Reiseberichte und andere Zeugnisse über den deutsch-britischen Pas de deux in der Geschichte. - Thomas Kielinger - E-Book

Reiseberichte und andere Zeugnisse über den deutsch-britischen Pas de deux in der Geschichte. E-Book

Thomas Kielinger

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Beschreibung

Deutsche und Briten werden nicht voneinander lassen und nie übereinander abschließend urteilen können. Der fundierte Kenner der englischen Geschichte und Gegenwart Thomas Kielinger nimmt diesen Umstand zum Anlass, um die nichtsdestotrotz engen Verbindungen zwischen Großbritannien und Deutschland anhand ausgewählter Reiseberichte und anderer Zeugnisse zu beleuchten. Welche historischen Umstände, Erwartungen und Vorannahmen prägen das gegenseitige Bild? Wie ließen sich ebenso stereotype Annahmen und Vorurteile überwinden? Kielinger versammelt in diesem Band sowohl allgemeine wie pointierte Schilderungen von Tacitus über Goethe bis Churchill und liefert damit einen ausgesprochen kurzweiligen Einblick in die bewegten und lebendigen kulturellen Verflechtungen zwischen Briten und Deutschen.

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THOMAS KIELINGER

Reiseberichte und andere Zeugnisseüber den deutsch-britischen Pas de deuxin der Geschichte

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Reiseberichte und andere Zeugnisse über den deutsch-britischen Pas de deux in der Geschichte

VonThomas Kielinger

Duncker & Humblot · Berlin

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Der Band basiert auf dem Abendvortrag des Autors im Rahmen der 39. Jahrestagung der Prinz-Albert-Gesellschaft im September 2022 in Coburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlag: König Eduard VII. und Kaiser Wilhelm II. in Berlin, Februar 1909 (© The Print Collector / Alamy Stock Foto)

Alle Rechte vorbehalten© 2023 Duncker & Humblot GmbH, BerlinFremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, FürstenwaldeDruck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany

ISBN 978-3-428-18844-4 (Print) ISBN 978-3-428-58844-2 (E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

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Legt man zugrunde, was im alten Rom über die Briten zu lesen stand, so begegnet man den „wilden Britanniern“ in einer Ode des Horaz, die „jenseits wohnen vom Erdkreis“, in Vergils Bucolica, seinen Hirtengedichten. Ein irgendwie abgeschlossenes, fremdenfeindlichesVolk also. Die frühesten Dokumente der Selbstdarstellung des Engländers weisen in der Tat durchaus in große Distanz gegenüber allem Fremden; es war die Norm. Immer wieder springt uns als als roter Faden der Eigenbeschreibung der Stolz der Insulaner auf ihre Selbstständigkeit, ihre Unabhängigkeit ins Auge, kurz: ihr Anderssein, gepaart mit einem deutlichen Gefühl der Überlegenheit. So nennt beispielsweise bereits im 13. Jahrhundert der Franziskanermönch Bartholomäus Anglicus in seiner Enzyklopädie England „den überreichsten Winkel der Erde“, ein Land, „das keine Hilfe von anderen Ländern benötigt“, eher „diese von ihm“. Nach seiner Darstellung wird es von Menschen bewohnt, „die frei sind in ihrem Herzen und ihrer Rede“.

Berühmt wurde, was der venezianische Botschafter in London, Andrea Trevisano, 1497 seinem Vorgesetzten, dem Dogen in Venedig, als die Eindrücke mitteilte, die er von den Engländern gewonnen zu haben glaubte:

„Sehr arrogant, selbstsicher und misstrauisch gegenüber Ausländern, denen sie mit großer Antipathie [6] begegnen in der Annahme, dass diese nur auf die Insel kommen, um sie zu beherrschen. Es gibt keine Menschen, die es ihnen gleich tun können, und keine Welt außer England. Wenn sie einen gut aussehenden Ausländer sehen, sagen sie: „Er sieht wie ein Engländer aus. Schade, dass er kein Engländer ist.“

Das wurde vor über 500 Jahren geschrieben: „misstrauisch gegenüber Ausländern, in der Annahme, dass diese nur auf die Insel kommen, um sie zu beherrschen“. Lauter Euroskeptiker müssen dem Venezier begegnet sein, wie es scheint. Unter Heinrich VIII. wurde daraus ausdrücklich das Credo nationaler Unabhängigkeit, als der König seit der Loslösung von Rom England nur noch als „empire entire unto itself“ beschrieb. Und die große Elizabeth schleuderte in ihrer Armada­Rede von 1588 allen Möchte­Gern­Invasoren Englands entgegen: „Ich kann nur darüber lachen, dass [der Herzog von] Parma oder Spanien oder irgend ein Herrscher Europas es wagen sollte, die Grenzen meines Reiches zu überschreiten.“ Setzt man für „Spanien oder irgendein Herrscher Europas“ die EU ein, dann hat man ein reinblütiges frühes Brexit­Bekenntnis vor sich …

Voltaire, der in seinen Londoner Jahren 1726–1729 die englischen Pappenheimer kennenlernte und darüber 1730 ein einflussreiches Buch veröffentlichte, die „Letters concerning the English Nation“, vier Jahre vor ihrer französischen Version, „Lettres philosophiques sur les Anglais“, machte geradezu hautnah Bekannschaft mit dem englischen patriotischen Overkill. In besten Pariser Seidenkleidern und seiner modischen Perücke wandert der [7] Philosoph eines Tages, so erfahren wir, durch einen Londoner Park und wird dabei von einer grölenden Meute angegangen. Er rettet sich auf ein nahe stehendes Podest, von dem aus er seinen Peinigern, die Situation entschärfend, zuruft: „Tapfere Engländer! Bin ich nicht schon unglücklich genug, nicht unter euch geboren zu sein!?“ Woraufhin die frei geborenen Hooligans den Gast auf ihren Schultern im Triumph in seine Wohnung tragen.

In all diesen Zitaten begegnet uns ein fast nationalistischer Tenor englischer Selbstbeschreibung, und das seit frühester Zeit. Niemand anderes als Goethe hat übrigens diesen Charakterzug der Engländer einmal im Gespräch mit Eckermann skizziert, als er an den Strom angelsächsischer Besucher erinnerte, die ihn heimzusuchen pflegten – es gehörte sich damals auch für die britischen jüngeren Semester, auf ihrer „Grand Tour“ den berühmtesten Deutschen seiner Zeit aufzusuchen. Goethe, 78jährig, am 28. März 1828:

„Die Engländer scheinen überhaupt vor vielen anderen etwas voraus zu haben.

(…) Ihr Auftreten und ihr Benehmen in der Gesellschaft ist so voller Zuversicht und so bequem, als wären sie überall die Herren und als gehöre die Welt überall ihnen. Das ist es denn auch, was unseren Weibern gefällt und wodurch sie in den Herzen unserer jungen Dämchen so viele Verwüstungen anrichten. Als deutscher Hausvater, dem die Ruhe der Seinigen lieb ist, empfinde ich oft ein kleines Grauen, wenn meine Schwiegertochter mir die erwartete baldige Ankunft irgendeines neuen jungen Insulaners ankündigt. Ich sehe im Geiste immer schon die Tränen, die ihm dereinst bei seinem Abgange fließen werden. – Es sind [8] gefährliche junge Leute; aber freilich, dass sie so gefährlich sind, das ist eben ihre Tugend. Es liegt nicht in der Geburt und im Reichtum. Sondern es liegt darin, dass sie eben die Courage haben, das zu sein, wozu die Natur sie gemacht hat. (…) Wie sie auch sind, es sind immer durchaus complete Menschen. Auch complete Narren mitunter, das gebe ich gerne zu. (…) Das Glück der persönlichen Freiheit, das Bewusstsein des englischen Namens kommt schon den Kindern zu Gute.“

Ein gutes Beispiel, wie weit es sich herumgesprochen hatte, dass die Engländer bis in ihr Auftreten hinein von der Einzigartigkeit ihres Geburtsrechts überzeugt waren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird der Erz­Imperialist Cecil Rhodes seine Landsleute ermahnen: „Denkt daran, dass ihr Engländer seid und damit den ersten Preis in der Lotterie des Lebens gewonnen habt.“ Aber auch ein gewisser Tony Blair fand es ganz natürlich, beim Abschied 2007 nach zehn Jahren als Premierminister den Zuhörern in seinem Wahlkreis Sedgefield zuzurufen: „Die Briten sind etwas Besonderes. Alle Welt weiß das. Auch wir in unseren allertiefsten Gedanken. Dies ist die größte Nation auf der Erde.“

Vielleicht empfiehlt sich ein Blick zurück ins 18. Jahrhundert, um über die deutsche Einschätzung der britischen Nachbarn noch etwas mehr zu erfahren. Im London des späten Jahrhunderts versah Friedrich August Wendeborn, ein deutscher Geistlicher und Historiker, über zwanzig Jahre lang den Dienst an einer deutschen Kirche. In vier Bänden sollte er zwischen 1784 und 1791 eine der besten Beschreibungen der Insel aus seiner Zeit vorlegen: „Der Zustand des Staats, der Religion, der Gelehrsamkeit [9] und der Kunst in Großbritannien gegen Ende des 18. Jahrhunderts“. Auch Wendeborn erkennt in der großen Selbst­Verliebtheit des Engländers eine wesentliche Charakteristik der Insel­Bewohner, wenn er schreibt:

„Aus der Eigenliebe der Engländer entsteht die Verachtung des Fremden. Die heutigen Engländer [sind] auf den Namen Britons bis zum Lächerlichen stolz.“