Reise zum Mittelpunkt der Erde - Jules Verne - E-Book

Reise zum Mittelpunkt der Erde E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Mit 61 Zeichnungen Jules Verne geht in dieser Geschichte wieder einmal einer Frage nach, die die Menschen schon immer beschäftig hat: Wie mag wohl das Innere der Erde aussehen? Der exzentrische Professor Lidenbrock und sein Neffe Axel steigen hinab in die Unterwelt. Dort treffen sie auf eine fantastische Welt aus Sauriern, baumhohen Pilzen und unterirdischen Meeren. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

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Jules Verne

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Jules Verne

Reise zum Mittelpunkt der Erde

(Voyage au centre de la terre)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020Übersetzung: Jürgen Schulze, UnbekanntIllustrationen: Edouard Riou EV: A. Hartleben, Pest, Leipzig, 1874 1. Auflage, ISBN 978-3-962817-81-7

null-papier.de/696

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sieb­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Ju­les Ver­ne bei Null Pa­pier

Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen

Mi­cha­el Strogoff - Der Ku­ri­er des Za­ren

Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer

Eine Idee des Dok­tor Ox

Eine Über­win­te­rung im Eis

Schwarz-In­di­en – Oder: Die Stadt un­ter der Erde

Fünf Wo­chen im Bal­lon

Ro­bur der Ero­be­rer

Der Herr der Welt

Von der Erde zum Mond

Rei­se um den Mond

Die fünf­hun­dert Mil­lio­nen der Be­gum

Der Süd­stern

Das Kar­pa­ten­schloss

Die Aben­teu­er des Ka­pi­tän Hat­teras

Der Archi­pel in Flam­men

Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde

Die Pro­pel­ler-In­sel

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Erstes Kapitel

Am 24. Mai 1863, ei­nes Sonn­tags, kam mein On­kel, der Pro­fes­sor Li­den­b­rock, in has­ti­ger Eile heim in sein klei­nes Haus, Kö­nigs­stra­ße 19, eine der äl­tes­ten Stra­ßen des al­ten Stadt­vier­tels zu Ham­burg.

Die gute Mar­tha muss­te glau­ben, sehr mit dem Mit­ta­ges­sen in Rück­stand zu sein, denn es fing eben erst an auf dem Her­de zu sie­den.

»Schön«, sag­te ich, »aber wenn mein On­kel Hun­ger hat, wird der un­ge­dul­di­ge Mann Ze­ter schrei­en.«

»Da ist ja schon Herr Li­den­b­rock!« rief die gute Mar­tha in Be­stür­zung, in­dem sie die Tür des Spei­se­zim­mers ein we­nig öff­ne­te.

»Ja, Mar­tha, aber das Es­sen darf schon noch et­was ko­chen, denn es hat eben erst auf der Mi­chae­lis­kir­che halb zwei ge­schla­gen.«

»Wa­rum kommt aber Herr Li­den­b­rock schon heim?«

»Er wird’s uns ver­mut­lich sa­gen.«

»Da ist er! Ich flüch­te mich, Herr Axel, Sie wer­den ihn zur Ein­sicht brin­gen.«

Und die gute Mar­tha eil­te wie­der in ihre Kü­che.

Ich blieb al­lein. Aber einen zor­ni­gen Pro­fes­sor zur Ein­sicht zu brin­gen, war doch für mei­nen et­was schwan­ken­den Cha­rak­ter nicht mög­lich. Da­her war ich im Be­griff, mich klüg­lich wie­der in mein Zim­mer­chen hin­auf­zu­be­ge­ben, als die An­geln der Haus­tür knarr­ten; des Haus­herrn lan­ge Bei­ne schrit­ten ge­räusch­voll über die höl­zer­ne Trep­pe quer durch das Spei­se­zim­mer, has­tig in sein Ar­beits­ka­bi­nett.

Im Vor­bei­ren­nen warf er sei­nen Stock mit ei­nem Nuss­knacker­kopf in eine Ecke, sei­nen wi­der den Strich ge­bürs­te­ten Hut auf einen Tisch, und rief laut sei­nem Nef­fen zu:

»Axel, komm mir nach!«

Ich hat­te noch nicht Zeit, vom Fleck zu kom­men, als der Pro­fes­sor mit leb­haf­ter Un­ge­duld mir zu­rief:

»Nun! Noch nicht hier?«

Ich eil­te ins Zim­mer mei­nes fürch­ter­li­chen On­kels. Otto Li­den­b­rock war kein bös­ar­ti­ger Mensch, ich ge­b’s ger­ne zu; aber so­fern er nicht, was sehr un­wahr­schein­lich ist, sich än­dert, so wird er als ein schreck­li­cher Son­der­ling ster­ben.

Er war Pro­fes­sor am Jo­han­ne­um, und hielt Vor­trä­ge über Mi­ne­ra­lo­gie, wo­bei er re­gel­mä­ßig ein- oder auch zwei­mal in Zorn ge­riet. Es kam ihm durch­aus nicht dar­auf an, dass sei­ne Schü­ler flei­ßig die Lek­tio­nen be­such­ten, noch dass sie auf­merk­sam zu­hör­ten, noch dass sie Fort­schrit­te mach­ten: die­se Klei­nig­kei­ten mach­ten ihm we­nig Sor­ge. Sein Vor­trag war, wie die deut­sche Phi­lo­so­phie sich aus­drückt, »sub­jek­tiv« für ihn, und nicht für an­de­re. Es war ein egois­ti­scher Ge­lehr­ter, ein Wis­sens­brun­nen, des­sen Rol­le knarr­te, wenn man et­was her­aus­zie­hen woll­te: mit ei­nem Wort, ein Geiz­hals.

Es gibt in Deutsch­land man­che Pro­fes­so­ren der Art. Mein On­kel hat­te lei­der kei­ne leich­te Auss­pra­che, we­nigs­tens wenn er öf­fent­lich sprach, ein be­dau­er­li­cher Man­gel bei ei­nem Red­ner. Bei sei­nen Vor­trä­gen im Jo­han­ne­um blieb der Pro­fes­sor oft plötz­lich ste­cken; er rang mit ei­nem stör­ri­schen Aus­druck, der nicht von sei­nen Lip­pen woll­te, ei­nem Aus­druck, der sich sträubt und auf­bläht, bis er end­lich in der un­wis­sen­schaft­li­chen Form ei­nes Flu­ches her­aus­kommt. Dar­über arge Er­zür­nung.

Nun gib­t’s in der Mi­ne­ra­lo­gie vie­le halb grie­chi­sche, halb la­tei­ni­sche Be­nen­nun­gen, die schwer aus­zu­spre­chen sind, so hol­pe­rig rau, dass sie für ei­nes Dich­ters Lip­pen eine Pein sind. Ich will die­ser Wis­sen­schaft nichts Übles nach­sa­gen. Aber ge­gen­über von rhom­boe­dri­schen Kris­tal­li­sa­tio­nen, von ra­tin-as­phal­ti­schen Har­zen, von Gha­le­ni­den, Fan­ga­si­den, Mo­lyb­da­ten, Tungs­taten, Ti­ta­nia­ten und Zir­kro­nen darf die ge­läu­figs­te Zun­ge fehl­spre­chen.

In der Stadt nun kann­te man die­se ver­zeih­li­che Schwä­che mei­nes On­kels, und man mach­te sich über ihn lus­tig; man lau­er­te ihm auf, reiz­te ihn zum Zorn und lach­te ihn aus, was auch in Deutsch­land durch­aus nicht für an­stän­dig gilt. Und wa­ren die Zu­hö­rer Li­den­brocks stets zahl­reich, so ka­men sie meist des­halb, um sich an dem er­götz­li­chen Zorn des Pro­fes­sors zu be­lus­ti­gen.

Wie dem auch sein mag, mein On­kel war –, das kann ich nicht ge­nug be­to­nen – ein ech­ter Ge­lehr­ter. Ob­wohl er manch­mal bei all­zu bar­schen Ver­su­chen sei­ne Mus­ter­stücke zer­schlug, ver­band er mit dem Ge­nie des Geo­lo­gen den Blick des Mi­ne­ra­lo­gen. Mit sei­nem Ham­mer, sei­ner stäh­ler­nen Spitz­haue, sei­ner Ma­gnet­na­del, sei­nem Löt­rohr und Fläsch­chen Sal­pe­ter­säu­re war der Mann sehr stark. Er ver­stand je­des be­lie­bi­ge Me­tall nach dem Bruch, Aus­se­hen, der Här­te, Schmelz­bar­keit, dem Ton, Ge­ruch oder Ge­schmack ohne viel Be­den­ken in die Klas­si­fi­ka­ti­on der sechs­hun­dert jetzt be­kann­ten Gat­tun­gen ein­zu­rei­hen.

Da­her hat­te auch Li­den­brocks Name in den Gym­na­si­en und Verei­nen einen eh­ren­vol­len Klang. Hum­phry Davy und von Hum­boldt, die Ka­pi­tä­ne Fran­klin und Sa­bi­ne, mach­ten ihm auf der Rei­se durch Ham­burg ih­ren Be­such. Bec­que­rel, Ebel­men, Brawster, Du­mas, Mil­ne-Ed­wards, Sain­te-Claire-De­ville be­frag­ten ihn ger­ne über wich­ti­ge Punk­te der Che­mie. Die­se Wis­sen­schaft ver­dank­te ihm hüb­sche Ent­de­ckun­gen, und im Jah­re 1853 war zu Leip­zig von Otto Li­den­b­rock eine Ab­hand­lung über Tran­szen­den­ta­le Kris­tal­lo­gra­phie in Groß­fo­lio mit Ab­bil­dun­gen er­schie­nen, wel­che je­doch nicht die Kos­ten deck­te.

Otto Lidenbrock war ein großer, magerer Mann.

Zu­dem war mein On­kel Kon­ser­va­tor des mi­ne­ra­lo­gi­schen Mu­se­ums des rus­si­schen Ge­sand­ten Stru­ve, wel­ches eu­ro­päi­schen Ruf hat­te.

Die­ser Mann war’s, der mich so un­ge­dul­dig an­rief. Ein großer, ma­ge­rer Mann mit ei­ser­ner Ge­sund­heit und blon­dem ju­gend­li­chen Aus­sehn, das ihn um zehn Jah­re jün­ger mach­te, als er wirk­lich war. Gro­ße un­abläs­sig rol­len­de Au­gen hin­ter ei­ner an­sehn­li­chen Bril­le; eine lan­ge fei­ne Nase, gleich ei­ner schar­fen Klin­ge; böse Zun­gen be­haup­te­ten, sie sei mit ei­nem Ma­gnet be­stri­chen und zie­he den Ei­sen­staub an sich. Pure Ver­leum­dung: Sie zog nur den Ta­bak in sich, und zwar, um der Wahr­heit ihr Recht zu ge­ben, in reich­li­chem Maße.

Wenn ich noch hin­zu­fü­ge, dass mein On­kel ma­the­ma­tisch ge­mes­sen drei Fuß lan­ge Schrit­te mach­te, und fer­ner be­mer­ke, dass er mit fest­ge­schlos­se­nen Hän­den – was ein hef­ti­ges Tem­pe­ra­ment be­zeich­net – ein­her­ging, so kennt man ihn hin­läng­lich, um auf sei­ne Ge­sell­schaft nicht sehr er­picht zu sein.

Er wohn­te auf der Kö­nigs­tra­ße in ei­nem ei­ge­nen klei­nen Hau­se, das halb aus Holz, halb aus Zie­gel­stein ge­baut war, mit aus­ge­zack­tem Gie­bel; es lag an ei­nem der Kanä­le, wel­che in Schlan­gen­win­dun­gen durch das äl­tes­te Quar­tier Ham­burgs zie­hen, das von dem großen Brand im Jah­re 1842 glück­lich ver­schont wur­de; sein Dach saß ihm so schief, als ei­nem Stu­den­ten des Tu­gend­bun­des die Müt­ze auf dem Ohr; das Senk­blei durf­te man an sei­ne Sei­ten nicht an­le­gen; aber im gan­zen hielt es sich fest, dank ei­ner kräf­ti­gen, in die Vor­der­sei­te ein­ge­füg­ten Ulme, die im Früh­ling ihre blü­hen­den Zwei­ge durch die Fens­ter­schei­ben trieb.

Das kleine Haus in der Königsstraße.

Mein On­kel war für einen deut­schen Pro­fes­sor reich zu nen­nen. Das Haus war samt In­halt sein vol­les Ei­gen­tum. Zu dem In­halt ge­hör­te sei­ne Pa­tin, Gret­chen,1 ein sieb­zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen aus den Vier­lan­den, die gute Mar­tha und ich. In mei­ner dop­pel­ten Ei­gen­schaft als Nef­fe und Wai­se ward ich sein Hand­lan­ger-Ge­hil­fe bei sei­nen Ex­pe­ri­men­ten.

Ich ge­ste­he, dass ich an den geo­lo­gi­schen Wis­sen­schaf­ten Lust hat­te; es floss mi­ne­ra­lo­gi­sches Blut in mei­nen Adern, und ich lang­weil­te mich nie in Ge­sell­schaft mei­ner kost­ba­ren Stei­ne.

Üb­ri­gens konn­te man doch in die­sem klei­nen Hau­se der Kö­nigs­tra­ße glück­lich le­ben trotz der un­ge­dul­di­gen Wei­se sei­nes Ei­gen­tü­mers, denn ob­wohl er sich et­was bru­tal be­nahm, lieb­te er mich doch. Aber der Mann ver­stand nicht zu war­ten, und eil­te so­gar der Na­tur vor­an.

Wenn er im April in die Fayence-Töp­fe2 sei­nes Sa­lons Stöck­chen Re­se­da oder Win­de pflanz­te, zupf­te er sie je­den Mor­gen an den Blät­tern, um ihr Wachs­tum zu be­schleu­ni­gen.

Bei ei­nem sol­chen Ori­gi­nal war nichts an­ders mög­lich, als ge­hor­chen. Ich stürz­te da­her has­tig in sein Ar­beits­zim­mer.

im Ori­gi­nal Graü­ben  <<<

far­big oder weiß gla­sier­te, be­mal­te Ton­wa­re  <<<

Zweites Kapitel

Die­ses Ka­bi­nett war ein wahr­haf­tes Mu­se­um. Alle Mus­ter­stücke aus dem Mi­ne­ral­reich fan­den sich da mit Eti­ket­ten ver­se­hen in voll­stän­digs­ter Ord­nung ge­reiht, nach den drei großen Ab­tei­lun­gen der brenn­ba­ren, me­tal­li­schen und stein­ar­ti­gen Mi­ne­ra­li­en.

Wie war ich mit die­sem Spiel­zeug der mi­ne­ra­lo­gi­schen Wis­sen­schaft ver­traut! Wie oft hat­te ich, an­statt mit mei­nen Ka­me­ra­den mei­ne Zeit zu ver­tän­deln, mei­ne Freu­de dar­an, die­se Gra­phi­ten, An­thra­ci­den, Ligni­ten, die Stein­koh­len und Tor­fe ab­zu­stäu­ben! Und die Har­ze, Erd­har­ze, or­ga­ni­schen Sal­ze, die vor den ge­rings­ten Stäub­chen zu schüt­zen wa­ren! Und die­se Me­tal­le, vom Ei­sen bis zum Gold, de­ren re­la­ti­ver Wert vor der ab­so­lu­ten Gleich­heit der wis­sen­schaft­li­chen Gat­tun­gen ver­schwand! Und alle die Stei­ne, wo­mit man das Haus an der Kö­nigs­tra­ße hät­te neu auf­bau­en kön­nen, und noch ein hüb­sches Zim­mer dazu, worin ich mich recht hübsch ein­ge­rich­tet hät­te!

Aber als ich in das Ar­beits­zim­mer trat, dach­te ich nicht an die­se Wun­der; mein ein­zi­ger Ge­dan­ke war mein On­kel. Er war in sei­nem großen, mit Ut­rech­ter Samt be­schla­ge­nen Lehn­stuhl ver­gra­ben und hielt ein Buch in den Hän­den, das er mit tiefs­ter Be­wun­de­rung an­schau­te.

»Welch ein Buch! Welch ein Buch!« rief er aus. Die­ser Aus­ruf er­in­ner­te mich, dass der Pro­fes­sor Li­den­b­rock auch zu Zei­ten ein Bü­cher­narr war; eine alte Schar­te­ke hat­te in sei­nen Au­gen nur in­so­fern Wert, als sie schwer auf­zu­fin­den oder we­nigs­tens un­le­ser­lich war.

»Aber«, sag­te er, »siehst du denn nicht? Das ist ja ein un­schätz­ba­res Klein­od, das ich heu­te Mor­gen im La­den des Ju­den He­ve­li­us1 auf­ge­fun­den habe.«

»Pracht­voll!« er­wi­der­te ich mit er­heu­chel­tem En­thu­si­as­mus. Wahr­haf­tig, wozu so viel Lärm um einen al­ten Quar­tan­ten in Kalb­le­der, eine ver­gilb­te Schar­te­ke mit ver­blass­ten Buch­zei­chen.

Der Pro­fes­sor fuhr in­des­sen fort in un­er­schöpf­li­cher Be­wun­de­rung, in­dem er sich selbst frag­te und ant­wor­te­te:

»Siehst du, ist’s nicht hübsch? Ja, wun­der­schön! Was für ein Ein­band! Wie leicht schlägt man’s auf! Wie treff­lich schlie­ßen die Blät­ter, dass sie nir­gends klaf­fen! Und an die­sem Rücken sieht man nach sie­ben Jahr­hun­der­ten noch kei­nen Riss!«

Ich konn­te nichts Bes­se­res tun, als ihn über den In­halt zu fra­gen, ob­wohl der mich we­nig küm­mer­te.

»Und wie ist denn der Ti­tel des merk­wür­di­gen Bu­ches?« frag­te ich has­tig.

»Dies Werk«, er­wi­der­te mein On­kel leb­haft, »ist die Heims­kring­la von Snor­ro Stur­le­son, dem be­rühm­ten is­län­di­schen Chro­nis­ten des zwölf­ten Jahr­hun­derts! Es ent­hält die Ge­schich­te der nor­we­gi­schen Fürs­ten, die auf Is­land herrsch­ten!«

»Wirk­lich!« rief ich so freu­dig wie mög­lich, »und ge­wiss eine deut­sche Über­set­zung?«

»Schön!« ent­geg­ne­te leb­haft der Pro­fes­sor, »eine Über­set­zung! Und was mit der Über­set­zung an­fan­gen? Wer küm­mert sich um eine sol­che? Es ist ein Ori­gi­nal­werk in is­län­di­scher Spra­che, dem präch­ti­gen, rei­chen und zu­gleich ein­fa­chen Idi­om!«

»Wie das Deut­sche«, füg­te ich schmei­chelnd bei.

»Ja«, er­wi­der­te mein On­kel mit Ach­sel­zu­cken, ohne in An­schlag zu brin­gen, dass die is­län­di­sche Spra­che die drei Ge­schlech­ter be­zeich­net, wie beim Grie­chi­schen, und die Ei­gen­na­men de­kli­niert, wie im La­tei­ni­schen!

»Ah!« rief ich, in­dem ich mei­ner Gleich­gül­tig­keit Ge­walt an­tat, »und wie schön sind die Let­tern!«

»Let­tern! Was meinst du, Let­tern? Wie? Du meinst, das sei ge­druckt? Nein, Dum­mer, ’s ist ein Ma­nu­skript, ein Ru­nen-Ma­nu­skript! …«

»Ru­nen!«

»Ja! Be­gehrst du nun eine Er­klä­rung die­ses Worts!«

»Das lass ich blei­ben«, er­wi­der­te ich mit dem Ton ei­nes Be­lei­dig­ten.

Aber mein On­kel fuhr umso eif­ri­ger fort, mich wi­der Wil­len über Din­ge zu be­leh­ren, die ich zu wis­sen gar nicht Lust hat­te.

»Die Ru­nen«, fuhr er fort, »wa­ren Schrift­zü­ge, die von ur­al­ten Zei­ten auf Is­land im Ge­brauch wa­ren und von Odin selbst er­fun­den sein sol­len! Aber schau doch her, be­wun­de­re doch, Gott­lo­ser, die von ei­nem Gott aus­ge­dach­ten Zei­chen!«

Wahr­haf­tig, an­statt zu ant­wor­ten, fiel ich auf die Knie, eine Ant­wort, die Göt­tern und Kö­ni­gen ge­fällt.

Ein Zwi­schen­fall gab der Un­ter­hal­tung eine an­de­re Wen­dung. Ein schmut­zi­ges Per­ga­ment fiel aus der Schar­te­ke her­aus auf den Bo­den.

Mit be­greif­li­cher Gier fiel mein On­kel über die­sen Quark her. Ein al­tes Do­ku­ment, das viel­leicht seit un­vor­denk­li­cher Zeit in ei­nem al­ten Bu­che lag, muss­te un­fehl­bar in sei­nen Au­gen sehr kost­bar sein.

»Was ist das?« rief er aus.

Und zu­gleich ent­fal­te­te er sorg­fäl­tig auf dem Tisch ein fünf Zoll lan­ges, drei Zoll brei­tes Per­ga­ment­stück, wor­auf in Qu­er­zei­len ein un­ver­ständ­li­ches Ge­krit­zel von Schrift­zü­gen sich be­fand.

Ich gebe hier ein ge­nau­es Fak­si­mi­le der­sel­ben. Es ist mir dar­um zu tun, die­se selt­sa­men Zei­chen zur An­schau­ung zu brin­gen, weil sie den Pro­fes­sor Li­den­b­rock nebst sei­nem Nef­fen zu der son­der­bars­ten Un­ter­neh­mung des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts ver­an­lass­ten!

Der Pro­fes­sor be­trach­te­te die­se Zei­chen eine Wei­le; dann sprach er, in­dem er sei­ne Bril­le hö­her rück­te:

»’s ist Ru­nisch; die­se Zei­chen sind de­nen auf dem Ma­nu­skript Snor­ros völ­lig gleich! Aber … was mag das nur be­deu­ten?«

Da es mir schi­en, das Ru­ni­sche sei eine Er­fin­dung der Ge­lehr­ten, um die un­ge­lehr­ten Leu­te zu hin­ter­ge­hen, so war es mir nicht un­lieb, dass mein On­kel nichts da­von ver­stand. Das nahm ich we­nigs­tens aus sei­nen Fin­ger­be­we­gun­gen ab.

»Es ist doch Alt-Is­län­disch«, brumm­te er in den Bart.

Und der Pro­fes­sor Li­den­b­rock muss­te das wohl ver­ste­hen, denn er galt für ein Wun­der von ei­nem Spra­chen­ken­ner. Die zwei­tau­send Spra­chen und vier­tau­send Dia­lek­te, die man auf der Erde kennt, ver­stand er nicht nur ge­läu­fig, son­dern sprach auch de­ren einen gu­ten Teil.

Um die­ser Schwie­rig­keit wil­len war er im Be­griff, sich al­len Stür­men sei­nes hef­ti­gen Ge­fühls hin­zu­ge­ben, als es auf der klei­nen Uhr des Ka­mins zwei schlug, und die gute Mar­tha die Tür mmit den Wor­ten öff­ne­te:

»Die Sup­pe ist auf­ge­tra­gen.«

»Zum Hen­ker mit der Sup­pe«, schrie mein On­kel, »samt der Kö­chin, und wer sie ver­zehrt!«

Mar­tha ent­floh, ich eil­te ihr nach und be­fand mich, ohne zu wis­sen wie, an mei­nem ge­wöhn­li­chen Platz im Spei­se­zim­mer.

Ich war­te­te eine Wei­le. Der Pro­fes­sor kam nicht. Zum ers­ten Mal, mei­nes Ge­den­kens, ließ er sich bei dem Mit­ta­ges­sen ver­mis­sen. Und doch, welch treff­li­ches Es­sen! Pe­ter­si­li­en­sup­pe, Eier­ku­chen mit Schin­ken in Sau­er­amp­fer­sau­ce, Kalbs­nie­ren­bra­ten mit Pflau­men­kom­pott, und zum Des­sert Meer­kreb­schen mit Zu­cker, und dazu ein hüb­scher Mo­sel­wein.

Das al­les ver­säum­te mein On­kel über dem al­ten Pa­pier. Wahr­haf­tig, als er­ge­be­ner Nef­fe glaub­te ich mich ver­bun­den, für uns bei­de zu es­sen. Und ich tat es ge­wis­sen­haft.

»Das hab’ ich nie er­lebt«, sag­te die gute Mar­tha. »Herr Li­den­b­rock nicht bei Ti­sche!«

»Un­glaub­lich.«

»Das hat was Ar­ges zu be­deu­ten!« fuhr die Alte mit Kopf­schüt­teln fort.

Mei­nes Erach­tens be­deu­te­te es nichts an­ders, als eine fürch­ter­li­che Sze­ne, wenn mein On­kel sein Es­sen auf­ge­zehrt fin­den wür­de.

Ich war an mei­nem letz­ten Kreb­schen, als eine lau­thal­len­de Stim­me mich den Genüs­sen des Nach­ti­sches ent­zog. Mit ei­nem Sprung war ich im Ka­bi­nett des Herrn.

Jo­han­nes He­ve­li­us (1611–1687) war ein Astro­nom und gilt als Be­grün­der der Kar­to­gra­fie des Mon­des.  <<<

Drittes Kapitel

»Es ist of­fen­bar Ru­nisch«, sag­te der Pro­fes­sor mit Stirn­run­zeln. »Aber ich wer­de das Ge­heim­nis, das da­hin­ter­steckt, ent­de­cken, sonst …«

Und er mach­te eine hef­ti­ge Be­we­gung mit der Hand.

»Setz dich da­hin«, fuhr er fort, in­dem er auf den Tisch hin­wies, »und schreib.«

Im Au­gen­blick war ich be­reit.

»Jetzt will ich dir je­den Buch­sta­ben un­se­res Al­pha­bets dik­tie­ren, so­wie er mit ei­nem die­ser Schrift­zü­ge stimmt. Wir wer­den se­hen, was da­bei her­aus­kom­men wird. Aber nimm dich wohl in acht, dass du nichts ver­fehlst!«

Er fing an zu dik­tie­ren, und ich gab mir alle Mühe. Er be­nann­te je­den Buch­sta­ben einen nach dem an­de­ren, und so bil­de­ten sich fol­gen­de un­ver­ständ­li­che Wor­te:

m.rnlls es­reu­el seecJ­de

sgtss­mf un­eei­ef niedrke

kt,samn atra­teS Sao­drrn

emt­na­el nu­aect rrilSa

At­vaar .ns­crc ie­aabs

ccdrmi eeu­tul fran­tu

dt,iac osei­bo Ke­diil

Als dies fer­tig war, nahm mein On­kel has­tig das Blatt, wor­auf ich ge­schrie­ben hat­te.

»Was will das be­deu­ten?« wie­der­hol­te er me­cha­nisch.

Auf Ehre, ich hät­te es ihm nicht sa­gen kön­nen. Üb­ri­gens frag­te er mich nicht, und sprach wei­ter mit sich selbst:

»Das hei­ßen wir eine Ge­heim­schrift«, sag­te er, »worin der Sinn hin­ter ab­sicht­lich durch­ein­an­der ge­misch­ten Buch­sta­ben ver­steckt ist, wel­che in ge­hö­ri­ger Fol­ge ge­ord­net, eine ver­ständ­li­che Phra­se bil­den wür­den. Da­rin steckt viel­leicht die Er­klä­rung oder An­deu­tung ei­ner großen Ent­de­ckung!«

Ich mei­nes­teils dach­te, es ste­cke gar nichts da­hin­ter, aber ich hü­te­te mich wohl, mei­ne Mei­nung aus­zu­spre­chen.

Der Pro­fes­sor nahm dar­auf das Buch und das Per­ga­ment und ver­glich sie bei­de mit­ein­an­der.

»Die­se bei­den Schrif­ten sind nicht von der­sel­ben Hand; das Ge­heim­schrift­stück ist spä­tem Ur­sprungs, als das Buch, wie ich das gleich vor­ne aus ei­nem un­wi­der­leg­li­chen Be­weis er­se­he. In der Tat, der ers­te Buch­sta­be ist ein dop­pel­tes M, das in Stur­le­sons Buch sich nicht fin­det, denn es wur­de erst im vier­zehn­ten Jahr­hun­dert dem is­län­di­schen Al­pha­bet hin­zu­ge­fügt. Also lie­gen we­nigs­tens zwei Jahr­hun­der­te zwi­schen dem Ma­nu­skript und dem Do­ku­ment.«

Das schi­en mir al­ler­dings ziem­lich fol­ge­rich­tig.

Gretchen

»Das bringt mich auf den Ge­dan­ken«, fuhr mein On­kel fort, »die­se ge­heim­nis­vol­le Schrift sei von ei­nem Be­sit­zer des Bu­ches ver­fasst wor­den. Aber wer zum Hen­ker war die­ser Be­sit­zer? Soll­te er nicht sei­nen Na­men ir­gend­wo un­ter das Ma­nu­skript ge­setzt ha­ben?«

Mein On­kel setz­te sei­ne Bril­le hö­her, nahm eine star­ke Lupe und mus­ter­te sorg­fäl­tig die ers­ten Sei­ten des Bu­ches durch. Auf der zwei­ten Rück­sei­te ent­deck­te er eine Art Fle­cken, der wie ein Tin­ten­k­leks aus­sah; aber ge­nau­er be­se­hen un­ter­schied man ei­ni­ge halb ver­lo­sche­ne Schrift­zü­ge. Mein On­kel be­griff, dass es auf die­sen Punkt an­kom­me; er mach­te sich also aufs Eif­rigs­te dar­über her, und er­kann­te end­lich mit Hil­fe sei­ner Lupe die fol­gen­den Ru­nen­schrift­zei­chen, wel­che er ohne An­stoß le­sen konn­te:

»Arne Sak­nus­semm!« rief er tri­um­phie­rend aus, »aber das ist ein Name, und noch dazu ein is­län­di­scher Name, ei­nes Ge­lehr­ten des sech­zehn­ten Jahr­hun­derts, ei­nes be­rühm­ten Al­chi­mis­ten.«

Ich schau­te mei­nen On­kel mit ei­ni­gem Stau­nen an.

»Die­se Al­chi­mis­ten«, fuhr er fort, »Avi­ren­na, Ba­con, Lul­lus, Pa­ra­cel­sus wa­ren die ein­zi­gen, die ech­ten Ge­lehr­ten die­ser Epo­che. Sie ha­ben Ent­de­ckun­gen ge­macht, wor­über wir er­staunt sein dür­fen. Wa­rum soll­te nicht die­ser Sak­nus­semm un­ter die­ser Ge­heim­schrift eine auf­fal­len­de Ent­de­ckung ver­hüllt ha­ben? So muss es sein. So ist’s wirk­lich.«

Bei die­ser Hy­po­the­se er­hitz­te sich des Pro­fes­sors Fan­ta­sie.

»Ganz ge­wiss«, er­wi­der­te er keck, »aber was konn­te die­ser Ge­lehr­te für ein In­ter­es­se dar­an ha­ben, eine merk­wür­di­ge Ent­de­ckung ge­heim­zu­hal­ten?«

»Wa­rum? Wa­rum? Ja, weiß ich’s? Hat’s nicht Ga­li­lei eben­so ge­macht in Be­zie­hung auf Sa­turn? Üb­ri­gens, wir wer­den schon se­hen: Ich wer­de das Ge­heim­nis die­ses Do­ku­ments her­aus­be­kom­men, und ich wer­de we­der es­sen noch schla­fen, bis ich’s her­aus­ha­be.«

»O!« dach­te ich.

»Du eben­falls nicht, Axel«, fuhr er fort.

»Teu­fel!« dacht’ ich, »da ist’s gut, dass ich dop­pel­te Mahl­zeit ge­hal­ten habe.«

»Und ernst­lich«, sag­te mein On­kel, »gil­t’s, die Spra­che die­ser Chif­fre auf­zu­fin­den. Das kann nicht schwer sein.«

Bei die­sen Wor­ten hob ich leb­haft den Kopf. Mein On­kel fuhr fort, mit sich selbst zu re­den:

»Es gibt nichts Leich­te­res. Die­ses Do­ku­ment ent­hält hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben, wo­von neun­und­sieb­zig Kon­so­nan­ten ge­gen drei­und­fünf­zig Vo­ka­le. Un­ge­fähr die­ses Ver­hält­nis fin­det bei den süd­li­chen Spra­chen statt, wäh­rend die Idio­me des Nor­dens un­end­lich rei­cher an Kon­so­nan­ten sind. Es han­delt sich also um eine Spra­che des Sü­dens.«

Die­se Fol­ge­run­gen wa­ren rich­tig.

»Aber was ist’s für eine Spra­che?«

»Die­ser Sak­nus­semm«, fuhr er fort, »war ein un­ter­rich­te­ter Mann; wenn er also nicht in sei­ner Mut­ter­spra­che schrieb, muss­te er der un­ter den ge­bil­de­ten Geis­tern des sech­zehn­ten Jahr­hun­derts ge­läu­fi­gen Spra­che den Vor­zug ge­ben, der la­tei­ni­schen näm­lich. Irre ich dar­in, so kann ich mit dem Spa­ni­schen, dem Fran­zö­si­schen, Ita­lie­ni­schen, Grie­chi­schen oder He­bräi­schen den Ver­such ma­chen. Aber die Ge­lehr­ten des sech­zehn­ten Jahr­hun­derts schrie­ben im All­ge­mei­nen la­tei­nisch. Ich darf also als selbst­ver­ständ­lich an­neh­men, es sei La­tein.«

Ich sprang von mei­nem Stuhl auf. Mei­ne Erin­ne­run­gen aus der La­tein­schu­le sträub­ten sich ge­gen die Be­haup­tung, die­se Grup­pe selt­sa­mer Wor­te kön­ne der sanf­ten Spra­che Vir­gils an­ge­hö­ren.

»Ja! La­tein«, fuhr mein On­kel fort, »aber ver­wor­re­nes La­tein.«

»Das mag sein!« dach­te ich. »Wenn du es ent­wirrst, lie­ber On­kel, bist du ein fei­ner Kopf.«

»Un­ter­su­chen wir ge­hö­rig«, sag­te er, und nahm das von mir be­schrie­be­ne Blatt wie­der zur Hand. »Hier ist eine Grup­pe von hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben, die wir in voll­stän­di­ger Ver­wor­ren­heit fin­den. Da sind Wor­te, worin nur Kon­so­nan­ten vor­kom­men, wie das ers­te ›rnlls‹, an­de­re da­ge­gen, worin die Vo­ka­le über­wie­gen, z.B. das fünf­te: ›u­ne­ei­e­f‹, oder das vor­letz­te: ›o­sei­bo‹. Nun ist of­fen­bar die­se Grup­pie­rung nicht so zu­sam­men­ge­setzt wor­den; sie wur­de ma­the­ma­tisch ge­ge­ben durch ein uns un­be­kann­tes Ver­hält­nis, nach wel­chem die An­ein­an­der­rei­hung die­ser Buch­sta­ben be­stimmt wur­de. Ich hal­te für ge­wiss, dass die ur­sprüng­li­che Phra­se re­gel­mä­ßig ge­schrie­ben, so­dann nach ei­nem Grund­ge­dan­ken, den man auf­fin­den muss, um­ge­bil­det wur­de. Wer den Schlüs­sel die­ser ›Chif­fre‹ be­sä­ße, wür­de sie ge­läu­fig le­sen. Aber was ist das für ein Schlüs­sel? Axel, hast du ihn?«

Auf die­se Fra­ge wuss­te ich nicht zu ant­wor­ten, und aus gu­tem Grund. Mei­ne Bli­cke wa­ren auf ein rei­zen­des Por­trät, das an der Wand hing, ge­hef­tet, das Por­trät Gret­chens. Die Mün­del mei­nes On­kels be­fand sich da­mals zu Al­to­na bei ei­ner Ver­wand­ten, und ich war über ihre Ab­we­sen­heit sehr be­trübt, denn, jetzt kann ich’s ge­ste­hen, die hüb­sche Vier­län­de­rin und der Nef­fe des Pro­fes­sors lieb­ten sich mit echt deut­scher Herz­lich­keit und Aus­dau­er. Wir hat­ten uns ohne Wis­sen un­se­res On­kels ver­lobt, der all­zu viel Geo­log war, um für sol­che Ge­füh­le einen Be­griff zu ha­ben. Gret­chen war eine rei­zen­de Blon­di­ne mit blau­en Au­gen, von et­was ge­set­zem Cha­rak­ter und erns­tem Sinn; aber sie lieb­te mich dar­um nicht min­der. Ich mei­ner­seits be­te­te sie an, so­fern die­ser Be­griff im Alt­deut­schen exis­tiert! Das Bild mei­ner klei­nen Vier­län­de­rin ver­setz­te mich also auf ein­mal aus der wirk­li­chen Welt in die Welt der Träu­me, der Erin­ne­run­gen.

Ich er­blick­te in die­sem Bild die treue Ge­nos­sin mei­ner Ar­bei­ten und Freu­den. Sie half mir tag­täg­lich die köst­li­chen Stei­ne mei­nes On­kels ord­nen, die­sel­ben mit Eti­ket­ten ver­se­hen. Fräu­lein Gret­chen war in der Mi­ne­ra­lo­gie sehr stark! Sie hät­te dar­in mehr als einen Ge­lehr­ten zu­recht­wei­sen kön­nen. Sie be­fass­te sich ger­ne da­mit, schwie­ri­ge Fra­gen der Wis­sen­schaft zu er­grün­den. Wel­che süße Stun­den hat­ten wir mit ge­mein­sa­men Stu­di­en hin­ge­bracht! Und wie oft be­nei­de­te ich die fühl­lo­sen Stei­ne um das Glück, von ih­ren rei­zen­den Hän­den be­tas­tet zu wer­den!

Her­nach, wann die Er­ho­lungs­zeit kam, wan­del­ten wir mit­ein­an­der durch die be­laub­te Als­te­r­al­lee und be­such­ten zu­sam­men die alte be­teer­te Müh­le, die sich am Ende des Sees so gut aus­nimmt; un­ter­wegs plau­der­ten wir Hand in Hand. Ich er­zähl­te ihr Din­ge, wor­über sie herz­lich lach­te. So ka­men wir bis zum El­bu­fer und nach­dem wir den Schwä­nen, die zwi­schen den großen wei­ßen See­ro­sen schwim­men, gute Nacht ge­sagt, be­ga­ben wir uns mit dem Dampf­boot wie­der zum Kai.

Als ich in mei­nem Träu­men hier an­kam, ward ich von mei­nem On­kel durch einen Faust­schlag auf den Tisch ge­walt­sam in die Wirk­lich­keit zu­rück­ge­ru­fen.

»Se­hen wir«, sag­te er, »die ers­te Idee, die sich dem Geist dar­bie­tet, um die Buch­sta­ben ei­ner Phra­se aus ih­rer Ord­nung zu brin­gen, be­steht, dünkt mir, dar­in, dass man die Wor­te, an­statt ho­ri­zon­tal, ver­ti­kal schreibt. Wir müs­sen an­schau­en, was da­bei her­aus­kommt. Axel, schreib ir­gend­ei­nen Satz auf die­sen Zet­tel, aber an­statt die Buch­sta­ben ne­ben­ein­an­der zu stel­len, set­ze sie in ver­ti­ka­len Rei­hen einen nach dem an­de­ren, und zwar in Grup­pen von fünf bis sechs.«

Ich be­griff, wie es ge­meint war, und schrieb so­gleich von oben nach un­ten:

»Gut«, sag­te der Pro­fes­sor, ohne ge­le­sen zu ha­ben. »Jetzt schrei­be die­se Wor­te in eine ho­ri­zon­ta­le Zei­le.«

Ich ge­horch­te und be­kam fol­gen­de Phra­se:

Jermtt chd­zeech li­li­se ichinGn eh­ch­gr! be,ue

»Ganz recht«, sag­te mein On­kel, und riss mir den Zet­tel aus der Hand, »das sieht schon aus wie das alte Do­ku­ment: Die Vo­ka­le ste­hen so wie die Kon­so­nan­ten in der näm­li­chen Un­ord­nung grup­piert; da sind selbst An­fangs­buch­sta­ben so­wie Kom­ma in der Mit­te der Wor­te, ganz wie in dem Per­ga­ment des Sak­nus­semm!«

Ich konn­te nicht um­hin, die­se Be­mer­kung für recht sinn­reich zu hal­ten.

»Nun«, fuhr mein On­kel fort, »um die Phra­se, wel­che du ge­schrie­ben hast, und de­ren In­halt ich nicht ken­ne, zu le­sen, brauch’ ich nur zu­erst den ers­ten Buch­sta­ben je­des Wor­tes zu­sam­men­zu­rei­hen, dann je­den zwei­ten, her­nach den drit­ten usw.«

Und mein On­kel las zu sei­nem und mei­nem größ­ten Er­stau­nen:

Ich lie­be dich herz­lich, mein gu­tes Gret­chen!

»Oho!« sag­te der Pro­fes­sor.

Ja, un­ver­se­hens hat­te ich als ver­lieb­ter Töl­pel die­se ver­rä­te­rische Zei­le ge­schrie­ben!

»So! Du liebst Gret­chen?« fuhr mein On­kel in ech­tem Vor­mün­der­ton fort.

»Ja … Nein …«, stot­ter­te ich.

»Du liebst also Gret­chen!« wie­der­hol­te er ma­schi­nen­mä­ßig. »Nun, wen­den wir mein Ver­fah­ren auf das frag­li­che Do­ku­ment an.«

Mein On­kel war schon wie­der in das Nach­sin­nen, wel­ches ihn ganz in An­spruch nahm, ver­sun­ken, dass er be­reits mei­ne un­vor­sich­ti­gen Wor­te ver­gaß. Ich sage un­vor­sich­ti­gen, denn der Kopf des Ge­lehr­ten konn­te die Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten nicht be­grei­fen. Aber zum Glück hat­te die große An­ge­le­gen­heit des Do­ku­ments das Über­ge­wicht.

Im Be­griff, sei­nen Haupt­ver­such zu ma­chen, sprüh­ten des Pro­fes­sors Au­gen Blit­ze durch sei­ne Bril­le hin­durch. Mit zit­tern­den Hän­den nahm er das alte Per­ga­ment wie­der zur Hand. Er war von erns­ter Be­we­gung er­grif­fen. End­lich hus­te­te er tüch­tig und dik­tier­te mir mit wür­di­gem Ton, in­dem er der Rei­he nach zu­erst den ers­ten Buch­sta­ben, dann den zwei­ten je­des Wor­tes zu­sam­men­nahm, die fol­gen­den Grup­pen:

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Als ich sie fer­tig hat­te, war ich, of­fen ge­stan­den in Ge­müts­be­we­gung. In die­sen Buch­sta­ben hat­te ich gar kei­nen Sinn zu er­ken­nen ver­mocht; ich war also dar­auf ge­spannt, des Pro­fes­sors Lip­pen wür­den statt­lich eine Phra­se pracht­vol­len La­teins hö­ren las­sen.

Aber wer hät­te das ge­dacht! ein hef­ti­ger Faust­schlag er­schüt­ter­te den Tisch, dass die Tin­te em­por­spritz­te, die Fe­der mei­nen Hän­den ent­fiel.

»Das ist’s nicht!« schrie mein On­kel, »das hat kei­nen Sinn!« Da­rauf stürz­te er rasch wie eine Ku­gel durch das Ka­bi­nett, wie eine La­wi­ne die Trep­pe hin­ab, auf die Kö­nigs­tra­ße und ent­floh aus Lei­bes­kräf­ten.

Viertes Kapitel

»Er ist fort«, rief Mar­tha, die her­bei­ge­lau­fen kam, als er die Haus­tür so hef­tig zu­schlug, dass von dem Schmet­tern das gan­ze Haus er­schüt­tert wur­de.

»Ja«, er­wi­der­te ich, »ganz und gar fort!«

»Nun! Und sein Mit­ta­ges­sen?« sag­te die alte Die­ne­rin.

»Er wird nicht zu Mit­tag spei­sen!«

»Und sein Abendes­sen?«

»Er wird auch nicht zu Abend spei­sen!«

»Wie?« sag­te Mar­tha und rang die Hän­de.

»Nein, gute Mar­tha, er wird nicht mehr es­sen, und nie­mand im gan­zen Hau­se. Mein On­kel lässt uns alle fas­ten, bis es ihm ge­lingt, ein al­tes Ge­krit­zel, das durch­aus un­le­ser­lich ist, zu ent­zif­fern!«

»Je­sus! So bleibt uns also nichts, als Hun­gers ster­ben.«

Ich ge­trau­te nicht, ein­zu­ge­ste­hen, dass bei ei­nem so un­be­ding­ten Mann, wie mei­nem On­kel, dies uns un­ver­meid­lich be­vor­ste­he.

Ernst­lich be­un­ru­higt be­gab sich die alte Die­ne­rin mit Seuf­zen in ihre Kü­che zu­rück.

Als ich al­lein war, kam mir der Ge­dan­ke, zu Gret­chen zu ei­len und ihr al­les zu er­zäh­len. Aber wie konn­te ich das Haus ver­las­sen? Der Pro­fes­sor konn­te je­den Au­gen­blick heim­kom­men. Und wenn er nach mir rief? Und wenn er sei­ne En­trät­se­lungs­ar­beit, die man dem al­ten Ödi­pus ver­geb­lich vor­ge­legt ha­ben wür­de, wie­der an­fan­gen woll­te? Und was wür­de es ge­ben, wenn ich auf sein Ru­fen nicht Ant­wort gebe?

Die alte Dienerin ging stöhnend in ihre Küche zurück.

Das Klügs­te war, zu blei­ben. Eben hat­te uns ein Mi­ne­ra­log aus Be­sancon eine Samm­lung Klap­per­stei­ne vom Kie­sel­ge­schlecht zu­ge­schickt, wel­che zu klas­si­fi­zie­ren wa­ren. Ich mach­te mich an die Ar­beit. Ich son­der­te aus, mach­te Eti­ket­ten, ord­ne­te in ih­rem Glas­kas­ten alle die hoh­len Stei­ne, worin klei­ne Kris­tal­le ein­ge­schlos­sen wa­ren.

Aber die­se Tä­tig­keit be­schäf­tig­te mich nicht völ­lig. Das alte Do­ku­ment mach­te mir in den Ge­dan­ken viel zu schaf­fen. Mein Kopf glüh­te, und eine un­be­stimm­te Un­ru­he er­griff mich. Ich ahn­te eine be­vor­ste­hen­de Ka­ta­stro­phe.

Nach Ver­lauf ei­ner Stun­de wa­ren mei­ne Klap­per­stei­ne ge­ord­net. Da­rauf wieg­te ich mich in dem großen Lehn­stuhl, den Kopf rück­wärts, die Arme bau­melnd. Ich zün­de­te mei­ne Pfei­fe an, de­ren lan­ge krum­me Röh­re am Kopf mit dem Bild ei­ner Nym­phe ge­ziert war, und er­götz­te mich dar­an, die Fort­schrit­te der Ver­koh­lung zu be­ob­ach­ten, wo­durch die Nym­phe zu ei­ner voll­stän­di­gen Ne­ge­rin ge­wor­den war. Von Zeit zu Zeit lausch­te ich, ob sich nicht Trit­te auf der Trep­pe ver­neh­men lie­ßen. Nichts zu hö­ren. Wo moch­te mein On­kel eben sein? Ich sah ihn in Ge­dan­ken die schö­ne Al­lee der Al­to­na­er Stra­ße ent­lang­lau­fen, ges­ti­ku­lie­rend, mit kräf­ti­gem Arm die Kräu­ter zer­schla­gen, Dis­teln köp­fen und die Schwä­ne in ih­rem Frie­den stö­ren.

Wird er tri­um­phie­rend oder ent­mu­tigt heim­kom­men? Soll­te er das Ge­heim­nis her­aus­be­kom­men ha­ben? So frag­te ich mich und nahm ma­schi­nen­mä­ßig das Blatt Pa­pier in die Hand, wor­auf die von mir ge­schrie­be­nen un­ver­ständ­li­chen Zei­len sich be­fan­den. Ich wie­der­hol­te:

»Was be­deu­tet dies?«

Ich ver­such­te die Buch­sta­ben so zu grup­pie­ren, dass sie Wor­te bil­de­ten. Un­mög­lich. Man moch­te sie zu zwei, drei, fünf oder sechs zu­sam­men­stel­len, es kam durch­aus nichts Ver­ständ­li­ches her­aus. Doch ließ sich aus dem vier­zehn­ten, fünf­zehn­ten und sech­zehn­ten Buch­sta­ben das eng­li­sche Wort »ice« bil­den, aus dem vier-, fünf- und sechs­un­dacht­zigs­ten das Wort »sir«. End­lich er­kann­te ich mit­ten in dem Do­ku­ment auf der drei­ßigs­ten Zei­le die la­tei­ni­schen Wör­ter »rota«, »mu­ta­bi­le«, »ira«, »nec«, »atra«.

»Teu­fel«, dacht’ ich, »die­se letz­te­ren Wör­ter könn­ten wohl mei­nem On­kel Aus­kunft über die Spra­che des Do­ku­ments ge­ben!« Und da sehe ich gar, auf der vier­ten Zei­le noch das Wort »luco«, das einen »hei­li­gen Hain« be­deu­tet. Zwar auf der drit­ten Zei­le ist das Wort »ta­bi­led« zu le­sen, wel­ches ganz he­brä­isch aus­sieht, und auf der letz­ten die Wör­ter »mer«, »arc«, »mère«, die rein fran­zö­sisch sind.

Dar­über konn­te man den Kopf ver­lie­ren: Vier ver­schie­de­ne Spra­chi­dio­me in ei­ner sinn­lo­sen Phra­se! In wel­chem Zu­sam­men­hang konn­ten die Wör­ter »Eis«, »Herr«, »Zorn«, »grau­sam«, »hei­li­ger Hain«, »wech­selnd«, »Mut­ter«, »Bo­gen«, »Meer« ste­hen? Das letz­te und ers­te al­lein lie­ßen sich leicht an­ein­an­der­rei­hen, es wäre nicht zu ver­wun­dern, wenn in ei­nem auf Is­land ge­schrie­be­nen Do­ku­ment von »Eis­meer« die Rede wäre. Aber den üb­ri­gen Teil des Ge­heim­schrift­stücks zu be­grei­fen, war doch eine an­de­re Auf­ga­be.

Ich rang also mit ei­ner un­lös­li­chen Schwie­rig­keit; mein Ge­hirn er­hitz­te sich, mei­ne Au­gen blin­zel­ten bei dem Blick auf das Blatt; die hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben schie­nen um mich her­um zu hüp­fen, wie die Sil­ber­trop­fen, die in der Luft un­sern Kopf um­flim­mern, wenn das Blut stark da­hin-dringt.

Es wan­del­ten mich Fan­ta­sie­ges­ich­te an; der Atem ging mir aus, ich be­durf­te Luft. Un­will­kür­lich fä­chel­te ich mich mit dem Blatt Pa­pier, so­dass sei­ne Vor­der- und Rück­sei­te ab­wech­selnd mir vor Au­gen ka­men. Wie war ich über­rascht, als ich bei ei­nem sol­chen ra­schen Um­wen­den voll­kom­men les­ba­re Wör­ter zu er­ken­nen glaub­te, la­tei­ni­sche Wör­ter, z.B. »cra­te­rem«, »ter­re­stre«.

So drang auf ein­mal ein Licht­strahl in mei­nen Geist; die­se ein­zi­gen Spu­ren führ­ten mich auf den Weg der Wahr­heit; ich hat­te das Ge­setz der Chif­fre ge­fun­den. Um das Do­ku­ment zu ver­ste­hen, brauch­te man nicht ein­mal quer über auf die Rück­sei­te des Blat­tes zu le­sen! Nein. Gera­de so, wie es war, ge­ra­de so, wie mir’s dik­tiert wur­de, konn­te es ge­läu­fig buch­sta­biert wer­den. Alle sinn­rei­chen Ge­dan­ken des Pro­fes­sors ver­wirk­lich­ten sich. Er hat­te recht in Hin­sicht der Zu­sam­men­rei­hung der Buch­sta­ben, so­wie in Hin­sicht der Spra­che. Um die­ses la­tei­ni­sche Schrei­ben von An­fang bis zu Ende le­sen zu kön­nen, be­durf­te es nur noch »et­was«, und die­ses »et­was« wur­de mir vom Zu­fall ge­ge­ben.

Na­tür­lich war ich sehr im Ge­müt er­grif­fen. Mei­ne Au­gen wur­den trü­be, so­dass sie mir den Dienst ver­sag­ten. Ich hat­te das Pa­pier auf dem Tisch aus­ge­brei­tet. Ich brauch­te nur einen Blick dar­auf zu wer­fen, um das Ge­heim­nis in Be­sitz zu be­kom­men.

End­lich ward ich mit Mühe mei­ner Be­we­gung Herr. Um mei­ne Ner­ven ru­hig wer­den zu las­sen, leg­te ich mir auf, zwei­mal durch das Zim­mer zu ge­hen, dar­auf wieg­te ich mich wie­der in dem großen Lehn­stuhl.