbrannte zwischen den Eltern ein flüsternd vorgetragener Disput über Kindererziehung. Vater und Mutter gaben sich gegenseitig die Schuld am Verhalten des Jungen. Die Mutter brachte sogar vor, es läge an der sizilianischen Gesellschaft, dass die Kinder so ungezogen seien: Denn auf dem Festland wüchsen die Kinder anständiger auf, einfach wohlerzogener.

Wir hatten bereits die amalfitanische Küste mit ihren wunderschönen Felsenbuchten passiert. Jetzt fuhren wir durch den gebirgigen Cilento, Italiens zweitgrößten Nationalpark, eingezwängt zwischen Kalabrien und Kampanien. Trutzburgartige kleine Dörfer lagen auf den Spitzen der Hügel, die sich einst so gegen Sarazenen und andere Eindringlinge zu schützen suchten. In Pisciotta stieg ein weiterer Fahrgast zu. Er stellte sich als Arzt vor, der schon seit Jahren in Norditalien arbeitete und jetzt seine Familie in Palermo besuchen wollte.

In der gleißenden Mittagssonne glitten vor unserem Fenster Gewerbegebiete vorbei, in denen die Firmenangestellten den Unrat einfach in die Landschaft geworfen hatten. Die Vegetation ringsum war von der Sommerhitze verbrannt und ab und zu sah man zwischen halbverfallenen Baracken ein Rudel wilder Hunde. Der zugestiegene Arzt schaute gedankenverloren aus dem Fenster und sagte: „Das Schöne und das Hässliche liegen nirgendwo auf der Welt so nahe beieinander wie in Italien.“ Niemand sagte etwas, der Mann hatte Recht. Schon bald passierten wir Tropea in Kalabrien mit seinen karibisch anmutenden Sandstränden.

„Aus welcher Stadt kommen Sie eigentlich?“, fragte ich den Vater. „Wir kommen aus Marsala, Sie kennen den Namen bestimmt wegen des berühmten gleichnamigen Dessertweins. Aber wussten Sie eigentlich“, begann der Familienvater zu dozieren, während er sich behaglich in den Sitz zurücklehnte, „dass die Araber die Stadt benannt haben. Das arabische Marsa-Allah heißt übersetzt „Hafen des Allah“. Tja, und was ist aus der großen arabischen Kultur geworden? Heute lungern die Tunesier überall auf den Straßen von Catania und Palermo herum.“ Er pfiff verächtlich durch die Zähne.

„Wie steht es mit dem organisierten Verbrechen in ihrer Gegend?“, fragte der Arzt den Familienvater. Der Angesprochene verzog das Gesicht, als wäre er gefragt worden, ob man in seinem Dorf Speckknödel esse und Grappa trinke. „Sind Sie etwa auch einer von diesen Nestbeschmutzern, die von Sizilien immer nur im Zusammenhang mit Verbrechen sprechen? Bei uns gehen die Uhren etwas anders. Es gibt gewisse, sagen wir ökonomische Besonderheiten, die ein Leben auf unserer schönen Insel erst ermöglichen. Was hat denn der italienische Staat in den letzten 150 Jahren für uns Sizilianer getan? Wenn wir uns auf die verlassen hätten, wären wir alle schon längst verhungert.“ Das war der Startschuss zu einer langen und erregten Diskussion. Wir hatten mittlerweile Kalabrien erreicht, draußen glitten die Erhebungen des Aspromonte vorbei. Wir passierten Capo Vaticano und den äußersten Süden der Stiefelspitze, während der junge Arzt dem Familienvater klarzumachen versuchte, dass die Sizilianer eine Kultur der Legalität benötigten, um im 21. Jahrhundert zu überleben. „Eine Kultur der Legalität“, sagte der Familienvater, „wenn ich das schon höre. Das sind doch alles Kommunistenparolen.“

Die beiden Männer stritten sich heftig und laut. Alle Argumente, die sie vorbrachten, wurden mit ausladenden Gesten unterstrichen: Wie beim Beten wurden die Hände zusammengelegt, dabei verdrehten die Streitenden die Augen gegen den Himmel. Oft wurden auch die Spitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengelegt, überhaupt waren die Hände immer in Bewegung – für einen Italiener kann es wohl keine schlimmere Strafe geben, als ohne Hände zur Welt zu kommen, dachte ich mir. Als der Zug endlich das Ende des italienischen Festlands erreicht hatte und wir auf die Fähre nach Sizilien umsteigen mussten, diskutierten die beiden Streithähne immer noch weiter. Sie waren so in ihren Streit vertieft, dass sie gar nicht bemerkten, dass sie gerade den Zug verließen.

Auf der Fähre, die uns nach Sizilien brachte, verlor ich die beiden aus den Augen. Ich fand sie wieder, als sie an der Bar gerade ihren Kaffee bezahlen wollten. Sie stritten sich immer noch, aber diesmal ging es darum, wer die Rechnung begleicht. Der Familienvater drängte den Arzt an der Kasse zur Seite, der sich heftig wehrte und zu verstehen gab, dass er zahlen wolle. Nachdem sich der Familienvater durchgesetzt hatte und sie den Espresso getrunken hatten, sah ich sie scherzend wieder an Deck gehen. Irgendwie hatten sie wohl doch noch eine Ebene gefunden, auf der sie sich verstanden.

Der Abschied dauerte lange und war herzlich. Von sämtlichen Beteiligten wurde ich zu mehrtägigen Besuchen auf Sizilien eingeladen. Als sie dann alle in der Bahnhofsvorhalle verschwunden waren, dachte ich mir: Was für ein aufregendes Land. Man sollte es besser kennenlernen …

Verhaltenstipps von A bis Z

∎Aberglaube: Vor allem in Süditalien sind die Menschen sehr abergläubisch. Immer wieder wird in den Tageszeitungen von Spontanheilungen längst Totgesagter berichtet, denen meist eine Heiligenerscheinung vorausging. Aber auch in Norditalien gehört es zum Konsens, gewisse Rituale zu befolgen, um drohendes Unheil abzuwenden. Kaum ein Italiener, der nicht vorbeugend die corne, die Teufelshörner, mit dem ausgestreckten kleinen Finger und dem Zeigefinger zeigt, wenn etwa ein Leichenwagen vorbeifährt. Mit dieser Geste soll der Teufel vertrieben werden. Welche Ausmaße der Wunderglaube der Italiener dabei annehmen kann, belegt das Beispiel der Verehrung des Padre Pio (siehe hierzu auch den Abschnitt „Glaube und Aberglaube“ ab Seite 107).

∎Alkohol: Der Wein gehört grundsätzlich zum Mittag- und Abendessen dazu, aber in Maßen. Zu trinken, ohne dabei etwas zu essen, ist nicht üblich. In den Bars werden zum Bier gerne Chips, Oliven oder Salzstangen gereicht. Italiener schätzen zwar die anregende Wirkung des Alkohols, aber sie mögen es nicht, betrunken zu sein und die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. In Nord- und Mittelitalien, vor allem in Venetien und Trentino/Südtirol, wird deutlich mehr getrunken als im Süden.

∎Ansehen, Gesicht wahren: In Italien bezeichnet man ein blamables Verhalten als figuraccia, das Gegenteil dessen aber als fare una bella figura („eine gute Figur machen“). Die Ausdrücke beziehen sich sowohl auf das äußere Erscheinungsbild als auch auf das Verhalten. Gute Kleidung spielt vor allem in den Großstädten des Landes eine wichtige Rolle. Eine „gute Figur“ macht beispielsweise auch ein witziger Gesprächspartner. Männer sollten Frauen gegenüber zuvorkommend sein, auch eine gewisse Großzügigkeit gehört zum guten Ton. Wer Geschenke macht, überlegt lange, was gut ankommen könnte. Der Beschenkte wiederum ist verpflichtet, sich überschwänglich zu bedanken, wenn er eine gute Figur machen will, auch wenn ihm das Geschenk gar nicht gefällt. Schwierig wird es, wenn es darum geht, eigene Fehler zuzugeben, denn das würde einen Gesichtsverlust bedeuten. Schuld sind dann meistens die anderen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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