Reise um die Erde in 80 Tagen - Jules Verne - E-Book

Reise um die Erde in 80 Tagen E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Im Londoner Reform-Club schließt ein reicher spleeniger Engländer eine Wette ab: Er will in 80 Tagen um die Erde reisen. Sein Name ist Phileas Fogg. Damit beginnt die verrückteste Reise, die man sich vorstellen kann. Mr Fogg setzt sein ganzes Vermögen ein und besteigt noch am selben Abend den Zug nach Dover.

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ARENA KINDERBUCH-KLASSIKER

Der Herausgeber

Friedrich Stephan,geboren 1944, ist Lehrer für Englisch und Latein undLehrerausbilder für Englisch im Ruhestand.Er betreut die von seiner verstorbenen Frau Freya Stephan-Kühn begründete umfangreiche historische KinderbuchsammlungStephan-Kühn, in der sich viele deutsche und internationale Kinderbuchklassiker befinden.Für die Reihe der ARENA-Kinderbuchklassiker hat er mehrereenglische Texte neu ins Deutsche übersetzt, andere gekürzt und bearbeitet. Darüber hinaus engagiert er sich imBundeswettbewerb Fremdsprachen und als Großvater.

Titel

Jules Verne

Reise um die Erdein 80 Tagen

Aus dem Französischenvon Gisela Geisler

Impressum

Erste Veröffentlichung als E-Book 2012Lizenzausgabe für den Arena Verlag GmbH, Würzburg, mit Genehmigung der Büchergilde Gutenberg© 1968 Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am MainTitel der Originalausgabe: Le tour du monde en quatre-vingt jours© der vorliegenden Ausgabe: 1999 Arena Verlag GmbH, WürzburgAlle Rechte vorbehaltenAus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Gisela GeislerEinbandillustration: Klaus SteffensISBN 978-3-401-80184-1www.arena-verlag.de

Vorwort

von Christoph Biemann

Als Jules Verne vor 140 Jahren sein Buch »Reise um die Erde in 80 Tagen« schrieb, war für seine Leser eine Weltumrundung eine Sensation. Und die in nur 80 Tagen zu schaffen, schien einfach unglaublich. Seitdem hat sich viel verändert: Würde man heute versuchen, möglichst schnell um den Globus zu kommen, wäre es mit dem Flugzeug wahrscheinlich an einem Tag zu schaffen.

Aber was hätte man davon? Eigentlich wäre das ziemlicher Quatsch und genauso unsinnig wie die Hetzjagd um die Erde, die Phileas Fogg veranstaltet, weil er seine Wette gewinnen will. Ihm geht es nicht darum, die Welt kennenzulernen. Ihm ist es nicht wichtig, mehr über andere Länder und Völker zu erfahren. Weil Phileas Fogg seine Scheuklappen nicht ablegen will, verliert er am Ende fast seine Wette. Da wäre die Reise wirklich beinahe umsonst gewesen. Sie ist es glücklicherweise jedoch nicht für den Leser dieser Geschichte. Denn der kann viel erfahren von der Welt, Dinge, die Phileas Fogg fast übersieht. Und man erfährt etwas über das Reisen vor 140 Jahren; einer Zeit, in der Reisen ein großes Abenteuer war.

Wer heute reist, hat selten die Möglichkeit, ein richtiges Abenteuer zu erleben. Unsere Reiseabenteuer beschränken sich vielleicht auf eine Einladung, in einem kleinen Fischerboot aufs Meer zu fahren. Vielleicht auch nur auf eine Autopanne, bei der wir hilfsbereite, freundliche Leute treffen – oder einen betrügerischen Taxifahrer. Wer heute verreist, ist oft nicht unterwegs, um unbekannte Gebiete zu entdecken und fremde Völker kennenzulernen. Meist verreisen wir, um uns zu erholen, die Sonne zu genießen und am Strand zu liegen.

Müssen wir traurig darüber sein, dass wir nicht die Abenteuer erleben können, die Phileas Fogg in diesem Buch erlebt? Keineswegs, denn wir können seine Abenteuer am Strand oder vom Sessel aus miterleben, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Denn mal ehrlich: Vielen von uns ist eine Fahrt in einem kleinen Fischerboot eigentlich schon gefährlich genug, oder wollten wir wirklich von Räubern oder Terroristen entführt werden?

Ich jedenfalls folge lieber den Reisen, die Jules Verne in diesem Buch so spannend beschreibt. Wenn ich so richtig ins Schmökern komme, ist es so, als wenn ich selbst mit auf der Reise wäre. Lieber fiebere ich mit den Helden der Bücher mit, als selbst in Gefahr zu sein. Und begleitet von den skurrilen Spinnern, die die Bücher von Jules Verne bevölkern und so spannend und lustig machen, liege ich gern in meinem Liegestuhl und schmunzele vor mich hin.

Wer liest, lebt mehr als ein Leben – und viele Abenteuer! In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß bei der spannenden Reise um die Welt in 80 Tagen!

Im ersten Kapitel

bekommt Phileas Fogg einen neuen Diener namens Passepartout und Passepartout einen neuen Herrn namens Phileas Fogg

Im Jahre 1872 bewohnte Phileas Fogg die Nr. 7 der Savile Row, Burlington Gardens – dasselbe Haus, in dem Richard B. Sheridan, eines der größten englischen Rednertalente, im Jahre 1816 verschieden war.

Phileas Fogg trachtete danach, durch nichts und niemanden aufzufallen; und doch zählten ihn seine Zeitgenossen zu den eigenwilligsten und berühmtesten Mitgliedern des Londoner Reform Club. Darüber hinaus wusste man so gut wie nichts von ihm, es sei denn, dass er ein vollkommener Gentleman und eine der elegantesten Erscheinungen der englischen Oberschicht war.

Man sagte ihm Ähnlichkeit mit Lord Byron nach – natürlich nur in den Gesichtszügen; denn Mr Foggs Füße waren tadellos geformt. Vom echten Byron unterschieden ihn auch der modische Schnauz- und Backenbart, aber er trug sich mit derselben erhabenen Gelassenheit wie sein Vorbild, dem sogar 1000 Lebensjahre keine Altersspuren aufgedrückt hätten.

Phileas Fogg stammte vielleicht nicht aus London, aber Engländer war er gewiss. Jeder Zweifel an seiner Nationalität war ausgeschlossen. Man traf ihn allerdings nie an der Börse, in der Bank von England oder in einem der Handelskontore in der City. Im Londoner Hafen und in den Docks suchte man vergeblich nach einem Schiff, dessen Reeder Phileas Fogg hieß. Unser Gentleman gehörte nicht einmal irgendeinem Aufsichtsrat an. Niemals erhob er die Stimme in einem Anwaltsgremium, nicht im Temple und auch nicht in Lincoln’s Inn oder Gray’s Inn. Phileas Fogg pflegte weder beim Obersten Gerichtshof noch beim Kanzleigericht, beim Appellationsgericht oder beim Geistlichen Gerichtshof zu plädieren. Er war weder Industrieller noch Kaufherr oder Landwirt. Er gehörte nicht zu den Mitgliedern des Königlichen Institutes von Großbritannien, des Londoner Institutes, der Kunstakademie oder des Russell-Institutes, der Literarischen Gesellschaft des Westens oder der Vereinigung der Rechtsanwälte. Er war auch nicht bei der Gesellschaft der Wissenschaft und Künste eingeschrieben, die sich des Patronates Ihrer Majestät der Königin erfreute. Und schließlich besuchte er auch keinerlei Veranstaltungen der Harmonika-Freunde und endend mit der Entomologischen Gesellschaft, die die Vernichtung schädlicher Insekten zum Ziel hatte. Phileas Fogg war Mitglied des Londoner Reform Club, nicht mehr und nicht weniger.

Doch was hatte dem geheimnisvollen Herrn Zutritt in diese erlauchte Gesellschaft verschafft? Ganz einfach eine Empfehlung seiner Bankiers, der Gebrüder Baring. Denen wiederum hatte die Tatsache genügt, dass die Schecks Mr Foggs stets gedeckt waren, ohne dass sich sein Kontostand jemals wesentlich verminderte.

Phileas Fogg war wohlhabend, aber niemand vermochte Auskunft über den Ursprung seines Vermögens zu geben und Mr Fogg selbst darüber zu befragen war schlechthin unmöglich. Er war übrigens weder verschwenderisch noch geizig. Wurde er um eine Spende für wohltätige Zwecke gebeten, so steuerte er ohne Aufhebens und oft genug sogar anonym sein Scherflein bei.

Kurz und gut: Phileas Fogg war ein schwer zugänglicher Herr. Er sprach so wenig wie möglich, aber je schweigsamer er sich gab, desto lebhafter beschäftigten sich seine Mitbürger mit ihm. Seine Lebensweise war durchaus nicht geheimnisumwoben. Jedermann musste zugeben, dass er seine Tage auf höchst eintönige Weise verbrachte. Doch gerade diese Harmlosigkeit trieb die Fantasie der Leute zu unangemessenen Spekulationen.

Ob Phileas Fogg schon viel von der Welt gesehen hatte? Zumindest besaß er einzigartige geografische Kenntnisse und konnte auch noch die entlegensten Winkel der Erde verblüffend genau beschreiben. Berührte die Unterhaltung der Club-Mitglieder das Geschick verschollener oder verirrter Weltreisender, so brachte Phileas Fogg sehr schnell mit wenigen klaren Worten Ordnung in die verworrenen Vorstellungen der anderen Herren. Seine eigenen Behauptungen fußten streng auf Tatsachen und oft genug gingen seine Voraussagen so genau in Erfüllung, als hätte er die Gabe des Zweiten Gesichts. Dieser Mann musste den ganzen Erdball bereist haben – wenigstens im Geiste. Denn eines stand fest: Phileas Fogg hatte London seit Jahren nicht mehr verlassen. Selbst diejenigen, die die Ehre hatten, ihn ein wenig näher zu kennen, konnten nur feststellen, dass er stets in seinem Hause, im Club oder auf dem kürzesten Wege zwischen diesen beiden Orten anzutreffen war. Seine einzige Unterhaltung bestand im Zeitunglesen und einer gelegentlichen Whist-Partie. Das stille Spiel passte vorzüglich zu Mr Foggs Natur. Er gewann oft, aber die beträchtlichen Gewinnsummen flossen nicht nur in seine Privatschatulle; sie bildeten seinen Fonds für wohltätige Zwecke. Wir müssen unbedingt hinzufügen, dass Phileas Fogg um des Spielens willen spielte und nicht etwa wegen der möglichen Gewinne. Er sah im Spiel die willkommene Auseinandersetzung, die weder Bewegung erforderte noch ermüdete; und das gefiel ihm außerordentlich.

Mr Fogg schien weder Frau noch Kinder zu haben – was bei den ehrenwerten Leuten vorkommt –, aber er hatte auch weder Verwandte noch Freunde – und das ist weit ungewöhnlicher. Er wohnte ganz allein in der Nr. 7 der Savile Row und empfing niemals Besucher. Kein Mensch vermochte zu sagen, wie es im Innern seines Hauses aussah. Er beschäftigte nur einen Diener, der das Notwendigste allein besorgen konnte; denn Mr Fogg frühstückte im Club und nahm dort auch mit pedantischer Pünktlichkeit immer in demselben Raum und an demselben Tisch die Hauptmahlzeiten ein, zu denen er übrigens niemals einen Bekannten oder Gast einlud. Punkt Mitternacht betrat er dann wieder sein Haus, um sich zur Ruhe zu begeben. Nie wäre es ihm eingefallen, eines der bequem eingerichteten Schlafzimmer zu benutzen, die den Herren im Club-Gebäude zur Verfügung standen. Zehn Stunden von jeweils 24 verbrachte Phileas Fogg mit dem Nachtschlaf und dem Herrichten seines Ausgehanzuges. Brauchte er Bewegung, spazierte er mit gleichmäßig abgemessenen Schritten auf dem Parkett der Eingangshalle des Clubs hin und her oder er promenierte ein wenig in der Rundgalerie des Club-Hauses, deren blaue Glaskuppel von zwanzig ikonischen Säulen aus rotem Porphyr getragen wurde. Die Mahlzeiten ließ er sich aus den köstlichen Vorräten komponieren, die die Küche, die Speisekammer, die Anrichte, der Fischbehälter und die Milchkammern des Reform Club zu liefern imstande waren. Die in feierliches Schwarz gekleideten Club-Diener servierten ihm die Speisen vollkommen geräuschlos in erlesenen Porzellangefäßen und auf einem Tisch, den herrlicher Damast deckte. Mr Fogg benutzte die kostbarsten Gläser des Clubs, um seinen Sherry, seinen Portwein oder auch seinen roten Bordeaux zu trinken, der für ihn mit Kaneel und Farnkraut oder Zimt gewürzt wurde. Die Eisvorräte des Hauses, die man mit hohem Kostenaufwand aus amerikanischen Seen herbeischaffen ließ, garantierten Phileas Fogg eine stets zufriedenstellende Temperierung seiner Getränke.

Will man diese Lebensweise exzentrisch nennen, so muss es Spaß machen, ein Exzentriker zu sein.

Das Haus in der Savile Row war keineswegs verschwenderisch, aber recht komfortabel ausgestattet. Da Mr Fogg seine Gewohnheiten niemals auch nur geringfügig änderte, bereitete die Betreuung der Räume keine Schwierigkeiten. Bloß in einem Punkte ließ Phileas Fogg nicht mit sich spaßen: Er forderte von seinem Diener absolute Pünktlichkeit und peinliche Genauigkeit in der Erfüllung der ihm aufgetragenen Pflichten.

Unsere Geschichte beginnt am 2. Oktober. Am Morgen dieses Tages hatte Mr Fogg seinem Diener endgültig kündigen müssen. James Forster wurde beschuldigt, das Rasierwasser seines Herrn nur auf 84 Grad Fahrenheit statt auf 86 Grad erhitzt zu haben.

Phileas Fogg erwartete den Nachfolger des nachlässigen Dieners zwischen 11 Uhr und 11 Uhr 30 Minuten. Er selbst saß inzwischen hoch aufgerichtet in seinem Sessel, hielt die Füße parallel ausgerichtet wie ein Soldat auf dem Paradeplatz und ließ die Hände auf den Knien ruhen. Sein Blick folgte den Zeigern einer komplizierten Uhr, die nicht nur die Stunden, Minuten und Sekunden anzeigte, sondern gleichzeitig das Tagesdatum und die Jahreszahl angab. Punkt halb 12 Uhr würde er sich aus dem Sessel erheben und, wie jeden Tag um diese Zeit, in den Reform Club aufbrechen.

Gleich war es 11 Uhr 30. Da klopfte jemand an die Salontür. Der verabschiedete James Forster erschien auf der Schwelle.

»Der neue Diener!«, meldete er.

Ein Bursche von ungefähr 30 Jahren trat vor und grüßte.

»Sie sind Franzose und heißen John«, sagte Phileas Fogg.

»Jean, wenn der Herr gestatten«, entgegnete der junge Mann. »Jean Passepartout. Dieser Beiname ist im Laufe der Zeit an mir hängen geblieben. Er bestätigt die Geschicklichkeit, mit der ich mich aus verzwickten Situationen zu retten verstehe. Und noch eines: Ich bin gewiss ein ordentlicher Bursche, gnädiger Herr, aber ich muss zugeben, dass ich schon den verschiedensten Beschäftigungen nachgegangen bin. Zunächst war ich Straßensänger, dann Zureiter im Zirkus – ich kann voltigieren wie Léotard und seiltanzen wie Blondin! –, später wurde ich Turnlehrer, um meine Geschicklichkeit mit mehr Profit zu verbinden, und zuletzt habe ich als Spritzenmeister bei der Pariser Feuerwehr gedient. Ich könnte Ihnen von einigen prächtigen Bränden erzählen, bei deren Bekämpfung ich mitgewirkt habe.

Vor fünf Jahren verließ ich Frankreich. Ich hatte mir vorgenommen, das Privatleben kennenzulernen und verdingte mich daher als Kammerdiener in England. Im Augenblick bin ich unbeschäftigt. Da ich erfahren habe, dass Monsieur Phileas Fogg, der korrekteste und sesshafteste Herr im Vereinigten Königreich von Großbritannien, um einen Diener in Verlegenheit ist, erlaube ich mir, ihm meine Dienste anzutragen. Ich hoffe bei stiller Beschäftigung in seinem Hause das Vergangene und nicht zuletzt diesen Beinamen ›Passepartout‹ vergessen zu können.«

»Mir gefällt aber ›Passepartout‹«, sagte Mr Fogg. »Sie sind mir empfohlen worden und meine Nachforschungen über Ihre Person haben nichts Nachteiliges ergeben. Meine Bedingungen kennen Sie wohl?«

»Gewiss, gnädiger Herr.«

»Sehr gut. Wie spät haben Sie es?«

Passepartout versenkte den Arm bis zum Ellenbogen in die Hosentasche und förderte eine riesige silberne Taschenuhr zu Tage. »11 Uhr 22 Minuten«, meldete er.

»Ihre Uhr geht nach«, sagte Mr Fogg.

»Verzeihung, gnädiger Herr, das ist ausgeschlossen.«

»Sie geht um vier Minuten nach. Aber lassen wir das. Es genügt, wenn wir ein für alle Mal die Differenz unserer Uhren festgestellt haben. Ich nehme Sie in meine Dienste, die somit an diesem Mittwoch, dem 2. Oktober 1872, um 11 Uhr 29 Minuten vormittags, beginnen.«

Bei diesen Worten erhob sich Phileas Fogg aus dem Sessel, vollführte eine eckige Armbewegung, um den bereitliegenden Hut aufzusetzen, und verließ grußlos den Salon.

Kurz darauf hörte Passepartout die Haustür ins Schloss fallen; sein neuer Herr ging aus. Noch einmal klappte die Tür; sein Vorgänger James Forster verließ die Nr. 7 der Savile Row.

Passepartout war allein im Hause.

Im zweiten Kapitel

gelangt Passepartout zu der Überzeugung,das große Los gezogen zu haben

Manche Leutchen bei Madame Tussaud sind genauso lebendig wie dieser Mister Fogg«, stellte Passepartout kopfschüttelnd fest.

Der Leser muss dazu wissen, dass er mit den »Leutchen« die Wachsfiguren im viel besuchten Kabinett der Madame Tussaud meinte. Sie wirken verblüffend lebensecht und zur Vollkommenheit fehlt ihnen lediglich die Sprache.

Bei der vorangegangenen Unterredung mit Mr Fogg hatte Passepartout eine rasche, aber darum nicht weniger gründliche Bestandsaufnahme seines neuen Herrn gemacht. Phileas Fogg mochte etwa 40 Jahre alt sein. Er hatte vornehme Gesichtszüge und eine hochgewachsene Gestalt, die zur Wohlbeleibtheit neigte, was dem Gesamteindruck aber nicht abträglich war. Haare und Backenbart waren blond, die Stirn makellos und selbst zu den Schläfen hin noch faltenlos, die Gesichtsfarbe blass und die Zähne prachtvoll. Um einen Ausdruck der Physiognomiker zu gebrauchen: Mr Fogg verkörperte den »ruhend Aktiven«, der ganz im Stillen Bedeutendes zu leisten vermag. Diesen ruhigen, phlegmatischen und wohl auch kaltblütigen Typ trifft man nicht eben selten im Vereinigten Königreich von Großbritannien. Die Malerin Angelika Kauffmann hat seine ein wenig steife Haltung meisterhaft mit dem Pinsel erfasst.

Phileas Fogg glich einem Chronometer aus den Werkstätten von Leroy oder Earnshaw; so präzise und ausgewogen war jede seiner Bewegungen, jede seiner Handlungen. Beobachtete man seine Hand- und Fußhaltung, die bei Mensch und Tier Rückschlüsse auf den Charakter gestattet, so kam man zu dem Resultat, Mr Fogg sei die Genauigkeit in Person.

Er gehörte zu jenen ökonomischen Typen, die sich nie beeilen, aber im rechten Augenblick zur Stelle sind. Seine eigentümlich sparsamen Bewegungen vermieden jeden überflüssigen Schritt und ließen ihn stets den kürzesten aller möglichen Wege wählen. Ob er jemals Freude oder Kummer empfand, war nicht festzustellen. Wir verstehen jetzt jedenfalls besser, warum er allein und außerhalb gesellschaftlicher und familiärer Bindungen leben wollte. Das Zusammenleben mit Menschen führt unweigerlich zu Reibungen; Reibungen aber bedeuten Aufenthalt, Verzögerung – also vermied er es, sich an jemandem zu reiben.

So viel zunächst über den Herrn und nun ein paar Worte über seinen Diener. Jean, genannt Passepartout, der echte Pariser aus Paris, hatte während der vergangenen fünf Jahre noch keinen passenden Herrn gefunden. Dabei glich er keineswegs den Dienertypen der Komödie, die trotz ausgeprägtem Selbstbewusstsein nur freche Nichtsnutze sind. Oh nein! Passepartout war ein tüchtiger junger Mann von angenehmem Aussehen, stets freundlich und auch arbeitswillig. Auf seinen Schultern saß ein kugelrunder Kopf, wie man ihn gern bei einem Freunde sieht, und seine aufgeworfenen Lippen waren stets bereit, zu kosten und zu kosen. Blaue Augen blitzten über frischen roten Backen, die so prall waren, dass ihr Besitzer sie selber sehen konnte, wenn er den Blick niederschlug. Der mächtige Brustkorb des Mannes, die ganze muskulöse Gestalt verrieten herkulische Kräfte, die von Jugend an in den verschiedensten Berufen hervorragend entwickelt und gesteigert worden waren.

Auf dem Haupte sah Passepartout ein wenig wild aus. Mochten die Bildhauer der Antike auch 18 verschiedene Haartrachten zum Schmucke Minervas ersonnen haben, der junge Mann kannte nur eine. Er fuhr jeweils dreimal mit dem Kamm durch sein braunes Haar und ließ es dabei bewenden.

Ob dieser ausgesprochen mitteilsame Diener mit seinem Herrn gut auskommen würde, ließ sich beim besten Willen nicht voraussehen. Die Praxis musste auch erst den Beweis erbringen, dass Passepartout Mr Foggs Anforderungen in puncto Genauigkeit gewachsen war. Jedenfalls strebte der junge Mann nach bewegten Jugendjahren in einen stillen Hafen. Er hatte in seiner Heimat den englischen Sinn für Korrektheit und die fast sprichwörtliche Frostigkeit des Gentleman loben hören und daraufhin beschlossen sein Heil in England zu suchen. Doch war er bis jetzt vom Pech verfolgt gewesen und hatte nirgends Wurzeln fassen können. Sooft er auch die Stellung gewechselt hatte – und das war immerhin zehnmal passiert –, immer wieder geriet er an einen grillenhaften oder launischen, wenn nicht sogar abenteuerhungrigen oder reisewütigen Herrn, der so gar nicht seinen Wünschen entsprach. Sein letzter Brotgeber, Lord Longsferry, war Mitglied des Parlaments, was den jungen Herrn nicht hinderte die Abende in den Austern-Stuben am Haymarket zu verbringen und den Heimweg nur allzu oft in den Armen hilfreicher Polizisten zurückzulegen. Passepartout aber ersehnte sich einen Herrn, den er achten konnte. Einige entsprechende Bemerkungen gegenüber Lord Longsferry waren so ungnädig aufgenommen worden, dass er seinen Abschied nehmen musste. Inzwischen war ihm zu Ohren gekommen, dass ein gewisser Phileas Fogg einen Kammerdiener suchte. Er zog sogleich Erkundigungen ein und erfuhr zu seiner Genugtuung, dass sich Mr Fogg durch eine streng geregelte Lebensweise auszeichnete, weder liederlichen Gewohnheiten huldigte noch reiste, noch die Nächte außerhalb seines Hauses verbrachte. Passepartout bewarb sich um die Stellung und wir waren selber Zeuge seines Dienstantrittes.

Punkt 11 Uhr und 30 Minuten war Passepartout also allein in der Nr. 7 der Savile Row. Er besichtigte sogleich das Gebäude vom Keller bis zu den Bodenräumen und stellte fest, dass es hübsch sei und leicht in Ordnung zu halten wäre. Ein wenig glich es einem Schneckenhaus – abgesehen natürlich von der modernen Gasbeleuchtung und -heizung. Im zweiten Stock fand Passepartout ohne langes Suchen das Dienerzimmer. Auch dieser Raum, der durch elektrische Klingeln und eine Sprechanlage mit den herrschaftlichen Räumen der unteren Etage verbunden war, fand seinen Beifall. Die elektrische Uhr auf dem Kaminsims war durch eine Leitung mit der Uhr in Mr Foggs Schlafzimmer gleichgeschaltet. Über dieser Kaminuhr hing ein Plan, der sämtliche Einzelheiten des Tagesablaufes erfasste. Er begann um 8 Uhr morgens mit dem Wecken von Mr Fogg, ordnete das Servieren von Tee und Toast für 8 Uhr 23 an, befahl das Rasierwasser für 9 Uhr 37, das Frisieren für 9 Uhr 40 und so fort. Auch die Stunden zwischen 11 Uhr 30 und Mitternacht, die Mr Fogg im Club verbrachte, waren bis ins Letzte für den Diener geregelt. Passepartout studierte das Programm mit ausgesprochenem Vergnügen und begann sogleich, die einzelnen Abschnitte auswendig zu lernen.

Als Nächstes nahm er die Garderobe seines neuen Herrn in Augenschein. Sie war umfangreich und sehr sorgfältig zusammengestellt. Alle Beinkleider, Überröcke und Westen trugen Nummern, die sich in einem Register wiederfanden, das genaue Angaben machte, wo und zu welcher Jahreszeit ein bestimmtes Kleidungsstück zu tragen wäre.

Mr Foggs gesamtes Schuhwerk unterlag demselben Ordnungssystem.

Das Haus mochte zur Zeit des ebenso berühmten wie zerstreuten Sheridan ein Tempel der Unordnung gewesen sein; jetzt verriet die gediegene Einrichtung den wohlhabenden und ordnungsliebenden Besitzer. Es gab keine Bibliothek, nicht einmal einzelne Bücher. Wozu auch! Mr Fogg konnte sich nach Belieben in den beiden Bibliotheken seines Clubs über literarische oder auch juristische und politische Themen informieren.

In Phileas Foggs Schlafzimmer befand sich ein feuerfester und diebessicherer Tresor mittlerer Größe. Nirgendwo entdeckte Passepartout eine Waffe oder Geräte, die der Jagd und kriegerischen Zwecken dienen mochten; das ganze Haus umgab ein Hauch von Friedfertigkeit.

Nach beendetem Rundgang rieb sich Passepartout die Hände und sagte wohlgelaunt:

»Wunderbar! Ich hätte es nicht besser treffen können! Mister Fogg und ich werden prächtig miteinander auskommen. Welch ein häuslicher und korrekter Herr! Ein rechtes Uhrwerk. Sei es drum! Ich habe nichts dagegen, ein Uhrwerk zu bedienen.«

Im dritten Kapitel

wird ein Gespräch geführt, das für Phileas Foggschwerwiegende Folgen haben könnte

Als Phileas Fogg sein Haus in der Savile Row verließ, war es 11 Uhr und 30 Minuten. 575-mal setzte er den rechten Fuß vor den linken und 576-mal den linken Fuß vor den rechten. Dann stand er vor dem Eingang des Reform Club, dessen imposante Heimstätte in der Pall Mall nicht weniger als drei Millionen gekostet hatte.

Mr Fogg begab sich unverzüglich in den Speisesaal. Der Raum hatte neun Fenster, die auf einen hübschen Garten hinausgingen, in dem sich gerade die Bäume herbstlich bunt färbten. Auf einem reservierten Tisch war bereits für Phileas Fogg das Gedeck aufgelegt. Nach einer Vorspeise wählte er als ersten Gang gedünsteten Fisch in erstklassiger Reading-Sauce, als zweiten Gang kurz gegrilltes Roastbeef mit Pilzbeilage und Stachelbeerfüllung sowie etwas Chester-Käse. Auf die Speisen ließ er mehrere Tassen eines hervorragenden Tees folgen, der in clubeigenen Pflanzungen geerntet worden war.

Um 12 Uhr und 47 Minuten hatte Phileas Fogg das Frühstück beendet. Er erhob sich und ging hinüber in den großen Salon. Die Wände dieses prächtig ausgestatteten Raumes schmückten Gemälde in breiten geschnitzten Rahmen. Ein Diener überreichte Mr Fogg die unaufgeschnittene Times, deren Blätter er sogleich mit geübter Hand voneinander löste. Die Lektüre dieser Zeitung dauerte bis 3 Uhr und 45 Minuten. Die daran anschließende Durchsicht des Standard zog sich bis zum Dinner hin.

Die Speisenfolge dieser Mahlzeit unterschied sich kaum von der des Frühstücks, nur dass zusätzlich eine Royal British Sauce gereicht wurde.

Um 5.40 Uhr nachmittags kehrte Phileas Fogg in den großen Salon zurück, um die Morning Chronicle zu lesen.

Eine halbe Stunde später betraten mehrere Club-Mitglieder den Raum und scharten sich um den Kamin, in dem ein Steinkohlenfeuer unterhalten wurde. Bei den Herren handelte es sich um Mr Foggs Whist-Partner, die allesamt passionierte Spieler waren. Zu der Gesellschaft zählten der Ingenieur Andrew Stuart, die Bankiers John Sullivan und Samuel Fallentin, der Brauereibesitzer Thomas Flanagan und Gauthier Ralph vom Direktorium der Bank von England. Diese fünf Männer waren wegen ihres Reichtums und ihrer Stellung hoch geachtete Club-Mitglieder, was etwas heißen will, denn im Reform Club versammelten sich ohnehin nur die Spitzen der englischen Industrie und Finanzwirtschaft.

»Nun, Ralph«, begann Thomas Flanagan das Gespräch, »was hört man Neues von unserem Dieb?«

»Die Bank von England wird das Geld kaum wiedersehen«, warf Andrew Stuart ein.

»Da bin ich anderer Ansicht«, entgegnete Gauthier Ralph. »Wir glauben doch, dass man den Mann fassen wird. Schließlich halten unsere besten Kriminalbeamten alle wichtigen Häfen Amerikas und Europas unter Beobachtung.«

»Demnach gibt es eine Personenbeschreibung des Diebes?«, fragte Andrew Stuart.

»Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Dieb handelt«, sagte Gauthier Ralph ernst.

»Wie bitte? Der Kerl, der die 55 000 Pfund eingesteckt hat, sollte kein gewöhnlicher Dieb sein?«

»Nein«, antwortete Gauthier Ralph.

»Ist er vielleicht Industrieller?«, fragte John Sullivan.

»Die Morning Chronicle versichert, dass es sich um einen Mann mit dem Auftreten eines Gentlemans handele.«

Diesen Bescheid erteilte Mr Fogg, dessen Kopf langsam aus einem großen Berg von Zeitungsblättern auftauchte. Jetzt erst fand die Begrüßung zwischen ihm und seinen Whist-Partnern statt.

Der Diebstahl, der in allen Zeitungen des Vereinigten Königreiches lebhaft diskutiert wurde, hatte sich vor drei Tagen, also am 29. September, zugetragen. Ein Bündel Banknoten im Wert von nicht weniger als 55 000 Pfund war vom Zahltisch des Hauptkassierers der Bank von England entwendet worden.

Wenn jemand erstaunt fragte, wieso eine derartig große Summe ohne die geringsten Schwierigkeiten gestohlen werden konnte, begnügte sich Gauthier Ralph, der Zweite Direktor der Bank, mit der Erklärung, der Kassierer habe gerade einen Zahlungseingang von drei Shilling und einem Sixpence eingetragen. Man könne schließlich nicht verlangen, dass er die Augen überall habe.

Wir müssen vielleicht hinzufügen, dass dieses hoch achtbare Bankinstitut der Wohlanständigkeit seines Publikums uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte. Es gab kein Wachpersonal, keine Invaliden als Aushilfswächter, keine Gitter vor den Schaltern. Gold, Silber und Banknoten lagen offen da und ihr Schicksal hing von der Ehrlichkeit der Kundschaft ab. Und ebendiese Ehrlichkeit zweifelte man nicht im Traume an. Einer der schärfsten Beobachter englischer Sitten berichtet sogar folgende hübsche Geschichte: Eines Tages lag vor ihm auf einem der Zahltische der Bank ein Goldbarren von sieben bis acht Pfund Gewicht, der seine Neugier erweckte. Um ihn besser betrachten zu können, nahm er ihn in die Hand, reichte ihn sogar seinem Nachbarn, der ihn wiederum weitergab, bis er schließlich in einen der dunklen Korridore der Bank gelangte, um von dort nach Verlauf einer halben Stunde wieder zum Zahltisch zurückzukehren, ohne dass der Kassierer auch nur einmal deswegen den Kopf gehoben hätte.

Am 29. September war die Sache allerdings etwas anders verlaufen. Diesmal kehrte das Banknotenbündel nicht an seinen Platz zurück, und als die viel bewunderte Uhr im Kassenraum 5 Uhr schlug und die Schließung der Schalter ankündigte, musste die Bank von England 55 000 Pfund als Verlust abbuchen.

Als kein Zweifel mehr an dem Diebstahl bestand, wurden die besten Detektive über alle wichtigen Hafenstädte der Welt verteilt. Sie reisten nach Liverpool, Glasgow, Le Havre, Sues, Brindisi, New York und so weiter und man hatte ihnen für die Ergreifung des Diebes 2 000 Pfund Belohnung und fünf Prozent der wiedergefundenen Geldsumme versprochen. Bis zum Eintreffen genauerer Anweisungen, die sich erst aus den polizeilichen Ermittlungen ergeben würden, sollten die Detektive alle ankommenden und abreisenden Fahrgäste der Schifffahrtslinien aufmerksam beobachten.

Die Morning Chronicle hatte durchaus recht, wenn sie glaubte, der Dieb dürfe nicht in einer der organisierten englischen Verbrecherbanden gesucht werden. Am 29. September war im Kassenraum der Bank, also am Schauplatz der Ereignisse, ein distinguierter Herr durch mehrmaliges Hin-und-her-Laufen aufgefallen. Es war der Polizei gelungen, eine recht ausführliche Personenbeschreibung zusammenzustellen, die sofort an alle Detekteien des Vereinigten Königreiches und des europäischen Festlandes weitergeleitet wurde. Einige Optimisten, zu denen sich auch Gauthier Ralph zählte, glaubten, mit der Ergreifung des Diebes rechnen zu können.

Verständlich, dass diese Affäre das Tagesgespräch in London und im ganzen übrigen England bildete! Die Leute diskutierten den Fall und erwogen die Erfolgsaussichten der Polizeiaktion. Wir dürfen also nicht erstaunt sein, wenn sich auch die Gespräche der Herren im Reform Club um dasselbe Thema drehten, zumal einer der Ihren Zweiter Direktor des betroffenen Bankinstitutes war.

Der ehrenwerte Gauthier Ralph hielt die ausgesetzte Belohnung für hoch genug, um die Kriminalbeamten zu Bestleistungen anzuspornen. Sein Kollege Andrew Stuart dagegen sah die Angelegenheit in weit weniger hoffnungsvollem Licht. Das Gespräch der Herren verebbte nicht einmal, als sie sich am Whist-Tisch in gewohnter Ordnung niederließen: nämlich Stuart gegenüber Flanagan und Fallentin gegenüber Phileas Fogg.

Während des Spiels wurde kein Wort gewechselt, aber zwischen den Partien flammte die Diskussion sofort wieder auf.

»Ich möchte doch behaupten«, begann Andrew Stuart noch einmal, »dass sich der Dieb im Vorteil befindet, zumal es sich um einen schlauen Kopf zu handeln scheint.«

»Aber ich bitte Sie!«, entgegnete Ralph. »In welches Land könnte er denn noch flüchten?«

»Ganz so einfach liegt der Fall wohl nicht.«

»Dann sagen Sie mir doch, wohin er noch kommen könnte!«

»Ich weiß nicht recht«, meinte Andrew Stuart, »aber ich finde, die Erde ist ziemlich groß.«

»Das war sie früher einmal«, warf Phileas Fogg halblaut ein. »Bitte, heben Sie doch ab«, setzte er hinzu und breitete seine Karten vor Thomas Flanagan aus.

Sogleich erstarb das Gespräch. Aber nach beendetem Robber griff Andrew Stuart den letzten Satz wieder auf: »Was meinen Sie mit ›früher‹? Sie wollen doch nicht behaupten, dass der Erdball geschrumpft wäre?«

»Mister Fogg hat vollkommen recht«, wendete Gauthier Ralph ein. »Die Erde ist kleiner geworden. Für eine Erdumrundung braucht man heute zehnmal weniger Zeit als vor 100 Jahren. Diese Tatsache wird uns auch bei der Aufspürung des Diebes von Nutzen sein.«

»Und dem Manne die Flucht nur leichter machen!«

»Sie spielen aus, Mister Stuart«, sagte Phileas Fogg.

Der ungläubige Stuart ließ aber noch immer nicht locker.

»Zugegeben, dass Sie den Schrumpfungszustand der Erde auf höchst anschauliche Art beschreiben, Mister Ralph«, sagte er. »Wenn man den Erdball jetzt also in drei Monaten umrunden kann …«

»In 80 Tagen«, warf Phileas Fogg ein.

»Mister Fogg hat recht, meine Herren«, bemerkte John Sullivan. »Seit die Great-Indian-Peninsular-Eisenbahngesellschaft die Strecke zwischen Rothal und Allahabad in Betrieb genommen hat, schafft man eine Reise um die Welt tatsächlich in 80 Tagen. Sehen Sie, hier: Die Morning Chronicle hat dafür einen Fahrplan ausgearbeitet. Er sieht folgende Reiseabschnitte vor:

London–Sues über den Mont Cenis und Brindisi,Eisenbahn und Postschiff 7 TageSues–Bombay, Postschiff 13 TageBombay–Kalkutta, Eisenbahn 3 TageKalkutta–Hongkong (China), Postschiff 13 TageHongkong–Yokohama (Japan), Postschiff 6 TageYokohama–San Francisco (Amerika), Postschiff 22 TageSan Francisco–New York, Eisenbahn 7 TageNew York–London, Postschiff und Eisenbahn 9 Tage insgesamt 80 Tage

»80 Tage!«, rief Andrew Stuart und stach in seiner Zerstreuung eine Trumpfkarte. »Und wie geht die Rechnung auf, wenn es Unwetter oder Gegenwind gibt, nicht zu reden von Schiffbruch und Eisenbahnentgleisungen?«

»Ist alles mit einbegriffen!«, antwortete Phileas Fogg und spielte weiter, aber diesmal gewann die Diskussion Oberhand über den Whist.

»Und wenn nun Inder oder Indianer die Eisenbahnschienen herausrissen, wenn sie die Züge anhielten, die Gepäckwagen ausraubten und die Reisenden skalpierten, wäre die Reise auch dann noch in 80 Tagen zu machen?«, fragte Andrew Stuart.

»Alles einbegriffen«, behauptete Phileas Fogg noch einmal, meldete einen doppelten Trumpf und legte seine Karten auf den Tisch. Andrew Stuart gab das nächste Mal. Während er die Karten aufnahm, sagte er: »Theoretisch mögen Sie recht haben, Mister Fogg, aber in der Praxis …«

»… ist der Plan annehmbar, Mister Stuart.«

»Das müssten Sie erst einmal beweisen!«

»Wie Sie wollen. Reisen wir also zusammen!«

»Der Himmel beschütze mich davor!«, rief Mr Stuart. »Ich wette um 4 000 Pfund, dass der Reiseplan undurchführbar ist!«

»Aber ich sage Ihnen doch, er ist durchführbar!«, wiederholte Mr Fogg.

»Dann müssen Sie auch den Beweis erbringen!«

»Also die Reise um die Erde in 80 Tagen machen?«

»Ganz recht.«

»Einverstanden!«

»Wann soll es losgehen?«

»Jetzt gleich.«

»Das ist ja Wahnsinn!«, rief Andrew Stuart, erbost über Mr Foggs Hartnäckigkeit. »Spielen wir lieber weiter!«

»Wir müssen die Karten noch einmal einsammeln. Sie haben vergeben«, sagte Phileas Fogg.

Andrew Stuart griff nervös nach den Karten, warf sie aber gleich wieder auf den Tisch und sagte: »4 000 Pfund, Mister Fogg, es bleibt bei meinem Angebot!«

Mr Fallentin schaltete sich ein.

»Beruhigen Sie sich doch, lieber Stuart«, sagte er, »dieses Angebot kann nicht Ihr Ernst sein!«

»Wenn ich eine Wette anbiete, ist sie immer ernst gemeint«, antwortete Andrew Stuart.

»Die Wette gilt«, sagte Mr Fogg und wendete sich an alle Herren zugleich. »Auf meinem Konto bei den Gebrüdern Baring stehen 20 000 Pfund. Es soll mir ein Vergnügen sein, diese Summe zu setzen.«

»20 000 Pfund, die Ihnen durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall verloren gehen könnten!«, rief John Sullivan.

»Unvorhergesehenes gibt es nicht«, antwortete Phileas Fogg mit fester Stimme.

»Aber Mister Fogg, diese 80 Tage sind doch nur als Minimum gedacht!«

»Bei richtigem Vorgehen genügt ein Minimum immer.«

»Wollte man sich an den Plan halten, müsste man das Umsteigen von der Bahn aufs Schiff und umgekehrt geradezu im Sprung besorgen.«

»Dann werde ich springen.«

»Sie scherzen!«

»Ein Engländer scherzt nie, wenn es um eine so ernste Angelegenheit wie eine Wette geht«, antwortete Phileas Fogg. »Ich setze 20 000 Pfund gegen jeden, der Lust hat die Wette anzunehmen, und behaupte die Reise um die Erde in 80 oder weniger als 80 Tagen beziehungsweise in 1 920 Stunden oder 115 200 Minuten machen zu können. Gilt die Wette?«

»Sie gilt!«, antworteten die Herren Stuart, Fallentin, Sullivan, Flanagan und Ralph nach kurzer Beratung.

»Das wäre es also«, sagte Mr Fogg. »Um 8 Uhr und 45 Minuten geht mein Zug nach Dover ab.«

»Heute Abend?«, fragte Andrew Stuart.

»Heute Abend«, antwortete Phileas Fogg. Dann zog er seinen Taschenkalender zurate und setzte hinzu: »Heute ist Mittwoch, der 2. Oktober. Ich müsste demnach diesen Salon des Reform Club zu London am Sonnabend, dem 21. Dezember, um 8 Uhr und 45 Minuten wieder betreten. Andernfalls sind Sie berechtigt, 20 000 Pfund, die ich bei den Gebrüdern Baring deponiert habe, abzuheben. Hier ist der Scheck.«

Man setzte ein Protokoll auf, das alle sechs an der Wette beteiligten Herren unterzeichneten. Phileas Fogg blieb ganz ruhig. Ihm ging es bei dieser Wette ganz gewiss nicht um den Gewinn. Er hatte übrigens 20 000 Pfund – genau die Hälfte seines Vermögens – gesetzt, weil er annahm, dass er weitere 20 000 Pfund zur Durchführung des schwierigen, oder richtiger: nahezu unmöglichen Unternehmens brauchen werde.

Die anderen Herren waren erregt, nicht gerade wegen des hohen Einsatzes, wohl aber, weil sie die Bedingungen für unfair hielten.

Es schlug 7 Uhr. Man bot Mr Fogg an, das Whist-Spiel abzubrechen, damit er seine Reisevorbereitungen treffen könne.

»Ich bin immer reisefertig«, entgegnete unser Gentleman ungerührt, teilte die Karten aus und sagte: »Karo ist Trumpf. Sie bieten, Mister Stuart!«

Im vierten Kapitel

stürzt Phileas Fogg seinen Diener Passepartoutin Verwirrung

Um 7 Uhr 25 Minuten abends verabschiedete sich Phileas Fogg von seinen ehrenwerten Kollegen im Reform Club, nachdem er zuvor etwa 21 Pfund im Whist-Spiel gewonnen hatte.

Um 7.50 Uhr betrat er sein Haus in der Savile Row.

Passepartout hatte seinen Stundenplan gewissenhaft auswendig gelernt. Er staunte nicht wenig, Mr Fogg schon am ersten Abend bei einem Verstoß gegen die Hausordnung zu überraschen. Der Plan sah erst für Mitternacht die Heimkehr vor.

Phileas Fogg ging zunächst in sein Zimmer, dann rief er nach Passepartout. Keine Antwort. Passepartout fühlte sich nicht getroffen. Dem Plan zufolge war sein Herr nicht zu Hause.

»Passepartout«, rief Mr Fogg noch einmal, allerdings genauso leise wie beim ersten Mal.

Passepartout erschien auf der Bildfläche.

»Ich habe Sie zweimal rufen müssen«, sagte Mr Fogg ruhig.

»Es ist noch nicht Mitternacht«, versetzte Passepartout und wies auf die Uhr in seiner Hand.

»Ich weiß«, antwortete Phileas Fogg, »das sollte kein Vorwurf sein. In zehn Minuten geht unser Zug nach Dover. Von dort reisen wir weiter nach Calais.«

Passepartouts rundes Gesicht verzerrte sich eigentümlich in die Länge. Er glaubte, falsch gehört zu haben.

»Der gnädige Herr wollen verreisen?«, fragte er.

»Ja, wir werden eine Reise um die Erde machen.«

Passepartout erstarrte zu einer Salzsäule. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen, er breitete die Arme aus, dann gaben seine Knie nach.

»Eine Reise um die Erde!«, flüsterte er vor sich hin.

»Innerhalb von 80 Tagen. Wir dürfen also nicht einen Augenblick verlieren«, erklärte Mr Fogg.

»Aber das Gepäck …«, sagte Passepartout, dessen Kopf jetzt hin und her schwankte, ohne dass er es merkte.

»Es gibt kein Gepäck. Nur eine Tasche für das Nachtzeug. Legen Sie zwei Leinenhemden und drei Paar Socken dazu. Für Sie selbst das Gleiche noch einmal. Anderes kaufen wir unterwegs. Holen Sie jetzt meinen Regenmantel und die Reisedecke und ziehen Sie feste Schuhe an. Wir werden allerdings wenig oder gar nicht zu Fuß gehen. Sie können mit dem Packen anfangen.«

Passepartout hätte zu gern etwas geantwortet, brachte aber kein Wort heraus. So verließ er Mr Foggs Zimmer, ging in seine Kammer hinauf, sank auf einem Stuhl zusammen und gebrauchte eine ziemlich gewöhnliche Redewendung seiner Heimatsprache.

»Futsch ist der Traum vom ruhigen Leben«, sagte er und traf mechanisch die befohlenen Vorbereitungen für die Abreise.

In 80 Tagen um die Erde! War sein neuer Herr etwa geistesgestört? Er machte nicht den Eindruck. Sollte es ein Spaß sein? Sie würden nach Dover fahren. Warum nicht? Und dann weiter nach Calais. Auch nicht schlecht, nach fünf Jahren einmal wieder Heimatboden unter den Füßen zu spüren. Vielleicht würde die Reise dann weiter nach Paris gehen. Wahrhaftig, er hatte nichts dagegen, Frankreichs herrliche Hauptstadt wiederzusehen. Dort müsste doch ein Herr, der sich so ungern bewegte, hängen bleiben. Ganz bestimmt würde die Sache so ausgehen. Andererseits gab es zu denken, dass der ausgesprochen sesshafte Mr Fogg überhaupt eine Reise ins Auge fasste.

Um 8 Uhr war die bescheidene Reisetasche fertig gepackt. Passepartout hatte seine Fassung noch immer nicht wiedergewonnen.

Er verschloss sorgfältig die Tür zu seinem Zimmer und stieg zu Mr Fogg hinunter.

Phileas Fogg war aufbruchbereit. Unter seinen Arm klemmte er Bradshaws Kursbuch und Reiseführer für den Kontinent, aus dem er alle notwendigen Reisedaten und -zeiten ersehen konnte. Als Passepartout erschien, nahm er ihm die Reisetasche aus der Hand, öffnete sie und stopfte ein ansehnliches Bündel jener begehrten Banknoten hinein, die in allen Ländern der Welt in Zahlung genommen werden.

»Nichts vergessen?«, fragte er den Diener.

»Nichts, gnädiger Herr.«

»Haben Sie meinen Regenmantel und die Decke?«

»Bitte!«

»Danke. Nehmen Sie die Tasche!«

Er übergab Passepartout das Gepäckstück und fügte hinzu:

»Passen Sie gut auf die Tasche auf. Sie enthält 20 000 Pfund.«

Die Tasche rutschte Passepartout beinahe aus der Hand, als handele es sich um 20 000 Pfund in schweren Goldstücken.

Herr und Diener gingen daraufhin die Treppe hinunter, traten auf die Straße und Phileas Fogg drehte den Hausschlüssel zweimal im Schloss herum.

Ganz in der Nähe der Savile Row gab es einen Droschkenstand. Phileas Fogg und sein Diener bestiegen eine Kutsche, die sie auf dem schnellsten Wege zur Charing Cross Station, dem Ausgangspunkt der Süd-Ost-Eisenbahnlinie, brachte.

Um 8 Uhr und 20 Minuten hielt die Droschke vor dem Bahnhofseingang.

Passepartout sprang ab und sein Herr folgte ihm, nachdem er den Kutscher entlohnt hatte.

In diesem Augenblick trat eine Bettlerin an Mr Fogg heran. Sie führte ein Kind an der Hand, lief barfüßig und trug einen ramponierten Hut, auf dem eine jämmerliche Feder schwankte. Ein zerfetztes Umschlagtuch bedeckte ihr zerlumptes Kleid.

Mr Fogg zog die 21 Pfund aus der Tasche, die er zuvor beim Whist gewonnen hatte. Er reichte der Bettlerin die Banknoten und sagte: »Nehmen Sie das, gute Frau! Es freut mich, wenn ich Ihnen damit helfen kann.«

Dann schritt er weiter.

Passepartouts Augen wurden feucht. Sein Herr war ihm lieber geworden.

Gleich darauf betraten sie die große Bahnhofshalle. Passepartout erhielt den Auftrag, zwei Fahrkarten erster Klasse nach Paris zu besorgen.

Als sich Mr Fogg umschaute, entdeckte er seine fünf Club-Brüder.

»Ich reise ab, meine Herren«, sagte er. »Nach meiner Rückkehr können Sie die Einhaltung der Reiseroute anhand der Visa in meinem Pass nachprüfen.«

Gauthier Ralph wies diesen Vorschlag höflich zurück.

»Aber Mr Fogg, wir zweifeln doch nicht daran, dass Sie ein Gentleman sind. Ihr Wort genügt uns.«

»Und doch halte ich eine Überprüfung für korrekter«, bemerkte Mr Fogg.

»Sie wissen doch noch, wann Sie zurück sein müssen?«, fragte Andrew Stuart.

»In 80 Tagen, das heißt also, am Sonnabend, dem 21. Dezember 1872, um 8 Uhr und 45 Minuten abends«, antwortete Phileas Fogg. »Leben Sie wohl, meine Herren.«

Um 8 Uhr und 40 Minuten nahmen Mr Fogg und sein Diener die Plätze in ihrem gemeinsamen Abteil ein. Fünf Minuten später ertönte das Abfahrtssignal und der Zug setzte sich in Bewegung.

Bei der Abfahrt nieselte es und der Himmel war dunkel. Mr Phileas Fogg lehnte steif in seiner Abteilecke und schwieg.

Passepartout hatte seine Fassung noch immer nicht wiedererlangt.

Er hockte auf seinem Platz und presste die Reisetasche mit den Banknoten eng an seinen Körper.

Aber noch ehe der Zug durch die Station Sydenham gefahren war, stieß er einen Verzweiflungsschrei aus.

»Was gibt es denn?«, fragte Mr Fogg.

»Ich habe … es ging so schnell … ich war so durcheinander … ich habe ganz vergessen …«

»Was denn nun?«

»… die Gasheizung in meinem Zimmer abzustellen!«

»Der Verbrauch geht jedenfalls auf Ihre Kosten, mein Lieber«, bemerkte Mr Fogg kühl.

Im fünften Kapitel

taucht ein neues Wertpapier an der Londoner Börse auf

Phileas Foggs geplante Weltreise erregte in London viel Aufsehen. Die Nachricht von der Wette hatte sich zunächst im Reform Club verbreitet und unter den ehrenwerten Club-Mitgliedern erhebliche Aufregung verursacht. Vom Club war die Neuigkeit dann über einige Reporter zu den großen Tageszeitungen gelangt.

Diese Reise um die Erde wurde ebenso leidenschaftlich diskutiert, kommentiert und zerpflückt wie seinerzeit der Alabama-Skandal. Die einen ergriffen Phileas Foggs Partei, die anderen, und das waren weitaus mehr Leute, stellten sich gegen ihn. Sie hielten den Mann für unzurechnungsfähig und waren überzeugt, dass man die Reise in derartig kurzer Zeit allenfalls auf dem Papier, niemals aber in der Praxis verwirklichen konnte.

Die Times, der Standard, der Evening Star, die Morning Chronicle