17,99 €
Als junger Mann bricht Robert Louis Stevenson auf zu einer eigenwilligen Reise: Gemeinsam mit der Eselin Modestine durchwandert er die französischen Cevennen. Ausgerüstet mit einem eigens entworfenen Schlafsack, einem Revolver gegen Wölfe und Räuber, Weißbrot für sich und Schwarzbrot für den Esel, sucht Stevenson die Einsamkeit. Und entdeckt als Erstes, dass Modestine ihren eigenen Willen hat. Während sich die ungleichen Wandergesellen langsam anfreunden, erkundet Stevenson die Geheimnisse der Landschaft und ihrer Bewohner. Denn eines weiß er sicher: Reisen muss man um des Reisens willen. Stevensons geistreicher wie humorvoller Reisebericht gilt als Meisterwerk der frühen Reiseliteratur und wurde vom Guardian unter die hundert besten Sachbücher aller Zeiten gewählt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 212
Veröffentlichungsjahr: 2025
Gemeinsam mit der Eselin Modestine durchwandert der junge Robert Louis Stevenson die französischen Cevennen. Mit Schlafsack und Neugier im Gepäck sucht er die Einsamkeit, erkundet die Geheimnisse der Landschaft – und unterliegt nicht selten dem Willen seiner schelmischen Begleiterin. Ein geistreiches, humorvolles Meisterwerk der frühen Reiseliteratur.
Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.
Robert Louis Stevenson (1850–1894), geboren in Edinburgh, unternahm zeit seines Lebens ausgedehnte Reisen. Mit Werken wie Die Schatzinsel und Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde erlangte der Schriftsteller, Essayist, Abenteurer, Dandy und Familienmensch Weltruhm.
Zur Webseite von Robert Louis Stevenson.
Susann Urban studierte Germanistik, Anglistik und Politikwissenschaft. Nach vielen Jahren im Buchhandel arbeitet sie heute als Lektorin und als freie Übersetzerin aus dem Englischen.
Zur Webseite von Susann Urban.
Ilija Trojanow (*1965) floh als Kind mit seiner Familie aus Bulgarien nach Deutschland. Er lebte in Nairobi, Paris, München, Mumbai und Kapstadt; studierte Rechtswissenschaften und Ethnologie und gründete zwei Verlage. Seine Romane und Reisereportagen wurden mehrfach ausgezeichnet. Er lebt in Wien.
Zur Webseite von Ilija Trojanow.
Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)
Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.
Robert Louis Stevenson
Reise mit einer Eselin durch die Cevennen
Mit einem Vorwort von Ilija Trojanow
Aus dem Englischen von Ilija Trojanow und Susann Urban
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.
Die Originalausgabe erschien 1879 bei C. Kegan Paul & Co, London.
Das Zitat aus Sophokles’ Antigone folgt der Übersetzung von Friedrich Hölderlin.
Das Zitat aus John Bunyans’ Pilgerreise folgt der Übersetzung von Heinrich Ranke.
Originaltitel: Travels with a Donkey in the Cevennes
© des Vorworts by Ilija Trojanow 2025
© by Unionsverlag, Zürich 2025
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Esel - Iconographic Archive; Karte - Antiqua Print Gallery (beide Alamy Stock Photo) S. 2: Holzschnitt von Walter Crane, Frontispiz der ersten englischen Ausgabe (1879) (Classic Image/Alamy Stock Photo) Die Illustrationen im Kapitel »Eine Bergstadt in Frankreich« stammen von Robert Louis Stevenson selbst.
Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz
ISBN 978-3-293-31201-2
Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte
Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)
Version vom 13.08.2025, 12:02h
Transpect-Version: ()
DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.
Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.
Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.
Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.
Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.
E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.
Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.
Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags
Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
REISE MIT EINER ESELIN DURCH DIE CEVENNEN
Ilija Trojanow: Wenn einer aufbricht …Die ReiseDer SchriftstellerDie EselinVelayEselin mit Sack und PackGrün hinter den EselsohrenMein ist der StachelOberes GévaudanEin Lager im DunkelnCheylard und LucUnsere Liebe Frau vom SchneePater ApollinarisDie MöncheDie PensionsgästeOberes Gévaudan (Fortsetzung)Über den GouletEine Nacht unter KiefernDas Land der KamisardenÜber den LozèrePont de MontvertIm Tal des TarnFloracIm Tal der MimenteDas Herz des LandesDer letzte TagLeb wohl, Modestine!Eine Bergstadt in FrankreichAnmerkungenAbbildungsverzeichnis
Mehr über dieses Buch
Über Robert Louis Stevenson
Über Susann Urban
Über Ilija Trojanow
Andere Bücher, die Sie interessieren könnten
Zum Thema Schottland
Zum Thema Frankreich
Zum Thema Reise
Zum Thema Abenteuer
Ilija Trojanow
Wenn ein Esel auf Reisen geht,wird er nicht als Pferd nach Hause kommen.
Französisches Sprichwort
Le Monastier, Pradelles, Langogne, Notre-Dame-des-Neiges, Montagne du Goulet, Pic de Finiels, Le Pont-de-Montvert, Florac, Gorges du Tarn, Saint-Jean-du-Gard, die Namen klingen magisch, eine Karte voller klingender Verheißungen – Städtchen, Berge, Täler, Flüsse – und ein Versprechen von Wildnis und Einsamkeit. Ein näherer Blick offenbart: Die Strecke ist weit, zweihundertzwanzig Kilometer lang, durch entlegene Gebiete vierer Départements – Haute-Loire, Lozère, Ardèche und Gard –, über zwei Gipfel, den Goulet und den Pic de Finiels. Wenn man bedenkt, dass der Reisende gerade einmal zwölf Tage für seine Wanderung benötigte, verwandelt sich die Verheißung in Pein. Der junge Mann bricht am Sonntag, dem 22. September 1878 in Le Monastier auf; er erreicht am Nachmittag des 3. Oktober Saint-Jean-du-Gard. Unterwegs verbringt er drei Nächte unter dem Sternenhimmel, sieben Nächte in Landgasthöfen und übernachtet einmal im Trappistenkloster Notre-Dame-des-Neiges. Er verfasst ein Tagebuch, fertigt ein Dutzend Bleistiftskizzen an und gibt unterwegs fünfundachtzig Francs aus. Und er lernt eine Eselin kennen.
Zu jener Zeit waren vergnügliche Wanderungen – auch wenn einige der romantischen Dichter gut zu Fuß waren, siehe Wordsworth oder Hölderlin – sowie das Zelten unter freiem Himmel alles andere als üblich. Die Wildnis lockte nicht als Spielstätte eigener Grenzerfahrung, sondern bedrohte als unwägbare Gefahr die fragile Existenz des Menschen. Sich ihr ohne Grund und Not auszusetzen, stieß auf wenig Verständnis, erst recht bei den französischen Bauern, denen unser Reisender begegnet. Die Natur wird heutzutage in unseren Breiten – aus der Distanz einer gesicherten Zivilisation – als malerisch wahrgenommen, als ästhetischer Genuss, für den man einige Mühsal auf sich nehmen muss. Das gegenwärtige Abenteuer – wie mittlerweile fast jede Reise jenseits des touristischen Katalogs bezeichnet wird – wird motiviert von der Sehnsucht nach dem Entschwundenen. Uns droht die Wildnis auszugehen, wenn wir als Zivilisation weiterhin in alle Richtungen wachsen. Als ich vor mehr als zwanzig Jahren zu Fuß durch Tansania ging, auf den Spuren des frühen Forschungsreisenden Richard Francis Burton, dessen Schriften Stevenson mit Sicherheit kannte, bestand die Faszination in der Erfahrung, ausgesetzt zu sein ohne das Geländer der Moderne. Eine Schnellstraße durchzieht den Nationalpark, Gleise queren das Naturreservat, darüber hinaus aber waren wir gänzlich auf uns gestellt, wenn auch ausgestattet mit Astronautennahrung und allem, was die Wander- und Zeltbranche an leichtem und robustem Zubehör zum Verkauf anbot.
Stevenson hingegen musste seine Ausrüstung, die er genüsslich beschreibt, selbst konzipieren, bis hin zur Erfindung eines neues Zelttypus. Sein Bericht ist aufgespannt zwischen einer romantischen Haltung zur Natur und unserer modernen Entfremdung, eine positive Irritation, die durch die Süffisanz und Ironie des Stils verstärkt wird. Ambivalenzen durchziehen diesen Text wie Goldadern: Die Neugier des Reisenden stolpert gelegentlich über eine britische Hochnäsigkeit, die auch dem bekennenden Schotten Stevenson nicht fremd ist. Die Wut auf seine Eselin wird gelegentlich von Zuneigung aufgefangen, die schließlich im rührenden Abschiedsschmerz endet. Die Konstitution des Reisenden, der in seiner Schilderung als kerniger Naturbursche erscheint, war in Wirklichkeit ein Leben lang schwach, er kränkelte oft und war häufig bettlägerig. Dieser Bildungsbürger inszeniert sich als mutiger Draufgänger, der bewusst sein Leben als Abenteuer konzipiert: »Odysseus, der auf Ithaka zurückgelassen und dessen Geist von einer Göttin vernebelt wurde, hätte sich nicht wohliger verirrt fühlen können. Zeitlebens bin ich auf der Suche nach einem Abenteuer, einem reinen, leidenschaftslosen Abenteuer gewesen, wie es den frühen, heldenhaften Reisenden widerfahren ist. Und so fand ich mich am Morgen in einer zufälligen Waldecke in Gévaudan wieder – ohne zu wissen, wo Nord oder Süd war, so fremd in meiner Umgebung wie der erste Mensch auf der Erde, ein Schiffbrüchiger im Landesinneren – und ein Bruchteil meiner Tagträume hatte sich verwirklicht.« Dies ist allerdings weniger paradox, als es auf den ersten Anhieb scheint, denn bei jeder Reise, die diesen Namen verdient, geht es eher um die Erfahrung der Desorientierung als um die Bewältigung der Entfernung. Entscheidend ist, sich zu verlieren und sich wiederzufinden, sich den Überraschungen und Geheimnissen der Fremde auszusetzen.
Eines Abends vertraut Stevenson seinem Tagebuch an: »Ich für meinen Teil reise nicht, um an einen Ort zu gelangen, sondern um unterwegs zu sein. Ich reise um des Reisens willen. Es geht darum, in Bewegung zu sein, die Anforderungen und Schwierigkeiten des Lebens intensiver zu spüren, von dieser mit Federn gefüllten Zivilisationsmatratze zu steigen und festzustellen, dass der Globus unter den Füßen granithart und mit scharfen Steinen übersät ist.« Die Cevennen haben ihn diesbezüglich bestimmt nicht enttäuscht. Die Reise ist geprägt von körperlichen Strapazen und schweißtreibenden Herausforderungen, die sein Bewusstsein erweitern, so als wäre er auf Pilgerschaft.
Kein Wunder, dass sein kurzes Verweilen bei den Trappisten eines der bemerkenswertesten Kapitel des Buches bildet. Auch wenn manches Stevenson befremdet oder gar abstößt, fühlt er sich als skeptischer Reisender vom Klosterleben angezogen. Der radikale Lebensentwurf spricht den Künstler in ihm an. Die Askese, das Schweigen, die Disziplin, das geistige Streben, die entschiedene Klarheit des Ziels, die Abwesenheit jeglicher Ablenkung und die lebenslange Selbstverpflichtung erscheinen ihm als nachahmenswerte Ideale in seinem Selbstverständnis als Schriftsteller. Das Leben als Mönch bietet eine andere Form der Reise.
Bei unserem Reisenden Robert Louis Stevenson handelt es sich um einen der großen Erzähler des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der im September 1878 siebenundzwanzig Jahre alt war, gut Französisch sprach und bereits mehrere Sommer im Ausland verbracht hatte, unter anderem in der Nähe von Fontainebleau sowie auf den Kanälen in Holland, wo er mit einem Freund im Kanu herumpaddelte. Aus dieser Erfahrung war sein wenig beachtetes erstes Buch entstanden (An Inland Voyage).
Wieso es ihn nach Le Monastier verschlug, eine abgelegene Kleinstadt in den Cevennen, ist nicht bekannt, gewiss ist nur, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits den Entschluss gefasst hatte, Schriftsteller zu werden, obwohl er, abgesehen von einigen Essays in Zeitschriften, wenig vorzuweisen hatte, viel zu wenig, um von seiner einflussreichen und wohlhabenden Familie in Edinburgh unabhängig zu sein. Stevenson wuchs in einer streng calvinistischen Atmosphäre auf, und sein Vater erwartete, dass er die Ingenieurslaufbahn einschlug. Doch stattdessen flanierte der störrische Sohn als literarischer Bohemien mit breitkrempigem Hut und Samtjacke durch London und entschwand nach Frankreich, wann immer sich die Gelegenheit bot. Ein Mann an einer entscheidenden Kreuzung seines Lebens.
Stevenson zog es aus einem weiteren Grund in die Berge – er floh vor seinen Gefühlen und der eigenen Courage. Kurz zuvor hatte er sich in einer Künstlerkolonie in der Nähe von Paris in eine verheiratete Amerikanerin verliebt. Eines Juliabends 1876 saßen die Mitglieder einer Phalanstère (einer Art Kommune nach Vorbild des französischen utopischen Sozialisten Charles Fourier) um einen langen Holztisch zusammen, Krüge mit Wein machten die Runde, das gesellige Gelächter entflog durch die offenen Fenster des Speisesaals in die warme Nacht, als das Klacken von Stiefeln zu vernehmen war und eine staubige Gestalt mit Schlapphut und Rucksack auftauchte. »Mr Louis Stevenson«, wie sein anwesender Cousin ihn vorstellte. Was zu jenem Zeitpunkt niemand wusste: Unser Held hatte minutenlang draußen ausgeharrt, gebannt von dem Anblick eines bestimmten Gesichtes am Tisch, das Fanny Osbournes. Als der Sommer verflogen war, zog sie mit ihren Kindern nach Paris und Stevenson mietete ein Zimmer in ihrer Nähe. Es dauerte eine Weile, aber nach zwei Jahren wurde die Sache zwischen den beiden allmählich ernst. Erst wenige Monate zuvor hatte Fanny plötzlich verkündet, dass sie nach Kalifornien zurückkehren werde. Als Stevenson seine Eselin bepackte, litt er unter den Qualen einer Trennung über den Ozean hinweg, das Schicksal seiner Liebesbeziehung stand in den Sternen.
Seine Verfasstheit ist aus seinem ausführlichen Tagebuch, das später separat als Cévennes Journal veröffentlicht wurde, deutlicher herauszulesen. Die Unterschiede zwischen dem Tagebuch und dem veröffentlichten Reisebericht sind erheblich, denn im Nachhinein hat Stevenson alle persönlichen Passagen getilgt. Es war nicht seine Absicht, sein endgültiges Entree als Schriftsteller mit einer gefühlsbetonten Autobiografie zu gestalten. Stattdessen kleidet er sich geschickt in ein Gewand, dessen Stoff aus romantischen Fetzen besteht, die Naht hingegen aus selbstironischer Distanz. Zum Beispiel in dieser bezeichnenden Reflexion bei seinem Besuch in dem bereits erwähnten Kloster: »… rückblickend wundert es mich nicht, dass ich mit einem Kopf voller Grillen in den Innenhof flüchtete und verwirrt in der windigen Sternennacht stand.« Statt rührender, selbst komponierter Gebete, wie er sie in seinem Tagebuch notiert, statt Oden an die Freundschaft oder an die Liebe zu verfassen, zitiert er in seiner präzise betitelten Reiseerzählung Travels with a Donkey in the Cévennes ein verfängliches französisches Volkslied:
Que t’as de belles filles,
Giroflé!
Girofla!
Que t’as de belles filles,
L’amour les comptera!
Die Hauptfigur dieser Erzählung trägt den Namen Modestine. Sie ist keineswegs »bescheiden«, »demütig«, »unauffällig«, »mäßig«, »sanft« oder »friedlich«, wie ihr Name hoffen lässt. Vom ersten Tag an hat Stevenson seine liebe Mühe mit diesem Grautier, nicht zuletzt, weil er von der Eseltreiberei keine Ahnung hat und in seiner Verzweiflung zwischen zärtlichen Gefühlen und Tierquälerei hin und her schwankt. Auch wenn Modestine über Seiten und Tage hinweg in den Hintergrund gerät, so ist ihre Anwesenheit stets spürbar. Sie trägt nicht nur das bescheidene Gepäck unseres Reisenden durch die Cevennen, sie trägt ebenso die Leserin, den Leser durch seinen Bericht. Es gelingt Stevenson, dem facettenreichen Topos der »Eselei« etwas Neues hinzuzufügen, denn der Esel ist nicht nur ein Packtier, sondern auch eine beliebte Figur der Literatur.
Meine eigene donkey education begann mit Eeyore, dem der Melancholie zugeneigten Freund von Winnie-the-Pooh. Ebenso prägend war für mich der namenlose Esel in den oft bissigen Humoresken des Nasreddin Hodscha. Später fand ich Gefallen an dem goldenen Esel von Apuleius, dem ältesten vollständig erhaltenen Roman der römischen Antike. Und unvergesslich bleibt der tief anrührende Esel Balthasar aus Robert Bressons Film Zum Beispiel Balthasar (Bressons Adaptation von Dostojewskis Der Idiot weist dem Esel die Rolle des gütigen und naiven Prinzen Myschkin zu).
Jeder von uns wird mit unterschiedlichen literarischen Eseln aus dem Märchenschatz der Brüder Grimm aufgewachsen sein, sei es dem Esel der Bremer Stadtmusikanten, der einen der legendärsten Grautiersätze aller Zeiten von sich gibt: »Etwas Besseres als den Tod findest du überall«, oder dem sprichwörtlichen Dukatenesel aus der Geschichte »Tischlein deck dich«.
Zweifellos ist der Esel in der anthropomorphischen Aneignung subversiver als das Pferd. Auf keinem Wappen prangt ein Esel, auf keiner Fahne oder Flagge, im Gegensatz zum Pferd, einem Liebling der Heraldik, Folge der Rossisierung der Welt, jener erstaunlichen Geschichte der Domestizierung und Zucht von edlen Hengsten und Stuten. Pferde spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau von Imperien, Esel hingegen verweigern sich seit je jeglichem Pathos. Pferde wurden die längste Zeit der menschlichen Zivilisation eingesetzt, um Krieg zu führen, Esel, um Lasten zu tragen und uns zum Nachdenken zu bringen. Der Araberhengst symbolisiert Stolz, ein andalusischer Großesel hingegen Dickköpfigkeit. Dies tritt klar zutage in dem epochalen Roman Don Quijote von Miguel de Cervantes. Der Möchtegernritter reitet auf seiner Rosinante, sein Diener Sancho Panza begleitet seinen Herrn in Ermangelung eines Pferdes auf einem Esel, der anonym bleibt. Gelegentlich spricht er ihn mit Rucio an, was aber nichts anderes als »Graumelierter« bedeutet.
Vielleicht haben sich die Stiche in früheren Ausgaben des Buches sowie die vielen Illustrationen, die der französische Maler und Grafiker Honoré Daumier aus der Don-Quijote-Geschichte imaginiert hat, in unsere Fantasie eingegraben, sodass wir den schwarzen Don auf seinem Pferd vor einem hellen Himmel in einer kargen Landschaft vor uns sehen, seine Pose selbstherrlich und zielstrebig, aber auch seltsam sinnlos, die Lanze hochgereckt, als wäre er ein Ritter aus alter Zeit, und ihm auf einem Esel hinterherzuckelnd der weniger stattliche Sancho Panza, die irdische Verbundenheit in doppelter Person.
Unweigerlich denken wir angesichts der eigenwilligen Modestine an die vielen anderen Esel, die uns durch die Kulturgeschichte begleiten, sei es in religiösen Mythen (Jesus reitet auf einem Esel nach Jerusalem ein); sei es in der sprichwörtlichen Metapher der Karotte, die dem geschundenen Esel als Anreiz vors Maul gehalten wird (das Sprichwort belässt es bei der bildlichen Darstellung und gibt keine Auskunft darüber, ob sich der laut den Stereotypen störrische, faule und dumme Esel daraufhin tatsächlich bewegt); sei es in der Philosophie (Buridans Esel, der verhungert, weil er sich nicht zwischen zwei gleichweit von ihm entfernten Heuhaufen entscheiden kann). Dem hochgebildeten Robert Louis Stevenson wird all dies durchaus bewusst gewesen sein, und so scheint im Nachhinein die Wahl von Modestine als Begleiterin weniger dem Zufall geschuldet als dem gewieften Kalkül eines jungen Schotten, der beschlossen hatte, zunächst die Cevennen und dann die literarische Welt zu erobern.
Mein lieber Sidney Colvin1,
die Reise, von der dieses Büchlein erzählt, verlief unter günstigen Umständen und war sehr vergnüglich. Nach holprigem Anfang lachte mir bis zum Schluss das Glück. Wir sind alle Reisende durch die Wildnis der Welt, wie John Bunyan sagt – und wir sind alle Reisende mit einem Esel, und das Beste, was wir auf unseren Reisen finden können, ist ein wahrer Freund. Wer viele findet, der ist ein glücklicher Reisender. Eigentlich reisen wir, um solche zu finden. Sie sind Ziel und Lohn des Lebens. Sie sorgen dafür, dass wir unserer selbst würdig bleiben, und wenn wir allein sind, fühlen wir uns ihnen nur noch näher.
Jedes Buch ist im Grunde genommen ein Rundbrief an die Freunde des Verfassers. Sie allein verstehen seinen Sinn; auf jeder Seite stoßen sie auf Botschaften, Liebesbekundungen und Danksagungen, die für sie gedacht sind. Die Öffentlichkeit ist lediglich der großzügige Gönner, der das Porto übernimmt. Obwohl sich dieser Brief an alle wendet, besteht doch der alte, liebenswerte Brauch, ihn an einen einzigen Adressaten zu richten. Worauf kann ein Mensch stolz sein, wenn nicht auf seine Freunde? Und so, mein lieber Sidney Colvin, unterschreibe ich voller Stolz:
Herzlich,
Dein
R. L. S.
Ungeheuer ist viel. Doch nichts
Ungeheuerer als der Mensch …
Und der Himmlischen erhabene Erde,
Die unverderbliche, unermüdete,
Reibet er auf.
SOPHOKLES
Wer hat dem Wildesel die Bande gelöst?
HIOB, 39,5
In einem kleinen Ort namens Le Monastier, in einem hübschen Bergtal fünfzehn Meilen außerhalb von Le Puy gelegen, verbrachte ich einen angenehmen Monat. Le Monastier ist berühmt für Spitzenherstellung, Trunkenheit, sprachlichen Eigensinn und einzigartige politische Zwietracht. In diesem Gebirgsdorf tummeln sich Anhänger der vier französischen Parteien – Legitimisten, Orléanisten, Imperialisten und Republikaner1 – einander spinnefeind und in Hass verbunden, die sich beschimpfen und verleumden. Wenn sie nicht Geschäfte miteinander treiben, verzichten sie sogar auf jegliches zivile Verhalten, es sei denn, sie bezichtigen sich in der Kneipe gegenseitig der Lüge. Es geht hier zu wie in Polen2. Inmitten dieses Babylons war ich ein Ruhepol, ein jeder war bestrebt, sich diesem Fremden gegenüber freundlich und hilfsbereit zu erweisen. Das war nicht allein der natürlichen Gastfreundschaft der Bergbewohner geschuldet und auch nicht der Verblüffung, dass ein Mensch aus freien Stücken in Le Monastier lebte, obwohl ihm die weite Welt zur Verfügung stand. Es lag vor allem an meinem geplanten Ausflug nach Süden, durch die Cevennen. Einen Reisenden wie mich hatte die Gegend noch nie gesehen. Man betrachtete mich mit einer gewissen Geringschätzigkeit, wie einen Mann, der eine Reise zum Mond plant, und zugleich mit respektvoller Neugier, wie sie jemandem gebührt, der sich zum rauen Nordpol aufmacht. Alle halfen mir bereitwillig bei meinen Vorbereitungen; eine Schar von Sympathisanten stärkte mir beim Abwickeln der Geschäfte den Rücken; jeder Fortschritt musste mit erhobenem Glas und einem Abendessen oder Frühstück gefeiert werden.
Der Oktober war schon weit vorangeschritten, als ich bereit zum Aufbruch war. In den höheren Lagen, über die mein Weg führen würde, war der Altweibersommer schon verflogen. Und doch war ich entschlossen, wenn möglich zu kampieren, sodass ich alle dafür notwendigen Utensilien mit mir führte; denn es gibt nichts, was einem einfachen Gemüt mehr zu schaffen macht, als die Notwendigkeit, bei Einbruch der Dämmerung unbedingt eine Unterkunft erreichen zu müssen, zumal einem, das zu Fuß unterwegs ist und daher in einem Dorfgasthof nicht immer freundlich empfangen wird. Ein Zelt ist, erst recht für den einsamen Reisenden, mühsam auf- und abzubauen und auf einem solchen Marsch ein auffälliger Bestandteil des Gepäcks. Ein Schlafsack hingegen ist stets einsatzbereit – man muss nur hineinschlüpfen; zudem erfüllt er einen doppelten Zweck – nachts ein Bett, tagsüber ein Mantelsack –, und verkündet nicht weithin sichtbar jedem neugierigen Vorübergehenden, dass man zu kampieren beabsichtigt. Das ist ein wichtiger Aspekt, da nur ein geheimes Lager ruhige Rast garantiert. Andernfalls wird man zu einer Person des öffentlichen Interesses; der leutselige Einheimische sucht einen nach dem frühen Abendessen auf; man muss mit einem offenen Auge schlafen und vor Tagesanbruch aufstehen. Ich entschied mich daher für einen Schlafsack, und nach wiederholten Besuchen in Le Puy und fröhlichen Zusammenkünften mit meinen Beratern wurde ein solcher entworfen, genäht und triumphierend nach Hause gebracht.
Meine stolze Kreation3 umfasste fast sechs Fuß im Quadrat, ausgenommen zwei dreieckige Klappen, die nachts als Kopfkissen und tagsüber als Ober- und Unterseite des Sacks dienten. Höflich bezeichne ich sie als »Sack«, obwohl sie diesen Namen nicht verdiente und eher einer langen Rolle oder Wurst ähnelte, außen grünes, wasserdichtes Segeltuch und innen blaues Schafsfell – als Reisetasche geräumig, als Bett warm und trocken. Sie bot reichlich Raum zum Hin- und Herwälzen, und zur Not hätte das Ding auch zwei Menschen beherbergt. Ich konnte mich bis zum Hals darin vergraben, den Kopf schützte eine Pelzmütze mit Klappen, die ich über die Ohren ziehen, sowie ein Band, das ich wie eine Schutzmaske über die Nase schieben konnte. Für den Fall, dass es stark regnete, würde ich mir mit meinem wasserdichten Mantel, drei Steinen und einem gebogenen Ast ein kleines Zelt bauen.
Man kann sich leicht vorstellen, dass ich dieses riesige Paket nicht auf meinen eigenen kümmerlichen Schultern tragen konnte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ein Lasttier zu wählen. Das Pferd ist die feine Dame unter den Tieren, flatterhaft, ängstlich, empfindlich beim Essen, von zarter Gesundheit; es ist zu wertvoll und zu unruhig, man kann es nicht allein lassen, ist also an sein Tier gekettet wie an den nächsten Galeerensklaven. Eine gefährliche Straße bringt es um den Verstand; kurzum, es ist ein unsicherer und anspruchsvoller Verbündeter und vergrößert die Schwierigkeiten des Reisenden um das Dreißigfache. Was ich brauchte, war etwas Billiges, Kleines, Widerstandsfähiges, mit einem ruhigen und friedlichen Gemüt, und sämtliche diese Anforderungen sprachen für einen Esel.
In Le Monastier lebte ein alter Mann, der von den Straßenjungen angepöbelt wurde, nach Meinung mancher von unzureichendem Verstand und als Vater Adam bekannt war. Er besaß einen Karren und als Zugtier eine kleine Eselin von der Größe eines Hundes und der Farbe einer Maus, das Auge freundlich, der Unterkiefer steif. Die Schelmin hatte etwas Adrettes und Zivilisiertes an sich, eine friedfertige Eleganz, die mir auf Anhieb gefiel. Unsere erste Begegnung fand auf dem Marktplatz statt. Um die freundliche Natur der Eselin zu beweisen, wurde ein Kind nach dem anderen auf ihren Rücken gesetzt, und eines nach dem anderen in die Luft geschleudert, bis den jungen Gemütern das Vertrauen ausging und man das Experiment aus Mangel an Probanden beendete. Mich begleitete eine Ansammlung von Freunden, doch als wäre dies nicht genug, kamen alle Käufer und Verkäufer des Städtchens herbei und halfen mir bei den Verhandlungen – das Grautier, Vater Adam und ich waren eine geschlagene halbe Stunde lang Mittelpunkt des Trubels. Schließlich ging die Eselin für fünfundsechzig Francs und ein Glas Brandy in meinen Dienst über. Da der Sack bereits achtzig Francs und zwei Gläser Bier gekostet hatte, erwies sich Modestine, wie ich sie sogleich taufte, in jeder Hinsicht als preiswerteres Utensil. Das war auch recht so, denn Modestine war nur ein Anhängsel meiner Matratze, so etwas wie ein selbsttätiges Bettgestell auf vier lenkbaren Rollen. Bei meiner letzten Unterredung mit Vater Adam, als ich ihm in einem Billardzimmer, die Geisterstunde des Morgengrauens dämmerte heran, den Brandy verabreichte, zeigte er sich tief berührt von der Trennung und erklärte, er habe oft Weißbrot für seinen Esel gekauft, während er sich selbst mit Schwarzbrot begnügt habe, aber das war laut verlässlicher Quelle reine Fantasterei. Im Dorf hatte er den Ruf, die Eselin brutal zu misshandeln, und doch vergoss er zweifellos eine Träne, und die Träne hinterließ auf seiner rechten Wange eine saubere Rinne.